Autor: Lieselotte Riedel

  • Ein Gutmensch

    Moritz Grünling war, wie seine Freunde gern behaupteten, bereits als Gutmensch auf die Welt gekommen. Und diese ihm zugeschriebene Eigentümlichkeit, angeboren oder im frühen Kindesalter erworben, hatte sich mit den Jahren zugespitzt.

    Auch als Erwachsener verstand er es, seinen Beruf, er hatte Politologie studiert, mit seinen humanitären Absichten in Einklang zu bringen. Manchmal beklagte er sogar seine späte Geburt, wäre er doch zu gern viel eher gegen rassistische Vorurteile ins Feld gezogen. Aber der Amerikaner wie auch der Mohrenkopf waren schon vor seiner Zeit aus den Bäckereien verschwunden, Zigeunerschnitzel durch Ungarisches Schnitzel ersetzt worden, und am Zigeunerbaron hatten sich bereits Hartnäckigere als er die Zähne ausgebissen.

    Jedoch wie nach Überschwemmungen noch Pfützen zurückbleiben, so hatten auch diese akribischen Feldzüge für ihn noch Überbleibsel hinterlassen, denen er sich widmen konnte. Er war ein Kämpfer im Kleinen geworden und verbot seinen Kindern Drei Chinesen mit dem Kontrabass oder Drei Zigeuner fand ich einmal… zu singen.

    Nachdem er sein Sendungsbewusstsein nur unvollkommen ausleben konnte, ergab sich durch einen Wechsel der Arbeitsstelle verbunden mit einer Versetzung an einen anderen Ort noch einmal Gelegenheit, seine hehren Ideale zu praktizieren.

    Man könnte annehmen, Moritz Grünling habe in einem kleinen vergessenen Winkel noch etwas rassistisch Anmutendes aufgetan, aber so war es nicht. Grünling war in eine Großstadt versetzt worden, und sogar hier entdeckte er Unkraut, das es auszumerzen galt.

    Er war in der Mittagspause durch die ihm noch fremde Stadt gestreift und fand sich zu seinem Erstaunen vor einer Apotheke wieder, die den frevelhaften Namen Mohrenapotheke trug. Im Handumdrehen erfand er ein körperliches Übel und betrat den Verkaufsraum.

    „Ich brauche etwas gegen Sodbrennen?“, sagte er zu dem jungen Mann hinter dem Ladentisch, der nach seinen Wünschen fragte. Der junge Mann empfahl Bullrichsalz. Grünling zückte umständlich sein Portemonnaie und warf, während er das Geld herausfingerte, einen Blick auf den über den Regalen angebrachten, prachtvollen Mohrenkopf, der sich, vorteilhaft mit einer Halskette geschmückt, im Profil präsentierte.

    „Wohl der Firmengründer?“, fragte Grünling launig auf den Kopf des Schwarzafrikaners weisend.

    „Mein Urgroßvater“, erwiderte der blonde, junge Mann völlig ernsthaft, der sich damit als Inhaber zu erkennen gab und die geistreiche Bemerkung des Kunden nicht recht würdigen konnte. Trotzdem wünschte er diesem einen schönen Tag.

    Etwa eine Woche später wurde der Apotheker zu einem Gespräch in die Rechtsabteilung der Stadt gebeten. Eine Ahnung sagte ihm, dass er diese Einladung dem an Sodbrennen leidenden Kunden verdankte. Und so war es: In höflicher Form wurde er gebeten, seiner Apotheke einen weniger Ärgernis erregenden Namen zu geben. Der Pharmazeut, in vierter Generation in diesem Geschäft, weigerte sich rundheraus.

    Abends, als er im Kreise seiner Kollegen am Stammtisch saß,  was einmal wöchentlich geschah, erzählte er ihnen von dem merkwürdigen Ansinnen. Einhellig waren die dort versammelten Pharmazeuten, der Adlerapotheker, der Schwanenapotheker, der Rosenapotheker und der Einhornapotheker der Ansicht, dass er, der Mohrenapotheker, sich richtig verhalten habe. Umso merkwürdiger berührte ihn daher die Meinung seiner Frau, der er vor dem Zubettgehen von den Ereignissen des Tages berichtete und dabei seine standhafte Haltung hervorhob.

    „Bist du sicher, dass das vernünftig ist?“, fragte die Gattin. Natürlich war sich der Mohrenapotheker sicher, aber wie ein steter Tropfen den Stein höhlt, ließ er sich nach und nach von der Skepsis seiner Frau anstecken.

    Und so kam es eine Woche später zu einer geringfügigen Änderung des ethnisch anfechtbaren Namens: Über dem schönen runden O des Mohren hatten sich einfach zwei Strichlein eingefunden.

    Copyright Dr. Lieselotte Riedel

     

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  • Zu seinem Esel sprach der Bauer:
    „Ich sag dir offen, wie es ist,
    du bist nicht wert, mein alter Grauer,
    das Heu, das du tagtäglich frisst!“

    Der Esel hörte es mit Schrecken,
    er dachte an so manches Jahr,
    als er mit korngefüllten Säcken
    auf seinem Weg zur Mühle war.

    Das ist der Lohn für Müh und Plage,
    wie einen Hund jagt man mich fort.
    Nun muss ich auf die alten Tage
    noch suchen einen andern Ort!

    Doch hilft kein Jammern und kein Grämen,
    das bringt mich nur um den Verstand:
    Ich mach mich auf und geh nach Bremen,
    verding mich dort als Musikant.

    Warum, so wird sich mancher fragen,
    warum musst es denn Bremen sein?
    Ich weiß es nicht, ich kann nur sagen,
    dem Esel fiel nichts Bessres ein.

    Und die Idee, auf die er baute,
    die klang für  Menschenohren schlimm:
    Er wollte schlagen dort die Laute,
    so steht es bei den Brüdern Grimm.

    Ein alter Jagdhund lag am Wege,
    den ebenfalls sein Herr verstieß,
    weil er zu müde und zu träge
    das edle Wild entkommen ließ.

    „Kopf hoch!“  So sprach der Esel weise,
    als er den Hund in Tränen fand:
    „Komm doch mit mir auf eine Reise,
    ich werd  in Bremen Musikant.“

    Sie sahn an einem schatt‘gen Platze
    zwei Tiere noch, man glaubt es kaum,
    die arme ausgesetzte Katze
    und dann den Hahn auf seinem Baum.

    „Kommt mit und jammert hier nicht länger!“,
    schlug ihnen gleich der Esel vor,
    wir brauchen in der Band zwei Sänger;
    Sopran fehlt noch und auch Tenor.“

    Die Sonne war schon längst im Sinken,
    die Pfoten, Hufe müd und matt,
    und immer noch war da kein Blinken
    von Lichtern einer großen Stadt.

    Ein Jogger kam, der ganz ermattet
    sich setzte auf den nächsten Stein,
    der Esel fragte: „Ihr gestattet,
    könnt dies der Weg nach Bremen sein?“

    Der Jogger wischte mit dem Tuche
    Sich ab das feuchte Angesicht:
    „Nach Bremen seid ihr auf der Suche,
    das schafft ihr heute Abend nicht.

    Ein Tierheim gibt es hier am Orte
    für arme Streuner, so wie ihr,
    klopft dort mal höflich an die Pforte
    und fragt nach einem Nachtquartier!“

    Sie fanden schon das Tor verschlossen,
    jedoch der Pförtner war noch wach.
    „Geht weiter!“, sagte er verdrossen“,
    wir sind schon voll bis unters Dach!“

    Im Wald an einem trocknen Platze,
    da legten sich ins weiche Gras
    der Hund und auch die müde Katze,
    dieweil der Hahn im Baume saß.

    „Ich bleibe wach und werd dich rufen“,
    schrie er dem Esel zu, der bald
    lostrabte und auf müden Hufen
    durchforstete den finstern Wald.

    Er hatte fernes Licht gesehen,
    vielleicht war‘s auch ein Feuerschein,
    es konnten Menschen, Zwerge, Feen
    und schlimmstenfalls auch Räuber sein.

    Der Hahn da oben im Geäste
    Jetzt mit dem Esel leise sprach:
    „Ein Häuschen ist’s, es ist das Beste,
    ich flieg dorthin und sehe nach.“

    Es ist bekannt seit alten Zeiten:
    ein Hahn verbringt die Nacht im Stall,
    doch hier, das lässt sich nicht bestreiten,
    lag vor ein echter Sonderfall.

    Wer glaubt, er habe da gefunden
    nur eine wilde Räuberschar,
    dem sagen wir es unumwunden:
    Was dort bei Grimm steht, ist nicht wahr.

    Er sah nur ärmliche Gestalten
    bei einem kargen Abendbrot
    des Tages erste Mahlzeit halten.
    Das glich zu sehr der eignen Not.

    Der Esel wartete mit Bangen
    Auf seines Boten Wiederkehr.
    War er von Räubern abgefangen
    Und vorbereitet zum Verzehr?

    Dann rüttelte ein Sturm die Gipfel,
    ein Ast verfehlte ihn nur knapp,
    und durch der Bäume hohe Wipfel
    flog jetzt der Hahn zu ihm herab.

    „Ich dachte schon, dass man dich köpfte“,
    erleichtert sah der Esel aus,
    der Hahn sprach, als er Atem schöpfte:
    „Das ist fürwahr kein Räuberhaus!“

    „Ich denk, wir sollten höflich bitten
    um einen Platz am warmen Herd,
    und sind wir dort nicht wohlgelitten,
    so ist es den Versuch doch wert.“

    „Nur Mut!“, so sprach der Esel weise
    und musterte die künft’ge Band
    „ich glaub in unserm Künstlerkreise,
    da gibt es bald ein Happy- End.“

    Auf leisen Pfoten, Tatzen, Krallen
    so pirschten sie ans Haus sich ran,
    sie hörten Lärm und Lachen schallen,
    man stimmte grad ein Trinklied an.

    Es war, als ob der Hahn sich scheute,
    den andern offen zu gestehn:
    „Das sind sie nicht, die armen Leute,
    die ich durch’s Fenster hab gesehn.“

    „Wir müssen trotzdem danach schauen“,
    so sprach der Esel mit Bedacht,
    „wir werden eine Leiter bauen,
    ich zeige euch, wie es gemacht.“

    Er musst die müden Glieder bücken,
    denn schließlich war er Untermann,
    dann sprangen schnell ihm auf den Rücken
    der Hund, die Katze und der Hahn.

    Und so zu viert am dunklen Fenster,
    da boten sie ein schaurig Bild,
    ein Räuber schrie: „Dort sind Gespenster!“
    Die Haare sträubten sich ihm wild.

    Ein andrer rief: „Tod und Verderben!
    Wir müssen fort, so schnell es geht!“
    Da ging das Fensterglas in Scherben,
    eh nur der Hahn einmal gekräht.

    Getrieben von Gewissenslasten
    flohn jetzt die Räuber in den Wald;
    es war ein Rennen, Laufen, Hasten
    nach einem sichern Aufenthalt.

    Dass dann die Räuber wiederkehrten,
    dazu noch in derselben Nacht,
    das haben sich die sehr gelehrten
    Gebrüder Grimm nur ausgedacht.

    Doch andre Leute kamen wieder,
    die jüngst der Hahn durchs Fenster sah.
    Sie stiegen vom Geäst hernieder
    von einem Baume, der ganz nah.

    Die Tiere und die fremden Gäste,
    die ausgestanden manche Qual,
    verspeisten hungrig nun die Reste,
    die übrig war‘n vom Räubermahl.

    Dann rückten näher sie zusammen,
    das Feuer ward neu angefacht
    und sahen heiter in die Flammen,
    vergessen war der Schreck der Nacht.

    Mit ernster Miene sprach der Esel:
    „Welch guter Platz für Mensch und Tier!
    Was solln uns Hameln, Bremen, Wesel?
    Ich schlage vor, wir bleiben hier.“

    Doch hier ließ sich der Hund vernehmen:
    „Im Ganzen stimm‘ ich überein,
    doch vorher geh ich noch nach Bremen
    und heb am Denkmal dort ein Bein.“

     

    Copyright Dr. Lieselotte Riedel