Monat: Juni 2016

  • Bitteres Ende

    Was lange ihre Heimstatt war,
    wo sie gelebt in ganzen Horden,
    wo sie gehaust seit Tag und Jahr,
    das ist zur Falle jetzt geworden.

    Verhängnisvoll war just der Platz,
    den sie erwählt für ihr Zuhause –
    hat jemand erst mal einen Schatz,
    zerstört ihn auch schon ein Banause.

    Allhier in Wennemanns Salon,
    da hatten sie Quartier genommen,
    doch Wennemann kennt kein Pardon,
    ist ihnen auf die Spur gekommen.

    Mit einem Sauger sog er sie
    heraus aus ihrem trauten Hort,
    nur zwei entkamen, wer weiss wie,
    und sie verkrochen sich vor Ort.

    Doch Wennemann voll List und Arg
    hat alle Ritzen abgedichtet
    und so den beiden einen Sarg
    der ganz besondren Art errichtet.

    Dort schleppt sich nun mit letzter Kraft
    verzweifelt, abgekämpft und leise,
    auf dass der Tod Erlösung schafft,
    der Ameisbock zu der Ameise.

    Den letzten ihres Volkes ist
    ein Denk- und Mahnmal hier errichtet,
    das Aberach voll Lust und List
    den Nachgeborenen gedichtet.

    (20.07.2013) © E W Grundmann

     

    Lüge

    Die Lüge dringt
    überall ein
    und
    überall durch,
    sie ist so
    geschmeidig
    und klein
    und hat ganz
    kurze Beine.

    (21.03.2005) © E W Grundmann

     

    Fettsucht

    Er lebte
    von der Hand in den
    Mund und daran
    starb er auch,
    denn seine
    Rechte wusste nicht, was
    seine Linke tat

    (03.04.2005)© E W Grundmann

     

    Augen

    Die Rätselfrage, welche Augen
    zum Sehen überhaupt nicht taugen,
    sei leicht, sagst du, und glaubst, es sind
    die Hühneraugen, welche blind.

    Ich muss dir aber widerstehen,
    weil nämlich Hühner prächtig sehen –
    und weisst du auch, womit sie’s tun?
    Mit Hühneraugen sieht das Huhn!

    (20.12.2013 0100)© E W Grundmann

     

    Greifswald

    Als die Wissenschaft zur Erden
    sprach, du sollst zur Kugel werden,
    da war Greifswald einmal schneller,
    und es blieb so flach wie’n Teller.

    Dieses schuld’ ich, sprach es eilig,
    meinen Türmen, die mir heilig,
    dass sie sich nicht seitwärts neigen
    und verschiedne Himmel zeigen.

    Da stehn sie nun jahrein jahraus,
    Maria, Jakob, Nikolaus,
    wo die Erde ewig bleibe
    eine schöne platte Scheibe.

    Und ich weise es dir gerne:
    Nahst du dich der Stadt von ferne,
    siehst du, niemand kann’s verhehlen,
    alle drei in Parallelen.

    (05.04.2015 0245)© E W Grundmann

     

    Erkenntnis

    Will ich die Welt betrachten,
    muss ich auch mich selbst beachten.

    Doch seh’ ich, was ich sehe,
    stets aus meiner Augenhöhe.

    Demzufolge sehe ich
    beinah alles, nur nicht mich,

    denn niemand ist es eigen,
    selber sich zu übersteigen,

    um dort, wie soll ich’s nennen,
    ausserhalb sich zu erkennen.

    Es bleibt nach diesem Gleichnis
    in mir selbst die Welt Geheimnis.

    (08.09.2004) © E W Grundmann

     

    Epithalamium

    Das Wunder
    bleibt ein
    Geheimnis
    du kannst es
    erfahren
    aber nicht
    erklären
    du kannst
    es empfangen
    und verschenken
    aber nicht
    erzwingen
    hüten kannst du es
    oder
    zerstören
    es weilt nur
    wo Wahrheit ist
    und Freiheit.

    Menschen zugedacht
    nicht
    von Menschen gemacht
    ist Liebe.

    (für Karen und Christian 08.04.2000)© E W Grundmann

     

    Klarwasser

    Einst wandert ich durch dunkles kaltes Tal,
    tief eingeschnitten und geheimnisschwer,
    es war das sagenhafte Digital.

    Darinnen floss ganz schnell ein Fluss daher,
    so schnell, dass er nicht war zu sehen, hören,
    zu riechen oder fühlen, aber er,

    der Fluss, der Digi hiess, ich kann es schwören,
    riss alles mit sich, was man wissen wollte,
    um an dem Ufer jeden zu betören.

    Und wenn dann einer tat, was er nicht sollte,
    klammheimlich ohne Angelschein zu fischen,
    dann ging das leidlich, bis dass die Revolte

    der ehrenhaften Fischer ihn erwischen
    und in die ferne Wüste schicken würde.
    Genauso ist es auch geschehn inzwischen.

    Der Digifluss trägt eine schwere Bürde:
    das klare Wissen für der Menschen Leben,
    und er benötigt eine sichre Hürde,

    ihm gegen Unrat, Missbrauch Schutz zu geben,
    damit an seinen Ufern Früchte wachsen.
    Ihr Leute, danach, danach müsst ihr streben.

    (19.12.2013 0435) (Terzinen)© E W Grundmann

     

    Virtuelles

    Will Herr Wennemann spazieren gehen,
    mag er nicht aus seinem Fenster sehen,
    sondern fragt TV und Internet,
    was es heute für ein Wetter hätt’.

    In den meisten Fällen bleibt er hängen,
    weil ganz andre Themen ihn bedrängen
    oder weil die Technik wieder zickt –
    Abend wird’s, bis er sich durchgeklickt.

    Bestenfalles sieht er Leute wandern,
    er versetzt sich dann in diese andern,
    und so verwandelt sich ganz auf die Schnelle
    sein Spaziergang in das Virtuelle.

    Manchmal wünscht er sich, dass an der Türe
    Aberach, der Freund, stünd’ und entführe
    ihn zu einem Rundgang um den Block,
    dass er nicht nur in der Stube hock’.

    Da erfand der Fortschritt – welch ein Hohn –
    das verflixte Bildertelefon.
    Wennemann hat’s um so mehr beweint,
    als der Freund nur noch am Schirm erscheint.

    (05.02.2013) © E W Grundmann

     

    Teppich

    Frau Grote erbte einen Teppich
    und sprach zu sich, sie sagte nebbich,
    wie hoch kann man das Stück bewerten?
    Ich frage besser den Experten.

    Der Fachmann hat nach zehn Sekunden
    neunhundert für genug befunden.
    Die Freude war die allergrösste,
    als neunzehntausend sie erlöste.

    Schon bald ihr Glücksgefühl entschwindet,
    just als ihr Käufer einen findet,
    der ihm den Teppich wird entlohnen
    mit sieben Komma zwei Millionen.

    So wird die Wirklichkeit gemessen
    an unsern Plänen und Int’ressen.
    Uns stimmt nur alles das zufrieden,
    was wir nach unserm Willen schmieden.

    Doch haben wir es dann bekommen,
    wird es uns wieder abgenommen,
    und sei es nur, weil Wünsche schwanken
    und dauernd sich um andres ranken.

    (27.01.2012)© E W Grundmann

     

    Werte

    Kinderstube:
    Du sollst es einmal besser haben.
    Du sollst alles haben.
    Haben.
    Nimm dir.
    Iss, soviel du kannst.
    Wenn du nicht mehr kannst,
    nimm Naschwerk.
    Etwas geht immer.
    Nie hörst du die Worte:
    – Das tut man nicht.
    – Das musst du verantworten.
    – Das ist deine Pflicht und Schuldigkeit.

    Später:
    Sei Knallhart.
    Sei tough,
    gnadenlos erfolgreich,
    schlagkräftig,
    schlage kräftig.
    Maximiere den Gewinn.
    Du hast nichts zu verschenken.
    Du kannst alles kaufen.
    Mitnehmen und abräumen.
    Abstauben, dass es staubt.
    Was nicht verboten ist,
    das ist erlaubt.

    (05.03.2008) © E W Grundmann

     

    Evolution

    Wennemann hat seinen Laden
    gut geführt und ausgestaltet
    mit Qualität in hohen Graden,
    hochmodern und nicht veraltet.

    Dann verkaufte er an einen
    jüngeren und hoffnungsfrohen
    Mann vom Fach, so wollt’ es scheinen.
    Die Erwartung ist entflohen,

    als der Neue alle Werte
    konterte und demontierte
    und mit ungerechter Härte
    die Angestellten schikanierte.

    Alles, was an gutem Standard
    Wennemann hat eingerichtet,
    hat der Neue voller Hoffart
    abgeschafft und glatt vernichtet.

    Wennemann gerät ins Grübeln,
    ob abgesehn vom Einzelfalle
    sich die Menschheit je von Übeln
    aufschwingt hin zur Ruhmeshalle,

    oder ob, was wir Entwicklung
    nennen, nicht ein Kreisgang sei,
    der in ewiger Verstrickung
    angepflockt im Einerlei.

    Aberach versucht zu trösten:
    Fortschritt bei den Qualitäten
    stosse immer auf die grössten
    Hindernisse und da täten

    Vor- und Rückschritt alternieren
    so, dass man erst nach Äonen
    kann die Frage ventilieren
    nach den Evolutionen.

    Wennemann seufzt hörbar auf:
    Wie soll ich da noch hoffen,
    denn mein kurzer Lebenslauf
    lässt ja alle Fragen offen.

    (30.03.2013)© E W Grundmann

     

    Republikflucht

    Im Namen des Volkes
    ergeht folgendes Urteil.
    Der Republikflucht wird
    für schuldig befunden
    die Deutsche Demokratische Republik
    (im Folgenden „DDR“).

    Urteilsbegründung

    Die DDR hat sich am 3. Oktober 1990 verflüchtigt.
    Sie erfüllt den Straftatbestand
    der Republikflucht (§213 StGB) in Tateinheit
    mit Landesverräterischer Nachrichtenübermittlung (§99),
    Ungesetzlicher Verbindungsaufnahme (§219)
    Zusammenschluss zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele (§218)
    Zusammenrottung (§217),
    Wahlbehinderung (§210),
    Wahlfälschung (§211)
    Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (§202),
    Nachrichtenunterdrückung (§203),
    Verbrecherischer Beschädigung sozialistischen Eigentums (§164)
    Unterlassung der Anzeige (§225).

    Straferschwerend ist zu würdigen
    die planvolle Absicht bei der Straftat,
    das Zurücklassen Schutzbefohlener,
    Kollaboration mit dem Klassenfeind.

    Im Strafmass wird auf lebenslänglich erkannt.

    Bewährung ist ausgeschlossen.
    Es ist sicherzustellen, dass von deutschem Boden
    nie wieder Sozialismus ausgeht,
    ob braun, ob rot oder sonstiger Couleur.
    Die Kosten des Verfahrens tragen die üblichen Dummen.

    (1.5.2010) © E W Grundmann

     

    Der Ort des Seins

    ist
    HIER und JETZT und SO.

    Ein Gefängnis
    wäre er,
    stünde er nicht
    in der Spannung
    zu
    GESTERN und MORGEN,
    ANDERSWIE und ANDERSWO.

    Das Haus des
    Wirklichen
    ist unbewohnbar
    ohne den Garten
    des Möglichen.

    (09.05.2004)© E W Grundmann

     

    Die fünf Leben der Zwiebel

    Aus Samen zieht der Gärtner Giebel
    zunächst die kleine Steckezwiebel.

    Bald drauf wird Hausfrau Helga Ranzen
    die Zwiebel in den Garten pflanzen,

    und schon nach ein paar kurzen Wochen
    nascht von dem Schlot ihr Stiefsohn Jochen.

    Die ganze Zwiebel isst dann später
    ihr zweiter Sohn, der kleine Peter.

    Zuletzt nach Durchgang beider Söhne
    gibts von der Zwiebel Duft und Töne.

    ( ~20.08.1995)© E W Grundmann

     

    Garten

    Ein schöner Garten schwebt dir vor
    mit edlen Pflanzen hinterm Tor,
    wobei alleine solches zählt,
    was du dir selber auserwählt.

    Du ackerst und du sähst und eggst
    und sorgst, dass alles prächtig wächst,
    du freust dich, wenn die Triebe sprossen,
    denn fleissig hast du sie begossen.

    Doch schon nach ein paar Tagen siehst
    du, dass viel Ungebetnes spriesst –
    selbst, wenn du rodest, wenn du jätest,
    und wenn du Tag und Nacht es tätest,

    und wenn du zupfst mit Stiel und Stumpf:
    das Unkraut feiert den Triumph –
    nur deine Kandidaten kranken,
    statt, wie gewünscht, empor zu ranken.

    Das Elend kann man nur beenden,
    wenn sich die Perspektiven wenden,
    wenn Unkraut du zu Kraut erhebst
    und dann im Gegenzug erlebst,

    dass nun die Kräuter dich auch adeln,
    und statt als Unmensch dich zu tadeln,
    sie dich zum Menschen nun erheben
    und fortan friedlich mit dir leben.

    Sei schlau und greif zu dieser List:
    Lass die Natur so wie sie ist,
    sonst wird sie wieder, wie sie war.
    Ist das jetzt endlich allen klar?

    (05.02.2010) © E W Grundmann

     

    Frischluft

    Aberach, ein Feind von allen Düften,
    ist in seinem Hause stets am Lüften,
    Fenster hält er offen auch bei Frosten,
    ebenso bei Schneesturm aus dem Osten,
    selbst die Gartentüre lässt er offen,
    um sich bessre Lüftung zu erhoffen.

    Wennemann, der zu Besuch gekommen,
    hat die Scheiben heimlich rausgenommen
    und verkauft, um Aberach zu testen.
    Dieser findet jetzt die Luft am besten.

    (23.01.2013) © E W Grundmann

     

    Heckenschnitt

    Wennemann benimmt sich wie die tote
    sagenhafte Kunstfigur Quijote.
    Einst vor Jahren liess er um den ganzen
    Rand des Gartens eine Hecke pflanzen.

    Leider, was er damals nicht bedachte,
    hat der Gartenbauer, der es machte,
    überwiegend Stacheln und auch Dornen
    angepflanzt zur Rache für die Nornen,

    die den Wennemann nun stachen, schnitten,
    ritzten. Viel hat Wennemann erlitten,
    bis er sich zum Kampf entschloss und Waffen
    für den Krieg begann sich anzuschaffen.

    Seither sieht man ihn in Schweiss und Blut
    gebadet und mit Inbrunst, Glut und Wut,
    mit Motorsäge, Häcksler, Beil und Schere
    kämpfen, so als gelte es die Ehre.

    (18.04.2013)© E W Grundmann

     

    wetter

    er bedaure
    sagte der kommentator
    das schlechte wetter

    der garten
    frohlockte
    über den milden regen

    das wetter ist immer schlecht
    irgendwo
    und immer gut
    irgendwo
    für irgendwen
    und auch hier
    irgendwann

    (11.05.2013)© E W Grundmann

     

    New Blue

    Eine Woche Sturm und Grau –
    heute wieder himmlisch blau,
    alle Wolken sind gewichen
    und der Himmel frisch gestrichen.

    Die wir verloren längst geglaubt,
    von bösen Mächten schnöd geraubt,
    sie spiegelt sich, die Sonne,
    in der vollen Regentonne.

    (02.06.2010 Neuendorf / Hiddensee)© E W Gr

  • Ein Gutmensch

    Moritz Grünling war, wie seine Freunde gern behaupteten, bereits als Gutmensch auf die Welt gekommen. Und diese ihm zugeschriebene Eigentümlichkeit, angeboren oder im frühen Kindesalter erworben, hatte sich mit den Jahren zugespitzt.

    Auch als Erwachsener verstand er es, seinen Beruf, er hatte Politologie studiert, mit seinen humanitären Absichten in Einklang zu bringen. Manchmal beklagte er sogar seine späte Geburt, wäre er doch zu gern viel eher gegen rassistische Vorurteile ins Feld gezogen. Aber der Amerikaner wie auch der Mohrenkopf waren schon vor seiner Zeit aus den Bäckereien verschwunden, Zigeunerschnitzel durch Ungarisches Schnitzel ersetzt worden, und am Zigeunerbaron hatten sich bereits Hartnäckigere als er die Zähne ausgebissen.

    Jedoch wie nach Überschwemmungen noch Pfützen zurückbleiben, so hatten auch diese akribischen Feldzüge für ihn noch Überbleibsel hinterlassen, denen er sich widmen konnte. Er war ein Kämpfer im Kleinen geworden und verbot seinen Kindern Drei Chinesen mit dem Kontrabass oder Drei Zigeuner fand ich einmal… zu singen.

    Nachdem er sein Sendungsbewusstsein nur unvollkommen ausleben konnte, ergab sich durch einen Wechsel der Arbeitsstelle verbunden mit einer Versetzung an einen anderen Ort noch einmal Gelegenheit, seine hehren Ideale zu praktizieren.

    Man könnte annehmen, Moritz Grünling habe in einem kleinen vergessenen Winkel noch etwas rassistisch Anmutendes aufgetan, aber so war es nicht. Grünling war in eine Großstadt versetzt worden, und sogar hier entdeckte er Unkraut, das es auszumerzen galt.

    Er war in der Mittagspause durch die ihm noch fremde Stadt gestreift und fand sich zu seinem Erstaunen vor einer Apotheke wieder, die den frevelhaften Namen Mohrenapotheke trug. Im Handumdrehen erfand er ein körperliches Übel und betrat den Verkaufsraum.

    „Ich brauche etwas gegen Sodbrennen?“, sagte er zu dem jungen Mann hinter dem Ladentisch, der nach seinen Wünschen fragte. Der junge Mann empfahl Bullrichsalz. Grünling zückte umständlich sein Portemonnaie und warf, während er das Geld herausfingerte, einen Blick auf den über den Regalen angebrachten, prachtvollen Mohrenkopf, der sich, vorteilhaft mit einer Halskette geschmückt, im Profil präsentierte.

    „Wohl der Firmengründer?“, fragte Grünling launig auf den Kopf des Schwarzafrikaners weisend.

    „Mein Urgroßvater“, erwiderte der blonde, junge Mann völlig ernsthaft, der sich damit als Inhaber zu erkennen gab und die geistreiche Bemerkung des Kunden nicht recht würdigen konnte. Trotzdem wünschte er diesem einen schönen Tag.

    Etwa eine Woche später wurde der Apotheker zu einem Gespräch in die Rechtsabteilung der Stadt gebeten. Eine Ahnung sagte ihm, dass er diese Einladung dem an Sodbrennen leidenden Kunden verdankte. Und so war es: In höflicher Form wurde er gebeten, seiner Apotheke einen weniger Ärgernis erregenden Namen zu geben. Der Pharmazeut, in vierter Generation in diesem Geschäft, weigerte sich rundheraus.

    Abends, als er im Kreise seiner Kollegen am Stammtisch saß,  was einmal wöchentlich geschah, erzählte er ihnen von dem merkwürdigen Ansinnen. Einhellig waren die dort versammelten Pharmazeuten, der Adlerapotheker, der Schwanenapotheker, der Rosenapotheker und der Einhornapotheker der Ansicht, dass er, der Mohrenapotheker, sich richtig verhalten habe. Umso merkwürdiger berührte ihn daher die Meinung seiner Frau, der er vor dem Zubettgehen von den Ereignissen des Tages berichtete und dabei seine standhafte Haltung hervorhob.

    „Bist du sicher, dass das vernünftig ist?“, fragte die Gattin. Natürlich war sich der Mohrenapotheker sicher, aber wie ein steter Tropfen den Stein höhlt, ließ er sich nach und nach von der Skepsis seiner Frau anstecken.

    Und so kam es eine Woche später zu einer geringfügigen Änderung des ethnisch anfechtbaren Namens: Über dem schönen runden O des Mohren hatten sich einfach zwei Strichlein eingefunden.

    Copyright Dr. Lieselotte Riedel

     

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  • Zu seinem Esel sprach der Bauer:
    „Ich sag dir offen, wie es ist,
    du bist nicht wert, mein alter Grauer,
    das Heu, das du tagtäglich frisst!“

    Der Esel hörte es mit Schrecken,
    er dachte an so manches Jahr,
    als er mit korngefüllten Säcken
    auf seinem Weg zur Mühle war.

    Das ist der Lohn für Müh und Plage,
    wie einen Hund jagt man mich fort.
    Nun muss ich auf die alten Tage
    noch suchen einen andern Ort!

    Doch hilft kein Jammern und kein Grämen,
    das bringt mich nur um den Verstand:
    Ich mach mich auf und geh nach Bremen,
    verding mich dort als Musikant.

    Warum, so wird sich mancher fragen,
    warum musst es denn Bremen sein?
    Ich weiß es nicht, ich kann nur sagen,
    dem Esel fiel nichts Bessres ein.

    Und die Idee, auf die er baute,
    die klang für  Menschenohren schlimm:
    Er wollte schlagen dort die Laute,
    so steht es bei den Brüdern Grimm.

    Ein alter Jagdhund lag am Wege,
    den ebenfalls sein Herr verstieß,
    weil er zu müde und zu träge
    das edle Wild entkommen ließ.

    „Kopf hoch!“  So sprach der Esel weise,
    als er den Hund in Tränen fand:
    „Komm doch mit mir auf eine Reise,
    ich werd  in Bremen Musikant.“

    Sie sahn an einem schatt‘gen Platze
    zwei Tiere noch, man glaubt es kaum,
    die arme ausgesetzte Katze
    und dann den Hahn auf seinem Baum.

    „Kommt mit und jammert hier nicht länger!“,
    schlug ihnen gleich der Esel vor,
    wir brauchen in der Band zwei Sänger;
    Sopran fehlt noch und auch Tenor.“

    Die Sonne war schon längst im Sinken,
    die Pfoten, Hufe müd und matt,
    und immer noch war da kein Blinken
    von Lichtern einer großen Stadt.

    Ein Jogger kam, der ganz ermattet
    sich setzte auf den nächsten Stein,
    der Esel fragte: „Ihr gestattet,
    könnt dies der Weg nach Bremen sein?“

    Der Jogger wischte mit dem Tuche
    Sich ab das feuchte Angesicht:
    „Nach Bremen seid ihr auf der Suche,
    das schafft ihr heute Abend nicht.

    Ein Tierheim gibt es hier am Orte
    für arme Streuner, so wie ihr,
    klopft dort mal höflich an die Pforte
    und fragt nach einem Nachtquartier!“

    Sie fanden schon das Tor verschlossen,
    jedoch der Pförtner war noch wach.
    „Geht weiter!“, sagte er verdrossen“,
    wir sind schon voll bis unters Dach!“

    Im Wald an einem trocknen Platze,
    da legten sich ins weiche Gras
    der Hund und auch die müde Katze,
    dieweil der Hahn im Baume saß.

    „Ich bleibe wach und werd dich rufen“,
    schrie er dem Esel zu, der bald
    lostrabte und auf müden Hufen
    durchforstete den finstern Wald.

    Er hatte fernes Licht gesehen,
    vielleicht war‘s auch ein Feuerschein,
    es konnten Menschen, Zwerge, Feen
    und schlimmstenfalls auch Räuber sein.

    Der Hahn da oben im Geäste
    Jetzt mit dem Esel leise sprach:
    „Ein Häuschen ist’s, es ist das Beste,
    ich flieg dorthin und sehe nach.“

    Es ist bekannt seit alten Zeiten:
    ein Hahn verbringt die Nacht im Stall,
    doch hier, das lässt sich nicht bestreiten,
    lag vor ein echter Sonderfall.

    Wer glaubt, er habe da gefunden
    nur eine wilde Räuberschar,
    dem sagen wir es unumwunden:
    Was dort bei Grimm steht, ist nicht wahr.

    Er sah nur ärmliche Gestalten
    bei einem kargen Abendbrot
    des Tages erste Mahlzeit halten.
    Das glich zu sehr der eignen Not.

    Der Esel wartete mit Bangen
    Auf seines Boten Wiederkehr.
    War er von Räubern abgefangen
    Und vorbereitet zum Verzehr?

    Dann rüttelte ein Sturm die Gipfel,
    ein Ast verfehlte ihn nur knapp,
    und durch der Bäume hohe Wipfel
    flog jetzt der Hahn zu ihm herab.

    „Ich dachte schon, dass man dich köpfte“,
    erleichtert sah der Esel aus,
    der Hahn sprach, als er Atem schöpfte:
    „Das ist fürwahr kein Räuberhaus!“

    „Ich denk, wir sollten höflich bitten
    um einen Platz am warmen Herd,
    und sind wir dort nicht wohlgelitten,
    so ist es den Versuch doch wert.“

    „Nur Mut!“, so sprach der Esel weise
    und musterte die künft’ge Band
    „ich glaub in unserm Künstlerkreise,
    da gibt es bald ein Happy- End.“

    Auf leisen Pfoten, Tatzen, Krallen
    so pirschten sie ans Haus sich ran,
    sie hörten Lärm und Lachen schallen,
    man stimmte grad ein Trinklied an.

    Es war, als ob der Hahn sich scheute,
    den andern offen zu gestehn:
    „Das sind sie nicht, die armen Leute,
    die ich durch’s Fenster hab gesehn.“

    „Wir müssen trotzdem danach schauen“,
    so sprach der Esel mit Bedacht,
    „wir werden eine Leiter bauen,
    ich zeige euch, wie es gemacht.“

    Er musst die müden Glieder bücken,
    denn schließlich war er Untermann,
    dann sprangen schnell ihm auf den Rücken
    der Hund, die Katze und der Hahn.

    Und so zu viert am dunklen Fenster,
    da boten sie ein schaurig Bild,
    ein Räuber schrie: „Dort sind Gespenster!“
    Die Haare sträubten sich ihm wild.

    Ein andrer rief: „Tod und Verderben!
    Wir müssen fort, so schnell es geht!“
    Da ging das Fensterglas in Scherben,
    eh nur der Hahn einmal gekräht.

    Getrieben von Gewissenslasten
    flohn jetzt die Räuber in den Wald;
    es war ein Rennen, Laufen, Hasten
    nach einem sichern Aufenthalt.

    Dass dann die Räuber wiederkehrten,
    dazu noch in derselben Nacht,
    das haben sich die sehr gelehrten
    Gebrüder Grimm nur ausgedacht.

    Doch andre Leute kamen wieder,
    die jüngst der Hahn durchs Fenster sah.
    Sie stiegen vom Geäst hernieder
    von einem Baume, der ganz nah.

    Die Tiere und die fremden Gäste,
    die ausgestanden manche Qual,
    verspeisten hungrig nun die Reste,
    die übrig war‘n vom Räubermahl.

    Dann rückten näher sie zusammen,
    das Feuer ward neu angefacht
    und sahen heiter in die Flammen,
    vergessen war der Schreck der Nacht.

    Mit ernster Miene sprach der Esel:
    „Welch guter Platz für Mensch und Tier!
    Was solln uns Hameln, Bremen, Wesel?
    Ich schlage vor, wir bleiben hier.“

    Doch hier ließ sich der Hund vernehmen:
    „Im Ganzen stimm‘ ich überein,
    doch vorher geh ich noch nach Bremen
    und heb am Denkmal dort ein Bein.“

     

    Copyright Dr. Lieselotte Riedel