Schlagwort: Mythen

  • Artemis, eine Bärengöttin?  

     

    Über Artemis, die „Bärengöttin“ ist vielerlei geschrieben worden, z. B.:

    …meinte K. Glaser die „Bärengöttin“ (Αρκτ[ε]μις  zu  αρκτος) in ihr zu erkennen“, H. Gams, in: Artemis, Der kleine Pauly, 619.

    …die urtümliche Erscheinungsweise der πότνια ἅρκτων, ἲππων, ταὐρων“, ebenda, 622.

    …in Attika zeugt ein vom Staat anerkannter Brauch von der alten Bärennatur der Göttin,  Hoenn 1946, 19.

    …les petites ourses, qui exécutent, en l’honneur d’Artemis, la déesse Ourse, une danse où elles imitent l’animal sacré, Kahil 1977, 94.

    …In alten Geschichten hatte ja Artemis noch die Gestalt der Bärin, Kerényi 71984, Band I, 116 f.

    …im Kreis der Artemis, wo die große Göttin und ihre kleinen  Doppelgängerinnen als Bärinnen galten und Bärinnen hießen, Kerényi 71984, Band II, 98.

    …In einer Reihe von Sagen wird Artemis offensichtlich mit diesem Tier [dem Bären] assoziiert, und vielleicht hat man sie sich in älterer Zeit in Bärengestalt vorgestellt, Parke 1987, 214.

    … Kallisto wird in das alte Symbol der Göttin, die Bärin, verwandelt, RE II, 3 (1895) 1341.

    …Zahlreiche Arten von Tieren werden der Artemis heilig gehalten, von Raubtieren besonders die Bären (in Arkadien Artemis Kalliste oder ihre Hypostase Kallisto selbst als Bärin gedacht), RE II, 3 (1895) 1344.

    …Bärin, Symbol der Artemis in peloponnesischen (besonders arkadischen) und in attischen Kulten, RE II, 3 (1895) 1434.

    …Artemis…die  als Kallisto in Bärengestalt hoch verehrt wurde, v. Scheffer 1939, 32.

    …Artemis, die ursprünglich selbst eine Bärin war, Schefold 1981, 229.

    Aber halten diese Zitate auch Stand? Artemis, eine Bärengöttin?  So reizvoll es wäre, den Aussagen namhafter Autoren zu folgen, so problematisch ist es auch, denn um es gleich vorweg zu nehmen: für eine Bärengestalt der Artemis/Diana fehlen allem Anschein nach die antiken Belege, ob in Form literarischer Quellen und/oder als eindeutige, z. B. epigraphisch gesicherte bildliche Darstellungen. Kerényi, der sich häufig auf antike Texte berufen hat, lässt bei dieser Frage ebenfalls im Stich. In der „Helena“ des Euripides, die er als Quelle angibt, ist nur von der Verwandlung der Kallisto in einen zottigen Vierfuß [1] die Rede. Artemis wird weder als Bärin noch als Bärengöttin apostrophiert. Ähnliches gilt auch für die Hygin-Zitate des Autors[2]. Lediglich Lukian von Samosata[3], der unter den heiligen Tieren der syrischen Göttin, „welche zugleich der Rhea und der Artemis verglichen wird“, auch den Bären nennt, kommt der Thematik einigermaßen nahe.

    Homer setzt Artemis mit der Herrin der Tiere, πότνια  θηρὦν[4], gleich. Die Abwandlung „πότνια ἅρκτὦν“, Herrin der Bären, taucht lediglich in einer Sekundärliteratur, ohne Angabe antiker Quellen, auf[5]. Als πότνια  θηρὦν hat die Göttin ihre Tiere, vor allem Löwe und Stier, Hirsch und Federvieh[6], fest im Griff. Die Bärin/Arktos ist nicht unter ihnen[7]. Dennoch bestehen enge direkte und indirekte Beziehungen zwischen Bären und Göttin. So hat Artemis die flinke Läuferin… Atalante… sehr gelobt,… die ebertötende Tochter des Arkassohnes [8], die als Neugeborene von einer Bärin gesäugt worden war[9]. Unter den vielen Tierstatuetten, die man den griechischen Göttern weihte, sind Bären ausgesprochen selten. Wenn sie dennoch als Votivgabe in Erscheinung treten, lassen sie sich in aller Regel einem Artemisheiligtum zuordnen, gerade als ob die Verehrer dieser Gottheit im Bären eine besonders willkommene Weihgabe sähen, bisweilen sogar ein angemessenes Tieropfer[10]. Pausanias nämlich berichtet, dass auf dem Altar der Artemis Laphría in Patrai/Patras lebende Tiere verbrannt wurden, darunter kleine und ausgewachsene Bären[11]. Im Heiligtum von Lusoi fand man Bärenzähne, ein Votiv, das ebenfalls auf eine jagende, tötende Gottheit hinweist[12]. Ursprünglich empfing Artemis auch Menschenopfer[13]. Nach dem Mythos von Aulis wurde die zum Opfertod bestimmte Königstochter Iphigenie von der Göttin verschont und durch eine Hirschkuh ersetzt[14]. In Brauron tritt eine Bärin an die Stelle des Opfers[15].

    Als junge Athener eine heilige Bärin töten, sendet Artemis der Stadt zur Strafe eine Pestepidemie, die erst dann enden soll, wenn die Bürger ihre kleinen Töchter als „arktoi /Bärinnen“ in den Dienst der Göttin stellen[16]. Das  „Einbären“, ̒αρκτεύειν, findet etwa im Alter von neun Jahren statt[17]. Die aus Brauron stammenden, in einer Privatsammlung aufbewahrten Fragmente sog. Krateriskoi haben die Kenntnisse von den eigentümlichen brauronischen Kultbräuchen der Arkteia erweitert[18]. Außer den laufenden Mädchen und der bogenschießenden Göttin sind u. a. zwei Gestalten mit menschlichen Körpern und Bärenköpfen dargestellt: ein Mann mit nacktem Oberkörper und übergestülptem Bärenkopf und eine Frau in Chiton und Mantel mit Bärenmaske[19]. Offenbar handelt es sich um Kultpersonen im Rahmen des festlichen Rituals zu Ehren der Artemis Brauronia. L. Kahil verweist auf eine Passage bei Hesych, in der die Bärin als heiliges Tier und zugleich als Priesterin der Artemis bezeichnet werde[20]. Antike Schriftsteller schildern also durchaus enge Beziehungen zwischen Bären und Göttin; doch wenn es gilt, dieser selbst die angeblich vorhandene Bärennatur nachzuweisen, dann versiegen die Quellen. Der Kult für die keltisch-römische Gottheit Dea Artio, die sowohl in Frauen- als auch in Bärengestalt verehrt wird, hat anscheinend nur lokale Bedeutung[21].

    So viele Beinamen man Artemis auch gegeben hat[22] – die Bärin gehört nicht dazu. Häufige Begleittiere sind nicht Bären, sondern Hirschkuh, Löwe und Panther, dann Ferkel und Greif, Hahn und Hase[23]. Auch im Umfeld der πότνια  θηρὦν /Herrin der Tiere fehlen die Bären[24]. Sie werden in den Quellen genannt, aber selten bildlich dargestellt. Ausnahmsweise erscheint auf einem der brauronischen Krateriskos-Fragmente ein Bär. Man erkennt seinen Rücken, ein Ohr und den oberen Teil der Schnauze[25]. Ein anderes Fragment zeigt die bogenschießende Artemis im kurzen Gewand.

    Die Metamorphose in eine Bärin ist in der antiken Literatur gut belegt, doch sie  bezieht sich auf Kallisto, eine schöne Nymphe aus dem Jagd-Gefolge der Artemis[26]. Ihr Name, Kallisto, führt zur Frage nach der Identität der Jägerin mit der Göttin, die selbst den Beinamen Kalliste trägt[27]. Pausanias schildert das Grab der Kallisto auf einer hohen Anschüttung …, auf deren Spitze das Heiligtum der Artemis liegt[28]. Dabei habe ich den Eindruck, fährt er fort, dass Pamphos, ein vorhomerischer Dichter, etwas von den Arkadern erfahren hat, da er als erster in seinem Gedicht Artemis Kalliste nennt. Außer an diesem Ort befinden sich in der Nähe der Akademie von Athen ein Bezirk der Artemis und Holzstatuen der Ariste und Kalliste. Wie ich meine, und womit auch die Epen des Pamphos übereinstimmen, sind das Beinamen der Artemis[29].

    Mit … Kallisto … kam Zeus als Liebhaber zusammen[30]. Er täuscht die Jungfrau auf üble Weise, nimmt Gestalt und Tracht der Diana/Artemis an[31] und umarmt sie. …sie wehrt sich, doch wen könnte ein Mädchen und wer könnte Iuppiter besiegen?[32] … Zeus … schickte Hermes, um das Kind zu retten, das Kallisto im Leibe trug. Sie selbst aber verwandelte er in ein Gestirn, den sogenannten Großen Bären, den auch Homer … erwähnt[33].

    Parallelmythen mit teilweise widersprechendem Inhalt variieren die Begebenheit. In Bärengestalt irrt Kallisto umher, bis sie eines Tages auf Arcas stößt, ihren Sohn, den späteren Lokal-Heros Arkadiens. Er ist inzwischen 15 Jahre alt und ein tüchtiger Jäger, der seine Mutter in ihrer verwandelten Gestalt nicht erkennt. Gerade als er die Brust des wilden Tieres mit seinem Geschoss durchbohren will, greift endlich der Verursacher von Leid und Verwirrung, Zeus/Jupiter, ein, versetzt die beiden an den Himmel und macht sie zu benachbarten Sternbildern[34]. Juno/Hera, seine eifersüchtige Gemahlin, gibt sich erst zufrieden, als die Meergötter dafür sorgen, dass die Große Bärin für immer um den Polarstern kreist[35], ohne jemals die Wohltat des Bades im Okeanos, dem reinen Meer, zu erfahren[36]. Eine andere Version des Mythos wurde mehrfach in Bildern dargestellt: die Göttin zielt mit Pfeil und Bogen auf die weibliche Gestalt, die durch den kleinen Knaben in ihrer Nähe als Kallisto ausgewiesen ist[37]. Pausanias lernte noch das heute verlorene Gemälde des Polignotos in Delphi kennen, auf dem Lykaons Tochter Kallistostatt einer Decke ein Bärenfell hat[38]. Apulische (Vasen-) Bilder geben den Augenblick der Metamorphose wieder: wild und zottig wachsen die Haare, Fell bedeckt die Arme, aus den Händen werden Tatzen und aus den Fingern Krallen. Die merkwürdig spitzen Ohren, die im Gegensatz zu den meist rundlichen Ohren der natürlich vorkommenden Bärenarten stehen[39], wurden zuweilen als bärentypisch beschrieben[40]. Auch die römische Bronzefigur einer Bärin im Aachener Dom ist mit „wölfisch“ spitzen Ohren wiedergegeben. Der fehlende Schwanz, ein üppiger Fellkragen und die weiblichen Brüste lassen keinen Zweifel an ihrer Bärennatur. Sie ist wie Künzl bemerkt, „ein Bär mit leichten zoologischen Ungenauigkeiten“[41]. Vielleicht hängt das mit der wundersamen Genealogie der Kallisto zusammen. Sie gilt bald als Nymphe, bald als Tochter des arkadischen Königs Lykaon[42]. … die Bärin schauderte, wenn sie im Gebirge Bären erblickte, und hatte Angst vor Wölfen, obwohl ihr Vater einer war[43]. Ovid verbindet also zwei verschiedene Arten von Säugetieren miteinander. Wenn es bei Euripides[44] heißt: …In des Raubtiers Gestalt verschwanden die Bürden des Kummers…, dann stellt sich die Frage, ob die Metamorphose der Kallisto überhaupt als Bestrafung zu werten ist, wie es so häufig geschieht. Schließlich handelt es sich bei der Bärin um ein heiliges Tier der Artemis[45].

    Das Verhalten der vielgestaltigen Göttin gegen Mensch und Tier ist merkwürdig ambivalent. Sie behütet Lebewesen, doch sie vernichtet sie auch: …hat dich die Schützin getötet, Artemis, die dich traf  mit ihren sanften Geschossen[46]schon beim dritten Mal hast du … auf ein Tier geschossen[47]. Ein Relief in Kassel zeigt die „Hirschtrefferin“/elaphebolos, die dem verwundeten Tier mit einem zweiten Speer den Todesstoß gibt. Entsprechend den Gepflogenheiten neolithischer Zeit ist für die Jägerin Artemis das waidgerechte Töten selbstverständlich[48].

     

    Artemis als Hirschtrefferin. Relief, Ende des 5. Jhs. v. Chr..

    Kassel. Aufnahme der Verfasserin

    Das vierte Mal hast du… dein Geschoss auf die Stadt der Ungerechten gelenkt, die…vielerlei Freveltaten verübten[49].                                 

    Da dich für die Weiber zur Löwin

    Zeus gemacht und dir gab zu töten, wen du nur möchtest[50].

    …die Frauen sterben… im Wochenbett, von einer Krankheit befallen[51]

    Wenn Artemis ihre Integrität verletzt sieht[52] oder Sterbliche sich der Hybris/Überheblichkeit schuldig machen, ist die Rache der Göttin furchtbar. Als Niobe sich ihrer vielen Söhne und Töchter rühmt und es wagt, sich über Leto, die nur zwei Kinder geboren hat, nämlich Artemis und Apollon, zu erheben, bricht das Unheil über die Niobiden herein.  Diese [die Knaben] hat Apollon getötet mit silbernem Bogen…die Töchter die Artemis pfeileverschüttend…[53].

                      Tötung der Niobiden, Kelchkrater, ca. 450 v. Chr., Paris

                                    Nach Simon 21981, 133-135 Abb 193[54]

     

    Doch Artemis ist auch Heilerin, die zusammen mit ihrer Mutter Leto den verwundeten Aenaeas behandelt[55]; sie ist Helferin, die für glückliche Geburten sorgt: Nur selten wird sie in eine Stadt hinabsteigen, wenn nämlich Frauen, von akuten Wehen gequält, mich als Nothelferin rufen[56]. Auf wen du… freundlich lächelnd und gnädig herniederblickst , gut trägt denen die Ackerfurche Ähren, gut geht die Zucht der Vierbeiner, gut vergrößert sich der Hausstand. Und nie gehen sie zu den Gräbern, es sei denn, sie bringen etwas Hochbetagtes[57].Als Kourotrophos[58] schützt und fördert sie kleine hilflose Wesen, ein Aspekt, der auch Bärinnen eigentümlich ist. Nach Aristoteles nämlich werden die neugeborenen Bärenkinder von ihrer Mutter nicht nur genährt[59], sondern durch beharrliches Lecken erst in Form gebracht[60].

    Wie ist es nun um die Bärengestalt der Göttin Artemis bestellt?

    Es gibt die Darstellungen und literarischen Zeugnisse zu den Arkteia, den Festen zu Ehren der Artemis Brauronia. Kleine Mädchen[61] führen rituelle Läufe aus, wobei sie von Priester/inne/n mit Bärenköpfen und- Masken beaufsichtigt werden. Sie tragen krokosfarbene Gewänder und werden Bärinnen, arktoi, genannt, aber als Menschenkinder wiedergegeben. Artemis nimmt als Jägerin, in weiblicher Gestalt, an den Festlichkeiten teil, ohne jeden Hinweis auf eine viel beschworene „Bärennatur“. Der Versuch, sie als Bärengöttin zu etablieren, basiert vor allem auf der Identifizierung mit Kallisto, deren Verwandlung in eine Bärin ja literarisch und bildlich belegt ist. Doch wenn man die unsterbliche Göttin derart eng mit einer Untergebenen verknüpft, so heißt das, sie einer Nymphe anzugleichen, die zwar langlebig, aber eben doch sterblich ist[62], die nicht nur verwandelt und verstirnt sondern auch getötet und begraben werden kann, Begebenheiten an denen die Göttin einigen mythologischen Strängen zufolge wiederum aktiv beteiligt ist.

    Eine andere Folge der Identifikation wäre die Verbindung einer Gottheit mit einem Grabmal – ein Widerspruch in sich, noch dazu, da sich dieses Grabmal auf dem Gelände des Heiligtums eben dieser Gottheit befindet.

    Im Übrigen verlöre die Göttin, indem man sie via Kallisto zur (Gattin und) Mutter macht, ihre notorische Jungfräulichkeit[63]. Für einen solchen  willkürlichen Eingriff in die mythologische Charakteristik der Artemis fehlt in Literatur und darstellender Kunst der Antike jede Grundlage[64]. Selbst wenn man ihre Aspekte als Geburtsgöttin und Kourotrophos, Potnia Theron, Ephesia und Pergaia berücksichtigt, ist es eine Sache, als große umfassende  Fruchtbarkeitsgottheit über Gedeihen und Vergehen der Natur zu wachen, aber eine andere, eingeengt auf einen lokalen Kult als Mutter des Individuums Arcas, eponymen Heros der Einwohner Arkadiens, zu gelten.

    Auf unsere Frage: Artemis, eine Bärengöttin? gibt es daher allem Anschein nach nur eine Antwort: Artemis. die Göttin mit den vielen Namen und Gestalten[65], ist in der Antike weder als Bärin dargestellt noch in den Schriften expressis verbis als solche bezeichnet worden.

    Antike literarische Quellen:

    Eur. Hel.: Euripides, Helena, in: Ausgewählte Tragödien I übers. E. Buschor (Darmstadt 1996)

    Eur. Iph. A: Euripides, Iphigenie in Aulis. Übers. von J. J. Donner (Stuttgart 1965)

    Hom. h.: Homerische Hymnen, griech. u. dt. (München – Zürich 61989)

    Hom. Il.: Homer, Ilias, übers. R. Hampe (Stuttgart 2007)

    Hom. Od.: Homer, Odyssee, übers. R. Hampe (Stuttgart 2007)

    Hyg. astr.: Hygini De astronomia (Stuttgart – Leipzig 1992)

    Hyg. fab.: Hygini fabulae (Stuttgart – Leipzig 1993)

    Kall. h.: Kallimachos, Werke . Griechisch und deutsch. Hymnen, Auf Artemis. Hrsg. und Übers. M. Asper (Darmstadt 2004) 402-417

    Ov. Met.: Ovid, Metamorphosen, Lateinisch-Deutsch, Übers. M. von Albrecht (Stuttgart 1994)

    Paus.: Pausanias, Reisen in Griechenland 8, Arkadien (Düsseldorf – Zürich 2001)

     

     

    Abgekürzt zitierte Sekundärliteratur:

    Bachofen 1863: J. J. Bachofen, Der Bär in den Religionen des Altertums  (Basel 1863)

    Bevan 1986: E. Bevan, Representations of Animals in Sanctuaries of Artemis and other Olympian Deities (Oxford 1986)

    Bevan 1987: E. Bevan, The Goddess Artemis, and the Dedication of Bears in Sanctuaries, BSA  82, 1987, 17-21

    Bruns 1929: G. Bruns, Die Jägerin Artemis (Diss. München1929)

    Christou 1968: Chr. Christou, Potnia Theron (Thessaloniki 1968)

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    Kahil 1984: LIMC II (1984) 624-628 Nr. 2-57 Taf. 442-447 s. v. Artemis (L. Kahil)

    Kaufmann-Heinimann 2002: A. Kaufmann-Heinimann, Dea Artio, die Bärengöttin von Muri: römische Bronzestatuetten aus einem ländlichen Heiligtum (Bern 2002)

    Kerényi 71984: K. Kerényi, Die Mythologie der Griechen I. Die Götter- und Menschheitsgeschichten (München 71984)

    Kerényi 71984: K. Kerényi, Die Mythologie der Griechen II. Die Heroengeschichten (München 71984)

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    Sale 1962: W. Sale, The Story of Callisto in Hesiod, RhM (Rheinisches Museum für Philologie) 105, 1962, 122-141

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    Simon 1990: E. Simon, Die Götter der Römer (München 1990)

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    Wamser-Krasznai 2007: W. Wamser-Krasznai, Metamorphosen der Haut im  antiken Mythos, Akt Dermatol 33/2007, 96 f.

    Wamser-Krasznai 22018: W. Wamser-Krasznai, Artemis Italica, die Göttin mit der Löwenfellkappe, in dies.: Scholien und Spolien (Filderstadt 2017) 39-56

     

    [1] Eur. Hel. 375-385; RE XV, 1 Merops, 1066; Kerényi I 71984, 117 Anm. 477.

    [2] Hyg. astr. 2, 1. 2; ders. fab. 177, 2. 3.

    [3] Lukian. De Dea Syria 41 f.; Bachofen 1863, 12.

    [4] Hom. Il. 21, 470.

    [5] H. Gams, Artemis, in: Der kleine Pauly I (München 1979) 622.

    [6] πότνια ταυρών, Der kleine Pauly ebenda; Technau 1937, 89 f. Abb. 10; Christou 1968, 78-101; Kahil 1984, Nr. 2-66.

    [7] Der Bär, die Arktos, ist im Griechischen weiblich.

    [8] Kall. h. 3, 215 f. Arkas: Anklang an Arktós [die Bärin] RE II, 3, 1159.

    [9] Apollod. III 9, 2, 2; Aelian. v. h. XIII 1,4; RE II, 3 (1895) 1434 s. v. Artemis. Bärin (Wernicke); Bachofen 1863, 11.

    [10] Als entsprechende Fundorte nennt Bevan die Akropolis von Athen, das argivische Heraion, das Artemision von Thasos, das Heiligtum der Artemis Orthia in Sparta und das der Athena Alea in Tegea, dies. 1987, 17. 20.

    [11] Paus. 7, 18, 12 f.

    [12] s. den Beinamen Elaphebolos, Hirschtrefferin, Hom. h. 27, 2; Kall. h. 3, 262.

    [13] Zur Beendigung der Menschenopfer für Artemis: Paus. 7, 19, 6.

    [14] Ehrwürdige, die der Menschenopfer sich erfreut…Eur. Iph. A.1525; Ov. met. 12, 30-35; Darstellung: Fresko im Haus des tragischen Dichters, Pompeji, St. De Caro (Hrsg.), Il Museo Nazionale di Napoli (Napoli 1994) 183 VI, 8, 5 Inv. 9112; …abgelehnt hattest du die Opferbräuche der Taurer..,.Kall. h. 3, 174 f.

    [15] Scholia Graeca in Lysistratam 645; Bevan 1987, 18 Anm. 7.

    [16] Arist. Lys. 148; Schol. Arist. Lys. 645; Kahil 1977, 87.

    [17] Bachofen 1863, 15; Kall. h. 3, 14.

    [18] Kahil 1977, 86-98.

    [19] Kahil 1977, Fig. A-C. 92 f. Abb. 6 f. Taf. 18 f., v. a. Taf. 20.

    [20] Kahil 1977, 93 und Anm. 33.

    [21] Anscheinend beschränkt sich der Kult auf die Gegenden um Bern und Trier (kleine Terrakottafiguren und Matrizen) Kaufmann-Heinimann 2002, 50; dazu der Hinweis auf eine Felsinschrift „Artioni“ bei Ernzen in Rheinland-Pfalz, dies. S. 52; Bachofen 1863, 35.

    [22] Vikela 2015, 79-87; RE II, 3, 1895, Artemis, 1378-1402. Zur Bedeutung des Löwen als Tier der Artemis: Wamser-Krasznai 2017, 46 f.

    [23] RE II, 3, 1895, Artemis, 1435-1439.

    [24] Andere große Vierfüßler packt sie an einer Extremität oder, wie auch die Wasservögel, am Hals, s. Christou 1968, 61-77.

    [25] Kahil 1977, 90 f. Abb. 4 Taf. 19, 2.

    [26] Hes. cat. fr. 163; Kall. fr. 632; Paus. 8, 3, 6; Ov. met. 2, 476-484; Apollod. 3, 101.

    [27] = die Allerschönste; Maggiulli 1970, 184 f. Anders Sale 1965, 12.

    [28] Paus. 8, 35, 8.

    [29] Paus. 1, 29, 2.

    [30] Paus. 8, 3, 6.

    [31] Ov. met. 2, 425-428.

    [32] Ov. met. 2, 439-441.

    [33] Paus. 8, 3, 6 f. Hom. Od. 5, 272-275.

    [34] Ov. met. 2, 509.

    [35] Als Zirkumpolarsterne ‚tauchen sie nicht ab‘, sondern sind ganzjährig für uns sichtbar, Hom. Od. 5, 271-277; dazu auch Wamser-Krasznai 2007, 96.

    [36] Hyg. fab. 177, 2. 3.

    [37] Kall. fr. 632; DNP a. O. Frühklassische Amphora und Bronzemünze aus Orchomenos, Schefold 1981, 229-232 Abb. 316-318; ferner LIMC II (1984) 609 Nr. 2 Taf. 438 s. v. Arkas (A. D. Trendall).

    [38] Paus. 10, 31, 10.

    [39] Reeder 1995, 301 Abb. 2; auf den Bildern der Krateriskos-Fragmente in der Sammlung Cahn sind die Ohren der bärenköpfigen Figuren zwischen  rund und spitz angegeben, ebenda 327 Abb. 100 b. c; Kahil 1977, 86 f. Fig. C. Taf. 20, 2. 3.

    [40] Trendall 1977, 100 Taf. 22, 2. 4. 5; Schefold 1981, 230 f.  Abb. 320. 322.

    [41] Künzl 2003, 16 Abb. 4 f. 42 f. .

    [42] Zwei verschiedene Versionen, Apollod. 3, 8, 2; Sale 1965, 14.

    [43] lupus = λύκος. Ov. Met. 2, 494 f.

    [44] Eur. Hel. 378-380.

    [45] Sale 1965, 26. 32 f.

    [46] Hom. Il. 11, 172 f.; Od. 11, 172. 198 f.; Laser 1983, S 91

    [47] Kall. h. 3, 119 f.

    [48] Simon 1990, 51.

    [49] Kall. h. 3, 120-122.

    [50] Hom. Il. 21, 483 f.

    [51] Kall. h. 3, 126 f.; Maggiulli vermutet in dieser Krankheit das Kindbettfieber (Puerperalfieber), an dem die Frauen in Kürze sterben, dies. 1970, 183 Anm. 24.

    [52] Der Jäger Aktaion belauert Artemis beim Bade. Sie verwandelt ihn in einen Hirsch und lässt ihn von seinen eigenen Hunden zerreißen, Ov. Met. 3, 164-252.

    [53] Hom. Il. 24, 602-609; Ov. Met. 6, 195-305; Paus. 1, 21, 3 u. a.

    [54] Die Abbildungserlaubnis erteilte mir Frau Prof. Dr. Erika Simon, Würzburg, der ich wie schon so oft hierfür und für viele Informationen zu danken habe.

    [55] Hom. Il. 5, 447 f.

    [56] Kall. h. 3, 20-23.

    [57] Kall. h. 3, 129-133.

    [58] Diod. 5, 73, 5; DNP 936 f. s. v. Kourotrophos (F. Graf).

    [59] Bärin mit „weiblichen“ Brüsten: römische Statue im Aachener Dom, Künzl 2003, 16.

    [60] Aristoteles h. a. VI 30; RE IV 1897, 2759. Danach Plin. n. VIII 126; Vergil, der das Lecken der Bärin an ihren Jungen mit dem Feilen an einem Gedicht vergleicht, Verg. vit. Suet. reliq. 59 R; Ov. Met. XV, 379-381; Plut. mor. 494; Bevan 1987, 19; Porph. Vita Pythagorae 41; Bachofen 1863, 4. 6; Hoenn 1946, 19.

    [61] …Nymphen suchte sie sich aus, allesamt neunjährig, Kall. h. 3, 42 f.

    [62]Die Nymphen sollen zwar eine lange Anzahl von Jahren leben, doch nicht gänzlich unsterblich sein, sagen die Dichter von ihnen.“ Paus. X, 31, 10.

    [63] Hom. h. 9. an Artemis: Jungfrau blieb sie…die jagdfrohe, treffliche Schützin…

    Hom. h. 27. an Artemis: züchtige Jungfrau, Meistrin der Hirschjagd, Kall. h. 1.5. 30:  Artemis besingen wir..Gib mir, ewig Jungfräulichkeit zu bewahren, Vater. Und  Zeus antwortet: nimm dir alles mein Kind, was du..forderst und anderes, größeres noch wird dein Vater dir geben. Maggiulli 1970, 180; anders Sale 1965, 12. 34 f.

    [64] Ähnlich Sale 1965, 33-35; dagegen: “ Zeus ist von alters her der Artemis als Gatte gesellt, in Arkadien als Vater des Arkas, in Lakonien als Vater des Lakedaimon; in dem später allgemein geltenden Göttersystem ist sie eine Tochter des Zeus…“ RE 3, 1895, 1369. Einzige Quellenangabe: Paus. II 9, 6 mit dem Hinweis auf eine Kultgenossenschaft von  Zeus und Artemis. .

    [65] Vikela 2008, 80.

  • Beitrag zum BDSÄ-Kongress in Wismar 2018

    Alltags/gespräche/ plaudereien mit meinem Engel

     

    Heute ist ein wunderschöner Tag, es klirrt zwar vor Kälte, aber die Luft tut gut und der Sonnenschein…! Außerdem probieren wir (meine Ärztin und ich) ein neues Medikament aus, das scheint eindeutig ein Dopingmittel zu sein! Also voller Schwung gehe ich an die Arbeit, ich weiß, ich muss aufpassen, dass ich nicht stolpere vor lauter Schwung, hinfalle und mir irgendwas breche… Dann hätte ich die so oft herbeigesehnte Zeit zum Lesen, aber nicht unbedingt, wie ich es mir wünschte! Deshalb wünsche ich mir oft lieber etwas erst gar nicht. Auch mit meinen Plänen bin ich vorsichtig, ich will meinem Engel nicht damit im Weg stehen. Also, ich nahm mehr in Angriff als vorgehabt… Vorsicht! Nachher bist du erschöpft und dann… dann schlafe ich eben… oder lese… Entgegnete ich mir trotzig.

    Da passierte es schon: iMac, Internet, Online Banking – die Zeit raste mit dem gleichen Schwung, wie ich alles in Angriff genommen hatte. Ich musste irgendwie und irgendwoher fünfzehn Minuten einsparen. Schließlich rief ich meine erste Patientin an. Eine andere hatte ich zuvor angerufen, die kommt aber erst morgen, sie meinte sie drücke mir die Daumen. Die richtige erreichte ich nicht, also beeilte ich mich. Da rief sie zurück, natürlich könne sie 15 Minuten später kommen, wir können aber heute auch nur eine halbe Stunde arbeiten, eigentlich gehe es ihr ganz gut und dann sei es doch auch einfacher abzurechnen!

    Ja, und nun konnte ich viel mehr erledigen als gedacht… Auf dem Weg in die Praxis traf ich zwei Bekannte, über die Begegnung freute ich mich riesig, weil ich nun nicht mehr mit ihnen telefonieren musste und vor allem, nicht mehr dauernd daran denken muss.

    Und nun erlebte ich etwas sehr Lustiges: deshalb schreibe ich überhaupt davon… Meine kleine Hündin machte auf dem schmalen Rasenstreifen am Straßenrand ihren Stink. Als ich die Tüte nahm (heute, weil es so schönes Wetter ist, eine rote aus Zürich und nicht die schwarze aus Lörrach), um es aufzulesen, sagte jemand innerlich zu mir: „Nimm den Kothaufen daneben auch auf.“ Ich stutzte. „Ja, “ hieß es schon wieder „das war nicht dein Hund, aber tu es doch trotzdem.“ Ich dachte, ok, der Umwelt zuliebe… „Nein, nicht wegen der Umwelt, unseretwegen,“

    ???

    „Deine selbstlose Tat gibt uns die Kraft, den Hundehalter zu bestrafen.“

    ???

    „Wie er sich dann schämen wird!“

    ???

    „Noch heute wird er in Hundescheisse treten und fluchen und dann wird er nachdenken und sich schämen!“
Ich musste – wahrscheinlich auch äusserlich – lächeln. Aber… Moment mal, das war doch nicht mein Engel, der sprach nicht so, sprach auch nicht von „wir“. Wer sprach mit mir? „Ist doch egal, wer mit dir spricht, vielleicht ein Ortsgeist, vielleicht andere Elementarwesen. Aber wir handeln nicht eigenmächtig, wir handeln im Auftrag deines Engels.“
Als ich mir vorstellte, dass ich die heutige Hundekot-Erziehungs-Geschichte erzähle, hiess es: “Schreib es auf.“ Jetzt spürte ich die Wärme, wenn mein Engel mit mir in Kontakt tritt. „Schreibe ein Buch!“

    „Ein Buch?“

    „Ein Kapitel in deinem Engelbuch.“

    „Engelbuch?“

    „Du hast es schon.“

    ???

    „Deine Gedichte über und für mich.“

    „Das ist doch kein Buch.“

    „Dann mach eins draus, zusammen mit all den anderen Gedichten, die du geschrieben hast für die, die uns helfen.“

    Ich ahnte, was mein Engel meinte. Ist es ein Auftrag? Ich habe auch schon einen Titel, aber den verrate ich (noch) nicht.

    Copyright Dr. Helga Thomas)

  • Herzstillstand im Paradies

    Science Fiction

     

    Im Zentrum des heiligen Labyrinthes thronte Gott mit seinem Sohn und seiner Tochter. Aus dem Baum der Erkenntnis strömte unablässig das Licht der Welt und erstrahlte den himmlischen Garten. Dem Menschen ungekannte Farben übertrumpften sich gegenseitig und woben einen Teppich unendlicher Brillanz. Am Einlass des elfgängigen kreisförmigen Labyrinthes verwöhnten duftende Rosen in violetten Nuancen die Augen. Es folgten in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Regenbogens in fließenden Übergängen blaue, dann grüne, gelbe, orangefarbene und zuletzt rote Farbtöne im Herzen. Allein der Erkenntnis war es erlaubt, in unbeflecktem Weiß in Erscheinung zu treten.

    Gottes Sohn war erwachsen geworden. Es begehrte ihn nicht mehr, den verbotenen Ort namens Erde zu betreten. Er hatte seine Lektionen im göttlichen Kindergarten gelernt. Er hatte alles gesehen und erfahren, um das Werk seiner Eltern zu begreifen. Er war selbst mehrfach Mensch geworden, und musste erkennen, dass auch dies nichts nützte, nennenswerte Änderungen für einen längeren Zeitraum herbeizuführen.

    »Vater, ich erzählte den Menschen von der unsterblichen und liebenden Seele, aber sie verstanden mich nicht, und die wenigen Auserwählten, die mich verstanden, opfern ihrem Glauben zuliebe seit Jahrhunderten ihr Leben, ohne dass sich das Schicksal der Menschheit ändert.«

    Gott dürstete es nach Weisheit, und so bat er seine Frau um Unterstützung. Der Heilige Geist wusste über jeden und alles Bescheid, sie war das wandelnde Lexikon und die Retterin in der Not.

    »Meine Herrin des Himmels, meine Ashera, meine Liebe, meine Isis, mein Heiliger Geist, sei bei uns, wir brauchen dich.«

    Gottes Sohn seufzte. Seine Mama durchschritt das Labyrinth niemals ohne Abkürzung: es wird nicht übersprungen, nicht überflogen oder geschummelt. Selbst wenn ihr die Stacheln dieser edlen Rosen niemals Schaden zufügen, die Regeln des Labyrinthes bricht sie nicht achtlos. Gewissenhaft durchschritt Maria alle Winkel, Biegungen und Ecken des göttlichen Gartens, nicht ohne Huldigung, Begeisterung und Bewunderung gegenüber Mutter Natur, deren Schutzherrin sie war.

    El, der Herrscher über den Himmel, legte die hohe Stirn in Falten. »Als du noch jung gewesen bist, hast du die Menschen ohne meine Erlaubnis aufgesucht, und jetzt, nachdem ich eine neue Aufgabe für dich ersonnen habe, willst du dich meinem Willen widersetzen?«

    Maria, die Mutter Gottes Sohnes und Hüterin der Marien, verteidigte ihre Kinder. »Nach Schaffung der Erde hast du dich nur wenige Male bei ihnen blicken lassen. Stattdessen hast du uns als Menschen zu ihnen gesandt, um die Fehler deiner Schöpfung auszubügeln. Du musst zugeben, dass diese Projekte gescheitert sind.«

    Noch während sich die Heiligen über Schuld, Versöhnung und Vergebung stritten, schritt Gottes Tochter zur Tat, setzte sich an den Zentralcomputer, loggte sich mit dem Administratorpasswort ihres Vaters ein, öffnete das Programm »Simulation Erde 2 hoch 50 Punkt Null« und änderte das Schicksal der Menschheit.

    Was nutzte es, wenn einige wenige Menschen nach den Geheimnissen des Universums lebten? Was geschähe, wenn sie alle gleichzeitig am Wunder des Lebens teilhaben? Den Himmel auf Erden schaffen, wie ihr Vater es predigte? Sie wusste all zu gut, dass auch die aktuelle Simulation dazu verdammt war, frühzeitig zu scheitern. Das war in ihren Augen gegenüber den Seelen, die vertraglich dazu verpflichtet waren, für Äonen von Äonen in die Menschen zu schlüpfen, unfair und ungerecht. Denn ohne Seele konnte die biologische Simulation nicht gestartet werden. Jene Seelen litten, zumindest ihrer Auffassung nach, unnützerweise Qualen zu Lebzeiten, nur damit ihr Vater Gefallen an seiner biologischen Simulation, der Schöpfung, hatte. Er mochte ein guter Programmierer sein, aber sie, und das war ihr von Anbeginn der Raumzeit klar, war besser.

    Der ungebetene Beweis wurde ungefragt in die Tat umgesetzt.

    Am Rande des Sonnensystems, in dem die Erde ihre Runden zog, erschien quasi aus dem Nichts eine Wolke gigantischen Ausmaßes. Nicht irgendeine Wolke, sondern DIE WOLKE.

    Die Spiegelteleskope der Astronomen wurden zuerst fündig. Es wurden sehr schnell schlaue Theorien aufgestellt, um die Herkunft der Wolke wissenschaftlich wasserdicht zu erklären, und die Weltbevölkerung lebte ungestört und zufrieden weiter wie immer. Was interessierte denn die Allgemeinheit, was der Himmel schickte? Doch die Größe des unbekannten Objektes erschütterte nicht nur die Gemeinschaft der Physiker. Die Wirtschaftsbosse der Erde waren zutiefst beunruhigt. Wollte eine außerirdische Macht die Weltherrschaft an sich reißen? Würde die Wolke die Erde gar zerstören? Sollte man Atomwaffen auf den Weg schicken, um den Kurs der Wolke abzulenken? War es möglich, die Wolke einzufangen, und die Macht der Wolke, welcher Natur sie auch sein mochte, für sich selbst zu nutzen? Die Geheimdienste liefen auf Hochtouren. Sie heckten Pläne aus, die für himmlische Interventionen jedoch wenig hilfreich waren.

    Als bekannt wurde, dass sich die Wolke auf Kollisionskurs gen Jupiter befand, kulminierten Faszination und Begeisterung unter den Wissenschaftlern, aber Angst und Schrecken in den Reihen der Regierungen, die etwas zu sagen hatten. Innerhalb der Wolke blitzten und zuckten wilde Gewitter, und das Magnetfeld, das der mondgroßen Wolke innewohnte, beeinflusste mittlerweile das irdische Magnetfeld. Die Navigationen sämtlicher Gerätschaften mussten ständig nachjustiert werden. Dann plötzlich verschwand die Wolke im gewaltigen Jupiter, als hätte er sie verschlungen. Der große Bruder und Beschützer der Erde hatte die Wolke scheinbar vernichtet.

    Dann aber wurde eine seltsame Beobachtung auf allen Fernsehkanälen gleichzeitig ausgestrahlt: Der rote Fleck des Jupiter, die Eintrittspforte der Wolke, war verschwunden. An seine Stelle trat ein leuchtendes Ultramarinblau ungesehener Eleganz und Schönheit; ein funkelnder Lapislazuli im Universum. Fast hätte man die Wolke ob des Staunens übernatürlicher Kräfte vergessen. Am nächsten Tag jedoch trat die Wolke auf der gegenüberliegenden Seite des riesigen Gasplaneten wieder in Erscheinung, schwenkte auf eine Umlaufbahn und umrundete den König des Sonnensystems mehrmals wie bei einem zärtlichen Tanz. Sie tauchte in den kritisch beobachtenden irdischen Objektiven auf. Diesmal noch größer und bedrohlicher als zuvor: Ein kosmisches, nun rot leuchtendes Ungeheuer, das dem Jupiter Farbe und Kraft gestohlen hatte, waberte wie glitzernde Götterspeise durch das All in Richtung Erde, vorbei an Phobos und Deimos, den gepeinigten Kindern des Kriegergottes Mars.

    Die Astrologen schlugen Purzelbäume, die neuzeitlichen Gurus verkündeten das Ende der Welt, die Verrückten riefen den Heiligen Krieg aus, die Starwars-Anhänger rüsteten sich mit Laserschwertern auf und zelebrierten Weltraumpartys. Nur die Regenten der Erde stimmten nicht im Kanon ein. Berater aus allen Richtungen der modernen Wissenschaften waren nicht in der Lage, der Situation gerecht zu werden. Dennoch wurden zweckmäßige Entscheidungen getroffen.

    Der Flugverkehr wurde für unbestimmte Zeit eingestellt. Die Steuerung einiger, aber nicht aller, Atomwaffenstützpunkte wurde vorübergehend von der Stromversorgung abgekoppelt und auf Eis gelegt, die wichtigsten Köpfe wurden inklusive ihrer engsten Familie eingesammelt, ob mit oder gegen ihren Willen, und in unterirdischen Wohneinheiten, die man Arche Noah nannte, untergebracht, während das öffentliche Leben nach Möglichkeit in normalem Umfang weitergelebt wurde.

    Falls dies tatsächlich das Ende der Menschenwelt sein sollte, würden vielleicht ein paar der besten Exemplare in der Antarktis, im Himalayagebirge, in den Alpen, in der Wüste von Nevada, in der sibirischen Tundra, in der Nazca-Ebene in Peru sowie in der zentralaustralischen Wüste überleben.

    Je schneller sich die Wolke dem Blauen Planeten näherte, desto besser gediehen Sorgen und Kummer ebenso wie überirdische Vorfreude und fanatische Ideen. Dieses Ereignis beeinflusste Menschheit, Flora und Fauna. Mutter Erde war in Gänze betroffen. Die Schlagzeilen stellten Fragen, statt Antworten zu liefern: Verschieben sich die magnetischen Pole, oder versagen sie ihren Dienst? Hört die Erde auf, sich zu drehen, oder dreht sie sich schneller oder langsamer? Verliert die Erde ihren Mond? Wird die Erde aus ihrem Sonnensystem geschubst? Verschwindet die Atmosphäre und damit alles Leben? Journalisten mussten bald ihre Tätigkeit einstellen, denn es kam zu Stromausfällen, noch bevor die Wolke die Erde erreicht hatte. Kompasse spielten, wie erwartet, verrückt. Fahrzeuge blieben auf der Straße stehen. Allgemeines Chaos und Panik breiteten sich aus. Supermärkte wurden gestürmt, Schulen und Kindergärten geschlossen. In diesem Ausnahmezustand interessierte es nicht einmal die deutsche Bevölkerung, wie sie pünktlich zur Arbeit kam.

    Während die Erde einen Tag vor dem Zusammenstoß mit der Wolke brutalste zwischenmenschliche Reibereien erfuhr, die beinahe eine atomare Katastrophe zur Folge gehabt hätten, änderte sich der Ton in gespenstischer Art und Weise.

    Die Umwelt verstummte. Kein Vogel zwitscherte. Kein Hund bellte. Kein Katzenjammer. Kein Straßenlärm. Kein Kreischen und Jauchzen von Kindern. Kein Radio plärrte. Nichts und niemand sprach einen einzigen Laut.

    Es war die berühmt-berüchtigte Ruhe vor dem Sturm.

    Wer sich auf der Nachtseite der Erde aufhielt, konnte das rötliche Schimmern der Wolke und das in ihr tobende Gewitter mit bloßem Auge deutlich erkennen.

    Ein sagenhafter Sturm, den sich die Tochter Gottes ersonnen hatte: Ein Sturm von gewaltiger Kraft und Energie, doch es war weder etwas zu hören noch zu spüren. Kein Baum krümmte sich. Kein einziges Staubkörnchen wirbelte durch die Luft. Es war, als stünde die Raumzeit still.

    In jenem Moment, als die Wolke in die Atmosphäre eintauchte, erlitt die Erde einen globalen Stromschlag, der alle Herzen still stehen ließ.

    In der Zentrale des Himmels leuchteten alle Alarme gleichzeitig auf. Was war geschehen? Augenblicklich erkannte die Mutter Gottes das Wirken ihrer Tochter, bevor es ihr Vater erfasste. Ein nie gekannter Seelensturm stieß zum Himmel empor. Alle Seelen der Erde sahen das Licht der Welt, die Erlösung und kosteten vom süßen Trank göttlicher Erkenntnis; lange genug, um dieses Erlebnis unvergessen zu machen.

    Gott, der Herr im Himmel, klagte: »Meine Tochter, meine Tochter, was hast du getan?«

    Sie zuckte lässig mit den Schultern: »Ich gab ihnen vom Baum der Erkenntnis. Soll das eine Sünde sein?«

    »Mach das sofort rückgängig!«, befahl er seiner Tochter in schärfstem Tonfall.

    Sie zuckte erneut mit den Schultern. »Tut mir leid, die Programmierung lässt sich nicht rückgängig machen.«

    So pflegte es ihr Vater zu tun, wenn er mit seiner Arbeit unzufrieden war. Die Erde hat schon einige Zeitschleifen absolviert. Dummerweise können sich einige Seelen so lebhaft daran erinnern, was Anlass zu Streit im Himmel gab. Die Erinnerungen einer biologischen Maschine ließen sich problemlos mit wenigen Befehlen entfernen. Die einer unsterblichen mehrdimensionalen Struktur jedoch nicht.

    »Schick die Seelen sofort zurück auf die Erde, wo sie hingehören!«, herrschte er sie an.

    »Warum regst du dich so auf?«, antwortete sie beschwichtigend. »Das war doch ohnehin in meinem Plan vorgesehen.«

    Er sah sie hilflos und enttäuscht an. »Ich wollte, dass sie sich selbst den Himmel auf Erden errichten. Ohne göttliche Fügung und Einmischung. Aus eigener Kraft.«

    Seine Tochter lachte. »Du widersprichst dir selbst. Du hast Mutter, meinen Bruder und mich auf die Erde gesandt. Wer, wenn nicht wir, wissen besser als du, dass sie es ohne uns niemals schaffen? Diese Schöpfung ist eine Beta-Version und zum Scheitern verurteilt, wenn man sie sich selbst überlässt.«

    Gott dachte nach. Es dauerte eine Ewigkeit.

    »Was hast du vor, meine liebe Tochter?«

    Gottes Tochter klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. »Lass uns die Menschen retten. Gib ihnen das Paradies zurück, das du ihnen genommen hast, weil sie nicht so waren, wie du es dir erhofft hattest.«

    Gottes Seufzer war sogar auf Erden zu hören. »Ich habe den Menschen verziehen, denn ich — und nicht die Menschheit — bin für die Fehler in der Software zuständig.«

    Seine Tochter lächelte ihn zufrieden an. »Vergebung ist einer der schwierigsten Liebesbeweise, Papa.«

    Er nickte zustimmend. »Ich liebe die Menschen trotz all ihrer Fehler. Ich liebe sie alle. Ich habe sie geschaffen, und sie sollen in Frieden leben dürfen, solange sie wollen.«

    »Ich habe ein Geschenk für dich, Papa«, verkündete sie stolz. Denn sie war es leid, Dinosaurier, Fabelwesen und Menschen scheitern zu sehen.

    »Sieh, das ist die Zweite Erde, jungfräulich schön. Die dort lebenden Menschen sind eine finale Version. Es wird dir gefallen.«

    Copyright Dr. Cordula Seeboth

  •                                                  MIRACLE                                    

     

    A young man dreamed of entering a large store. In the front of him, instead of an employee at the long flat-topped fixture , was an amazing being dressed in luminous brilliant white. “Who are you “asked the astounded young man.
    The “employee” answered “An angel …“
    „What do you sell here?“                                                                                                                                „Everything you would like to buy,“ kindly replied the  angel.
    The young man began to enumerate: „I would like to end all wars in the world, tolerance towards the strangers, justice, kindness, more love in families, and …“                                                               The angel stopped him: „I’m sorry, sir. You misunderstood me.                                                            We do not sell fruits; we only sell seeds.“

    The seed is always a beginning, a tiny, almost insignificant, beginning. A seed is a miracle. Even the largest tree comes from a tiny seed.  And our soul is a garden in which every good deed exisits as a seed, that will sow larger values and virtues.                                                                     

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Wunder

    André Simon

    Ein junger Mann träumte davon, einen großen Laden zu betreten. Vor ihm stand statt eines Angestellten an einer langen Ladentheke mit abgeflachter Spitze  ein erstaunliches Wesen in leuchtend weißem Gewand.

    „Wer bist du?“, fragte der überraschte junge Mann.

    Der „Angestellte“ antwortete: „Ein Engel.“

    „Was verkaufst du hier?“

    „Alles, was du kaufen möchtest“, erwiderte der Engel freundlich.

    Der junge Mann begann aufzuzählen: „Ich möchte, dass alle Kriege in der Welt aufhören, Toleranz gegenüber Fremden, Gerechtigkeit, mehr Liebe in den Familien und  …“

    Der Engel stoppte ihn: „Es tut mir leid, mein Herr. Sie haben es falsch verstanden. Wir verkaufen keine Früchte; wir verkaufen nur die Samen!“

    Der Samen ist immer ein Anfang, ein winziger fast unbedeutender Anfang. Ein Samen ist ein Wunder. Sogar der größte Baum wächst aus einem winzigen Samen. Und Ihre Seele ist ein Garten, in dem jede gute Tat wie ein Samen vorhanden ist[1], der größere Werte und Tugenden aussät.

     

     

     

  • Krankheit und Kränkung antiker Götter 

     

    Was bedeutet Krankheit für die Götter zur Zeit des trojanischen Krieges? Man denkt an die Söhne des Asklepios, Machaon und Podaleirios[1], die später von ihrem Vater, dem Heilgott schlechthin, bei Weitem an Ruhm übertroffen werden. Aber erleben Gottheiten auch selbst Unfälle und krankhafte Veränderungen, erfahren sie Kränkungen?  Nun, sie mischen sich in die kriegerischen Auseinandersetzungen der Menschen ein und übertragen, wie auf dem Schlachtfeld vor Troja, nicht nur ihre eigenen Zwistigkeiten auf die gegnerischen Parteien[2], sondern sie schlagen, noch dazu unter dem beifälligen Lachen des Göttervaters Zeus, heftig auf einander los[3]. Sie werden verwundet wie Menschen, dank ihrer Unsterblichkeit aber nicht tödlich, und sie beklagen ihre Verletzungen auf durchaus menschliche Art.

    Auch von nichttraumatischen pathologischen Veränderungen bleiben sie, wie etwa der Gott Hephaistos mit seiner Gehbehinderung[4], nicht ganz verschont. Götter reagieren äußerst empfindlich, wenn sie sich nicht genügend geehrt fühlen[5], sind verärgert und gekränkt, wenn man ihnen mit Hybris – Anmaßung – begegnet. Dann strafen sie unnachsichtig, senden Krankheiten[6], Unfruchtbarkeit[7], Tod und Verderben.

    1. Verwundete Götter:

    In seiner Ilias zeigt Homer die Götter in jener unmittelbaren, persönlichen Aktivität, wie sie sonst das Handeln der Menschen kennzeichnet[8].

    Herakles verwundet die Gottheiten Hera und Hades. Erstere, die Königin der Götter, verfolgt den illegitimen Sprössling ihres Gemahls mit gnadenlosem Hass. Wir erinnern uns, dass der stets für sterbliche Frauen entflammbare Zeus sich der schönen Alkmene in Gestalt ihres abwesenden Gatten Amphitryon genähert und mit ihr den überragenden Helden Herakles gezeugt hatte. Diesen Fehltritt nimmt die ständig betrogene Hera ganz besonders übel. Darüber, wie es zum Angriff des Herakles auf seine göttliche „Stiefmutter“ kommt, erfahren wir wenig mehr als nichts[9].

    Hera ertrug es, als sie des Amphitryon mächtiger Sprosse
    Traf in die rechte Brust mit dem Pfeile, dem dreifachgezackten.
    Damals ergriffen auch sie ganz unerträgliche Schmerzen[10].  

    Andere antike Quellen zu diesem speziellen Ereignis fehlen[11]. Aus dem Wort „damals“ können wir auf Vorzeitigkeit schließen. In der Ilias wird mehrfach von früheren Geschehnissen berichtet.

    In demselben Zusammenhang ist von der Verletzung des Hades die Rede. Anders als Hera, die den Schmerz einfach erträgt, lässt sich der Herr der Unterwelt von Paiéon behandeln[12].

    Hades ertrug den schnellen Pfeil, der übergewaltge,
    Als ihn derselbe Mann, des Zeus Sohn …
    in Pylos traf und ihm Schmerzen bereitet‘
    ... es war ja der Pfeil ihm
     in seine wuchtige Schulter gedrungen...
    Aber Paiéon heilte ihn dann mit lindernden Kräutern.

    Diomedes, ein weiterer griechischer Heros und wie Herakles Schützling der Göttin Athena, verletzt Aphrodite[13] und Ares.

    Von der lieblichen Aphrodite sagt Zeus: Dir sind nicht gegeben, mein Kind, die Werke des Krieges[14]. Dennoch hatte sie sich auf das Schlachtfeld gewagt, um ihren sterblichen Sohn Aeneas vor dem Schlimmsten zu bewahren. Der kampfesmutige Diomedes verfolgt sie.

    Nachspringend  stieß er ihr dann mit dem scharfen Speer in das Ende ihrer so zarten Hand.. nahe der Wurzel …; es floss das ambrosische Blut … chor genannt, wie es fließt bei den seligen Göttern …. Sie aber schrie laut auf und ließ den Sohn dabei  fallen, doch den fasste … und barg ihn in schwarzblauer Wolke Phoibos Apollon. Er bringt Aeneas in seinen Tempel auf der Burg von Troja, wo sich Artemis und Leto seiner annehmen und die Verletzungen heilen[15].

    Inzwischen wird die schmerzgeplagte Aphrodite von Iris mit windschnellen Füßen hinweg geführt. Ares stellt seiner Schwester (Geliebten, Gattin) seine Rosse zur Verfügung, Iris ergreift die Zügel … da flogen die Pferde

    Doch Aphrodite … fiel in den Schoß der Dione, ihrer Mutter 
    Halte es aus, mein Kind, rät diese, und fasse dich, wie du auch leidest!

    Dann wischt sie das göttliche Blut ab und heil ward die Hand, und die schweren Schmerzen wurden gelindert.

    Bei der Verwundung des Ares greift Athena entscheidend ein[16]:

    Sie, mit strahlenden Augen … führt ihm die Lanze von Erz … gegen die Weichen am Bauch … dorthin traf sie stoßend und riss ihm die Haut auf

    Klagend zeigt Ares dem Allvater das göttliche Blut, das nieder rann aus der Wunde[17],

    Dann macht er seinem Unmut gegenüber Zeus und Athena gründlich Luft:

    Immer müssen wir Götter doch das Ärgste ertragen…[18] [sic!]
    Mit dir hadern wir alle; du zeugtest das sinnlose Mädchen,
    das verderbliche, das stets denkt an gewaltsame Taten…[19]
    Dieser wirfst du nie etwas vor mit Worten und Werken,
    Sondern du lässt sie, da du sie geboren, die scheußliche Tochter…[20]

    Diese Tochter, von Zeus selbst ausgetragen[21], steht ihm besonders nahe. Den „wimmernden“ Ares dagegen duldet er nicht länger in seiner Nähe[22] und beauftragt Paieon, ihn zu kurieren:

    Und Paeion streute ihm auf schmerzlindernde Kräuter,
    Und er heilte ihn
    Wie wenn die weiße Milch von Feigenlabe gerinnet,
    Erst noch flüssig, aber sehr rasch beim Rühren dann dick wird,
    So wurde geschwinde geheilt der stürmische Ares.[23]

    Doch dieser verzeiht seiner Schwester Athena die ihm in Diomedes‘ Namen zugefügte Verletzung nicht. Darum zahle ich dir jetzt heim  für das, was du tatest[24]. Athena jedoch ist nicht nur Kriegsgottheit wie ihr Bruder, sondern auch die Göttin der Weisheit und des Geistesblitzes, daher dem „stürmenden, blutbesudelten“ Ares weit überlegen. Sie weicht seiner Lanze aus und schlägt ihn lachend mit einem Grenzstein zu Boden[25].

     

    1. Nichttraumatische Krankheiten:

    Hephaistos ist ein Gott mit – wie wir heute sagen würden – eingeschränkter Gehfähigkeit[26]. Doch statt sich zu bemitleiden und aus seiner Behinderung eine richtige Krankheit zu machen, nimmt er sie gelassen hin und legt als geschickter Kunsthandwerker und Waffenschmied  Ehre ein. Kränkung allerdings verträgt er ebenso wenig wie irgend ein anderer Gott. Dergleichen erfordert Rache. Seine Mutter Hera, die ihn ohne die Mitwirkung eines männlichen Wesens erzeugt hatte und ihn, entsetzt über seine verkrüppelten Füße (oder über seine Hässlichkeit), vom Olymp herab warf, nötigt er auf einen von ihm konstruierten Thronsessel, von dem sie sich ohne seine Hilfe nicht mehr erheben kann. Aphrodite, die treulose Gattin, die er mit ihrem Liebhaber Ares in flagranti erwischt, fängt er in seinem unzerreißbaren Netz ein[27].

     

    1. Götter senden Seuchen

    Apollon, erzürnt wegen der Kränkung seines Priesters Chryses, schießt  Pestpfeile in das vor Troja befindliche Lager der Achäer[28].

    Artemis, Herrin der Tiere[29], schützt kleine Mädchen und Parthenoi, die sie aber bestraft, wenn sie ihre Jungfräulichkeit verlieren. Sie ist Hüterin der Frauen, doch Zeus verlieh ihr auch, zu töten, wen du nur möchtest[30]. So steht neben der sichtbaren Krankheit Artemis‘ unsichtbares Geschoss als denkbare Todesursache[31]. Dass Artemis mit ihren Pfeilen – so wie Apollon die Pest verursachte – bei den Gebärenden das Puerperalfieber hervorgerufen haben könne, an dem doch so viele Wöchnerinnen nach kurzer Krankheit sterben, ist ein neuzeitlich- interessanter aber unbewiesener Gedanke[32].

     

    1. Heilende Götter:

    Wir hören von Paiéon, dem Wundarzt der Götter. Die Ägypter sollen von ihm abstammen, denn sie sind kundiger im Umgang mit heilenden Kräutern als andere Menschen[33]. Der Paián ist aber auch ein Heilsgesang der jungen Griechen für Apollon. Bei Hesiod werden Paiéon und Apollon neben einander genannt als Ärzte, die Heilmittel gegen alles kennen und im Stande sind, vor dem Tode zu retten[34].

    Ein Sohn des Apollon ist Asklepios. Sterblich zunächst, empfängt er bald göttliche Ehren. Die Kulte für seine Söhne Machaon und Podaleirios bleiben eher von lokaler Bedeutung[35].

    Auf den Heiler der Krankheit Asklepios heb ich mein Lied an,
    auf den Sohn Apollons; die hehre Koronis gebar ihn[36].

     

    Abkürzungen:

    DNP: Der Neue Pauly

    Hom. h.: Homerische Hymnen

    Il.: Hom. Il.: Homer, Ilias

    Hom. Od.: Homer, Odyssee

     

    [1] W. Wamser-Krasznai, Ärzte und Tod in der Alten Welt. Mythos, Magie und Metamorphosen, in dies., Streufunde (Filderstadt 2017) 71-74.

    [2] Kein Krieg in Troja. Legende und Wirklichkeit in den Gedichten Homers (Würzburg 1997) 10.

    [3] Il. 21, 390.

    [4] W. Wamser-Krasznai, Hephaistos – ein  hinkender Künstler und Gott, in: dies., Auf schmalem Pfad (Budapest 2012/13) 72-82.

    [5] Hesiod, Werke und Tage. Griechisch und deutsch (Darmstadt1991) 138 f.

    [6] S. Laser, Medizin und Körperpflege, ArchHom S, 62 f.

    [7] Laser a. O. 85 f.

    [8] H. Jung, Thronende und sitzende Götter. Zum griechischen Götterbild und Menschenideal in geometrischer und früharchaischer Zeit (Diss.Bonn 1982) 18 Anm. 16.

    [9] „Herakles…shot…Hera under unknown circumstances“,  J. Larson, The singularity of  Herakles, in: S. Albersmeier (Hrsg.), Heroes. Mortals and Myths in Ancient Greece. Walters Art Museum (Baltimore 2009) 32.

    [10] Il. 5, 392-394.

    [11] Wie Hera und Hades vom Pfeil des Herakles getroffen wurden, wird als bekannt vorausgesetzt, R. Hampe, Nachwort zur Ilias (Stuttgart 2007) 562. Larson a. O. 32. Der Trojanische Sagenkreis besteht ja nicht nur aus Ilias und Odyssee, sondern aus weiteren fragmentarisch erhaltenen Epen, die zum Teil erneut von späteren Dichtern erzählt wurden. Troja war bereits, bevor es den Achäern unter Agamemnon und Achilleus in zehnjährigem Kampf unterlag, durch Herakles berannt und geplündert worden. Vom Haus des Königs Laomedon überlebten  nur eine Tochter und ein Sohn, der spätere König Priamos, DNP 1138 f.; Il. 5, 636-642 und Il. 21, 442-457.

    [12] Il. 5, 395-401.

    [13] Il. 5, 336-382. 416.

    [14] Il. 5, 428 f.

    [15] Il. 5. 445-448.

    [16] Il. 5, 856-858.

    [17] Il. 5, 870.

    [18] Il. 5, 873.

    [19] Il. 5, 875 f.

    [20] Il. 5, 879 f.

    [21] Laser a. O. 168.

    [22] Il. 5, 889.

    [23] Il. 5, 899-904.

    [24] Il. 21, 399.

    [25] Il. 21, 402-408.

    [26] Spekulative Diagnosen erstrecken sich von Klumpfüßen über posttraumatische Läsionen bis zur Lähmung als Berufskrankheit bei dem für einen Schmied ständig notwendigen Umgang mit Arsenbronzen, dazu Wamser-Krasznai a. O. 2012/23, 74-77.

    [27] dies. a. O. 2012/13, 75. 80.

    [28] Il. I 44-52; S. Laser, Medizin und Körperpflege, ArchHom Kap. S 62.

    [29] Potnia theron, Il. 21, 470.

    [30] Il. 21, 483 f.

    [31] DNP 53; Hom.Od. 11, 171 f.

    [32] G. Maggiulli, Artemide – Callisto, in: Mythos. Scripti in Honorem Marii Untersteiner (Genova 1970) 183.

    [33] Hom. Od. 4, 229-232.

    [34] Hes. Fr. 194 Rz, Laser a. O. S 94.

    [35] Wamser-Krasznai a. O. 2017, 71-74.

    [36] An Asklepios, Hom. h. 16.

  •  

    Ewig
    scheinen die Berge
    doch ist der wehende Wind
    nicht noch ewiger?

    Von ständigem Leben
    spricht der immergrüne Baum
    doch sind die kahlen Zweige
    die bald grüne Knospen zeigen
    nicht größere Hoffnungsträger?

    Erst in ständigem Wechsel
    zeigt sich die Dauer
    Das Leben wird ewig
    in seiner Wiederkehr!

     

  • Waltrud Wamser-Krasznai: Dem Tod ein Schnippchen schlagen

    Auch das Altertum hatte seine Alternativen zum Tod als unabdingbarem Schicksal. Das Sterben musste nicht endgültig sein; auf die eine und andere Weise ließ es sich umgehen, je nach Bedeutung und Verdienst des Verblichenen oder nach seiner verwandtschaftlichen bzw. wahl-verwandtschaftlichen Nähe zu einer Schutzgottheit. Medea z. B. war die Enkelin des Sonnengottes Helios, Achilleus der Sohn eines Sterblichen mit der Meeresgöttin Thetis, Herakles ein Sohn des Zeus mit einer Menschenfrau und Schützling der jungfräulichen Göttin Athena, während Asklepios, der Sohn einer sterblichen Mutter, den Apollon zum Vater hatte.

    Die Alternativen bestanden etwa in Vergöttlichung, Entrückung oder auch in  einer Wandlung.

     

    1. Vergöttlichung = Divinisierung = Apotheose:

    Asklepios, der griechische Heilgott schlechthin, ist in der homerischen Ilias noch kein Gott, sondern ein Sterblicher, nämlich ein untadeliger, ja ein unvergleichlicher Arzt[1]. Schon als Kind soll er Wunderdinge vollbracht haben. Es „verbreitete sich …die Kunde, der Knabe könne alles, was er wolle, an den Kranken heilen und auch die Verstorbenen auferwecken“[2]. Hygin berichtet in seinen Fabulae über die Erweckung des Hippolytos[3]. „Die Tragödiendichter und Pindaros … sagen…er habe sich für Geld gewinnen lassen, einen reichen Mann, der schon im Sterben gelegen, zu heilen, wofür er auch vom Blitz sei erschlagen worden… Wir aber…wollen ihnen das …nicht glauben; sondern wenn er des Gottes [Apollons] Sohn war, werden wir sagen, ging er gewiss nicht auf schnöden Gewinn aus; tat er aber dieses, so war er nicht des Gottes Sohn[4]“.

    Doch so berühmt Asklepios als Heil-Heros bereits ist – die ungeheure Hybris, Verstorbene zu erwecken, zieht den Tod nach sich. Zeus erschlägt ihn mit seinem Blitz[5].

    Gleichwohl entwickelt sich vor allem seit dem Ende des 4. Jhs. v. Chr. ein Kult, der sich geradezu rasant ausbreitet, und zwar ohne dass sich die Göttlichkeit des Asklepios, wie etwa die des Herakles, in einer Apotheose manifestiert. In Reliefs und Inschriften auf der sog. Telemachos-Stele ist die Gründung des Asklepios-Heiligtums in Athen um 420/419 v. Chr. konkret fassbar. Literarische Quellen zur Divinisierung des Heros fließen spärlich und stammen aus späterer Zeit. Bei Cicero heißt es: „Das Zusammenleben der Menschen und die allgemein übliche Gewohnheit…haben… den Brauch eingeführt, besonders verdiente Männer aufgrund ihres Ruhmes und aus eigenem Antrieb in den Himmel zu versetzen. Aus diesem Grund wird Herkules, werden Kastor und Pollux, Äskulap, ja auch Liber verehrt“, und: „…vor allem in Griechenland hat man viele Gottheiten menschlicher Abkunft[6].“ Auch Pausanias[7] äußert sich dazu: „Die Menschen waren damals nämlich wegen ihrer Gerechtigkeit und Frömmigkeit Gastfreunde und Tischgenossen der Götter…wie ja damals sogar aus Menschen Götter wurden, welche bis heute verehrt werden, etwa Aristaios, die kretische Britomartis, Herakles, der Sohn der Alkmene, und Amphiaraos…sowie Polydeukes und Kastor.“ Der antike Reiseschriftsteller sieht also die Vergöttlichung nicht geschlechtsspezifisch. Außerdem bringt er mit dem Heil-Heros Amphiaraos einen Vorläufer bzw. einen Aspekt des Asklepios ins Spiel.

    Dieser war mit seinem Kult offenbar in besonderer Weise dazu geeignet, die in klassischer Zeit veränderten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Der „Heiler der Krankheit“, wie es im homerischen Hymnos[8] heißt, trägt in weitaus stärkerem Maße als die anderen Götter menschliche Züge. Asklepios wendet sich dem Individuum und seinen Nöten helfend zu, er ist ein Gott, der „Hand anlegt“[9]. Es kam sogar zu Kultübertragungen. In Troizen wurde  Hippolytos im Kultbild des Asklepios, das Timotheos arbeitete, weiter verehrt[10].

    Heros und Apotheose:

    Nach einem überaus abenteuerlichen Leben wirft sich Herakles, um seine Qualen zu beenden, in den auf seinen Wunsch errichteten Scheiterhaufen. In den reinigenden Flammen werden seine Glieder göttlich[11] und die Olympier nehmen ihn auf in ihre Reihen.

     

    Weiterleben im regionalen Kult:

    Etwas anders als beim Vater liegt die Sache bei den Asklepios-Söhnen, „gute Ärzte, die zwei, Podaleirios und auch Machaon[12]. Nach Pausanias, der sich auf die kleine Ilias beruft, stirbt Machaon durch die Hand des trojanischen Bundesgenossen Eurypylos[13], nach einer anderen „sehr abgelegenen“ Version[14]  durch die Amazonenkönigin Penthesileia, die mit ihren Kriegerinnen ebenfalls zur Unterstützung der Trojaner herbeieilt. Sein Leichnam wird von Nestor, der dem untröstlichen Bruder Podaleirios „mit großer Zuwendung“ beisteht[15], nach Gerenia in Messenien überführt und dort bestattet. An seinem Grabmal erweist man ihm kultische Ehren. Als die Adoranten dort Linderung von Krankheit erfahren, entsteht bald ein bedeutendes Heiligtum[16]. So lebt Machaon als Heros Iatros weiter in einem regionalen Kult[17].

     

    2. Entrückung:

    Achilleus ist als Zögling des weisen Kentauren Chiron ein Heil-Heros, der sich auf die Wundbehandlung versteht. Als er am Pfeilschuss in die berühmte Achillesferse stirbt, entrückt ihn seine göttliche Mutter Thetis und bringt ihn nach Leuke, die weiße Insel im Schwarzen Meer, wo griechische Siedler ihm einen Tempel errichten und ihm göttliche Ehren erweisen[18]. Nach den Dichtern Ibykos und Simonides[19] wird Medea dort seine Gemahlin.

    Diese, eine Tochter des Königs von Kolchis und Enkelin des Sonnengottes Helios, ist heilkundig und verfügt über magische Kräfte. Aus Rache an Pelias, der den Jason als einen Anwärter auf den thessalischen Thron zum Einholen des Goldenen Vlieses auf eine lebensgefährliche Reise schickt, verführt Medea die Töchter des Pelias, ihren alten Vater in Stücke zu zerlegen und zu kochen, um ihn zu verjüngen. Die Zauberin hatte zuvor, um die Peliaden zu überzeugen, mit derselben Methode einen alten Widder erfolgreich verjüngt[20].

    Als der von Medea leidenschaftlich geliebte Iason sie verlässt, um die Tochter des Königs von Korinth zu heiraten, nimmt die Verratene furchtbare Rache. Um den Gatten an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen, ermordet sie die gemeinsamen Söhne. Während Jason sie mit gezücktem Schwert verfolgt, entschwindet die Magierin auf einem vom Sonnengott gesandten  Schlangenwagen. Sie wird, wie wir hörten, im Elysium mit Achilleus vermählt[21].

     

    3. Verwandlung = Metamorphose:

    Hyakinthos: Dich hat …Phoibos Apollon vor allen andern geliebt…er „warf  die Scheibe hoch in die Lüfte“…die aber ließ der harte Boden zurückprallen und schleuderte sie dir, Hyakinthos, ins Gesicht. Da erblasste der Gott ebenso wie der Knabe. Den Leib des Zusammengesunkenen fängt er auf… bald trocknet er die unheilvolle Wunde, bald hält er durch Heilkräuter die fliehende Seele auf. Doch …unheilbar war die Wunde. So oft aber das Frühjahr den Winter vertreibt…so oft ersteht er neu und blüht als Hyazinthe auf der grünen Wiese[22].

    Prokne und Philomele:

    Die attische Königstochter Prokne ist an den Thraker Tereus verheiratet worden. Mit ihm hat sie einen Sohn, Itys. Oft sehnt sie sich nach ihrem Vaterland und besonders nach Philomele, ihrer geliebten Schwester. Tereus verspricht, diese abzuholen und zu ihr zu bringen. Stattdessen entledigt er sich seiner Verantwortung gegenüber der Schwägerin auf die schlimmste Weise. Er nimmt sie gefangen, tut ihr Gewalt an und reißt ihr die Zunge heraus, um sie am Herausschreien des Frevels zu hindern. Doch Philomele versinkt nicht in Passivität. Sie verfertigt ein Gewebe mit geheimen Schriftzeichen, die das furchbare Geschehen offenbaren und sendet es an ihre Schwester Prokne. Diese versteht und gerät außer sich vor Wut und Schmerz. Als Bachantin befreit sie ihre Schwester und tötet ihren kleinen Sohn Itys, um den verbrecherischen Vater im Innersten vernichtend zu treffen und zu strafen. Bevor sich dieser rasend vor Zorn auf die beiden Schwestern stürzen kann, verwandelt Zeus alle drei in Vögel. Als Nachtigall ruft nun Prokne jede Nacht schluchzend nach ihrem kleinen Sohns[23].

    Kallisto:

    Bevor sich die schöne Nymphe dem Gefolge der jungfräulichen Artemis anschließt, gelobt sie ebenfalls Keuschheit. Als die Göttin eines Tages dennoch die von Zeus verursachte Schwangerschaft ihrer Gefährtin entdecken muss, lässt sie ihr im Zorn ein dichtes Bärenfell und Krallen wachsen. Was Kallisto dann zustößt, wird in verschiedenen Parallelmythen berichtet. Ob sie von den Pfeilen ihrer Herrin Artemis, von Hera, der eifersüchtigen Gemahlin des Zeus, oder gar von ihrem eigenen Sohn Arktos, dem Zeus-Sprössling, getötet wird – jedenfalls kreist sie seither als Sternbild der Großen Bärin[24] um den Polarstern[25].

     

    Literatur:

    Benedum 2008: C. Benedum, Der Wundarzt und Heilheros Machaon in Thessalien und Messenien, in: Austausch von Gütern, Ideen und Technologien in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer (Weilheim 2008) 499-506

    Bieber 1925: M. Bieber, Tereus, AM 50, 1925, 11-18 Taf. 2

    Kerényi 1956: K. Kerényi, Der göttliche Arzt (Darmstadt 1956)

    Kerényi 71984: K. Kerényi, Die Mythologie der Griechen 2, Die Heroen-Geschichten  (München 71984)

    Kerényi 21997: K. Kerényi, Töchter der Sonne (Stuttgart 21997)

    Klöckner 2005: A. Klöckner, Mordende Mütter. Medea, Prokne und das Motiv der furchtbaren Rache im klassischen Athen, in: Die andere Seite der Klassik. Gewalt im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. Kulturwissenschaftliches Kolloquium Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 11.-13. Juli 2002 (Stuttgart 2005) 247-263

    Krug 1012: A. Krug, Rez. zu: Riethmüller, Asklepios 2005, Gnomon 84, 2012, 726-737.

    Simon 1968: E. Simon, Tereus. Zur Deutung der Würzburger Schauspieler-Scherbe (Aschaffenburg 1968)

    Wamser-Krasznai 2007: W. Wamser-Krasznai, Metamorphosen der Haut im antiken Mythos, AktDermatol 33/2007, 96 f.

    Wamser-Krasznai 2017: W. Wamser-Krasznai, Ärzte und Tod in der Alten Welt. Mythos, Magie und Metamorphosen, in: dies., Streufunde (Filderstadt 2017) 71-83

    [1] Hom. Il. 4, 194. 9, 518.

    [2] Paus. 2, 26, 5.

    [3] Hyg. fab. 49; Apollod. 3, 121; Schol. Pind. P. 3,96; Paus. 2, 27,4.

    [4] Plat. polit. 3, 408 b. c; Aischyl. Ag. 1022-4; Eur. alc. 3-4; Pind. P. III 55-8.

    [5] Pind. P. III 34 ff. Pind. Schol. V. 3-6.

    [6] Cic. div. Lat.-Dtsch, (Darmstadt 1990)  2, 62, 6-1; 3, 39, 12-13.

    [7] Paus. 8, 2, 4.(Arkadien).

    [8] Hom. h. 16.

    [9] Klöckner 2001,132; Krug 1985, 121.

    [10] Paus.2, 32, 4.

    [11] Apoll. Rhod. 1. 752.

    [12] Hom. Il. 2, 731.

    [13] Paus. 3, 26, 9.

    [14] Spätbyzantinische Handschrift, die eine Herkunft aus der Aithiopis andeutet; Apollod. Epitome=Textauszug 5, 1, Krug 2012, 731.

    [15] Benedum 2008, 501.

    [16] Paus. 3, 26, 9.10.

    [17] Heil-Heros, Kerényi, 1956, 86.

    [18] Prok. Chr. 106. 14, ca. 550 n. Chr.

    [19] Apoll. Rhod. Kerényi 21997, 91; ders. 71984, 219.

    [20] Ov. Met. 7.

    [21] Wamser-Krasznai 2017, 71-79.

    [22] Ov. Met. 10.

    [23] Soph. Tereus Fr. 523 f., Simon 1968, 161.163.

    [24] Auch der „Große Wagen“.

    [25] Wamser-Krasznai 2007, 96.

  • Hoffnung

    Ich bin die Mutter, die das Kind gebiert
    und das Kind, das geboren wird.
    Ich bin der Stern, der leuchtet
    und die Drei Könige, die ihm folgen,
    und ich bin der vierte König,
    der Mensch, der alles dieses ist.

     

    Einst

    Einst
    führte uns der Stern
    und unsere Füsse fanden
    den Weg

    Heute
    innehaltend auf gewohntem Weg
    suchen unsere Augen
    den Stern

    Vielleicht
    wird er nur
    im Dunkel sichtbar?

     

    Als den Drei Königen der Engel im Traum erschien

    Ihr schlieft
    wie auch wir schlafen
    des Nachts
    nach dem Pflichten des Tages
    Ihr schlieft
    und hörtet nicht
    den Ruf des Engels
    Dann hüllte er sich
    in das Gewand eures Traumes
    und ihr erwachtet
    als er eure Hand berührte
    Ihr habt den Traum nicht vergessen
    und seid aufgebrochen
    auf anderen Wegen
    Warum vergessen wir
    unsere Träume
    und spüren nicht
    wenn der Engel unsere Hand berührt?

     

    Wir alle

    Wir alle,
    jeder von uns,
    auch du,
    könnte ein König sein,
    ein König Herodes,
    der Kinder tötet,
    um zu bleiben,
    was er ist:
    Der König.
    Erstarrt vor Schrecken
    schließt du die Augen,
    willst dich selbst
    nicht mehr erkennen.
    Willst dich nicht lieben,
    nicht hassen
    und doch
    bleibst du der König,
    der Kinder tötet,
    dann, wenn du nicht bleiben kannst,
    wer du bist.
    Schweige,
    damit dein Mund
    nicht den König verurteilt,
    den König,
    der Kinder tötet,
    den König,
    der du selber bist.

     

    Der Schatten der Drei Könige

    Wo blieb Euer Schatten,
    als Ihr Euch beim Kinde verneigtet,
    Eure Geschenke der Mutter zu Füßen legtet?
    In was hat er sich gewandelt,
    am Boden liegend,
    vom Kinde fliehend,
    zum Weg werdend
    IHM,
    zum Dunkel der Menschen.
    Er folgte Euch nicht,
    als Ihr wieder gingt,
    er blieb bei Mutter und Kind
    und sang leise
    das Lied vom Verzeihen.

     

    Wenn Gabriel zu mir käme

    Wenn Gabriel zu mir käme
    des Nachts im Traum
    oder am Morgen
    kurz nach dem Erwachen
    zu mir ins Zimmer träte
    und das Wunder verkündigen würde
    das geschehen soll
    durch mich
    ob ich
    – wenn ich ihn sehen
    und hören könnte –
    ihm glauben würde?

    Was wäre geschehen
    mit uns Menschen
    wenn Maria nicht
    ihre Furcht überwindend
    gesagt hätte:
    „Ich bin des Herrn Dienerin,
    dein Wort möge sich an mir erfüllen.“

  •  Metamorphose

    (November 2013)

     

    Der Stift
    stand auf
    für Gerechtigkeit.
    Er verbreitete sich
    in der Welt.

    Das Papier
    schritt zur Aufklärung.
    Es bekam Flügel
    und stieg empor.

    Meine Hände
    eilten zur Liebe
    und blühten.
    Aus der einen
    wurde
    ein Ast wilder Rosen,
    voller Bienen und Schmetterlinge,
    aus der anderen
    eine Wasserquelle
    für Jungvögel.

  •  

     ARS  MEDICI

     

             

    In an amazing colourful dream, two legendary masters of the healing arts appeared to me. Longing for enlightenment, I humbly asked them to share their knowledge with me. In front of the complex patients’ problems, what should be taught a student of the healing arts?

    Qi: The young practitioner of the healing arts finds only basic answers in the books. However, a more successful method is to attempt to learn from many sources. The practitioners of the healing arts start by searching the clarity and decency in their heart. Subsequently, they improve their techniques and enhance their skills. Our lives are limited, but knowledge is not.

     Hi: Life is short, and art is long. A learned physician must not only be prepared to do what he knows is right, but the art of healing involves gaining the trust and cooperation of the patient. How can a student of the healing arts find the best teacher ever?

    Qi: We cannot grow in medicine until we grow in experience. From the ancient times on, students of the healing art have travelled great distances in order to reach teachers who are able to impart their knowledge based on their experiences.

    Hi: Living on an island, students are used to travel over the sea only to attend my lectures. If you are thirsty, isn’t it best to drink closest to the source of water? Likewise, students are keen on learning here ashore, close to the source of medical science. The teaching of healing arts is possible in many places. Why should the students consider attending particularly your lecture?

    Qi: Only one thread pulled out of a silk gown, has no meaning at all. However, woven with other threads into to gown, it is transformed on the whole. Each patient is unique, but the treatment requires more than taking care of various singular components.

    Hi: The curative approach is based on the healing power of the nature. The diseases are regarded as a whole and have natural causes. What are fundamentals of medical practice?

     Qi: We regard medicinal herbs and the food as the highest, most serious of matters. This is an aspect of our culture – to understand the power that herbs and food hold in our medicine.

    Hi: An illness may require to keep to a strict diet until the complete healing. Medicine should be kind to the patient and treatment gentle.

    Awaken from the dream, I realized, that the legendary masters in my dream were: Hippocrates (Hi) and QiBo 岐伯 (Qi). According to the Chinese Mythology, Qi-Bo was enlightened by an ethereal being from heavens with knowledge of traditional medicine.

    The amazing dream provided me with a glimpse into the legendary master’s insights, and opens an imaginary door between classical and traditional Chinese medicine.

     

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Ars Medici  –  Die Kunst des Arztes

    In einem überraschend bunten Traum erschienen mir zwei legendäre Meister der Heilkünste. Weil ich mich nach Erleuchtung sehnte, bat ich sie demütig, ihr Wissen mit mir zu teilen. Was sollte angesichts der komplexen Patientenprobleme einem Student der Heilkünste gelehrt werden?

    Qi: Die jungen Ausübenden der Heilkünste finden nur grundlegende Antworten in den Büchern. Eine erfolgreichere Methode ist jedoch, aus vielen Quellen zu lernen. Die Anwender der Heilkünste beginnen, indem sie nach Klarheit und Anstand in ihren Herzen suchen. Danach verbessern sie ihre Techniken und steigern ihre Fähigkeiten. Unsere Leben sind begrenzt, aber das Wissen nicht.

    Hi: Das Leben ist kurz, die Kunst währt lang. Ein ausgebildeter Arzt muss nicht nur vorbereitet sein, das zu tun, wovon er weiß, dass es richtig ist, sondern die Heilkunst schließt auch ein, das Vertrauen und die Mitarbeit des Patienten zu gewinnen. Wie kann ein Student der Heilkünste den allerbesten Lehrer finden?

    Qi: Wir können erst im Wissen wachsen, wenn wir an Erfahrung wachsen. Von altersher sind Studenten der Heilkünste große Entfernungen gereist, um Lehrer zu erreichen, die fähig sind, ihr Wissen zu teilen, das auf ihren Erfahrungen basiert.

    Hi: Wenn Studenten auf einer Insel wohnen, sind sie gewöhnlich über das Meer gereist, nur um meine Vorlesungen zu hören. Wenn du durstig bist, ist es dann nicht am besten, aus der nächsten Wasserquelle zu trinken? Ganz ähnlich sind Studenten begierig, hier an Land zu lernen, nahe an der Quelle der medizinischen Wissenschaft. Heilkünste zu lehren ist an vielen Orten möglich. Warum sollten die Studenten in Betracht ziehen, ausgerechnet deine Vorlesungen zu besuchen?

    Qi: Wenn man nur einen Faden aus einem Seidenmantel zieht, hat das überhaupt keine Bedeutung. Aber weil er mit anderen Fäden in den Mantel hinein verwoben ist, wird das Ganze umgeformt. Jeder Patient ist einmalig, aber die Behandlung erfordert mehr, als sich um verschiedene einzelne Bestandteile zu kümmern.

    Hi: Der heilenden Ansatz begründet sich auf der Heilkraft der Natur. Die Krankheiten werden als Ganzes betrachtet und haben natürliche Ursachen. Welches sind die Grundlagen der medizinischen Praxis?

    Qi: Wir betrachten medizinische Kräuter und Nahrung als die höchste und ernsthafteste Materie. Das ist ein Gesichtspunkt unserer Kultur – die Kraft zu verstehen, die Kräuter und Nahrung in unserer Medizin enthalten.

    Hi: Eine Krankheit mag erfordern, bis zur vollständigen Heilung eine strikte Diät einzuhalten. Die Medizin sollte freundlich zum Patienten sein und die Behandlung sanft.

    Als ich aus dem Traum erwacht war, erkannte ich, dass die legendären Meister in meinem Traum Hippokrates (Hi) und QiBo岐伯 (Qi)waren. Der chinesischen Mythologie entsprechend war Qi-Bo mit Wissen um die traditionelle Medizin durch ein ätherisches Wesen erleuchtet.

    Der erstaunliche Traum bescherte mir einen kleinen Einblick in die legendären Einsichten der Meister und öffnet eine bildhafte Tür zwischen klassischer und traditioneller chinesischer Medizin.