Monat: November 2016

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    Herbert Metzger, geboren 22.01.1924, gestorben 11.11.2016,

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    Liebe Frau Metzger,
    liebe Familie von Herbert Metzger,
    liebe Trauergemeinde,

    mein Name ist Dietrich Weller. Ich bin als langjähriger literarischer Freund von Herbert Metzger hier und trauere mit Ihnen. Deshalb ist es mir nicht nur ein sehr persönliches Bedürfnis, zu Ihnen zu sprechen, sondern ich möchte als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Schriftstellerärzte BDSÄ und Herausgeber des Almanachs deutschsprachiger Schriftstellerärzte sein literarisches Werk würdigen. Dabei will ich freimütig gestehen, dass ich gar nicht alles kenne, was er geschrieben hat. Er war in allen Lebensphasen so stetig im Schreiben, so vielseitig in seiner ganz eigenen Gedankenwelt, dass auch ein fleißiger Leser kaum mit ihm Schritt halten konnte.

    Leider weiß ich nicht genau, seit wann er Mitglied im Bundesverband Deutscher Schriftstellerärzte war, weil es darüber keine Akten mehr gibt. Der älteste Vermerk seines Namens steht auf einer Anwesenheitsliste der Mitgliederversammlung von 1984.

    Wir lernten uns Ende der 1990-er-Jahre persönlich kennen, als Sie, liebe Frau Metzger mit Ihrem Mann zu einer Lesung nach Leonberg kamen, zu der meine Frau und ich baden-württembergische Mitglieder des BDSÄ eingeladen hatten.

    In den folgenden Jahren standen wir in regelmäßigem schriftlichem und telefonischem Kontakt. Leider war es ihm aus gesundheitlichen Gründen nie mehr möglich, an den Jahreskongressen des BDSÄ teilzunehmen.

    Herbert Metzger machte mich schon bei unserem ersten Treffen auf den Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte aufmerksam, den ich damals noch nicht kannte. Das ist eine Sammlung von literarischen Texten in Gedicht- oder Prosaform, die von Ärztinnen und Ärzten verfasst werden und thematisch das gesamte Spektrum des menschlichen Alltags umfasst. Durchschnittlich sind jedes Jahr 55 Autoren auf 550 Seiten vertreten.

    Nachdem ich 2011 Herausgeber dieses Almanachs wurde und mich mein Herausgeber-Vorgänger bei den Übergabegesprächen ausdrücklich auf diesen besonderen Menschen und Schriftsteller aufmerksam gemacht hatte, traf ich Herbert Metzger in diesem Buch wieder. Seine frühesten Beiträge für den Almanachstehen im Almanach 1989. Herbert Metzger sandte seither jedes Jahr treu seine wertvollen, weil stilistisch und inhaltlich herausragenden Texte ein. Immer wieder überraschte er mich mit Notizen, mit Gedichten und Zeitungsausschnitten von seinen Lesungen, die er bis ins hohe Alter abhielt.

    Seine gestochen scharf und klein ziselierten Randbemerkungen voll Korrekturbereitschaft und Selbstzweifel sind mir gut im Gedächtnis. Ich erlebte einen Mann, dessen Bescheidenheit und Demut mich immer wieder beeindruckt haben. Sandra Pfäfflin von der Pforzheimer Zeitung beschreibt ihn in ihrem Nachruf sehr treffend als sanften, feinen Mann.

    Früh in unserer Bekanntschaft schenkte Herbert Metzger mir seinen autobiografischen Roman Unterwegs im Schicksalsraum Erde, der 2000 erschienen war und dessen Einband ein Bild ziert, das seine Tochter Iris Caren gemalt hatte. Ein Buch, das seine Lebensjahre 1942 bis 1945 umfasst. Ein Zeugnis, wie ein tief anthroposophisch denkender und fühlender Mensch mit den Kriegswirren hadert und sich mithilfe übergeordneter spiritueller Gedanken zu-recht-zu-finden sucht. Ich meine es wörtlich: Er wollte zum Recht finden und seinen Weg im Rahmen seiner Weltsicht erkennen und bewusst und rechtschaffen gehen.

    Dieses Buch ist nicht nur zeitgeschichtlich interessant für Nachkriegskinder wie mich. Es wirft uns auf Grundfragen der Existenz zurück und öffnet geistige Welten von unendlicher Dimension.

    Im Laufe seines langen Lebens veröffentlichte Herbert Metzger viele Bücher, darunter auch kleinere Schriften mit feingeistiger Lyrik und Prosa. Zeitklänge und Von Mensch zu Mensch führen den Leser von der irdischen Haftung in die spirituelle und ewige Dimension. Poetische Tagebücher und Vom Menschen und seinen Engeln sind nur zwei Beispiele seiner tief vom anthroposophischen Geist durchdrungenen Welt- und Weitsicht.

    Mir fällt ein Satz von Khalil Gibran ein, der hier und heute passt: Möglicherweise ist ein Begräbnis unter Menschen ein Hochzeitsfest unter Engeln.

    Herbert Metzgers geistige und schriftstellerische Aktivität entwickelte bei der ständigen Beschäftigung mit dem großen Spannungsfeld seine ganz ausgeprägte, für ihn charakteristische Sprache mit ungewöhnlichen Wortschöpfungen und Gedanken, die zum genauen Nach-Denken, zum einfühlsamen Nach-Spüren, zur bewussten Wort-für-Wort-Lektüre zwingen.

    Seine tiefe anthroposophische Überzeugung und sein feinsinniges Gespür für kleinste Unterschiede bei Bedeutung und Wort sprechen aus jedem Text, sind Antrieb und Quelle seines Denkens und Fühlens, beflügeln seine konzentrierten Wortschöpfungen, seinen Drang, alles noch genauer und ausdrucksstärker zu formulieren. In den Gedichten empfinde ich es deutlicher als in den Prosatexten, weil er sich dort noch mehr zwang, dichter, ver-dichtet zu formulieren. Und wie schwierig ist es, konkrete Gedanken über Spirituelles in ein-deutige Worte zu prägen, die also nur eine einzige Deutung zulassen!

    Ich ließ mich einmal zu dem Satz hinreißen: „Herr Metzger, ich spreche Ihre deutsche Sprache nicht, ich kenne Ihr Vokabular nicht.“Das hat ihn so erschreckt, dass er auf mich sehr verunsichert wirkte. Jetzt muss ich gestehen, dass ich wahrscheinlich nur nicht genau genug hineingehört und –gespürt habe, was seine Worte sagen.
    Weil mir seine spirituelle Welt teilweise fremd war, bat ich ihn, für den Almanach (ehrlicherweise will ich sagen: auch für mich!) eine Zusammenfassung der anthroposophischen Lehre zu schreiben.

    „Trauen Sie mir das wirklich zu?“, fragte er überrascht. Das war keine Lob erheischende narzisstische Wendung, sondern Ausdruck eines Suchenden, der sich selbst und seine Sicht der Dinge immer neu infrage stellte.

    Der Text, den er mir nach einigen Wochen gab, war so lang und so intensiv durchgearbeitet, dass wir ihn auf zwei Jahrgänge aufteilten und im Almanach 2014 und 2015 veröffentlichten. Es ist eine reife Darstellung der anthroposophischen Philosophie, die ich glaube, mit seiner Hilfe jetzt besser zu verstehen.

    Herbert Metzger schickte seine letzten Beiträge zum Almanach 2016. Da konnte er die Korrekturblätter nicht mehr selbst bearbeiten. Seine Tochter übernahm die Mittlerrolle. Sie ist es auch, die auf Facebook eine Seite für den Vater eingerichtet hat und jetzt sein literarisches Werk aufbereiten will.

    Ich habe die folgenden Gedichte ganz bewusst als letzte in seinem Kapitel gesetzt, weil ich ahnte, dass dies sein finaler Beitrag ist.

    Zu erkennen: 

    Ein wahrer Segen ist es, wenn ein
    alt gewordener, am Leibe gebrechlicher
    Mensch seinen sterblichen Körper
    wieder verlassen kann.

    Diese Befreiung öffnet ihm die neue
    Erlebnis-Wege-Begehung ins
    andere Sein, das als ein
    seelisch-geistiges, unsterbliches
    Dasein bezeichnet wird.

    Dort begegnet ihm die Wahrheit,
    so wird berichtet – und der
    Sinn seines Lebensdurchgangs
    wird ihm bewusst gemacht nach
    dem Erkenntniszustand seines
    eigenen Selbstbewusstseinserwachens:
    Erhellung in der Prüfung wird ihm zuteil
    Und Begnadung führt ihn ins Weiternde.

    Sei es so, Mitmensch.

     

    Später 

    Aus der Gefangenschaft der Materie
    gibt es kein Entrinnen – es sei denn
    ER entlässt dich ins
    Freisein-Werdenwollende.

    Die Konsequenzen daraus
    Werden zu deinem Errungenen.

     

    Wir sehen: Herbert Metzger war sehr gut vorbereitet auf seinen Weg in die nächste Dimension, denn er hatte lange vor seinem körperlichen Ende in Frieden mit diesem Teil der Welt abgeschlossen und war bereit zur Weiterreise, die ihm jetzt im biblischen Alter gnadenvoll und schmerzfrei gewährt wurde.

    Mit seinem allerletzten im Almanach veröffentlichten Gedicht verabschieden wir uns in großer Dankbarkeit und Hochachtung von Herbert Metzger, der in weiser Vorahnung schon hinüber spricht in die neue Existenzform:

     

    Himmel, wie bin ich dir nahe gekommen,
    das Körpergefäß will Abschied nehmen.
    Ich danke seinem Dienst an mir.
    Eine Weiterung wird alles Zusammengehörige
    in einem andern Licht erscheinen lassen.

    Wohl dem Geistgefügten,
    das darinnen erwacht.

  • „Einsam kann man auch in Gesellschaft sein, insbesondere wenn man als Single nur mit Pärchen befreundet ist“, dachte Susanne, während sie gedankenverloren nach Hause ging. Sie stockte. Ein Pudel stand vor ihr und kläffte sie an. Ängstlich starrte sie auf das Tier und rührte sich nicht.

    „Rudi, bei Fuß!“ Die Stimme klang angenehm sonor. Sie blickte auf. Ein schlanker junger Mann etwa in ihrem Alter stand vor ihr und griff nach dem Halsband des Hundes.

    „Entschuldigen Sie, dass Rudi hat sie erschreckt hat. Er tut keinem was. Er bellt nur.“

    „Ich mag Hunde nicht.“ Sie blickte in freundliche braune Augen. Wie konnte ein so netter Mensch einen so hässlichen Pudel haben?

    „Es tut mir leid.“ Er hatte den Hund angeleint. „Sie wirkten so abwesend. Vielleicht hat Rudi das irritiert.“

    „Abwesend? Ich habe nachgedacht. Einen schönen Tag noch.“

    Sie machte eine rasche Kopfbewegung, so dass die blonden Locken nach hinten flogen und setzte ihren Weg mit schnellem Schritt fort, ohne sich nochmals umzuschauen.

    „Ihnen auch“, sagte er leise und blickte ihr nach.

     

    Susanne liebte ihren Beruf als medizinisch-technische Assistentin, aber nicht ihre Arbeit. Früher konnte sie Enzymuntersuchungen und Elektrolytbestimmungen selbst im Einzelversuch ansetzen und mit dem Photometer messen. Da waren noch Fertigkeit und Erfahrung gefragt. Sie waren damals mehr Leute im Labor. Da war was los, ein Geschnatter und Gezickel. Heute bestückte sie alleine den Autoanalyser, einen Automaten, der alles erledigte, so dass sie sich wie eine Fließbandarbeiterin fühlte. Nur wenige Untersuchungen waren für sie übrig geblieben, und ihr fehlte der soziale Kontakt.

    „Ich habe noch etwas für Sie.“

    Sie blickte auf und stutzte.

    „Ach, der Herr mit dem Hund. Was machen Sie denn hier?.“

    „Ich habe gestern als Assistenzarzt in der Inneren angefangen.“ Er legte einige Röhrchen mit Blut auf den Labortisch. „Dass Rudi Sie erschreckt hat, tut mir leid. Haben Sie einen Kaffee?“

    „Dort neben dem Mikroskop steht die Kaffeemaschine, und dahinter im Regal sind Tassen, Milch und Zucker. Nehmen Sie sich, was sie mögen.“ Sie setze die letzten Proben in den Autoanalyzer und schaltete ihn ein.

    „Wie lange sind Sie schon hier?“

    Susanne nahm ihre Kaffeetasse und setzte sich auf einen Laborstuhl. „Seit sechs Jahren. Es hat sich seither viel verändert. Wo haben Sie studiert?“

    „Hier in Freiburg. Es gefällt mir hier sehr gut, deshalb habe ich versucht, hier eine Stelle zu bekommen. Glücklicherweise hat es geklappt. Ich stamme aus dem Ruhrgebiet.“

    „Ich habe eine Tante in Bochum. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, sie zu besuchen. Freiburg ist nicht sehr groß. Es wundert mich, dass ich Ihnen nicht schon früher begegnet bin.“

    Sie redeten noch einige Minuten und wunderten sich, dass sie an vielen Stellen in Freiburg beide schon gewesen sind, ohne sich zu begegnen. Er besuchte sie in den folgenden Wochen nahezu jeden Tag. Irgendwann gingen sie zum Du über und entdeckten, dass sie beide gerne ins Theater gingen, Krabben mochten und Tintenfischringe hassten. ‚Ich verstehe mich gut mit ihm‘, dachte sie überlegte, ob sie ihn näher kennenlernen wollte. Er hatte keinen Ring an, so dass er noch frei sein könnte. Ihn zu sich nach Hause einzuladen, fand sie aufgrund früherer Erfahrungen, sei zu früh. Vielleicht wäre ein Picknick eine gute Gelegenheit ihn näher kennenzulernen.

     

    Bei einer Schönwetterlage im Mai, es war schon sommerlich warm, sagte sie „Paul, wir könnten doch bei dem schönen Wetter zu einem Picknick in den Kaiserstuhl fahren.“

    „Ein Picknick, das wäre toll. Am Wochenende habe ich leider Dienst.“

    „Wie wäre es am Freitag nachmittags. Da können wir früher raus kommen und gegen 15 Uhr los ziehen.“

    „Ja das klappt. Ich gebe auf der Station Bescheid. Vor dem Wochenenddienst nimmt mir keiner übel, wenn ich früher Schluss mache.“ Paul stand auf. „Also dann bis Freitag.“

    Am Donnerstag summte Susanne während der Arbeit alle fröhlichen Melodien, die ihr einfielen. Alles schien flotter von der Hand zu gehen. Am Abend richtete sie den Picknickkorb, eine Decke und schrieb einen Zettel, welche Dinge aus dem Kühlschrank am nächsten Morgen in die Kühltasche mussten. Paul wollte Getränke mitbringen. Da Männer eher an Alkoholisches dachten, richtete sie ihre Thermokanne für Tee. Am Freitagmorgen bewegte sich die Zeit wie eine Schnecke. Immer wenn Susanne auf die Uhr schaute, waren nur wenige Minuten um. Endlich war es 15 Uhr. Das Labor war tip-top, und Paul kam nur fünfMinuten später mit einer Flasche Müller-Thurgau.

    „Mit welchem Auto fahren wir?“

    „Ich habe alles in meinem Kadett“, sagte sie, „also fahre ich.“

    Bei Vogtsburg im Kaiserstuhl bog sie rechts ab und erreichte einen Rastplatz, wo sie ihre Picknickuntensilien im Frühlingsgras ausbreiteten. Die Sonne strahlte warm. Die Worte flogen wir Schmetterlinge. Die Sätze kreuzten sich wie Liebesbriefe. Die Zeit verklang wie ein Kirchenglockenschlag.

     

    Am Samstag ging Susanne auf der Kaiserstraße vorbei an der Herder’schen Buchhandlung in Richtung Martinstor. In Höhe der Sparkasse stockte ihr der Atem. Direkt auf sie zu kam Paul mit einem Kinderwagen. Neben ihm ging eine junge Dunkelhaarige mit einer geschwungenen grünen Brille. Paul war völlig entspannt.

    „Darf ich vorstellen, meine Frau Marianne,“ Er zeigte auf den Kinderwagen, „mein Sohn Carsten, 3 Monate. Susanne Meier aus unserem Labor.“

    „Ach, das Labortraining!“, sagte Marianne und musterte Susanne.

    Susanne beugte sich zum Kinderwagen hinunter: „Ganz der Vater.“

    Dann richtete sich abrupt auf und lächelte: „Einen schönen Tag noch.“

    Sie machte eine rasche Kopfbewegung, so dass die blonden Locken nach hinten flogen, und setzte ihren Weg mit schnellem Schritt fort, ohne sich nochmals umzuschauen.

    Copyright Dr. Walter-Uwe-Weitbrecht

     

     

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    Ilka blickte auf den Mauerspalt über ihnen, um die Wärme des Sonnenstrahls im Gesicht zu spüren. Sie zog mit dem rechten Arm ihren kleinen Bruder Sami an sich. Das linderte die Schmerzen im rechten Bein, das von einem Trümmerbrocken getroffen worden war. Die Sonne kam nur einmal am Tag für ein bis zwei Stunden durch den Spalt zwischen den eingestürzten Betonplatten, die einen schmalen zeltförmigen Raum in dem Trümmerhaufen des eingestürzten Hauses bildeten. Ilka konnte den Himmel sehen, der manchmal blau, aber meist durch dir aufgewirbelten Staubwolken verdeckt war. Immer wieder erschütterte das Grollen der Bomben die Trümmer, und es rieselten kleine Steine zu Ihnen hinunter. Wenn sie menschliche Stimmen hörten, riefen sie mit schwacher Stimme, aber keiner hörte sie. Jetzt riefen sie nicht mehr. Es fehlte ihnen die Kraft.

    „Mama soll kommen“, flüsterte Sami und weinte, „ich habe Hunger, Durst.“

    Ilka, die sich selbst die Mutter herbei wünschte, drückte ihn an sich und summte ein Lied. Sami beruhigte sich und weinte nur noch ganz leise. Ilkas Bein klopfte, und sie versuchte, an die Schule zu denken, die sie in den letzten Wochen wegen des häufigen Fliegeralarms nur sporadisch besuchen konnte. So weit sie sich erinnern konnte, war immer Krieg. Das Schulgebäude war von Bomben in einen Haufen Steine verwandelt worden. Tante Selina hatte daraufhin in ihrem Wohnzimmer Schule improvisiert. Das war viel lustiger, weil die Puppe mit lernen durfte. Auch dieser Unterricht wurde wegen der Bombenangriffe immer wieder unterbrochen.

    Sie hörte wieder Rufe und versuchte, sich bemerkbar zu machen. Aber sie brachte nur ein Krächzen heraus. Sami war eingeschlafen und reagierte nicht. Das Licht schien jetzt nicht mehr nur über ihr durch den Mauerspalt zu kommen. Es breitete sich wie ein heller Nebel im gesamten Raum aus, so dass sie völlig geblendet war. In der Ferne durch den Nebel hörte sie ihre Mutter sprechen.

    „Mama“, rief sie mit erstaunlich heller Stimme. Da kam ihre Mutter aus dem Nebel hervor wie eine wunderschöne Fee. Sie hatte ein Kleid in leuchtenden Farben an und streckte ihr lächelnd die Hände entgegen. Ilka reckte die Arme vor, spürte die kühlen Hände ihrer Mutter und schien mit ihr zu schweben. Als sie sah, dass Sami zurückblieb rief sie: „Sami, Sami! Wir müssen Sami mitnehmen.“

    „Lass nur“, hauchte die Mutter, „ihn können wir später holen.“

    Es wurde wieder dunkler, und sie schienen wie auf einer Achterbahn durch den Raum zu rasen. Mutter hielt sie mit festem Griff. Ilka lachte vor Glück.

    Als die Retter die Trümmerplatten vorsichtig aufbrachen, riefen sie: „In dem Spalt sind noch zwei Kinder!“ Vorsichtig räumten sie Stück für Stück die Betonplatten und Steine zu Seite, bis sie die verschütteten Kinder erreichen konnten.

    „Das Mädchen ist tot, aber der Junge lebt noch.“

     

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrecht

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    Auf einem Hof bei Lindlar lebte eine Gruppe Gänse. Die Tochter des Bauers war ein Fan von Verdi-Opern. Vor allem die Musik der Oper Aida ließ sie oft bei offenem Fenster mit voller Lautstärke ertönen, so dass der Bauer, wenn er in der Nähe des Wohnhauses zu tun hatte, manchmal schimpfend rief: „Mach die Musik leiser. Das kann man ja nicht aushalten.“

    Den Gänsen blieb die Musik nicht verborgen. Die meisten konnten nur wenig damit anfangen. Nur die Gans Anne war von der Musik beeindruckt, so dass sie Opernsängerin zu werden wollte. Die anderen Gänse hielten sie für verrückt, da sie wie alle Gänse nur ein „täää-tä-tä-tää“-Gekreische herausbrachte. Anne fragte ihre Mutter, ob sie das Singen erlernen könne. Diese antwortete: „Man kann alles lernen, wenn man es nur will.“

    Da beschloss Anne, dass sie Gesangsunterricht nehmen wollte. Die Schwäne am Teich kannte sie gut. Sie ging zu Ihnen und fragte, ob sie ihr das Singen beibringen könnten.

    Der alte Schwan schnatterte: „Wenn du mir vom Hof Brot bringst, dann lehre ich dich singen.“

    Anne trottete zum Hof und stahl den Pferden etwas altes Brot, das der Bauer diesen hingelegt hatte.

    Als sie damit zum alten Schwan kam, verschlang dieser es gierig, richtete seinen langen Hals auf und sagte: „Jetzt beginnen wir mit der ersten Stunde. Die nächsten Unterrichtsstunden musst du wieder mit Brot bezahlen.“ Er begann zu schnattern, stieß zwischendurch grelle Schreie aus und schnatterte dann: „Mach das nach!“

    Anne blickte ihn verwundert an und krähte: „Das war doch kein Gesang. Schnattern und Schreien brauche ich nicht zu lernen. Das kann ich schon, seit ich aus dem Ei schlüpfte.“

    Beleidigt quäckte der Schwan: „Wenn dir das nicht passt, dann geh doch zur Amsel!“

    Sie sprang ins Wasser und begann zu gründeln. Anne war enttäuscht. Hatte sie doch den Schwan mit Brot bezahlt. Auch wusste sie nicht, wie sie mit der Amsel Kontakt bekommen könnte, die meist auf einem Baum saß. Einige Wochen vergingen, in denen sie hin und her überlegte, wie und mit wem sie einen Gesangsunterricht organisieren könnte. Da ergab es sich, dass eine Amsel nach einem kräftigen Sommerregenschauer auf der Wiese um den Gänseteich nach Regenwürmern suchte.

    „Amsel, kannst du mir das Singen beibringen“, schnarrte Anne.

    Die Amsel antwortete: „Sing mir etwas vor. Dann kann ich dir sagen, ob es mit dem Gesangsunterricht klappen kann.“

    Anne begann zu schnattern und gellend „täää-tä-tä-tää“ zu kreischen. Die Amsel blickte sie mit schräg gelegtem Kopf  an und piepste: „Du hast keine Singstimme. Es wird nicht möglich sein.“

    Als Anne sie enttäuscht ansah, ergänzte die Amsel: „Man muss von Geburt an die Fähigkeit haben zu singen. Sieh dort die Bisamratte!“ Sie zeigte mit dem Schnabel in Richtung einer Bisamratte, die in der Wiese Gras aß. „Sie kann von Geburt an nicht fliegen.“ Das überzeugte Anne.

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrecht

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    Der Graureiher Elias stand am Ufer des Baches und begrüßte Hubert, den Storch, der aus seinem Winterurlaub in Ägypten zurückgekehrt war. Elias war die letzten Winter in Mecklenburg geblieben, da es nicht mehr so kalt war, so dass Bäche und Seen nicht mehr zugefroren waren.

    „Bist du in diesem Winter in Marokko gewesen, Hubert?“

    „Ich war nicht in Marokko“, klapperte Hubert und durchforschte das Ufer nach Fröschen.

    „Warum?“ Elias versuchte einen Fisch zu schnappen, der zwischen den Halmen des Uferschilfes entkam.

    „Die letzten Male kamen einige meiner Verwandten als IS zurück“, gurgelte Hubert und blickte dabei mit himmelwärts gerecktem Schnabel nach den Wolken. „IS?“ Elias legte den Kopf schräg und blickte Hubert fragend an. Dieser wendete seinen Schnabel wieder bodenwärts und antwortete: „Irre Störche! Es gibt in Marokko einige Frösche, die mit ihrem Schleim ein Gift absondern, das Störche verrückt macht. Sie beginnen wie Amseln zu singen und interessieren sich nicht mehr für Frösche. Manchmal werden sie aggressiv und zerstören die Nester anderer Störche.“

    „Merkwürdig! Das kann man doch nicht dulden.“

    „Die anderen wehren sich angemessen.“

    „Ich habe gesehen, dass einer deiner Nachbarn ein kleines schwarzes Mützchen trägt und seine Frau ein Kopftuch. Was hat das zu bedeuten?“

    Elias schnappte blitzschnell ins Bachwasser, wendete den Schnabel nach oben und verschluckte einen kleinen Fisch. Hubert versuchte durch hin und her schwingen des Schnabels am Rand des Baches den Schlick und das Wasser aufzuwühlen, um Frösche aufzuscheuchen, bevor er antwortete: „Das sind Bekannte aus Ägypten, die sich entschlossen haben, mit uns nach Deutschland zu kommen, da sie dort mit den politischen Verhältnissen nicht mehr zurecht kommen.“

    „Ich mag Fremde nicht. Das sind alles Banditen“, schnatterte Elias, „ich würde sie vertreiben.“

    „Abu und seine Frau sind politisch Verfolgte und nette Leute,“ antwortete Hubert, „in Ägypten herrscht ein Storchengeneral, der alle anderen Störche unterdrückt. Da sie sich dagegen aufgelehnt hatten, waren sie in Gefahr, von der Storchenpolizei umgebracht zu werden. Deshalb haben wir ihnen geraten, mit uns nach Deutschland zu fliegen, wo wir alle in Freiheit leben können.“

    Elias rollte die vor Schreck über diese Geschichte die Augen und trat von einem Bein auf das andere: „Das habe ich noch nie gehört, dass es unter und Vögeln Unterdrücker gibt. Dass man sich mal um das Futter streitet, ist normal. Aber sonst lassen wir uns doch gegenseitig in Ruhe. Ist es unter diesen Bedingungen denn nicht gefährlich, nach Ägypten zu reisen?“

    Hubert wiegte den Kopf und antwortete: „Bis jetzt haben sie Besucher in Ruhe gelassen. Aber man kann nicht wissen, ob das so bleibt. Im nächsten Winter fliege ich nach Südafrika.“

     

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrecht

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    Eine schwarz-weiße Katze Paula lebte in einer Villa am Königsforst. Meist lag sie auf einer Heizung, schnurrte vor sich hin und genoss die Wärme. Sie bewunderte die apart gekleidete Hausherrin, die sie immer mit Seidenhandschuhen streichelte. Sie empfand dies als besonderen Genuss, auch wenn es manchmal funkte. Sie beschloss, ebenso vornehm zu werden. Sie trabte zum Maulbeerbaum und sprach mit den Seidenraupen: „Könnt ihr mir ein zartes, fast durchsichtiges Seidenkleid und Seidenhandschuhe für die Vorderpfoten spinnen?“

    Die emsigen Seidenraupe unterbrachen ihre Arbeit und piepsten: „Wenn du uns vor den Vögeln bewahrst, die immer wieder einige von uns fressen, dann erfüllen wir deinen Wunsch.“

    So bewachte die Katze den Maulbeerbaum und fauchte die Vögel an, so dass sich diese sich nicht mehr in die Nähe des Baumes trauten. Innerhalb von nur zwei Tagen spannen die Seidenraupen ein der Katze passendes Cocktailkleid und so feste Handschuhe, dass die Krallen nicht durchkamen. So hatte die Katze seidenweiche Pfoten. Die Handschuhe reichten wie bei einer Braut weit über das Gelenk hinaus. Die Katze betrachtete sich im Spiegel und dachte: Jetzt benötige ich nur noch ein paar hübsche Schuhe und ein feines Hütchen.

    Die Katze borgte sich aus der Haushaltskasse ihrer Herrin einige Münzen und stolzierte in den Puppenladen. Für kleines Geld bekam sie ein Paar weiße Schuhe und ein Hütchen mit einem bunten Kunstblumenkranz. Etwas unsicher stakste sie mit ihrem Seidenkleid und den neuen Schuhen aus dem Laden. Durch das Schwanken verschob sich das Hütchen über die Augen, so dass sie den Kopf nach hinten beugen musste, um etwas zu sehen. Da hörte sie das hässliche Lachen des Schäferhundes des Nachbarn, der sie schon mehrfach mit Gebell auf den Baum gejagt hatte.

    „Karneval ist doch erst in fünf Monaten“, gluckste er und begann zu grölen: „supergeile Zick….“

    Paula hielt den Hut mit einer Pfote fest und beschleunigte ihren Schritt, um schnell nach Hause zu kommen. Der Hund hüpfte hinter ihr her, sang weiter Karnevalslieder und schüttelte sich immer wieder vor Lachen. Paula war froh, als die Haustür hinter ihr zuschlug. Als die Hausherrin Paula sah, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und rief: „Wer hat dich denn so zugerichtet?“

    Als Paula sie mit großen Augen ansah, begann sie zu lachen und kam erst zur Ruhe, als ihr die Luft weg blieb. Sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen und fragte: „Wie willst du in diesem Aufzug die Mäuse fangen, die sich wieder auf dem Dachboden eingenistet haben?“

    Stolz wie Paula war, stieg sie mit Hut, Kleid, Handschuhen und Stiefelchen auf den Dachboden und versuchte, die Mäuse zu jagen. Als dies misslang, da sie sie ohne Krallen die Mäuse nicht halten konnte, legte sie die Kleidung ab.

    Ein wenig traurig sprang sie später auf die Heizung, legte den Kopf auf die Pfoten, schnurrte und genoss die Wärme. Sie tröstete sich, es sei besser nützlich als vornehm zu sein.

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrecht

     

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    Mottenmutter Luise saß mit ihrem Mann Walter in einem alten Kleiderschrank zwischen den Wollpullovern und beobachtet ihre zarten, gelblichen Raupenkinder, die sich durch die Maschen fraßen.

    „Schafwolle schmeckt ihnen“, knispelte sie, „sie schauen richtig glücklich aus.“

    „Wo sind denn die Großen?“, brummte Walter und machte es sich an der Knopfleiste bequem.

    „Du weißt doch, sie umsurren jetzt die Straßenleuchten und die Zimmerlampen und holen sich angesengte Flügel. In unserem Alter macht das Tanzen am Licht keinen Spaß mehr. Da sitzt man lieber warm im Schrank.“

    „Zu unseren besten Zeiten haben wir alle Kameraden angetwittert und gemeinsam das Flutlicht im Stade de France zugebrummt, so dass die Menschen nicht mehr Fußball spielen konnten. Das war toll!“ Walter schlug aufgeregt mit den Flügel.

    „Mach nicht so viel Wind, du bläst die Kleinen aus den Maschen.“

    Mit einem Brausen erweiterte sich der Spalt der Schranktür, und sieben junge Motten landeten mit Stimmengewirr auf den Wollpullovern.

    „Warum sitzt ihr hier im Schrank herum, wo man gerade jetzt so wunderbar um Lampen tanzen kann?“, piepste Daniel.

    „Unsere Zeit der großen Aktionen ist vorbei“, brummte Walter, „uns tun die Wärme des Schranks, die Dunkelheit und die Ruhe gut.“

    „Ich weiß, die Verdunklung der Flutscheinwerfer im Stade de France war eure Heldentat. Wir haben größeres vor. Wir wollen die Sonne verdunkeln.“

    „Das Tageslicht wird euch so blenden, dass ihr den Weg nicht finden und leichte Beute für Vögel sein werdet“, mahnte Luise ängstlich.

    Die sieben jungen Motten lachten hell: „Wir haben alle angetwittert. Es werden Tausende kommen und den Himmel verdunkeln.“ Sie rauschten hinaus ins Freie, um ihre Kameraden zu treffen.

    Neugierig setzte sich Luise ans Fenster, um das Treiben der Jungmotten zu beobachten. Eine riesige dunkle Wolke von Motten verdunkelte den Himmel. Schwalben und Amseln schnappten sich einige der Nachzügler. Die Wolke entfernte sich und wurde kleiner und kleiner. Die Sonne brannte wieder unvermindert vom strahlend blauen Himmel. Dann regnete es plötzlich ausgetrocknete, tote Motten. Luise krabbelte wieder in den Pullover im Schrank.

    „Und?“, fragte Walter.

    „Selbst für so viele junge Motten war das Projekt zu groß. Sie haben sich übernommen.“

    „Schade um die enthusiastischen Kinder. Nun sind sie weg, aber die nächsten sind schon in Arbeit“, knurrte Walter, rekelte sich und blickte nach den hungrigen Raupen in den Maschen.

     

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrecht

  • Das rote Kaninchen

    Bauer Stertzenbach hatte Rüben geerntet und, da er keinen Lagerplatz in der Scheune hatte, als Rübenmiete am Rande des Ackers aufgestapelt und mit einer dicken Folie bedeckt, um die Rüben vor dem Regen zu schützen. Er hatte zwei Äcker bearbeitet mit verschiedenen Rübensorten, die einen kleiner, die anderen größer.

    Das Kaninchen Paul hatte das beobachtet und rannte ganz aufgeregt zu seinem Bruder Tim.

    „Es gibt Rüben“, hechelte er, „so viele Rüben, dass man Speck für den ganzen Winter aufbauen könnte. Lass uns Rüben um die Wette essen.“

    Tim schaute ihn verwundert an: „Was für Rüben? Möhren? Und was heißt um die Wette essen?“

    „Nein, nein! Keine Möhren, große Zuckerrüben und etwas kleinere dunkle Rüben. Wettessen heißt, dass der gewonnen hat, der die meisten Rüben geschafft hat.“

    „Egal welche?“

    „Ja.“

    Sie hoppelten durch die Furchen zu der Rübenmiete und als sie sie rochen, lief ihnen das Wasser zwischen den Zähnen aus dem Maul. Tim untersuchte die Rübenmieten und entschied sich für die kleinen dunklen Rüben. „Ich bin kleiner und nehme daher diese hier“, piepste er.

    Paul, der Zuckerrüben sowieso lieber mochte, war einverstanden. So begannen sie, ihre Nagezähne in die Rüben zu schlagen und um die Wette zu essen. Tim hatte schon die dritte der muffig schmeckenden dunklen Rüben gegessen, als Paul keuchte: „Ich kann nicht mehr“, obwohl er noch nicht einmal eine ganze große Zuckerrübe geschafft hatte.

    „Dann habe ich gewonnen!“, jubelte Tim und war froh, dass er nicht mehr weiter essen musste.

    „Du schaust blutig aus!“, rief Paul, weil Tims Nase ganz von rotem Saft bedeckt war. Tim leckte mit der Zunge über die Nase, da war alles weg.

    Am nächsten Tag, war Tim an allen hellen Stellen seines Fells knallrot. „Du hast rote Rüben gegessen“, lachte die Mutter.

    Jetzt war Paul eifersüchtig, weil Tim so etwas Besonderes an sich hatte. Tim aber zuckte mit dem Fell, weil es juckte.

    Paul rief: „Lass uns nochmal Rüben essen, und dieses Mal nehme ich die roten.“

    Tim hatte nichts dagegen, denn die dunklen Rüben hatten ihm nicht geschmeckt, und so toll fand er die zwickende Rotfärbung nicht.

    Als sie an den Rübenmieten ankamen stand dort der Bauer, fluchte und schlug nach ihnen mit der Peitsche. Sie sprangen in die Ackerfurchen und rannten Hacken schlagend um ihr Leben, da der Hund hinter ihnen her war. Sie hörten schon sein Hecheln direkt hinter sich, als sie den Bau erreichten und im letzten Moment unter der Erde verschwanden.

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrecht)

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    Trivial oder geistvoll?

    Joseph Viktor von Scheffel (1826-1886)

    Wie kommt eine Orthopädin, die auf ihre alten Tage das Steckenpferd der  Klassischen Archäologie reitet, dazu, einen verstaubten Poeten des 19. Jahrhunderts aus der Versenkung zu holen? Nun, meine mütterliche Linie hat badische Wurzeln, und zu den Bibliotheksbeständen dieser Familie gehörte allemal eine Scheffel-Ausgabe. „Der Trompeter von Säckingen“ und „Ekkehard“ waren Standard, und die Lieder aus dem „Gaudeamus“ wurden zur Erheiterung gesungen, wenn ungeistige Arbeiten wie Geschirrspülen auf der Tagesordnung standen. Mein Vater, Naturwissenschaftler, hatte seine Freude an Gedichten wie dem Megatherium oder dem letzten Ichthyosaurus, vom Granit oder vom Asphalt, aus dem hier eine Kostprobe folgt:

    Bestreuet die Häupter mit Asche,
    Verhaltet die Nasen euch bang,
    Heut gibt’s bei trübfließender Flasche
    Einen bituminösen Gesang. 

    Schwül strahlet die Sonne der Wüste,
    Am Toten Meere macht’s warm;
    Ein Derwisch spaziert an der Küste,
    Eine Maid aus Engeddi am Arm. […] 

    Zwei schwarzbraune Klumpen lagen
    Am Ufer faulbrenzlig und schwer;
    Drauf satzte mit stillem Behagen
    Das Paar sich und liebte sich sehr. 

    Doch wehe! sie saßen auf Naphtha,
    Und das lässt keinen mehr weg,
    Wer harmlos sich dreinsetzt, der haft’t da
    Und steckt im gediegensten Pech. […]

    Umsonst hat ihr Klagen und Weinen
    Die schweigende Wüste durchhallt,
    Sie mussten zu Mumien versteinen
    Und wurden, ach, selbst zu Asphalt. […] 

    So geht’s, wenn ein Derwisch will minnen
    Und hat das Terrain nicht erkannt…
    O Jüngling, fleuch eiligst von hinnen,
    Wo Erdpech entquillet dem Land. (Panzer 1, 25 f.)

    Während meines Studiums in Freiburg erstand ich antiquarisch eine vierbändige Ausgabe der Scheffel’schen Werke[1]. Seither sind die Reisebilder und Episteln daraus mein Brevier[2]. Eine Fahrt auf Scheffels Spuren im Sommer 2016 mit Kollegen von der Ärztekammer Nordbaden und der Karlsruher Sektion deutschsprachiger Schriftsteller-Ärzte tat ein Übriges.

    Der folgende höchst subjektive Beitrag setzt die Schwerpunkte ganz nach meinem persönlichen Ermessen.

     

    Inhalt

    1. Gefeiert und geschmäht[3]
    2. Leben und Werk des Joseph Viktor Scheffel
    3. Nur ein Sauf-Poet?
    4. Scheffels Krankheiten
    5. Scheffel und die Theorie von der transalpinen Einwanderung der Etrusker
    6. Trivial oder geistvoll?
    7. „Bestreuet die Häupter mit Asche…“

     

    1. Gefeiert und geschmäht

    Im Gegensatz zu dem großen Erfolg und der Verehrung, die  Scheffel im 19. Jahrhundert und noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zuteilwurden, ist er heute wenigstens nördlich der Mainlinie vollkommen unbekannt. Nur – was heißt das schon? Kaum 20 Jahre sind vergangen seit Friedrich Schiller im gymnasialen Deutschunterricht nicht einmal erwähnt wurde, und das nachdem seine Dichtungen in der Gunst des Publikums zeitweise höher standen als diejenigen Goethes. Doch vergleichen wir nichts Unvergleichliches!

    Scheffel ist frühzeitig diffamiert worden. Schon 1884 schrieb Gustav Mahler: „Ich habe eine Musik zum Trompeter von Säkkingen komponieren müssen…“. Es „hat … nicht viel mit Scheffelscher Affektiertheit gemein.“ Die Partitur ist heute verschollen. Mahlers anfängliche Freude an seiner Komposition war offenbar „bald einer Verdrossenheit darüber gewichen“[4]. Das war noch zu Scheffels Lebzeiten, als sich Gaudeamus, Trompeter und Ekkehard gerade gut zu verkaufen begannen[5]. Während des 20. Jahrhunderts aber gossen Kritiker und Rezensenten eine solche Flut von Diskreditierung und „Verdrängung“ über den Verfasser aus[6], dass nur einiges Wenige davon genannt werden kann: „Viktor von Scheffel, eine fränkische Fehlanzeige“[7], Trivialliteratur[8], Simmel des 19. Jahrhunderts, billiger „Kitschier“[9], dessen „literarischer Rang unbestritten zweifelhaft ist“[10]. Sein Humor täusche eine dichterische Kraft vor, die er nur in geringem Maße besaß und „früh verlor“. Er sei ein Repräsentant für …“den Verfall der geselligen Lyrik zum billigen Bierkneipenton“[11].

    Wer sich nun trotzdem nicht an der Beschäftigung mit Scheffels Werk hindern lässt, folgt am besten Mahals Empfehlung[12] und nimmt sich die Briefe und Reisebilder vor[13]. Scheffel besaß selbst „ein gerüttelt Maß an Selbstironie“ und war dadurch vor dichterischer Überheblichkeit gefeit[14]. Also können wir nichts Besseres tun, als ihn möglichst oft selbst sprechen zu lassen:

    „Wenn du mir den Gefallen tust, die von mir handschriftlich vorhandenen Dichtungen … zu verbrennen, so bleibt mir auch kein Wunsch mehr übrig…Da ich vieles geschaffen, was schöner ist, so geht der Stoff nicht aus, wenn auch das alte Zeug in Lethe versenkt wird“[15].

    Ein Tag am Quell von Vaucluse: „Ich … verfertigte ein wohlgedrechseltes Sonett … verschloss es in eine … Flasche … und warf Flasche und Sonett in die Tiefe der Flut…Da ich aber bei dieser Gelegenheit, den Widerhall der Felswände zu prüfen, mit starker Stimme: Petrark! Petrark! rief, klang leise gehaucht ein  … Arg! Arg! zurück, sodass ich von jeder weiteren Behelligung des Echo sofort abstand“[16].

    Zu einigen Gedichten allerdings fällt auch mir auch nichts anderes ein als „arg“. Es folgen Auszüge von den Ärgsten:

    Pumpus von Perusia.
    Ein mildes Kopfweh, erst der jüngsten Nacht entstammt,
    Durchsäuselte die Luft mit mattem Flügelschlag…
    O Fufluns, Fufluns! unheilvoller Bacchus du!
    s’ist alles fort und hin und hin und fort…hahumm!…
    Ich – Pumpus von Perusia, der Etruskerfürst!…
    Doch jenen Tages ward im Wald bei Suessulae
    Zum erstenmal, seit dass die Welt erschaffen stand,
    Ein Held von einem andern Helden – angepumpt!
    Das ist der Sang vom Pumpus von Perusia.

    (Panzer 1, 32-34)

    Nicht nur arg, sondern dreimal autsch! Dieses Elaborat ist noch dazu endlos lang.

    Oder: 

    Rodensteins Auszug.

    Es regt sich was im Odenwald – Rum plum plum… (Panzer 1, 290)

    Die Zechlieder zeigen wie Scheffel „auf dem schmalen Grat zwischen philologischer Genauigkeit und hausbackener Verfremdung mit seinen Gegenständen umzugehen wusste“, konstatiert Rüdiger Krohn[17], und fährt dann fort: Das ist seine Tragik: „Dass er sich […] im Widerspruch von Kunst und Unterhaltung selbst abhanden kam“.

     

    2. Leben und Werk des Joseph Viktor Scheffel[18]

    Er ist 1826 in Karlsruhe geboren und 60 Jahre später auch dort gestorben. Sein Vater, Philipp Jakob, war als Ingenieur und Offizier in der Wasser- und Straßenbaudirektion tätig und mit der Korrektur und Überwachung des Rheinlaufs zwischen Basel und Mannheim betraut. Seinem pflichttreuen, ein wenig starren und pedantischen Charakter kam eine regelmäßige bürgerliche Laufbahn entgegen. Kein Wunder, dass er der unsicheren Lebensbahn seines Sohnes zweifelnd gegenüberstand. Was Joseph Viktor zum Dichter machte, verdankte er der Mutter, die heiteren Sinnes und eine gute Erzählerin war. Ihre Märchen erfand sie selbst, schmiedete Verse mit großer Leichtigkeit und schrieb Dramen, darunter eines in ihrer badischen Mundart. Die Großmutter mütterlicherseits stammte aus Rielasingen am Hohentwiel und machte den Enkel schon früh mit dem Ekkehard und dessen Schauplatz vertraut[19].

    Im Karlsruher Gymnasium erhält Scheffel eine gründliche Ausbildung in den klassischen Sprachen, studiert dann aber Jura auf Wunsch seines Vaters, der für den Sohn eine solide Beamtenlaufbahn anstrebt. Gleich in den ersten Semestern in München geht Joseph neben der Rechtsgelehrsamkeit seinen künstlerischen Neigungen nach. Er hört Ästhetik, Kunstgeschichte und Philosophie und lernt Kaulbach und Moritz von Schwind kennen. In Heidelberg liegt der Schwerpunkt dann, von der Jurisprudenz abgesehen, auf der Literatur. Als Mitglied studentischer Vereinigungen wirkt er an der relativ fortschrittlichen Verfassung einer Burschenschaft mit. Zahlreiche Männerfreundschaften glücken ihm besser als seine Versuche auf dem Felde der Frauenliebe, wo er ein Missgeschick nach dem anderen erleidet. Unsterblich und schicksalhaft verliebt er sich in seine Base Emma. Obwohl Vetter und Cousine jeweils Ehen mit anderen Partnern eingehen, stehen sie zeitlebens in enger Verbindung und treffen sich immer wieder, was vor allem Scheffels Ehe nicht gut bekommt. Schon vor der Geburt des gemeinsamen Kindes trennt sich die Gattin Caroline von Malsen von ihm, und eine Versöhnung kommt erst wieder an Scheffels Sterbebett zustande. Der Sohn, ebenfalls Viktor, wird seinem Vater von der Mutter vorenthalten, bis jener den Jungen eines Tages aus München entführt. Nach einem recht glücklichen Zusammenleben der beiden Männer schlägt der Junior die militärische Laufbahn ein.

    Zurück zum Studium. Man schreibt das Jahr 1848. Scheffel ist nicht unpolitisch. Er beteiligt sich als zweiter Sekretär des badischen Bundestagsgesandten an den Verhandlungen des Vorparlaments in Frankfurt und nimmt am Burschenschafter-Fest auf der Wartburg teil. Gleichwohl besteht er ohne größere Mühe das Staatsexamen. Die Enttäuschung über die geringen Erfolge der bürgerlichen Revolution haben ihm die politische Tätigkeit verleidet. Er schreibt: „Ich wollt‘, ich könnt‘ eher heut als morgen…auf italischem Boden einen Schluck Lethe trinken, in dem alle Erinnerungen seit 1848 ausgetilgt würden“[20]. Er tritt in eine juristische Praxis in Heidelberg ein. Anfang 1849 wird er summa cum laude zum Dr. jur. promoviert. Die beiden Jahre, die er anschließend in Säckingen als Rechtspraktikant verbringt, sowie ein paar Monate am Hofgericht in Bruchsal sind beinahe das letzte Zugeständnis an eine Beamtenlaufbahn, die er alsbald aufgibt. Seine Bewerbung um die vom eidgenössischen Polytechnikum in Zürich ausgeschriebene Professorenstelle für deutsche Literatur bleibt begreiflicherweise neben der des qualifizierten Literaturwissenschaftlers und Philosophen Friedrich Theodor Vischer erfolglos[21]. Besorgt erkennt Scheffels Mutter seine „inneren kranken Seelenzustände …nach dergleichen Enttäuschungen, Überfülle von Wissensdrang und Phantasie – neben einer unbeschreiblichen Unkenntnis des wirklichen Lebens“[22]. Im Alter von 26 Jahren, 1852, lässt Scheffel das bürgerliche Dasein endgültig hinter sich.               

    Mein Hutschmuck die Rose,
    Mein Lager im Moose,
    Der Himmel mein Zelt:
    Mag lauern und trauern,
    Wer will, hinter Mauern,
    Ich fahr‘ in die Welt!
    (Panzer 1, 81, Strophe 3)

    Wieder einmal erlebt ein deutscher Bildungsreisender in Italien, dass er eher zum Dichter als zum Maler berufen ist. Die Mutter, die ihn besser kennt als er sich selbst, schreibt: „In Rom will er malen! – Was sagen Sie dazu?! Ich meine, sein ihm von der Natur gegebener Pinsel sei die Feder. Was er mit der Feder malte, war immer das Beste und – ich denke, in Rom wird ihm das schon klar werden.“[23]

    Seine Vers-Dichtung „Der Trompeter von Säckingen“ und der Roman „Ekkehard“[24] liegen bereits 1854 und 1855 vor, beruhigen den Vater jedoch keineswegs über die Zukunft des Sohnes. Die Mutter dagegen akzeptiert, dass er als Künstler zu leben versucht, „Kunst und Poesie spuken zu gewaltig in ihm. In Gottes Namen! – er ist jetzt Mann und wird wissen, was er zu tun hat…“[25]. Die Reisebilder und Episteln sind voll scharfsinniger Beobachtungen und schnurriger Kommentare, sprühen von geistvollen Vergleichen und ironischen Anmerkungen. Er schildert das Ambiente des Säckinger Gasthauses „Zum goldenen Knopf „, alemannisch der „Chnopf“[26], sowie das Wirtshaus „Zum dürren Ast“ im Hauensteiner Schwarzwald[27]. Dessen Name gefällt ihm so, dass er sich, wenn er bei Laune ist, danach benennt: „Josephus vom dürren Aste“[28].

    Doch Scheffel ist durchaus nicht immer bei Laune. Im Gegensatz zu den heiteren Säckinger Episteln schlagen in den sachlichen Briefen oft Missmut und Resignation durch: „Im einförmigen Geschäftsleben vergeht ein Tag wie der andere, u. die Pointe des Tags besteht darin, dass man Abends viel Bier trinkt!“[29]

    Manches misslingt; er ist unstet, zögerlich, inkonsequent und neigt zur Melancholie. Von einem hartnäckigen Augenübel[30] ist die Rede, und er leidet an fieberhaften Zusammenbrüchen. Einen furchtbaren Schlag bedeutet der Tod seiner Schwester Marie, die 1857 an Typhus stirbt.

    Bürgerliche Stellungen werden gar nicht erst angetreten[31]. Obwohl ihn Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach fördert und ihn sogar auf der Wartburg wohnen lassen will, kommt der geplante Wartburg-Roman nicht zustande. Der Großherzog hatte sich zu der erfolgreichen malerischen Ausgestaltung der Burg durch Moritz von Schwind von Scheffel ein literarisches Gegenstück gewünscht. Doch fehlen ihm „…für sein Vorhaben sowohl die aesthetische Kreativität als auch die wissenschaftliche Kompetenz und Methode, um seine vielen Ideen und Einfälle planvoll zu ordnen, kritisch auszuwerten“[32]. Seine hellsichtige Mutter schreibt: „Was Joseph vor Weimar so scheu macht, ist der Gedanke an die großen Geister – Goethe, Schiller, Herder – in solche Fußstapfen treten zu sollen, erscheint seiner Bescheidenheit ein vermessenes Wagstück. Er fürchtet, ein zu schwaches Reis am alten großen Dichterbaum zu werden.“[33]

    Das Amt des Hofbibliothekars in Donaueschingen, zu dem Scheffel vom Fürsten von Fürstenberg berufen wird, gibt er nach einem Jahr bereits wieder auf. Zum 50. Geburtstag, 1876, wird Scheffel der erbliche Adelstitel verliehen. Die Gabelbach-Gemeinde[34] zu Füßen des Kickelhahns, an deren Versammlungen er mehrfach teilnimmt, ernennt ihn zum Ehrenbürger und Gemeindepoeten. Leider erlebt er die Einweihung des Scheffeldenkmals und anderer nach ihm benannter Plätze nicht mehr. Ohnehin stehen die zum Teil posthum verliehenen Ehren gerade am Kickelhahn im Schatten eines weit Größeren, dessen weltberühmtes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“ dort entstand.

     

    3. Nur ein Sauf-Poet?[35]

    Die bevorstehende Herausgabe der Liedersammlung „Gaudeamus“, zu der Scheffel sich nur unter erheblichen Bedenken entschließt[36], lässt ihn mit Recht befürchten, als „Sauf-Poet“ apostrophiert zu werden, eine Bezeichnung, die sich alsbald zum „geflügelten Wort“ aufschwingt[37]. Blättert man den „Gaudeamus“ auf entsprechende Hinweise durch, so stellt man je nach Veranlagung mit Hochachtung oder Indignation fest, dass in 32 von 52 Liedern von Durst, Trinken, Trunkenheit, Wein, Bier oder Wirtshaus, die Rede ist[38]. Das plastische Wort „Trinkung“ stammt ebenfalls aus Scheffels Schöpferwerkstatt:

    „Von eygentlicher Trinkung ist in Florenz nichts vorgefallen…bin somit darauf eingeschränket gewesen, mit dem Küster der alten, merkwürdigen Kirch‘ San Miniato eynes Abends etzliche Korbflaschen auszustechen, so schier bis gen Mitternacht gewähret.“ (Römische Epistel Caput I, Panzer 4 , 310 f.)

    oder:

    „Und war dies die schärfste Trinkung, so ich seit meiner Abfahrt aus Deutschland erlebet – hab‘ mich aber tapfer durchgefochten…“ (Caput VI, Panzer 4, 331).

    oder:

    „und begann von neuem an meinen guten Stern zu glauben, der mich ohne Vorbedacht …schon so manchem Frühstück und anderweiter Trinkung entgegengeführt…“ (Brief aus Venedig, Panzer 4, 367)

    oder:

    „wie die erst‘ Ausruhung und Atzung vorüber war, entspann sich eyne gelinde, aber ausdauernde Trinkung, und brachte die preiswürdige Regina eyne schwere Pfann‘ vino caldo, dessen Zubereitung… der alte Meister Willers von Oldenburg[39] kunstreich gelehret“ (Römische Epistel 6, Panzer 4, 343).

    Ein Lied, das früher in jedem Kommersbuch stand, ist in den „Trompeter von Säckingen“ integriert (Panzer 2, 212 f.):

    Alt Heidelberg, du feine…

    Auch hier heißt es:

    Stadt fröhlicher Gesellen,
    An Weisheit schwer und Wein,..

     

    Nicht von Scheffel dagegen stammt, wie gelegentlich behauptet wird, das Kommerslied „Gaudeamus igitur“. Er hat es natürlich gekannt und seine berühmteste Liedersammlung danach betitelt: „Gaudeamus“.

    In den Reisebildern „Aus dem Hauensteiner Schwarzwald“ geht es ebenfalls alkoholisch zu:

    „So war im Wirtshaus zum dürren Ast der Wein so wehmütig zusammenschnürend, dass einem minder starken Charakter die Versuchung zum Schnaps sehr nahegelegt war“. „G’soffe muss doch sy!“ (Panzer 4, 73 f.).

    Kein Wunder, dass Scheffel sich für den persischen Dichter Hafis interessiert, der im 14. Jahrhundert Lieder von Wein und Weib, von Schenken und schönen Knaben[40] verfasste. Durch den Divan des Hafis war Goethe bekanntlich zu seinem West-Östlichen Divan angeregt worden.

    Hafis: Der Buchstabe Dal  XCVIII

    …Mein Herz, wenn du die Lust
    Von heut auf morgen stets verschiebst,
    Für das geborgte Gut,
    Wer wird Gewährsmann sein?
    Gib in dem Mond Schaban
    Den Becher nimmer aus der Hand…[41]

    1852 entsteht Anselm Feuerbachs Bild „Hafis vor der Schenke“. Der Maler lebt zu dieser Zeit in Karlsruhe und begleitet Joseph Viktor auf seiner Reise nach Venedig und zum Kastell Toblino[42].

    „Sein damalig Wald-und Feldbrevier…oder besser der fahrenden Schüler lateinisches Liederbuch“[43] waren die Trink- und Vagantenlieder der Carmina Burana. Meum est propositum in taberna mori… Mein Geschick ist’s, in der Kneipe zu sterben[44] – nun, dazu ist es dann doch nicht ganz gekommen…

     

    4. Scheffels Krankheiten:

    In der Kenntnis feucht-fröhlicher Reime und kontemplativer Trinkungen[45], sowie der Tatsache, dass Scheffel aus heutiger Sicht „nur“ 60 Jahre alt geworden ist, liegt es nahe, bei den Krankheits-und Todesursachen auch an die Folgen von  Alkoholismus und  Leberzirrhose zu denken.

    In seiner 1907 erschienenen Schrift  „Über Scheffels Krankheit“ behandelt P. J. Möbius[46] dessen Konsum geistiger Getränke eher nebensächlich:

    „War der Alkoholismus … nicht Ursache der Geisteskrankheit, so dürfte er doch die frühzeitige Erkrankung der Blutgefäße gefördert und dadurch Scheffels Leben abgekürzt haben“[47].

    „Wahr ist ja, dass unser Freund, nachdem sich seine Krankheit entwickelt hatte, mehr Wein und Bier zu sich nahm, als ihm gut war, und darin in späteren Jahren Trost und Vergessenheit suchte“[48]. Es scheint aber in Wirklichkeit „nicht so schlimm gewesen zu sein … Scheffels Verherrlichung des Suffes ist wohl eine Art von Sport gewesen.“ Möbius schreibt weiter:

    „Ein von Hause aus nervöser junger Mann erkrankt…mit 27 Jahren an Congestionen [lokalem Blutandrang] und heftigen Kopfschmerzen, so dass er für Monate unfähig zur Arbeit wird. Nach zwei Jahren … tiefe Verstimmung, Menschenscheu, wahrscheinlich auch Wahnvorstellungen. Es zeigt sich, dass der Kranke dauernd geschädigt ist, dass seine Schaffenskraft mehr und mehr erlischt … zeitweise Erregung und Depression, zeitweise heitere Stimmung und Fähigkeit zu arbeiten…Im 35. Lebensjahre schwerste Erkrankung, Verfolgungswahn“, Schuldgefühle. Langsame Rekonvaleszenz, „die dichterische Leistungsfähigkeit sinkt immer mehr … Mit 42 Jahren Beginn der Erkrankung des Herzens und der Pulsadern [Atheromatose]…Mit 60 Jahren Tod.

    „Die Diagnose kann … nicht zweifelhaft sein: leichte Form des zerstörenden Jugendirreseins, der sogenannten Dementia praecox [veraltete Bezeichnung für Krankheiten aus dem Formenkreis der Schizophrenie]…“.

    Möbius sammelt Argumente für eine erbliche Geisteskrankheit in der Familie Scheffel. Joseph Victor hatte einen geistig und körperlich schwer behinderten jüngeren Bruder, der immerhin 53 Jahre alt wurde. Nach dem Tod des verwitweten Vaters betreut der Ältere den Bruder eine Zeitlang allein. In Marie, der von allen geliebten, als schön, geistvoll und liebenswürdig[49] beschriebenen Schwester, war „das Pathologische nicht gering“, als sie „1853 ihre Verlobung unmittelbar vor der Hochzeit, als schon die Kleider bereit lagen, auflöste“[50], sic!

    Scheffel selbst war „nach knapp 10 Jahren“ von seiner Krankheit zwar „geheilt, aber … seine Dichterkraft war zerstört“[51].

    Wir versuchen einmal, aus den am häufigsten erwähnten krankhaften Störungen  eigene Verdachtsdiagnosen abzuleiten[52] (jeweils in Kursivschrift).

    Scheffel fühlt sich „unbeschreiblich bedrückt“, nachdem die republikanische Zukunft des Landes im April 1848  „verpfuscht“ erschien[53]. „Meine Komik ist oft nur die umgekehrte Form der inneren Melancholie“[54]. Als Marie ihre Verlobung löst, reagiert die ganze Familie mit einer aus heutiger Sicht völlig übertriebenen Aufregung[55]. Tiefe Erschütterung nach dem Tod der Schwester. Hypochondrie. Als Brautwerber mehrfach abgewiesen[56]. Selbstquälerei um den unbewältigten Wartburg-Roman, krankhaftes Misstrauen, da er eine geänderte negative Einstellung des Weimarer Großherzogs, den er enttäuscht hatte, befürchtet[57] (reaktive Depression). 

    „Kopf-Kongestionen“, Augenleiden, „Gehirnentzündung“, Blutkongestion nach dem Kopf, Augenentzündung, Nervenreiz[58]…“mein ganzes Nervenleben ist durch die übertriebene Arbeit am Ekkehard zerrüttet…“ (Burnout-Syndrom[59]).  

    Kopfschmerz, Gesichtsschmerzen, auch die Mutter litt zeitweise daran

    (Migräne mit Aura, Einschränkung des Gesichtsfeldes und andere visuelle Phänomene. Trigeminusneuralgie).

    Wechselfieber. Reise nach Südfrankreich; in Bordighera hoch fieberhafte Attacken, die sich auch in Deutschland noch fortsetzen[60]. Gedicht  „Dem Tode nah“[61] (Malaria).

    Herz-Kreislaufsymptome, „Druck am Herzen“. Lähmung der linken Seite, Besserung nach Kur in Bad Kissingen, Gefahr …stärkeren Schlaganfalles, Brustschmerzen, Atemnot[62] (Arteriosklerose, Angina pectoris, Apoplexie).

    Lassen wir die Diagnosen „Dementia praecox“ und „Geisteskrankheit“ getrost außer Acht und sprechen stattdessen von depressiver Verstimmung, reaktiver Depression, Melancholie. Dass Scheffel als Heiratskandidat Körbe einsammelt und von seiner schwangeren Frau noch vor der Entbindung verlassen wird, auch dass Marie ihre Hochzeit absagt, all dies spricht weniger für eine familiäre Geisteskrankheit als für mangelhafte Bindungsfähigkeit der Geschwister.

    Die Versuche, Scheffels beeindruckenden Alkoholkonsum herunterzuspielen und zu verharmlosen, sind rührend[63], aber nicht ganz überzeugend. So heißt es gleich im Vorwort zur ersten römischen Epistel:

    „Inzwischen ist viel Wasser den Rhein ab, – auch viel Weines halsabwärts geflossen…“.

    Als Scheffel im Café Greco in Rom eine „epistola encyclica“ der Freunde aus dem Heidelberger „Engeren“ in Empfang genommen und „un fiasco d’Orvieto“ dazu bestellt und „still gerührt getrunken“ hat, versucht er es mit einer scherzhaften Rechtfertigung, dass nämlich „in der zehrenden Hitz‘ und dem scirocco Welschlands eyne innere Ursach‘ liegt, dass der deutsche Mensch allhiero sträflich viel Weines tilgt…und eyn leiser Anflug von südlicher Färbung auf der Nase mag…eher zu den ‚wunderbaren Lufterscheinungen bei Sonnenauf-und Untergang‘ in der Umgegend Roms als zu eynem testimonium allzu scharfer Trinkung zu zählen sein.“

    In der 6. Römischen Epistel[64] berichtet er:

    ….“Und hat der Wirt eyn ungeheures pranzo hergerichtet – und haben die Italiener den alten Brauch, beim convivium zwischen jeder Schüssel eyns zu singen – und sangen auch – aber sehr unflätiger Lieder – und erhub sich eyn scharfes Trinken, … dass etzliche, sowohl  deutscher als italienischer Nation, unter den Tisch zu liegen kamen. Und hab‘ ich mich damals an der Seit‘ des wackern Meister Willers mannhaft gehalten, – und da selbiger bei solcher occasion gewöhnlich an eynem gewissen ,Nachdurst‘ zu leiden hat, so sind wir wie alte Recken auf der Totenwach gesessen,…und haben miteynand die letzt Flaschen getrunken, als kein Welscher mehr Bescheid tun wollte.“

    Das klingt nicht so, als ob Scheffel „die eigenen Trinkleistungen maßlos“ überzeichnete oder sie nur wie „eine Art von Sport“ betrieb[65]!

    Doch nun noch zu einem anderen Thema, nämlich der Beschäftigung des Dichters mit den Etruskern und ihrer Herkunft.

     

    5. Die Etrusker und die Theorie von der transalpinen Einwanderung:

    Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten Aufsehen erregende Entdeckungen und Grabungen auf der Apenninenhalbinsel eine wahre Etruskomanie zur Folge[66]. Von den drei Haupt-Theorien zur Herkunft dieses Volkes favorisiert Scheffel  die Einwanderung der Etrusker aus dem Norden[67].

    „Item am dritten Tag sind wir…in Perugia eyngefahren, so eyne merkwürdige Stadt ist und guten Rotwein hat. Verfügte mich sofort nach dem Frühtrunk in das etruskische Museum und hab‘ dort…eyn kolossalen sarcophagum angeschauet…Ist auf demselben eyne Emigration des ganzen etruskischen Stammes dargestellt…und ziehen König und Priester, Weib und Kind, Gefangene und Stiere – alle fort, ’nix wie naus‘ – und ward mir sofort klar, dass dies eyn Denkmal des Auszugs nach Graubünden sey…Hab auch eynigen professoribus der Akademie von Perugia dies exponieret, so aber … mir kein Glauben schenkten. Mir aber hat die Sach‘ umso mehr geschienen, als auch die alten Städt‘ der Etrusker, insbesondere Cortona und Perugia mit ihren Cyclopenmauern ganz so auf Bergabhängen daliegen wie die Flecken im Unter-Engadeyn, und behalt‘ mir vor, hierüber meinem lieben Begleiter auf rätischen Fahrten Näheres mitzuteilen…“ (Römische Epistel 2, Panzer 4, 317).

    „Wir marschierten … dem Davoser Landwasser entlang…nach Dorf Alveneu. Der Ortsname „Alba Nova“ erinnert, dass wir schon in den Regionen angelangt sind, wo etruskische Einwanderer, einst aus Furcht vor dem Gallier oder Hannibals Scharen…sich eine zweite Heimat gründeten…Engadein, das klassische Etruskertal…“ (Aus den Rätischen Alpen, Panzer 4, 28)

    Im Übrigen erfährt Scheffel unterwegs, „dass in Urbino und ganz Umbrien eyn etwas leichtfertiger Gedanke ‚un pensiero etrusco‘ geschimpft wird, …woraus ich auf die alte Geschichte derer Etrusker und ihr Verhältnis zu ihren anderweyten italischen Nachbarn und Nachbarinnen belehrende Schlüsse zog.“ (Römische Epistel 2, Panzer 4, 315).

    Einige römische Schriftsteller meinten, dass die Räter eigentlich Etrusker seien, die sich unter der Bedrohung durch die Kelteneinfälle seit etwa 400 v. Chr. ins Gebirge zurückgezogen hätten (Liv. 5, 33, 11; Plin. n. 3, 24). Als Beweis diente allerdings nicht zuletzt, dass selbst für Livius…die Sprache der Räter ähnlich unverständlich war wie das Etruskische. Zudem „ging die Wildheit der Gegend auf sie über und ließ von allem Vererbten nichts übrig als den Klang der Sprache, und den noch nicht einmal rein“. Ob jedoch überhaupt eine Verwandtschaft zwischen den Sprachen der Etrusker und der Stämme in den Zentralalpen bestand, sei nach wie vor ungeklärt[68].

    6. Trivial oder geistvoll?

    Dies ist die Titel-Frage. In der Tat sind wir auf Triviales gestoßen, auf gereimtes Wort-Geklingel ohne tieferen Sinn, das der Verfasser selbst besser  „in Lethe“ versenkt hätte[69]. Gleichwohl fühlen wir uns berechtigt, die Angelegenheit etwas differenzierter zu betrachten, indem wir, entsprechend der Mahal’schen Anregung, den Meister Josephus lieber selbst zu Wort kommen lassen. Genieße wer kann den Reiz der spezifisch Scheffel’schen Ironie, seine Reimfreude und Wanderlust und seine für die Autorin dieses Elaborats einfach unwiderstehliche archaisierende Sprache:

    Aus Ekkehard Kap. 16, Cappan wird verheiratet:

    „In Hof und Garten schaltete dazumal eine Maid, die hieß Friderun und war hoch wie ein Gebäu von mehreren Stockwerken, drauf ein spitzes Dach sitzt, denn ihr Haupt hatte die Gestalt einer Birne und glänzte nicht mehr im Schimmer erster Jugend; wenn der breite Mund sich zu Wort oder Gelächter auftat, ragte ein Stockzahn herfür als Markstein gesetzten Alters…– itzt stand ihr Herz verwaist. Große Menschen sind gutmütig und leiden nicht unter den Verheerungen allzu scharfen Denkens. Da lenkte sie ihre Augen auf den Hunnen, der sich einsam im Schlosshof umtrieb, und ihr Gemüt blieb mitleidig an ihm haften wie der funkelnde Tautropfen am Fliegenschwamm…“

    Nachdem Frau Hadwig der Eheschließung zugestimmt hat und Cappan von Ekkehard gründlich in der christlichen Lehre unterwiesen und getauft worden ist, treten die Hochzeitsvorbereitungen in ihr entscheidendes Stadium.

    „Heilige Mutter von Byzanzium! rief [Praxedis, die griechische Zofe der Herzogin], muss das auch noch aufgesteckt werden? Wenn du mit dem Kopfschmuck einherschreitest, Friderun, werden sie in der Ferne glauben, es sei ein Festungsturm lebendig geworden und wandle zur Trauung. Es muss sein! sprach Friderun. […] Cappan war mühsam zu Tisch gesessen und hielt sich aufrecht an seiner Ehefrau Seite…In den langen Zwischenräumen schuf der Hunne seinen vom Sitzen gequälten Gliedmaßen durch Tanzen Luft…tat sieben wirbelnde Luftsprünge … zum Beschluss ließ er sich vor Frau Hadwig ins Knie fallen … als wollt‘ er den Staub küssen, den ihres Rosses Huf berührt … Die Hegauer … aber schöpften ein Beispiel löblicher Anregung aus dem ungewohnten Tanz … denn aus dem fernen Mittelalter klingt noch die Sage von den ’sieben Sprüng‘ oder dem ‚hunnischen Hupfauf‘, der als Abwechslung vom einförmigen Drehen des Schwäbischen … seit jenen Tagen dort landüblich ward“ (Panzer 3, 265-275).

    Der Rechtspraktikant hat in seiner Säckinger Amtsstube polizeiliche Aufgaben wahrzunehmen.

    „Polizei und Poesie … beide haben es mit den Abnormitäten des Lebens … zu tun; nur ist die Behandlungsweise etwas verschieden; ein und derselbe Gegenstand kann vom polizeilichen Standpunkte bei Wasser und Brot in den Turm gesteckt und vom dichterischen mit lyrischen Flötentönen verherrlicht werden … Also – was bringt der Gendarm heute für ein ,Subjekt‘? Ach Gott, wie klaffen die Schuhe, wie ungeniert sehen die Zehen durch die Lücken des Schuhs … und was für ein stillvergnügtes Gesicht macht das Subjekt! Was ist sein Verbrechen? ,Zweckloses Umhertreiben!‘ …Wie oft hat sich der Polizeirespizient als fahrender Schüler selber auf das zweckloseste umhergetrieben…Leider muss das Subjekt bei Wasser und Brot in den Turm – die Poesie verhüllt ihr Antlitz und trauert.“ (Aus der 6. Säckinger Epistel, Panzer 4, 254 f.)

    Noch heute sind die Betrachtungen des philosophierenden Katers Hiddigeigei  beherzigenswert:   

    Hiddigeigei spricht, der Alte:
    Pflück die Früchte eh’ sie platzen.
    Wenn die magern Jahre kommen,
    saug an der Erinn’rung Tatzen.

    (Trompeter, Strophe 3 aus Lied 9, 5951-5954, Panzer 2, 356[70]).

    Fruchtlos stets ist die Geschichte;
    Mögen sehn sie, wie sie’s treiben!
    – Hiddigeigeis Lehrgedichte
    Werden ungesungen bleiben.

    (Trompeter, Strophe 6 aus Lied 12, 6003-6006, Panzer 2, 358)

    Mögen die Liedersammlungen „Neueres“ und „Aus dem Weiteren“ zum guten Teil aus Gelegenheitsdichtung, langatmigen Festgrüßen, Lobliedern auf Orte, Landschaften und Personen bestehen, in epischer Breite daherkommen und ihren Leser rechtschaffen ermüden, so findet sich doch auch manches Perlchen darin: 

    Mir ist zum Geleite
    In lichtgoldnem Kleide
    Frau Sonne bestellt;
    Sie wirft meinen Schatten
    Auf blumige Matten,
    Ich fahr‘ in die Welt.

    (Panzer 1, 81, Strophe 2)

     

    7. Bestreuet die Häupter mit Asche…

    Ja, wir finden beim Meister Josephus durchaus Geistvolles, auch Anmutiges und viel Erheiterndes. Andere Meinungen sind natürlich das gute Recht der Kritiker und Rezensenten. Urteilen diese aber, weil es nun einmal Mode ist, nur nach der abwertenden Sekundärliteratur und in völliger Unkenntnis der Werke selbst, dann geben wir ihnen den einen Rat: „Bestreuet die Häupter mit Asche…“[71]

     

    Fußnoten

    [1] Herausgegeben von F. Panzer (Leipzig und Wien 1910).
    [2] Juniperus, Panzer 2, 422.
    [3] Berschin – Wunderlich 2003.
    [4] Wunderlich 2003, 204 f.
    [5] Eggert 1971, 164; Mahal 2003, 16.
    [6] Selbmann 1982, 11.
    [7] J. Lobe, Würzburg 1971, 236. 245, Selbmann a. O. 10 Anm. 13-17.
    [8] Eggert 1971, 21 f.
    [9] Ein “Prä-Simmel“, Mahal 2003, 14-16. 20.
    [10] Eggert 1971, 12; Selbmann 1982, 11.
    [11] Martini 41981, 313 f. Dort fälschlich: „Johann“ Viktor von Scheffel!
    [12] Mahal 2003, 20.
    [13] Selbst wenn die letzteren “nicht ohne Heines Prosa denkbar“ seien,
    Martini, 41981, 314.
    [14] Mahal a. O. 17.
    [15] Panzer 1, 197.
    [16] Panzer 4, 149 f.; dazu auch Rupp 2003, 110.
    [17]Krohn 2003, 37. S. 40 und Anm. 24.
    [18] Panzer 1, 5-70.
    [19] Panzer 1, 6 f.
    [20] Schmidt-Bergmann 2003, 32.
    [21] Panzer 1, 27 f.
    [22] In einem Brief an Bernhard von Arnswald, den Kommandanten der Wartburg, Krohn 2003,  45 f.
    [23] Schmidt-Bergmann 2003, 32.
    [24] Eggert 1971, 64-69. 164-171.
    [25] Scheffels Mutter an Schwanitz, Schmidt-Bergmann 2003, 34.
    [26] Es floriert noch heute, wenn auch nicht ganz an demselben Ort. Säckinger Epistel 1, Panzer 4, 1917, 215; Trompeter 6. 2416-18 und 2436 f. Panzer 2, 275.
    [27] Aus dem Hauensteiner Schwarzwald, Panzer 4, 72-75.
    [28] z. B. in der Epistel aus Donaueschingen, Ad fontes Danubii 18. Juli 1858, Panzer 4, 471.
    an Friedrich Eggers, Schmidt-Bergmann 2003, 30.
    [30] Zollner 1976, 10.
    [31] Panzer 1, 27.
    [32] Wunderlich, zit. bei Krohn 2003, 47.
    [33] Zit. nach J. Proelß, Scheffels Leben und Dichten (Berlin 1887) 507, Selbmann 1982, 55 mit Anm. 55.
    [34] Scheffel hat ihr im “Gaudeamus“, Aus dem Weiteren, ein Denkmal gesetzt, Panzer 1, 109 f.; Döring 1999, 97-100.
    [35] Dazu Zollner1976, “Mehr als ein Sauf-Poet“.
    [36] Wie schade wäre es um sein darin enthaltenes Wanderlied gewesen, das heute als “Frankenhymne“ bezeichnet wird: “Wohlauf, die Luft geht frisch und rein…“
    [37] „Das böse Wort des Heidelberger Philosophen Kuno Fischer vom “Saufpoeten in Wasserstiefeln“, Zollner 1976, 10; Mahal 2003, 16; “zum Saufpoeten und drittrangigen Reimeschmied machte ihn…“, M. Krüger-Hundrup zur Ausstellung für Frankenlied-Dichter Scheffel in Bad Staffelstein 2011; H. Seele, Der “Saufpoet“ mit dem Faible für Heidelberg, Heidelberger Geschichtsverein; “Scheffels Saufpoesie“, Möbius 1907, 21. .
    [38]Man denke nur an das „Sit vino gloria der „Maulbronner Fuge“, Panzer 1, 43-45.
    [39] Deutscher Maler, bei dem Scheffel in Italien Unterricht nahm, Panzer 4, 343.
    [40] Dazu auch W. Wamser-Krasznai, Nachwort zu: Die Quellen zum west-östlichen Divan, in: dies., Fließende Grenzen, 2015, 114-117.
    [41] Hafis, Der DIVAN. Aus dem Persischen von Joseph von Hammer-Purgstall ND 2007.
    [42] Panzer 1, 29.
    [43] Vorwort zu Juniperus, Panzer 2, 422.
    [44] Archipoeta, Vagantenbeichte, aus Carmen X.
    [45] Trompeter 2, 968, Panzer 2, 216.
    [46] Möbius 1907, 19 f.
    [47] Möbius 1907, 20 f.
    [48] Kussmaul, auf Grund eigener Beobachtung, Möbius S. 20f.
    [49] Dazu die Siebente Säkkinger Epistel: Myn lieb und frumm Schwesterlin Maria! Panzer 4, 265.
    [50] Möbius 1907, 5.
    [51] Möbius S. 21.
    [52] Die berüchtigten “retrospektiven“ Diagnosen!
    [53] Panzer 1, 17, 47; “Schwermut und innere Verödung“, Martini 41981, 314.
    [54] Möbius S. 6.
    [55] Möbius S. 9.
    [56] Möbius S. 13.
    [57] Möbius S. 12- 14.
    [58] Möbius S. 10.
    [59] Falls wir den Mode-Anglismus als ernsthafte Krankheit anerkennen wollen.
    [60] Möbius S. 11; aus dem Weiteren, Panzer 1, 32: Miasmen aus dem überschwemmten Rhonetal.
    [61] Gaudeamus, Panzer 1, 93.
    [62] Möbius S. 18 f.
    [63] Möbius S. 21.
    [64] Panzer 4, 330 f.
    [65] Möbius a. O.
    [66] Pallottino 1988, 18.
    [67] Torelli 1988, 31; Sprenger – Bartoloni 1977, 9.
    [68] Pauli 1992, 726 und Anm. 6; ebenso Gleirscher 1991, 11.21.
    [69] Panzer 1, 197.
    [70] “Typisch ist die Verharmlosung, die Scheffels ,Hidigeigei‘ gegenüber Hoffmanns ,Kater Murr‘ zeigt,“ Martini 41981, 318.
    [71] Scheffel: Asphalt, Panzer 1, 25 f.

     

    Abgekürzt zitierte Literatur:

    Döring 1999: R. Döring, Die Ilmenauer Promenaden (Ilmenau 1999)

    Eggert 1971: H. Eggert, Viktor von Scheffel, in: Studien zur Wirkungsgeschichte des deutschen historischen Romans (Frankfurt am Main 1971) 64-69

    Gleirscher 1991: P. Gleirscher, Die Räter (Samedan 1991) 11. 21

    Krohn 2003: R. Krohn, Mittelalter hausgemacht. Scheffels Schaffen zwischen Historie und Poesie, in: W. Berschin – W. Wunderlich (Hrsg.), Joseph Victor von Scheffel (1826-1886). Ein deutscher Poet – gefeiert und geschmäht (Ostfildern 2003) 35- 55

    Mahal 2003: G. Mahal, Erinnerungen an einen Vergessenen, in Berschin – Wunderlich a. O. 11-21

    Martini 41981: F. Martini, Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848-1898 (Stuttgart 41981) 313-318. 446-448

    Möbius 1907: P. J. Möbius, Über Scheffels Krankheit. Kritische Bemerkungen über Pathographie (Halle 1907)

    Pallottino 1988: M. Pallottino, Etruskologie (Basel – Boston – Berlin 1988)

    Panzer: Scheffels Werke. Hrsg. Friedrich Panzer (Leipzig und Wien 1910)

    Pauli 1992: L. Pauli, Auf der Suche nach einem Volk. Altes und Neues zur Räterfrage, in: Die Räter – I Reti (Bolzano-Bozen 1992) 725-756

    Rupp 2003: M. Rupp, Ein Stück nationaler Geschichte in der Auffassung des Künstlers. Joseph Victor von Scheffel und die Mediävistik, in: Berschin – Wunderlich a. O. 109-134

    Scheffels Werke, Hrsg. F. Panzer (Leipzig und Wien1910)

    Schmidt-Bergmann 2003: Hansgeorg Schmidt-Bergmann, „mein bester Kern ist immer noch der Zug zur Kunst“. Briefe und Notizbücher Joseph Victor von Scheffels zwischen 1848 und 1853, in: Berschin – Wunderlich a. O.  23-34

    Selbmann 1982: R. Selbmann, Dichterberuf im bürgerlichen Zeitalter. Joseph Viktor von Scheffel und seine Literatur (Heidelberg 1982)

    Sprenger – Bartoloni 1977: M. Sprenger – G. Bartoloni, Die Etrusker (München 1977)

    Torelli 1998: M. Torelli, Die Etrusker (Wiesbaden 1998)

    Wunderlich 2003: W. Wunderlich, Scheffels Trompeter von Säckingen und Ekkehard in Oper und Konzert, in: Berschin – Wunderlich a. O. 191-222

    Zollner 1976: H. L. Zollner, Mehr als ein Sauf-Poet, in: Aufbruch 12. 6, 1976, 10

    Copyright Dr. Dr. Waltrud Wamser-Krasznai

     

  • Am Ende des englischen Textes steht die deutsche Übersetzung von Dr. Dietrich Weller

                        

    This is an amazing story of an old turtle shell found in the secret Imperial collection in the Emperor´s palace of Xian many centuries ago. The old shell was supplemented with an explanation written on rice paper, which partially was illegible.  The free translation reads as follows:

     

    simon-the-turtle-shell-secret-bild

    In the small kingdom of N…… located as a part of a peninsula and in the vicinity of the great lands of Imperial China reined a young King  K. Having ambitions to enlarge his Territory, he established a state founded on severe military principles and like a rapacious bird; was always ready to attack neighboring states. His Palace was without any splendor, and lacked of any gold ornaments. All ornaments were sold, and the revenue was utilized for the acquisition of new weaponry. Being always in the state of war, the gardeners were sent to the military units and the Palace garden was deprived of scenting flowers, singing birds and joyful butterflies. This gloomy garden was full-fledged with grass, weeds, and old dry trees. After many useless wars and costly weaponry, the Kingdom’s treasury was empty.

    Rice fields were abandoned and the peasants were drilled to be warriors. Even teachers and herbalists (physicians) had to join the military units. Deprived of food and the through lack of herbalists the number of ill subjects in the Empire increased quickly, and even the Sovereign became ill.

    His health conditions deteriorated rapidly. Weak and exhausted, he still reclined upon his bed, awaiting his natural end. In these terrible moments The King remembered the last words of his father: “In difficult times, study the engravings on the ancient turtle’s shell, deposited in the treasury safe.”

    He opened the treasury safe, which was so empty that he could hear his own breathing. Under the dust an old turtle shell laid there inside. He brought it out into the daylight and stared at its engraving. Astonished and incredulous, he realized that he was not able to comprehend the odd engraved inscription.

    Much too late, he remembered all those slaughtered teachers and herbalists, that had perished as simple warriors on the battlefields.  In the entire   Territory nobody was able to decode this old inscription and nobody could heal him.

    Also too late, he realized that during all his life he had caused many wars and countless deaths. Approaching the end of his life, he understood what an eternal burden remains between him and the Gods. King K  died…….

    Without meeting any internal resistance, the imperial army occupied the small territory of N… The Sovereign, acknowledging the terrible situation in his now seized land, declared: All the soldiers may receive an amnestyand benevolence. They all disarm and hand-over their weapons and start to exercise their previous trade or occupations. The Peasants of them should start to cultivate the rice-fields to nourish both the existing and the now additional population”.

    The mystery of the ancient inscription on the old turtle’s shell remained unrevealed.                   However, hundreds of years later, the old turtle’s shell was given to a sage Xi who lived retired like eremite. After examining attentively, the old inscription on the turtle shell, he gave his interpretation:

    simon-the-turtle-shell-secret-bild

    “This shell shaped like a sky vault reveals three celestial gifts:

    Nature ( ): live in harmony with nature . Every rice-field becomes plentiful, after hard work. It’s the labor of the peasants that makes it precious.

    Peace: ( ): live in harmony with others. Honor the preciousmasters of the teaching arts; it is them that cultivate young men’s natural goodness.

    Health: ( ): live in harmony with yourself. To remain in good health, follow the advices of the precious masters of the healing arts (physicians).

    Dr. med. André Simon   ©Copyright

     

    Das Geheimnis des Schildkrötenpanzers
    (Übersetzung von Dr. Dietrich Weller) 

    Dies ist eine erstaunliche Geschichte eines alten Schildkrötenpanzers, der vor vielen Jahren in der geheimen Kaiserlichen Sammlung im Kaiserpalast von Xian gefunden wurde. Der alte Panzer wurde durch eine Erklärung ergänzt, die auf Reispapier geschrieben und teilweise unleserlich war. Hier folgt die freie Übersetzung.

    In dem kleinen Königreich N…, das als Teil einer Halbinsel in der Nähe der großen Ländereien des Kaiserreichs China lag, regierte ein junger König K… . Da er den Ehrgeiz hatte, sein Territorium zu vergrößern, errichtete er einen Staat, der auf strengen militärischen Prinzipien gegründet und wie ein Raubvogel ständig bereit war, die Nachbarstaaten anzugreifen. Sein Palast war ohne Glanz, und jegliche Goldverzierungen fehlten.

    Alle Verzierungen wurden verkauft, und der Erlös wurde für die Anschaffung von neuem Kriegsgerät verwendet. Da man ständig im Kriegszustand war, wurden die Gärtner zu den militärischen Einheiten geschickt, und dem Palastgarten wurden die duftenden Blumen, die singenden Vögel und die fröhlichen Schmetterlinge entrissen. Dieser bedrückende Garten war überwuchert von Gras, Unkraut und alten vertrockneten Bäumen. Nach vielen nutzlosen Kriegen und kostspieligen Waffenkäufen war die Schatzkammer des Königreichs leer.

    Die Reisfelder waren verlassen, und die Bauern wurden hart zu Kriegern ausgebildet. Sogar Lehrer und Kräuterkundige (Ärzte) mussten den Militäreinheiten beitreten. Da man ihnen die Nahrung weggenommen hatte und ein Mangel an Kräuterkundigen bestand, stieg die Zahl der kranken Untertanen im Kaiserreich rasch an, und sogar der Herrscher wurde krank.

    Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich rasch. Schwach und erschöpft lag er noch auf seinem Bett und wartete auf sein natürliches Ende. In diesen schrecklichen Momenten erinnerte sich der König an die letzten Worte seines Vaters: „Studiere in schwierigen Zeiten die Gravuren auf dem alten Schildkrötenpanzer, der in der Schatzkammer aufbewahrt wird.“

    Der sterbende König öffnete die Schatzkammer, die so leer war, dass er seinen eigenen Atem hören konnte. Unter dem Staub lag drinnen ein alter Schildkrötenpanzer. Er brachte ihn ans Tageslicht und betrachtete die Gravuren. Erstaunt und ungläubig erkannte er, dass er nicht in der Lage war, die seltsamen Schriftzeichen zu verstehen.

    Viel zu spät erinnerte er sich an jene niedergeschlachteten Lehrer und Kräuterkundige, die als einfache Krieger auf den Schlachtfeldern umgekommen waren. Im gesamten Reich konnte keiner die alten Inschriften entziffern, und niemand konnte ihn heilen.

    Ebenso zu spät wurde ihm klar, dass er während seines ganzen Lebens viele Kriege ausgelöst und zahllose Todesfälle verursacht hatte. Während er sich seinem Lebensende näherte, verstand er, welche ewige Last zwischen ihm und den Göttern bestehen blieb. König K. starb.

    Ohne auf inneren Widerstand zu treffen, besetzte die kaiserliche Armee das kleine Gebiet N…

    Als der Herrscher sich bewusst war, in welch schrecklicher Lage sich sein erobertes Land befand, verkündete er:

    Alle Soldaten sollen eine Amnestie und Wohlwollen erhalten. Sie sollen sich entwaffnen, ihre Waffen übergeben und beginnen, ihre alten beruflichen Gewerbe oder Beschäftigungen auszuüben. Die Bauern unter ihnen sollten anfangen, ihre Reisfeder zu bestellen und sowohl die bereits hier lebende als auch die zusätzliche Bevölkerung ernähren.

    Das Geheimnis der alten Inschrift auf dem Schildkrötenpanzer blieb ungelüftet.

    Aber hunderte von Jahren später wurde der alte Schildkrötenpanzer dem Weisen Xi übergeben, der wie ein Eremit zurückgezogen lebte. Nachdem er die alte Inschrift aufmerksam untersucht hatte, erklärte er seine Deutung:

    Der Panzer in Form eines Himmelsgewölbes entschleiert drei himmlische Geschenke:

    Natur ( ): Lebe in Harmonie mit der Natur. Jedes Reisfeld wird nach harter Arbeit reichhaltig. Es ist die Arbeit der Bauern, die sie wertvoll macht.

    Friede ( ): Lebe in Harmonie mit den Anderen. Ehre die kostbaren Meister der Lehrenden Künste. Sie sind es, die die natürliche Güte der jungen Menschen pflegen.

    Gesundheit (健康 ): Lebe in Harmonie mit dir selbst. Um bei guter Gesundheit zu bleiben, folge den Ratschlägen der wertvollen Meister der Heilkünste (Ärzte).