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Beitrag zur Lesung „Geheimnisse“ beim BDSÄ-Kongress Mai 2016
Als ich mich umwandte
und zurückblickte zu dem Hund
zu dem Straßenhund
– ein hübsches Tier
wie ein Wächter vor dem Geschäft
er hatte so lieb
meine Hand geleckt
ganz kurz
als ich ihn vorsichtig streichelte
die Leckerbissen
die ich ihm gab und
die er nahm
fraß er aber erst
als ich gegangen war
deshalb drehte ich mich
noch einmal um
und blickte zu ihm –da sah ich
auch er blickte zu mir
immer wieder
trafen sich unsere Blicke
bis ich in die andere Straße
einbogDer Blick
begleitet mich nun …
er war nicht klagend
nicht bettelnd
er war …
wie der Blick meines Hundes
voll Gewissheit
dass die Trennung nur
vorübergehend istDer Blick …
könnte ich den Blick meines
Engels sehenEr würde ihm gleichen
Copyright Dr. Helga Thomas
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(Beitrag zur Freien Lesung beim BDSÄ-Kongress Mai 2016)
Ich habe Narziss eingeladen, mich mal zu besuchen. Vielleicht macht es ihm Spaß, das Regal anzuschauen mit all dem vielen Material zum Thema „Narziss und Narzissmus“, meine Fotos seiner Blume und all die vielen Ordner mit meinen Texten, fertigen – unfertigen, die bereits veröffentlichten Gedichthefte …
Vielleicht hat er eine Idee, wo ich weiterfahren soll? Eigentlich weiß ich, was ich will, aber mir fehlt die Zeit, das heißt natürlich fehlt mir die Zeit nicht, aber anderes hat – leider! – größere Priorität!
Narziss zögerte, er möchte sein Spiegelbild nicht verlassen. Ich tröste ihn damit, dass es bei mir auch Spiegel gibt, sogar mehrere. Natürlich muss er seinem Spiegelbild nun aufrecht gegenübertreten. Das demutsvolle Sich-Zuneigen erfolgt nicht zwangsläufig. Er kann auch nicht sein Spiegelbild auf dem Untergrund des Himmels sehen … Er winkt ab … er kennt diese Überlegungen doch schon aus meinen Gedichten. Soll ich sie hier anfügen?
GEDICHTE?????
Nun ist er gekommen, er blickt sich um, erblickt meine Körbe und Taschen mit Papieren, Büchern, Briefen …. er strahlt:
„Hast du schöne Spiegel, und ganz individuelle, nur du kannst dich in ihnen erkennen.“
Da erkenne ich: Ein MZ (Messiezustand) ist der Spiegel, in dem sich ein MiM (Mensch im Messiezustand) erkennen kann … Ich schaue ihn dankbar an. Auch er lächelt, liebevoll, bezogen: “Und ich erkenne dich, ein wenig, ich sehe, welche Kräfte aus der geistigen Welt sich bemerkbar machen möchten.“ (Also kann bedingt auch ein anderer sich in meinem individuellen Spiegel erkennen?). Er fährt fort – er hat mein Denken gespürt und innegehalten – „und ich erkenne, wer dich zu mir führte!“
Narziss, sag, wer … er ist verschwunden … ein kleiner Nebel in meiner Wohnung…
Wieder im Hier und Jetzt angekommen denke ich:
Wer mit Hilfe des Narziss seinen eigenen Narziss erlöst, hat einen einfühlsamen Freund an seiner Seite.
Anmerkung:
Und nun habe ich ein Problem, wenn ich den Text nun für andere abschreibe, in meinem Computer, wo lege ich ihn ab? Im Ordner „Narziss 2015“ oder im Ordner „Messie_neu“?
Wenn ich nicht aufpasse, entsteht in mir ein Mini-Messiezustand! Was kann ich daran nun über mich erkennen? Ob Narziss es weiß?
20.6.15, 7.20 h
Inzwischen ist mir ein Untertitel eingefallen:
Messiezustände als Spiegel der Selbsterkenntnis
Copyright Dr. Helga Thomas
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Beiträge zur Lesung „Gärten“, BDSÄ-Kongress Mai 2016
Im Gras vor der alten
kleinen Kirche
blühen Schneeglöckchen
Kokitche werden sie
in Bulgarien genanntSie sind weiß wie
die Lilie die
der Engel
der Jungfrau reichteWeiß
wie Schnee
wie die Milch
der MutterDrei Blütenblätter
umfassen den Becher
der sich zur Erde neigtDrei
wie Vater Mutter und Kind
wie die Frau
die gleichzeitig auch
Mutter und Tochter istEine Dreiheit
wie Vater Sohn
und Heiliger GeistWo sind deine drei
anderen Blütenblätter
verborgen?Wohin sind sie verschwunden?
Oder wem
hast du sie geschenkt?Helga Thomas
20.2.2016
Nachtrag vom 2.3.16:
Ich schenkte sie dem Künstler
der sie zum Becher schuf
zum Abbild des
Heiligen Gral
versteckt
in der Mitte der DreiDas Schneeglöckchen dankt
der Wärme
dem Licht
indem es sich öffnend
sich nieder zur Erde neigtVielleicht
sagt es dem Schnee
dass er das Tauen
nicht fürchten muss
Freude wird ihn erfüllen
wenn Tropfen um Tropfen
er sich löstFreude wird auch die Erde erfüllen
denn das Schneeglöckchen versprach:
ich werde dir schenken
was jetzt in mir wächst13.2.2016
Als Kind sprach ich
als ich noch nicht sprechen konnte
mit den Blättern im Wind
mit dem im Baum verborgenen Gesicht
das dem Gesicht der Mutter glich
und in manchen Nächten
zum Mond heimgekehrt warAls Kind ging ich
spazieren im Garten
mit Wunderbäumen
und Zauberblumen
die ich mir selbst erschaffen habeAls Kind liebkoste ich
mein kleines Tier im Arm
das meinen Schlaf beschützte
und am Tage nur ein Bettzipfel schienAls Kind war das mein Alltag
und heute fühle ich mict glücklich
und meine es ei ein besonderer Tag
wenn es mir wieder gelingtCopyright Dr. Helga Thomas
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ART OF TEACHING
(Übersetzung von Dr. Dietrich Weller am Ende des Textes)
Many, many years ago, in the shade of an old tree, Master Ximéng gave a lesson. He focused his teaching on the importance of living in harmony with nature. Subsequently he spoke very gently of how human beings might accomplish this task.
Afterwards he asked his students, in a whisper: “Have you any questions?”
A student answered by asking; “Most honorable, what makes your method of teaching so outstanding?”
He replied: “My method is based on the rules described in XUEJI. The essential rules are: gradual teaching, timing, prevention and imitation.
Gradual teaching (SUN) means to consider the differences between the students. Its aim is to instruct them at diverse levels and give them particular teachings.
The teaching is administered step by step and within the student’s level of knowledge. Learning can be effective only if the students can comprehend – within their ability.
Timing (SHIH): Timing is teaching at an appropriate time. Without timing, twice as much effort as normal is needed to achieve success. Missing the timing by the time a student has reached a certain age, the student starts to engage himself in everyday’s ordinary tasks. The more personal engagements the student has, the less time he has left to study.
Prevention (YUH): Prevention bears success. Failure happens due to insufficient prevention and lack of preparation. It is better to avert the problems instead of searching reasons for them afterwards. Prevention and preparation result in tough research and homework for the students. By preventing errors, the student is prepared for every possible life’s situations.
When trouble occurs; it is usually already too late to make any substantive changes.
Imitation (MO) is learning from others. Life is too short to make mistakes, or to find the best solutions all by oneself. By imitating what wise people have done successfully, one can decrease the chance of making mistakes or making the same mistake twice. After all, everyone has limited learning abilities. Collecting other people’s wisdom and adopting their methods is known to be successful.”
ANNOTATION:
A standard textbook of education XUEJI was written during the ZHOU dynasty (1050 -256 BC), and it served as such until 1912. This book was adopted exclusively for teachers and was extraneous in the traditional Chinese medicine. It was especially frowned upon in the latter case, as traditional Chinese medicine had the rule MO (imitation), that the masters of healing arts kept their methods in secrecy and never exchanged their experiences.
It is curious and remarkable that the ancient art of teaching XUEJI was adopted in classical medicine. Hippocrates taught their pupils the importance of proceeding step by step in the cure (SUN), the treatment without any delay (SHIH) and in the application of the cure to take preventive measures such as taking a proper diet, adequate exercise and getting enough rest (YUH).
Our 21st century physicians, scientists, researchers and medical personnel worldwide put in the practice the gradual treatment (SUN), timing (SHIH) prevention (YUH).They implement imitation (MO), which means learning from others by collecting other people’s wisdom and adopting their methods. Thanks to the worldwide web the physicians are connected globally and permanently. In this way, they exchange their experiences online and update their medical knowledge.
Dr. med. André Simon © Copyright
Übersetzung von Dr. Dietrich Weller
Simon: Die Kunst des Lehrens
Vor vielen, vielen Jahren hielt Meister Ximéng eine Vorlesung im Schatten eines alten Baumes. Er konzentrierte seinen Unterricht darauf, wie wichtig es ist, in Gleichklang mit der Natur zu leben. Deshalb sprach er sehr sanft darüber, wie Menschen diese Aufgabe erfüllen könnten.
Danach fragte er seinen Schüler flüsternd: „Habt ihr irgendwelche Fragen?“
Ein Schüler antwortete mit einer Frage: „Ehrenwerter, was macht deine Lehrmethode so außergewöhnlich?“
Der Meister antwortete: „Meine Methode gründet sich auf die Regeln, die im XUEJI beschrieben sind. Die wichtigsten Regeln sind: schrittweise lehren, den richtigen Zeitpunkt erfassen, vorbeugen und nachmachen.
Schrittweise lehren (SUN) bedeutet, den Unterschied zwischen den Schülern zu beachten. Das Ziel ist, sie auf unterschiedlichen Ebenen zu lehren und ihnen individuelle Schulung zu geben. Der Unterricht wird Schritt für Schritt erteilt und auf der Wissensebene des Schülers. Lernen kann nur wirkungsvoll sein, wenn die Schüler es erfassen können – mit ihren Fähigkeiten.
Den richtigen Zeitpunkt erfassen (SHIH): Das bedeutet zum angemessenen Zeitpunkt zu lehren. Ohne den richtigen Zeitpunkt ist doppelt so viel Anstrengung erforderlich, um einen Erfolg zu erreichen. Wenn man den Zeitpunkt verpasst, wo der Schüler ein bestimmtes Alter erreicht hat, fängt er an, sich mit Alltagsaufgaben zu beschäftigen. Je mehr solche persönliche Beschäftigungen der Schüler hat, umso weniger Zeit hat er fürs Lernen.
Vorsorge (YUH): Vorsorge trägt den Erfolg. Versagen geschieht durch ungenügende Vorsorge und Mangel an Vorbereitung. Es ist besser, Probleme abzuwehren statt hinterher nach Ursachen für sie zu suchen. Vorsorge und Vorbereitung führen zu genauer Nachfrage und Hausarbeit für die Schüler. Indem er Irrtümern vorbeugt, wird der Schüler auf jede mögliche Lebenslage vorbereitet. Wenn es Probleme gibt, ist es meist schon zu spät, irgendwelche grundsätzliche Veränderungen zu machen.
Nachahmen (MO) bedeutet von anderen zu lernen. Das Leben ist zu kurz, um Fehler zu machen oder die besten Lösungen ganz allein zu finden. Wenn man nachahmt, was weise Leute erfolgreich gemacht haben, kann man die Chance verkleinern, Fehler oder einen Fehler zweimal zu machen. Immerhin hat jeder begrenzte Lernfähigkeiten. Die Weisheit anderer Menschen zusammenzutragen und ihre Methoden zu übernehmen ist bekanntermaßen erfolgreich.
Anmerkung:
Ein Standard-Lehrbuch der Erziehung XUEJI wurde während der Zhou-Dynastie (1050-256 vor Christus) geschrieben, und es diente als Lehrbuch bis 1912. Dieses Buch wurde ausschließlich für Lehrer angewendet und war unerheblich in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Besonders in diesem Gebiet hat man es missbilligt, weil Traditionelle Chinesische Medizin die Regel des Nachahmens pflegte und die Meister der Heilkünste ihre Methoden geheim hielten und ihre Erfahrungen nie untereinander austauschten.
Es ist seltsam und bemerkenswert, dass die alte Kunst des Lehrens XUEJI in der klassischen Medizin aufgenommen wurde. Hippokrates lehrte seinen Studenten, wie wichtig es ist, beim Heilen Schritt für Schritt vorzugehen (SUN), ohne Verzug zu behandeln(SHIH) und Vorsorgemaßnahmen wie passende Diät anzuwenden und angemessene Übungen und genügend Ruhepausen einzuhalten (YUH).
Unsere Ärzte, Wissenschaftler, Forscher und medizinisches Personal des 21. Jahrhunderts führten die Praxis der abgestuften Behandlung (SUN), den richtigen Zeitpunkt (SHIH) und Vorsorge (YUH) ein. Sie verwirklichen die Nachahmung (MO), was bedeutet, von anderen zu lernen durch Sammlung der Weisheit anderer und Anwendung ihrer Methoden. Dank des weltweiten Netzes sind die Ärzte global und dauerhaft verbunden. Dadurch tauschen sie ihre Erfahrungen im Netz aus und frischen ihr medizinisches Wissen auf.
© Dr. med. André Simon, copyright für die Übersetzung Dr. Dietrich Weller
Nachtrag des Übersetzers:
Dieser Aufsatz ist sehr interessant für mich. Er erinnert mich sehr an meinen Mathematiklehrer, Herrn Wolfgang Lechler, der einer der wenigen Lehrer in meinem Leben war, von denen ich wirklich etwas für die Kunst des Lebens gelernt habe.
Einer seiner Lieblingssätze war: „Sie müssen die Aufgaben vor der Klassenarbeit, vor dem Test lösen. Wenn Sie erst in der Prüfung damit anfangen, über Lösungsmöglichkeiten nachzudenken, ist es schon zu spät, und Sie haben keine innere Ruhe dazu.“
In der Woche vor dem schriftlichen Abitur sagte er: „Wenn Sie es bis jetzt nicht verstanden haben, lernen Sie es in dieser Woche auch nicht mehr. Deshalb machen wir jetzt eine Woche lang Mathematik anders.“ Und dann hielt er uns jeden Tag einen Vortrag über Leben und Werk eines anderen berühmten Mathematikers.
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Wer das liest, von scharfen Strippern, Strings und Einsätzen im Beckenbereich, der denkt sicherlich an die Reeperbahn, St. Pauli und Rotlichtviertel. Und wer zur Kenntnis nimmt, dass scharfe Ringstripper aus Hygienegründen ausrangiert worden sind, der denkt an übertragbare Krankheiten, vielleicht an Tripper, Syphilis oder noch Schlimmeres.
Wir bewegen uns jedoch in ganz anderem Ambiente, gut ausgeleuchtet, Rot ist allerdings tatsächlich die dominierende Farbe.
Wir blicken in ein eröffnetes arterielles Gefäß in der Leiste, umschlungen mit einem Bändchen, in dem ein Zylinder präpariert ist. Auf diesen wird nun ein Ringstripper aufgefädelt, der in der Beckenarterie günstigenfalls einen Gefäßverschluss ausschälen kann. Das gelingt nicht immer. Aber meistens. Manchmal, selten, wird die Beckenarterie perforiert. Und weil das gefährlich ist, nannte man dieses Verfahren in den 80er Jahren „Hitchcock-Manöver“, als nämlich Hitchcock noch die bekannteste Krimiserie war und noch nicht „Großstadtrevier“ oder „Tatort“.
Ein anderes Problem war, dass der Zylinder nicht immer dort durchtrennt werden konnte, wo man wollte, nämlich an der Abzweigung der inneren Beckenschlagader, sondern irgendwo abriss. Schlaue Leute armierten den Ringstripper deshalb mit einem Draht, der in einem Röhrchen verlief und das Ringmesser innen auskleidete. In korrekter Position konnte man dann am Draht, dem String, ziehen und damit den Desobliterationszylinder durchschneiden. Das war der scharfe Ringstripper.
Geniale Idee.
Wenn man die Dinger nicht nach Gebrauch erstens wieder sauber machen musste und zweitens einen neuen Draht dort hineinpraktizieren musste. Weil das so schwierig war, wenn nicht gar unmöglich, wurde vor mehr als zehn Jahren deshalb der wiederholte Einsatz dieser Geräte verboten, und als Einmalinstrumente waren sie einfach zu teuer.
Was passierte? Die Geräte landeten im Schrank.
Mit der Etablierung der Ballondilatation und der Stents im Operationssaal als Hybridtechnik verlor der Ringstripper sowieso zunehmend an Bedeutung. Vergessen wurden sie nicht. Als wir nun aber unsere OP-Siebe durchgesehen haben, „reorganisiert“ heißt das im modernen Sprachgebrauch, wurden die Instrumente endgültig ausrangiert. Nicht ohne Wehmut.
„Das waren noch Zeiten, als noch scharf strippt wurde“, flüsterte eine alternde Mitarbeiterin; nicht von der Reeperbahn, nein: aus Bremen.
Copyright Prof. Dr. Heiner Wenk
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Gemarterte Füße
Unter dem Diktat der Schuhmode im Altertum
Erinnern wir uns zunächst an die verschiedenen Fußtypen. Da gibt es den ägyptischen Fuß (Bild 1), bei dem die Zehen wie die Orgelpfeifen nebeneinander liegen.
Bild 1. Figürliches Gefäß (Kreta?) um 600 v. Chr.
Bonn, Akademisches Kunstmuseum. Photo: W. Wamser-Krasznai
Beim griechischen Fuß dagegen ist die zweite Zehe am längsten (Bild 2).
Bild 2. Fuß des Kaisers Constantin, Anf. 4. Jh. n. Chr.
Nachbildung Trier. Photo: W. Wamser-Krasznai
Sind alle Zehen nahezu gleich lang dargestellt, dann sprechen wir salopp von einem „Quadratfuß“ (Bild 3). In der Natur ist er nicht leicht zu aufzutreiben; doch bleiben wir hier bei der antiken Kunst.
Bild 3. Dame d’Auxerre, Paris, ca. 640/630 v. Chr.
Nach Martini 1990, 47 Abb. 13
Sie – die antike Kunst nämlich – ist überraschend reich an Darstellungen von Füßen, die wir heute als krankhaft verändert, als deformiert oder leicht beschönigend als „von der Norm abweichend“ bezeichnen würden. Jeder Orthopäde kennt das Bild der verdickten schmerzhaften Ferse, die nach einem schwedischen Kollegen Haglund-Ferse oder Haglund-Exostose heißt (Bild 4).
Bild 4. Haglundferse
Nach Rössler – Rüther 2007, 331 f. Abb. 16.74 a
Sie ist entweder die Folge einer Verknöcherungsstörung der Calcaneus-Apophyse im Wachstumsalter oder die einer überschießenden Verknöcherung am Ansatz der Achillessehne, die durch permanenten Druck der Fersenkappe bei einem Schuh von mangelhafter Passform entsteht. Da schon der bloße Anblick einer derartigen Ferse schmerzt, ist es verblüffend zu erfahren, dass ähnliche Höcker zu bestimmten Zeiten offenbar für besonders darstellenswert galten – etwa im Ägypten der Amarnazeit (Bild 5).
Bild 5. 14. Jh. v. Chr.Berlin, Neues Museum
Photo: W. Wamser-Krasznai
Auch im antiken Griechenland, das der Schönheit und dem Ebenmaß geradezu leidenschaftlich ergeben war, ist die Wiedergabe einer Exostose keine Seltenheit. So weihte man gegen 500 v. Chr. eine Kore, die Statue eines Mädchens, auf die Athener Akropolis, in der Absicht, der Göttin Athena, Schutzpatronin der Stadt, ein kostbares Geschenk zu machen. Die Vorwölbung oberhalb des Calcaneus, des Fersenbeins, ist nicht zu übersehen (Bild 6). Was kann den Bildhauer veranlasst haben, den hinteren Abschnitt eines Mädchenfußes mit einer derartigen Protuberanz auszustatten, um nicht zu sagen: zu verunstalten?
Bild 6. Spätarchaische Kore, Athen, Akropolis Nr. 682
Nach Richter 1968, 71 f. Abb. 364
Die Vorwölbung erscheint uns als pathologisch, mindestens aber als unschön. Ihre Wiedergabe ist keine Ausnahme und beschränkt sich weder auf das weibliche Geschlecht, noch auf die Zeit der Archaik oder Frühklassik (Bild 7).
Bild 7. Krieger vom Aphaia-Giebel West links, ca. 480/70 v. Chr.
Glyptothek München. Photo: W. Wamser-Krasznai
Sogar das Votiv-Bein auf einem Weihrelief an die Heilgötter Asklepios und Hygieia zeigt eine mäßige Verdickung am oberen Fersenrand (Bild 8).
Bild 8. Weihrelief aus Melos, römische Kaiserzeit
British Museum London. Photo: W. Wamser-Krasznai
Was steckt hinter derartigen Äußerungen künstlerischer Gestaltung? Vermutlich war der Skulpteur durch ein lebendes Vorbild angeregt. Er mag es interessant, vielleicht nicht gerade „schön“, auf jeden Fall aber darstellenswert gefunden haben.
Wodurch sind die Vorwölbungen verursacht? Nun – sie entstanden und entstehen auch heute noch durch den permanenten Druck eines Schuhwerks von mangelhafter Passform auf die empfindlichen Teile des Fußes. Damit ist nicht erklärt, weshalb der Höcker bei antiken Darstellungen zumeist etwas höher sitzt als die Fersenkappe eines heutigen Halbschuhs.
Wie sieht das antike Schuhwerk aus, das einen Fuß zu quälen und krankhafte Reaktionen hervorzurufen vermag? Die Joch- und Netzwerksandalen des 6. und 5. Jhs. v. Chr. (Bild 9) eignen sich offensichtlich wenig dazu, den nötigen Druck zu erzeugen.
Bild 9. Gefäß in Form eines Fußes mit Netzwerksandale
Um 525-500 v. Chr. London, British Museum.
Photo: W. Wamser-KrasznaiAuch geschlossene Schuhe müssen nicht fußfeindlich sein, vorausgesetzt, sie bestehen aus einem schmiegsamen Material. Zwar ist die Ferse selbst (Bild 10) nicht zu sehen, doch lässt sich aus der Form des vorderen Schuhabschnitts auf einen weichen Stoff schließen. Ein Zusammenhang zwischen zeittypischem Schuhwerk und der Angabe eines Fersenhöckers am nackten Fuß ist hier nicht zu erkennen.
Bild 10. Füße der Nikandre, Athen, ca. 660 v. Chr.
Nach Martini 1990, 92 Abb. 26
Wenden wir uns noch einmal dem Fuß unserer Kore, und zwar dem vorderen Abschnitt, zu (Bild 11).
Nach Karakasi 2001, 172 Taf. 252 c
Wir sehen, wie der Querriemen der zierlichen Sandale die kleine Zehe aus ihrer naturgewollten Stellung in die Adduktion drängt, d. h. an die vierte Zehe heranzieht. Das Martyrium hat begonnen. In allernächster Zeit wird ein schmerzhafter Kleinzehenballen entstehen, das Gegenstück zum Hallux valgus. Damit ist ein bedeutsames Stichwort gefallen.
Sextus Pompeius Festus (2. Jh. n. Chr.) stellt hallux und hallestai= ἃλλεσθαι (hinaufspringen) sprachlich nebeneinander und beschreibt sie im Lateinischen als „pollex (pedis) scandens super proximum, dictus a saliendo“ – als großen Zeh, der über den nächsten steigt, weil er gleichsam auf diesen hinaufgesprungen scheint[1] (Bild 12).
Bild 12. Hallux valgus
Nach Rössler – Rüther 2007, 331-333 Abb. 16.76 a
Dass die große Zehe im Gegensatz zu den anderen nur aus zwei Phalangen besteht, war schon Galen[2] bekannt und wurde von ihm als eine der tektonischen Voraussetzungen für die Stabilität des medialen Längstragbogens gesehen[3].
Die Entwicklung der geradeaus nach vorn gerichteten Großzehe zum Hallux valgus lässt sich an Bildwerken der Antike verfolgen. Beginnen wir mit den Jahren um 570 v. Chr., zunächst in Attika, in der Gegend von Athen. Trotz der hohen Sohle ist die Welt für den Fuß noch in Ordnung (Bild 13).
Bild 13. Detail der sog. Berliner Göttin, ca. 570 v. Chr.
Photo: W. Wamser-Krasznai
Wir bleiben ungefähr in dieser Zeit und bei demselben Sandalentypus, der von seiner Grundform her dem Fuß keine Gewalt antut, begeben uns aber nach Etrurien. Wie wir sehen, zieht der Sandalenriemen die große Zehe aus ihrer geraden Richtung nach außen gegen die 2. Zehe, nach lateral, wie wir sagen. Spreizfuß und Hallux valgus kündigen sich an (Bild 14). Bereits im Altertum müssen also negative Kräfte auf den Fuß eingewirkt haben, die stärker waren als dessen empfindlichste Teile.
Bild 14. Detail einer Frauenstatuette aus Vulci/Etrurien, Anf. 6. Jh. v. Chr.
Brit. Mus. London, nach Sprenger – Bartoloni 1977, 93 f. Abb. 46 b.
Wir brauchen nicht weit zu suchen, um die Ursachen zu finden. Auch in der Antike gab es Zeiten, in denen es schick war, extrem spitze Schuhe zu tragen (Bild 15).
Bild 15. Kore Akropolis 683, spätarchaische Zeit
Nach Richter 1968, 77 f. Abb. 384
Die junge Frau ist mit einem vollkommen „symmetrischen“ Halbschuh bekleidet. Bei diesen hochgradig fußfeindlichen Konturen hilft es nicht viel, wenn wir annehmen, dass es sich um einen „griechischen Fuß“ handelt, dessen längste Zehe, die zweite, sich bis in die Schuhspitze hinein ausstrecken kann. Der Hallux, die Zehe Nr. 1, wird ja trotzdem rigoros nach lateral, nach außen, gedrängt. Das ist aber nicht alles. Auch die kleinen Zehen, die vierte und fünfte, geraten unter Druck, und zwar nach medial, zur Mitte hin. Alles im Dienste der Schönheit! Vollends in der Spätantike scheint ein handfester Spreizfuß dem Schönheitsempfinden nicht widersprochen zu haben. Wie hätte sonst ein Elfenbeinschnitzer es wagen können, eine Göttin, noch dazu Hygieia, die Göttin der Gesundheit, mit einem so ausgeprägten Hallux valgus darzustellen (Bild 16)?
Bild 16. Hygieia mit Spreizfuß, Elfenbeindiptychon ca. 400 n. Chr.
Nach Simon 1990, 25 Abb. 22
Modische Narrheit war auch in der Antike nicht auf das weibliche Geschlecht beschränkt. Das Schuhwerk des karischen Satrapen Maussolos von Halikarnassos drängt die große Zehe ebenfalls in die Valgisierung, d. h. nach außen, den armen gequetschten kleinen Zehen entgegen (Bild 17).
Bild 17. rechter Fuß des Maussollos. Mitte 4. Jh. v. Chr.
London, Brit. Mus. Photo: W. Wamser-Krasznai
Was sagen die antiken Schriftsteller dazu? Von Plutarch ist die folgende Episode überliefert: Ein Römer, der von seinen Freunden getadelt wird, weil er seiner sittsamen, reichen und schönen Frau den Scheidebrief geschickt habe, streckt seinen Fuß vor und sagt: Auch dieser Schuh ist schön anzusehen und neu, aber niemand weiß, wo er mich drückt[4]. Pikanterweise sind es gerade die Füße des schönen Apollon vom Belvedere, die sich dazu eignen, einen solchen Text zu illustrieren (Bild 18). Die Art, wie der Sandalenrand die erste, zweite und fünfte Zehe beeinträchtigt und ihnen den notwendigen Spielraum nimmt, ist geradezu ein Musterbeispiel für das Martyrium des Fußes.
Bild 18. Linker Fuß des Apollon, 330/20 v. Chr.
Nach Dohan Morrow 1985, 106 Abb. 96
Aristophanes, der alte Spötter, legt einem Ehemann, der sich gern einmal ein Paar anständige Hörner aufsetzen lässt, die folgende Bitte in den Mund:
„O Schuhmacher, meiner Frau quetscht der Schuh das kleine Fußzehchen zusammen, es ist ja so zart. Komm du zur Mittagszeit und weite ihn, auf dass er größer sei…“ (Lysistrate).
Ein Exkurs ins Mittelalter zeigt, dass es dem vornehmen Ratsherren nicht genügte, Schuhe mit lang ausgezogenen Schnäbeln zu tragen, nein, er bindet sich noch ein Glöckchen an die Spitze, damit jedermann hören und sehen kann, wie er um der Mode willen einen Narren aus sich macht (Bild 19).
Bild 19: Gotisches Schuhwerk im Miniaturformat,
Meister Richard Fenchel, Butzbach. Photo: W. Wamser-Krasznai
Auch missgebildete Götterfüße lässt die antike Bilderwelt ausnahmsweise zu. Beim Klumpfuß handelt es sich bekanntlich um ein angeborenes Leiden. Hephaistos, der Gott der Schmiede, sagt von sich, dass er „als Krüppel zur Welt“ kam[5], was ihn aber nicht hindert, Karriere als Kunsthandwerker zu machen und mit seinen Erzeugnissen weithin berühmt zu werden. Auf Bitten der Göttin Thetis schmiedet er die Waffen für ihren Sohn Achilleus (Bild 20), allerdings ohne diesen damit vor dem tödlichen Pfeilschuss in die Ferse, seine einzige verwundbare Stelle, retten zu können.
Bild 20: Hephaistos / Sethlans zwischen Thetis und Achill
Etruskischer Karneolskarabäus, 530/520 v. Chr. nach LIMC IV, 1988
„Dem Musiker Dorion, der einen Klumpfuß hatte, kam“, wie Athenaios berichtet[6], „bei einem Symposion der Schuh des behinderten Fußes abhanden“ – man streifte ja bekanntlich die Schuhe ab, bevor man sich zu Tische legte – Dorion also sagte, „Ich will dem Dieb nichts Schlimmeres wünschen, als dass ihm der Schuh passt“.
Unsere Betrachtungen zur Diktatur der Schuhmode im Altertum blieben unvollständig ohne einen Blick auf ihre Auswüchse. Wer Schillers Balladen noch kennt, dem fallen zum hochsohligen Schuh des Schauspielers „Die Kraniche des Ibykus“ ein. Dort heißt es:
So schreiten keine ird’schen Weiber,
die zeugete kein sterblich Haus.
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
Hoch über Menschliches hinaus.Bild 21: Römisches Mosaik, 3. Jh. n. Chr.
Altes Museum Berlin. Photo: W. Wamser-Krasznai
Häufig wird der Kothurn vorschnell mit dem stelzenartigen Schuh der römischen Kaiserzeit assoziiert. Doch seine Grundform war flach. Er hatte einen weichen, weiten Schaft und eine schnabelartige Spitze[7]. Ein solches Paar war symmetrisch geschnitten, sodass beide Schuhe jeweils an beide Füße passten[8]. Sie waren, um es mit Galen zu sagen, über einen Leisten geschlagen[9]. Die Erhöhung der Sohlen beginnt erst im Hellenismus und steigert sich weiter in der römischen Kaiserzeit (Bild 21).
Neben den hohen Kothurnen gab es die sog. Tyrrhenischen Sandalen[10]. Sie hatten vergoldete Riemen und Sohlen von extremer Höhe.
Mit der Aufforderung: Folge mir! versprechen die Abdrücke genagelter Schuhsohlen allerlei Liebesfreuden (Bild 22).
Bild 22: Akolouthi! Folge mir! 2./3. Jh. n. Chr.
Nach Lau 1967, 93 Abb. 19
„Die Frauen treiben es so weit, dass sie mittels der Schuhnägel ihre Schuhsohlen…mit Liebesgrüßen…dekorieren…und dem Boden…wie mit einem Siegelstempel ihre Courtisanengedanken aufprägen“, klagt Clemens von Alexandria[11] .
Wann und wo begegnen uns antike Fuß-Darstellungen, die dem natürlichen Ebenmaß Rechnung tragen und frei sind von Anzeichen des Martyriums?
Ein erfreuliches Beispiel geben manche Statuen von Kleinkindern (Bild 23).
Bild 23. Der kindliche Herakles als Schlangentöter
Rom, Kapitolinische Museen. Photo: W. Wamser-Krasznai
Beim Erwachsenen ist das ebenso selten wie in unserer heutigen, ach so zivilisierten Welt. Wir begeben uns auf die Insel Samos und gehen weit zurück, in die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. (Bild 24). Da schuf der Künstler die Bronzestatuette eines zierlichen Mädchens und umkleidete den „ägyptischen Fuß“ mit einem geschlossenen Schuh. Dabei ließ er den Zehen ihre naturgegebene Freiheit, ohne sie gewaltsam in eine andere Form zu pressen.
Bild 24. Korenstatuette aus dem Heraion, um 550 v. Chr.
Bronze. Berlin, Altes Museum. Photo: W. Wamser-Krasznai
Nur – entspricht dies dem heutigen Schönheitsempfinden? Wohl kaum!
Eher könnten wir uns mit der Form des Sandalengefäßes (Bild 1) befreunden. Auch da liegen die Zehen, wir sagten es schon, bequem nebeneinander „wie die Orgelpfeifen“.
Es ist davon auszugehen, dass die antiken Künstler erstens ihre Anregungen aus dem Leben nahmen, und dass sie zweitens die kleineren und größeren Abweichungen von der physiologischen Norm in ihr und ihrer Zeitgenossen klassisch-hellenistisches Schönheitsideal aufnahmen. Weihgaben an die Gottheit oder gar Statuen von Göttern als unschön, hässlich, krankhaft darzustellen wäre verwerflich. Der Künstler hätte riskiert, nicht nur den Unmut der Gottheit hervorzurufen, sondern auch seine Auftraggeber zu verlieren. Die Wiedergabe verformter Füße wie im Fall von Hephaistos (Bild 20) stellt eine Ausnahme dar, die einen besonderen Gott auf besondere Art kennzeichnet[12]. So bleibt es nach allem, was wir gesehen haben, auch in der Antike bei der betrüblichen Tatsache: Wer schön sein will, muss leiden[13]. Um derart unangenehmen Wahrheiten zu entgehen, haben wir die Möglichkeit, das Symposion zu verlassen, nachdem wir uns die Schuhe haben bringen zu lassen[14], oder eleganter…
wir schnallen uns Flügel an die Füße und gehen in die Luft! (Bild 25)
Bild 25. Hermes mit geflügelten Schuhen, 500-490 v. Chr.
Nach Zanker 1965, 31 Taf. 5 a
Abgekürzt zitierte Literatur und Abbildungsnachweis:
Bieber 1941: M. Bieber, Ne supra crepidam sutor iudicaret, AJA 45, 1941, 62f.
Dohan Morrow 1985: K. Dohan Morrow, Greek Footwear and the Dating of Sculpture (Madison 1985)Bild 18
Karakasi 2001: K. Karakasi, Archaische Koren (München 2001) Bild 11
Lau 1967: O. Lau, Schuster und Schusterhandwerk in der griechisch-römischen Literatur und Kunst (Bonn 1967) Bild 22
LIMC IV 1988: LIMC IV (1988) 657 Nr. 18 a Taf. 405 s. v. Sethlans (I. Krauskopf) Bild 20
Martini 1990: W. Martini, Die archaische Plastik der Griechen (Darmstadt 1990) Bild 3. 10
Michler 1986: M. Michler, Zum Hallux valgus in der Antike, in: W. Blauth (Hrsg.), Hallux valgus (Berlin – Heidelberg 1986) 1-18
Richter 1968: G. M. A. Richter, Korai (London 1968) Bild 6. 15
Rössler – Rüther 2007: H. Rössler – W. Rüther, Orthopädie und Unfallchirurgie (München 2007) 331-333 Abb. 16.74 a und 16.76 a Bild 4. 12
Simon 1972: E. Simon, Das antike Theater (Heidelberg 1972)
Simon 1990: E. Simon, Die Götter der Römer (München 1990) Bild 16
Sprenger – Bartoloni 1977: M. Sprenger – G. Bartoloni, Die Etrusker. Kunst und Geschichte (München 1977) Bild 14
Wamser-Krasznai 2005: W. Wamser-Krasznai, Wer schön sein will, muss leiden…oder Glanz und Elend des menschlichen Fußes, Orthoprof. 4/2005, 5-9
Wamser-Krasznai 2013: W. Wamser-Krasznai, Hephaistos – ein hinkender Künstler und Gott, in: dies., Auf schmalem Pfad (Budapest 2013) 72-82.
Zanker 1965: P. Zanker, Wandel der Hermesgestalt in der attischen Vasenmalerei (Bonn 1965) Bild 25
[1] Michler 1986, 2.
[2] Griechischer Arzt, geb. ca. 130 n. Chr. in Pergamon, gest. nach 204 n. Chr. in Rom.
[3] Gal., De usu partium lib. III, c.8; Michler 1986, 3 Anm. 11.
[4] Plut. mor. conjung. praec. 141, 22.
[5] Homer, Od. 8, 310-311.
[6] Athen. Gelehrtenmahl 8, 338 a.
[7] Simon 1972, 23 f.
[8] Lau 1967, 128 f.
[9] Gal., De sanitate tuenda lib. V, 11.
[10] Dohan Morrow 1985, 183 mit Anm. 77. Eindrucksvolle Abbildung z. B. in: Pergamon. Panorama der antiken Metropole (Berlin 2011) 491 Nr. 4.3.
[11] Paedagogus XI, 11.
[12]Dazu: Wamser-Krasznai 2013, 72-82.
[13]Wamser-Krasznai 2005.
[14] Vorführungen durch Behinderte wurden von gewissen Zuschauern abgelehnt. Sie ließen sich „die Schuhe bringen“, um das Symposion zu verlassen, Pliniusbrief 9, 17.
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„Und was haben die im Krankenhaus gefunden?“ „Ja, die haben bei mir ein vegetarisches Nervensystem entdeckt!“
„Am meisten tun mir meine Kopfschmerzen immer im Kopf weh.“
„… und dann haben sie mir diese eigenartigen Kobold-Bestrahlungen gegeben.“
„Neulich haben sie beim Röntgenologen eine Monografie von meinem Busen gemacht!“
„Ich möchte einen Termin zu einer Krebsvorhersage!“
Eine alte Dame von etwa 70 Jahren: „In meinem Alter muss man damit rechnen, dass man immer älter wird.“
„Immer wenn ich mal schneller gehe oder Treppen steige, denke ich, es ist meine Harnblase.“
„Ich kann Ihnen mit gutem Gewissen sagen, dass es in meiner Familie keine Erbanlagen gibt.“
Aus: „Ich bin mit meinem Alter schon seit Jahren nicht mehr einverstanden! Stilblüten aus der ärztlichen Sprechstunde“, Sigurd Göttlicher, Erich Weiß Verlag, 2015
Mit freundlicher Genehmigung des Erich Weiß-Verlags, Bamberg
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Am Ende dieser Geschichte steht die Übersetzung von Dietrich Weller
PATIENCE
Many, many years ago, an old wise man was asked if patience gives one power. His answer was a tale about patience.
“Once upon a time by the banks of a small tributary of the Yellow river 河蒙西) a well known Sage was fishing. As in every refined tale it is the case, that a Sage is able to communicate with animals .Nearby the fisherman rested a large turtle. The turtle asked the fisherman again and again, the explanation of the patterns of its shell……..Your home – a shell – is your protection against all injuries. It has a pattern on it that describes your virtues. Your greatest virtue is the virtue of patience. This shell is a symbol of patience.
Humans protect themselves with clothes against the cold. If one puts on more clothes as the cold increases, then the cold will not be able to harm us. However, clothes do not protect us against wrongs, insults, or anger. In these instances when one encounters great wrongs, one should learn to be more patient .One puts on an imaginary shell thereby the insults will be unable to irritate our minds. By being patient a turtle, for example, overcomes storms. By being patient, man can master stormy times and adversities.
Clearly, patience is power.
Being patient is the ability to calmly see the accomplishment of one’s goals, not hastily or impertinently. Being patient doesn’t mean sitting around waiting for things to happen. Instead, it means to work hard as long as necessary without giving up until one attains ones goals. It is to be remembered that if one persist in one’s personal objectives, while enduring the necessary wait, one shall finally succeed. Silkworms make silk cocoons after getting their fill of mulberry leaves. Man, on the other hand, use the silk to weave gowns. In time and with patience the mulberry leaf eventually becomes a silk gown.
With patience, one learns to enjoy the process and the journey, rather than just keeping ones sights on the end result. By practicing fishing I grow to be patient“, concluded the Sage.
Author’s note
Patience is an English word meaning “the quality of being patient in suffering,“ originating from Latin „patientia“ (bearing hardship; endurance). The word “patience” has a double meaning as in suffering and endurance. It can apply to both patients and doctors alike.
A patient-patient bears hardship – with fortitude and calm and without complaint.A patient- physician practices – with patience, steady perseverance and even-tempered care.
A patient-physician has a virtue to listen to his patients and the willingness to suppress restlessness or annoyance when confronted with delays in protracted treatments.
Dr. med. André Simon © Copyright
Geduld
Von André Simon, übersetzt von Dietrich Weller
Vor vielen, vielen Jahren wurde ein weiser Mann gefragt, ob Geduld Kraft spende. Seine Antwort bestand in einer Fabel über Geduld.
„Es war einmal am Ufer eines Nebenflusses des Gelben Flusses ein sehr bekannter Weiser beim Angeln. Wie in jeder veredelten Fabel kann ein Weiser mit den Tieren sprechen. Neben dem Fischer ruhte sich eine Schildkröte aus. Die Schildkröte fragte den Fischer immer und immer wieder nach den Erklärungen für die Muster ihres Hauses.
Dein Haus – eine Muschel – ist dein Schutz gegen alle Verletzungen. Es trägt ein Muster, das deine Tugenden beschreibt. Deine größte Tugend ist Geduld. Dieses Haus ist ein Symbol für Geduld.
Menschen schützen sich mit Kleidern gegen die Kälte. Wenn man bei zunehmender Kälte mehr Kleider anzieht, kann uns die Kälte nichts anhaben. Gegen Verfehlungen, Beleidigungen und Wut schützen sie uns jedoch nicht. In diesen Fällen, wenn man große Verfehlungen erlebt, sollte man lernen geduldiger zu sein. Man zieht eine scheinbare Hülle an, wobei die Beleidigungen unseren Geist nicht mehr stören können. Durch Geduld übersteht eine Schildkröte Stürme. Durch Geduldigsein kann der Mensch stürmische Zeiten und Widrigkeiten meistern.
Ganz klar: Geduld bedeutet Kraft.
Geduldigsein ist die Fähigkeit, die Vollendung der eigenen Ziele zu beobachten, nicht hastig oder hartnäckig. Geduldigsein bedeutet nicht herumzusitzen und darauf zu warten, dass irgendwelche Dinge geschehen. Stattdessen bedeutet es, hart so lange zu arbeiten wie nötig, ohne aufzugeben, bis man seine Ziele erreicht hat.
Man muss sich klarmachen, dass man letztlich siegen wird, wenn man auf seine persönlichen Zielvorgaben besteht, während man die notwendige Wartezeit aushält. Seidenwürmer produzieren Seidenkokons, nachdem sie sich an Maulbeerblättern sattgegessen haben. Der Mensch andererseits nutzt die Seide, um Kleider zu weben. Mit der Zeit und mit Geduld wird das Maulbeerblatt schließlich zu einem Seidenkleid.
Mit Geduld lernt man den Vorgang und die Reise zu genießen statt die Blicke nur auf das Endresultat zu richten. Indem ich angle, wachse ich in die Geduld hinein!`“, schloss der Weise.
Bemerkung des Autors
Patience ist ein englisches Wort, das die Eigenschaft bezeichnet, geduldig im Leiden zu sein. Das stammt aus dem Lateinischen patientia: Ertragen von Not, Ausdauer. Es kann sich sowohl auf Patienten als auch auf Ärzte beziehen.
Ein geduldiger Patient erträgt Not – mit Stärke, Tapferkeit und Ruhe und ohne Klagen.
Ein geduldiger Arzt praktiziert mit Geduld, gleichmäßigem Beharrungsvermögen und ausgeglichener Stimmung.
Ein geduldiger Arzt hat die Tugend, seinem Patient zuzuhören und den Willen, Unruhe oder Verärgerung zu unterdrücken, wenn er mit Verzögerungen bei langwierigen Behandlungen konfrontiert wird.
Bemerkung des Übersetzers
Das lateinische Wort patientia ist abgeleitet vom Verb pati. Das bedeutet zulassen, dulden und erdulden, leiden und erleiden. Hier ist bereits die Doppelbedeutung enthalten, die aus dem (primären) passiven Leid die (sekundäre) aktive Eigenschaft des Verhaltens im Leid, nämlich das Erdulden, die Geduld, entwickelt. –
Das Verb pati ist transitiv/passiv, es gibt im Latein keine aktive Form des Leidens. Das zeigt, dass Leid als etwas Auferlegtes ertragen werden muss. Das verwandte Verb patere (mit langem e gesprochen) bedeutet offenstehen, offen sein, zulassen, offenbar sein. Daraus leitet sich der südländische Patio (= der offene Innenhof) ab.
Passus sum bedeutet wörtlich übersetzt: „Ich werde geleidet = mir wird Leid auferlegt“.
Diesen passiven Begriff kennen wir im Deutschen nicht, wir übersetzen ihn in das aktive „ich leide“.
Aus dem Wortstamm pati/passus hat sich auch der Begriff Passiv entwickelt: „es passiert mit mir“, dem das Aktive „ich mache etwas“ gegenübersteht.
Copyright Dr. Dietrich Weller