Kategorie: Prosa

  • wenn wir im Westen von frieden reden, dann meinen wir frieden-in-freiheit. das ist etwas ganz ande-res als das, was Putin unter frieden versteht. für ihn ist frieden lediglich die abwesenheit von krieg.

    frieden-in-freiheit sind zwei dinge, die für uns – aber nicht für Putin – ein untrennbares paar be-deuten.

    wenn es also dazu kommen sollte, in sachen Ukraine über frieden zu reden, dann darf man diese kombination nicht aus den augen verlieren. Putin ist möglicherweise an einem frieden interessiert, aber nicht an der – für uns und die Ukraine – dazugehörigen freiheit. deshalb sind alle derzeitigen be-mühungen um eine beendigung des krieges zum scheitern verurteilt; denn Putins ziel besteht darin, die Ukraine so gründlich zu unterwerfen, dass sie ihm als leicht zu beherrschende grosse pufferzone gegen Westeuropa dienen kann. das liesse Putin zu frieden sein.

    die bekannten argumente, die Putin in diesem zusammenhang in die welt posaunt, sind kriegspropa-gandistisches begleitgeräusch, also ein teilaspekt des eingesetzten waffenspektrums und können deshalb nicht mit rationalen gegenargumenten beantwortet werden. als teil des russischen waffen-arsenals muss ihnen adäquat militärisch begegnet werden, weil es – zur zeit – keinen argumentativen zugang zu Putins persönlichen ansichten und anliegen gibt.

    Putin zum friedensgespräch zu bitten, wird nicht funktionieren, solange er das sagen hat. im gegen-teil, er wird es sein, der zum tanz auffordert und alles mobilisiert, was ihm an kräften zur verfügung steht. das zwingt den Westen in eine ungeliebte proaktive militärische reaktion. proaktiv heisst in diesem fall: nicht mehr hinterherlaufen, weil die bisherigen antworten erfolglos blieben, sondern eine militärische herausforderung schaffen, die Putin signalisiert, dass er gesprächsbereit sein muss, wenn er noch etwas von seiner aggressiven reputation retten will. das bedeutet, auf dem boden der Ukraine offensiv gegen den aggressor vorzugehen, indem zügig wirkungsvolle offensivwaffen geliefert wer-den, dazu ausreichend munition und instandsetzung und natürlich entsprechendes – zeitraubendes – training. wenn wir mit der Ukraine weiterhin dauernd hinter den aktionen des Kreml herhinken, wer-den wir schwerlich einen punkt erreichen, an dem Putin gesprächsbereit wird. 

    frieden-ohne-freiheit ist das, was Putin will. und wir müssen entscheiden, ob wir damit leben wollen. die Ukrainer wollen dies nicht. das ist ihr gutes recht. aber Putin hat angst vor der freiheit. er fürchtet sie wie der teufel das weihwasser. deshalb lässt er töten und zerstören, bis es keinen widerstand mehr gibt. und nach dem, was er sich in den letzten 20 jahren geleistet hat, müssen wir damit rech-nen, dass er weiter morden und plündern wird, wenn wir ihn nicht gemeinsam zurückjagen und ihn auf sein land beschränken. es  wäre geradezu naiv, zu erwarten, dass er sich gegenüber Moldau/-Transnistrien, Slowakien, Polen und den baltischen staaten anders verhält als in der Ukraine.

    alle nichtmilitärischen antworten auf sein verhalten haben ihn bisher nicht beeindruckt, und es ist im augenblick – nach einem jahr krieg – auch nicht zu erkennen, dass sich dies in absehbarer zeit ändern wird. er als despotischer herrscher und seine mitläufer haben keine negativen auswirkungen zu ertra-gen. das volk zahlt letztlich die zeche, das machtlose, unterdrückte volk, das seit jahrhunderten die knute gewöhnt ist, die armut, die rohe herrschende gewalt und noch nie ernsthaft danach gefragt wurde, ob es frei sein wollte. einen despoten zu friedensgesprächen zu bitten, ist noch nie gelungen. roher gewalt kann man nicht erfolgreich mit demokratischen mitteln begegnen.

    der preis, den wir zahlen werden, um zu einem ende dieses krieges zu kommen, bemisst sich jetzt schon nach hunderten milliarden Euro/Dollar und wird, wenn es nicht bald zu einem ende kommt, die billionengrenze leicht überschreiten. weitere tausende von soldaten und zivilisten werden ihr leben dafür lassen müssen oder ihre gesundheit und unversehrtheit. und tausende von quadratkilometern erdboden werden verwüstet, vergiftet, unbrauchbar sein, um bewohnbar oder bearbeitbar zu werden.
    das ist der preis für unser frieden-und-freiheit-paket.
    oder wollen wir so leben wie die russen?
    von der www.ars-et-saliva.de website „zeitraffer“

  • roman-huber-muenzenAstakos2-neu_l

  • Beim Spazierengehen mit meinem Hund freue ich mich an einem sonnigen Februartag über die vielen Krokusse, die aus dem Gras spießen. Und während die Krokusse blühen, fällt mir ein, dass der Rasen auch in diesem Jahr wieder ein komplexes Programm abspult.
    Wie eine Lochkarte noch heute unsere Waschmaschine steuert, und ihr sagt, wann das Wasser abgepumpt werden soll und wann geschleudert wird. Lochkarten gibt es seit dem 19. Jahrhundert, und sie werden immer noch verwendet.
    Wo sitzt die Lochkarte für unseren Rasen?
    Wir wissen ziemlich genau, dass er bald, nachdem die Krokusse verblüht sind, zu wachsen beginnt. Dann kommen auch der Klee und die Gänseblümchen.
    Später treibt der Bambus durch das Gras, man muss ihn hundert Mal abschneiden, schließlich gibt er auf.
    Und an einem schönen Sommerabend starten plötzlich, wie auf Kommando, tausende fliegender Ameisen aus dem Rasen.
    So geht das jedes Jahr.
    Wo die Lochkarten unserer Enkel sitzen, wissen wir ziemlich genau. Die Steuerung ist beeindruckend. Da werden Gene angeschaltet, und dann wachsen Zähne aus den Kiefern, und dann werden die Gene wieder ausgeschaltet.
    Dann der Zahnwechsel.
    Mit etwa 12 Jahren fangen die Keimdrüsen an, zu arbeiten. Im Vergleich zu anderen Säugetieren ist das spät im Leben, man nennt es Pubeszenz, und die mündet unweigerlich ins Erwachsenenalter.
    Was dann alles lochkartengesteuert anders wird: Der Bartwuchs, die Haarfarbe, der Blutdruck, der Bauch, der Haarausfall…
    Man kann Gene, die in der Kindheit angeschaltet waren, und die im Erwachsenenalter „schlafen“, auch wieder aktivieren. Das passiert zum Beispiel bei Reparaturvorgängen und Heilungen nach Verletzungen.
    Der Ablauf der Lebensuhr kann gestört werden: Durch Mutationen können Tumore entstehen, Strahlung kann Alterungsvorgänge erheblich beschleunigen.
    Wir können auch die Lebensuhr manipulieren:
    Unser Lebensstil und unsere Ernährung beeinflussen unser Älterwerden genauso wie Sport. Sport verbessert nachgewiesenermaßen die Situation an den Telomeren, den Enden unserer Chromosomen, die nach jeder Zellteilung ein bisschen kürzer werden.
    Auch das Mikrobiom in unserem Darm, unser Blut, Schokolade mit viel Kakao und verschiedene Medikamente beeinflussen das Altwerden.
    Was bei der ganzen Geschichte das Wichtigste ist, sei dahingestellt. Eine der ältesten Frauen auf diesem Planeten ist über 120 Jahre alt-
    und raucht.
    Das tut unsere Mutter mit ihren erst 100 Lenzen nicht.
    Sie lebt einfach – gesund.
    Und vielleicht hat sie eine besondere Lochkarte, wie man sie in automatischen Musikinstrumenten findet. Diese sogenannten Lochbandrollen können ziemlich lange laufen.
    Aber nicht endlos,
    weil alles, was einen Anfang hat, auch ein Ende haben muss,
    wie auch diese Gedanken.
    Kehren wir zurück auf den grünen Rasen und freuen uns über die vielen schönen Blumen zu dieser Jahreszeit. Die Uhr läuft.

  • Stolz zu sein ist eine Form des Wohlbefindens.
    Geniesst es!
    Und lernt von unseren Altvorderen!
    Seid stolz auf das, was Ihr geschaffen habt.
    Hier nun die Geschichte über unseren Architekten Johann Traugott Lohse.
    Seine Weitsicht hat ihn hoffentlich auch mit Stolz erfüllt.
    Jedenfalls rettete sie ihm und seiner Familie das Leben.

    1772
    Die Geschichte spielt in Altenhain und in Pleissa. Sie beruht auf Fakten und wahren Begebenheiten. 
    Johann Traugott Lohse war 1772 zwölf Jahre alt.

    „Sohn, komm einmal her. Ich muss mit Dir reden“, sprach Vater Christian Lohse zu seinem Spössling, Johann. So nannte er seinen Sohn und eigenen Gesellen. „Ein großes Unglück ist in Pleissa geschehen. Der Pleissenbach hat wieder getobt, der Teich des Lehnrichters bei Müllers in Pleissa trat über die Ufer, der Wiesen-Rand hielt das Wasser nicht mehr zurück! 4 Leute hat das Teichwasser erfasst, das kleine Müller-Mädchen ist im Schlamm ertrunken! Der Müllersohn brach sich das Bein, als er das Kind aus dem Morast ziehen wollte. Unser Altenhainer Mauermeister Müller, ein Verwandter der Müller’s in Pleissa, war gestern hier. Er hatte in den Dreissigern den Kirchturm in Pleissa gebaut, als der abgebrannt war. Die Pleissaer haben sich seiner erinnert und ihn um Hilfe gebeten. Er ist aber schon über 70, der Müller-Mauermeister und so bat er mich, ob ich helfen könnte. Möchtest Du mit? Einem Damm bauen in Pleissa? Es wird schwer werden. Eine Ochserei. Und gefährlich dazu!“

    Johann Traugott Lohse stimmte zu.

    Und so sollte der erste Teich gegenüber der Haubold-Nitzsche Mühle eine massive und feste Uferbegrenzung erhalten. Sie würde fortan den Dorffahrweg vor dem Teichwasser schützen.
    Der 12Jährige Johann sog das Wissen um Dämme wie ein Schwamm auf. Der Vater lehrte ihn die Bauweise, die Materialbeschaffung, das wohlüberlegte Zusammenarbeiten von Zimmerern und Steinmetzen, von Mensch und Pferd. Stämme mussten gefällt und herangeschafft werden, um den Schlamm fernzuhalten. Den Teich trockenlegen? Ein schwerer Gang der Beiden zum Lehnrichter stand bevor. Es war sein Teich! Und wahrscheinlich würde er nicht auf seine Fische verzichten wollen. Man könnte ihn nur überzeugen, wenn der Bau im Accord stattfände und währenddessen ein Rest Wasser im Teich verbliebe, um die Fische zu schützen.

    Pleissa strotzte nur so von Teichen.
    Und wo Teiche waren, befanden sich Mühlen, Häuser, die es zu schützen galt.
    In dem 12Jährigen Johann Traugott Lohse reifte ein Plan.
    Ja, ich will
    Und ich werde ein Mauermeister!
    Ein Baumeister für massive Mauern!
    Die haben mir es angetan. Sie sind gut für die Ewigkeit. Ich möchte mauern, schwer, massiv.
    Ich werde Kirchen bauen. Wie der alte Müller-Mauermeister. Nur von unten heraus und hoch.
    Und riesige Gebäude!
    Ich will!
    Und ich werde!

    Eines Tages ging der 17Jährige Johann zum Vater und sprach:
    „Ich möchte nach Pleissa, Vater. Schau, ich habe ein Haus entworfen für den Bauer Christoph Müller in Pleissa. Auf seinem Wiesengrund. Ob er zustimmt? Was meinst Du. Es stünde auf einer soliden und festen und 2 Meter tiefen Mauer. Damit kann ihm das Wasser des Pleissenbaches nichts anhaben. Den Mühlgraben habe ich umgeleitet, der Haubold-Nitzsche-Mühlen Besitzer hätte dann ein oberschächtiges Mühlenrad und damit mehr Kraft für seine Mühle, der Mühlgraben führe sein Wasser hindurch das Christoph-Müller-Haus für seine Bewohner zum Wasser schöpfen. Eine neue Mühle für den Christoph? Dafür reichen meines Erachtens das Gefälle und die Wasserkraft nicht mehr aus in dieser kurzen Entfernung. Aber das neue Müller-Haus stünde auf Stein, wie eine kleine Burg und von aussen vom Wasser nicht angreifbar. 
    Vater, ich möchte nach Pleissa. Hilf mir.“

    Der Vater schuftete für seinen Sohn. Sparte das Geld zusammen für den Claim, die Summe, welche man an die Obrigkeiten entrichten musste, wenn ein Sohn nicht ins Heer sollte. Und das wollte er unbedingt für seinen Johann erreichen. Die Zeit war zu wertvoll. Dieser Junge…

    Und Johann half dem Vater auf allen Baustellen.
    Nachts aber, bei Kerzenschein, entwarf der Knabe.
    Ein ganzer Ordner von Zeichnungen entstand. Vater schmunzelte über so manche Idee seines Sprösslings. Und grübelte. 
    Ja.
    Ein massives Haus in Pleissa wäre ein Gesellenstück für seinen Johann.
    Die Eltern suchten, arrangierten Ehen, blieben „unter sich“. Das war üblich. Vielleicht fänden die Beiden Gefallen aneinander.
    Und so lernte unser junger Mann Johann Traugott Lohse seine zukünftige Frau kennen, eine Frenzel aus dem Müller-Rudolph-Clan in Pleissa.

    Sie heirateten.
    Noch in Altenhain.

    Johann Traugott schlenderte wieder einmal auf seinen Verwandtschaftsbesuchen durch den Ort Pleissa. Das neue Müller Haus war  nun schon fast fertiggestellt und der Christoph sicherte den beiden jungen Leuten Unterschlupf zu, falls sie nach Pleissa kämen.
    Aber immer noch hielt Johann an seinem eigentlichen Plan fest! Er besuchte in Pleissa die Kirche, das Lehngericht, den Schmied, zählte die Teiche. Stellte sich auf den Platz, an dem der Dorffahrweg zum Rabensteiner Rittergut abbog, sog die Luft ein, drehte sich langsam um die eigene Achse, registrierte die 3 weiteren sumpfigen Teiche schräg gegenüber und plante. Gerade rumpelte ein vollbeladener Krämerwagen heran, kam knapp beim Schmied zum Halten. Locker unterhielten sich Kutscher, Krämer. Schmied. Es gäbe viel auszuladen für Pleissa und auch die Weiterfahrt mit frischer Ware war gesichert, aber der Weg, das Stück bis zur Mühle, sumpfig, rutschig und bei Regenfällen fast unpassierbar.
    Johann Traugott stand regungslos. Er sah in seiner Fantasie einen weiteren massiven Damm vor dieses 3 Teichen, einen trockenen und bebauten Marktplatz entstehen. Eine Herberge, einen Ausschank, eine Einfahrt mit Torbogen  für die Fuhrwerke zum Schutz vor Regen und Schnee, einen Verkaufsraum zum Handeln, Lagerraeume, eine neue Schmiede.
    Ja.
    Er würde dem Ort solche Gebäude schenken!
    Der Lehnrichter Zill lehnte sich nachdenklich zurück.
    Es war sein Land. Commune-Land. Des Lehnrichters Schmiede. Seine Schmiede. Und es war oft unwegbares Gelände dort unten, feucht, für Getreideanbau unnütz.
    Doch.
    Die Idee dieses jungen Burschen war gut!
    Richtig gut!
    Er könnte auf diesem Handelsplatz dann mehr von seinem gebrauten Bier verkaufen, seine Fuhrwerke wären trocken untergebracht und die Krämer hätten eine Unterkunft. Der Schmied war ja sowieso schon dort, genoss einen sehr guten Ruf in allen Ortschaften und wurde oft von Auswärtigen aufgesucht. Ausserdem hätte er, der Lehnrichter, zusätzliche Einnahmen durch Verpachtung.
    Er stimmte zu.
    Lohse stellte eine Bedingung.
    Er wolle sich ein kleines Häuschen daneben bauen für seine Familie, dafür erböte er sich, die Schenke zu pachten, das Bier auszuschenken und den Handelsraum zu organisieren.
    Der Lehnrichter stimmte auch diesem Vorschlag zu.


    1810
    Pleissa 

    Johann Traugott Lohse sprach soeben mit Bauherren und Kirchenvetretern aus dem Erzgebirge in seinem Büro im Handelshaus am Pleissaer Marktplatz an der Heerstraße. Vom Rittergut Rabenstein kamen die Soldaten, die Waldenburger entlang, kreuzten den Dorfweg, zogen weiter Richtung Lehngericht. 
    An diesem Pleissaer Knotenpunkt hatte er alle Gebäude errichtet. Ein gutes Aushängeschild für seine Baukunst. Hier konnte er sich auf seine Musterhäuser den Kunden gegenüber berufen. Nur leider war ihm der Bau einer Spinnmühle in Pleissa verwehrt geblieben. Obwohl sein fertiger Riss schon in der Schublade lag! Oben, am Ortsausgang sollte sie gebaut werden. Da war die Wasserkraft noch ausreichend. Aber die Pleissaer Mühlenbesitzer scheuten die Kosten. Und gleichzeitig verwehrten sie ihm den Verkauf einer ihrer Mühlen.
    Nun sollte er wieder eine Kirche im Erzgebirge konzipieren, bereits seine 4. Das passende Pfarrhaus gleich dazu. Zur Zeit war das Holz knapp, Dürren und Brände wüteten in Sachsen. Die Zimmerer würden es schwer haben. Aber sein Vorteil war immer die Schnelligkeit der Ausübung der Vorhaben gewesen. Damit punktete er. Eine fast 100 Prozentige Garantie, die Aufträge zu erhalten. Dafür arbeitete er mit zuverlässigen Zimmerern, Maureren, Steinmetzen, Malern, Schmieden zusammen, die er sorgfaeltig ausgewählt hatte, und die jeweils bereits im Vorfeld die Geländer, Simse, Treppen, Fenster in Serie herstellten. Er brauchte nur „abzurufen“. Eine perfekt ausgeklügelte Hand-in-Hand Produktionskette, verteilt über das gesamte Erzgebirge. Die Kontrollen aller Zwischenphasen, Richtfeste usw., dafür hatte er seine verlässlichen Gefolgsleute. Auch in Pleissa!
    Die Bauabnahmen der fertigen Gebäude liess er sich jedoch nicht aus der Hand nehmen. 
    Das Alleinstellungsmerkmal seiner Entwürfe waren die Palastähnlichen Bauelemente an den Gebäuden, diese feudalen Säulen, das elegant- Protzige, Stabile. Und sein Wissen, diese Formen aus Natursteinen aufzumauern. Er wurde zum Lehrmeister. Die Zeiten erforderten das. Bewohner und Auswärtige schickten ihm ihre Jungs in die Lehre. Alles als Gesamtpaket gefiel den Fabrikanten. Die Unternehmer liessen sich das etwas kosten. Sie zahlten gut dafür. Vor allem für seine riesigen Spinnmühlen, deren innere Hallen ausreichend Platz boten, für das Aufstellen der mit Wasserkraft betriebenen riesigen Spinnmaschinenzeilen. Serienproduktionen wurden ermöglicht und, nicht zu vergessen, die dazugehörigen Fabrikanten-Herrenhäuser gleich mit geliefert! Die waren das absolut Neue in dieser Zeit der Kontinentalsperre. Moderne Konzepte als „Gesamtpaket“, repräsentativ und dem Bürgertum angenehm protzig, erstellt vom Architekten Johann Traugott Lohse.
    Und trotzdem war alles im Schwanken.
    Johann Traugott Lohse wollte weg.
    Ja, er musste weg!!
    Weg aus Pleissa.
    Sofort!

    „Johannnnn!“ rief die Ehefrau unseres Baumeisters. „Schnell, eile Dich! Der Kleinen im Nachbarhaus geht es ganz schlecht. Wir sollten einen Arzt holen! Ich habe solche Angst. Erst gestern ist ein Kind gestorben. Und vor 4 Tagen der Fridericke ihr Sohn. Das Mädel fiebert schrecklich. Ich bekomme es einfach nicht herunter!“
    Johann Traugott trat an das Krankenbettchen.
    Ihm blutete das Herz, so litt er mit diesem Kinde.
    Die ganze Nacht wachten sie am Bettchen.
    Früh war das kleine Mädchen tot.
    Schnell sprach es sich herum. 3 Häuser weiter oben war auch ein Kind verstorben. 5 Familien hatten Kranke zu pflegen. Es ward einem Angst und Bange. 
    Ruhr wurde getuschelt! Waren nicht schon einige Tote zu verzeichnen, die an Fleckfieber erkrankt waren? Fleckfieber. Eine Soldatenkrankheit.

    Johann Traugott Lohse saß in seinem Büro im Handelshaus. Er hielt seinen Kopf in beide Hände gestützt.
    Es bleibt keine Zeit! Sie müssten schnellstmöglich weg. War ihm nicht auch schon ein Söhnlein 1794 plötzlich gestorben?
    Ruhr!
    Blutige Durchfälle bis zur Austrocknung!
    Todesfälle!
    Sein Instinkt schlug Alarm. Sein Bauchgefühl sagte ihm, die Ursache liegt im Wasser. Sterben denn nicht hauptsächlich Menschen, die am Mühlgraben wohnen? Und auch sein Haus. Seine Familie. Wohnt am Mühlgraben.
    Er hörte den Kutscher draussen mit den Pferden sprechen.
    Da eilte er hinaus, nahm ihn beiseite und versprach hohen Lohn, wenn er ihn zum Churfürstlichen Amtmann Johann Friedrich Carl Dürisch führe. Sofort!
    Der Kutscher spannte frische Pferde an und so machten sie sich auf den Weg. 
    Der Amtmann hörte sich Johann Traugott Lohses Ansinnen an. 
    Der führte aus.
    Ein Herrenhaus sei nach einem Brand wieder aufzumauern, er, der Johann, würde es vorneanstellen, dafür erbäte er sich so schnell wie möglich ein neues zu Hause ausserhalb von Pleissa. Die Ruhr grassiere im Ort und er fürchte für sich und seine Familie um Leib und Leben.
    Amtmann Dürisch lehnte sich zurück, die Zeigefinger gespreizt am Kinn.
    Ihm imponierte schon immer dieser Johann Traugott Lohse. Lieferte der nicht stets schnell und präzise ab? Warum nicht. Er könnte ihm das alte verkommene Schlettauer Schloss geben. Eine Versteigerung, lege artis, würde es ermöglichen. Dafür müsste der Lohse das Herrenhaus und eine Pfarre kostenfrei herrichten. Und das Schloss, trotz seines ruinösen Zustandes, würde nicht billig sein. Also ein dreifacher Gewinn.
    Ober er wohl zustimmte?
    Das Schloss war unbewohnbar.
    Das Dach eingefallen.
    Alles in allem für Lohse inakzeptabel?
    Für Dürisch aber ein Geschäft. Die adeligen Herren zahlten gut für seine Vermittlung.
    Also unterbreitete er Lohse sein Angebot.
    Lohse zögerte.
    Blieb ihm eine Wahl?
    Nein.
    So schlug er ein.
    Bezahlte eine horrende Summe für diese Schlossruine, unterzeichnete den Kontrakt für die kostenlose Instandsetzung des Herrenhauses und den Bau der Pfarre.

    Damit war der Umzug seiner Familie 1810 besiegelt.
    Anfangs wohnten sie in Schlettau primitiv im einzigen trockenem Zimmer, in der Küche.
    Dort schliefen sie auch.
    Bis wenigstens das Dach instand gesetzt war. Die Fenster liess er offen stehen. Sie erfüllten nach seinem Ansinnen später einen anderen Zweck. 

    Und der Plan des Architekten und Mauermeisters Johann Traugott Lohses ging auf.
    Er siedelte mit fast seiner gesamten Familie nach Schlettau über. Kein Familienmitglied starb mehr an Ruhr, Cholera, oder Pest.
    Er baute Spinnmühlen, Herrenhäuser, alles im palastähnlichem Stil im gesamten Erzgebirge.
    Wurde Fabrikant.
    Gründete eine Dynastie.

    Und durfte sich fortan Schlossherr zu Schlettau nennen.

    Stolz.

    1831
    In den Gerichtsakten Esche Museum findet sich ein Eintrag:
    Zitat:
    „Cholerahaus“
    „Johann Friedrich Dittrich kauft der Gemeinde Pleissa am 14.6.1834 das sogenannte Cholerahaus ab, welches diese am 23.8.1831 von K.A. Böhme zu diesem Zwecke erworben hatte. Es lag an K. Wilhelm Nitzschens Gut an der unteren Wiese. 525 Taler hatte die Gemeinde bezahlen müssen, verkaufte wieder für 425 Taler. Es befand sich an der Karl Wilhelm Nitzsche-Mühle“.
    Und befand sich direkt in der Nachbarschaft des Wohnhauses von Johann Traugott Lohse. 
    Der Mühlgraben brachte das Wasser vom „Cholerahaus“ zu Johann Traugott Loheses Anwesen in Pleissa.

    Anmerkung zur Recherche.
    Die Geschichte beruht auf Fakten.
    Außer die wörtlichen Reden und Dialoge ist nichts erfunden.
    Benita Martin.

  • weller_Rezension-Wenk-Ueber-die-Bremer-Strasse
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  • Der Teufel ist in heller Aufregung. Die Höllenfeuer können nur noch zeitweise und mit deutlich herabgesetzter Schmorleistung begast werden. Denn die Natur hatte beim himmlischen Versorger, der für die bei der Erschaffung der Erde eingelagerte Gasmenge Verantwortung trägt, feierlich und demütig protestiert:
    „Hochherrlicher Allmächtiger, Eure Hoheit haben mich seit der Urzeit mit der Steuerung aller irdischen Geschehen beauftragt. Ich habe Euch stets wohlwollend und hilfreich zur Seite gestanden. Auch bei Euren – bitte hoher Herr, verzeiht, wenn ich es einfach und klar benenne – nicht so erfolgreichen Bemühungen, das irdische Leben in neue Größenordnungen hinaufzuheben.
    Erinnert Euch bitte an die Erschaffung der Riesentiere, der Dinosaurier. Ich habe damals Eure Hoheit ernsthaft gewarnt, Euch unter Tränen angefleht, bitte diesen – ich muss es leider sagen – Größenwahn zu unterlassen.
    Eure Hoheit aber haben auf Eure eigene Machtfülle bestanden und mir gesagt: ‚Liebe Natur, ich verstehe Eure Aufregung und Bedenken. Ihr solltet aber auch zur Kenntnis nehmen, dass kein Lebewesen, nichts und niemand größer als ich sein und werden können. Habt somit Vertrauen in die Zukunft meiner Werke und geht fröhlich und frohgemut an Eure Arbeit.‘
    Leider war das irdische Größenexperiment mit den Dinosauriern – wie Eure Hoheit wissen – ein totaler Fehlschlag und Eure Hoheit befahl mir das heutige ‚irdische Paradiesexperiment (IPEX)‘ zu starten.
    Zu Beginn entwickelte sich das IPEX wunderbar entsprechend der Erwartungen der himmlischen Experten und Berater.
    Die Menschen waren irdischen Götter und nahmen sich das Paradies zum Vorbild. Sie ließen sich Zeit für himmlische Experimente und begannen, die ihnen zugewiesene Erde umzuwandeln. Einige beschafften sich Nahrung auf Vorrat und im Überfluss, andere schufen Maschinen und Werkzeuge für in den Himmel strebende Projekte, wieder andere geeignete Waffen und Diener, um ihr kleines Paradies gegen Neider, Räuber und Teufel zu schützen.
    Mit diesem Streben vermehrten sie sich massenhaft in den Paradieskäfigen und in den irdischen Höllenregionen. In der Paradiesenge der Städte wurden sie fett und bequem, quälten sich aus Langeweile mit allerlei unnötigen Teufeleien.
    Dagegen mussten die zu vielen Menschen, die der Teufel außerhalb der Stadtparadiese betreute, genauso leben, wie er es in seiner Heimathölle gewohnt war. Das aber wollten sie nicht. Sie meuterten und flohen in Millionen aus ihrer Hölle in die paradiesischen Käfigstädte.
    Hoher Herr, ich habe Eure Hoheit rechtzeitig vor diesen fliehenden irdischen Göttermassen unter der Obhut des Teufels gewarnt. Verzeiht, aber nichts geschah.
    Sehr Euch nur die Erde an! Dort sind meine gottgleichen Lebewesen so zahlreich und zu wahren Teufeln geworden, dass sich das Klima, mein engster Bediensteter, bis in die Haarspitzen ärgert. Er greift überhitzt zur Feuerkeule und sogar zu Mammutwasserwerfern. Blitz, Donner, einstürzende Berge, krachende Häuser und peitschende Wellen fangen jetzt die Seelen für den Teufel, der voller Pflichtbewusstsein und in freudiger Erwartung auf eine überbesetzte Hölle seine Fegefeuer anzündet.
    So wächst der Höllengasverbrauch in unermesslich himmlische Höhen, und die irdischen Speicher fließen leer. Aber sie können nicht wieder aufgefüllt werden, denn der hohe Herr hatte sie ausschließlich in der Vergangenheit gebaut und gefüllt. Leider ist die Vergangenheit nicht mehr zu ändern.“
    „So sagt mir, bitte, Natur, wie ich, der hohe Herr, diese fatale Situation ändern kann?“
    „Das ist eigentlich nicht schwer. Wir müssen die Energiegewinnung aus Gas einstellen und dem Teufel verbieten, das letzte Gas für seine Fegefeuer zu verbrauchen. Stattdessen muss er seine Teufeleien mit erneuerbaren, sogenannten grünen Energien durchführen und seine Hölle entsprechend umrüsten. Keine Gasfegefeuer mehr als Seelenstrafe, sondern grün elektrische Stromschläge mit Strom aus Windkraftwerken und Solaranlagen.
    “Das schädigt den Teufel und ist ein erster Schritt, um den Gasfluss durch die höllischen Leitungen einzustellen und den teuflischen Seelenfang im paradiesischen Herrschaftsbereich auf ein normales Maß zurückzuführen.“
    „An welche weiteren Verfahren denkst Du noch, liebe Natur?“
    „Eure Herrlichkeit sollte unbedingt die natürlichen Gegebenheiten, die Ihr so bewundernd auf der Erde eingeführt habt, als zusätzliche Werkzeuge einsetzen. Zum Beispiel, verstorbene Menschen sollten nur in der kalten Jahreszeit eine Feuerbestattung und in der warmen Jahreszeit eine Biogasbeerdigung erhalten. So können die Verstorbenen auf ihrem letzten Weg noch Gutes für ihre Nachkommen bewirken und den Höllenenergiemangel zumindest bei der Befeuerung ihrer Fegefeuer beheben.“
    „Nur für die Höllenfeuer, nicht für die paradiesischen Freudenfeuer bei Festivals und Gedenkmaifeier?“
    „Nur für die Höllenfeuer. Denn der Teufel protestiert und benötigt Unterstützung bei der Beseitigung seiner Energieprobleme. Das paradiesische Reich kann sich durch eine neue Temperatureinstellung zwischen Gutem und Bösen direkt helfen.“
    „Liebe Natur, bitte sagt mir, was ich zur Verbesserung meiner Schöpfung noch tun kann?“
    „Eure Herrlichkeit, darf ich frei reden? Ohne dass ich Euch in Wut und Rage versetze? Ohne dass Ihr Allmächtiger den Mut verliert und die Schöpfung für immer vernichtet, zum Beispiel in ein schwarzes Loch werft?“
    „Nur zu, liebe Natur, nur zu!“
    „Dann hört, Euer Herrlichkeit, den vermessenden Rat Eurer gehorsamen Dienerin: Gebt dem Teufel mehr Macht, mehr Einfluss und die totale Handlungsfreiheit!“
    Der Allmächtige erschrickt. ‚Er solle dem Teufel, seinem widerlichen, hinterhältigen und jedem Verbrechen engagierendem Untergebenen genau das geben, was jedem seiner Herrgotts gläubigen verboten ist. Jeder Verstoß solle mit der endgültigen Todesstrafe, dem heraus Wurf aus dem Paradies hinein in das ewige Fegefeuer vergolten werden? Das ist Selbstaufopferung und Überlauf zum ewigen Todfeind. Wie kann die Natur, seine treue Dienerin, das verlangen?‘
    „Liebe Natur, wissen Sie, was Sie da sagen? Hat der Teufel Ihnen den Verstand geraubt? Sie sind meine Dienerin und Ihre Aufgabe ist es, mir die bösen Teufeleien zu melden und schnellste Abhilfe zu schaffen.“
    „Ja, natürlich, das weiß ich. Aber, bitte Eure Hoheit, bitte sagt mir, was ist das Böse und was ist das Gute? Ist das, was der Teufel tut oder bewirkt, stets das Böse? Wenn ja, innerhalb welcher Zeit? Und was kommt nach dieser Zeit?
    Folgt nach dem Bösen unabwendbar immer das Böse? Wann endet das Böse und wendet sich zum Guten? Und wie gelingt es dem Teufel, das Gute in das Böse zu drehen? Besteht vielleicht ein Zusammenhang mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft?“
    „Ich weiß nicht so recht. Denn mir ist das Vergangene fremd, so fremd, dass ich es als Allmächtiger nicht mehr verändern oder umgestalten will, und auch nicht kann.
    Aber Sie, liebe Natur, Sie können das. Sie können die Zeit sogar unterschiedlich schnell geschehen lassen. Das haben die Menschen zweifelsfrei mit ihren modernen Methoden in Physik und in virtuellen Simulationen beobachtet.“
    „Sehen Sie, Eure Herrlichkeit. Das ist es eben. In Eurer allmächtigen Welt, dem himmlischen Paradies ist das Gute absolut, für immer, und total das Gute. Zum Ausgleich bleibt in der Hölle das Böse ebenfalls absolut, für immer, und total das Böse. Im himmlischen Paradies existiert kein Böses und in der Hölle kein Gutes.
    In der irdischen, von Eurer Herrlichkeit erschaffenden Welt ist das nicht so. Ja, dort darf es kein absolut Gutes und kein total Böses geben. Denn sonst wären die Menschen Euch gleichgestellt und sogar überlegen. Sie könnten das absolut Gute in der Vergangenheit wiederholen, in der Gegenwart testen, in die nachfolgende Zukunft transferieren und so das Beste aller Paradiese erschaffen. Eure Allmacht wäre dann gebrochen.
    Um Eure absolute und totale Allmacht zu erhalten, habt ihr aus weiser Voraussicht in Eurem irdischen Abbild das Absolute durch das Relative ersetzt.
    Deshalb ist in der irdischen Welt alles relativ, das Gute, das Böse, die Zeit, die Entfernung, die Hitze, die Kälte, ja auch Armut und Reichtum, Groß und Klein, Hoch und Tief, Schnell und Langsam.
    Euer Sohn, den Ihr als Vermittler zur Erlösung der Menschheit vor zweitausend Jahren auf die Erde gesandt habt, kann uns als charakteristisches Beispiel dienen. Die Menschen tun ihm Böses, nageln ihn an das Kreuz und martern ihn fürchterlich. Das ist ohne Zweifel eine böse Teufelstat. Was folgt dieser widerlichen Teufelei? Viele weitere böse Taten, aber noch mehr Gutes. Erbarmen der Sieger für die Besiegten, selbstlose Hilfe für die Hungernden, Großmut des Opfers und Verzicht auf Strafe, Verzeihung für erlittenes Leid, Achtung vor dem ‚Anders leben‘ und himmlische Güte anstelle von teuflischem Hass.“
    „Ja, ich habe das Böse mit dem Guten verbunden. Ansonsten hätte ich eine totale irdische Hölle erschaffen.“
    „Ich verstehe, spätestens, wenn das Böse seinen absoluten Höhepunkt erreicht, wenn der Teufel von Erfolg zu Erfolg tanzt, dann ist die Zeit des Guten gekommen. Das Böse bricht zusammen und der Teufel kehrt jammervoll in seine Fegefeuer Welt zurück.“
    „Ich habe da auch noch ein Wörtchen mitzureden“ meldet sich eine helle knabenhafte Stimme.
    „Du, Genosse Zufall, willst auch ein Wörtchen mitreden? An dieser Stelle, an der das Böse vor Hass zerspringt und das Gute vor Fett nicht mehr atmen kann?“
    „Genau, an dieser Stelle. Wie oft habe ich eingegriffen, um das Gute zu retten oder dem Bösen wieder auf die Beine zu helfen?“
    „So? Dann nenne mir einige Beispiele.“
    „Wie viele irdische Teufel haben todsichere Attentate überlebt? War da nicht der Teufel Hitler, dem ich nicht gleich zweimal den todsicheren Tod verweigerte? Waren da nicht der große Alexander und der kleine Napoleon, denen ich die ‚sichere‘ Niederlage in einen glorreichen Sieg verwandelte? Vielleicht habt ihr mich übersehen, weil ich stumpf, schmutzig, niemals total auf Erden und nur im Paradies strahlend, glänzend und absolut bin.“
    „Ich gestehe, auch du, mein irrer Zufall bist ein Spieler in den irdischen Böse – Gut Beziehungen. Aber auch ohne Deinen Einfluss ist das Gute mit dem Bösen verbunden. Aber wie? Habt Ihr hochherrlicher Allmächtiger denselben Entwurf, will sagen Algorithmus verwendet?“
    „Ich habe den Teufel mit einer Nase ausgestattet. Wenn das Gute zu gut, zu fett und zu träge wird, wenn die Menschen hochnäsig und arrogant auf ‚Anders lebende‘ hinabsehen, dann schwillt die Teufelsnase wegen des faulen Geruchs. Der Teufel riecht die verdorbenen Gedanken, lockt sie mit falschen Versprechungen und hinterhältigen Wahrheiten in schwarze Traumgedanken, betäubt sie mit K.-o.-Tropfen und missbraucht sie.
    In diesen Teufeleien ist er sehr geschickt, denn ich habe ihm ein wildes Wirken nahe dem Chaos gegeben, um auch dem Guten möglichst nahe dem himmlischen Paradies Freiheit und Attraktion zukommen zu lassen.“
    „Eure Hoheit wollen mir sagen: Wenn das Böse zu Böse wird, dann wandelt es sich zum Guten, und wenn das Gute zu Gut wird, dann erwacht das Böse? Aber wollen die Menschen nicht das Paradies, das gute Leben? Wissen sie nicht um die Gefahr, das Gute zu verlieren, wenn sie, wie Gottes Sohn und Gesandter sagte, nicht wissen, was sie tun?“
    „Meine liebe Natur, ja, sie wissen nicht, was sie tun. Damit habe ich meinen Schmerzens-beladenen Sohn getröstet.
    Aber die Wahrheit ist: die Menschen tun nicht das, was sie wissen. Denn sie wissen unheimlich viel. Und sie haben den Weg gefunden, auch das Wissen zu erwischen, das sie nicht wissen. Aber sie wissen viel zu viel und wissen nicht, was sie wissen müssen. Kurz, sie verstehen nicht, was sie wissen.
    Das hat schlimme Folgen. Denn kein Mensch kann Gutes tun, wenn er das Gute nicht versteht und das Böse nicht weiß. Denn ich, der Allmächtige darf nicht eingreifen, sonst bin ich nicht allmächtig, und der Teufel kann nicht eingreifen, denn er will nichts Gutes tun.
    Mit dem Bösen ist es umgekehrt. Jeder Mensch kann Böses tun, auch wenn er das Gute nicht weiß oder versteht. Denn der erfahrene Teufel weiß und versteht das Böse. Er leitet den Menschen, wenn dieser Böses tut.“
    „Also ist das Gute mit dem Bösen verbunden und umgekehrt. Beide sind weder total noch absolut. Sie sind relativ und bedingen einander. Niemand kann Gutes tun, ohne es zu verstehen. Böses kann jeder tun, denn der Teufel übernimmt das Wissen und Verstehen des Bösen. Deshalb kann es im himmlischen Paradies niemals einen Teufel geben.“
    „Meine liebe Natur, bitte sage mir: Ist das Böse auf der von mir erschaffenen Welt schon so weit fortgeschritten, dass es sich ‚quasi von allein‘ zum Guten wenden wird, oder verstehen die Menschen so wenig vom Guten, dass sie sich selbst vernichten werden? Was soll ich, der herrliche Allmächtige tun?“
    „Nichts, gar nichts. Denn vor der Vernichtung der Welt durch das Böse steht das Gute. Hoffentlich auch der Zufall. So ist vielleicht das Menschenleben nur ein irdischer Traum, geschrieben auf himmlischen Papier. Mit dieser Hoffnung hat Eure Herrlichkeit die Welt erschaffen. Und das ist gut so. Alles andere wäre ein Desaster. “

  • TieredesAsklepios_wolfgang-Huber.

  • Am Ende des Jahres sprechen Billionen Menschen rund um die Welt ihre Wünsche aus mit „Glückliches Neues Jahr!“
    Was bedeutet glücklich sein?
    Das Glück im Griechischen “ευτυχία” bedeutet Schicksal, aber auch und Wohlstand. Indem wir unseren Wohlstand teilen, erreichen wir Glücklichsein.
    Schon die alten griechischen Philosophen stellten fest, dass Glücklichsein etwas zu tun hat mit vorbeigehen, vorwärts bewegen, einer zunehmenden Freude und verringern des Leidens.
    Es ist jedoch jeder allein, und noch kann keiner ohne andere Menschen zurecht kommen, nicht nur, weil sie nützlich sind, sondern auch wenn Glücklichsein entsteht. Um Glücklichsein zu erreichen, müssen wir unseren Wohlstand mit anderen teilen.
    In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten steht die wohlbekannte Feststellung: “Das Streben nach Glück ist ein Ziel für jeden.”
    Im wahren Leben gibt es bis jetzt kein absolutes Glück oder Pech. Nichts geschieht in reiner weißer oder schwarzer Farbe, sondern nur in Schattierungen.
    Ein Mensch sieht oft nur eine Farbe, manchmal schwarz, manchmal weiß. Ab und zu ist es ein Regenbogen, der wie eine Glocke über den Himmel schwebt.
    Das Glücklichsein ist keine Idee, sondern eine Illusion, da es keine Angelegenheit der Vernunft, sondern der Vorstellung ist. Deshalb glaubt eine Person glücklich zu sein, obwohl sie überhaupt nicht glücklich ist.
    In der menschlichen Natur gibt es die Hoffnung, dass es auf der Suche nach dem Glücklichsein erfolgreicher ist, den Wohnort zu wechseln. Aber die Auswanderer nach Australien konnten lesen: „Neuankömmlinge, hier werdet ihr Arbeit finden, reich werden, heiraten, ein Haus kaufen, Kinder haben, aber glücklich werdet ihr niemals sein. Hier ist nicht das geliebte Heimatland, hier sind nicht die Freunde, die Familie. Eure Kinder können das Zusammensein mit ihren Großeltern nicht erleben und ihre Liebe nicht erfahren.“
    Was ist der erste Schritt um weltweit ein „Glückliches neues Jahr“ zu erreichen?
    Friede auf der Erde.

  • Ich fließe den ganzen Tag. Das ist alles, was ich mache. Das ist alles, was notwendig ist. Mein Bach ist der einzige, dem ich Abhängigkeit und Rechenschaft schulde. Er ist nicht so unbeharrlich wie ich und bleibt stets in seinem Bett. Er gibt die gleichen Geräusche von sich, er ist nicht unstet. Er unterliegt keinen Schwankungen, er wandelt sich nie, er ist immer der Gleiche. Man kann sich auf ihn verlassen. Hin und wieder schenkt er mir einen Stein, den er vorher glatt geschliffen hat. Ich bekomme nichts, das ausschließlich durch meine Hände gegangen ist. Ich bekomme nichts, das nur mir gehört. Es wäre selbstsüchtig so etwas zu verlangen.
    Bevor mein Wasser mich erreicht, spiegelt es Wolken, als ob sie echter Himmel wären. Kommt es zu mir, erlischt sein Schweigen und für einen Moment traut es sich aufzubegehren gegen die Wolken, die den Himmel verdecken. Es begehrt auf gegen Ungerechtigkeit, die es gezwungen ist zu spiegeln. Doch  jemandem, der immer schweigt, hört niemand mehr zu, wenn er sich Sprechen angewöhnt. Wer zu viel schweigt, der verstummt auch dann, wenn er redet.
    Meine Quelle ist ein mir fremder Gletscher oben in den Bergen. Gefroren und erhaben. Alle die ihn sahen, vergaßen ihn, bevor sie zu mir kamen. Man erzählt mir nichts, was mich in Unruhe bringen könnte. Doch der Gletscher speist mich und erweist mir gute Dienste. Mein Wasser wird nie versiegen. Niemand interessiert sich für schneeverhangene Berge, die weit genug entfernt sind. Es kommt nur zu Beschwerden über die Temperatur meines Wassers. Es kommt nicht zu Fragen, woher mein Wasser kommt. Mein Wasser wird nicht in Frage gestellt, nur angenommen. Kälte, die meinen Bach nicht austrocknen lässt, ist das einzige auf das ich vertrauen kann. Die Kälte schmelzenden Eises gibt mir Wasser, so dass ich nie gefährdet bin zu verstummen. Ich gebe Laute von mir, die zwar gehört, aber doch nur wahrgenommen werden.
    Ich habe keine Pflichten. Ich muss nicht lügen und ich muss niemandem schmeicheln. Tagein und tagaus muss ich mich im Fluss halten. Das ist alles, was ich mache. Das ist alles, was notwendig ist.

    Wenn der Frühling in Sommer übergeht und Seelen in Flammen aufgehen, waschen die Menschen ihr Fleisch in mir. Sie hoffen durchsichtig zu werden, so wie ich es bin. Sie werden davon hässlich. Ich habe nie einem von ihnen gedient, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich diene nicht, ich schweige in einem nie endenden Gurgeln.
    Mein Wasser fällt seit jeher auf harten Stein. Das ist es gewohnt. Ich muss mich nicht sorgen. Nein. Ich muss es nicht. Nur die Wolken stören mich, doch sie sind zu weit weg, als dass ich etwas gegen sie unternehmen würde. Darum habe ich sie akzeptiert. Das war das Einfachste. Zwischen mir und den Wolken herrscht Frieden. Wir ignorieren einander. Meinem Wasser schenke ich Glauben und höre ihm nicht zu. Und meine Stimme gebe ich nicht an mein Wasser weiter. Ich gurgele allein für mich. Das ist die beste Lösung um sich sagen zu können, dass man sich glücklich fühlt. Die Wolken existieren sowieso nur an einer Oberfläche, die längst unkenntlich ist, wenn sie mich erreicht. Und da Oberfläche alles ist, was Menschen interessiert, habe ich keine Sorgen. Selbst wenn sie mir etwas ansehen könnten, wäre es ihnen unmöglich mich zu verstoßen. Sie müssen ihr Fleisch in mir waschen. Sie müssen sich sagen, dass sie rein sind. Sie brauchen mich und ich – ich muss bloß fließen. Tagein und tagaus.

    Manchmal regnet es. Dann ist mein Wasser weniger kalt. Da aber aus Tradition niemand den Regen schätzt, werde ich gemieden, wenn mein Wasser angenehm wird. Allein zu sein ist dann eine Gewohnheit, die anderen Jahreszeiten gleicht. Menschen interessieren sich doch nicht für Wolken, die sich auf Wasser spiegelten – sie interessieren sich für Schmutz, den sie verlieren wollen. Ich spüre keinen Frust, ich spüre keine Wut. Ich fließe und werde durch kaltes, neues Wasser aus den Bergen durchsichtig und klar. Mein Schmutzwasser verstoße ich, wenn es die Steine erreicht. Ich vergesse es.
    Wonach ich strebe, weiß ich nicht. Ich bin bloß ein Wasserfall, dessen Wasser zu kalt ist um hitzige Gedanken zu erlauben. Die Berge sind wahrscheinlich meine Heimat, aber ich werde sie nie sehen. Sie liegen flussaufwärts und ich bin Teil dessen, was sich flussabwärts bewegt. Ordnung und Ruhe sind mehr wert als Hitze. Auf Unordnung habe ich nie einen Gedanken verwendet. Menschen, Steine und Wolken – sie brauchen mich. Aber ich diene keinem von ihnen. Ich habe meinen Platz, ich muss mich nicht fortbewegen.

    Wenn mein Wasser auf Steine fällt, dann verflüchtigt es sich aus meinem Bewusstsein. Daraus gewinne ich Kraft um weiter zu fließen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich gar keinen Einfluss auf mein Dasein habe und dass mein Bewusstsein deshalb auch keine Richtung hat. Der Gletscher speist mich, mein Bach schenkt mir manchmal einen Stein, meinem Wasser höre ich nicht zu. Aber eigentlich habe ich an all dem keinen Anteil. Verwandlung und Veränderung werden mir zugeschrieben, sind aber nicht meine Aufgabe. Ich wasche nichts rein, ich fließe den ganzen Tag. Das ist alles, was ich mache. Das ist alles, was notwendig ist.

  • Betrachtet wird die Kindersterblichkeit im 19. Jahrhundert und hier speziell auch auf die Mortalität der Scharlacherkrankungen eingegangen. Diese hatten sich in Deutschland und speziell auch 1832/33 in Erlangen, dem Wohnort und der Wirkungsstätte des Orientalisten und Dichters Friedrich Rückerts ausgebreitet. Zwei der fünf in der Familie lebenden Kindern verstarben 1833 an Scharlach und inspirierten Friedrich Rückert zu seiner mehr als 400 Verse umfassenden Kindertodtenlieder -Dichtung. Anhand der Analyse des dichterischen Werkes und von Aufzeichnungen der Mutter wird über den Verlauf der Erkrankung bei den Kindern aus medizinhistorischer Sicht berichtet. Auch wird auf den Scharlachtod von Kindern von Clemens Brentano, Gustav Mahler und des Berliner Baumeisters Hoffmann hingewiesen. Die Mängel der Medizin der Zeit werden aufgezeigt und die Trauerarbeit im 19. Jahrhundert mit unserem Jahrhundert verglichen. Das gesamte dichterische Werk von Friedrich Rückert, das er für seine verstorbenen Kinder Luise (3 Jahre) und Ernst (5 Jahre) geschaffen hat, steht unter dem Credo: “ Ihr habt nicht umsonst gelebt“.

    Kindstod im 19. Jahrhundert (Volker Hesse)

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