Jahr: 2013

  •  

    Bei Marx und Engels gab es Klassen
    Im Kampf stets um Prestige und Macht.
    Heut‘ trennt der Hass Menschen nach Rassen
    Und hat viel Leid der Welt gebracht.

    Vor einem Flug nach Afrika –
    Ich hatte gerade eingecheckt.
    Hört‘ Weiß und Schwarz ich ziemlich nah
    Mit ’nem Disput, der mich erschreckt‘.

    Der Weiße schwärmt‘ von alten Zeiten.
    Seit die Apartheid sei passé
    Sich Chaos und Gewalt verbreiten.
    D i e  Argumentation tat weh.

    Doch ließ er’s nicht bei Politik
    Geht mit Persönlichem zu weit.
    Es gipfelt dann in der Kritik
    An seines Partners Farbigkeit.

    Doch dieser wehrt sich unerwartet
    Nimmt unsren Weißen ins Visier
    ’nen Conter Coup genial er startet
    Und bleibt moralisch Sieger hier.

    Wie steht es denn so mit euch Weißen?
    Als Baby seid ihr  r o s a r o t.
    Doch auf dem Weg zu Tattergreisen
    Ganz b l i t z e b I a u  bei Atemnot.

    Durch Leberstau bei Hepatitis
    Seid  g e I b  ihr wie ’ne reife Quitte.
    Und wenn das noch nicht ’s End vom Lied is,
    Färbt  g r ü n  der Neid nach alter Sitte.

    Es treibt der Zorn die Zornesröte
    Dem weißen Manne ins Gesicht.
    Manch‘ Allergie bereitet Nöte.
    Macht  r o t e  Flecken, so wie Gicht.

    Bei Schreck wird jeder Weiße  b I a s s
    Ganz ähnlich auch bei Anämie
    Und  I i I a  färbt er sich bei Hass
    Wenn er vor Wut ganz lauthals schrie.

    Wirst du geholzt beim Fußballspiel
    Sind  b I a u e  Flecken zu bestaunen.
    Verfehlst beim Klogang du das Ziel
    Da kommt’s schon mal auch zu ganz braunen.

    Auch Weiße ärgern sich oft  s c h w a r z.
    Vom Schnaps sind sie am Ende  b I a u
    Und durch das Nikotin-Gequarz
    Wirkt mancher im Gesicht ganz  g r a u.

    So zeigt manch‘ Weißer – ungelogen
    ’ne große, bunte Farbpalette.
    Die Farbpracht von ’nem Regenbogen.
    Sie schillern alle um die Wette.

    Der Schwarze lächelt ganz verstohlen
    Doch sieht man seine Augen brennen:
    „Du wagst es – völlig unverhohlen
    M i c h  einen F a r b i g e n  zu nennen!“

     

    Copyright Dr. Volker Steffen

  • (vorgetragen bei der öffentlichen Lesung „Mein bester Text“ am Jahreskongress 2013 in Münster)

    Siegmund Kraft wurde 1945 in Bremen geboren. Sein Vater fiel kurz vor Siegmunds Geburt in einem der letzten Gefechte in Russland. Die Mutter zog den Jungen liebevoll auf und verdiente als Lehrerin den Lebensunterhalt. Siegmund entdeckte früh seine Liebe zum Langlauf und lief ein Jahr vor dem Abitur den ersten Marathon. Auch dadurch lernte er, mit Disziplin schwierige Momente zu bewältigen und gegen innere Widerstände bis zum selbst gesetzten Ziel auszuhalten. Seine Mutter erzog ihn im ehrenden Gedanken an den Vater, der ihr immer wie starker Baum erschienen war, an dem sie sich anlehnen konnte. Sie wollte aus Siegmund auch einen solch kräftigen und durchsetzungstarken Mann machen, und Siegmund nahm diese Prägung früh auf.

    Den ersten schweren Schicksalsschlag musste Siegmund verarbeiten, als seine Mutter während seines Jurastudiums verstarb. Dies brachte Siegmund dazu, noch härter zu arbeiten. Er beendete sein Studium in kürzest möglicher Zeit als Jahrgangsbester, und seine Doktorarbeit wurde summa cum laude bewertet. Eine wesentliche Hilfe für seinen Erfolg war sein fotografisches Gedächtnis, wodurch er regelmäßig Mandanten und Kollegen mit langen wortgetreuen Zitaten und Quellenangaben verblüffte.

    Nach der Gründung einer Anwaltskanzlei in Bremen heiratete er seine Jugendfreundin Helen, die mit ihm Abitur gemacht hatte, anschließend Schulmusik studierte und Lehrerin in einem bremischen Gymnasium wurde. Sie kauften eine Jugendstilvilla im besten Wohnviertel, die er mit Helens stilsicherer Hilfe renovieren ließ und innerhalb weniger Jahre vom Erlös mehrerer großer Prozesse bezahlte. Er war als Wirtschaftsanwalt bald weit über die bremischen Grenzen hinaus gefragt. Als der Sohn Felix geboren wurde, strahlten Helen und Siegmund als elegantes Paar das Bild der perfekten Familie aus.

    Siegmunds Sekretärin Frau Harmsen organisierte den Arbeitsablauf in der Kanzlei ebenso perfekt wie Helen die Familie und den Haushalt. Siegmund arbeitete nach seinem morgendlichen 10-km-Lauf in der Kanzlei oder bei Gericht. Der Nachmittag und Abend waren dem Aktenstudium und Prozessvorbereitungen gewidmet. Den Samstag nutzte Siegmund als normalen Arbeitstag. Am Sonntagvormittag absolvierte Siegmund einen längeren Lauf, der manchmal über die Marathondistanz ging. Die Nachmittage verbrachte er mit Helen und Felix.

    Felix war ein guter Schüler und sportlich wie der Vater. Als Felix zwölf Jahre alt war, wurde er an einem Spätnachmittag auf dem Gehweg von einem betrunkenen Autofahrer angefahren und so schwer verletzt, dass er noch auf dem Weg in die Klinik starb. Siegmund reagierte nach einer kurzen Schockphase äußerlich routiniert, setzte aber seine Wut, Trauer und Verbitterung ein, um den Autofahrer in dem Prozess als gewissenlosen alkoholkranken Fahrer darzustellen. Er trug mit einem juristisch brillanten und emotionalen Plädoyer als Nebenkläger dazu bei, dass der Fahrer für die fahrlässige Tötung in Tateinheit mit Trunkenheit am Steuer zur Höchststrafe von sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde, da er schon ein längeres Vorstrafenregister hatte. Damit verschaffte sich Siegmund eine gewisse Genugtuung, und die weiter schwelende Trauer betäubte er mit noch mehr Arbeit. Sein Lauftraining behielt er strikt bei und zwang sich, am Wochenende noch 28 km zu laufen und dabei die letzten drei Kilometer im Renntempo zurückzulegen. Er war erfahren genug, seine Kondition nicht mit einem Übertraining zu verderben oder gar eine Verletzung zu riskieren.

    Helen dagegen vergrub sich fast den ganzen Tag im Schlafzimmer und vernachlässigte sich und ihre häuslichen Aufgaben. Auch eine zuerst ambulante und später stationäre Psychotherapie, die Siegmund veranlasst hatte, gelang nur vorübergehend. Das beste Ergebnis der Therapie war aber nur eine funktionierende Frau, die mit ruhiggestellter Mimik und scheinbar gleichgültigem Gemüt die Hausarbeit erledigte. Ein halbes Jahr nach Felix´ Tod fand Siegmund Helen abends totenstarr im Bett. Neben ihr lagen zwei leere Röhrchen Schlaftabletten und eine leere Flasche Rotwein. Der Brief auf dem Nachttisch war kurz: „Liebster, es tut mir leid, ich kann nicht mehr! Ich muss zu Felix. Ich liebe dich. Helen.“

    Siegmund brach am Bett weinend zusammen und rief erst nach einer halben Stunde den Hausarzt und bat ihn, den Totenschein auszustellen. Frau Harmsen half Siegmund, eine würdige Trauerfeier zu organisieren. Siegmund arbeitete verbittert in seiner Kanzlei, hielt die Fassade eines in sich ruhenden Anwalts aufrecht und kam spät nachts in das kalte Haus, wo er nur kurz schlief. Morgens war er früh auf der Laufstrecke unterwegs und anschließend bei der Arbeit. Er vermied private Kontakte, und Frau Harmsen sah ihn nicht mehr lachen. Sie besorgte für ihn aus einem kleinen Restaurant nebenan Essen und machte ihm in der Kanzlei Frühstück. Die immer frischen Blumen auf seinem Schreibtisch nahm er nicht wahr. So vergingen zwei Jahre.

    Eines Tags nahm Siegmunds bester Freund und Kollege ihn zwischen zwei Gerichtsterminen auf die Seite und sagte: „Siegmund, ich sehe, wie du nach außen hin diese Schicksalsschläge wegsteckst. Du wirkst für viele Bekannte wie eine große Eiche, die bei jedem Tornado steht. Aber ich weiß, wie sehr dich der Verlust von Felix und Helen immer noch plagt. Hast du nicht Lust, am Samstagabend bei uns zu essen? Erika hat ein paar Freunde eingeladen, die du auch kennst.“ Siegmund antwortete nach kurzer Bedenkzeit: „Ja, gut, ich komme!“

    Zu diesem Abendessen kam auch Sofia, Helens beste Freundin, die vor zwei Jahren ihren Mann verloren hatte. Siegmund und Sofia hatten in den letzten Jahren kaum Kontakt gehabt, weil Sofia während Helens schwerer Depression mit dem Sterben ihres Manns belastet war und seither sehr zurückgezogen lebte.

    Sofia und Siegmund unterhielten sich angeregt, sodass der Abend für beide erholsam und entspannend war. Siegmund nahm Sofias Einladung zu einem Spaziergang am nächsten Sonntag an. In den folgenden Monaten kamen sich Sofia und Siegmund immer näher. Siegmund konnte sich aus seiner seelischen Erstarrung und verbissenen Arbeit in Sofias Gegenwart lösen und freute sich auf die Treffen. Sofia war glücklich, aus ihrer Isolation herauszukommen. Die Beziehung zwischen Siegmund und Sofia wurde innig und vertraut. Nach einem Jahr heirateten sie.

    Sofia gab der Villa mit einigen ihrer Möbelstücke und Bildern eine persönliche Note. Ihre Liebe zum Garten war für jeden Besucher an den herrlichen Blüten, Büschen, Beeten und dem prächtigen Blumenschmuck im Haus sichtbar. Sofia begleitete Siegmund bei seinem morgendlichen Lauftraining und reduzierte es langsam. Dafür machten sie am Wochenende lange Wanderungen. Siegmund genoss das Leben im Haus wieder und freute sich besonders an den gemütlichen Abenden mit Sofia. So lebten sie fünf Jahre harmonisch und dankbar miteinander.

    Da die Kanzlei sehr gut lief und Siegmund mehr Zeit für sich und Sofia haben wollte, nahm er Eric Knudsen als Juniorpartner in die Kanzlei auf, der sich rasch einarbeitete und für Siegmund eine wertvolle Hilfe darstellte.

    Die Katastrophe schlich sich unerbittlich ein. Zuerst fiel Sofia auf, dass Siegmund sich an einem Sonntagmorgen nicht erinnerte, mit ihr eine Wanderung in der Lüneburger Heide vereinbart zu haben. Auch Frau Harmsen bemerkte, dass er seinen Füllfederhalter oft verlegte, der sonst immer am gleichen Platz lag. Besonders verblüfft war sie, als Siegmund bei einer Verhandlung in seiner Kanzlei aufstand, eine Tür öffnete und mit der Bemerkung „Das war die falsche Tür!“ wieder schloss und durch die andere Tür zur Toilette ging. Die Vergesslichkeiten und alltäglichen Fehler bei banalen Handlungen häuften sich. Die Krankheit schritt mit zerstörerischer Wucht voran.

    Er blieb oft mitten im Satz stecken, verlor den Faden und verwendete Wörter, die nicht in den Zusammenhang passten. In der Gerichtsverhandlung meldete er sich mehrfach zu Wort, stand auf und – wusste nicht mehr, was er sagen wollte. Seine schriftlichen Notizen, die er Frau Harmsen nach den Verhandlungen zur Bearbeitung vorlegte, wurden fahriger und enthielt immer mehr Ungenauigkeiten. Er gab immer mehr Gegenständen die Bezeichnung „das Ding da“. Diese Sprachunsicherheit und die Abflachung des Wortschatzes fielen umso dramatischer auf, weil Siegmund als hervorragender Redner mit druckreifer Sprache und unfehlbarem Gedächtnis bekannt war. Anfänglich tat er diese „Kleinigkeiten“ als Folge seiner Überarbeitung ab. Die Zeichen wurden aber häufiger und schwerwiegender. Er verlor sogar einen Prozess, weil ihm im richtigen Moment sein bewusst vorbereitetes und entscheidendes Argument nicht einfiel.

    Frau Harmsen bereitete mit Eric Knudsen viele Arbeiten so vor, dass Siegmund nur noch unterschreiben musste. Sofia sorgte dafür, dass Siegmund krankgeschrieben wurde. Der Hausarzt verschrieb Medikamente zur Förderung der Hirndurchblutung und äußerte Sofia gegenüber den Verdacht auf eine rasch fortschreitende Demenz.

    Als Siegmund eine Kreuzung bei roter Ampel überfuhr und von der Polizei gestoppt wurde, stand er wie ein kleiner schuldbewusster Junge da und ließ sich von dem Polizisten zurechtweisen.

    Sofia ließ Siegmund nicht mehr Auto fahren und bat ihn mehrfach, die Kanzlei zu verkaufen. Erst als der Vorsitzende der Anwaltskammer ihm eindringlich die möglichen Folgen von Schadensersatzklagen aufgrund von falschen Beratungen schilderte, gab Siegmund nach. Eric Knudsen übernahm Siegmunds Anteil an der Kanzlei. Sofia nahm keine gesellschaftlichen Verpflichtungen mehr an.

    Zuhause füllte Siegmund das Kaffeepulver in den Wasserbehälter und stopfte den Kaffeefilter in die Kanne. Im Bad putzte er sich mit dem Kamm die Zähne und kämmte sich mit der Zahnbrüste. Er verirrte sich sogar nachts in seinem eigenen Haus und rief Sofia, die ihn ins Bett zurück brachte. Beim Essen versuchte er, mit der Gabel zu schneiden. Als er mit dem Messer die Suppe löffeln wollte und nicht mehr wusste, wohin die Suppe geführt werden musste, ging Sofia dazu über, Siegmund zu füttern.

    Bei einer neurologischen Untersuchung zeigte Siegmund eine schwere Störung beim Benennen von Gegenständen und beim Rechnen im Zehnerbereich. Als er eine Uhr mit Zeigern zeichnen oder ein Quadrat und ein Dreieck nachmalen sollte, saß er ratlos mit zitterndem Stift vor dem Blatt und krakelte nur zusammenhanglose Striche aufs Blatt. Der Arzt bat ihn, möglichst rasch viele Gegenstände aufzuzählen, was man in einem Supermarkt kaufen könne. Siegmund dachte lange nach, schließlich fielen ihm Kartoffeln ein, mehr nicht. Die Untersuchungen und die Vorgeschichte sicherten die Diagnose Rasch fortschreitende Alzheimer-Demenz. Siegmund konnte dem einfühlsamen Gespräch des Arztes nicht folgen. Als Sofia und Siegmund die Klinik verließen, fragte er: „Was hat er gesagt? Bin ich krank?“

    Siegmunds geistige Fähigkeiten und das alltägliche Verhalten verschlechterten sich auch unter gesteigerter Medikamentendosis rapid. Die Tabletten wurden deshalb wieder abgesetzt. Sofia betreute Siegmund rund um die Uhr. Sie musste ihm auch auf der Toilette beim An- und Ausziehen und bei der Reinigung helfen.

    Eines Morgens wollte er sich im Schlafzimmer anziehen und wurde wütend, als sie ihm helfen wollte. „Das kann ich allein!“, brauste er auf, „geh ins Wohnzimmer!“ Also beobachtete sie ihn durch den offenen Türschlitz und kämpfte mit den Tränen, als sie sah, wie lange er brauchte, um das Hemd so hinzuhalten, dass er es anziehen konnte. Als er nach einer langen Weile erschöpft ins Wohnzimmer kam, hatte er das Unterhemd auf das Hemd angezogen, die Knopfreihe falsch geknöpft, und das Hemd hing teilweise aus der Hose. Einen Socken hatte er vergessen, und die Schuhbändel waren nicht gebunden. So kam jeden Tag ein neues Vergessen dazu, der Wortschatz wurde kleiner, die Sprache lückenhaft.

    Im Sommer stand Siegmund einmal lange im Garten vor den blühenden Rosen. Sofia fragte: „Woran denkst du?“ Nach einigem Überlegen fragte er: „Ist heute Dienstag oder Dezember?“

    In einem unbeobachteten Moment verließ Siegmund bei strömendem Regen auf Socken das Haus, nur mit Hemd und Hose bekleidet. Sofia rannte sofort los, als sie die offene Haustür sah und fand ihn durchnässt an einer Bushaltestelle. Sie gewöhnte sich deshalb an, die Haustür abzuschließen.

    Eines Nachts wachte Sofia auf, das Bett neben ihr war leer. Sie fand Siegmund innen vor der Haustür stehen. Er war nackt. Sie fragte: „Was machst du hier?“ – „Warte auf den Bus, muss zur Arbeit!“

    Am nächsten Tag sah Sofia, wie Siegmund im Arbeitszimmer mit heruntergelassener Hose auf dem Papierkorb saß. Sofia stieß einen entsetzten Schrei aus. Siegmund fragte ruhig: „Warum schreist du, Mama? Bin auf der Toilette!“ – Sofia hatte er vergessen.

    Sofia sah ein, dass sie Siegmund nicht mehr zu Hause pflegen konnte. Das überstieg ihre Kräfte. Sie brachte ihn in einem Pflegeheim in der Nähe unter und besuchte ihn täglich. Siegmund nahm die Ortsveränderung nicht wahr. Jeder Besuch Sofias war ein neues Erlebnis für ihn, aber es tat ihr weh, jeden Tag zu hören: „Schön, Mama, dass Du endlich kommst!“

    Sie blieb eines Abends wie immer an seinem Bett sitzen und wartete darauf, dass er einschlief. Da atmete er leise ein und aus und ein und aus. – –

    Die Eiche war gefällt.

     

    Copyright Dr. Dietrich Weller

  • Wenn es so wäre,
    dass nach meinem Tode
    nichts mehr weiteres kommt
    und nach dem Tode der Erde
    keine Weiterentwicklung mehr ist,
    wenn es so wäre,
    dass eine geistige Welt
    nur im Kopfe der Künstler lebt,
    selbst, wenn es so wäre …

    Die Trauer um das verlorene Kind,
    die Sorge um hilfloses Leben
    die Liebe zum Du
    und zu anderen Leben
    Sie wären der Boden,
    aus dem eine neue Welt
    erwächst
    und Leben geboren wird,
    wo nichts ist.

    Deine Liebe
    lässt Wüsten bewässern
    und erloschene Sterne
    wieder im Lichte erstrahlen.

    Für Gaby

    Copyright Dr. Helga Thomas

  •  

    Wiese, Wald und Löwenzahn
    liegen in der Sonne.
    Fängt der Wald zu brennen an,
    rettet ihn der Feuermann
    mit seiner Regentonne.

    Wiese, Wald und Löwenzahn
    stehen in dem Regen.
    Fängt der Wald zu husten an,
    kann ihn noch der Regenmann
    ins warme Bettchen legen.

    Wiese, Wald und Löwenzahn
    schütteln sich im Winde.
    Fängt der Wald zu brechen an,
    tötet ihn der Automann
    und sammelt Holz und Rinde.

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser

     

  •  

    Da sitz ich nun, ich armer Tor
    auf einem harten Steine.
    Ich bin so schlau als wie zuvor
    und denke Bein auf Beine:

    Was ich gewann, was ich verlor,
    was bleibt, was sei das meine.
    Was ich im Leben alles schwor,
    zu kennen, wissen um die kleine

    Ewigkeit, die mir jetzt sagt:
    Nichts ist gerade, nichts ist krumm.
    Der Alte so aus Weimar klagt,
    auch Vogelwalthers Lied bleibt stumm.

    Ich aber sage frech und frei:
    Gedanken können alles biegen.
    Da ist ein Nichts, und Nichts das sei
    nur in Gedanken zu besiegen.

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser

  •  

    Ich stieg zu den Gräbern am Nachmittag,
    Gräber geborgen in Fels und in Stein.
    Die sengende Sonne im Sterben lag,
    graurot und wärmend ihr sinkender Schein.

    Die Gräber so kühl, so sauber und leer
    nur Bänke und kein vergessener Sarg.
    Mein Blick streift weit über das ruhende Meer,
    die Felder vertrocknet, geerntet und karg,

    und windet sich dann die Felsen hinauf
    und klettert und klettert und findet nicht Halt
    und fällt tief im wilden verzweifelten Lauf –
    ihn rettet die Rose im lichtdunklen Spalt.

    Du Rose, Du rote, blühst Rose so rot
    über Gräbern aus heut vergessener Zeit.
    Mein Herz, meine Liebe, Du Rose so rot,
    so rettest Du mich in die Ewigkeit.

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser

  •  

    So eile ich nun mit quälendem Schritt
    zum Gipfel den Berg hinauf.
    Hunger und Sehnsüchte eilen mit,
    hemmen nicht den drängenden Lauf.

    Vergessen die sprudelnden Wasser im Tal,
    die leuchtenden Blüten zu Zweit,
    der trunkene Becher im nächtlichen Saal,
    der Eltern treues Geleit.

    Oben am Gipfel reckt sich ein Baum
    kahl und dürr in die Nacht.
    Um ihn Wiesen, glanzloser Schaum,
    wehrlos in graubrauner Pracht.

    Er aber trotzt im Tode noch starr
    dem Sturm und der Zeiten Lauf.
    Wie er im Leben gewachsen war,
    gestorben gibt er nicht auf.

     

    Copyright Prof. Dr. Dr. Klaus Kayser

  •  

    Ab und zu musste sie mal Stadtluft schnuppern, mal viele Menschen erleben, sich ins Gedränge begeben, sich berühren lassen, vielleicht nur mit den Augen. Menschen wahrnehmen, ganz offen sein für die kleinen Alltagsepisoden einer Stadt.

    Sie konnte die Stadt gut mit der Bahn erreichen und lebte doch scheinbar weit weg von ihr in ihrer Art „Einsiedelei“. Das war der große Garten und der nahe Wald, das Zuhause ihrer Seele. Das kleine Haus nicht zu vergessen.

    Heute war wieder so ein Stadt-Tag. Sie hatte sich „stadtfein“ angezogen und begutachtete sich im Spiegel. An ihre grauen Haare hatte sie sich gewöhnt. Manchmal fand sie diese sogar schön, wenn sie – frisch gewaschen – einen silbernen Schimmer hatten.

    „Richtig wertvoll bin ich“, sagte sie dann mit einem Schmunzeln, „ich sollte mich hoch versichern lassen.“

    Als sie dann in der Stadt war, schlenderte sie durch ihre Lieblings-Einkaufsstraße. Sie mochte die vielen kleinen Geschäfte, die Möglichkeiten an der Straße sitzend einen Kaffee zu trinken und einfach Leute zu beobachten. Und diese gab es in allen Größen und Farben.

    Irgendwann stand sie an einer Fußgänger-Ampel, um nun auf der anderen Straßenseite weiter zu bummeln. Eine junge Frau ging vorbei mit ihrem schlanken, schönen Körper, langen mittelblonden Haaren und glatter Haut. Solche Haarfarbe hatte sie auch einmal. Sie dachte das ohne Wehmut und betrachtete die junge Frau mit einer Art Wohlwollen. Sie war einfach nett anzusehen.

    Die Ampel hatte die Phase längst gewechselt. Sie hatte es ja nicht eilig. Sie hatte der jungen Frau lange hinterher geschaut.

    Jetzt fuhren die Autos an. Das erste Auto, ein Kleintransporter, hielt kurz vor ihr. Der Fahrer drehte die Scheibe herunter, wandte ihr das Gesicht zu und sagte deutlich:

    „Du bist doch schön!“, lachte sie an, drehte das Fenster wieder hoch und fuhr weiter.

    Wann hatte sie zum letzten Mal solch einen roten Kopf gehabt? Sie wusste es nicht. Ein wenig benommen, doch mit einem ganz tiefen Glücksgefühl, drehte sie sich um, ging zurück zu dem kleinen Straßencafé, an dem sie grad vorbeigekommen war. Sie setzte sich an einen 2-er Tisch und bestellte einen Cappuccino. Sie wollte dieses Gefühl einfach genießen.

    Für eine Weile blieben alle Menschen und Dinge „draußen“, ausgeschlossen von ihrem Lächeln. Wenn sie den Cappuccino ausgetrunken hatte, würde sie zu der kleinen Eckboutique zurückgehen und sich dieses auffallende Oberteil mit den verschiedenen aufeinander abgestimmten Rottönen kaufen, das sie vorhin schon eine Weile angehimmelt hatte. Ihre Schwester würde zwar wieder sagen: „In deinem Alter kannst du so was nicht mehr tragen!“

    Doch sie konnte!

    Manche Worte waren einfach so kostbar, dass sie in Samt und Seide gekleidet werden mussten.

    Copyright Barbara Kromphardt

  •  

    Es regnet leise, eine stille Pause,
    im Regen hat sich Gold gelöst,
    als er so vor sich hin gedöst,
    veredelt gehe ich nach Hause.

    Auch hier hat alles einen güldnen Hauch:
    die Blumen, Bücher, sogar heißer Tee
    und jenes Bild vom goldnen See,
    mein großer Spiegel funkelt auch.

    Eins von den Wundern meiner Welt,
    die reich von Gold umflossen ist,
    in meinen Augen wohnt ein Alchimist,
    der das erschafft, was ihm gefällt.

     

    Copyright Barbara Kromphardt

     

  •  

    Über das Schriftbild der Ärzte – vornehmlich traditionelle Rezepte und Unterschriften betreffend – gehen die Meinungen auch wohlmeinender Betrachter nicht weit auseinander. Den Medizinern wird allgemein eine schlechte und vor allem unleserliche Handschrift attestiert. Das hat Ursachen in der Hatz des beruflichen Alltags, was das erwähnte Urteil allerdings auch nicht mildert. Doch es gibt rühmliche Ausnahmen.

    Mein verehrter klinischer Lehrer Professor August Sundermann – weit bekannter und strenger Ordinarius für Innere Medizin an Erfurts nunmehr erfolgreich beerdigter Medizinischer Akademie, Erzieher vieler Studenten und Ärzte – hatte selbst ein bemerkenswert schönes und deutliches Schriftbild. Zusätzlich fesselte er in seinem Kolleg und bei wissenschaftlichen Vorträgen mit wohlverständlicher Artikulation der Sätze. Zu Ärzten und Studenten, die handschriftliche Texte oder ihre Unterschriften nicht lesbar oder in abstrakter Form zu Papier brachten, sagte er ironisch: „Schämen Sie sich Ihres Namens, dass Sie ihn so unlesbar entstellen, oder können Sie nicht richtig schreiben?“

    Im Übrigen forderte er – wie jeder verantwortungsbewusste Lehrer – generell für alle und von allen eine lesbare Schrift und verständliche Aussprache. „Denn Sprache und Schrift sollen zur Verständigung der Menschen dienen und nicht zur Verschleierung von Identität, Gedanken und Problemen!“

    Womit er nicht nur die Mediziner in die Pflicht nahm. Und, recht überlegt, scheint das Sundermannsche Credo immer mehr an Bedeutung zu gewinnen.

     

    Aus Kardach, Medizin tropfenweise, Peter-Stein-Verlag, Weimar.

    Copyright Dr. Siegbert Kardach