Monat: Dezember 2016

  • Wahrnehmung*

    (26.12.2016)

    Du fragst mich
    wie Menschen
    Versklavung und Verwüstung
    im weitesten Sinne
    hinnehmen

    Frage sie selbst
    welche kurz- und langfristigen
    Vor- und Nachteile
    sie wahrnehmen

    ֎֎֎

     

    * Dieser Text entstand nach der Lektüre der Schrift „Terror. Wo er herrührt. Wozu er missbraucht wird. Wie er zu überwinden ist“ von Rolf Gössner und Conrad Schuhler. Die Broschüre ist beim Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. (isw) Anfang Dezember 2016 erschienen und kann dort bestellt werden: Johann-von-Werth-Str. 3; 80639 München.

    isw_muenchen@t-online.de

  • Das Fenster

    Forough Farrokhzad (1934 – 1967)
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar und Andreas Schmidt; 7.7.2012

    ***

    Ein Fenster zum Sehen.
    Ein Fenster zum Hören.
    Ein Fenster, das wie ein Brunnenschacht an seinem Ende das Herz der Erde erreicht
    und sich zugleich in die Weite dieser unendlichen blauen Zartheit hinein öffnet.
    Ein Fenster, das die kleinen Hände der Einsamkeit überfließen lässt
    von dem nächtlichen Geschenk des Duftes groß-gütiger Sterne.
    Und von dort aus lässt sich
    die Sonne zu Gast bitten in die Fremde hinieden zu den Geranien –
    Ein Fenster ist mir genug.

    Ich komme aus dem Land der Puppen
    aus den Schatten papierner Bäume
    im Garten eines Bilderbuches;
    aus den trockenen Jahreszeiten fruchtloser Erfahrungen der Freundschaft und Liebe
    in den staubigen Gassen der Unschuld;
    aus den Jahren des Heranwachsens bleicher Buchstaben des Alphabets
    hinter den Pulten einer schwindsüchtig-ausgezehrten Schule;
    aus dem Moment, in dem es den Kindern gelang,
    auf die schwarze Tafel das Wort „Stein“ zu schreiben,
    woraufhin die Stare aufgeregt aus dem alten Baum aufflogen.

    Ich komme aus den Wurzeln Fleisch fressender Pflanzen
    und mein Gehirn quillt noch immer über
    von dem Angstschrei des Schmetterlings,
    den man mit einer Stecknadel in einem Heft
    gekreuzigt hatte.

    Als mein Vertrauen an dem schwachen Seil der Gerechtigkeit hing,
    und man in der ganzen Stadt
    mein Herz aus Lichtern in Stücke riss,
    als man meine kindlichen Augen der Liebe
    mit der dunklen Binde des Gesetzes verschloss
    und meinen vor Sehnsucht pochenden Schläfen
    Blutfontänen entströmten,
    als mein Leben nichts mehr war,
    nichts weiter als das Ticktack der Wanduhr,
    erkannte ich,
    ich muss, ich muss, ich muss,
    wie wahnsinnig lieben.

    Ein Fenster ist mir genug –
    ein Fenster zum Augenblick der Erkenntnis, des Betrachtens und der Stille.
    Jetzt ist das Walnussbäumchen
    soweit aufgeschossen,
    dass es seinen jungen Blättern die Mauer deuten kann.

    Frag den Spiegel
    nach dem Namen deines Retters.
    Ist die Erde, die unter deinen Füßen bebt,
    nicht einsamer als du?
    Haben die Propheten die Botschaft der Zerstörung
    mit sich in unser Jahrhundert gebracht?
    Sind diese einander jagenden Explosionen
    und die vergifteten Wolken
    der Widerhall der heiligen Schriftverse?
    Du, Freund – Du, Bruder – Du, Blut von meinem Blut,
    wenn du den Mond erreichst,
    schreib das Datum des an allen Blumen verübten Massakers nieder.

    Immer stürzen die Träume ab
    aus der Höhe ihrer Leicht- und Gutgläubigkeit und sterben.
    Ich rieche den vierblättrigen Klee,
    der auf dem Grab alter Begriffe gewachsen ist.
    War die Frau,
    die im Leichentuch ihres Wartens und ihrer Keuschheit begraben wurde,
    meine Jugend?
    Werde ich wieder die Treppen meiner Neugier hinaufsteigen,
    um den guten Gott zu grüßen, der auf dem Dach des Hauses einherschreitet?

    Ich fühle, dass die Zeit vorbei ist.
    Ich fühle, dass der „Moment“ mein Anteil an den Blättern der Geschichte ist
    Ich fühle, dass dieser Tisch nur scheinbar trennt
    meine Haarsträhnen von den Händen dieses traurigen Fremden.

    Sag mir auf ein Wort:
    Was sonst verlangt jemand von dir,
    der dir die Zärtlichkeit eines lebenden Körpers schenkt,
    außer das Lebendigsein zu begreifen?

    Sag es mir auf ein Wort.
    Ich stehe im Schutze des Fensters.
    In ihrem Licht bin ich mit der Sonne verbunden.

  • Christ Geburt (nach Brief des Paulus 2.3 an die Kolosser)

     

    In dir liegen verborgen
    Tod, Gemeinheit, Sorgen
    Alle Weisheit der Erde
    Die überwunden werde
    In Vergebung, Liebe.
    Du Mensch, Dir bliebe
    In Segen zu geben
    Dein Sinn Dir zum Leben.

     

    K. K. 18.12.2016

  •  

    Weihnachtsballade

    Zur Krippennacht das Christkind lacht
    All den Kindern Freude macht.

    Wenn Krippennacht das Christkind weint
    Armut aus den Sternen scheint.

    In Krippennacht Dein Christkind schreit
    Heiß Träne sich an Träne reiht.

    Wenn Krippennacht das Christkind tobt
    Der Teufel seine Jünger lobt.

    So Krippennacht das Christkind ruht
    Die Erde Kindern Gutes tut.

    Willst das Christkind du beglücken
    Laß uns Stroh mit Herzen schmücken.

    Soll das Kind in Frieden ruhen
    Schleich dich fort in Sternenschuhen.

    Wird es froh voll Leben toben
    Muss der Herr die Teufel loben.

    Wenn die Gotteskinder brüllen
    Mußt du Liebeshunger stillen.

    Siehst du Christkindhirten weinen
    Wird als Engel es erscheinen.

    Wird uns Kinder glücklich machen
    Wirst du singen, wird es lachen.

    K.K. 22.12.2016

  • Geflüster

    (22.12.2016)

     

    Sei besonders achtsam
    bei jeder Begegnung
    denn wir sind alle endlich
    wie unsere Mutter, die Erde

    ֎֎֎

  • Yalda

    (22.12.2016)

     

    Nach der längsten Nacht des Jahres
    kamen meine Geschwister geflogen
    in bunten Scharen
    Mich beschämte zutiefst
    unser gemeinsames Heim 

    Barmherzig sangen sie mit Zuversicht
    Streu die Samen aus
    auch wenn du die Früchte
    nicht selbst erleben wirst

    ֎֎֎

     

  •  Meditation im Herbst

    (1.12.2016)

    Für Heidi 

     

    Gehen Träume unterwegs verloren
    mein Herzensfreund
    erinnere mich an den Moment
    als der Wind den Baum umwehte
    das Blatt sich tanzend entfernte
    und dabei liebevoll lächelte 

    Bleibe bei mir
    mit Anmut und Mut
    leidenschaftlich, barmherzig, geduldig
    wenn ich schlafe
    wenn ich gehe

    Gehen Träume unterwegs verloren
    mein Herzensfreund
    e
    rinnere mich daran
    dass das herbstliche Blatt
    durch die Baumadern emporstieg
    zu neuen Knospen und Trieben

    ֎֎֎

  •  

    Lebens Lauf

    (27.10.2016)

     in Erinnerung an Christa Ortmann (1936-2016) 

     

    Aus der Erde stieg ich empor
    durch die Erde werde ich fließen
    und im Laufe der Zeit als Staub
    in allen Himmelsrichtungen erscheinen 

    Da die Liebe zum Leben in mir strömt
    werde ich am leuchtenden Firmament
    einen Teil jener tröstenden Zärtlichkeit bilden

    ֎֎֎

  •  

    Quelle der Zuversicht

    (20.10.2016)

     

    Wenn ich unsere Medienlandschaft betrachte
    wächst bei mir grenzenlos
    ein empörendes Erstaunen
    da ich mich immer wieder
    wie in einem großen Kerker fühle
    schalltot und echolos 

    Anstelle der Wände
    sehe ich in diesem Gefängnis
    wohl ernährte Menschen
    finstere, bunte, feige Gestalten
    Sie gestikulieren gedächtnislos
    fabulieren unverschämt
    manche mutmaßlich erzwungen
    einige augenscheinlich begeistert
    andere gedankenlos und mitläuferisch
    Offensichtlich können sie kaum erkennen
    dass der vermeintlich feste Boden
    unter ihren Füßen tausend Risse zeigt 

    Wenn ich aus der Vogelperspektive
    das Geschehen ganzheitlich betrachte
    sehe ich nicht nur in unserem Land
    sondern auf verschiedenen Erdteilen
    unzählig viele Bienen und Ameisen
    die gelassen, geduldig, gewagt
    vielfältig, vereint, unbeirrt
    aufrecht, authentisch
    der gewaltigen Maschinerie der Verwüstung trotzend
    ihren Weg beschreiten und bestreiten 

    Sie sind meine Quelle der Zuversicht

  • Snowden*

    (3.10.2016) 

    Die beiden Standpunkte
    »Unglücklich das Land, das keine Helden hat«

    und

    » Unglücklich das Land, das Helden nötig hat«**
    seien zur schöpferischen Diskussion dahingestellt

     

    Tatsache bleibt
    dass ohne Wissen, Weitsicht, Verantwortungssinn
    Liebe zum Leben
    sowie ohne Ehrfurcht
    bekannter und unbekannter Menschen
    vor dem Sein
    unser heutiges Dasein
    ein ganz anderes Antlitz hätte

    ֎֎֎

    Bemerkungen:

    * Der Text entstand nach dem Erleben des Filmes „Snowden“ von Oliver Stone.  Am Ende des Filmes tritt Edward Snowden persönlich auf und macht die beeindruckende Bemerkung: „When I left Hawaii, I lost everything. I had a stable life, stable love, family, future. And I lost that life, but, I’ve gained a new one, and I am incredibly fortunate. And I think the greatest freedom that I’ve gained is the fact that I no longer have to worry about what happens tomorrow, because I’m happy with what I’ve done today.“

    ** Bertolt Brecht;  Leben des Galilei; 13. Szene