Tag: Familie

  • Echo

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Wir sind am Ende angelangt
    und haben noch nicht angefangen.
    Die Federn sind ausgefallen,
    und wir sind nicht geflogen.
    Verzeih,
    du Helligkeit der Liebe,
    verzeih uns.
    Verzeih,
    wenn wir den Morgen
    nicht zum Besuch der Gasse einluden.
    Verzeih,
    wenn unsere Kleider
    kein Zeichen des Ganges der Morgendämmerung aufweisen.
    Verzeih uns,
    wenn es auf der Wipfel der Tanne
    von der Morgenröte nichts zu berichten gibt.
    Eine Brise
    hat die morgendliche Pflanze,
    mit einer Seilschlinge gefangen
    und zieht sie zur Steppe ihres Erwachens.
    Und wir sind dieser Brise nicht ebenbürtig,
    verfangen hinter der Wand der Angst.
    Verzeih,
    du Helligkeit der Liebe,
    verzeih uns!
    Wir sind am Ende angelangt,
    aber
    haben nicht angefangen.
    Die Federn sind ausgefallen,
    und wir sind nicht geflogen.

    ۞۞۞

     

     

  • In aller Ewigkeit

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Vor euch
    haben unzählig viele
    wie ihr
    mit Spinnenfäden
    im Winde geschrieben:
    Es lebe diese Glück bringende, ewig dauernde Herrschaft“

    ۞۞۞

     

     

  • Rock der Sonne

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani  aus dem Jahr 1984
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Ein Mensch, dessen Herz durch Liebe
    wie vom Mondschein erleuchtet wird
    wird durch die Böswilligkeiten und Ängste des Volkes
    nicht in Hektik und Furcht geraten
    schau hin, nicht im Geringsten
    wird der Rock der Sonne nass
    wenn er ins Wasser fällt

    ۞۞۞

     

  • Vermisst

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani  aus dem Jahr 2010
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar۞۞۞

     

    Ein Kind namens Fröhlichkeit
    wird seit geraumer Zeit vermisst,
    mit hellen leuchtenden Augen,
    mit langen Haaren, der Größe der Sehnsucht entsprechend.
    Wenn jemand von ihr ein Zeichen hat,
    soll er uns benachrichtigen,
    und das ist unsere Anschrift:
    auf der einen Seite der Persische Golf
    auf der anderen Seite das Kaspische Meer

    ۞۞۞

     

     

  • Wenn du Mann genug bist

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani  aus dem Jahr 1995

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Komm mein Freund hierher, verweile in der Heimat,
    hab Teil an meinem Leid und an meinen Freuden.
    Die Frauen kämpfen hier wie wilde Löwinnen.
    Sei hier, wenn du Mann genug bist, und sei eine Frau!

    ۞۞۞

     

     

  •  

    Ein Gedicht von Siavash Kasraii  (1927-1996)
    Freie Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

    An wem liegt es,
    wenn  keine Antwort aufkommt.
    Habe ich etwas versäumt,
    als ich die Botschaft aussprach,
    rein und anziehend,
    von dem harten Unternehmen sprechend,
    auf das glückliche Ergebnis hinweisend.
    Oder liegt es vielleicht an denen,
    die verzaubert und verliebt in den Boten
    das Antworten der Botschaft vergessen haben.

    ۞۞۞

     

  • Der Ruf des Anfangs

     

    Ein Gedicht von Sohrab Sepehri (1928 – 1980) aus dem Buch „Der Reisende“; erste Erscheinung 1967
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

     

    ۞۞۞

    Wo sind meine Schuhe,
    wer hat gerufen: Sohrab?
    Die Stimme war bekannt,
    so wie die Luft den Körper des Blattes kennt.
    Meine Mutter schläft,
    Manouchehr und Parvaneh und vielleicht alle Menschen der Stadt schlafen (1).
    Die Nacht im Monat Khordad (2) geht seicht wie ein Klagelied
    über die Köpfe der Sekunden hinweg.
    Und eine kühle Brise fegt meinen Schlaf vom Rande der Decke weg.
    Der Duft des Verreisens ist in der Luft:
    mein Kissen ist voller Gesang der Schwalben.
    Der Morgen wird ankommen
    und in diese Wasserschüssel
    wird der Himmel verreisen.

    Heute Abend muss ich gehen.
    Ich, der durch das am weitesten geöffnete Fenster
    mit den Menschen dieser Region sprach,
    hörte kein Wort über die Eigenschaften der Zeit.
    Kein Auge betrachtete verliebt die Erde.
    Keiner wurde durch das Erblicken eines Beetes angezogen.
    Keiner nahm einen kleinen Häher auf einem Feld ernst.
    Wie eine Wolke werde ich traurig,
    wenn ich durch das Fenster sehe, dass Houri (3),
    die erwachsene Tochter des Nachbarn,
    am Fuße der seltensten Ulme der Welt
    islamisches Recht liest.

    Es gibt auch Gegebenheiten,
    Augenblicke voller Erhabenheit.
    Ich sah zum Beispiel eine Dichterin,
    die so sehr mit dem Betrachten des Universums beschäftigt war,
    dass der Himmel in ihre Augen Eier legte.
    Und einer Nacht der Nächte
    fragte mich ein Mann,
    wie viel Stunden würde es dauern
    bis zum Aufgang der Weintraube.

    Heute Abend muss ich gehen.
    Heute Abend muss ich den Koffer nehmen,
    der für das Hemd meiner Einsamkeit gerade Platz hat,
    und in die Richtung gehen,
    wo die epischen Bäume sichtbar sind,
    jenem weiten Land ohne Worte entgegen,
    das ständig nach mir ruft.
    Jemand hat wieder gerufen: Sohrab!
    Wo sind meine Schuhe? 

    ۞۞۞

    Erläuterungen:

    (1) Hier sind die Schwester des Dichters, Parvaneh, und sein Bruder, Manouchehr, gemeint.

    (2) Khordad ist der Name des dritten Monats im iranischen Sonnenjahr und dauert von 22. Mai bis 21. Juni.

    (3) Houri ist ein Mädchenname und bedeutet Huri oder Paradiesjungfrau.

     

     

  • Weihnachtsgebet

    Von guten Geistern wohl gehütet
    Sei Frieden dir in Herz und Hand.
    Wo heiß der Wüstenhasswind wütet
    Weit breite aus Dein Herzgewand.

    Lass den Verstand des Kindes weben
    Von Kunde Armut Krippenglück
    Dir werden Sterne Weisheit geben
    Ins Morgen weist des Kindes Blick.

    K. Kayser, 13.12.2016

  •  

    Weihnachtsballade

    Zur Krippennacht das Christkind lacht
    All den Kindern Freude macht.

    Wenn Krippennacht das Christkind weint
    Armut aus den Sternen scheint.

    In Krippennacht Dein Christkind schreit
    Heiß Träne sich an Träne reiht.

    Wenn Krippennacht das Christkind tobt
    Der Teufel seine Jünger lobt.

    So Krippennacht das Christkind ruht
    Die Erde Kindern Gutes tut.

    Willst das Christkind du beglücken
    Laß uns Stroh mit Herzen schmücken.

    Soll das Kind in Frieden ruhen
    Schleich dich fort in Sternenschuhen.

    Wird es froh voll Leben toben
    Muss der Herr die Teufel loben.

    Wenn die Gotteskinder brüllen
    Mußt du Liebeshunger stillen.

    Siehst du Christkindhirten weinen
    Wird als Engel es erscheinen.

    Wird uns Kinder glücklich machen
    Wirst du singen, wird es lachen.

    K.K. 22.12.2016

  • Yalda

    (22.12.2016)

     

    Nach der längsten Nacht des Jahres
    kamen meine Geschwister geflogen
    in bunten Scharen
    Mich beschämte zutiefst
    unser gemeinsames Heim 

    Barmherzig sangen sie mit Zuversicht
    Streu die Samen aus
    auch wenn du die Früchte
    nicht selbst erleben wirst

    ֎֎֎