Tag: 11. Juni 2019

  • Timo Fischer, Die Stufe höchster Dringlichkeit, Kriminalroman

    ISBN 9781097342921

     

    Üblicherweise geschieht in einem Kriminalroman der Mord auf den ersten Seiten. Damit wird der Leser rasch auf Hochspannung gebracht und zum Weiterlesen verführt. Der Leser will ja wissen, wer der Mörder war und warum er so gehandelt hat. Der Autor dieses Buchs verfolgt eine andere Strategie: Im Vorwort steht gleich am Anfang, dass Kommissar Lenski in der Mordkommission arbeitet und verzweifelt ist. Wir wissen also, dass etwas Schlimmes geschehen ist, und der erfahrene Polizist auch (noch) nicht weiter weiß. Das bindet den Leser emotional an den Fahnder, und dadurch wird die Spannung aufgebaut. Diese hält an, weil in den folgenden Seiten die Hauptpersonen mit ihren Geschichten nacheinander vorgestellt werden, eher langsam im Tempo der Erzählung, scheinbar unabhängig voneinander. Und doch – plötzlich erkennen wir, wie die Lebensfäden zusammengehören und ineinander vom Schicksal verwoben sind.

    Wir werden konfrontiert mit einem jungen Liebespaar, einer Frau, leberkranken Suchtpatienten und einigen Ärzte mit unterschiedlichen Interessen und sozialen und gesundheitlichen Konflikten. Das klingt noch harmlos. Aber der Autor versteht es brillant, diese Menschen mit ihren Krankheiten und Nöten einerseits und ihren kriminellen Veranlagungen andererseits so gegeneinander zu verstricken, dass die Katastrophe unausweichlich im Kopfkino des Lesers heraufzieht.

    Das Buch führt uns in eine Universitätsklinik und schildert die Bestechlichkeit und Begehrlichkeit einiger hier arbeitenden Ärzte in Konfrontation mit lebensbedrohlich kranken Menschen, die dringend eine Organtransplantation benötigen. Wie kann der Arzt einem Patienten ein Organ vermitteln, der nicht an der Reihe ist, weil ein anderer Patient schlechter dran ist und nach der Definition der Transplantationsmedizin auf der Stufe der höchsten Dringlichkeit ganz oben steht? Welche Umstände verführen den Arzt zu seinem betrügerischen Verhalten, und welche Folgen hat das? Und welche Gewissenskonflikte muss ein Arzt aushalten und lösen, der ethisch korrekt handeln will?

    Der Leser wird in die Niederungen menschlicher Abgründe und in die Tiefen existenzieller Verzweiflung geführt. Und er erlebt, was in einer Klinik im Angesicht des Todes geschehen kann. Dies wird umso drängender und bedrückender gezeigt, weil der Autor selbst ein erfahrener Arzt ist und detailgenau tägliche Abläufe beschreibt. Die Handlung ist kein Tatsachenbericht. Aber es ist beklemmend zu wissen, dass das Geschilderte genau wie erzählt passieren könnte oder vielleicht so ähnlich geschehen ist. Darüber hinaus ist das Buch ein flammender Appell an die Menschlichkeit, an die Umsetzung geltender Ethikmaßstäbe und an jeden einzelnen Leser, sich mit den Gedanken über (s)eine Organspende auseinander zu setzen. Jedes Jahr sterben auch in Deutschland viele Menschen, weil es zu wenige Organspender gibt.

    Dieses Buch ist umso wichtiger, weil zurzeit die Diskussion geführt wird, wie lebensbedrohlich Kranke mehr Organe zu Transplantation erhalten können. Die geplante Widerspruchslösung sieht vor, dass automatisch jeder Mensch nach seinem Tod als Organspender angesehen wird, wenn er zu Lebzeiten nicht ausdrücklich z.B. in seiner Patientenverfügung oder seinem Testament widersprochen hat. Dieser Roman rüttelt auf, macht nachdenklich und regt zur Diskussion und Entscheidung an. Es ist ein wichtiger Beitrag zur dunklen Seite der menschlichen Eigenschaften in der Transplantationsmedizin. Wir sehen auch, dass jedes ehrliche soziale Angebot eine Tür zum Missbrauch und zur kriminellen Handlung öffnet.

    Dieses Buch halte ich für sehr lesenswert.

     

     

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    Kevin Kühnert, 1989 geboren und Juso-Vorsitzender, hat ordentlich eingeheizt. Er will BMW verstaatlichen und reiche Leute enteignen.

    Das hat in der SPD für Wirbel gesorgt. Und bei den Konservativen für Entrüstung.

    Und doch: Das ist etwas anderes als „Jetzt gibt’s was in die Fresse“ von Andrea Nahles zur Begrüßung des Regierungspartners einer großen Koalition.

    Ein Juso darf so etwas denken, so etwas sagen.

    Das Beste ist: Es ist von ihm.

    Unsere Wahlkämpfer haben keine authentische eigene Botschaft mehr. Deshalb brauchen sie PR Agenturen für ihren Wahlkampf, die so einfallsreiche Sätze wie „Wir lieben Bremen“ generieren; EDEKA lässt grüßen: Wir lieben Lebensmittel.

    Wer hat da abgeschrieben?

    In der Zeit, in der ich Sympathisant dieser Partei war, hatten die Politiker selbst etwas zu sagen.

    „Mehr Demokratie wagen“ war von Willy Brandt.

    Markante Formulierungen gab es auch von Helmut Schmidt. Mit denen hat er uns bis ins hohe Alter verfolgt: Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral.

    Beide brauchten keine PR, sie hatten selbst gute Ideen und konnten begeistern, polarisieren, pointieren.

    Dann kam die Troika.

    Bereits in dem Dreigespann zog jeder in eine andere Richtung.

    Zwei blieben übrig, nachdem Rudolf Scharping nicht mehr tragbar war.

    Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine haben die SPD zerlegt.

    Oskar Lafontaine hat eine neue Partei geschaffen, neben der SPD.

    Gerhard Schröder hat im Anschluss an sein Amt als Bundeskanzler Aufsichtsratsposten bekleidet, unter anderem beim russischen Gaslieferanten. Er wurde als Genosse der Bosse angesehen, für viele Parteigenossen kein guter Gefährte.

    Danach kam nichts mehr, was Veranlassung gewesen wäre, die Sozialdemokratie ernst zu nehmen: Martin Schulz, aus dem europäischen Parlament zurück nach Deutschland geholt, und dann im Wahlkampf verbrannt. Die Schulz-Story wird inzwischen in Hamburg im Theater aufgeführt.

    Es ist ein Theater.

    Zuletzt: Andrea Nahles. 1970 geboren, war sie schon als Politikstudentin Bundestagsabgeordnete. Hat nie gearbeitet, außerhalb der Partei.

    Und Kevin?

    Hat Abitur. Hat ein Studium abgebrochen. Hat dann ein Fernstudium begonnen, das derzeit ruht.

    Da schließt sich ein Kreis. Beamtensohn, behütet, saturiert aber unzufrieden. Vielleicht ist es das, was die Leute so schwierig macht.

    Es mag überheblich klingen, wenn man Politiker kritisiert, die „nie richtig gearbeitet“ haben. Aber: Wer das Leben nur aus der Schule und dem Studium kennt, weiß noch nicht, wie Gesellschaft funktioniert. Und wenn man etwas verändern will, und das will die SPD doch immer, muss man doch wissen, wie es funktioniert. Darum sollte ein Justizminister ein Jurist sein und der Gesundheitsminister ein Arzt.

    Und man sollte wissen, was Demokratie bedeutet, was sie wert ist. „Die geglückte Demokratie“ ist ein Buch, das Edgar Wolfrum, ein Heidelberger Professor für Zeitgeschichte 2006 veröffentlicht hat. Demokratie ist aber nicht in Stein gemeißelt.

    Willy Brandt und Helmut Schmidt wussten, was Diktatur, Krieg und Völkermord bedeuten. Demokratie war nicht selbstverständlich, musste erkämpft und erarbeitet werden.

    Die Politiker unserer Tage erwecken den Eindruck, als würden sie dieser Errungenschaften überdrüssig.

    Mit maßlosen Forderungen sammelt man keine Leute hinter sich.

    Vielleicht kommt jetzt Kevin.

    Aber seine Partei ist zerlegt, gleitet ab in die Bedeutungslosigkeit, muss anderen die Richtungsgebung überlassen, mal den Konservativen, mal den Grünen. Eine im Moment  seelenlose Partei enteignet sich selbst:

    „Kevin allein zuhaus“ wird Wirklichkeit.