Tag: 14. Mai 2018

  • Beitrag zur Lesung über „Inseln“ beim BDSÄ-Kongress in Wismar 2018

    Waltrud Wamser: Krasznai: Zehn Bücher für eine einsame Insel

    Im Religionsunterricht stellte uns der Pfarrer einmal die bekannte Aufgabe, zehn Bücher auszuwählen, die wir mit auf eine einsame Insel nehmen wollten. Um opportunistische Flunkereien von vornherein nicht ins Kraut schießen zu lassen, setzte er hinzu: „Die Bibel ist schon dort“. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir auf der Insel bleiben sollten, doch es ging um eine beachtliche Zeitspanne, die zu ertragen uns die mitgebrachten Bücher helfen sollten. Von meiner damaligen Wahl kann ich mich nur noch an mein Lieblings-Kinderbuch erinnern: Tamara Ramsay, „Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott“. Es waren drei Bände, die ich heute noch besitze und nicht aus der Hand gebe, aber wohl kaum mehr auf eine Insel mitnähme. Es geht darin um ein 12-jähriges Mädchen, dem in der Johannisnacht eine Blüte der „Rennefarre“, des Rainfarns, in den Schuh fällt. Daraufhin wird sie unsichtbar, versteht und spricht die Sprache der Tiere und steigt tief in die Geschichte ihrer brandenburgischen Heimat hinab. Mit 14 oder 15 Jahren sollten wir dann vor der Klasse  über ein Buch unserer Wahl referieren. Eigentlich hätte ich über das Dott-Alter hinaus sein müssen, doch voll kindlicher Begeisterung verfasste ich einen Bericht, der mir heute noch gefällt, über mein Lieblingsbuch. Viele Mitschüler werden es langweilig gefunden haben. Umso mehr erinnere ich mich der Anerkennung einer Klassenkameradin, die mir mit glänzenden Augen zu meinem Referat gratulierte; sie wurde später Journalistin. Mein Direktor jedoch, als er einmal Vorschläge aus Schülerkreisen zum Erwerb von Büchern für die Schulbibliothek haben wollte, blätterte in meiner „Dott“ und lehnte sie ab, mit der Begründung, die historischen Abenteuer spielten sich ja alle jenseits der Elbe ab! Wir waren schließlich hier im Wilden Westen und befanden uns im Kalten Krieg! Dabei stammte der Gestrenge selbst aus Berlin.

    Also, was würde ich heute mitnehmen?

    1. Karin Fossum, „Schwarze Sekunden“, einen norwegischen Krimi, der den Leser bis zum Schluss darüber im Unklaren lässt: Hat er oder hat er nicht – nämlich einen schwer Betrunkenen, der ihm hätte gefährlich werden können, betrunken wie er selbst war, zwischen Kopenhagen und Oslo über die Reling gestürzt, oder hat er ihn „nur“ nicht davor bewahrt, im Suff von selbst über die Reling zu fallen? Das ist lediglich ein Strang der Erzählung, ein Nebenschauplatz. Mein Taschenbuch mit dem äußerst spannenden Inhalt ist schon völlig zerlesen. Ich kann es nicht für einen ganzen Monat entbehren.
    2. Christine Brückner, Die Quints. Nein, nicht die früheren Poenichen-Bände, nur diesen, wegen der fesselnden Gestalt der „Madame seule“ und überraschenden Wendungen in den schlagfertigen Dialogen, mit denen die Hauptfigur in Gesprächen mit ihren Kindern und anderen Diskussionspartnern verblüfft.
    3. Elsa Morante, Navona mia – nein, nicht „Arturos Insel“, was doch nahe gelegen hätte – sondern eine Eloge an „ihre“ Piazza Navona, die nämlich die schönsten und berühmtesten Plätze der Welt weit in den Schatten stelle, z. B. den Campo in Siena, den Markusplatz in Venedig, den Roten Platz in Moskau. Morante lässt die konkurrierenden Plätze selbst sprechen, den Londoner Times Square mit seinem modernen Geist gegenüber der alt-ehrwürdigen Navona, oder di Piazza della Signoria in Florenz, gegen deren edle Statuen, das gibt die Autorin selbst zu, die „Kolosse von Navona“ einfach verblassen, oder die grün-goldenen Kuppeln im Zentrum von Isfahan. Unerschrocken legt Morante sich ins Zeug für einen Platz, auf dem sie sich zu Hause fühlt, wo sie aufatmet und wohin sie geht, wenn sie einfach nur eine Tasse Kaffee trinken will.
    4. -6.  Thomas Mann, Erzählungen (Wälsungenblut, Tonio Kröger, Die Betrogene). Hier kann ich Sie doch wohl Ihrem eigenen Urteil überlassen?
    • 7.-9. Marie-Luise Kaschnitz, „Lange Schatten“, eine anrührend altmodische Erzählung, die ich schätze wegen der brillanten Sprache und der ebenso knappen wie  glänzenden Schlusswendung, einer Gabe, mit der die Autorin auch anderen Erzählungen ihren besonderen Schliff verleiht, dem „Strohhalm“, den „Eisbären“ oder den „Gespenstern“. Die Kaschnitz, eine geborene Freiin von Holzing-Berstett aus Bollschweil im Breisgau, war mit dem Archäologen Guido von Kaschnitz-Weinberg verheiratet, der von 1953-1955 das Deutsche Archäologische Institut in Rom leitete. Während er bei seinen Kollegen außerordentlich beliebt war, galt seine Frau als schwierig und nahezu unsympathisch. Als ich das von Prof. Buchholz hörte, der zunächst als Patient zu mir kam und mich später um meine Mitarbeit bei seinen Zypern-Publikationen bat, war ich völlig entsetzt. Ich verehrte die Kaschnitz wegen ihres exzellenten Stils, und sie  gehört noch heute zu meinen literarischen Vorbildern. Buchholz wusste kaum etwas von den eigenen Leistungen der Professoren-Gattin und erkannte lediglich an, dass sie ihren Mann während seiner tödlichen Krankheit hingebungsvoll pflegte. Er hatte vermutlich nicht eine ihrer Erzählungen gelesen! Fragen kann ich ihn das jetzt nicht mehr.
    • 10. Ludwig Thoma, Käsebiers Italienreise, ein erheiterndes Kabinettstück voller Baedecker-Beflissenheit und bürgerlicher Halbbildung, über die am Ende kernige Bodenständigkeit und gesunder Menschenverstand triumphieren.

    Copyright Dr. Dr. Waltrud Wamser-Krasznai

  • Beitrag zur Lesung „Wenn die Liebe ruft“ beim BDSä-KOngress in Wismar 2018

     

    Waltrud Wamser-Krasznai: Die Liebe ruft

    Die Liebe ruft – was soll ich da nur machen?
    Was – bitte – habt Ihr Euch denn vorgestellt?
    Wir sind doch alte Leut‘, ist’s nicht zum Lachen,
    Wenn unsereins Verliebten sich gesellt?

    Ich bin, das habt Ihr schon erfahren,
    mehr von prosaischer Natur.
    Pack noch den „Fall“ beim Schopf in meinen Jahren,
    Asklepios hilft! Mit ihm gelingt es nur.

    Bisweilen aber regen sich die Triebe,
    Dann mein‘ ich grad, so schwer kann’s doch nicht sein.
    Dann reimt sich alles auf das Wörtchen Liebe,
    Juchhe! Ich bin im Alter nicht allein!

    Dann schmieg‘ ich mich an Deinen warmen Bauch,
    bis Sorgen und Probleme uns entflieh’n,
    bis ich verspür der Dichtung edlen Hauch,
    wenn freie Rhythmen durch die Seele zieh’n.

     

    Copyright Dr. Dr. Waltrud Wamser-Krasznai

     

  • Ein Beitrag von Dr. Helga Thomas zum Thema „Der Roboter im Menschen- der Mensch im Roboter“  beim BDSÄ-Kongress in Wismar 2018

    Warum ich gegen das Visualisieren bin
    Oder: Spiritueller Machtmissbrauch

    Heute wurde mir ein Gedanke geschenkt, einfach so, ich weiß nicht, von wem, er kam einfach angeflogen, wie ein Frühlingsvogel im Morgendämmern.  Ich las im Neuen Testament bei Matthäus (im Zusammenhang mit der Versuchung): „Da entrückte ihn der Widersacher in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach: Bist du der Sohn Gottes, so stürze dich in die Tiefe. Denn es heißt in der Schrift:“Seinen Engeln hat er dich anbefohlen, und sie werden dich auf ihren Händen tragen, so dass dein Fuß an keinen Stein stößt.“ Jesus sprach: Es heißt aber auch:“Du sollst die göttliche Macht, die dich führt, nicht deiner Willkür dienstbar machen.“

    Wie oft hätte ich diese Worte doch schon als Entgegnung gebrauchen können! Wieso sind sie mir nie eingefallen? Ich kenne den Text doch seit meiner Kindheit! Es geht z.B. um Parkplatzsuche, d.h. eben nicht Suche, der Parkplatz wird auf geistigem Wege einfach bestellt. Man steigt ins Auto und sagt seinemEngel, dass man da und da um die und die Zeit einen Parkplatz braucht. Der Fachausdruck dafür heisst: VISUALISIEREN! Man stellt sich möglichst konkret seinen Fahrweg vor bis zu dem Ort, wo einen dann ein leerer Parkplatz erwartet. Das Visualisieren kenne ich, aber nicht, weil ich mir einen Parkplatz bestellen will, sondern damit ich ja nicht vergesse, wohin ich jetzt fahren soll bzw will. Ich und mein Auto sind Gewohnheitstiere, wir fahren am liebsten den vertrauten, gewohnten Weg…. Aber leider führen nicht alle Wege nach Rom, bzw dorthin, wo ich erwartet werde.

    Mehrere Freunde, Bekannte, auch einige meiner Patienten schwören auf die Methode. Mir gefällt sie nicht (auch wenn ich gerne das Parkplatzsuchen vermeiden möchte), es ist mir zu manipulativ, zu egoistisch, ich empfinde es als spirituellen Machtmissbrauch!

    Ich entschloss mich, darüber zu schreiben (dann kann ich nächstes Mal, statt blöd und verstummt dazusitzen oder stammelnd nach Worten zu suchen, einfach mein kleines Essay überreichem). Da hatte ich ein Aha! Das wäre doch ein Text für Dietrich Weller, für  den diesjährigen BDSÄ-Kongress. Die Lesung, die er moderiert, trägt den Titel: „Der Mensch im Roboter, der Roboter im Menschen.“

    OK, das Thema betraf Roboter, nicht Schutzengel oder Heinzelmännchen und doch… Was wissen wir mit unserem ach so klaren, gut geschulten, naturwissenschaftlichen Verstand, welche Wesen in unseren Maschinen wirken!

    Doch zurück zur Parkplatzsuche. Mein Engel ist doch kein Roboter, der dazu da ist, meine Wünsche zu erfüllen? Er ist auch kein Befehlsempfänger, ja nicht einmal ein Untergebener oder Angestellter, der dafür bezahlt wird, dass er die von mir erteilten Aufträge erfüllt! Allenfalls ein guter Freund… Ja, ein guter Freund, das ist mein Engel, deshalb sage ich vielleicht – wenn es ganz wichtig ist, auch objektiv – bitte hilf mir, schnell einen Parkplatz zu finden ( es muss ja nicht unbedingt mein Engel sein, es kann auch ein genius loci sein oder sonst ein Elementarwesen von dem Ort). Ganz gleich, wer mir nun schlussendlich hilft, Höflichkeit und Dankbarkeit sind doch eigentlich nie fehl am Platz. Höchstens dann, wenn sie gespielt und heuchlerisch sind.

    Was anderes scheint mir viel wichtiger: Wenn werden wir zu einem Roboter? Das ist unbedingt das Thema, aber… ich merke, ich möchte es aufschieben, es wird zu viel. Nicht unbedingt umfangmässig, aber gefühlsmässig. Der Preis für das Roboter-Sein ist zu hoch: das Abspalten der eigenen Gefühle, sich selbst und

    die Umwelt belügen. Mir ist eine Geschichte eingefallen… vielleicht sprenge ich jetzt den Rahmen der Lesung und mache einen Kompromissvorschlag: wenn ich mehr Zeit zur Verfügung habe als acht Minuten, dann werde ich diese Geschichte erzählen. Es fällt mir auch leichter, etwas Grausames rasch zu berichten und nicht durch meine Worte, die ich aufschreibe noch zu fixieren. Es handelt sich um ein Ergebnis der frühkindlichen Erziehung auf dem Boden der Naziideologie.

    Es ist gut, das ich mich mit dem Bericht jetzt nicht aufgehalten habe, denn ich muss unbedingt eine Fortsetzung erzählen von einer meiner Parkplatzbestellenden Patientinnen. Ihr sind selbst Zweifel gekommen,sie ist jetzt nicht mehr so fraglos überzeugt von ihrer Methode. Und zwar kam das durch folgende Ereignisse:

    Als sie nach der Therapiesitzung zu ihrem (natürlich vorher bestellten) Parkplatz kam, hatte sie einen Strafzettel. In ihrer anmassenden selbstverständlichen von sich überzeugten Haltung war sie auf den (einzigen) freien Parkplatz gefahren, ohne das Hinweisschild zu beachten, dass für einen bestimmten Zeitraum die Dauer der Parkplatzbenutzung geändert war! Meine sanfte Nachfrage, ob ihr das nicht zu denken gäbe, verneinte sie, lachend und mit energischem Kopfschüttelm: Meine Unaufmerksamkeit hat doch nichts mit meinem Engel zu tun. Stimmt eigentlich, dachte ich und schwieg. Diesmal rief sie mich nach der Stunde weinend an, ob sie noch mal kommen könne, sie muss die Polizei anrufen und beim Handy ist der Akku leer. Ich war erschrocken. Sie hatte sich – wieder der einzige freie Parkplatz – unter einen Baum gestellt und bei der kurzfristig auftretenden Sturmböe war ein mehr als armdicker Ast auf ihr Autodach gefallen… Totalschaden, zumindest bei der Karosserie. Dieses Erlebnis verursachte eine Wende in der therapeutischen Arbeit… und während ich das jetzt schreibend erzähle, denke ich: Vielleicht hatte da ihr Engel seine Finger oder Flügel im Spiel gehabt!

     

    Copyright Dr. Helga Thomas

  • Beitrag zur Lesung über „Der Mensch im Roboter, der Roboter im Menschen“ beim BDSÄ-Kongress in Wismar 2018

    Waltrud Wamser-Krasznai: Der Roboter im Menschen – Zwei Fälle

     

    Computerassistierte Operation, der Fall M. 

    Robodoc ist bzw. war ein Gerät für die computergestützte Fräsung und Implantation von Hüftgelenksendoprothesen. Nach der Einführung des Geräts kam es zu einer höheren Komplikationsrate als bei der herkömmlichen Methode. Es entstanden häufiger bleibende Schäden am Glutäus maximus und medius sowie an den zugehörigen Nervenbahnen. Klagen auf Schmerzensgeld wurden abgewiesen (2006). Weitere sind noch anhängig. Meine damals 69 jährige Patientin, der die Klinik zu einer computerassistierten Operation geraten hatte, erlitt eine massive Schädigung des Musculus Glutäus medius. Zwar wurde sie schmerzfrei, behielt aber eine schwere Gangstörung mit rechtsseitigem Hinken. Auch ihre Klage wurde abgewiesen. Irgendwann verlor sie die Kraft und die Lust, weiter zu prozessieren. Ihr Gang ist schauderhaft, aber sie hält sich mit ihren jetzt 81 Jahren wacker, betätigt sich in vielen Vereinen und sieht einen mittelmäßigen Trost darin, wenigstens nicht an großen Schmerzen zu leiden.

    Spaziergang mit schweren Folgen, der Fall B.

    Ein sportliches junges Mädchen, Medizinstudentin, macht mit ihrem Freund einen verliebten nächtlichen Spaziergang über eine Wiese mit grasenden Pferden. Sie nähert sich einem Pferd von hinten, dieses erschrickt und tritt aus. Der Hinterhuf trifft sie am rechten Unterschenkel und sie erleidet eine komplizierte Fraktur. Drei Tage später stellt sich eine lebensbedrohliche Gasbrand-Infektion ein, die nur durch eine Oberschenkelamputation zu beherrschen ist. Die psychischen Folgen sind ebenso verheerend wie die körperlichen – ihr Freund verlässt sie, in der Familie herrscht Katastrophenstimmung, Kommilitonen, Bekannte und Unbekannte triefen vor Mitleid. Sie hat überlebt, steht das durch und nimmt ihr Leben mutig in die Hand. Wie viele Prothesen sie ertrug und noch erduldet, kann nicht einmal ich, die ich ihr die meisten davon verordnet habe, zusammenaddieren. Sie bewältigt ihr Studium, absolviert nach einer kurzen Ehe eine Facharztausbildung und versorgt bis zu ihrem 60. Lebensjahr eine Schar zufriedener Patienten. Dabei übertrifft sie die meisten ihrer Altersgenossen an Aktivität, reist in der ganzen Welt umher, tanzt,  engagiert und verliebt sich immer wieder aufs Neue. Aber  die Medaille hat ihre zwei Seiten. Fehlstatik, chronische Überlastung des inzwischen teilweise  ersetzten Kniegelenks, Lumbalgien, schmerzhafter Reizzustand des linken Iliosacralgelenks sind ebenso an der Tagesordnung wie Phantomschmerz, Stumpfbeschwerden, Wundscheuern und Ekzem. Ihre Weltsicht ist pessimistisch, mit Phasen, in denen sie zwar Fremden gegenüber all ihre Liebenswürdigkeit entfaltet, ihren Nächsten jedoch mit Ungeduld und Besserwisserei, Aggression und depressiven Verstimmungen begegnet. Bisweilen steigert sie sich in einen regelrechten Verfolgungswahn hinein, kurz, ihre Seele ist schwer verwundet. Das war auch durch Roboter, sprich bionische / myoelektrische Prothesen mit ihrem exorbitanten Preis und Wartungsaufwand  bedauerlicherweise nicht zu verhindern.

    Copyright Dr. Wamser-Krasznai

     

  •  Beitrag für den BDSÄ-Kongress in Wismar zum Thema „Inseln“ am 09. Mai 2017

    Unsere Inseln

    Vor vielen Jahren habe ich gelesen, ein Paar brauche zum Gelingen der Partnerschaft drei Inseln: Eine Insel für den Mann, eine Insel für die Frau und eine Insel für beide zusammen.

    Unsere Insel heißt Freitag. Und das kam so.

    Am Anfang unserer Partnerschaft, als ich noch Geschäftsführer zweier GmbHs war, sollte ich manchmal einen Geschäftstermin am Abend wahrnehmen. Birgit schlug deshalb vor, dass wir uns auf einen Abend in der Woche einigen, der uns gehört und an dem deshalb keine beruflichen Termine vereinbart werden. Die Idee gefiel mir sehr gut.

    Da ich Birgit offensichtlich noch nicht gut genug kannte, schlug ich den Montag vor. An ihr verwundert-ärgerliches Gesicht kann ich mich gut erinnern: „Wie kannst du den schlechtesten Tag der Woche dafür auswählen?! Der beste Tag ist der Freitag. Denn da ist die Arbeitswoche vorbei, und ich kann entspannen!“

    Seither ist der Freitagabend für Birgit und mich für Termine ohne Birgit tabu. An diesen Abenden bleiben wir zuhause oder gehen in unser kleines Lieblingslokal, wo wir uns bei einem guten Essen in Ruhe unterhalten können. So manches aus der Woche soll besprochen, erzählt, beschlossen werden. Manchmal verbringen wir diesen Abend auch mit Freunden. Und wir genießen die Gemeinsamkeit und Vertrautheit.

    Aber ich muss gestehen, dass ich seit meiner Tätigkeit in der Notfallpraxis auch mit Birgits Einverständnis immer wieder Freitags-Nachtdienste angenommen habe. Das war nicht gut, und wir haben bald gemerkt, dass wir zu unserer ursprünglichen Vereinbarung zurückkehren sollten.

    Jetzt meide ich diese Dienste und gebe sie an interessierte Kollegen ab oder tausche sie gegen einen anderen Tag.

    Zum Thema Insel fällt mir auch ein, dass wir mehrfach auf Inseln Urlaub gemacht haben, Zypern und Madeira sind nur zwei Beispiele. Inzwischen haben wir UNSERE Insel gefunden. Auf Sylt fühlen wir uns am wohlsten. Dort kennen wir ein sehr gepflegtes kleines Appartementhotel an der Südspitze im letzten Haus in der letzten Straße mit unverbaubarem Blick auf die Heidelandschaft und aufs Meer. In wenigen Minuten sind wir auf der kleinen Einkaufstraße, wo der Bäcker die besten Frühstücksbrötchen und der EDEKA gute Weine und frische Nahrungsmittel anbietet. Und nach Westen, Süden und Osten sind wir nach fünf Minuten am Strand, wo wir stundenlang in der Brise spazieren gehen können. Die Landschaft, die Pflanzen, das Wetter und Birgit sind unerschöpfliche Fotomotive. Wir fühlen uns in einer wohltuenden Ruhe eingebettet. Wenn wir abends auf der Terrasse bei einem Glas Wein sitzen, die Sterne funkeln sehen und die Grillen zirpen hören, wenn wir am Horizont die Lichter eines vorbeifahrenden Schiffes beobachten, dann ist das unser herrlichstes Fern-Sehprogramm.

    Und das Allerschönste: Für uns ist in Sylt jeder Tag Freitag.

    Als wir zuletzt auf Sylt waren, schrieb ich meinem Freund Jürgen, wir seien auf DER Insel. Lakonisch wie wir ihn kennen, schrieb er knapp zurück: „DIE Insel heißt Rügen.“

    Da ich noch nie dort war und Jürgen vertraue, möchte ich einmal mit Birgit auf Rügen Ferien machen. Aber nur wenn dort auch jeden Tag Freitag ist.

    Copyright Dietrich Weller

  • Mein Beitrag zur Lesung von Klaus Kayser Freie Themen
    beim BDSÄ-Kongress in Wismar, 11.05.2018 um 18.30 h im Rathaussaal

     

    Die westliche Finanzpolitik

    Die seit dem 2. Weltkrieg bestehende westliche Finanzordnung halte ich für dringend reformbedürftig. Sie basiert auf Entscheidungen weniger Finanzmagnaten, die während des Krieges und nach den Beschlüssen 1944 in Bretton Woods, New Hampshire, begannen, die Finanzpolitik im US-amerikanischen Sinn mit einem Wechselkurssystem mit Bindung des US-Dollars an Gold als Grundlage der Wirtschaft zu steuern.

    Die wichtigste US-Bank, die Federal Reserve Bank (FED), ist nicht federal (bundesstaatlich), sondern immer noch in privater Hand! Die FED hat seit ihrer Gründung 1913 als einzige Bank das Recht, ohne demokratische Kontrolle und ohne rechtliche Einschränkung US-Dollars zu schaffen. Die Eigentümer können sich nach Belieben bereichern. Da die Dollarmenge nach 1944 rasch zunahm –im Gegensatz zur Menge des geschürften Goldes-, war der Dollar bald nicht mehr ausreichend gedeckt. Deshalb beendete Nixon am 15.08.1971 die Gold-Dollar-Bindung.

    Die Aufhebung der freien Wechselkurse 1973 brachte das Weltwirtschaftssystem in große Gefahr. Deshalb beschlossen die USA Mitte der 70-er-Jahre mit den Saudis, dass Öl im Rahmen der OPEC nur noch in US-Dollars gehandelt wird und die saudiarabischen Überschüsse ausschließlich in US-Staatsanleihen angelegt werden. Im Gegenzug garantiert die US-Regierung den Saudis bis heute(!) unbegrenzte Waffenlieferungen, Schutz vor seinen Feinden und seinen Untertanen(!).

    Vor diesem Hintergrund ist leicht zu verstehen, warum Donald Trump seine erste Auslandsreise als US-Präsident nach Saudi-Arabien machte, sich ganz offensichtlich bei den Diktatoren sehr wohl fühlte, und den fünfzig arabischen Herrschern, die zu dem Besuch eingeladen waren, in Riad am 22. Mai 2017 zusagte: „Wir erleben hier eine völlig neue Ausrichtung amerikanischer Außenpolitik. Es handelt sich hier um eine Rückkehr zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten.“

    Das war ein Freibrief für die weitere Missachtung der Menschenrechte im arabischen Raum. Trump erwähnte die Menschenrechte mit keinem Wort. Sie sind ihm selbst ein Dorn im Auge. Diktatoren ziehen Möchte-gern-Diktatoren an.

    Der IWF, der Weltbank und schließlich die EZB haben das Ziel, die USA als weltweit einzige(!) wirtschaftliche und militärische Supermacht zu sichern. Das US-Militärbudget (700 Mrd. Dollar) ist zehnmal so groß wie das russische mit 70 Mrd. Dollar. Die USA unterhalten weltweit in 130 Ländern Militärbasen, Russland nur eine (in Syrien).

    Rhetorische Frage: Wer muss da vor wem Angst haben?

    America first ist nicht nur der Wahlspruch eines Präsidenten, den ein Großteil der Weltbevölkerung für schwer persönlichkeitsgestört und friedensgefährdend hält. America first ist auch das Credo der imperialistischen Militär-, Finanz- und Wirtschaftspolitik, die mit dem Ziel der rücksichtslosen Gewinn- und Machtmaximierung die Politik längst steuert.

    Ein wesentliches Werkzeug der Finanzindustrie besteht darin, Gewinn bringende Finanzprodukte zu entwickeln und zu verkaufen. Nach der geplatzten Immobilienblase in den USA wurden Politiker von den Banken dazu gezwungen, das Bankensystem als too big to fail  oder als systemrelevant zu bezeichnen. Banken dürfen also nicht pleitegehen. Sie müssen gerettet werden. Angeblich zu unser aller Nutzen. Und wie werden sie gerettet? Mit Steuergeldern. Will der Staat wirklich nur unser Bestes? Ja, unser Geld.

    Nachdem Staaten wie Argentinien unter dem rigorosen Spardiktat des IWF (damals Leitung Horst Köhler!) und Jugoslawien, Griechenland, Island, Irland unter dem Spardiktat der Troika aus IWF, Weltbank und EZB leiden, sind die Menschen durch massive Einschränkungen im Gesundheitswesen und im sozialen und wirtschaftlichen Leben massiv beeinträchtigt. Ein paar Stichworte: Reduzierung der Renten, Erhöhung des Rentenalters, verteuerte Medikamente, unbezahlbare oder weit aufgeschobene Operationen, Einschränkung oder Streichen sozialer Erleichterung wie Altersversorgung, Kindererziehung, Schulbetrieb, Steuersenkung für Unternehmer, Steuererhöhung für Privatleute, Wegfall von sozialem Schutz der Arbeitnehmer …

    Das alles sei notwendig (die Not wendend!), um die Schulden zurückzuzahlen und die Wirtschaft anzukurbeln. Tatsache ist, dass die offizielle Politik der Länder von wenigen Bankchefs diktiert wird. Sie lassen die Länder durch großzügige Kredite in die Schuldenfalle laufen und übernehmen dann gewinnbringend das Spardiktat.

    Drei Beispiele:

    1. Die Oligarchen, die nach Zusammenbruch der Sowjetunion bei der Privatisierung der bankrotten Wirtschaftsbetriebe ein gigantisches Vermögen gemacht haben.
    2. Die Treuhand unter Horst Köhler hat nach der Wende deutsche Banken und Privatinvestoren reich gemacht. Die Deutsche Bank hat z.B. alle DDR–Bankfilialen kostenlos(!) übernommen.
    3. Durch das Zypern-Programm verloren 60.000 Anleger bis zu 80% ihres Vermögens.[1]

    Die acht reichsten Menschen der Welt besaßen 2016 zusammen 426 Mrd. US-Dollar, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, das sind 3,6 Mrd. Menschen, gemeinsam lediglich 409 Mrd. Dollar besitzt.[2] Inzwischen (in 1 Jahr!) hat das Vermögen der acht reichsten Menschen um 56,6 %(!!) auf 667,4 Mrd. US-Dollar zugenommen. 82 Prozent des weltweiten Vermögenswachstums 2017 ging an das reichste eine Prozent der Bevölkerung. Das reichste eine Prozent in Deutschland besitzt ein Drittel der deutschen Vermögen.

    Die Banken haben aus den Pleiten der Länder neue Foltermethoden für Schuldnerstaaten gelernt.

    Ein Beispiel: Unter Bail-Out[3] versteht man die Rettung zahlungsunfähiger Banken mit Steuergeldern. Das ist schon lange praktizierte Methode. Die Bank für internationale Zusammenarbeit hat in ihrem Weißbuch 2010 erstmals ein neues Modell vorgestellt, das sie Bail-In nannte: Es schlägt die Beteiligung von Anteilseignern und Gläubigern einer Bank an ihren Verlusten vor.

    Im Klartext: Wenn eine Bank pleitezugehen droht, werden die Bankkunden direkt und nicht über den Umweg der Staatskasse geschröpft. Diese Idee wurde sofort vom Financial Stability Board (FSB) aufgegriffen. Mario Draghi schlug damals vor, „neue Firmenanteile in einem beschleunigten Verfahren ohne Zustimmung der Aktionäre auszugeben“ und „das Vorkaufsrecht von Anteilseignern an der auszulösenden Firma außer Kraft zu setzen.“

    Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma gab am 01.09.2011 eine entsprechende „Änderung der Sanierungsbestimmung“ bekannt.

    Der IWF veröffentlichte am 24.04.2012 das Papier „Vom Bail-Out zu Bail-In“: Das war ein ausgefeilter Plan zur Massen-Enteignung von Einlegern, Kleinaktionären und Inhabern von Schuldverschreibungen unter dem zynischen Vorwand „Steuerzahler vor der Belastung durch Bankenverluste“ zu schützen.

    Auf eine Anfrage bei „meiner“ Commerzbank, ob das auch für deutsche Bankkunden gilt, erhielt ich am 08.02.2018 folgende Antwort: „Das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) vom 01.01.2015 sieht … die Möglichkeit vor, dass nach den Inhabern einer Bank auch Gläubiger einer Bank an den Verlusten einer abzuwickelnden Bank beteiligt werden können, falls unter anderem der Verlustbeitrag der Inhaber der Bank nicht ausreichen sollte.[4] 

    Mit gesundem Menschenverstand denkt man, der Grundsatz des Verursacherprinzips bei Schadensfällen gelte auch in der Bank. Das ist ein schwerer Denkfehler! Weder der Banker noch die Bank haften. Der Kunde bezahlt den Schaden zuerst mit der Stabilisierungsabgabe. Und wenn das Geld der Kunden nicht ausreicht, springt der Staat ein. Mit Steuergeldern, also mit dem Geld, das der Kunde schon abgeführt hat!

    Der Banker haftet nur, wenn er betrogen hat, aber nicht, wenn er mit legalen Geschäften Verluste bewirkt hat. Ich erinnere mich sehr gut an das Schulterzucken meines Bankberaters, als ich sagte, dass er mir vor ein paar Jahren genau diese Aktien empfohlen hat, die jetzt wertlos sind. – „Pech gehabt“, meinte er.

    Zynisch kann man sagen: Es ist ein Fehler des Kunden, sein Geld der Bank anzuvertrauen. Deshalb bezahlt der Kunde auch den daraus folgenden Schaden.

    Was kann man gegen dieses Finanzdiktat tun?[5]

    Mein 1. Wunsch: Das Eigenkapital der Banken muss erhöht werden. Die meisten Banken waren mit einem Eigenkapital unter 10% gegen eine Pleite gesichert. Sie sollen nach dem Basel-III-Abkommen vom 12.09.2010 mindestens einen Eigenkapitalanteil von 30% erreichen.

    Mein 2. Wunsch: Es sollte Banken verboten werden, Eigenhandel mit Wertpapieren und Leerkäufe zu tätigen. Leerverkäufe sind Handel mit Papieren, die man nicht hat.

    Mein 3. Wunsch: Die Banken müssen streng von unabhängigen Fachleuten kontrolliert werden, die demokratisch gewählt werden. Bis jetzt wird das Bankwesen kontrolliert von eigenen Leuten, die ohne demokratische Legitimation ernannt werden.

    Mein 4. Wunsch: Banken müssen wie jeder andere Wirtschaftsbereich auch pleitegehen können. Nur so kann man vermeiden, dass Verluste zu Lasten der Gemeinschaft und Gewinne zum Vorteil der Banker gehen. Bankbilanzen müssen gesellschaftsverträglich sein wie bei jedem Wirtschaftsbetrieb.

    Mein 5. Wunsch: Das Geld der Sparer muss getrennt sein vom Handel mit Geld. Sonst wird das gesparte Geld der Bankkunden für eine Querfinanzierung benutzt. Dann ist die Gefahr sehr groß, dass das Ersparte verloren geht.

     

    [1] Lesen Sie die Geschichte der Finanzen in Ernst Wolff: Weltmacht IWF. Chronik eines Raubzugs, Textum Sachbuch.

    [2] Oxfam-Bericht 2017

    [3] to bail out: ausschöpfen, aus der Patsche helfen, mit einer Bürgschaft herausholen. Bail bedeutet auch Bürgschaft.

    [4] Fortsetzung des Textes: Darüber hinaus ist die Commerzbank AG Mitglied des Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken e.V, einer privatrechtlichen, staatlich nicht beaufsichtigten Einrichtung der privaten Banken. Der Einlagensicherungsfonds fungiert als Anschlussdeckung zur gesetzlichen Entschädigungseinrichtung bis zu der nach seinem Statut festgelegten Sicherungsgrenze. Auf der Basis des festgelegten Jahresabschlusses zum 31. 12.2916 beträgt die aktuelle Sicherungsgrenze je Gläubiger 5.095.000.000 Euro.“

    [5] Werner, Weik und Friedrich, Sonst knallt´s, edition eichborn

    Copyright Dr. Dietrich Weller

  • Ein Beitrag zur Lesung Der Roboter im Menschen – der Mensch im Roboter
    Wismar 2018  

    Roboter lernen ohne Menschen schneller und können deshalb gefährlich werden

    Go ist ein strategisches Umzingelungsspiel für zwei Spieler, gilt als das komplexeste Brettspiel und ist wesentlich schwieriger als Schach. Das Spiel stammt ursprünglich aus China und wurde bereits im 4. Jhd. vor Christus beschrieben. Das Spielfeld besteht aus 19 horizontalen und 19 vertikalen Linien, die ein Gitter von 19×19 = 361 Schnittpunkten bilden. Auf diese Punkte werden die 181 weißen und 181 schwarzen Steine gesetzt. Bei dem Spiel müssen Gebiete umzingelt werden. Es ist dem Gedanken nach ein Lebens- und Militärspiel. Wichtige Fachbegriffe sind zum Beispiel Selbstmord, Leben und Tod, Angriff und Verteidigung.

    Es war immer klar, dass ein Computer nie besser Go spielen können wird als ein guter Go-Spieler. Der Spieler braucht zum Erfolg auch Intuition, das hat der Computer nicht. Aber 1997 schlug der Schachcomputer DeepBlue den langjährigen Schachweltmeister Kasparov unter Turnierbedingungen. Das war eine Herausforderung für die Computerspezialisten, die sich mit künstlicher Intelligenz und Go beschäftigten.

    Die Sensation gelang, als 2015 ein Computer mit dem Namen AlphaGo einen damals weltbesten Go-Spieler mit 4:1 vom Brett fegte und zeigte, dass ein gut trainierter Computer besser Go spielt als ein Champion. Aber AlphaGo war kein normaler PC, sondern aus mächtiger Hardware und frei zusammenarbeitenden Softwaresystemen gebaut, zwei davon waren neuronale Netze, also unserem Hirn ähnlich konstruiert. Diese Netze haben einen gigantischen Vorteil gegenüber einem normalen Computer: Sie können lernen.

    AlphaGo lernte zuerst zehntausende historische Go-Partien und spielte dann gegen sich selbst, bis er das Go-Genie Lee Sedol demütigte. Anfang 2017 trat die neue Version AlphaGo-Master gegen eine Reihe der weltbesten Go-Spieler an und gewann 60:0.

    Am 19.10.2017 berichtete Nature über die Neuentwicklung AlphaGo-Zero, die mit nur einem neuronalen Netzwerk auskommt. Man brachte ihm nur die Spielregeln bei. Binnen drei Tagen spielte AlphaGo-Zero 4,9 Millionen Partien gegen sich selbst. Es lernt aus seinen Fehlern und zwar auf beiden Seiten des Spielbretts. Danach trat AlphaGo-Zero gegen den älteren „Bruder“ AlphaGo an, der Lee Sedol geschlagen hatte. Der Autodidakt AlphaGo-Zero gewann 100:0.

    Dann trainierte AlphaGo-Zero 45 Tage lang und trat dann gegen AlphaGo-Master an, das System, das noch Monate zuvor mehrere der weltbesten Spieler vernichtend geschlagen hatte. Jetzt gewann das selbst lernende System, das ohne menschliche Hilfe trainiert hatte, mit 89:11.

    Ke Jie, der derzeitige Go-Weltmeister, hatte gegen AlphaGo-Zeros Vorgängerversion verloren und sagte hinterher, die Software habe noch wie ein Mensch gespielt, nun aber habe sie sich in einen Go-Gott verwandelt, aber eben in einen Gott mit menschlichen Lehrmeistern. Der neue Go-Gott braucht keine Lehrmeister mehr.

    Warum erkläre ich das so ausführlich?

    Es ist jetzt bewiesen, dass Computer allein lernen können und nicht mehr vom Menschen abhängig sind, wenn sie die Grundfunktion können.

    Ich denke, es ist keine Hellseherei, wenn wir davon ausgehen, dass neuronale Netze in Zukunft eine Vielzahl von Problemen lernen und lösen werden, an der die Menschheit bis jetzt gescheitert ist. Beispiel sind leicht aufzuzählen: Krebstherapien, Bilderkennung, Übersetzungen mit Sinnerkennung, Entwicklung von neuen Werkstoffen oder Medikamenten. Das Problem, die Aufgabe muss dem PC nur ausreichend klar geschildert werden. Vielleicht verstehen wir die Lösungen nicht mehr, auch wenn sie funktionieren.

    Die künstliche Intelligenz kann inzwischen jede menschliche Stimme täuschend echt nachahmen. Das kann zum Beispiel in einem Pflegeroboter genützt werden, der mit dem Kranken in der Stimme spricht, die ihm ein vertrautes Gefühl gibt.

    Wenn die Stimme aber identisch der originalen Stimme nachkonstruiert wird, kann ein Frequenzanalysator die echte nicht mehr von der gefälschten Stimme unterscheiden. Alles, was telefonisch erledigt oder mitgeteilt werden kann, ist dann mögliches Objekt von Fälschung. Der Roboter kann mit dieser Stimme kriminelle oder segensreiche Dinge vollbringen.

    Wenn man diesem Computer z.B. militärische Aufgaben stellt, kann er Lösungen finden.

    Das ist gar nicht so weit entfernt! „Der Kalte Krieg ist vorbei“, sagte Putin im Deutschen Bundestag am 9.12.2001 in seiner überwiegend in Deutsch gehaltenen Rede. Der Westen behandelte Russland aber weiter als Unterlegenen. Das ist ein Beweis, dass der kalte Krieg in den westlichen Köpfen noch genauso besteht wie die Mauer zwischen Ost und West. Wenn das Feindbild aufgelöst wäre, hätte der Westen mit dem Osten eine Partnerschaft auf Augenhöhe entwickeln können. Aber der Westen baute die NATO weiter aus, obwohl den Russen offiziell von den westlichen Regierungschefs, allen voran von Helmut Kohl und George Bush, mehrfach versprochen war, nach der Wiedervereinigung Deutschlands die NATO nicht nach Osten zu erweitern.

    Putin hat in seiner Rede der Nation am 04.03.2018 bekannt gegeben, dass Russland inzwischen über Lenkwaffen verfügt, die mit mehr als fünffacher Überschallgeschwindigkeit und atomarem Antrieb praktisch unbegrenzte Reichweite haben und jeden Radarschirm auch mit der extrem hohen Geschwindigkeit so lange unentdeckt umfliegen können, bis sie ihr Ziel erreichen. Diese Waffen sind für bisherige Abwehrtechniken nicht erreichbar, weil sie zu schnell sind. Putin legte Wert auf die Feststellung, dass er diese Waffen nur einsetzen werde, wenn Russland angegriffen wird. Die Aufrüstung geht weiter.

    Ich gehe davon aus, dass die Koordinaten von Ramstein in der Pfalz und Stuttgart bereits als erste Ziele in den Steuerungsinstrumenten der russischen Raketen eingegeben sind.

    Ramstein Air Base ist die personalmäßig größte Einrichtung der US-Luftwaffe außerhalb der Vereinigten Staaten und das Hauptquartier der US-Luftwaffe für Europa und Afrika sowie das Hauptquartier der NATO-Kommandobehörde zur Führung von Luftstreitkräften. Von dort werden u.a. die Planung und Steuerung der Kampfdrohnen-Einsätze gegen Terroristen im Irak, Afghanistan, Somalia, Jemen sowie die Drohnenangriffe in Pakistan koordiniert. In Ramstein waren US-Atomwaffen gelagert, die angeblich 2005 abgezogen wurden.

    Die US-Luftwaffe nutzt den Stützpunkt hauptsächlich als europäische Drehscheibe für Fracht- und Truppentransporte und als Ziel von Evakuierungsflügen, da sich im nahen Landstuhl das größte US-Lazarett außerhalb der USA befindet.

    In den Patch-Barracks in Stuttgart ist die Europäische Kommandozentrale der US-Streitkräfte stationiert, von wo z.B. die Operation Enduring Freedom (also der Krieg gegen den Terrorismus in Afghanistan, Afrika, und auf den Philippinen), der Krieg in Somalia und die Luftoperationen am Anfang des Kosovokriegs gesteuert wurden und die US-Streitkräfte in Osteuropa gelenkt werden.

    Für die etwa 1700 km von der russischen Grenze nach Deutschland braucht eine Rakete bei fünffacher Schallgeschwindigkeit etwa eine viertel Stunde.

    Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Roboter lernen, den Menschen als Entscheidungsträger auszuschalten. Sie werden sachliche Entscheidungen treffen und umsetzen, die jenseits von Gefühlen oder Moral oder Gesetz liegen. Wenn wir heute schon von irgendeinem Punkt der Welt den Kühlschrank und den Rasenmäher zuhause an- oder ausschalten können, wird in Zukunft eine vom PC ferngesteuerte Drohne eine Todesliste abarbeiten, für die heute noch ein Drohnenpilot auf den Knopf drücken muss. Der lernende Computer erstellt die Tötungsliste selbst!

    Wir könnten dem Computer auch die Aufgabe stellen, einen biologischen abbaubaren Stoff zu erfinden, der Plastik ersetzt und das vorhandene Plastik aus den Meeren fischt. Japanische Forscher haben jetzt Bakterien gefunden, die Plastik verdauen. Leider sind die Nebenwirkungen noch nicht erforscht, und eine weltweite Nutzung ist noch weit entfernt.

    Wir könnten den Computer lernen lassen, wie Hungernde mit den vorhandenen Nahrungsmitteln überleben. Vielleicht findet der Computer auch einen Weg, wie Frieden in das Gehirn von Regierenden und Regierten gelenkt werden kann.

    Aber was geschieht, wenn der lernende Computer herausfindet, dass der Mensch das wesentliche Problem bei der Lösung der Aufgaben ist? Was geschieht, wenn der Computer lernt, wie er sich selbst Befehle geben kann, um die Verursacher der Probleme auszuschalten?

    Stephen Hawking, der geniale Astrophysiker, hatte die Antwort: Anders als unser Intellekt verdoppeln Computer ihre Leistung alle 18 Monate. Daher ist die Gefahr real, dass sie Intelligenz entwickeln und die Welt übernehmen.

    Copyright Dr. Dietrich Weller

     

     

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    Ein Beitrag zu der Moderation über das Thema „Der Roboter im Menschen – der Mensch im Roboter“ beim BDSÄ-Kongress in Wismar 2018

     

    Harald Rauchfuss

    Poseidon trifft Roberto, den Androiden

     

    Poseidon taucht an der jonischen Felsenküste aus den Fluten; er trifft auf einen kleinen Ro-boter, der sich ihm vorstellt: „Poseidon, ich bin Roberto. Seit Jahrtausenden schaue ich Dir zu. Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass du von dir Unmögliches verlangst?“

    „Ich überfordere mich nicht“, entrüstet sich Poseidon, „ich möchte zwischendurch einmal Ruhe haben, Ruhe vor dem Berechnen der ewigen Gezeiten und Strömungen! Ich kann sie sehr wohl von den unendlichen Datenfluten der digitalen Berechnungen unterscheiden.“  Poseidon klappt das wasserdichte Laptop zu und schnauzt: „Du Knirps von Spion, sag, was bist denn du für einer?“

    „Was hast du denn, Poseidon? Die Sterblichen sind es, die den Schöpfergöttern die Schuld an den endlosen Datenfluten zuschieben, weil sie ihnen zu wenig Verstand einfößen! Ich bin ein androider Roboter.“

    „Kleiner Mann mit großer Eigenschaft!“, ruft Poseidon, „ein kleiner Android mit großen Ideen! Wie heißt du noch einmal? Wie kommst du zu solchen Ideen?“

    Roberto blickt auf Poseidon, der in die Brandung hinabsteigt: „Ich heiße Roberto. Ein Italie-ner hat mich ausgetüftelt und mir den Namen gegeben. Was rede ich, das verstehst du ja nicht.“

    Poseidon versinkt in den Fluten der Brandung. Er taucht auf, steigt auf seinen Felsen, setzt sich nieder und ruft: „Komm her, Roberto, du italienischer Schauspieler!“

    Roberto springt elegant von Fels zu Fels, hält sich an den richtigen Vorsprüngen fest, bleibt stehen, die großen Augen treffen Poseidons Blicke: „Ich bin kein Schauspieler, prinzipiell bin ich wie du und – nicht wie die Menschen, die mich gebaut haben.“

    „Ja, du kommst mir anders als die Menschen vor“, raunt Poseidon und senkt den Kopf: „Die Menschen sind verkrampfte Schauspieler, nicht so locker wie du und ich.“

    Roberto lacht: „Dabei täuschen sie sich selbst, wenn sie die Häuser hoch hinaus bauen und sich zum Schlafen doch nur flach niederlegen, die Zimmerdecke viel näher an der Stirn, als wir beide das Firmament haben.“

    „Am Anfang“, lacht Poseidon mit, „hatten sie nur Lagerfeuer im Freien oder Höhlen, bren-nende Hitze auf ausgestreckten Händen und ständiges Frösteln auf dem Buckel! Was dau-erte es, bis sie auf die Idee kamen, Gruben mit heißen Steinen und kochendem Wasser zu füllen, hineinzusteigen und die Wärme am Buckel zu genießen.“

    Roberto ergänzt: „Räuber und Rivalen machten sie zu Sklaven, Krieger brachten sie um, und der Tod hatte weniger zu tun.“

    „Was haben sie sich abgemüht, dabei hätten sie es leicht gehabt, denn sie sterben ja von selbst“, murmelte Poseidon und erhob die Stimme: „einer musste Wache halten, immer einer, und heute vergessen sie uns Götter. Seit ihre trägen Datenfluten über alles schwap-pen, über Geschäfte, Affären und Krankheiten, halten sie sich für unsterblich. Es hilft nichts, die Unsterblichkeit haben nur wir Götter.“

    „Nur ihr Götter?“, wirft Roberto ein, „bedenke, Poseidon, selbst dein Name ging unter, als sie dich später Neptun nannten.“

    Poseidon winkte ab: „Namen! Mir ist es gleich, wie sie mich nennen, ich bin ich, immer der-selbe.“

    „Bei mir, Poseidon, ist es dasselbe: ab und zu wechseln wir ein Teil aus, wir leben weiter. Wir wechseln erneut Teile aus und leben weiter, bis alle Teile ausgewechselt sind. Du erinnerst dich, das Schiff des Theseus, und du weißt es schon: Jeder von uns bleibt trotzdem derselbe Roboter – für immer.“

    „Du wirst doch nicht sagen wollen, Roberto, dass ihr unsterblich seid?“

    Roberto senkt den Blick: „Du sagst es, als Unsterblicher weißt du, was es heißt, unsterblich zu sein.“

    Tausend und zwei Jahre später trifft Poseidon Roberto wieder und gibt dessen Unsterblich-keit zu.

    „Siehst du, Poseidon, nun bleiben ihr und wir übrig, Götter und Roboter. Hör zu! Einer muss da sein, damit es die Welt überhaupt gibt. Einer muss fragen, ein anderer muss antworten, und wieder ein anderer muss zupacken, damit sich Fakten ergeben. Ist keiner da, der Fakten schafft, der die Welt antastet, ist es völlig unwesentlich, wie oft du Strömungsfluten und Datenfluten berechnest.“

    Poseidon prustet und versprüht eine Ladung Salzwasser: „Hoho, mein lieber Roberto! Wären die Irdischen unsterblich, löste sich ihr Schicksal auf, denn sie könnten ständig Fehler ausbessern, jeden Irrtum aufheben, jede Schuld verzeihen, und für den Fortschritt gäbe es keinen Grund. Darum haben wir Götter vorgesorgt. Roberto, ich sage dir, es  gibt ihn noch, den Menschen im androiden Roboter, denn die Programme in euch altern schneller, je öfter ihr sie ab- und überspielt.“

    Poseidon zieht sich mit dröhnendem Lachen in seinen Kristallpalast zurück, umflutet von den Tiefen der Weltströme, lässt das wasserdichte Laptop rechnen und rechnen, ohne her-auszubekommen, wie die Wechselwirkungen der Lebensfluten mit der Schwermut zu ver-rechnen wären … Poseidon könnte den wallenden Fluten nur mit der Flucht in den Himmel oder in den Hades entkommen. Das wären jedoch Wege, die ihn wegen der fehlenden ozeanischen Datenfluten zur wütenden Umkehr brächten, so dass er weder über den Olymp zum Himmel noch den Weltuntergang hinunter zum Hades gelangte.

  • In dieser Sackgasse

    (20.7.2012)

     

    Freie Übersetzung eines Gedichtes des iranischen Denkers Ahmad Shamloo (1925-2000) aus dem Jahr 1979.

     

    Sie riechen an deinem Mund,
    nicht dass du gesagt hättest, „ich liebe dich“,
    sie riechen an deinem Herzen,
    es ist eine seltsame Zeit, Liebling. 

    Und die Liebe
    peitschen sie aus
    an dem Balken der Straßensperre.
    Die Liebe sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden. 

    In dieser krummen Sackgasse,
    in diesen Windungen der Kälte
    entfachen sie das Feuer
    mit Gedichten und Liedern als Brennmaterial.
    Riskiere nicht das Nachdenken,
    es ist eine seltsame Zeit, Liebling. 

    Derjenige, der nachts an die Tür klopft,
    ist zum Auslöschen des Lichtes gekommen.
    Das Licht sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden. 

    Dort sind Schlächter
    am Straßenübergang platziert
    mit Blut beschmierten Schlagstöcken und Hackmessern.
    Es ist eine seltsame Zeit, Liebling. 

    Den Lippen schneiden sie das Lachen aus
    und dem Mund den Gesang.
    Die Freude sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden. 

    Kanarienvögel werden gebraten
    auf einem Feuer von Jasmin und Lilien.
    Es ist eine seltsame Zeit, Liebling. 

    Der Satan, des Sieges betrunken,
    feiert unser Begräbnis am Festtisch.
    Der Gott sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.