Schlagwort: Gesellschaft

  • Bedrängnis

     (10.9.2018) 

    mit Dank Elias Davidsson gewidmet*

    Tick Tack, Tick Tack
    Wer denkt  und sucht selbständig
    Wer ist geistig schon ein Wrack 

    Tack Tick, Tack Tick
    Wer denkt dankend an die Enkelkinder
    Wer hat nur den Profit schäbig im Blick 

    Tick Tack, Tick Tack
    Wer schaut stets über den Tellerrand
    Wer kauft kläglich die Katze im Sack 

    Tack Tick, Tack Tick
    Wer bestimmt beharrlich die eigene Bahn
    Wer marschiert in den Krieg gehorsam auf Klick 

    Ticke Tacke, Ticke Tacke
    Wer spricht fröhlich über Licht und Liebe
    Wer hat Verachtung verbittert in jeder Backe 

    Tacke Ticke, Tacke Ticke
    Wer steht auf für eine gerechte Welt
    Wer ist gelähmt, wenn ich diese Zeilen schicke

    ֎֎֎

     

    * 10 irrefutable, devastating 9/11 facts. The U.S. has utterly failed to provide hard evidence to substantiate its version of events.

    https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2018/09/davidsson-mckee.pdf

    Deutsche Übersetzung:

    https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2018/09/davidsson-mckee-2.pdf

  • Tischlein deck dich! – Andere Sitten.

     

    August 2018: Ein eigenartiges Erlebnis mit zwei älteren Herren/Männern in Budapest. Der eine, nennen wir ihn Ádám, versteht und spricht nur wenig deutsch. Er war einst als Motorboot-Europameister unter anderem auf dem Masch-See unterwegs, zu einer Zeit als mein späterer Ehemann ebenfalls Hannover unsicher machte. Der andere, den wir Dezső nennen wollen, hatte 35 Jahre in Norddeutschland gelebt, nach einander mit drei deutschen (Ehe-) Frauen, beruflich erfolgreich. Noch heute verbringt er die Hälfte jeden Jahres in Deutschland. Zwischen Bremen und Budapest pendelt er mit dem Zug hin und her, erster Klasse.

    Es war ausgemacht, dass ich in Budapest endlich einmal kosher essen sollte. Davon war seit zehn Jahren die Rede, ohne dass es bisher geklappt hatte. Die beiden alten Buben hatten sich angeboten, mich zu begleiten. Sie waren nett und höflich; nur packte Ádám mich beim Reden ständig am Arm, eine mediterrane Gewohnheit, die mein preußisches Gemüt wallen lässt, sodass ich schließlich meine Aktentasche als Barriere zwischen uns stellte. In der kosheren Gaststätte, sehr gepflegt und fast leer, waltete ein levantinischer Kellner, der mir gegenüber die erwartete Distanz an den Tag legte, vor allem weil Dezső, den ich eigens gebeten hatte, ungarisch mit mir zu sprechen, hartnäckig bei der deutschen Sprache blieb.

    Jetzt kommt endlich so etwas wie eine Pointe: Àdám bestellt lediglich ein Bier, aber  nichts zu essen. Er hatte schon zu Hause gegessen! Seine Frau lasse ihn nicht ohne Mittagessen auf die Straße. Ich versuche zu verstehen, was mir halbwegs gelingt als ich höre, dass seine Frau eine begnadete Sólet (Scholet)- Köchin ist. Mit meinem Essen, Lekváros csirke, einem in Pflaumenmus und Honig geschmorten Geflügel, bin ich sehr zufrieden. Es naht die Rechnung. Inzwischen ist mir schon klar, dass ich den Löwenanteil selbst werde bestreiten müssen, einschließlich des einsamen Bieres. Ein wenig peinlich scheint das dem guten Dezsőke im Nachhinein doch gewesen zu sein, denn er lädt uns anschließend noch zu einem Kaffee ein, in eine Rom-Kocsma, eine „Ruinen-Kneipe“, wie sie heute von unternehmungslustigen Bio-Anhängern betrieben werden, auf Grundstücken mit den Ruinen 100 Jahre alter Bauwerke. So hoffen die jungen Leute das stilvolle Ambiente zu retten. Diese Etablissements sind meist von schönen Höfen, Gärten und alten Bäumen umgeben. Man sitzt dort sehr angenehm. Ich fühle mich an eine ebenso gemütliche, längst aufgelassene Wirtschaft in der Straße neben der Wohnung meiner Schwiegereltern erinnert. Dieses Grundstück ist jetzt Personal-Parkplatz für das benachbarte Kinderkrankenhaus. Einige der hohen alten Bäume stehen noch.

    Nun – die beiden Herren zeigen mir anschließend noch manches Interessante in diesem Viertel, in dem wenigstens die glatt-kosheren Lokale geschlossen sind  wie es sich gehört – es ist nämlich Samstag, Schabbes. Als wir um die Ecke biegen, stehe ich plötzlich vor dem wohlbekannten Rókus-Kórház und der Semmelweis-Statue an der Rákóczi-út. Jetzt bin ich wieder orientiert.

    Bleibender Eindruck von dieser Mittagsstunde: Man kann jemanden zum Essen treffen, ohne selbst mit zu essen. Kurios.

    Etliche Jahre früher: Wir besuchen ein Arztehepaar – Freunde, die viel gereist und häufig „draußen“ sind, auch bei uns. Das Abendessen brutzelt auf dem  Herd. Die Möbel des angrenzenden sogenannten Wohnzimmers sind unter Schonbezügen verborgen. Wir trinken etwas. Mein Mann hält sich wie immer streng an die in Ungarn von jeher geltende Null-Promille-Regel für Autofahrer. Unsere Gastgeber legen uns reichlich vor, essen selbst aber nichts. Sie haben bereits gegessen, sagen sie. Das wiederholt sich bei späteren Gelegenheiten. Beide sind wohlbeleibt, irgendwann werden sie wohl essen. „Draußen“, bei uns, ist mir nichts aufgefallen. Ich erkenne: Man kann Gäste zum Abendessen einladen ohne mit ihnen zu essen.

    Weitere Jahre zurück, unsere Altvorderen konnten noch dabei sein, folgen wir der Einladung eines vor 20 Jahren aus Ungarn nach Paris ausgewanderten Paares. Auf dem Montmartre steigen wir mühsam in einen fünften Stock, mein armer Vater schafft es kaum. Dann werden wir üppig bewirtet. Aber die Hausfrau isst nicht mit uns, ja sie hat nicht einmal für sich selbst gedeckt, springt nur herum, trägt auf und ab, lächelt, nötigt und sorgt für eine ungemütliche Atmosphäre. Kurios.

    Ganz so merkwürdig ging es bei der Patentante meines Mannes nicht zu. Sie sprach nicht nur ausgezeichnet deutsch und russisch, sondern war überhaupt eine kluge, gebildete Frau mit ihren ganz eigenen Kategorien. Es gab deren zwei: A wie ardinär und B wie brima! In der Nachkriegszeit hatte Tante Ágnes auf Grund ihrer Sprachkenntnisse mehr zum Lebensunterhalt der Familie beigetragen als ihr Mann. Immerhin liegt ein Gedeck für sie bereit, auch wenn sie sich nicht hinsetzt, damit sie sich besser um das „Wohl“ der lieben Gäste kümmern kann.

    Auch dies kommt mir, einer biederen Europäerin aus dem mittleren Westen, kurios vor. Ich bin nur froh, dass meine Schwiegermutter bei ihren Einladungen zwar alles überblickte und im Griff hatte, im Übrigen aber verstand, Gast bei sich selbst zu sein.

    Das ist lange her. Heute sprechen und hören die jungen Leute in Ungarn ebenso Amerikanisch wie unsere, sind ebenso arbeitslos, tragen die gleichen zerrissenen Jeans, lassen sich tätowieren und piercen, starren und lauschen in den unphysiologischsten Haltungen ohne Unterlass auf das, was ihnen ihre Smartphones vermitteln und werfen, wenn man Glück hat, kurz ein Hallo hin, ein Hey, Hi, oder auch „Szía“ – mit ähnlicher Bedeutung, vielleicht ist es eine verstümmelte Form von „Grüß dich“!

    Andere Sitten? Nein, Globalisierung!

     

     

  • Herbst

    (1.9.2018) 

    Auf der Fahrt nach Hause
    zeigte mir gestern der Wald
    stolz seine neuen bunten Kleider
    Die Felder waren frisch bestellt
    Die Luft roch nach Erde
    Heute früh überbrachte der Nebel
    bezaubernd über dem Fluss tanzend
    dieselbe ergreifende Botschaft 

    Früher freute ich mich nicht so sehr
    über die Ankunft des Herbstes
    heute um so mehr
    Das ist nicht nur eine Frage des Alters
    Entscheidend sind die Wegbegleiter
    und vor allem du

    ֎֎֎

  •                                     COTTON -PLANT

                                                 

    Christopher Columbus describes that, by the discovery of Cuba,
    he has seen, for the first time in his life, the cotton plants.
    He observed an odd phenomenon of those cotton plants.
    On the same stalk, there were contemporary and constantly
    present the cotton-capsules closed, others in the stadium of ripening,
    others in bloom.

    Oh, it would be enthralling, if in the similar way, like a cotton-plant,
    the human beings could show up themselves, too.

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Die Baumwollpflanze 

    Christopher Columbus beschreibt, dass er bei der Entdeckung Cubas zum ersten Mal in seinem Leben eine Baumwollpflanze gesehen hat. Er beobachtete ein seltsames Phänomen dieser Pflanzen.Auf demselben Stängel befanden sich gleichzeitig und konstant geschlossene Baumwollkapseln, andere im Reifestadium, andere in  der Blüte.

    Oh, es wäre begeisternd, wenn die menschlichen Wesen sich genauso wie eine Baumwollpflanze zeigen würden.

     

     

     

     

  •  TIGER

                           

    It is difficult to imagine, almost impossible to describe,
    the pain and the bitter surprise of a great born egoist,
    when someone becomes disloyal to him, leaves him suddenly,
    or manage him in the same way, he had always done to the others.
    In the similar way responds usually the wounded tiger,
    who has his whole life harmed, injured and killed
    all beings around him.

    Dr. med. André Simon © Copyright

    Translater´s Note:

    Recently I read, that a tiger in a zoo had attacked and killed a visitor who had climbed into the tiger´s corral. The director of he zoo said: „The accident is very sad, but he tiger has just reacted like tigers use to behave.“

    I want to stress that men can decide with full awareness  to react in various ways – if they had learned to behave like humans and not exclusively as instinctively controlled beings.

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    TIGER 

    Es ist schwierig, sich vorzustellen, ja fast unmöglich zu beschreiben:
    den Schmerz und die bittere Überraschung einen geborenen Egoisten,
    wenn jemand unloyal ihm gegenüber wird, ihn plötzlich verlässt,
    oder ihn gleich behandelt, wie er es mit den Anderen immer getan hat.
    Auf ähnliche Weise reagiert gewöhnlich der verletzte Tiger,
    der sein ganzes Leben lang alle Lebewesen
    um sich herum beschädigt, verletzt oder getötet hat.

    Anmerkung des Übersetzers:

    Neulich las ich, dass ein Tiger in einem Zoo einen Besucher anfiel und tötete, der in sein Gehege geklettert war. Der Zoodirektor sagte: „Der Unfall ist sehr traurig, aber der Tiger hat sich verhalten, wie Tiger das normalerweise tun.“

    Ich möchte betonen, dass Menschen mit voller Achtsamkeit bewusst entscheiden können, sich auf unterschiedliche Weisen zu verhalten – wenn sie gelernt haben, sich als menschliche und nicht als instinktgetriebene Wesen zu benehmen.

     

     

     

  • Bäume pflanzen

    (26.8.2018)

     

    In Erinnerung an Samir Amin (1931-2018)

     

    Das Haus erschien aus der Ferne
    beeindruckend prächtig
    bei näherer Betrachtung
    von innen verfallend 

    Suchend, denkend, mitfühlend
    lehnte ich mich an einen alten Baum
    der zärtlich, entschieden zu mir sprach 

    Sei du einer von den Menschen
    die großmütig Bäume pflanzen
    Bedenke mit sehenden Augen
    wie die Meinung der Herrschenden
    mit allen möglichen Machenschaften
    zur herrschenden Meinung entwickelt wird
    Bilden Gier und Gewalt
    die Grundlagen der Gesellschaftsordnung
    vereinnahmt die herrschende Meinung
    vergiftend sämtliche Lebensbereiche
    korrumpiert Schritt für Schritt
    Gewerkschaften, Parteien
    gesellschaftliche Bewegungen
    Kunst und Wissenschaft
    Gefühle und Gedanken 

    Gehöre du in diesem Strudel
    der Verdrehung und Verbiegung
    der Verelendung und Vernichtung
    zu den wachen Wesen
    die Rückgrat zeigen
    den Blickwinkel erweitern
    Ehrfurcht vor dem Dasein lehren
    selbstlos Bäume pflanzen und pflegen

    ֎֎֎

  • Die Fuldawiesen

    (5.8.2018)

    für Bernhard Trautvetter*

     

    So wie Wasser und Brot
    brauche ich Begegnungen
    mit den morgendlichen Sonnenstrahlen
     dem erfrischenden Gegenwind
    dem einsamen Raben im Spazierschritt
    den weiten Feldern mit dem Wald im Horizont
    den Frühaufstehern mit ihren Hunden
    Aber vor allem ersehne ich
    Menschen mit Weitblick und Rückgrat

    ֎֎֎

     

    *Der vorliegende Text entstand im Zusammenhang mit dem Artikels „Der große Krieg. Die globalen Kriegstreiber planen ihre letzte Schlacht.“ von Bernhard Trautvetter:

    https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2018/08/der-groc39fe-krieg.pdf

     

  • Weckruf

    (29.8.2018)

     

    Am helllichten Tag
    erscheinen mir greifbar nah
    mögliche Zukunftsbilder 

    Die Zeichen der tragischen Zeit
    können kaum noch klarer sein
    Bequemlichkeit und Feigheit
    sind weitverbreitet, bestechend, betäubend 

    Wenn demnächst Illusionen
    geräuschvoll zerfallen
    in bohrende, brennende, beißende Scherben
    und die angebliche Ahnungslosigkeit
    ernüchternd verfliegt
    werden wieder elend
    Dörfer und Städte
    in Schutt und Asche liegen
    überzogen von dunklen Wolken 

    Am helllichten Tag
    spreche ich vom Licht
    von Verantwortung fürs Dasein

    ֎֎֎

  • Dornige Pfade

    An der einzigen höheren Schule in unserer kleinen Stadt war Griechisch kein Unterrichtsfach. Um mir den Wunsch nach bescheidenen Kenntnissen in dieser Sprache zu erfüllen, hätte ich an das Gymnasium in einer benachbarten Kreisstadt wechseln müssen, damals undenkbar! 

    Das Graecum

    Als dann viel später die Gelegenheit kam, meine Facharzt-Praxis ein wenig zu reduzieren und ein Steckenpferd zu reiten, lebte der alte Wunsch wieder auf. Zunächst wurde ich Gasthörerin, dann ordentlich eingeschriebene Studentin der Klassischen Archäologie – da war das Graecum dann ohnehin vorgeschrieben.  Um 7.45 Uhr mittwochs, dem einzig möglichen Tag, drückte ich die Schulbank. Der Griechisch-Lehrer legte netterweise die eine und andere Sonderschicht, nie länger als 10 Minuten, für mich ein. Schon auf der halben Strecke zwischen Wohn- und Arbeitsstätte einerseits und dem Studienort andererseits wechselte ich gleichsam auf einen anderen Planeten. Nach der bestandenen Graecums-Prüfung auf dem Rückweg zur Nachmittagssprechstunde schwebte ich förmlich auf Wolken. Jetzt konnte mich doch nichts und niemand mehr vollkommen traurig machen!

    Magister artium

    Aber der Weg zu den Sternen ist lang und dornenvoll. Das nächste Ziel war der Magister artium, nicht ganz einfach neben den Praxis-Verpflichtungen. Die Dozenten erwiesen sich als großzügig. Einmal durfte ich früher weggehen, ein anderes Mal später kommen. Von einem älteren Kommilitonen, einem Techniker, der nun Vor- und Frühgeschichte studierte, hörte ich, dass ihm für die Promotion sein früheres akademisches Studium als zweites Nebenfach angerechnet worden war. Eine analoge Lösung gab es zunächst nicht. Als ich im akademischen Prüfungsamt erschien, hieß es: Medizin und Klassische Archäologie? Nein, das ist doch wirklich gar zu weit von einander entfernt! Ich hatte „Psychologie“ in petto, das ging dann. Brav und durchaus interessiert absolvierte ich die vier vorgeschriebenen Seminare und Vorlesungen (heute würde man wohl sagen: Module), Allgemeine Psychologie, Sozialpsychologie, Arbeits-Psychologie, das vierte habe ich vergessen. Dann gab es, als ich so weit war, keinen Prüfer für den Magister-Studiengang. Erneut sprach ich beim Prüfungsamt vor. Dort residierte inzwischen eine andere Sachbearbeiterin. „Was wollen Sie denn mit noch einem zweiten Nebenfach“, hieß es jetzt. „Sie haben doch ein volles akademisches Studium abgeschlossen, das können wir anrechnen“. Mir fehlten die Worte. Aber die Erleichterung war groß.

    Für die Magisterarbeit waren die „Die italischen Terrakotten der Antikensammlung der Justus-Liebig-Universität Gießen“ zu bearbeiten. Ursprünglich hatte ich mir die Terrakotten-Sammlung in ihrer Gesamtheit, ca. 100 Objekte, vorgenommen aber vor dieser Fülle kapitulieren müssen. Die Arbeit wurde mit einer schwachen Zwei bewertet, hauptsächlich wohl wegen der schlechten Abbildungen, die meinen Zweitgutachter immerzu „vor die Vitrinen zwangen“. Bei der Ausfertigung der Urkunde war der Gender-Wahn bereits ausgebrochen; ich wurde gefragt, ob ich mich „Magistra artium“ nennen wolle.

    Intermezzo

    Obwohl unser Institutsleiter mir danach die Promotion anbot, zog ich es zunächst vor, mir den Wunsch nach einer Bearbeitung aller in Gießen vorhandenen antiken Terrakotten zu erfüllen. Ohne mir Gedanken über die dazu erforderlichen Mittel zu machen, strebte ich eine gedruckte Publikation an. Anfangs legte ich meine Entwürfe unserem Professor vor. Er redigierte sie exakt, wurde es aber bald leid und gab mich an seinen Assistenten ab. Nachdem ich auf diese Weise etwa ein Jahr vertrödelt hatte, riet mir mein hauseigener Finanz- und Wirtschaftsminister, doch lieber eine Dissertation in Angriff zu nehmen; da sähe man eher, wofür man arbeite. Ich war sehr schnell überzeugt  und mein Professor fackelte nicht lange: „Von Ihnen hätte ich gern eine Typologie der Tarentiner Symposiasten“. Sie seien im Rahmen der Magisterarbeit zu kurz gekommen, darin stecke mehr Potential. Es gab kein Zögern, dieses Thema  nahm ich sofort an.

    Die Dissertation

    Neben der Praxis kostete die Promotion noch einmal fünf Jahre. Um Geld und Zeit zu sparen, entschloss ich mich zu einer seit kurzer Zeit möglichen rechtsgültigen Internet-Publikation: Studien zu den Typen der Tarentiner Symposiasten. Diss. Justus-Liebig-Universität Gießen 2002. http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2003/1184. Die erforderlichen „besseren“ Abbildungen finanzierte eine Stiftung. Ab 2003 durfte ich dann neben dem Dr. med. auch den Titel „Dr. phil.“ führen.

    Sich selbst gedruckt lesen!  

    Noch immer waren auf dem Weg zu den Sternen zwei Vorhaben zu verwirklichen: eine gedruckte Ausgabe der leicht überarbeiteten Dissertation und ein gedruckter Katalog der Terrakotten aus der Gießener Antiken-Sammlung. Die Dissertation liegt längst vor, befriedigend, ansehnlich und auch für Nicht-Fachleute einigermaßen lesbar.

    Zum Katalog aber gab es nur noch negative Äußerungen. Derartige Kataloge würden heute nicht mehr gefördert. Ich kann das nicht glauben, denn inzwischen kamen weitere Terrakotten-Kataloge heraus, die sicher nicht alle ganz und gar  von ihren Verfassern finanziert worden sind. Einige enthalten mäßige Abbildungen, unbegründete Datierungen oder unzureichende Kommentare.  Es sind aber auch sehr nachahmenswerte Veröffentlichungen darunter.

    Später hieß es dann, wenn schon eine Publikation unserer bemerkenswerten Sammlung erschiene, müsse das in anspruchsvoller Form und mit neuen erstklassigen Abbildungen geschehen. Dafür fehlten natürlich die Mittel. Auch eine vorgesehene Foto-Aktion kam bis heute aus Kostengründen nicht zu Stande. Von dem Vorschlag, die Terrakotten online auf unserer Homepage zu publizieren, war ich wenig begeistert, sah jedoch vorläufig keine andere Möglichkeit. So machte ich mich an die Arbeit und hatte überraschend viel Freude daran. Ich ahnte noch nicht, dass mir auch hier reichlich dorniges und unwegsames Gelände bevorstand. Meine Texte mussten natürlich von der Chefin und dem Kustos der Antikensammlung gebilligt werden. Das hieß vor allem: antichambrieren, um Termine betteln, vertagt werden, warten. Bald hatte eine Grabung Vorrang, ein Kongress, eine Dienstreise, bald ein krankes Kind, ein Wasserschaden, ein Vortrag. Zuweilen musste ich herbe Kritik einstecken, lernte aber eine Menge und erhielt viele Anregungen, manchmal sogar Anerkennung und Lob. Während der Vertretungsphase im Institut lief es zunächst wie am Schnürchen, dann aber forderten die eigenen Projekte des Interimsleiters ihr Recht. Trotzdem ließ er mich nicht hängen und so gelang es glücklicherweise, die meisten Terrakotta-Objekte, von denen halbwegs brauchbare Aufnahmen existieren, online zu veröffentlichen.

    Nun sind andere Zeiten angebrochen. Auf der einen Seite eine neue junge Arbeitsgruppe, auf der anderen ich, eine richtige Altlast, ein Dorn im Auge. Die  erträumte gedruckte Publikation, die ich inzwischen selbst hätte finanzieren wollen, wurde mir versagt. Zwar bin ich sofort auf ein anderes Pferd, dem ich ebenfalls durchaus mit Vergnügen die Sporen gebe, umgestiegen, doch das Ziel ist weit, der Pfad bleibt dornig. Oder ist vielleicht der Weg schon das Ziel?

  •  

     

     

    Truth, justice and nobility are  ‚
    the finest and the weakest tones
    in the general harmony of life.
    They can be heard only
    when the stronger tones
    of insolence, violence and injustice
    become silent.

     

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Wahrheit

    Wahrheit, Gerechtigkeit und Vornehmheit
    sind die feinsten und die schwächsten Töne
    in der allgemeinen Harmonie des Lebens.
    Man kann sie nur hören,
    wenn die stärkerer Töne
    der Unverschämtheit, Gewalt und Ungerechtigkeit still werden.