Autor: Heiner Wenk Prof. Dr. med.

  • Wer das liest, von scharfen Strippern, Strings und Einsätzen im Beckenbereich, der denkt sicherlich an die Reeperbahn, St. Pauli und Rotlichtviertel. Und wer zur Kenntnis nimmt, dass scharfe Ringstripper aus Hygienegründen ausrangiert worden sind, der denkt an übertragbare Krankheiten, vielleicht an Tripper, Syphilis  oder noch Schlimmeres.

    Wir bewegen uns jedoch in ganz anderem Ambiente, gut ausgeleuchtet, Rot ist allerdings tatsächlich die dominierende Farbe.

    Wir blicken in ein eröffnetes arterielles Gefäß in der Leiste, umschlungen mit einem Bändchen, in dem ein Zylinder präpariert ist. Auf diesen wird nun ein Ringstripper aufgefädelt, der in der Beckenarterie günstigenfalls einen Gefäßverschluss ausschälen kann. Das gelingt nicht immer. Aber meistens. Manchmal, selten,  wird die Beckenarterie perforiert. Und weil das gefährlich ist, nannte man dieses Verfahren in den 80er Jahren „Hitchcock-Manöver“, als nämlich Hitchcock noch die bekannteste Krimiserie war und noch nicht „Großstadtrevier“ oder „Tatort“.

    Ein anderes Problem war, dass der Zylinder nicht immer dort durchtrennt werden konnte, wo man wollte, nämlich an der Abzweigung der inneren Beckenschlagader, sondern irgendwo abriss. Schlaue Leute armierten den Ringstripper deshalb mit einem Draht, der in einem Röhrchen verlief und das Ringmesser innen auskleidete. In korrekter Position konnte man dann am Draht, dem String,  ziehen und damit den Desobliterationszylinder durchschneiden. Das war der scharfe Ringstripper.

    Geniale Idee.

    Wenn man die Dinger nicht nach Gebrauch erstens wieder sauber machen musste und zweitens einen neuen Draht dort hineinpraktizieren musste. Weil das so schwierig war, wenn nicht gar unmöglich, wurde vor mehr als zehn Jahren deshalb der wiederholte Einsatz dieser Geräte verboten, und als Einmalinstrumente waren sie einfach zu teuer.

    Was passierte? Die Geräte landeten im Schrank.

    Mit der Etablierung der Ballondilatation und der Stents im Operationssaal als Hybridtechnik verlor der Ringstripper sowieso zunehmend an Bedeutung. Vergessen wurden sie nicht. Als wir nun aber unsere OP-Siebe durchgesehen haben, „reorganisiert“ heißt das im modernen Sprachgebrauch, wurden die Instrumente endgültig ausrangiert. Nicht ohne Wehmut.

    „Das waren noch Zeiten, als noch scharf strippt wurde“, flüsterte eine alternde Mitarbeiterin; nicht von der Reeperbahn, nein: aus Bremen.

    Copyright Prof. Dr. Heiner Wenk

  • Ein hochbetagter Patient, seit vielen Jahren privat krankenversichtert bei der „Alten Oldenburger Krankenversicherung AG“, vor zehn Jahren wegen eines Aortenaneurysmas mit einer Stentprothese versorgt, wird mit Bauchschmerzen in das Krankenhaus Delmenhorst eingewiesen.

    Dort wird eine Computertomographie durchgeführt. Man findet ein retroperitoneales Hämatom als Ausdruck einer Aneurysmaruptur bei liegender Stentprothese.

    Der Patient wird mit dem Rettungshubschrauber in ein Gefäßzentrum geflogen und erreicht das Krankenhaus in den Abendstunden.

    Sofort wird auf dem OP-Tisch eine Angiographie durchgeführt, der Befund imponiert als Typ III Endoleak auf der linken Seite. In die alte, undichte Stentprothese wird auf der linken Seite ein neuer Prothesenschenkel platziert. Dann ist angiographisch alles dicht, und der Patient wird kurz vor Mitternacht auf die Intensivstation gebracht, und der fast sechzigährige Chefarzt hat Feierabend.

    Nachts um halb drei klingelt beim Chefarzt das Telefon: Der hochbetagte Patient blutet offensichtlich wieder.

    Das Team geht wieder in den OP.

    Es wird entschieden, nun den Bauch zu eröffnen.

    Eröffnen des Aneurysmasackes.

    Es wird klar: Die Stentprothese ist an vielen verschiedenen Stellen undicht, das Material ist aufgebraucht, zermürbt. Die Situation ist schwierig. Einen Stentprothesenausbau wird der hochbetagte Patient wahrscheinlich nicht überleben. Was tun? Man versucht, die vielen kleinen Löcher abzudichten. Das misslingt.

    Schließlich wird bei offenem Bauch auch von rechts über die Leiste ein neuer Prothesenschenkel in die alte, kaputte Stentprothese hineingebracht. Die Blutung steht, das Aneurysma wird verschlossen, die Leibeshöhle ebenfalls.

    Es wird jetzt hell draußen.

    Der Chefarzt hat noch Zeit, ein paar frische Brötchen zu holen und Kaffee zu trinken.

    Dann beginnt für ihn der neue Arbeitstag, mit zwei Stunden Schlaf.

    Der Hochbetagte liegt jetzt kreislaufstabil auf der Intensivstation.

    Er bekommt Besuch von seinen Angehörigen, die in diesem Rahmen auch mit dem Krankenhaus die Wahlleistungsvereinbarung unterschreiben.

    Der Hochbetagte erleidet nach der Operation mehrere Organversagen, er überlebt die Aneurysmaruptur letztlich nicht.

    Einige Wochen später erhält der Chefarzt ein Schreiben von der Alten Oldenburger Versicherung: Die Leistungen des Operationstages würden nicht erstattet, weil die Angehörigen die Wahlleistungsvereinbarung erst am Tag nach der Operation unterschrieben hätten.

    Der Chefarzt fühlt sich betrogen.

    Trotzdem wird er auch weiterhin nachts in die Klinik fahren, wenn seine Oberärzte Hilfe brauchen, sei es bei privaten oder Kassenpatienten.

    Er fragt sich aber auch, wie sich wohl die Angehörigen fühlen mögen, die ja eine Kopie dieses Schreibens der privaten Krankenversicherung bekommen haben – Zechprellerei ist sicherlich der falsche Ausdruck. Und sie würden doch auch niemals von einer Tankstelle wegfahren, ohne zu bezahlen.

    Wie mag sich die Mitarbeiterin der Alten Oldenburger Krankenkasse fühlen, die Verfasserin des Schreibens? Wahrscheinlich freut sie sich, einem gut verdienenden Chefarzt eins ausgewischt zu haben.

    Man muss sich aber auch fragen, wie es um eine Krankenkasse bestellt sein muss, die schamlos ausnutzt, dass ein lebensbedrohlich Erkrankter vor einer Notfalloperation keinen Wahlleistungsvertrag unterschreiben kann.  Die sich offensichtlich mit Zechprellermethoden am Leben halten muss.

    Die auch mit dem Slogan „Ihr Partner für Leben“ wirbt.

    Was einmal mehr ein Hinweis ist, dass man bei der Partnerwahl nicht vorsichtig genug sein kann.

    Copyright Prof. Dr. Heiner Wenk