Autor: Amir Mortasawi Dr. med.

  • In aller Ewigkeit

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Vor euch
    haben unzählig viele
    wie ihr
    mit Spinnenfäden
    im Winde geschrieben:
    Es lebe diese Glück bringende, ewig dauernde Herrschaft“

    ۞۞۞

     

     

  • Rock der Sonne

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani  aus dem Jahr 1984
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Ein Mensch, dessen Herz durch Liebe
    wie vom Mondschein erleuchtet wird
    wird durch die Böswilligkeiten und Ängste des Volkes
    nicht in Hektik und Furcht geraten
    schau hin, nicht im Geringsten
    wird der Rock der Sonne nass
    wenn er ins Wasser fällt

    ۞۞۞

     

  • Unvermeidlichkeiten der Zeit

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Manchmal ist er ein Ketzer,
    manchmal ein Gotteslästerer,
    manchmal ein Atheist.
    Manchmal ist er ein Feind des Volkes,
    manchmal ein Unruhestifter.
    Die Qual der Einsamkeit muss der Mensch kosten,
    der seiner Zeit voraus ist

    ۞۞۞

     

     

  • Vermisst

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani  aus dem Jahr 2010
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar۞۞۞

     

    Ein Kind namens Fröhlichkeit
    wird seit geraumer Zeit vermisst,
    mit hellen leuchtenden Augen,
    mit langen Haaren, der Größe der Sehnsucht entsprechend.
    Wenn jemand von ihr ein Zeichen hat,
    soll er uns benachrichtigen,
    und das ist unsere Anschrift:
    auf der einen Seite der Persische Golf
    auf der anderen Seite das Kaspische Meer

    ۞۞۞

     

     

  • Wenn du Mann genug bist

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani  aus dem Jahr 1995

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Komm mein Freund hierher, verweile in der Heimat,
    hab Teil an meinem Leid und an meinen Freuden.
    Die Frauen kämpfen hier wie wilde Löwinnen.
    Sei hier, wenn du Mann genug bist, und sei eine Frau!

    ۞۞۞

     

     

  • Zitternde Macht

    (4.3.2017) 

    Rainer Mausfeld gewidmet

     

    Dich werde ich
    entschieden entwurzeln
    Deine Vergangenheit
    vielschichtig vernichten
    Deines Gehirns Schaltkreise
    gewaltig umgestalten
    Ohne Verbindung zu deinen Vorfahren
    ähnelst du einem wehrlosen Wesen
    So werde ich meine Macht
    Tag für Tag neu beschreiben
    Und doch wird meine Angst
    vor dir
    zum Denken befähigt
    nicht völlig berechenbar
    quälend fortbestehen.

     

  •  

    Verse von Hafis 14. Jahrhundert nach Christus)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

    (1)

    Verzeih den ganzen Krieg der 72 Religionen
    Da sie die Wahrheit nicht erblickten
    fingen sie an Fabeln zu erdichten

    (2)

    Verse von Khayyam (1048-1131)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Das eine Volk ist mit den Gedanken im Sinne der Religion beschäftigt
    Ein anderes Volk glaubt, auf dem Weg der Überzeugung und Gewissheit zu sein
    Ich befürchte, dass es eines Tages ausgerufen wird:
    Ihr Ahnungslosen, der Weg ist weder der eine noch der andere

  • Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi‘i Kadkani (Juli 1987)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Könnte man die Stimme sehen,
    was für Blumen,
    was für Blumen
    pflückte man bei jedem Lied
    im Garten deiner Stimme,
    könnte man die Stimme sehen…

    ۞۞۞

     

  • Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi‘i Kadkani

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Ich habe diesen Baum
    im Gange des Jahres
    in vier Kleidern gesehen und begutachtet.
    Viele Gedichte habe ich ebenfalls für ihn geschrieben:
    im Engelskleid des Schnees,
    in kurzen Ärmeln der Tage von Farvardin [1],
    im grenzenlosen Grün des Sommers
    wie ein zarter Seidenstoff,
    in den Winden wehend
    mit gelben und roten Seidenfasern des Herbstes.

    ۞

    In keinem Kleid kam er besser zur Geltung
    als im Moment der Erneuerung aus der Tiefe des Alterns,
    während der letzten Tage von Esfand [2],
    im erhabenen, ausdrucksvollen Kleid der Nacktheit.

    ۞۞۞

    [1] Farvardin (deutsche Schreibweise: Farwardin) ist der erste Monat des iranischen Sonnenjahres und fängt mit dem Beginn des Frühlings (normalerweise am 21. März) an.

    [2] Esfand ist der zwölfte und letzte Monat des iranischen Sonnenjahres und dauert von ca. 20. Februar bis 20. März.

     

  • Rahaavi *

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi‘i Kadkani (April 1993)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Die bescheidenste Äußerung eines Wunsches ist,
    dass dem Menschen Wasser und Brot zustehe
    und dann Gesang.
    Betrachte die Kanarienvögel,
    im Käfig,
    um wahrhaft zu begreifen,
    warum sie trotz ihrer Enge
    so fröhlich sind**.

    Das bescheidenste Bild eines Daseins ist:
    Wasser,
    Brot,
    Gesang,
    und wenn du mehr wünschst als das,
    ab und an
    Fliegen,
    und wenn du mehr wünschst als das,
    die Freude des Anfangens,
    (und wenn du
    noch mehr wünschst …
    soll ich offen sprechen?)

    Uns ist wegen Wasser und Brot
    hier eine solche Enge entstanden,
    dass niemand an Singen denken wird.
    Gibt es aber keinen Gesang,
    so wird es keine Sehnsucht geben zu fliegen.

    ۞۞۞

    Bemerkungen:

    (*) ‚Rahaavi‘ ist ein Modus der iranischen Musik.

    (**) Wörtliche Übersetzung: Warum es dennoch in ihrer Enge besonders süße Freuden gibt.