Monat: März 2017

  • Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi‘i Kadkani (Juli 1987)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Könnte man die Stimme sehen,
    was für Blumen,
    was für Blumen
    pflückte man bei jedem Lied
    im Garten deiner Stimme,
    könnte man die Stimme sehen…

    ۞۞۞

     

  • Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi‘i Kadkani

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Ich habe diesen Baum
    im Gange des Jahres
    in vier Kleidern gesehen und begutachtet.
    Viele Gedichte habe ich ebenfalls für ihn geschrieben:
    im Engelskleid des Schnees,
    in kurzen Ärmeln der Tage von Farvardin [1],
    im grenzenlosen Grün des Sommers
    wie ein zarter Seidenstoff,
    in den Winden wehend
    mit gelben und roten Seidenfasern des Herbstes.

    ۞

    In keinem Kleid kam er besser zur Geltung
    als im Moment der Erneuerung aus der Tiefe des Alterns,
    während der letzten Tage von Esfand [2],
    im erhabenen, ausdrucksvollen Kleid der Nacktheit.

    ۞۞۞

    [1] Farvardin (deutsche Schreibweise: Farwardin) ist der erste Monat des iranischen Sonnenjahres und fängt mit dem Beginn des Frühlings (normalerweise am 21. März) an.

    [2] Esfand ist der zwölfte und letzte Monat des iranischen Sonnenjahres und dauert von ca. 20. Februar bis 20. März.

     

  • Rahaavi *

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi‘i Kadkani (April 1993)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Die bescheidenste Äußerung eines Wunsches ist,
    dass dem Menschen Wasser und Brot zustehe
    und dann Gesang.
    Betrachte die Kanarienvögel,
    im Käfig,
    um wahrhaft zu begreifen,
    warum sie trotz ihrer Enge
    so fröhlich sind**.

    Das bescheidenste Bild eines Daseins ist:
    Wasser,
    Brot,
    Gesang,
    und wenn du mehr wünschst als das,
    ab und an
    Fliegen,
    und wenn du mehr wünschst als das,
    die Freude des Anfangens,
    (und wenn du
    noch mehr wünschst …
    soll ich offen sprechen?)

    Uns ist wegen Wasser und Brot
    hier eine solche Enge entstanden,
    dass niemand an Singen denken wird.
    Gibt es aber keinen Gesang,
    so wird es keine Sehnsucht geben zu fliegen.

    ۞۞۞

    Bemerkungen:

    (*) ‚Rahaavi‘ ist ein Modus der iranischen Musik.

    (**) Wörtliche Übersetzung: Warum es dennoch in ihrer Enge besonders süße Freuden gibt.

     

  •  

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi‘i Kadkani

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Der Tag bricht an, steh auf,
    sagt der Hahnenruf.
    Und lass los diesen Schlaf und diese Müdigkeit
    im Fluss der Nacht.
    Ein weiteres Mal mit lauter Stimme
    ruf in den Gassen
    nach den Trunkenen der Mitternacht,
    nach den Wissenden mit durstenden Lippen.
    Zerbrich den Schlaf der Fenster
    mit dem Schrei des Steins.
    Ein weiteres Mal mit Freude
    öffne die Tore der Nacht
    der Morgenröte entgegen.“

    Der Hahnenruf sagt:
    Stoß den Schrei der Leidenschaft aus.
    Reiß dem Gefängnis der Worte
    die Mauer und den Wall nieder.
    Und mach durch Gesang
    die Liebenden zu Gästen der Gassen.
    Setz der Brise den Sattel auf,
    um dieses Meer zu durchqueren.
    Und durch jene beiden Fenster des Tagesanbruchs hindurch,
    auf dem Gartenpfad der Trunkenheit,
    verwandle den morgendlichen Regen
    auf dem Ast der Akazie
    in den Spiegel des Gottes.“

    Betrachte die Blattknospen, diese Ehrwürdigen,
    da der fruchtlose gestrige Garten voller Schmutz
    jetzt junge Triebe hervorgebracht hat.
    Betrachte die wilden Rosen auf den Schultern der Mauern,
    durchmisch den Schlaf der Veilchen mit einer Melodie.
    Und gib der Erleuchtung der Morgenröte,
    in der Poesie des Baches,
    vom Sein, Dichten und Singen
    eine freundliche Deutung.

    Besing laut mit mir
    die Wachheit der Zeit.
    Und solltest du ein Mensch des Schlafes und der Schläfrigkeit sein,
    geh, leg den Kopf auf das Kissen,
    und lass mich allein.*

    ۞۞۞

    Bemerkung

    (*) Hier wird ein Vers des iranischen Dichters Molavi aus dem 13. Jahrhundert zitiert.

     

  • Lied der Prostituierten

     

    Ein Gedicht von Simin Behbahani (1927-2014)

    Auszugsweise Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Gib mir die Make-up-Dose
    damit ich meine Blässe farbenfroh mache.
    Gib mir das Öl
    damit ich mein Gesicht
    verwelkt von meiner Traurigkeit
    auffrische.

    Gib mir die Spitze
    damit ich in ihr meiner Nacktheit
    mehr Geltung verschaffe
    damit mein Kopf, meine Brust und mein Busen
    mehr Begierde und Leidenschaft erwecken.

     

    Gib mir den Kelch
    damit ich mich betrinke
    mein Elend belächle
    und diesem traurigen Gesicht
    eine frohe, verführerische Maske aufsetze.

    Ich habe viele Bekannten
    und bin doch einsam.
    Von keiner dieser Bekanntschaften
    ist Trost und Wohlwollen zu erwarten.
    Sie reden viel von Mitgefühl
    doch das verfliegt nach einer kurzen Weile.

    Oh, wer klopft da an der Tür?
    Mein Partner für den heutigen Abend kommt!
    Ach, du Leid, verlass mein Herz
    jetzt ist seine Freude an der Reihe.

     

    Meine Lippen, ihr Lügner und Betrüger
    verdeckt mein Leid mit einem Schleier
    voller Geheimnisse.
    Damit man mir paar Münzen mehr gibt
    lacht, küsst, liebkost, …

    ۞۞۞

     

  • Spiegel

    Eine iranische Weisheit

    (18.10.2009)

     

    Wenn dir der Spiegel
    dein wahres Gesicht zeigt
    zerbrich nicht den Spiegel
    ändere dich selbst

     

  • Frühlingsbrise

    (März 2010)

    Inspiriert durch Omar Khayyam (1048-1131) entstand der folgende Text.

     

    Liebkosen soll die Frühlingsbrise
    das zarte, liebliche Blumengesicht.
    Die grüne Zärtlichkeit der Wiese
    ergänze eine Schönheit, wie im Gedicht.
    Sprich nicht über das Gestrige,
    lass das Vergangene vergangen sein.
    Sei froh und genieße das Heutige,
    der Zauber kann bald verflogen sein.

    ۞۞۞

     

  •  

    Verse von Molawi (Dschalāl ad-Dīn Mohammad Balchi) (1207-1273)

    Sinngemäße Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Lege zwei Fingerspitzen auf beide Augen.
    Sei  gerecht, kannst du irgendetwas von der Welt sehen?
    Wenn du Nichts siehst,
    ist die Welt deshalb nicht verschwunden.
    Der Fehler liegt nur
    an deinen Unheil bringenden Fingerspitzen.

    ۞۞۞

     

  •  

    Ein Gedicht von Siavash Kasraii  (1927-1996)
    Freie Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

    An wem liegt es,
    wenn  keine Antwort aufkommt.
    Habe ich etwas versäumt,
    als ich die Botschaft aussprach,
    rein und anziehend,
    von dem harten Unternehmen sprechend,
    auf das glückliche Ergebnis hinweisend.
    Oder liegt es vielleicht an denen,
    die verzaubert und verliebt in den Boten
    das Antworten der Botschaft vergessen haben.

    ۞۞۞

     

  •  

    Ein Lied des zeitgenössischen iranischen Dichters und Liedermachers  Yaghma Golrouee
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar (Juni 2015)

    ۞۞۞

     

    allen Frauen meines Landes gewidmet

     

    Lustig, fröhlich und lachend sind wir
    obwohl wir im Kerker sind
    unser Weg versperrt
    unsere Beine erschöpft
    und doch sind wir voller Tatendrang und frohen Mutes

    Wir sind die Generation mit geballtem Aufschrei
    haben uns die Hände gereicht
    sind vom Blut umgeben
    aber wir wissen
    am Ende der Geschichte werden wir frei sein …

    Hundert Jahre sind wir eingesperrt gewesen
    wir bleiben nicht mehr hier
    werden zu Fenstern
    werden zu Kehlen
    singen das Gedicht der Erlösung.

    Wir sind die Generation mit geballtem Aufschrei
    haben uns die Hände gereicht
    sind vom Blut umgeben
    aber wir wissen
    am Ende der Geschichte werden wir frei sein …

    Wir teilen die gemeinsame Geschichte
    und das gemeinsame Leid
    sind einig in unserem Zorn
    Schulter an Schulter
    von Haus zu Haus
    folgen wir dem Traum

    Wir sind die Generation mit geballtem Aufschrei
    haben uns die Hände gereicht
    sind vom Blut umgeben
    aber wir wissen
    am Ende der Geschichte werden wir frei sein …

    ۞۞۞