Schlagwort: Literatur

  • Ich schreibe um
    Unsichtbares
    sichtbar
    Unhörbares
    hörbar
    werden zu lassen
    Ich könnte auch
    malen oder komponieren
    wenn ich es könnte
    aber im Schreiben
    ist beides vereint:
    das Sehen
    das Hören
    und wenn du
    zu den Worten tanzt
    sie tanzen lässt in dir
    dann schließt sich dem Sehen und Hören
    das Tasten noch an

    Ich schreibe um
    Unsichtbares
    sichtbar
    Unhörbares
    hörbar
    werden zu lassen
    für mein Du
    für den Fremden
    der sich
    vielleicht zum Freund wandelt
    für mich

    Ich – und vielleicht auch der andere –
    kann so erkennen
    mich erfreuen
    und allmählich
    beginnt mein unsichtbarer Leser Hörer
    für den ich schreibe und dichte
    zu sprechen
    Meine Worte
    werden zum Netz
    das Fische fängt
    aus dem Meer der geistigen Welt
    meine Worte
    werden zur Schale
    die unsichtbare Tropfen
    aus anderen Welten empfängt

    Vielleicht
    schreibe ich eigentlich
    um mit meinem
    Engel
    im Gespräch zu sein

    Das Gedicht ist eigentlich entstanden aus einem Mangel*, aus Erlebnissen und Synchronizitäten, die sich zum eigentlichen Gedicht verdichteten. Vielleicht sollte ich davon erzählen?

    *Ich vermisse meine Aphorismensammlung „Ich schreibe um“

     

    Helga Thomas

    6.3.17, 8.15 Uhr

  • Dr. med. Cordula Sachse-Seeboth,

    RAPIDOT, Pandoras Pillbox,

    Amazon 2017

     

    Rezension von Dr. Dietrich Weller 

    Eine Warnung vorweg: Es soll Menschen geben, die an das Gute im Menschen und besonders in unserem Gesundheitssystem glauben. Wenn Sie diesen Glauben aufrechterhalten wollen, sollten Sie Rapidot, den Debutroman von Cordula Sachse-Seeboth, der im April 2017 erschienen ist, nicht anfangen zu lesen. Denn wenn Sie anfangen, kommen Sie nicht mehr weg. Sie werden hineingerissen in einen Strudel von kurzen Kapiteln, die mit einer rasanten und leider realistisch möglichen Handlung alle Hinterhältigkeiten und kriminellen Machenschaften offenlegen, die bei der Erprobung eines neuen Medikaments im Rahmen von vorgeschriebenen Studien denkbar sind. Die Gier nach Geld und Macht sind die Treibfedern einer Bande von Gangstern im vornehmen Klinik- und Pharmamilieu von Berlin. Die Handlung spielt hauptsächlich in der Kardiologischen Klinik der Cordialité (wer könnte die Parallele zu der berühmten Charité übersehen?), wo Professor Lindberg der Leiter der zweiten Studienphase zu einem revolutionären Mittel gegen das gefährliche Vorhofflimmern ist. Rapidot ist das als Handelsname geplante Kunstwort aus rapid – schnell und Anti-dot – Gegengift.

    Die studienerfahrene Ärztin und Autorin Cordula Sachse-Seeboth schildert mit enormem Sachwissen und verblüffenden Details zu Praxis und Risiken des Studienablaufs, wie gewissenlose Drahtzieher planmäßig Menschenleben aufs Spiel setzen, um die Genehmigung für das Medikament Rapidot zu erhalten. Den Verbrechern im weißen Kittel und im blauen Zweireiher, die mit teilweise sarkastischer Eiseskälte geschildert werden, steht die junge Assistenzärztin Zoe gegenüber. Sie wird als Assistentin von Lindberg eingestellt und mit der Durchführung der Studie betraut, weil er testosterongesteuertes Interesse an ihr hat und sie ihn mit kluger Ablehnung und geistreicher Schlagfertigkeit reizt. Zoe ahnt die geplanten kriminellen Pläne der Pharmafirma und die lebensgefährdende Wirkung von Rapidot und heckt einen ebenso kriminellen Plan aus, um die Versuchspersonen zu retten. Zoe entdeckt die Hintergründe, die zu zehn „zufälligen“ Unfalltoten im Vorfeld der ersten Studienphase geführt haben. Dadurch verwickelt sie sich immer mehr in eine für sich selbst lebensbedrohliche Lage. Das Netz der Gier und der Süchte, der Lügen und Finten, der Morde und Rettungsversuche wird entfaltet, es führt zu mehreren packenden Höhepunkten und fällt dann auf total verblüffende Weise in sich zusammen.

    Obwohl der Roman 600 Seiten umfasst, wird der Leser von Kapitel zu Kapitel weitergelockt, denn die Autorin beherrscht die Dramaturgie perfekt: Sie lässt den Leser oft am Ende eines Kapitels im spannendsten Moment „hängen“ und schwenkt zu einem anderen Handlungsstrang um. (Daher kommt der Fachbegriff cliffhanger.) Die einzelnen Kapitel sind knapp und präzise aufgeteilt und geschildert. Sie springen mitten in die Handlung, und schildern Menschliches und Allzumenschliches in bildhafter Sprache, die häufig mit witzigen und geistreichen Dialogen gespickt ist. Skrupellosigkeit, Raffinesse, kriminelle Energie und tiefe Menschlichkeit werden eindrucksvoll verwoben. Die Charaktere der Handlung sind plastisch und lebensecht beschrieben, sehr gut ausgearbeitet, auch mit vielen kleinen Charakteristika versehen, und der Leser kann sich jede Hauptperson klar vorstellen. Das Böse und das Gute liegen sehr nahe beieinander. Und beides ist glaubwürdig.

    Imponierend finde ich, dass die Autorin im Anhang nach Ideen der Arzeimittelkommission, der Cochrane Collaboration und der Zeitschrift arznei-telegramm einen realisierbaren und wertvollen Katalog von Verbesserungen der bis jetzt gültigen Vorschriften für Studienabläufe zusammengestellt hat. Die dort noch enthaltenen Lücken in den Regeln haben unter anderem den vorliegenden Pharma-Thriller möglich gemacht. Dass die Autorin auch eine gehörige Portion Humor hat, zeigt sie mit dem angehängten Kapitel „Aufklärung über Nutzen und Risiken des Buchkonsums“.

    Ein beeindruckender und (auch für Nichtmediziner!) lesenswerter Debutroman, der mich neugierig macht, womit die Autorin uns demnächst überrascht. Ihren Kindern hat sie Kinderbücher versprochen, und Science-Fiction steht auch auf ihrem Plan. Wir dürfen gespannt sein.

    Dr. med. Dietrich Weller,

    Präsident im Bundesverband Deutscher Schriftstellerärzte BDSÄ

    —>> Lesen Sie auch www.rapidot.de

  • Solange wir die alten und neueren Mythen noch kennen, sind ihre Gestalten unsterblich. Meine Geschichte folgt dem Gedanken – die Unsterblichen sind unter uns.

     

    Arethusa

    Kapitel  I

    Syrakus – Ortigia – Catania – Ortigia

    Unsere letzte große Reise führte uns zu den Liparischen Inseln.

    Das Flugzeug landete in Catania und der Bus brachte die mit verschiedenen Ankunftszeiten eingetrudelte Reisegruppe nach Acireale, wo wir ein Abendessen bekamen und übernachteten. Erst auf der Rückfahrt erzählte uns Vincenzo, unser Reiseleiter, dass der Name Acireale an die Geschichte von Akis und Galathea erinnert. Der Riese Polyphem, dem geweissagt worden war, er werde von Odysseus geblendet werden, verliebte sich in die schöne Nereide Galathea, die allerdings mit dem Hirtenjungen Akis ein Paar war. Als Polyphem die beiden entdeckte, rettete Galathea sich mit einem Sprung ins Meer, während Akis von einem Felsbrocken getroffen wurde, den Polyphem auf seinen Nebenbuhler schleuderte. Aus dem Blut, das unter dem Felsbrocken hervorquoll, wurde ein Fluss. Diese Geschichte und die Odyssee legen nahe, dass es im antiken Sizilien Küstenbewohner gab, die als eine Art Küstenwache ungebetene Gäste, die von See her kamen, fern hielten und dabei offensichtlich hervorragende Steinschleuderer wie ihre Nachbarn auf Mallorca waren.

    Am nächsten Tag gab es auf dem Weg nach Milazzo, wo uns die Fähre nach Stromboli ins Land der Phäaken, wo Nausikaa den schiffbrüchigen Odysseus am Strand fand, bringen sollte, einen Stopp an der Meerenge von Messina, der Scylla und Charybdis der Odyssee. Man konnte das gegenüber liegende Festland sehen. Vor uns, ein paar Schritte hinter der Absperrung, streckte ein etwa mannshoher Riesenfenchel seine trockenen Samenstände in die Höhe. Es ist dies die Fackel des Prometheus, mit der dieser der Sage nach den Menschen das Feuer brachte. Man kann nämlich das Mark des trockenen Stängels entzünden, und dieses glimmt langsam im Stängel, ohne dass dieser verbrennt. Auf diese Weise kann man Feuer über längere Strecken transportieren.

    Schon drei Jahre zuvor hatten wir eine Rundreise durch Sizilien unternommen. Im Tal der Tempel bei Agrigent beeindruckte mich der gut erhaltene Concordia-Tempel, der im 6. Jahrhundert in eine christliche Kirche umgewandelt wurde. Am faszinierendsten war aber der Dom in Syrakus, wo sich hinter einer barocken Fassade der noch fast vollständig erhaltene Athena-Tempel aus dem 5. Jahrhundert vor Christus befindet. Die Mauern der Cella hat man durchbrochen und Teile als Pfeiler stehen gelassen, so dass ein dreischiffiges Kirchenschiff entstand. Der Dom ist der Gottesmutter Maria geweiht. Da drängte sich mir der Gedanke auf, was wäre, wenn die unsterbliche Athene, die einstige Hausherrin, heute den Dom besucht und Maria dort trifft.

    Donna Maria war auf Betreiben des Vatikans nach Syrakus als Chefin der erzbischöflichen Diözesanverwaltung gekommen. Man munkelte, dass sie schwere Schicksalsschläge getroffen hatten und sie einen Sohn verloren habe. Auch wenn eine Frau in der Kirchenverwaltung ungewöhnlich ist, so beugte man sich doch dem Wunsche der höchsten Stelle. Der Bischof musste regelmäßig in Gedanken an sie stöhnen. Für alle Welt hatte sie ein offenes Ohr, und alle Welt wandte sich mit ihren Sorgen und Nöten an sie. Immer wieder sah er den finanziellen Ruin vor seinem inneren Auge, aber erstaunlicherweise füllten sich die Kassen immer wieder durch Schenkungen und Vermächtnisse.

    Donna Maria sah von ihrem Schreibtisch auf und blickte auf die Piazza Duomo und das gegenüberliegende Portal des Domes, als es an ihrer Tür klopfte. Auf ihr „Herein“ betrat eine große schlanke Frau in dunklem Kostüm den Raum. Sie trug eine Schultertasche und einen Laptop unter dem Arm. Der einzige Schmuck war eine goldene Brosche am Revers, die das großäugige Abbild einer Eule, ähnlich der Rückseite der antiken Drachme, zeigte. Die fein geschnittenen Gesichtszüge, von mittellangem dunkelblondem Haar umrahmt, wirkten streng und erweckten eher den Eindruck von Alterslosigkeit.

    Donna Maria blickte auf und erhob sich von ihrem Platz.

    „Ihr seid es, Ihr kommt zu mir?“

    Mit einem Lächeln legte die Frau ihre Visitenkarte auf den Schreibtisch.

    „Alice Maiden, Scientific Consultant, Member of Atlantic Council“

    „Ja, ich bin es“, sagte die Frau und lächelte kurz.

    „Mich führt ein Anliegen zu Euch. Meine Organisation möchte ein Treffen organisieren. Da habe ich mich an mein altes Haus erinnert, das jetzt Euren Namen trägt. Wir brauchen für dieses  Treffen einen Ort, dessen Geschichte über die Zeiten reicht. Könntet Ihr für ein paar Tage uns die Sakristei Eures Hauses als Konferenzort zur Verfügung stellen? Es sind nur sechs Personen. Sie kommen als Ordensschwestern. Sie könnten vielleicht auch im Gästehaus des Bischofs untergebracht werden.“

    Donna Maria nickte. Für einen Augenblick wanderte ihr Blick wieder hinaus über den sonnigen Platz zu der Kathedrale Santa Maria delle Colonne, und sie wurde sich bewusst, dass sie jedes Mal, wenn sie durch das Kirchenschiff gegangen war und die Säulen an den Wänden sah, unwillkürlich an ihre Vorgängerin dachte, die jetzt vor ihr stand.

    „Lasst uns hinüber gehen und uns davon überzeugen, ob das Haus noch immer Euren  Ansprüchen genügt.“

    Sie stiegen die breite Treppe des erzbischöflichen Palastes hinab und traten in das helle Licht über der Piazza Duomo. Nach wenigen Schritten standen sie vor dem grandiosen Portal mit seinen korinthischen Säulen, gekrönt von der  Madonnenfigur. Sie stiegen die Stufen der breiten Freitreppe hinauf und durchschritten das große Portal. Nun standen sie im Dämmerlicht und hielten einen Moment inne. Durch die kleinen Rundbogenfenster hoch oben in den Seitenmauern fiel nur wenig Licht. An der linken Außenmauer wölbte sich das Halbrund gewaltiger dorischer Säulen in den Raum. Man hatte die Mauern der ehemaligen Cella durchbrochen und deren Reste als  Pfeiler stehen gelassen, die  das Mittelschiff von den Seitenschiffen trennten. Im rechten Seitenschiff war der Zugang zu mehreren Kapellen zu sehen.

    Eine Gruppe von Touristen  stand vor den Kapellen und zückte ihre Fotoapparate.

    Im Gestühl des Mittelschiffes saßen eine junge Frau und ein Mann mittleren Alters, die sich leise unterhielten. Gelegentlich war ein unterdrücktes Lachen zu hören.

    Donna Maria trat an die Stuhlreihe und sprach die beiden an.

    „Vincenzo!“

    Auf die Ansprache erhob sich der Mann.

    „Oh, Donna Maria! Darf ich Ihnen Alessia Fontana vorstellen. Sie ist Reiseleiterin und besucht mit ihren Gruppen regelmäßig unsren Dom. Heute ist sie mit einer Gruppe Tedeschi hier“

    Die junge Frau nickte zurückhaltend.

    „Buon giorno!“

    „Vincenzo ist unser Sacristan“, wandte sie sich an ihre Besucherin und dann an ihn: „Das ist Donna Alice. Sie hat ein Anliegen. Ich erkläre es Ihnen.“

    Donna Maria nahm den Sacristan beiseite und ging mit ihm einige Schritte in Richtung des Altarraums.

    „Wir bekommen ein paar Gäste, die es sich in den Kopf gesetzt haben, sich ausgerechnet in unserer Sakristei zu treffen. Ich baue auf Ihre Hilfe. Es ist wichtig. Ihr müsst euch um sie kümmern und ihnen jeden Wunsch von den Lippen ablesen.“

    Währenddessen trat Donna Alice auf die junge Frau zu .

    „Alessia Fontana? Ihr seid doch Arethusa, meine alte Nachbarin. Ich freue mich, Euch wieder zu sehen. Ihr seid jetzt in der Tourismusbranche tätig?“

    „Ja, man tut, was man kann. Auch ich freue mich, Euch wieder zu sehen. Ihr besucht Euer altes Domizil? Ihr seid nicht vergessen. Ich erzähle meinen Gruppen, dass das hier lange Euer Haus war, ehe man es in Donna Marias Hände gelegt hat. Auch meine Heimstatt gibt es noch, und man hält sie in Ehren. Entschuldigt mich, ich muss meine Schäfchen einsammeln. Sie haben zwar noch etwas Zeit, um Ortigia zu erkunden, aber am Nachmittag wartet der Bus auf uns, und wir müssen weiter.“

    Die beiden Frauen verabschiedeten sich. Die junge Frau begab sich in die Seitenschiffe. Doch sie traf nur noch wenige Mitglieder Ihrer Gruppe. Die meisten hatten den Dom bereits wieder in die Helligkeit des Tageslichtes verlassen.

    Schließlich wandte sich ein junger Mann aus ihrer Gruppe an sie.

    „Alessia, darf ich Sie ein Stück begleiten. Mir knurrt inzwischen der Magen. Wo bekomme ich hier etwas zu essen?“

    Er wirkte  sportlich. Sein  Haar hatte einen leicht rötlichen Schimmer, ebenso sein kurz geschorener Kinnbart. Er musterte seine Reiseleiterin mit sichtlichem Wohlgefallen. Immerhin war sie mit ihrem blauen Rock und der türkisfarbenen Bluse, dem schwarzen welligen Haar, das ihr bis auf die Schulter fiel und von dem immer eine Strähne noch feucht zu sein schien, den großen braunen Augen, der schlanken Nase mit den leicht geblähten Nasenflügeln und den vollen Lippen eine beeindruckende junge Frau.

    Sein Angebot schien ihr nicht unangenehm zu sein.

    „Keine schlechte Idee, Doktor Schlegel. Ich könnte jetzt auch etwas essen. Sehen Sie dort, uns gegenüber die Stühle auf dem Platz. Das ist das „La Volpe e l`Uva“.

    Rasch fanden sie einen Tisch, und kurz darauf erschien der Kellner.

    „Alessia, ich verlasse mich auf Sie, was können Sie empfehlen?“

    Sie einigten sich auf Muccu di fave als primo piatto, Pesce spade al sammurigliu als secondo piatto, zum Abschluss als Dolci Cantuccini und Malvasier, dazu eine Karaffe Wasser.

    Während sie auf den ersten Gang warteten, fragte sie: „Was hat Sie eigentlich nach Sizilien geführt?“

    „Ach wissen Sie, ich beschäftige mich aktuell mit der Geschichte der Wikinger. Die müssen nicht nur im Ostseeraum unterwegs gewesen sein. Sie waren ja auch in Britannien und an der französischen Küste. Ich habe gehört, dass es an der italienischen Küste als kulinarische Spezialität ein Stockfischgericht gibt, von dem man sich erzählt, dass es auf die Wikinger zurückgeht. Stockfisch war deren Reiseproviant. Die Normannen, die Ihr Sizilianer nicht unbedingt in allerbester Erinnerung habt, waren dann ja christianisierte Wikinger. Aber vor ihnen sind möglicherweise schon Wikinger als Händler hier gelandet.“

    Der Kellner brachte das Essen, Nudeln mit wildem Fenchel und frischen Sardinen. Die junge Frau griff nach dem Besteck. Durch eine kleine ungeschickte Bewegung fiel die Gabel auf den Boden. Spontan bückten sich beide und griffen nach ihr. Dabei berührten sich ihre Hände .Es entstand ein leises zischendes Geräusch, und man hätte meinen können, dass bei der flüchtigen Berührung ein Dampfwölkchen aufstieg.

    Sie richteten sich blitzartig auf und starrten einander erstaunt an.

    „Ihr, Ihr“, stammelte sie, „seid einer von uns?“

    „Es scheint so. Könnte es sein …“, er zögerte und lächelte sie an, „könnte es sein, dass Ihr etwas mit der Fonte Aretuse zu tun habt? Ich … ich arbeite in Berlin als Arzt. Auch ich muss heutzutage meinen Unterhalt verdienen. Da wir schon mal bei den Wikingern sind, die nannten mich Loki. Für sie war ich für das Feuer zuständig. Ihre Sympathie für mich war aber geteilt. Einerseits brauchten sie mich und meine Erfindungsgabe, andererseits fürchteten sie mich auch. Es ging mir ähnlich wie Eurem Prometheus. Aber nach Ragnaröck tun sich völlig neue Möglichkeiten auf.“

    Sie lächelte in an. „Da muss ich wohl immer auf Abstand achten. Es ist aber nett, mit ihnen hier zu sitzen.“

    Nach dem Schwertfischsteak servierte ihnen der Kellner eine kleine Schale mit Cantuccini und für jeden ein Likörglas mit Malvasier. Sie zeigte ihm, dass man die Cantuccini in den Malvasier tunken muss.

    „Wenn wir heute Abend in Acireale sind, müssen Sie mir mehr von sich erzählen. Wir müssen aufbrechen. Ich bin mir aber sicher, dass unser Busfahrer nicht ohne mich losfährt.“

    Sie standen auf und schlenderten gemächlich über die Brücke, die Ortigia mit dem Festland verbindet und den Corso Umberto primo zur Bushaltestelle.

    „Weißt du“, sagte sie, hielt inne und korrigierte sich, “Wissen Sie, wem ich heute begegnet bin? Meiner Nachbarin. Der Dom war früher ihr Haus, ehe Maria dort eingezogen ist. Sie scheint jetzt international tätig zu sein. Aber sie ist die alte geblieben, nüchtern und ziemlich humorlos. Sie kann nachtragend und rachsüchtig sein. Man ist gut beraten, sie nicht zu verprellen. Sie organisiert irgendeine Zusammenkunft im Dom. Der arme Vincenzo! Er arbeitet dort als Sakristan. Früher war er auch im Ausland. Ich glaube sogar, einige Zeit in Deutschland. Er hat auch schon als Reiseleiter gearbeitet. Wenn ich den Dom besuche, unterhalten wir uns regelmäßig, und er versteht mich, wenn ich mal Probleme mit einer Gruppe habe. Auch mit Euch ist es  nicht immer ganz leicht. Ihr Tedeschi habt oft so etwas Oberlehrerhaftes. Manche müssen alles besser wissen und beschweren sich über Geringfügigkeiten. Sie befürchten, sie würden nicht das bekommen, wofür sie bezahlt haben und glauben, man will sie übers Ohr hauen. Andere haben sich ganz genau vorbereitet, und ich muss aufpassen, was ich ihnen erzähle. Der eine oder andere meint, mich ständig korrigieren zu müssen. Mit einem guten Essen und reichlichem Trinken kann man euch aber immer wieder befrieden.“

    Der Doktor hörte ihr schmunzelnd zu. Ganz wie zufällig berührten sich ihre Hände, und obwohl es leise zischte,,verhakten sich die kleinen Finger ineinander. In diesem Augenblick fiel es ihm ein, wo er sie schon einmal gesehen hatte, in einem alten Film mit Antony Quinn „Der Glöckner von Notre Dame“. Sie sah der Schauspielerin, die das Zigeunermädchen Esmeralda gespielt hatte, zum Verwechseln ähnlich.

    Donna Maria betrat den Dom. Sie suchte ihren Sakristan. Sie sah ihn im Altarraum, wo er die Blumen ordnete. Versunken sang er die Cavatina aus I Lombardi vor sich hin „La mia letizia infondere …“. Er liebte Verdi..

    Sie durchquerte das Kirchenschiff und sprach ihn an.

    „Vincenzo!“

    Sein Gesang brach abrupt ab.

    „Unser Besuch kommt morgen zur Mittagszeit in Catania an. Die einen mit dem Flug 13.20 aus  Rom und die anderen um 14.50 aus Istanbul. Ich bitte Euch, sie am Flughafen abzuholen. Ihr bringt sie dann ins Gästehaus. Sie wollen  übermorgen in der Sakristei zusammenkommen. Sorgt bitte dafür, dass der Raum entsprechend eingerichtet wird.“

    Vincenzo, ein echter Sizilianer, klein und drahtig, mit weißem Haarkranz und ergrautem kurzen Bart, verneigte sich kurz vor seiner Chefin.

    „Keine Sorge, es wird alles zu Eurer Zufriedenheit sein.“

    Am nächsten Morgen stand er in der Garage des Wirtschaftshofes der Diözesanverwaltung. Da stand das Luxusgefährt des Bischofs. Das kam nicht infrage. Er schielte auf den alten Fiat 900 E, einen schon altersschwachen Minibus, und es juckte ihn in den Fingern, den zu nehmen. Nonnen, hatte die Chefin gesagt, Nonnen … und ein tiefsitzendes Unbehagen regte sich, doch er ließ  nicht zu, dass die Erinnerungen an  Kindheit und Schulzeit in einer Klosterschule wieder hoch kamen. Für die würde die alte Klapperkiste eigentlich reichen. Doch dann spürte er die CD´s mit den Verdi-Arien in seiner Tasche und entschied sich, den Fiat Scudo Kombi zu nehmen mit seinen bequemen sechs Sitzplätzen und der Möglichkeit, während der Fahrt seine Musik zu hören.

    Er startete den Wagen, legte die CD ein und bei den ersten Tönen: “Livi amo ne´lieti“ aus La Traviata fädelte er sich in den morgendlichen Verkehr in Richtung Catania ein.

    Die mittägliche Hitze staute sich über Catanias Flughafen Fontanarossa “Vincenzo Bellini“. Der Flug aus Richtung Rom sollte um 13.20 Uhr landen. Als sich die Ankunftshalle füllte und die Fluggäste um die Gepäckbänder gruppierten, holte er ein Pappschild hervor, auf dem er einfach nur „Siracusa“ geschrieben hatte. Die ersten Gäste kamen aus dem Ausgang, aber es dauerte eine Weile, bis schließlich drei Nonnen im weißen Habit und dunklem Skapulier mit langem weißen Schleier über den Rücken, einen Rollkoffer hinter sich herziehend, die Ankunftshalle verließen. Sie schauten sich suchend um, und als sie sein Schild entdeckten, steuerten sie auf ihn zu.

    Trappistinnen dachte er, ob die wohl den Mund aufmachen werden? Zu seinem Erstaunen sprachen sie ihn in einem einigermaßen verständlichen Italienisch an. Zur Begrüßung stellten sie sich als Schwester Destinata, Schwester Presentata und Schwester Futurata vor. Sie wirkten erschöpft.

    „Wir  freuen uns, endlich in Catania angekommen zu sein.“

    Er begleitete sie zum Parkplatz, räumte die Koffer in den Kofferraum und bat sie, es sich im Auto bequem zu machen, da er noch gut eine Stunde auf die Ankunft der anderen Gruppe warten müsse. Auch bot er ihnen an, eine Erfrischung zu besorgen, was sie dankend annahmen. Als er mit drei Flaschen Wasser zurückkam, saß nur die Ältere im Auto und schien  zu schlafen, während sich die beiden anderen in einen überdachten Wartebereich gesetzt hatten.

    Schließlich füllte sich die Ankunftshalle erneut. Fluggäste umstanden die Gepäckbänder und relativ rasch erschienen wiederum drei Nonnen, diesmal im dunklen Habit der Karmeliterinnen am Ausgang und steuerten auf Vincenzo zu. Sie wirkten wesentlich frischer und stellten sich als Schwester Inalterabilata, Schwester Filatorata und Schwester Venturata vor. Schwester Filaturata trug die Nachbildung einer kleinen Schere und einer halbvollen altertümlichen Spindel an ihrem Gürtel, Schwester Venturata die Nachbildung einer leeren Spindel sowie einige kurze aufgefädelte Stäbchen und Schwester Inalterabilata die Nachbildung einer vollen Spindel sowie einer antiken Schriftrolle. Sie verzichteten auf eine Erfrischung und nahmen anstandslos die freien Plätze im Auto ein.

    Vincenzo musste sich auf den Nachmittagsverkehr konzentrieren und summte alle Melodien vor sich hin, die ihm gerade in den Sinn kamen. In Deutschland hatte er die Lieder Carl-Michael Bellmanns mit ihren barocken Opernmelodien kennen gelernt. Sie hatten inzwischen Catania in Richtung Syrakus verlassen und unwillkürlich gingen ihm die Liedzeilen

    „Ich fühl der Jahre Schwere,
    bin nicht so jung, wie ich gern wäre
    Klotho schon wetzt die Schere,
    der alte Charon Tabak kaut“

    über die Lippen. Da tippte ihn plötzlich Schwester Filatorata auf die Schulter.

    „Seien Sie vorsichtig und berufen Sie es nicht. Wir wollen heil in Syracus ankommen.“

    Erschrocken verstummte Vincenzo und legte eine seiner Verdi-CD`s ein.

    Später lieferte er seine Fahrgäste wohlbehalten am Gästehaus des Erzbischofs ab. Er trug ihnen die Koffer ins Haus, wo Donna Maria sie bereits erwartete.

    Diese begrüßte ihre Gäste mit einen freundlichen „Bon giorno, ich bin Donna Maria und für Ihr Wohlbefinden während ihres Aufenthaltes verantwortlich.“

    Da stellte sich die Älteste aus der ersten Gruppe vor.

    „Ich bin Urd, und hier heiße ich Schwester Destinata, zuständig für das Gewordene oder das Schicksal, wie Sie wollen. Wir drei kommen aus Kirkjubaejarklaustur. Das Kloster dort ist zwar nur noch eine Ruine, aber wo wollen sie Yggdrasil heute noch verorten. Wir sind letzte Nacht um 1.00 Uhr in Reykjavik in den Flieger gestiegen und mussten drei Mal umsteigen. Aber was tut man nicht alles, wenn Not am Mann ist.“

    Dann trat die Zweite vor.

    „Ich bin Verdani, hier unter dem Namen Schwester Presentata, zuständig für das Seiende, die Gegenwart.“

    „Ich bin Skuld“, stellte sich die Jüngste vor, „hier heiße ich Schwester Futurata und bin zuständig für das, was sein soll, das Werdende, die Zukunft.“

    „Dann dürfen auch wir uns vorstellen. Wir kommen aus Koufalio nordwestlich von Thessaloniki. Ich bin Atropos, zuständig für das Unabwendbare, das Geschehene. Ich heiße hier Schwester Inanterabilata. Ich führe das Buch.“

    Ich bin Klotho, die Spinnerin, hier als Schwester Filatorata. Ich spinne den Faden und schneide ihn auch ab.“

    „Und ich bin Lachesis,die das Los wirft und mitbestimmt,wann Klotho zur Schere greift.Hier heiße ich Schwester Venturata.“

    „Meine Damen“, sagte Donna Maria, „ich bedanke mich. Ich zeige Ihnen jetzt Ihre Zimmer. Sie können sich frisch machen, sich ausruhen oder, wenn Sie wollen, ein wenig Ortigia erkunden. Gegen 19 Uhr haben wir für Sie eine Mahlzeit vorbereitet. Morgen früh können Sie hier frühstücken und um 9 Uhr  Ihre Konferenz in der Sakristei unseres Domes beginnen. Unser Vincenzo wird sich um Sie kümmern und dafür sorgen, dass es Ihnen an nichts fehlt. Wir sehen uns zur Abendmahlzeit wieder.“

    Während Donna Maria das Gästehaus verließ und durch den Nachmittag ihren Wohnräumen im Verwaltungsgebäude zustrebte, dachte sie: Das sind sie also, die Uralten, die Rastlosen, die Nimmermüden. Sie werden auch hier ihrem Geschäft nachgehen. Die Menschen werden sie freundlich anlächeln, zu den frommen Schwestern höflich Distanz halten und den Hauch nicht spüren, der sie umweht.

    Vincenzo hatte  die Sakristei hergerichtet. Um den massiven Eichentisch in der Mitte hatte er sechs hochlehnige Stühle gruppiert. Er hatte zwei Flipcharts mit mehrfarbigen Stiften aufgestellt und eine alte Truhe mit einem sauberen Leinentuch abgedeckt. Darauf stand eine Batterie Wasserflaschen, eine Thermoskanne, Tassen.

    Inzwischen war es Mittag geworden. Vincenzo hatte in dem kleinen Restaurant, in dem er selber regelmäßig aß, Arancini – frittierte Reisbällchen – in Auftrag gegeben. Er trug sie in einem Korb zusammen mit einem Glas Artischockenböden, Oliven, Käse und Weißbrot. In der anderen Hand trug er einen 5-Literkanister mit Weißwein. Während er mit seiner Last durch das Mittelschiff schritt, sang er selbstvergessen: §La donna è mobile …“ vor sich hin. Er stieß die angelehnte Tür der Sakristei mit dem Fuß auf und verstummte urplötzlich. Alle sechs Nonnen starrten ihn mit gerunzelter Stirn an.

    Sie hatten sich um den Tisch gruppiert. Die beiden ältesten –Schwester Destinata und Schwester Inanterabilata-  standen mit einem Stift in der Hand an den Flipcharts und schienen Listen zu erstellen. Die eine schrieb Griechisch, die andere benutzte offensichtlich Runen. Auf dem Tisch war eine große Karte ausgebreitet.

    Vincenzo murmelte verlegen: „Ich bringe Ihnen einen Imbiss“, und trug den Korb und den Weinkanister zu der Truhe. Im Vorbeigehen meinte er, auf der Karte Teile Afrikas, das Mittelmeer und den Norden Europas zu sehen. Auf sie waren Pfeile in verschiedenen Farben gezeichnet, vom Zentrum Afrikas an die Mittelmeerküste reichend, von dort bogenförmig in östlicher oder westlicher Richtung über Land oder Meer nach Norden weisend. Einzelne der Pfeile endeten in einem Kreuz oder waren durchgestrichen.

    Während Vincenzo den Korb ausräumte und seinen Inhalt auf der Truhe verteilte, fuhren die Nonnen in ihrer Tätigkeit fort, als sei er nicht anwesend. Schwester Venturata hielt ein Bündel kurzer Stäbe in der Hand und warf sie mit Schwung über die Landkarte. Dann beugte sie sich darüber, um das Ergebnis des Wurfes zu begutachten. Mit stummen Mundbewegungen las sie dann deren Botschaft, während Schwester Venturata die Lage der Losstäbe ihrerseits beurteilte. Beide wandten sich an Schwester Filaturata und Schwester Presentata, um mit ihnen das Ergebnis zu diskutieren. Vincenzo fiel auf, dass sie jetzt in unterschiedlichen Sprachen miteinander redeten, die einen in einem alten melodisch klingenden Griechisch, die anderen in einem kehlig harten Nordisch,s ich dabei aber scheinbar problemlos verstanden. Schwester Presentata und Filatorata hörten ihnen aufmerksam zu, beugten sich über die Karte und zeichneten erneut großräumige Pfeile in ihr.

    Während Schwester Destinata und Schwester Inanterabilata das Ergebnis auf ihren Flipcharts vermerkten, schien es Vincenzo, als würde kurzzeitig ein Hologramm in die Luft projiziert. Er meinte, in einen unübersehbaren Raum zu blicken, in dem an Fäden Spindeln hingen, die sich drehten und ihren Faden aufspulten. Dabei rissen permanent überall Fäden und volle, halb volle, fast leere Spindeln fielen herab und bildeten einen zunehmend wachsenden Haufen. Das Hologramm verschwand, Schwester Venturata raffte die Stäbe zusammen, holte mit leichtem Schwung aus und warf sie erneut. Die beiden jungen Frauen beugten sich darüber und diskutierten das Ergebnis. Die zuvor eingezeichneten Pfeile auf der Karte wurden durchgestrichen und erneut Pfeile eingezeichnet. Man hätte bei ihrem Anblick an fließendes Wasser denken können, das sich immer wieder neue Wege bahnt, wenn sich ein Hindernis auftut. Während erneut das Ergebnis auf den Flipcharts vermerkt wurde, erschien ein neues Hologramm mit den Spindeln, deren Fäden in völlig neuer Zahl und Geschwindigkeit rissen, so dass die Fallenden am Boden ein anderes und neues Muster bildeten.

    Nachdem Vincenzo schließlich seinen Korb ausgepackt hatte, verließ er schleunigst die Sakristei, ohne zu bemerken, dass sich die  Schwestern Destinata und Inanterabilata umgewandt hatten und ihm mit einem eigenartigen Lächeln nachsahen.

    Er hatte das dringende Bedürfnis, den Dom so rasch als möglich zu verlassen. Während er  seinen Blick auf das dunkle, von zwei dorischen Säulen gesäumte Portal richtete, hatte er plötzlich das Gefühl, wie in einem kräftig fließenden Strom zu stehen, der jeden Schritt zähflüssig bremste und sein Vorwärtskommen hinderte. Die Wände des Doms schienen einen feinen Nebel abzusondern, der sich zu Gestalten verdichtete, so dass er vermeinte, in einer riesigen Menschenmenge zu stehen, die durcheinander wirbelte, durchscheinend und substanzlos, jedoch deutlich erkennbar. Die Menschen schienen durch ihn hindurch und er durch sie zu gehen. Da schritten Priester in antiken Gewändern, griechische Bürger, römische Söldner in voller Rüstung, Hopliten, Sklaven schleppten Baumaterial, nur mit einem Schurz bekleidete Bauleute bearbeiteten Säulentrommeln, Mönche, Bürger in mittelalterlicher Kleidung, verwundete Soldaten, erneut Bauleute aus jüngerer Zeit, dazwischen Frauen in hoheitlicher Kleidung. Er glaubte kurz Donna Alice zu erkennen. Ein deutscher Soldat mit Stahlhelm und Maschinenpistole kreuzte seinen Weg, Kinder, Verwundete, eine Gruppe Mussolini – Schwarzhemden, dann wieder weinende Frauen in altertümlichen Gewand, Bauern, amerikanische GI`s, eine Gruppe Priester, Männer in ritterlicher Rüstung der Normannen, Matrosen, Edelleute und in dem Gewimmel neben Donna Maria Alessia Fontana.

    In dem Augenblick hatte er das Portal erreicht und trat in den warmen Nachmittag. Benommen setzte er sich seitlich auf eine der Stufen, stützte den Kopf in die Hände und nahm dankbar das Leben auf der Piazza Duomo wahr, die Touristen an den Tischen des gegenüberliegenden Restaurants, ein Pärchen, das auf einer knatternden Vespa vorüber fuhr, Menschen, die über den Platz schlenderten. Ein leichter Wind hatte sich aufgemacht. Er hörte die kurzen hellen Schreie der niedrig fliegenden Mauersegler, und eine kleine dunkle Wolke ballte sich über den Dächern zur Seeseite zusammen. Vielleicht gibt es heute Abend noch ein Gewitter, dachte er.

     

    Arethusa    Kapitel II 

    (Acireale, Hotel Maugeri – Rom, Domus Sanctae Marthae)

    Dr. Schlegel war vom Geräusch der Müllabfuhr wach geworden und aufgestanden.

    Jetzt schaute er aus dem Fenster seines Hotelzimmers auf die Via Paolo Vasta. Gegenüber lag ein imposanter Bau. „Cinema Teatro Maugeri“ stand über einem großen Portal. Im oberen Teil der Fassade befand sich ein Schriftband „Scenia ex arte humanitatis comedia“.

    Das Gebäude hatte offensichtlich seine beste Zeit hinter sich und schien nicht mehr in seiner ursprünglichen Funktion genutzt zu werden. Das „Grande Albergo Maugeri“ lag an der Piazza Garibaldi, einer kleinen Grünfläche, die am unteren Ende am Corso Umberto endete.

    Gestern Abend hatte ihn nach dem gemeinsamen Abendbrot mit der Reisegruppe Musik, die von draußen in sein Zimmer drang, vor das Hotel gelockt. Junge Leute, vermutlich Studenten, hatten auf der Piazza eine Bühne aufgebaut und spielten bluesigen Rock`n Soul. Einige Gäste des Hotels und junge Leute standen am Rand der Piazza, lauschten der Musik und genossen den lauen Sommerabend. Alessia hatte sich zu ihm gesellt. Ein älteres Ehepaar, vermutlich Gäste des Hotels, schlenderte an ihnen vorüber. Sie hatten sich in der nahe gelegenen Gelateria Eis geholt und hielten die Eistüten in der Hand. Dr. Schlegel lächelte sie an und ganz spontan rutschte ihm heraus: „Oh, Ice Cream … you scream, everybody wants Ice cream.“ Die Frau blieb stehen und wandte sich fragend an ihn: „What do you say?“

    „It´s a music titel from Chris Barber.“ Es dauerte kurz, bis sie verstanden hatte. Dann ging ein Strahlen über ihr Gesicht. „Oh, yes, that´s the Music of my youth. Petit fleur.“

    „Yes, with Mounty Sunshine.“

    Für eine kurzen Augenblick konnte man sich die silbergelockte alte Dame wieder als junges Mädchen mit Ponny, Pferdeschwanz und Petticoat verstellen. Mit einem Lächeln folgte sie ihrem Mann, der diesen kurzen Wortwechsel offensichtlich nur am Rande war genommen hatte.

    Alessia drückte ihm die Hand und sah ihn fragend an. „Das ist die Musik, die mein Vater gehört hat. Er hat mich mit in Jazzkonzerte genommen, und wenn Chris Barber auftrat, dann gehörte „Ice Cream“ zum Standardrepertoire. Hast du gesehen, was die Erinnerung in ihr ausgelöst hat. Das war Magie, die vielleicht nur bei den Engländern wirkt. Ein wenig „Colour of Magic“. Sie sah ihn wieder verständnislos an.

    „Hast du nicht gelesen. Das ist der Titel eines Fantasyromans, der sogar verfilmt wurde.“

    Wenig später war er dann in ihrem Zimmer gelandet und früh neben ihr aufgewacht. Eine tiefe, fast ratlose Verwunderung hatte ihn befallen. Bevor er das Zimmer verließ, küsste er sie sacht auf die Stirn, ohne sie aufzuwecken. Jetzt versuchte er, in sich hinein zu hören und seine Gefühle zu sortieren. Die Nähe zu ihr hatte ein schwer fassbares Gefühl der Geborgenheit, des Sicher-umfasst-Werdens, in ihm ausgelöst. Neben ihr liegend hatte er geträumt, in eine grottenartige Höhlung hinab zu steigen, die ein klarer Wasserlauf durchfloss. Er hatte sich gebückt und das Wasser mit den Händen geschöpft und getrunken. Es schmeckte anders als zu Hause. Es erinnerte ganz schwach an das Meer, das er nur wenige Meter entfernt glaubte, an das Ufer branden zu hören.

    Das Geräusch der Müllabfuhr vor dem Hotel holte ihn wieder zurück. Auf dem Heimweg gestern waren sie durch Catania gefahren.

    Als er die Reise plante, hatte er seinem Vater am Telefon davon berichtet, und dieser hatte ihn an seinen  Großonkel erinnert. Er kannte dessen Bild aus alten Familienalben.

    Sein Großvater hatte als Militärangehöriger Medizin studiert und war Marinearzt gewesen. Nach seinen Erzählungen hatten im Kanal bei dichtem Nebel zwei Schnellboote einander gerammt und das Schiff des Großvaters war gesunken. Die Engländer hatten die im Meer treibende Besatzung aufgefischt und gefangen genommen. Der jüngere Bruder des Großvaters war bei den Fliegern und mit der 1. Fallschirmjäger-Division hier in der Nähe, etwas weiter südlich in Gela stationiert gewesen.

    1943 hatten sich die Alliierten zu einer Invasion auf dem europäischen Kontinent entschieden. Zu einer Landung in Frankreich sahen sie sich aber noch nicht in der Lage. Nach dem britischen Erfolg in Nordafrika bei El Alamein und der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad wollte Großbritannien den Feldzug im Mittelmeer fortsetzen. Die Westalliierten entschieden sich im Januar 1943 für die Invasion Siziliens, da sie von den sizilianischen Flugfeldern aus die Schifffahrt im südlichen Mittelmeer kontrollieren konnten. Ein wichtiges Ziel waren die Flugfelder nahe Gela.

    Vor dem eigentlichen Angriff auf Sizilien hatten die Alliierten im Juni die kleinen Inseln Pantelleria, Lampedusa, Lampione und Linosa besetzt und von dort aus Luftaufklärung der geplanten Landungsgebiete betrieben. Sein Großonkel Johannes Schlegel war in einem Luftkampf mit den Briten über den Flugfeldern von Gela  bereits am 5. Juli abgeschossen worden. Man hatte ihn bei der kleinen Stadt Comiso beigesetzt. Die erfolgreiche Landungsoperation „Husky“ mit Einnahme der Flugfelder sowie der Häfen Syracus und Licata am 10. Juli1943 hatte er also nicht miterlebt.

    Im selben Jahr hatten seine Großeltern geheiratet und als sein Vater 1944 geboren wurde, hatte man ihn nach dem gefallenen Bruder des Vaters Johannes genannt.

    Inzwischen waren die in Sizilien gefallenen deutschen Soldaten in den Cimiterio militare germanico di Motta Sant`Anastasia, die deutsche Kriegsgräberstätte Motta Sant`Anastatsia bei Catania umgebettet worden, die im September 1965 eingeweiht wurde. Hier lagen jetzt 4561 deutsche Gefallene.

    Er schaute auf seine Uhr.es war Zeit, zum Frühstück zu gehen. Er verließ das Zimmer und klopfte wenige Schritte weiter an Alessias Zimmertür. Sie öffnete und strahlte ihn an.

    „Einen Moment noch.“

    Dann gingen sie gemeinsam die breite Treppe hinab.

    „Kennst du die Geschichte von Acireale?“, fragte sie ihn.

    „Es ist eine Liebesgeschichte, die in der Antike in verschiedenen Versionen erzählt wurde. Es geht um den zotteligen Zyklopen Polyphem, der in Homers Odyssee auftaucht und in die schöne Nereide Galatheia verliebt ist. Es bläst seine Hirtenflöte und legt ihr in einem sehnsuchtsvollen Lied all sein Besitztum zu Füßen. Sie ist aber in den Hirtenjungen Akis verliebt. Als Polyphem die beiden entdeckt, wirft er einen Lavabrocken des Ätna auf seinen Nebenbuhler. Aus dem Blut des getroffenen Akis, das unter dem Felsbrocken hervorquillt, wird ein Fluß, den es in der Antike in der Nähe von Catania tatsächlich gegeben hat, der aber heute nach mehreren Ätnaausbrüchen und Erdbeben nicht mehr nachweisbar ist. Andere Autoren behaupten, dass Polyphem und Galatheia sogar ein Paar waren und einen Sohn hatten. Wieder andere meinen, dass der Dichter Polyxenos ein Trinkkumpan des Tyrannen von Syrakus Dyonysos war. Als der Dichter jedoch eine Liebschaft mit der Tochter des Tyrannen Galatheia anfing, wurde er in die Steinbrüche verbannt und musste dort Steine klopfen. Sein Satyrspiel „Der Kyklops“ entstand dann als böse Satire auf den Tyrannen.

    Diese Geschichte inspirierte später Musiker wie Lully, Händel und Haydn zu barocken Opern.

    Heute haben wir eine lange Tour vor uns. Zuerst Piazza Armerina, dann Agrigent mit dem Valle dei Templi. Wir müssen uns etwas beeilen. Der Bus steht schon vor der Tür, und wir müssen unsere Koffer noch einladen.“

    Monsignore Morgenstern hatte den Patron in das Domus Sanctae Marthae, das Gästehaus des Papstes, zum Frühstück eingeladen. Er hatte ihn auf dem Petersplatz erwartet und ging mit ihm zielgerichtet zum Arco delle Campane, dem Grenzübergang. Dort holte er einen kleinen unscheinbaren Schlüssel mit Messiganhänger im Scheckkartenformat aus der Tasche und wies ihn der Schweizer Garde vor, die daraufhin salutierte und beide durchließ. Sie gingen über die ehemalige Privatrennbahn des Kaisers Nero. Hier sollte das Massaker während der Christenverfolgung sowie die Kreuzigung des Petrus mit dem Kopf nach unter stattgefunden haben. In der Nähe einer kleinen Grünfläche kontrollierte sie nochmals ein Gendarm des Vatikans. Linkerhand befand sie die Tür der Eingangshalle des Gästehauses und direkt darüber die Fenster der beiden Räume, in denen der Papst wohnt. Sie gingen die Treppe zum Empfang hinunter und an der dort am Empfang sitzenden Ordensfrau vorbei in den Frühstücksraum. Monsignore Morgenstern steuerte einen Tisch an, der offensichtlich für ihn reserviert war.

    Links vom Eingang befand sich ein mittelgroßer Tisch, an dem bereits mehrere Personen saßen. Links außen von der Tischmitte kehrte ein Mann in weißem Umhang, unter dem der dunkle Straßenanzug durchschien, dem Raum den Rücken zu. Er erhob sich und ging zum Buffet, steckte zwei Scheiben Brot in den Toaster und nahm von einer fast leeren Schale eine Schinkenscheibe und ein Stück Melone. Dann wandte er sich um und schaute in die Runde. Er musterte Gesicht für Gesicht, Tisch für Tisch und Gast für Gast. Es dauerte etwa eine halbe Minute. Die Toastscheiben sprangen aus dem Toaster, und er begab sich wieder auf seinen Platz. Dort schenkte er sich Kaffee aus einer bereit stehenden Kanne ein und begann sein Frühstück.

    Der Monsignore wandte sich an den Patron.

    „Das ist der neue Stellvertreter. Viele der Kurienmitglieder und Kurienmitarbeiter mögen ihn nicht. Sie nennen ihn den „irren Argentinier“, den „Barmherzigkeitsjunkie“ .Und er weiß das.“

    Der Patron holte tief Atem und schüttelte andeutungsweise den Kopf. Das konnte viel bedeuten.

    „Ich habe übrigens ein Problem“, fuhr der Monsignore fort.

    „Eine alte Bekannte, sie war mal meine Assistentin an der Jewish University of Jerusalem – Lilith, du kennst sie vielleicht noch, hat angerufen. Sie arbeitet zur Zeit als Journalistin in Palermo.

    Sie berichtet mir, dass dort eine griechische Luxusjacht im Hafen liegt. Sie hat den Namen „Horse“. Es sieht so aus, als sei eigenartigerweise ein Teil des Schiffsnamens überstrichen worden. Der Kapitän heißt Ulysses. An Bord befindet sich eine illustre Gesellschaft. Alles hochrangige Leute aus den Maghrebstaaten. Sie bemühen sich intensiv um Kontakt zur Ehrenwerten Gesellschaft. Lilith befürchtet, dass etwas weitreichend Bedrohliches entstehen könnte, und sie fragt mich, ob ich nicht nach Palermo kommen könne. Sie traut mir zu, ich könne helfen, drohendes Unheil zu verhindern. Willst Du mitkommen? Ich habe vorsorglich schon zwei Flüge nach Catania reservieren lassen. Wir können schon heute fliegen.“

    Der Patron nickte.

     

     

     

     

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    EMPTINESS    (Dr. André Simon )

    The Master Xi asked: „Does emptiness in this circle have any value?”

    “Empty is empty, and therefore has no value” responded the pupil.

    The Sage explained: “The experience of emptiness is a necessary precondition to spiritual transformation. Emptiness is defined as an experience of being without anything. The state of emptiness means to be blankness, worthless, purposeless or meaningless.

    In the state of emptiness one has no answers and no power of hope.

    Emptiness remains in silence. Being silent, peaceful and calm, one can resolve all failures in one’s life.

    Being empty one is without resentment of the past, or fears for the future. In one’s life one takes or gives, so one can lose one’s way by one’s self. Because of this, one needs to empty one’s soul. Only in this way, one is able to return to one’s spiritual home.

    However, the return is only possible, if one waits in silence. Silence has more eloquence than words, and is more powerful. In the silence one implores the Almighty to demonstrate to us the way.

    This enlightens the value of emptiness. 

     Dr. med. André Simon  ©  Copyright

     

    Leere

    Der Meister fragte: „Hat die Leere in diesem Kreis irgendeinen Wert?“

    „Leer ist leer, deshalb hat sie keinen Wert“, antwortete der Schüler.

    Der Weise erklärte: „Die Erfahrung der Leere ist eine notwendige Vorbedingung zur spirituellen Transformation. Leere ist definiert als die Erfahrung, ohne irgendetwas zu sein. Der Zustand der Leere bedeutet, leer, wertlos, absichtslos und bedeutungslos zu sein. Im Zustand der Leere hat man keine Antworten und keine Kraft für Hoffnung. Leer bleibt in der Stille. Indem man still ist, friedvoll und ruhig, kann man alle Fehler in seinem Leben auflösen. Wenn man leer ist, empfindet man keine Abneigung gegen die Vergangenheit oder Angst vor der Zukunft. Im Leben nimmt man oder gibt, dadurch kann man den eigenen Weg durch sich selbst verlieren. Deshalb muss man seine Seele leeren. Nur auf diesem Weg kann man zur eigenen spirituellen Heimat zurückkehren.

    Diese Rückkehr ist jedoch nur möglich, wenn man in der Stille abwartet. Die Stille hat mehr Beredsamkeit als Wörter und ist mächtiger. In der Stille beschwört man den Allmächtigen, uns den Weg zu zeigen. Das erleuchtet den Wert der Leere.“

    Übersetzung Dr. Dietrich Weller

     

  • Systemerhaltung

    (8.2.2017) 

    für Bernd Duschner

     

    Begrenzte Betrachtung

    oberflächliche Orientierung

    benebelte Besinnung

    eingeschränktes Einfühlen

    gelenkte Gedanken

    umfangreiche Unehrlichkeit

    haarsträubende Heuchelei

    ergeben erwartungsgemäß

    genehmigte Gesinnung

    erlaubte Empörung

    erhaltene Entfremdung

    verfehlte Verantwortung

    ֎֎֎

      

     

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    Jaleh Esfahani

    Dichterin der Zuversicht und Hoffnung

     

    Am 29.12.2011 wurde in Zusammenarbeit mit Herrn Andreas Schmidt im Rahmen der Schriftenreihe „Bilder gegen den Krieg. Momentaufnahmen aus dem Iran“ bei der FriedensTreiberAgentur (FTA) ein Text über die iranische Dichterin Jaleh Esfahani veröffentlicht. Bei der vorliegenden Schrift handelt es sich um eine verkürzte Version.

    Rotenburg an der Fulda, den 6.1.2017

    Afsane Bahar

    ۞۞۞

    Die iranische Dichterin Etel Soltani, die ab ihrem 13. Lebensjahr unter dem Pseudonym Jaleh Gedichte verfasste und auf dem ersten Kongress der iranischen Schriftsteller im Jahre 1946 in Teheran als Jaleh Esfahani vorgestellt wurde (1), gehörte zu den Menschen, die trotz vielfältiger Schicksalsschläge und der augenscheinlichen Macht der Gegner einer gerechten Welt trotzend aus gesellschaftlicher Verantwortung den Sinn für Ästhetik und Zuversicht schärften. Zur Anfertigung des vorliegenden Textes dienten unter anderem ihre Autobiographie „Schatten der Jahre“, die 1999 in London fertig gestellt und im Jahr 2000 in Deutschland veröffentlicht wurde, sowie ihre Gedichtsammlung „Abbildung der Welt“ aus dem Jahre 1981 (2,3).

    ۞۞۞

    Jaleh wird in den 1920-er Jahren in Isfahan in einer wohlhabenden Familie geboren. Jalehs Mutter hat nach dem tragischen Tod ihres ersten Ehemannes wieder geheiratet und betreut neben ihren eigenen Kindern zusätzlich ihre verwaisten Geschwister. Ihr zweiter Ehemann, ein reicher Großgrundbesitzer, verbringt die meiste Zeit auf dem Lande, während die Familie in Isfahan wohnt. Jaleh beschreibt ihre Mutter als eine liebenswürdige, sehr beschäftigte, traurig gestimmte Frau mit Sinn für gesellschaftliche Gerechtigkeit, die oft keine ausreichende Zeit für ihre Kinder findet.

    In der Nachbarschaft lebt eine alleinstehende, arme Frau, die ihren Lebensunterhalt unter anderem durch Rezitieren von Koranversen auf privaten Trauerveranstaltungen und während religiöser Zeremonien bestreitet. Während einer dieser Veranstaltungen wird Jaleh von der lieblichen Stimme dieser Frau so angezogen, dass sie einige Koranverse auswendig lernt. Diese alleinstehende Frau betreut tagsüber stundenweise die Kinder berufstätiger Eltern, die hauptsächlich aus den unteren Schichten stammen und bringt ihnen mündlich Koranverse bei. Jalehs Familie beschließt, sie vormittags zu dieser Frau zu schicken. So wird Jaleh Zeuge gesellschaftlicher Klüfte zwischen den Kindern und lernt die Verachtung, Ungerechtigkeiten und Feindseligkeiten kennen, denen ihre Betreuerin ausgesetzt ist.

    Zusammen mit ihren Altersgenossen aus der Verwandtschaft und Nachbarschaft wächst Jaleh als spielerisches, neugieriges Kind auf und entdeckt früh ihr Interesse und ihre Liebe für Tiere und Pflanzen. Diese Begeisterung für die Natur wird sie lebenslang begleiten.

    Als ihre Mutter Jaleh für die Grundschule anmeldet, kommt es zu ausgeprägten Streitigkeiten mit ihrem Vater. Gegen den Widerstand ihres Vaters besucht Jaleh die Schule. Unterstützt und gefördert durch ihren Großvater mütterlicherseits schließt sie die zweite und dritte Klasse innerhalb eines Schuljahres ab. Es handelt sich um eine moderne Schule (Grundschule und Gymnasium), die von einer Christin geleitet wird. Die Schulleiterin stammt von einer englischen Mutter und einem im Iran lebenden Armenier ab. Sie versucht den Unterricht sowie den Umgang mit den Schülerinnen und deren Familienangehörigen nach neuen pädagogischen Methoden zu gestalten. Die Schule genießt einen sehr guten Ruf, so dass Kinder reicher Familien aus anderen Landesteilen nach Isfahan geschickt werden, um in den Genuss der neuen Lehrmethoden zu kommen.

    Einen besonderen Einfluss auf Jaleh übt eine ihrer iranischen Lehrerinnen aus, die sich für Astronomie, Erdkunde und Biologie interessiert und versucht, ihre Zöglinge anstelle von Aberglauben mit Hilfe von Wissen und logischem Denken zu erziehen. In Zusammenarbeit mit der Schulleiterin macht sie Jaleh und ihre Klassenkameradinnen durch karitative Unternehmungen und Krankenbesuche mit dem Leben außerhalb der Wände der wohlbehüteten Schule vertraut. So entwickelt sich bei Jaleh das Mitgefühl für andere Menschen und daraus folgend ein tief verwurzelter Sinn für gesellschaftliche Gerechtigkeit, der ihr Leben nachhaltig verändert.

    Ein weiteres beeindruckendes Ereignis ihrer Kindheit ist die bittere Tatsache, dass ihre Schwester aufgrund mangelnder medizinischer Informationen und Möglichkeiten durch eine banale Erkrankung ihr Augenlicht verliert. Die ungebrochene Lebenslust und der Sinn für die Schönheit ihrer Schwester trotz dieses schweren Schicksalsschlages ist eine bleibende Lehre für Jaleh, die später selbst zu einem Fanal der Hoffnung und Zuversicht unter einschränkenden, zermürbenden Lebensumständen wird.

    Durch Unterstützung und dank des heftigen Widerstandes ihrer Mutter kann sie als Grundschulkind einer traditionellen Ehe mit einem ihrer Verwandten väterlicherseits entgehen. Im Rahmen dieser Streitigkeiten und Auseinandersetzungen wird ihr ein Personalausweis ausgestellt, der bewusst als Geburtsjahr 1921 ohne Angabe eines Geburtstages ausweist, damit sie formal älter erscheint und heiratsfähig wirkt. Aus Sympathie zu einer Krankenschwester, die in einem englischen Krankenhaus arbeitet, wählte ihr Vater für Jaleh den Vornamen Etel. Etel Soltani und ihre Mutter bevorzugen jedoch den persischen Namen Mastane (‚berauscht‘; ‚betrunken‘; im weitesten Sinne auch ‚entzückt‘ bzw. ‚bezaubert‘). So nennt sich Jaleh auch in ihrer Autobiografie (4).

    Im Sommer lebt Jaleh zeitweise auf dem Lande. Auch hier wird sie Zeuge der zum Himmel schreienden gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und Unterschiede. Unter anderem erfährt sie Einzelschicksale der Frauen aus armen Familien in ländlichen Gebieten.

    Neben dem Schulunterricht lernt Jaleh zusammen mit einer ihrer Freundinnen in Isfahan das Geigespiel. Zweimal pro Woche fahren die beiden Freundinnen mit der Kutsche in den armenischen Stadtteil von Isfahan, Jolfa, um dort von einer französisch-armenischen Lehrerin im Tanzen unterrichtet zu werden. Ab dem 13. Lebensjahr verfasst Jaleh Gedichte und Aufsätze, die durch gesellschaftskritische, die Natur verehrende, tiefgründige Gedanken ausgezeichnet sind. Gleichzeitig weisen diese Texte auf ihr wiederkehrendes Gefühl der Einsamkeit, begleitet von tiefer Trauer, hin.

    Nach Abschluss des Gymnasiums arbeitet Jaleh gegen den Widerstand ihres Vaters, die Unterstützung ihrer Mutter genießend, als eine der ersten Frauen in Isfahan bei der Nationalbank (banke melli). In dieser Zeit besucht sie die Stadt Shiraz, wo ein früheres Gedicht von ihr über die mangelhafte Pflege der altpersischen Residenzstadt Persepolis in einer örtlichen Zeitschrift veröffentlicht wird. Diese Veröffentlichung verschafft ihr den Auftritt in einem Shirazer Dichter- und Schriftstellerverein. In den Folgejahren erscheinen ihre Gedichte in weiteren Zeitschriften sowohl in Isfahan als auch in Teheran.

    Am 25. August 1941 marschieren die Streitkräfte der Alliierten zur Sicherung der iranischen Ölfelder und Einrichtung einer Nachschublinie für die Sowjetunion in den Iran ein. Der Gründer der Pahlavi-Dynastie muss abdanken und sein Sohn, Mohammad Reza Shah, wird zum neuen Herrscher auf dem Pfauenthron erkoren. Die Besatzungszeit stellt eine bedrückende Phase für die iranische Bevölkerung dar und ist von Unsicherheit, Unruhen und Hungersnöten begleitet. Jalehs Gedichte sind in dieser Zeit patriotisch geprägt. In diesen Jahren wird sie von einem schweren Schicksalsschlag heimgesucht, ihre Mutter stirbt.

    1943 lernt sie in einem Englischkurs in Isfahan ihren späteren Ehemann, einen Luftwaffenangehörigen, kennen. Nach ihrer Hochzeit wird ihr Mann nach Teheran versetzt, so dass Jaleh Isfahan verlässt. In Teheran bekommt sie eine Anstellung bei der Nationalbank. 1944 erscheint ihr Gedichtband „Die wilden Blumen“. Der Aufenthalt in Teheran ermöglicht ihr die Ausweitung ihrer literarischen Tätigkeiten und den Ausbau ihrer Verbindungen mit iranischen Dichtern, Journalisten und Schriftstellern. So lernt sie Größen der iranischen Dichtung wie Mohammad Taqi Bahar und Nima (Ali Esfandiari) kennen und kann von ihrem reichen Erfahrungsschatz profitieren. Vor allem die Bekanntschaft mit Nima beindruckt und beeinflusst ihr Schaffen sehr.

    Der II. Weltkrieg, das Abdanken des großen Diktators, Reza Shah Pahlavi, und die Anwesenheit ausländischer Truppen verändern die gesellschaftspolitischen Gegebenheiten. Vorübergehend entstehen begrenzte Möglichkeiten zur Bildung politischer Vereine und Parteien. In dieser Zeit wird ihr Ehemann als Mitglied der Tudeh-Partei Irans verhaftet und zusammen mit einigen anderen Armeeangehörigen nach Kerman (über 1000 km von Teheran entfernt) abgeführt.

    Parallel zu ihrer Tätigkeit bei der Nationalbank nimmt Jaleh ihr Studium an der Fakultät für Literatur der Teheraner Universität auf. Außerdem lernt sie bei ihrem Schwiegervater Arabisch. Im Juni 1946 findet der erste landesweite Kongress der iranischen Schriftsteller in den Räumen des Vereins für kulturelle Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Iran in Teheran in Anwesenheit ausländischer Politiker und Autoren statt. Jaleh erhält die Möglichkeit, eines ihrer Gedichte auf diesem Kongress vorzutragen.

    1946 wird ihr Mann aus der Haft entlassen und kehrt nach Teheran zurück. Ihr erneutes gemeinsames Leben in Teheran dauert allerdings weniger als zwei Wochen. In dem iranischen Landesteil Azerbaijan wird im November 1945 – begünstigt durch die Anwesenheit der Sowjettruppen und auch als Folge der ethnischen Benachteiligungen unter  Reza Shah Pahlavi – von der Demokratischen Partei Azerbaijans eine autonome Volksrepublik ausgerufen, was dann von dem ersten Nationalkongress im Dezember 1945 bekräftigt wird. Die Organisation der Tudeh-Partei Irans in Azerbaijan hat sich bereits aufgelöst und der Demokratischen Partei Azerbaijans angeschlossen. Jalehs Ehemann und einige seiner Parteigenossen eilen aus Teheran nach Azerbaijan, um die ausgerufene Volksrepublik zu unterstützen. Trotz ihrer politischen Bedenken fährt später Jaleh zusammen mit ihrer Schwiegermutter ebenfalls nach Täbris in der Hoffnung, dort leben und studieren zu können, wobei sie zu diesem Zeitpunkt die Landessprache, Azari, noch nicht beherrscht. Der Aufenthalt in Täbris wird allerdings bald abrupt abgebrochen, da infolge politischer Verhandlungen die Sowjettruppen den Iran verlassen und die iranische Zentralregierung daraufhin die Kontrolle über den Landesteil Azerbaijan wiedererlangt. Im Dezember 1946 verlassen Jaleh und ihr Mann zusammen mit einer Vielzahl ihrer Schicksalsgenossen in einer Eilaktion den Iran; ihr Leben im Exil in der Sowjetunion nimmt seinen Lauf. In den folgenden Jahren entflammen heftige Diskussionen über die Gründe der Niederlage im Iran und die Bestimmung des weiteren politischen Weges der Partei mitten in der Stalin-Ära mit all den Verhaftungen, Vertreibungen und Hinrichtungen.

    In Baku lernt Jaleh die Sprache Azari und studiert Literaturwissenschaften. Im Februar 1949 wird ihr erster Sohn geboren. Tausende Verse übersetzt sie aus dem Azari ins Persische. Ihre sozialkritischen Gedichte verschaffen ihr Ruhm, sie ist ein angesehener Gast auf den Literaturkongressen in Moskau, Dushanbe und Baku (Jahre später auch in Kabul und Prag). 1951 erleidet sie eine infektiöse Hepatitis, deren Folgen sie bis zum Lebensende begleiten und sie immer wieder in ihrem Alltag und ihrer schöpferischen Arbeit stark beeinträchtigen. Im März 1953 bringt sie ihren zweiten Sohn zur Welt. Trotz dieser Ereignisse und Hindernisse kann Jaleh ihr Studium mit einer Diplomarbeit über das Werk „Khosro und Shirin“ des iranischen Dichters Nezami Ganjavi beenden.

    Nach sieben Jahren Aufenthalt in Baku siedelt sie nach Moskau über und promoviert in persischer Literatur, wofür sie auch Russisch lernen muss. Ihre Dissertation schreibt sie über das Leben und Werk des renommierten iranischen Dichters und Gelehrtern Mohammad Taqi Bahar. Trotz dieser Erfolge sind die Belastungen im Alltag und die Behinderungen durch die wiederholten Krankenhausaufenthalte wegen ihrer Lebererkrankung so groß, dass sie immer wieder von zeitweiligen tiefen Depressionen heimgesucht wird. Nur ein glücklicher Zufall verhindert 1960 einen Suizid.

    1960 wird sie an dem Moskauer Maxim Gorki-Institut für Weltliteratur angestellt. In den 1960er Jahren werden ihre Gedichte ins Russische übersetzt. 1965 erscheint im Moskauer Progress-Verlag ihre zweite Gedichtsammlung mit dem Titel „Der lebendige Fluss“ (zende roud). In demselben Jahr wird sie als ordentliches Mitglied in die Vereinigung der Schriftsteller der Sowjetunion aufgenommen.

    Nach dem Sturz der Monarchie 1979 kann sie erst im September 1980 endlich aus dem langjährigen Exil nach Teheran zurückfliegen. Nur kurze Zeit nach ihrer Rückkehr bricht allerdings am 22. September mit massiven irakischen Luftangriffen auf iranische Flughäfen der achtjährige Krieg zwischen Irak und Iran aus. In dieser bedrückenden Atmosphäre knüpft Jaleh Bekanntschaften und Freundschaften mit iranischen Künstlern, beteiligt sich an Literaturtagungen und Gedichtabenden. Sie wird Zeuge der ideologischen Kurzsichtigkeiten und zerstörerischen Streitigkeiten unter den iranischen Intellektuellen in Teheran und anderen Landesteilen.

    Im Februar 1982 verlässt Jaleh Teheran, um ihre Schwester wegen einer geplanten Augenoperation in England zu begleiten und ihren jüngeren Sohn in London zu besuchen. Wenige Monate später wird die Führung der Tudeh-Partei Irans in Teheran verhaftet. Die iranische Regierung setzt den Mitgliedern und Sympathisanten dieser Partei eine Frist und fordert sie auf, sich freiwillig zu stellen. Unter solchen Bedingungen ist eine Rückkehr aus London nicht sinnvoll. So beginnt ihr zweites Exil.

    In den folgenden Jahren setzt Jaleh ihre literarische Tätigkeit fort und beteiligt sich an Veranstaltungen und Lesungen in verschiedenen europäischen, zentralasiatischen und nordamerikanischen Städten. 1992 erscheint in Schweden ihr Gedichtband mit dem Titel „Khoroushe khamoushi“ („Aufbrausen der Stille“ bzw. „Schrei der Stille“). Ihre Autobiografie wird im Jahr 2000 in Deutschland veröffentlicht. Ende 2007 erliegt sie ihrem Krebsleiden in London. Im Dezember 2007 wird ihr zu Ehren in England ein Verein gegründet (5,6).

    ۞۞۞

     

    Biografie

    (1974)

    Das rote Lachen der Tulpen des Frühlings,

    die gelbe Träne der Bäume des Herbstes,

    der Kuss der Vereinigung und die Freude der Begegnung,

    die Trauer des Abschieds und das Unglück der Abwesenheit.

     

    Lebenslang suchen,

    warten,

    wünschen

    und in den Schöpfungen aufblühen:

    Das ist Eure und meine Biografie …

    ۞۞۞

    Jene Melodie

    (1972)

    Die Tulpe des Wunsches wird wieder aufblühen,

    des Herzens verschlossene rote Knospe wird aufgehen.

    Ich sage nicht, dass der vergangene Frühling zurückkehrt,

    dass die abgelaufene Zeit beginnt.

    Es gibt eine andere Zeit und einen anderen Frühling …

     

    Es ist eine Kunst,

    fröhlich zu sein.

    Freude spenden ist eine noch erhabenere Kunst.

    Jedoch werden wir es uns nie zubilligen,

    wie eine leblose Figur Tag und Nacht

    ohne Kenntnis der Lage aller anderen Menschen

    fröhlich zu sein.

    Sorglosigkeit ist ein großer Fehler,

    der uns fern sein sollte.

     

    Wie schön wäre es,

    wenn es einen Spiegel gäbe,

    der das Innere zeigen würde,

    damit wir uns in ihm betrachten könnten,

    all das sehen würden,

    was den Spiegeln verborgen bleibt.

    Wir würden uns jener erhabenen Kraft bewusst,

    die uns lehrt,

    zu leben,

    Beständigkeit zu erlangen,

    der Bote des Sieges und der Hoffnung zu werden …

     

    Es ist eine Kunst, fröhlich zu sein,

    wenn sich andere Herzen an deiner Freude ergötzen.

    Das Leben ist die einzigartige Bühne unserer künstlerischen Tätigkeit.

    Jeder trägt seine Melodie vor und verlässt die Bühne.

    Die Bühne ist stets vorhanden.

    Blühend ist jene Melodie,

    die die Menschen in ihrer Erinnerung bewahren …

    ۞۞۞

    Wer bin ich?

    (1977)

    Wer bin ich?

    Wer?

    Ein Komet,

    der der Nacht entrissen ist,

    der die Bekanntschaft mit der Morgenröte gemacht hat.

    Ein Auge, das das Licht erblickt hat,

    versöhnt sich nicht mit der Dunkelheit.

    Der helle Geist und das reine Wesen

    versöhnen sich nicht mit der Verderbnis.

    Wenn es in der Welt Ungerechtigkeit, Dunkelheit und Gewalt gibt,

    gibt es den Kampf,

    der zum Land der Gerechtigkeit und des Lichts führt.

    In der großen Inschrift des Lebens steht:

    Wenn du nicht siegst, wirst du verlieren.

    ۞۞۞

    Der Mensch und der Stein

    (1965)

    Die unendliche Einsamkeit ist das Schicksal des Steins.

    Es ist das Schicksal des Steins, blind und stumm zu sein,

    nie aus Trauer zu weinen,

    nie zu lachen,

    schmerzlos, hoffnungslos und wunschlos zu sein.

     

    Manchmal bekommt er als Fels

    Tag und Nacht Ohrfeigen von einem fernen Meer.

    Manchmal liegt er auf einem Grab und sagt ohne Stimme,

    wie der Mensch heißt, der nie wieder zurückkehren wird.

     

    Aber wenn er zur Statue ewig lebender Personen wird,

    streuen die Menschen Blumen auf sein Haupt.

    Glücklich ist der Stein, der zum Menschen wird.

    Schade, wenn ein unglücklicher Mensch versteinert.

    ۞۞۞

    Ich bin kein Kanarienvogel

    (1970)

    Ich bin kein Kanarienvogel, der auf der Wiese singt.

    Wieso verlangst du von mir ein zärtliches Liebesgedicht?

    Frühlingswasserfälle strömen aus meinen Augen,

    da ich ein Berg bin.

    Jedes Wort meines Gedichtes setzt das Papier in Flammen.

    Ich bin das wutentbrannte Lied einer Gruppe,

    einer aufständischen Gruppe, müde vom Warten,

    mit offenen Augen und verbundenen Händen.

    Ihr Schmerz hat eine andere Farbe und einen anderen Klang …

     

    Nicht einen Moment vernachlässige ich das Schicksal meiner Heimat,

    obwohl ich von ihr entfernt bin.

    Ich bin der Dichter der Epoche des Übergangs,

    der Poet einer Generation,

    die gegen Ungerechtigkeit und Niederträchtigkeit kämpft.

    Erachte mich als stumm,

    wenn meine Stimme kein Herz erreichen sollte.

    Mit tausend Augen betrachte ich die Welt,

    damit du nicht glaubst, ich bin blind.

    Ich bin der Dichter der schweren Zeit des Übergangs,

    der Zeuge einer Epoche,

    in der ein neues Zeitalter entsteht.

    ۞۞۞

    Die bessere Welt

     (1973)

    Wenn man mich fragt,

    was das Leben ist,

    werde ich sagen,

    stets auf der Suche sein,

    eine bessere Welt ersehnen …

     

    Heute bin ich aufmerksamer denn je,

    in der Wachheit bin ich voller Gedanken,

    im Schlaf bin ich wach.

    Ich würdige die Zeit,

    ich liebe die Erde.

    Im Anblick eines jeden hellen Morgens werde ich so sehnsüchtig,

    als wäre dies mein erster Tag,

    als wäre dies mein letzter Tag.

    In dieser verzaubernden Aufruhr

    bin ich unruhig wie die Frühlingsvögel.

    Mich bedrückt das Heim,

    mich bedrücken sorglose Gedanken

    und auch papageienhafte, sinnlose Gespräche.

    Mich bedrücken die Tagesnachrichten,

    wenn sie sich mit dem blühenden Markt des Einen

    und dem kalten Krieg des Anderen beschäftigen

    und nicht mit dem Geheimnis des Aufblühens menschlicher Kräfte.

    Ich möchte einen offenen Raum,

    der wie der Himmel grenzenlos ist …

    und eine Welt,

    die von dem Menschen weder Tod noch Opfer verlangt.

    ۞۞۞

     

    Die Hand der Liebe

    (1975)

    Wenn der Vogel nicht singt,

    das Wasser nicht tanzt,

    das Grüne nicht wächst,

    was wird die Erde machen?

     

    Wie eintönig und armselig wird das Dasein sein,

    wenn die Liebe nicht lacht,

    die Hoffnung nicht leuchtet,

    wenn die Freude fehlt

    und gelegentlich der Schmerz.

     

    Ich mache demjenigen Vorwürfe,

    der Trübsal bläst

    und wie der Winterschnee

    die Umgebung in die Kälte treibt

    überall, wo er sich hinsetzt.

     

    Wie glanzvoll ist es,

    die Hand der Liebe zu küssen.

    Aber wie schmachvoll ist es,

    wenn ein Mensch die Hand der Macht küsst.

    Die Sonne und die Erde sind ineinander verliebt.

    Wenn deine und meine Hände,

    die wie grüne Zweige sind,

    sich warm vereinigen,

    werden sie tausende roter Blumen hervorbringen

    und tausende gelber Früchte.

    ۞۞۞

    Die goldene Nachtigall

    (1968)

    Du, goldene Nachtigall,

    dich werde ich in meiner Dichtung,

    in den warmen Händen der Freunde,

    im Gesang des Lebens,

    in den Ländern des Frühlings,

    im Fleiß, der viele neue Triebe hervorbringt,

    in der unruhigen Nacht der Wartenden,

    beim Aufgang der ewigen Sonne,

    goldene Nachtigall,

    dich werde ich im Nest der Liebe finden,

    damit du meines Herzens Garten

    durch Licht und Gesang zum Blühen bringst.

    ۞۞۞

    Die Erde grünt deinetwegen

    (1974)

     

    Die Erde grünt deinetwegen

    und der Garten ist deinetwegen voller Farben geworden.

    Vom wirren Singen der Vögel ist die Wiese voller Aufruhr.

    Wieso sitzt du still?

    Was betrübt dich?

    Jetzt, wo ein neuer Frühling aufblüht,

    pflückt die liebkosende Brise der Morgendämmerung Blüten

    und wirft sie dem Wiedehopf zu Füßen.

    Benimm dich wie junge Wesen,

    wie die Bäume voller neuer Triebe.

    Lebe froh, wenn sich die Gelegenheit ergibt.

    Und schenke auch dem Nachbarn

    einen Ast dieser Blume,

    denn Schmerz und Trauer

    begleiten uns wie der Schatten …

     

    Der Frühling hat mir den Fleiß zum Erneuern beigebracht.

    Wieso soll ich diesen Moment sinnlos verlieren,

    denn das Jetzt ist ein Tropfen des Flusses meines Lebens,

    und das verflossene Wasser wird in den Fluss nicht zurückkehren.

     

    Wieso soll ich mit der Klinge der Traurigkeit den heutigen Tag enthaupten?

    Wieso soll ich diese Geschichte akzeptieren,

    dass das Leben erst am kommenden Tag ist?

    Denn die Ewigkeit fängt mit jedem Moment an …

    ۞۞۞

    Du fragst mich, woher ich stamme?

    (1962)

    Du fragst mich,

    woher ich stamme?

    Ich bin nicht sesshaft,

    und ziehe umher.

    Ich wurde erzogen durch Trauer und Schmerz.

    Betrachte die Weltkarte,

    mit einem Blick überquer die Ländergrenzen,

    zweifelsohne wirst du kein Land finden,

    in dem kein aus meiner Heimat Vertriebener lebt.

     

    Ich bin der unruhige Geist des Schlafwandlers,

    in Nächten mit Mondschein,

    im Schlaf,

    wandere ich auf den unendlichen Felsen der Sehnsüchte.

    Mit der Frage,

    woher ich stamme,

    hast du mich aus diesem goldenen Traum geweckt.

    Ich bin vom hohen Dach der Sehnsüchte heruntergefallen

    und liege der Mauer der Wirklichkeit zu Füßen.

     

    Du fragst mich,

    woher ich stamme?

    Ich komme aus dem Land des Reichtums und der Armut,

    von den grünen Hängen des Elburs-Gebirges (7),

    vom Ufer des prächtigen Zayanderud (8),

    und aus den alten Palästen von Persepolis.

     

    Du fragst mich,

    woher ich stamme?

    Ich komme aus dem Land der Dichtung, der Liebe und der Sonne,

    aus dem Land des Kampfes, der Hoffnung und der Qual,

    aus den Schützengräben der Opfer der Revolution.

     

    In durstigem Warten brennen meine Augen.

    Weißt du jetzt,

    woher ich stamme?

    ۞۞۞

    Hätte ich tausend Stifte

    Hätte ich tausend Stifte,

    tausend Federn,

    jede mit tausend Wundern,

    so würde ich jeden Tag tausend Mal

    ein Epos und ein Lied für die Freiheit schreiben.

     

    Wäre ich der Engel des Aufstands und des Zorns,

    so würde ich schon tausend Jahre zuvor

    die Stille und das traurige Warten der Sklaven durchbrechen;

    ich würde in das Viertel der Sklavenhändler ziehen,

    für die Versklavten Lieder singen,

    damit die schönen Sklavinnen und die mutigen Sklaven

    gegen die Sklaverei, Sklavenhalter und Sklavenhändler

    sich in tausenden Aufständen zur Freiheit erheben,

    dass niemand eines Anderen Knecht werde,

     die Knechtschaft aus der Erinnerung der Menschheit verschwinde,

    und niemand nicht einmal der Freiheit zum Knecht werde.

     

    Wenn ich tausend Zungen hätte – mächtige Zungen,

    fähig eine Botschaft ins Ziel zu tragen –

    so würde ich in allen Sprachen,

    die es weltweit gibt,

    den der Unterdrückung verfallenen Völkern sagen:

    Wenn ihr die Wurzeln der Knechtschaft mit dem Beil zerhackt,

    wird eure „Vergeltung“ die errungene Freiheit sein.

     

    Schreibt mit Flammen auf meinen Grabstein,

    dass diese nach Freiheit Dürstende auf der Suche starb,

    und wie verliebt sie zur Begegnung mit der Sonne eilte,

    auf dass die rötliche Morgendämmerung der Freiheit aufblühe.

     

    Wenn ich nach tausend Jahren auferstehe,

    werde ich meiner Epoche den Freiheitsgruß entbieten.

     

    Nach tausend Jahren werden andere Menschengenerationen,

    wenn sie auf Besuch

    von einem Stern zum anderen ziehen,

    aus den verbliebenen Wellen

    die Botschaft der Freiheit

    aus unserer stürmischen Epoche

    zu Gehör bekommen.

    ۞۞۞

    Wolke und Sonne

    (1978)

    Der Gang der Zeit

    nimmt jeden Moment eine neue Farbe an …

    Gestern war der Himmel bewölkt und weinerlich.

    Ich war traurig wegen der Tränen des Regens.

    Eine Weile später als ich aus dem Flugzeug sah,

    dass unter meinen Füßen die Wolke weinte

    und über meinem Kopf die Sonne lachte,

    fragte ich mich,

    weshalb ich kurzsichtig gewesen bin?

    Ich war betrübt.

    Wo habe ich eine ewig bleibende Wolke erblickt?

    Wenn wir den Kopf hoch halten,

    wenn wir den weiter entfernten Himmel betrachten,

    sind hinter der Dunkelheit der fliehenden Wolke

    die helle Sonne und das unendliche Universum.

    ۞۞۞

     

     

    Farbenfrohe Momente

    (1971)

    Ich brauche die Farben des Frühlings,

    die Farbe der Blumen,

    dieser reinen Geschenke des Paradieses,

    die Farbe der blauen Hyazinthe,

    die Farbe der gelben Narzisse,

    die rote Farbe der Anemone,

    die auf dem Feld gewachsen ist.

    die goldenen Tulpen,

    die violetten Jasminpflanzen,

    die Schattierungen der Wiesen mit ihren hundert Farben,

    die Farbe jener zärtlichen,

    an den Blumenblättern einen Saum tragenden Rose,

    die glänzenden, geliebten Farben des Frühlings.

    Ich brauche sogar jene Steinblume,

    die seit Jahrhunderten im Schoß des Gebirges blüht.

    Ich brauche den Farbkasten der Natur,

    die magische Farbe der Liebe,

    die Farbe des Fleißes und der Hoffnung,

    damit ich jedem Moment eine neue Farbe verleihe,

    die Nacht und den Tag nicht der Farblosigkeit überlasse,

    denn außer Schwarz und Weiß es gibt noch viele Farben.

    ۞۞۞

    Du kehrst zurück

    (1975)

    Eines Tages kehrst du zurück.

    Du kommst zurück

    mit dem morgendlichen Wind der Berge,

    mit den Wellen der Meere,

    mit dem Frühling.

    Und ich warte sehnsüchtig.

     

    Du bist ein Bote aus warmen Ländern und weißt,

    wie verzweifelt und traurig der Mensch durch die Kälte wird.

    Ich rede nicht von der Kälte des Wetters,

    ich meine die Kälte der Herzen.

    Du weißt, wie sehr ich,

    selbst voller Glut,

    verabscheue

    die Kälte der Reden,

    die im Ohr rauschen,

    den Frost der Herzen,

    deren Licht der Liebe erloschen ist.

     

    In meinem Herzen

    sagt ein stiller Schrei immer und immer wieder,

    dass du wie ein leuchtender Funke,

    wie ein Stern aus der Ferne,

    umarmt von mitternächtlichen Kometen

    zurückkommst.

    Ich bin voller Hoffnung,

    dein Gesicht zu erblicken.

    ۞۞۞

    Teheran und der Krieg

    (Winter 1981)

    Die schwarzen, furchtbaren Flügel des Kriegsdämons

    liegen bedrückend auf den Teheraner Nächten.

    Das einzige brennende Licht der Stadt

    ist der Mond,

    der bernsteinfarbene Mond,

    der auf dem unsichtbaren Dach Teherans leuchtet.

    Teheran ist dunkel,

    Teheran ist still,

    Teheran ist eine schwarz bekleidete Schönheit …

     

    Wenn die morgendliche Sonne das Elburs-Gebirge beleuchtet,

    all den goldenen Schnee,

    und das Herz sich nicht verrückt in Teheran verliebt,

    ist es kein Herz,

    sondern ein Stein.

     

    Doch welchen Platz haben jetzt Liebkosungen mit der Natur?

    Heute ist Krieg.

    Vom Schicksal der Heimat und der Menschen sich fern zu halten,

    ist eine Schande.

    Es ist eine Schande.

    Uns ist der Iran übrig geblieben,

    ein Meer des Zorns, des Blutes und des Sturmes.

    Es ist schmachvoll,

    ein Stein am ruhigen Ufer zu sein

    angesichts all der selbstlosen Handlungen der Aufständischen,

    die ihr Leben riskieren.

    Es ist eine Schande,

    nur sich selbst und die eigenen Interessen im Blick zu haben.

     

    Wer kann nachts zuhause beruhigt schlafen,

    wenn tausende Landsleute obdachlos sind,

    vertrieben durch den Krieg,

    den erbarmungslosen Krieg.

     

    Du,

    Geschichte schreibendes Teheran,

    stolzes Teheran,

    es sei,

    dass ich deine Nächte voller Licht sehe,

    dass ich erblicke,

    wie der ganze Iran des Sieges wegen

    mit Lichterketten beschmückt ist.

    ۞۞۞

    Mütter wollen den Frieden

    (1950)

    (für meinen Sohn Bijan)

    Du, verführerisches, schönes Kind,

    du, Frucht meines Lebens,

    dein Gesicht ist wie ein heller Spiegel

    meiner Kindheit und meiner Jugend.

    Ich betrachte in deinem Gesicht

    mein geliebtes vergangenes Leben

    und erblicke aus den Fenstern deiner Augen

    eine glückliche Zukunft.

    Deine Augen sind zwei große Sterne,

    leuchtend wie der Stern deines Glücks.

    Der Duft deines wohlriechenden Atems

    beruhigt das Herz und erleichtert das Leben.

    Wenn deine beiden kleinen Hände

    sich wie eine Schlinge um meinen Hals werfen,

    ist es so, als würde ich die Welt umarmen,

    deine Liebe bringt meinen Körper zum Beben.

    Die Mutter ist ein seltsames, selbstloses Wesen,

    sie opfert sich für ihr Kind.

    Die Mutter opfert das Herz und die Seele des Lebens

    liebevoll für ihr Kind.

    Du, geliebtes, schönes Kind,

    du, die neue Blume meines Lebens,

    auch wenn ich sterben muss,

    werde ich dich nicht einen Moment

    dem Feind überlassen.

    Wenn sich eine Mücke auf dein Gesicht setzt,

    springe ich von der Stelle und bin entrüstet,

    wie soll ich es dann aushalten,

    dass du inmitten Feuers und Blutes fällst.

    Wenn man mein Auge ausreißt,

    wenn man mein Herz zerreißt,

    werde ich es nicht zulassen,

    dass die Flamme des Krieges

    deine Wiege verbrennt.

    So wie ich,

    verabscheuen und hassen alle Mütter der Welt

    den Krieg.

    Der Fluch der Mütter der Welt gilt jedem,

    der das Feuer des Krieges entfacht.

    ۞۞۞

     

    Quellenangaben und Bemerkungen

    (1) Der Buchstabe „j“ wird im Wort „Jaleh“ (ژاله) wie in „Journal“ ausgesprochen.

    „Jaleh“ bedeutet Tau und steht symbolisch für Reinheit und Schönheit. Der Name der Stadt Isfahan wird auf Persisch Esfahan (اصفهان) ausgesprochen. Der Buchstabe „i“ am Ende des Wortes „Esfahani“ weist darauf hin, dass etwas oder jemand aus Isfahan stammt bzw. Isfahan zugehörig ist.

    (2) Jaleh Esfahani: Schatten der Jahre (Sayehaye salha) . Nima Verlag, Essen, 2000.

    (3) Jaleh: Abbildung der Welt (Naqshe jahan). Progress Verlag, Moskau, 1981.

    „Naqshe jahan“ (نقشِ جهان) bedeutet Abbildung oder Darstellung der Welt. Ein berühmter, historischer Platz in Isfahan trägt diesen Namen.

    (4) Nach ihrer Heirat und der unerwarteten Ausreise in die Sowjetunion trägt sie den Nachnamen ihres Ehemannes und heißt dann Jaleh Badi’zade(ژاله بدیع زاده). Ihre Bücher erscheinen in den Sowjetrepubliken unter dem Namen Jaleh Badi‘. In Afghanistan wird sie als Jaleh Zendehroudi bekannt, da eine ihrer in Moskau erschienenen Gedichtsammlungen den Titel „Zendeh roud“(Der lebendige Fluss) trägt.

    (5)http://www.jalehesfahani.com/E/foundation.php

    (6)Bilder von Jaleh Esfahani sind im Internet zugänglich unter:

    http://www.iran-emrooz.net/index.php?/farhang/more/14834/

    (7) Hochgebirge im nördlichen Iran

    (8) Dieser Fluss fließt durch Isfahan.

     

  • Meditation im Herbst

    (1.12.2016)

     

     

    Gehen Träume unterwegs verloren

    mein Herzensfreund

    erinnere mich an den Moment

    als der Wind den Baum umwehte

    das Blatt sich tanzend entfernte

    und dabei liebevoll lächelte

     

    Bleibe bei mir

    mit Anmut und Mut

    leidenschaftlich, barmherzig, geduldig

    wenn ich schlafe

    wenn ich gehe

     

    Gehen Träume unterwegs verloren

    mein Herzensfreund

    erinnere mich daran

    dass das herbstliche Blatt

    durch die Baumadern emporstieg

    zu neuen Knospen und Trieben

    ֎֎֎

  • Frau Silke Albrecht hat zwischen 2009 und 2015 ihre Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades im Fach Humanmedizin an der Universität Halle-Wittenberg im Institut für Ethik und Geschichte der Medizin (Prof. Dr. Florian Steger) geschrieben. Die Promotion fand im Juni 2016 statt.

    Frau Dr. Albrecht hat uns freundlicherweise erlaubt, ihre Arbeit hier zu veröffentlichen. Wir sind ihr für ihre tief schürfende Recherche sehr dankbar, die zu dieser hervorragenden  Dokumentation geführt hat.

    Wenn Sie einen Einblick in die Arbeit haben wollen, schreiben Sie diesen Link der Universität Halle

    http://digital.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:4-18081

    in die Zielzeile im Internet. Auf der Seite, die Sie dann finden, sehen Sie rechts ein Feld, in dem Sie die Arbeite herunterladen können.

     

     

     

     

     

  •  

    Herbert Metzger, geboren 22.01.1924, gestorben 11.11.2016,

    metzger-portrait0002metzger-portrait0002

    Liebe Frau Metzger,
    liebe Familie von Herbert Metzger,
    liebe Trauergemeinde,

    mein Name ist Dietrich Weller. Ich bin als langjähriger literarischer Freund von Herbert Metzger hier und trauere mit Ihnen. Deshalb ist es mir nicht nur ein sehr persönliches Bedürfnis, zu Ihnen zu sprechen, sondern ich möchte als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Schriftstellerärzte BDSÄ und Herausgeber des Almanachs deutschsprachiger Schriftstellerärzte sein literarisches Werk würdigen. Dabei will ich freimütig gestehen, dass ich gar nicht alles kenne, was er geschrieben hat. Er war in allen Lebensphasen so stetig im Schreiben, so vielseitig in seiner ganz eigenen Gedankenwelt, dass auch ein fleißiger Leser kaum mit ihm Schritt halten konnte.

    Leider weiß ich nicht genau, seit wann er Mitglied im Bundesverband Deutscher Schriftstellerärzte war, weil es darüber keine Akten mehr gibt. Der älteste Vermerk seines Namens steht auf einer Anwesenheitsliste der Mitgliederversammlung von 1984.

    Wir lernten uns Ende der 1990-er-Jahre persönlich kennen, als Sie, liebe Frau Metzger mit Ihrem Mann zu einer Lesung nach Leonberg kamen, zu der meine Frau und ich baden-württembergische Mitglieder des BDSÄ eingeladen hatten.

    In den folgenden Jahren standen wir in regelmäßigem schriftlichem und telefonischem Kontakt. Leider war es ihm aus gesundheitlichen Gründen nie mehr möglich, an den Jahreskongressen des BDSÄ teilzunehmen.

    Herbert Metzger machte mich schon bei unserem ersten Treffen auf den Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte aufmerksam, den ich damals noch nicht kannte. Das ist eine Sammlung von literarischen Texten in Gedicht- oder Prosaform, die von Ärztinnen und Ärzten verfasst werden und thematisch das gesamte Spektrum des menschlichen Alltags umfasst. Durchschnittlich sind jedes Jahr 55 Autoren auf 550 Seiten vertreten.

    Nachdem ich 2011 Herausgeber dieses Almanachs wurde und mich mein Herausgeber-Vorgänger bei den Übergabegesprächen ausdrücklich auf diesen besonderen Menschen und Schriftsteller aufmerksam gemacht hatte, traf ich Herbert Metzger in diesem Buch wieder. Seine frühesten Beiträge für den Almanachstehen im Almanach 1989. Herbert Metzger sandte seither jedes Jahr treu seine wertvollen, weil stilistisch und inhaltlich herausragenden Texte ein. Immer wieder überraschte er mich mit Notizen, mit Gedichten und Zeitungsausschnitten von seinen Lesungen, die er bis ins hohe Alter abhielt.

    Seine gestochen scharf und klein ziselierten Randbemerkungen voll Korrekturbereitschaft und Selbstzweifel sind mir gut im Gedächtnis. Ich erlebte einen Mann, dessen Bescheidenheit und Demut mich immer wieder beeindruckt haben. Sandra Pfäfflin von der Pforzheimer Zeitung beschreibt ihn in ihrem Nachruf sehr treffend als sanften, feinen Mann.

    Früh in unserer Bekanntschaft schenkte Herbert Metzger mir seinen autobiografischen Roman Unterwegs im Schicksalsraum Erde, der 2000 erschienen war und dessen Einband ein Bild ziert, das seine Tochter Iris Caren gemalt hatte. Ein Buch, das seine Lebensjahre 1942 bis 1945 umfasst. Ein Zeugnis, wie ein tief anthroposophisch denkender und fühlender Mensch mit den Kriegswirren hadert und sich mithilfe übergeordneter spiritueller Gedanken zu-recht-zu-finden sucht. Ich meine es wörtlich: Er wollte zum Recht finden und seinen Weg im Rahmen seiner Weltsicht erkennen und bewusst und rechtschaffen gehen.

    Dieses Buch ist nicht nur zeitgeschichtlich interessant für Nachkriegskinder wie mich. Es wirft uns auf Grundfragen der Existenz zurück und öffnet geistige Welten von unendlicher Dimension.

    Im Laufe seines langen Lebens veröffentlichte Herbert Metzger viele Bücher, darunter auch kleinere Schriften mit feingeistiger Lyrik und Prosa. Zeitklänge und Von Mensch zu Mensch führen den Leser von der irdischen Haftung in die spirituelle und ewige Dimension. Poetische Tagebücher und Vom Menschen und seinen Engeln sind nur zwei Beispiele seiner tief vom anthroposophischen Geist durchdrungenen Welt- und Weitsicht.

    Mir fällt ein Satz von Khalil Gibran ein, der hier und heute passt: Möglicherweise ist ein Begräbnis unter Menschen ein Hochzeitsfest unter Engeln.

    Herbert Metzgers geistige und schriftstellerische Aktivität entwickelte bei der ständigen Beschäftigung mit dem großen Spannungsfeld seine ganz ausgeprägte, für ihn charakteristische Sprache mit ungewöhnlichen Wortschöpfungen und Gedanken, die zum genauen Nach-Denken, zum einfühlsamen Nach-Spüren, zur bewussten Wort-für-Wort-Lektüre zwingen.

    Seine tiefe anthroposophische Überzeugung und sein feinsinniges Gespür für kleinste Unterschiede bei Bedeutung und Wort sprechen aus jedem Text, sind Antrieb und Quelle seines Denkens und Fühlens, beflügeln seine konzentrierten Wortschöpfungen, seinen Drang, alles noch genauer und ausdrucksstärker zu formulieren. In den Gedichten empfinde ich es deutlicher als in den Prosatexten, weil er sich dort noch mehr zwang, dichter, ver-dichtet zu formulieren. Und wie schwierig ist es, konkrete Gedanken über Spirituelles in ein-deutige Worte zu prägen, die also nur eine einzige Deutung zulassen!

    Ich ließ mich einmal zu dem Satz hinreißen: „Herr Metzger, ich spreche Ihre deutsche Sprache nicht, ich kenne Ihr Vokabular nicht.“Das hat ihn so erschreckt, dass er auf mich sehr verunsichert wirkte. Jetzt muss ich gestehen, dass ich wahrscheinlich nur nicht genau genug hineingehört und –gespürt habe, was seine Worte sagen.
    Weil mir seine spirituelle Welt teilweise fremd war, bat ich ihn, für den Almanach (ehrlicherweise will ich sagen: auch für mich!) eine Zusammenfassung der anthroposophischen Lehre zu schreiben.

    „Trauen Sie mir das wirklich zu?“, fragte er überrascht. Das war keine Lob erheischende narzisstische Wendung, sondern Ausdruck eines Suchenden, der sich selbst und seine Sicht der Dinge immer neu infrage stellte.

    Der Text, den er mir nach einigen Wochen gab, war so lang und so intensiv durchgearbeitet, dass wir ihn auf zwei Jahrgänge aufteilten und im Almanach 2014 und 2015 veröffentlichten. Es ist eine reife Darstellung der anthroposophischen Philosophie, die ich glaube, mit seiner Hilfe jetzt besser zu verstehen.

    Herbert Metzger schickte seine letzten Beiträge zum Almanach 2016. Da konnte er die Korrekturblätter nicht mehr selbst bearbeiten. Seine Tochter übernahm die Mittlerrolle. Sie ist es auch, die auf Facebook eine Seite für den Vater eingerichtet hat und jetzt sein literarisches Werk aufbereiten will.

    Ich habe die folgenden Gedichte ganz bewusst als letzte in seinem Kapitel gesetzt, weil ich ahnte, dass dies sein finaler Beitrag ist.

    Zu erkennen: 

    Ein wahrer Segen ist es, wenn ein
    alt gewordener, am Leibe gebrechlicher
    Mensch seinen sterblichen Körper
    wieder verlassen kann.

    Diese Befreiung öffnet ihm die neue
    Erlebnis-Wege-Begehung ins
    andere Sein, das als ein
    seelisch-geistiges, unsterbliches
    Dasein bezeichnet wird.

    Dort begegnet ihm die Wahrheit,
    so wird berichtet – und der
    Sinn seines Lebensdurchgangs
    wird ihm bewusst gemacht nach
    dem Erkenntniszustand seines
    eigenen Selbstbewusstseinserwachens:
    Erhellung in der Prüfung wird ihm zuteil
    Und Begnadung führt ihn ins Weiternde.

    Sei es so, Mitmensch.

     

    Später 

    Aus der Gefangenschaft der Materie
    gibt es kein Entrinnen – es sei denn
    ER entlässt dich ins
    Freisein-Werdenwollende.

    Die Konsequenzen daraus
    Werden zu deinem Errungenen.

     

    Wir sehen: Herbert Metzger war sehr gut vorbereitet auf seinen Weg in die nächste Dimension, denn er hatte lange vor seinem körperlichen Ende in Frieden mit diesem Teil der Welt abgeschlossen und war bereit zur Weiterreise, die ihm jetzt im biblischen Alter gnadenvoll und schmerzfrei gewährt wurde.

    Mit seinem allerletzten im Almanach veröffentlichten Gedicht verabschieden wir uns in großer Dankbarkeit und Hochachtung von Herbert Metzger, der in weiser Vorahnung schon hinüber spricht in die neue Existenzform:

     

    Himmel, wie bin ich dir nahe gekommen,
    das Körpergefäß will Abschied nehmen.
    Ich danke seinem Dienst an mir.
    Eine Weiterung wird alles Zusammengehörige
    in einem andern Licht erscheinen lassen.

    Wohl dem Geistgefügten,
    das darinnen erwacht.

  •  

    Trivial oder geistvoll?

    Joseph Viktor von Scheffel (1826-1886)

    Wie kommt eine Orthopädin, die auf ihre alten Tage das Steckenpferd der  Klassischen Archäologie reitet, dazu, einen verstaubten Poeten des 19. Jahrhunderts aus der Versenkung zu holen? Nun, meine mütterliche Linie hat badische Wurzeln, und zu den Bibliotheksbeständen dieser Familie gehörte allemal eine Scheffel-Ausgabe. „Der Trompeter von Säckingen“ und „Ekkehard“ waren Standard, und die Lieder aus dem „Gaudeamus“ wurden zur Erheiterung gesungen, wenn ungeistige Arbeiten wie Geschirrspülen auf der Tagesordnung standen. Mein Vater, Naturwissenschaftler, hatte seine Freude an Gedichten wie dem Megatherium oder dem letzten Ichthyosaurus, vom Granit oder vom Asphalt, aus dem hier eine Kostprobe folgt:

    Bestreuet die Häupter mit Asche,
    Verhaltet die Nasen euch bang,
    Heut gibt’s bei trübfließender Flasche
    Einen bituminösen Gesang. 

    Schwül strahlet die Sonne der Wüste,
    Am Toten Meere macht’s warm;
    Ein Derwisch spaziert an der Küste,
    Eine Maid aus Engeddi am Arm. […] 

    Zwei schwarzbraune Klumpen lagen
    Am Ufer faulbrenzlig und schwer;
    Drauf satzte mit stillem Behagen
    Das Paar sich und liebte sich sehr. 

    Doch wehe! sie saßen auf Naphtha,
    Und das lässt keinen mehr weg,
    Wer harmlos sich dreinsetzt, der haft’t da
    Und steckt im gediegensten Pech. […]

    Umsonst hat ihr Klagen und Weinen
    Die schweigende Wüste durchhallt,
    Sie mussten zu Mumien versteinen
    Und wurden, ach, selbst zu Asphalt. […] 

    So geht’s, wenn ein Derwisch will minnen
    Und hat das Terrain nicht erkannt…
    O Jüngling, fleuch eiligst von hinnen,
    Wo Erdpech entquillet dem Land. (Panzer 1, 25 f.)

    Während meines Studiums in Freiburg erstand ich antiquarisch eine vierbändige Ausgabe der Scheffel’schen Werke[1]. Seither sind die Reisebilder und Episteln daraus mein Brevier[2]. Eine Fahrt auf Scheffels Spuren im Sommer 2016 mit Kollegen von der Ärztekammer Nordbaden und der Karlsruher Sektion deutschsprachiger Schriftsteller-Ärzte tat ein Übriges.

    Der folgende höchst subjektive Beitrag setzt die Schwerpunkte ganz nach meinem persönlichen Ermessen.

     

    Inhalt

    1. Gefeiert und geschmäht[3]
    2. Leben und Werk des Joseph Viktor Scheffel
    3. Nur ein Sauf-Poet?
    4. Scheffels Krankheiten
    5. Scheffel und die Theorie von der transalpinen Einwanderung der Etrusker
    6. Trivial oder geistvoll?
    7. „Bestreuet die Häupter mit Asche…“

     

    1. Gefeiert und geschmäht

    Im Gegensatz zu dem großen Erfolg und der Verehrung, die  Scheffel im 19. Jahrhundert und noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zuteilwurden, ist er heute wenigstens nördlich der Mainlinie vollkommen unbekannt. Nur – was heißt das schon? Kaum 20 Jahre sind vergangen seit Friedrich Schiller im gymnasialen Deutschunterricht nicht einmal erwähnt wurde, und das nachdem seine Dichtungen in der Gunst des Publikums zeitweise höher standen als diejenigen Goethes. Doch vergleichen wir nichts Unvergleichliches!

    Scheffel ist frühzeitig diffamiert worden. Schon 1884 schrieb Gustav Mahler: „Ich habe eine Musik zum Trompeter von Säkkingen komponieren müssen…“. Es „hat … nicht viel mit Scheffelscher Affektiertheit gemein.“ Die Partitur ist heute verschollen. Mahlers anfängliche Freude an seiner Komposition war offenbar „bald einer Verdrossenheit darüber gewichen“[4]. Das war noch zu Scheffels Lebzeiten, als sich Gaudeamus, Trompeter und Ekkehard gerade gut zu verkaufen begannen[5]. Während des 20. Jahrhunderts aber gossen Kritiker und Rezensenten eine solche Flut von Diskreditierung und „Verdrängung“ über den Verfasser aus[6], dass nur einiges Wenige davon genannt werden kann: „Viktor von Scheffel, eine fränkische Fehlanzeige“[7], Trivialliteratur[8], Simmel des 19. Jahrhunderts, billiger „Kitschier“[9], dessen „literarischer Rang unbestritten zweifelhaft ist“[10]. Sein Humor täusche eine dichterische Kraft vor, die er nur in geringem Maße besaß und „früh verlor“. Er sei ein Repräsentant für …“den Verfall der geselligen Lyrik zum billigen Bierkneipenton“[11].

    Wer sich nun trotzdem nicht an der Beschäftigung mit Scheffels Werk hindern lässt, folgt am besten Mahals Empfehlung[12] und nimmt sich die Briefe und Reisebilder vor[13]. Scheffel besaß selbst „ein gerüttelt Maß an Selbstironie“ und war dadurch vor dichterischer Überheblichkeit gefeit[14]. Also können wir nichts Besseres tun, als ihn möglichst oft selbst sprechen zu lassen:

    „Wenn du mir den Gefallen tust, die von mir handschriftlich vorhandenen Dichtungen … zu verbrennen, so bleibt mir auch kein Wunsch mehr übrig…Da ich vieles geschaffen, was schöner ist, so geht der Stoff nicht aus, wenn auch das alte Zeug in Lethe versenkt wird“[15].

    Ein Tag am Quell von Vaucluse: „Ich … verfertigte ein wohlgedrechseltes Sonett … verschloss es in eine … Flasche … und warf Flasche und Sonett in die Tiefe der Flut…Da ich aber bei dieser Gelegenheit, den Widerhall der Felswände zu prüfen, mit starker Stimme: Petrark! Petrark! rief, klang leise gehaucht ein  … Arg! Arg! zurück, sodass ich von jeder weiteren Behelligung des Echo sofort abstand“[16].

    Zu einigen Gedichten allerdings fällt auch mir auch nichts anderes ein als „arg“. Es folgen Auszüge von den Ärgsten:

    Pumpus von Perusia.
    Ein mildes Kopfweh, erst der jüngsten Nacht entstammt,
    Durchsäuselte die Luft mit mattem Flügelschlag…
    O Fufluns, Fufluns! unheilvoller Bacchus du!
    s’ist alles fort und hin und hin und fort…hahumm!…
    Ich – Pumpus von Perusia, der Etruskerfürst!…
    Doch jenen Tages ward im Wald bei Suessulae
    Zum erstenmal, seit dass die Welt erschaffen stand,
    Ein Held von einem andern Helden – angepumpt!
    Das ist der Sang vom Pumpus von Perusia.

    (Panzer 1, 32-34)

    Nicht nur arg, sondern dreimal autsch! Dieses Elaborat ist noch dazu endlos lang.

    Oder: 

    Rodensteins Auszug.

    Es regt sich was im Odenwald – Rum plum plum… (Panzer 1, 290)

    Die Zechlieder zeigen wie Scheffel „auf dem schmalen Grat zwischen philologischer Genauigkeit und hausbackener Verfremdung mit seinen Gegenständen umzugehen wusste“, konstatiert Rüdiger Krohn[17], und fährt dann fort: Das ist seine Tragik: „Dass er sich […] im Widerspruch von Kunst und Unterhaltung selbst abhanden kam“.

     

    2. Leben und Werk des Joseph Viktor Scheffel[18]

    Er ist 1826 in Karlsruhe geboren und 60 Jahre später auch dort gestorben. Sein Vater, Philipp Jakob, war als Ingenieur und Offizier in der Wasser- und Straßenbaudirektion tätig und mit der Korrektur und Überwachung des Rheinlaufs zwischen Basel und Mannheim betraut. Seinem pflichttreuen, ein wenig starren und pedantischen Charakter kam eine regelmäßige bürgerliche Laufbahn entgegen. Kein Wunder, dass er der unsicheren Lebensbahn seines Sohnes zweifelnd gegenüberstand. Was Joseph Viktor zum Dichter machte, verdankte er der Mutter, die heiteren Sinnes und eine gute Erzählerin war. Ihre Märchen erfand sie selbst, schmiedete Verse mit großer Leichtigkeit und schrieb Dramen, darunter eines in ihrer badischen Mundart. Die Großmutter mütterlicherseits stammte aus Rielasingen am Hohentwiel und machte den Enkel schon früh mit dem Ekkehard und dessen Schauplatz vertraut[19].

    Im Karlsruher Gymnasium erhält Scheffel eine gründliche Ausbildung in den klassischen Sprachen, studiert dann aber Jura auf Wunsch seines Vaters, der für den Sohn eine solide Beamtenlaufbahn anstrebt. Gleich in den ersten Semestern in München geht Joseph neben der Rechtsgelehrsamkeit seinen künstlerischen Neigungen nach. Er hört Ästhetik, Kunstgeschichte und Philosophie und lernt Kaulbach und Moritz von Schwind kennen. In Heidelberg liegt der Schwerpunkt dann, von der Jurisprudenz abgesehen, auf der Literatur. Als Mitglied studentischer Vereinigungen wirkt er an der relativ fortschrittlichen Verfassung einer Burschenschaft mit. Zahlreiche Männerfreundschaften glücken ihm besser als seine Versuche auf dem Felde der Frauenliebe, wo er ein Missgeschick nach dem anderen erleidet. Unsterblich und schicksalhaft verliebt er sich in seine Base Emma. Obwohl Vetter und Cousine jeweils Ehen mit anderen Partnern eingehen, stehen sie zeitlebens in enger Verbindung und treffen sich immer wieder, was vor allem Scheffels Ehe nicht gut bekommt. Schon vor der Geburt des gemeinsamen Kindes trennt sich die Gattin Caroline von Malsen von ihm, und eine Versöhnung kommt erst wieder an Scheffels Sterbebett zustande. Der Sohn, ebenfalls Viktor, wird seinem Vater von der Mutter vorenthalten, bis jener den Jungen eines Tages aus München entführt. Nach einem recht glücklichen Zusammenleben der beiden Männer schlägt der Junior die militärische Laufbahn ein.

    Zurück zum Studium. Man schreibt das Jahr 1848. Scheffel ist nicht unpolitisch. Er beteiligt sich als zweiter Sekretär des badischen Bundestagsgesandten an den Verhandlungen des Vorparlaments in Frankfurt und nimmt am Burschenschafter-Fest auf der Wartburg teil. Gleichwohl besteht er ohne größere Mühe das Staatsexamen. Die Enttäuschung über die geringen Erfolge der bürgerlichen Revolution haben ihm die politische Tätigkeit verleidet. Er schreibt: „Ich wollt‘, ich könnt‘ eher heut als morgen…auf italischem Boden einen Schluck Lethe trinken, in dem alle Erinnerungen seit 1848 ausgetilgt würden“[20]. Er tritt in eine juristische Praxis in Heidelberg ein. Anfang 1849 wird er summa cum laude zum Dr. jur. promoviert. Die beiden Jahre, die er anschließend in Säckingen als Rechtspraktikant verbringt, sowie ein paar Monate am Hofgericht in Bruchsal sind beinahe das letzte Zugeständnis an eine Beamtenlaufbahn, die er alsbald aufgibt. Seine Bewerbung um die vom eidgenössischen Polytechnikum in Zürich ausgeschriebene Professorenstelle für deutsche Literatur bleibt begreiflicherweise neben der des qualifizierten Literaturwissenschaftlers und Philosophen Friedrich Theodor Vischer erfolglos[21]. Besorgt erkennt Scheffels Mutter seine „inneren kranken Seelenzustände …nach dergleichen Enttäuschungen, Überfülle von Wissensdrang und Phantasie – neben einer unbeschreiblichen Unkenntnis des wirklichen Lebens“[22]. Im Alter von 26 Jahren, 1852, lässt Scheffel das bürgerliche Dasein endgültig hinter sich.               

    Mein Hutschmuck die Rose,
    Mein Lager im Moose,
    Der Himmel mein Zelt:
    Mag lauern und trauern,
    Wer will, hinter Mauern,
    Ich fahr‘ in die Welt!
    (Panzer 1, 81, Strophe 3)

    Wieder einmal erlebt ein deutscher Bildungsreisender in Italien, dass er eher zum Dichter als zum Maler berufen ist. Die Mutter, die ihn besser kennt als er sich selbst, schreibt: „In Rom will er malen! – Was sagen Sie dazu?! Ich meine, sein ihm von der Natur gegebener Pinsel sei die Feder. Was er mit der Feder malte, war immer das Beste und – ich denke, in Rom wird ihm das schon klar werden.“[23]

    Seine Vers-Dichtung „Der Trompeter von Säckingen“ und der Roman „Ekkehard“[24] liegen bereits 1854 und 1855 vor, beruhigen den Vater jedoch keineswegs über die Zukunft des Sohnes. Die Mutter dagegen akzeptiert, dass er als Künstler zu leben versucht, „Kunst und Poesie spuken zu gewaltig in ihm. In Gottes Namen! – er ist jetzt Mann und wird wissen, was er zu tun hat…“[25]. Die Reisebilder und Episteln sind voll scharfsinniger Beobachtungen und schnurriger Kommentare, sprühen von geistvollen Vergleichen und ironischen Anmerkungen. Er schildert das Ambiente des Säckinger Gasthauses „Zum goldenen Knopf „, alemannisch der „Chnopf“[26], sowie das Wirtshaus „Zum dürren Ast“ im Hauensteiner Schwarzwald[27]. Dessen Name gefällt ihm so, dass er sich, wenn er bei Laune ist, danach benennt: „Josephus vom dürren Aste“[28].

    Doch Scheffel ist durchaus nicht immer bei Laune. Im Gegensatz zu den heiteren Säckinger Episteln schlagen in den sachlichen Briefen oft Missmut und Resignation durch: „Im einförmigen Geschäftsleben vergeht ein Tag wie der andere, u. die Pointe des Tags besteht darin, dass man Abends viel Bier trinkt!“[29]

    Manches misslingt; er ist unstet, zögerlich, inkonsequent und neigt zur Melancholie. Von einem hartnäckigen Augenübel[30] ist die Rede, und er leidet an fieberhaften Zusammenbrüchen. Einen furchtbaren Schlag bedeutet der Tod seiner Schwester Marie, die 1857 an Typhus stirbt.

    Bürgerliche Stellungen werden gar nicht erst angetreten[31]. Obwohl ihn Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach fördert und ihn sogar auf der Wartburg wohnen lassen will, kommt der geplante Wartburg-Roman nicht zustande. Der Großherzog hatte sich zu der erfolgreichen malerischen Ausgestaltung der Burg durch Moritz von Schwind von Scheffel ein literarisches Gegenstück gewünscht. Doch fehlen ihm „…für sein Vorhaben sowohl die aesthetische Kreativität als auch die wissenschaftliche Kompetenz und Methode, um seine vielen Ideen und Einfälle planvoll zu ordnen, kritisch auszuwerten“[32]. Seine hellsichtige Mutter schreibt: „Was Joseph vor Weimar so scheu macht, ist der Gedanke an die großen Geister – Goethe, Schiller, Herder – in solche Fußstapfen treten zu sollen, erscheint seiner Bescheidenheit ein vermessenes Wagstück. Er fürchtet, ein zu schwaches Reis am alten großen Dichterbaum zu werden.“[33]

    Das Amt des Hofbibliothekars in Donaueschingen, zu dem Scheffel vom Fürsten von Fürstenberg berufen wird, gibt er nach einem Jahr bereits wieder auf. Zum 50. Geburtstag, 1876, wird Scheffel der erbliche Adelstitel verliehen. Die Gabelbach-Gemeinde[34] zu Füßen des Kickelhahns, an deren Versammlungen er mehrfach teilnimmt, ernennt ihn zum Ehrenbürger und Gemeindepoeten. Leider erlebt er die Einweihung des Scheffeldenkmals und anderer nach ihm benannter Plätze nicht mehr. Ohnehin stehen die zum Teil posthum verliehenen Ehren gerade am Kickelhahn im Schatten eines weit Größeren, dessen weltberühmtes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“ dort entstand.

     

    3. Nur ein Sauf-Poet?[35]

    Die bevorstehende Herausgabe der Liedersammlung „Gaudeamus“, zu der Scheffel sich nur unter erheblichen Bedenken entschließt[36], lässt ihn mit Recht befürchten, als „Sauf-Poet“ apostrophiert zu werden, eine Bezeichnung, die sich alsbald zum „geflügelten Wort“ aufschwingt[37]. Blättert man den „Gaudeamus“ auf entsprechende Hinweise durch, so stellt man je nach Veranlagung mit Hochachtung oder Indignation fest, dass in 32 von 52 Liedern von Durst, Trinken, Trunkenheit, Wein, Bier oder Wirtshaus, die Rede ist[38]. Das plastische Wort „Trinkung“ stammt ebenfalls aus Scheffels Schöpferwerkstatt:

    „Von eygentlicher Trinkung ist in Florenz nichts vorgefallen…bin somit darauf eingeschränket gewesen, mit dem Küster der alten, merkwürdigen Kirch‘ San Miniato eynes Abends etzliche Korbflaschen auszustechen, so schier bis gen Mitternacht gewähret.“ (Römische Epistel Caput I, Panzer 4 , 310 f.)

    oder:

    „Und war dies die schärfste Trinkung, so ich seit meiner Abfahrt aus Deutschland erlebet – hab‘ mich aber tapfer durchgefochten…“ (Caput VI, Panzer 4, 331).

    oder:

    „und begann von neuem an meinen guten Stern zu glauben, der mich ohne Vorbedacht …schon so manchem Frühstück und anderweiter Trinkung entgegengeführt…“ (Brief aus Venedig, Panzer 4, 367)

    oder:

    „wie die erst‘ Ausruhung und Atzung vorüber war, entspann sich eyne gelinde, aber ausdauernde Trinkung, und brachte die preiswürdige Regina eyne schwere Pfann‘ vino caldo, dessen Zubereitung… der alte Meister Willers von Oldenburg[39] kunstreich gelehret“ (Römische Epistel 6, Panzer 4, 343).

    Ein Lied, das früher in jedem Kommersbuch stand, ist in den „Trompeter von Säckingen“ integriert (Panzer 2, 212 f.):

    Alt Heidelberg, du feine…

    Auch hier heißt es:

    Stadt fröhlicher Gesellen,
    An Weisheit schwer und Wein,..

     

    Nicht von Scheffel dagegen stammt, wie gelegentlich behauptet wird, das Kommerslied „Gaudeamus igitur“. Er hat es natürlich gekannt und seine berühmteste Liedersammlung danach betitelt: „Gaudeamus“.

    In den Reisebildern „Aus dem Hauensteiner Schwarzwald“ geht es ebenfalls alkoholisch zu:

    „So war im Wirtshaus zum dürren Ast der Wein so wehmütig zusammenschnürend, dass einem minder starken Charakter die Versuchung zum Schnaps sehr nahegelegt war“. „G’soffe muss doch sy!“ (Panzer 4, 73 f.).

    Kein Wunder, dass Scheffel sich für den persischen Dichter Hafis interessiert, der im 14. Jahrhundert Lieder von Wein und Weib, von Schenken und schönen Knaben[40] verfasste. Durch den Divan des Hafis war Goethe bekanntlich zu seinem West-Östlichen Divan angeregt worden.

    Hafis: Der Buchstabe Dal  XCVIII

    …Mein Herz, wenn du die Lust
    Von heut auf morgen stets verschiebst,
    Für das geborgte Gut,
    Wer wird Gewährsmann sein?
    Gib in dem Mond Schaban
    Den Becher nimmer aus der Hand…[41]

    1852 entsteht Anselm Feuerbachs Bild „Hafis vor der Schenke“. Der Maler lebt zu dieser Zeit in Karlsruhe und begleitet Joseph Viktor auf seiner Reise nach Venedig und zum Kastell Toblino[42].

    „Sein damalig Wald-und Feldbrevier…oder besser der fahrenden Schüler lateinisches Liederbuch“[43] waren die Trink- und Vagantenlieder der Carmina Burana. Meum est propositum in taberna mori… Mein Geschick ist’s, in der Kneipe zu sterben[44] – nun, dazu ist es dann doch nicht ganz gekommen…

     

    4. Scheffels Krankheiten:

    In der Kenntnis feucht-fröhlicher Reime und kontemplativer Trinkungen[45], sowie der Tatsache, dass Scheffel aus heutiger Sicht „nur“ 60 Jahre alt geworden ist, liegt es nahe, bei den Krankheits-und Todesursachen auch an die Folgen von  Alkoholismus und  Leberzirrhose zu denken.

    In seiner 1907 erschienenen Schrift  „Über Scheffels Krankheit“ behandelt P. J. Möbius[46] dessen Konsum geistiger Getränke eher nebensächlich:

    „War der Alkoholismus … nicht Ursache der Geisteskrankheit, so dürfte er doch die frühzeitige Erkrankung der Blutgefäße gefördert und dadurch Scheffels Leben abgekürzt haben“[47].

    „Wahr ist ja, dass unser Freund, nachdem sich seine Krankheit entwickelt hatte, mehr Wein und Bier zu sich nahm, als ihm gut war, und darin in späteren Jahren Trost und Vergessenheit suchte“[48]. Es scheint aber in Wirklichkeit „nicht so schlimm gewesen zu sein … Scheffels Verherrlichung des Suffes ist wohl eine Art von Sport gewesen.“ Möbius schreibt weiter:

    „Ein von Hause aus nervöser junger Mann erkrankt…mit 27 Jahren an Congestionen [lokalem Blutandrang] und heftigen Kopfschmerzen, so dass er für Monate unfähig zur Arbeit wird. Nach zwei Jahren … tiefe Verstimmung, Menschenscheu, wahrscheinlich auch Wahnvorstellungen. Es zeigt sich, dass der Kranke dauernd geschädigt ist, dass seine Schaffenskraft mehr und mehr erlischt … zeitweise Erregung und Depression, zeitweise heitere Stimmung und Fähigkeit zu arbeiten…Im 35. Lebensjahre schwerste Erkrankung, Verfolgungswahn“, Schuldgefühle. Langsame Rekonvaleszenz, „die dichterische Leistungsfähigkeit sinkt immer mehr … Mit 42 Jahren Beginn der Erkrankung des Herzens und der Pulsadern [Atheromatose]…Mit 60 Jahren Tod.

    „Die Diagnose kann … nicht zweifelhaft sein: leichte Form des zerstörenden Jugendirreseins, der sogenannten Dementia praecox [veraltete Bezeichnung für Krankheiten aus dem Formenkreis der Schizophrenie]…“.

    Möbius sammelt Argumente für eine erbliche Geisteskrankheit in der Familie Scheffel. Joseph Victor hatte einen geistig und körperlich schwer behinderten jüngeren Bruder, der immerhin 53 Jahre alt wurde. Nach dem Tod des verwitweten Vaters betreut der Ältere den Bruder eine Zeitlang allein. In Marie, der von allen geliebten, als schön, geistvoll und liebenswürdig[49] beschriebenen Schwester, war „das Pathologische nicht gering“, als sie „1853 ihre Verlobung unmittelbar vor der Hochzeit, als schon die Kleider bereit lagen, auflöste“[50], sic!

    Scheffel selbst war „nach knapp 10 Jahren“ von seiner Krankheit zwar „geheilt, aber … seine Dichterkraft war zerstört“[51].

    Wir versuchen einmal, aus den am häufigsten erwähnten krankhaften Störungen  eigene Verdachtsdiagnosen abzuleiten[52] (jeweils in Kursivschrift).

    Scheffel fühlt sich „unbeschreiblich bedrückt“, nachdem die republikanische Zukunft des Landes im April 1848  „verpfuscht“ erschien[53]. „Meine Komik ist oft nur die umgekehrte Form der inneren Melancholie“[54]. Als Marie ihre Verlobung löst, reagiert die ganze Familie mit einer aus heutiger Sicht völlig übertriebenen Aufregung[55]. Tiefe Erschütterung nach dem Tod der Schwester. Hypochondrie. Als Brautwerber mehrfach abgewiesen[56]. Selbstquälerei um den unbewältigten Wartburg-Roman, krankhaftes Misstrauen, da er eine geänderte negative Einstellung des Weimarer Großherzogs, den er enttäuscht hatte, befürchtet[57] (reaktive Depression). 

    „Kopf-Kongestionen“, Augenleiden, „Gehirnentzündung“, Blutkongestion nach dem Kopf, Augenentzündung, Nervenreiz[58]…“mein ganzes Nervenleben ist durch die übertriebene Arbeit am Ekkehard zerrüttet…“ (Burnout-Syndrom[59]).  

    Kopfschmerz, Gesichtsschmerzen, auch die Mutter litt zeitweise daran

    (Migräne mit Aura, Einschränkung des Gesichtsfeldes und andere visuelle Phänomene. Trigeminusneuralgie).

    Wechselfieber. Reise nach Südfrankreich; in Bordighera hoch fieberhafte Attacken, die sich auch in Deutschland noch fortsetzen[60]. Gedicht  „Dem Tode nah“[61] (Malaria).

    Herz-Kreislaufsymptome, „Druck am Herzen“. Lähmung der linken Seite, Besserung nach Kur in Bad Kissingen, Gefahr …stärkeren Schlaganfalles, Brustschmerzen, Atemnot[62] (Arteriosklerose, Angina pectoris, Apoplexie).

    Lassen wir die Diagnosen „Dementia praecox“ und „Geisteskrankheit“ getrost außer Acht und sprechen stattdessen von depressiver Verstimmung, reaktiver Depression, Melancholie. Dass Scheffel als Heiratskandidat Körbe einsammelt und von seiner schwangeren Frau noch vor der Entbindung verlassen wird, auch dass Marie ihre Hochzeit absagt, all dies spricht weniger für eine familiäre Geisteskrankheit als für mangelhafte Bindungsfähigkeit der Geschwister.

    Die Versuche, Scheffels beeindruckenden Alkoholkonsum herunterzuspielen und zu verharmlosen, sind rührend[63], aber nicht ganz überzeugend. So heißt es gleich im Vorwort zur ersten römischen Epistel:

    „Inzwischen ist viel Wasser den Rhein ab, – auch viel Weines halsabwärts geflossen…“.

    Als Scheffel im Café Greco in Rom eine „epistola encyclica“ der Freunde aus dem Heidelberger „Engeren“ in Empfang genommen und „un fiasco d’Orvieto“ dazu bestellt und „still gerührt getrunken“ hat, versucht er es mit einer scherzhaften Rechtfertigung, dass nämlich „in der zehrenden Hitz‘ und dem scirocco Welschlands eyne innere Ursach‘ liegt, dass der deutsche Mensch allhiero sträflich viel Weines tilgt…und eyn leiser Anflug von südlicher Färbung auf der Nase mag…eher zu den ‚wunderbaren Lufterscheinungen bei Sonnenauf-und Untergang‘ in der Umgegend Roms als zu eynem testimonium allzu scharfer Trinkung zu zählen sein.“

    In der 6. Römischen Epistel[64] berichtet er:

    ….“Und hat der Wirt eyn ungeheures pranzo hergerichtet – und haben die Italiener den alten Brauch, beim convivium zwischen jeder Schüssel eyns zu singen – und sangen auch – aber sehr unflätiger Lieder – und erhub sich eyn scharfes Trinken, … dass etzliche, sowohl  deutscher als italienischer Nation, unter den Tisch zu liegen kamen. Und hab‘ ich mich damals an der Seit‘ des wackern Meister Willers mannhaft gehalten, – und da selbiger bei solcher occasion gewöhnlich an eynem gewissen ,Nachdurst‘ zu leiden hat, so sind wir wie alte Recken auf der Totenwach gesessen,…und haben miteynand die letzt Flaschen getrunken, als kein Welscher mehr Bescheid tun wollte.“

    Das klingt nicht so, als ob Scheffel „die eigenen Trinkleistungen maßlos“ überzeichnete oder sie nur wie „eine Art von Sport“ betrieb[65]!

    Doch nun noch zu einem anderen Thema, nämlich der Beschäftigung des Dichters mit den Etruskern und ihrer Herkunft.

     

    5. Die Etrusker und die Theorie von der transalpinen Einwanderung:

    Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten Aufsehen erregende Entdeckungen und Grabungen auf der Apenninenhalbinsel eine wahre Etruskomanie zur Folge[66]. Von den drei Haupt-Theorien zur Herkunft dieses Volkes favorisiert Scheffel  die Einwanderung der Etrusker aus dem Norden[67].

    „Item am dritten Tag sind wir…in Perugia eyngefahren, so eyne merkwürdige Stadt ist und guten Rotwein hat. Verfügte mich sofort nach dem Frühtrunk in das etruskische Museum und hab‘ dort…eyn kolossalen sarcophagum angeschauet…Ist auf demselben eyne Emigration des ganzen etruskischen Stammes dargestellt…und ziehen König und Priester, Weib und Kind, Gefangene und Stiere – alle fort, ’nix wie naus‘ – und ward mir sofort klar, dass dies eyn Denkmal des Auszugs nach Graubünden sey…Hab auch eynigen professoribus der Akademie von Perugia dies exponieret, so aber … mir kein Glauben schenkten. Mir aber hat die Sach‘ umso mehr geschienen, als auch die alten Städt‘ der Etrusker, insbesondere Cortona und Perugia mit ihren Cyclopenmauern ganz so auf Bergabhängen daliegen wie die Flecken im Unter-Engadeyn, und behalt‘ mir vor, hierüber meinem lieben Begleiter auf rätischen Fahrten Näheres mitzuteilen…“ (Römische Epistel 2, Panzer 4, 317).

    „Wir marschierten … dem Davoser Landwasser entlang…nach Dorf Alveneu. Der Ortsname „Alba Nova“ erinnert, dass wir schon in den Regionen angelangt sind, wo etruskische Einwanderer, einst aus Furcht vor dem Gallier oder Hannibals Scharen…sich eine zweite Heimat gründeten…Engadein, das klassische Etruskertal…“ (Aus den Rätischen Alpen, Panzer 4, 28)

    Im Übrigen erfährt Scheffel unterwegs, „dass in Urbino und ganz Umbrien eyn etwas leichtfertiger Gedanke ‚un pensiero etrusco‘ geschimpft wird, …woraus ich auf die alte Geschichte derer Etrusker und ihr Verhältnis zu ihren anderweyten italischen Nachbarn und Nachbarinnen belehrende Schlüsse zog.“ (Römische Epistel 2, Panzer 4, 315).

    Einige römische Schriftsteller meinten, dass die Räter eigentlich Etrusker seien, die sich unter der Bedrohung durch die Kelteneinfälle seit etwa 400 v. Chr. ins Gebirge zurückgezogen hätten (Liv. 5, 33, 11; Plin. n. 3, 24). Als Beweis diente allerdings nicht zuletzt, dass selbst für Livius…die Sprache der Räter ähnlich unverständlich war wie das Etruskische. Zudem „ging die Wildheit der Gegend auf sie über und ließ von allem Vererbten nichts übrig als den Klang der Sprache, und den noch nicht einmal rein“. Ob jedoch überhaupt eine Verwandtschaft zwischen den Sprachen der Etrusker und der Stämme in den Zentralalpen bestand, sei nach wie vor ungeklärt[68].

    6. Trivial oder geistvoll?

    Dies ist die Titel-Frage. In der Tat sind wir auf Triviales gestoßen, auf gereimtes Wort-Geklingel ohne tieferen Sinn, das der Verfasser selbst besser  „in Lethe“ versenkt hätte[69]. Gleichwohl fühlen wir uns berechtigt, die Angelegenheit etwas differenzierter zu betrachten, indem wir, entsprechend der Mahal’schen Anregung, den Meister Josephus lieber selbst zu Wort kommen lassen. Genieße wer kann den Reiz der spezifisch Scheffel’schen Ironie, seine Reimfreude und Wanderlust und seine für die Autorin dieses Elaborats einfach unwiderstehliche archaisierende Sprache:

    Aus Ekkehard Kap. 16, Cappan wird verheiratet:

    „In Hof und Garten schaltete dazumal eine Maid, die hieß Friderun und war hoch wie ein Gebäu von mehreren Stockwerken, drauf ein spitzes Dach sitzt, denn ihr Haupt hatte die Gestalt einer Birne und glänzte nicht mehr im Schimmer erster Jugend; wenn der breite Mund sich zu Wort oder Gelächter auftat, ragte ein Stockzahn herfür als Markstein gesetzten Alters…– itzt stand ihr Herz verwaist. Große Menschen sind gutmütig und leiden nicht unter den Verheerungen allzu scharfen Denkens. Da lenkte sie ihre Augen auf den Hunnen, der sich einsam im Schlosshof umtrieb, und ihr Gemüt blieb mitleidig an ihm haften wie der funkelnde Tautropfen am Fliegenschwamm…“

    Nachdem Frau Hadwig der Eheschließung zugestimmt hat und Cappan von Ekkehard gründlich in der christlichen Lehre unterwiesen und getauft worden ist, treten die Hochzeitsvorbereitungen in ihr entscheidendes Stadium.

    „Heilige Mutter von Byzanzium! rief [Praxedis, die griechische Zofe der Herzogin], muss das auch noch aufgesteckt werden? Wenn du mit dem Kopfschmuck einherschreitest, Friderun, werden sie in der Ferne glauben, es sei ein Festungsturm lebendig geworden und wandle zur Trauung. Es muss sein! sprach Friderun. […] Cappan war mühsam zu Tisch gesessen und hielt sich aufrecht an seiner Ehefrau Seite…In den langen Zwischenräumen schuf der Hunne seinen vom Sitzen gequälten Gliedmaßen durch Tanzen Luft…tat sieben wirbelnde Luftsprünge … zum Beschluss ließ er sich vor Frau Hadwig ins Knie fallen … als wollt‘ er den Staub küssen, den ihres Rosses Huf berührt … Die Hegauer … aber schöpften ein Beispiel löblicher Anregung aus dem ungewohnten Tanz … denn aus dem fernen Mittelalter klingt noch die Sage von den ’sieben Sprüng‘ oder dem ‚hunnischen Hupfauf‘, der als Abwechslung vom einförmigen Drehen des Schwäbischen … seit jenen Tagen dort landüblich ward“ (Panzer 3, 265-275).

    Der Rechtspraktikant hat in seiner Säckinger Amtsstube polizeiliche Aufgaben wahrzunehmen.

    „Polizei und Poesie … beide haben es mit den Abnormitäten des Lebens … zu tun; nur ist die Behandlungsweise etwas verschieden; ein und derselbe Gegenstand kann vom polizeilichen Standpunkte bei Wasser und Brot in den Turm gesteckt und vom dichterischen mit lyrischen Flötentönen verherrlicht werden … Also – was bringt der Gendarm heute für ein ,Subjekt‘? Ach Gott, wie klaffen die Schuhe, wie ungeniert sehen die Zehen durch die Lücken des Schuhs … und was für ein stillvergnügtes Gesicht macht das Subjekt! Was ist sein Verbrechen? ,Zweckloses Umhertreiben!‘ …Wie oft hat sich der Polizeirespizient als fahrender Schüler selber auf das zweckloseste umhergetrieben…Leider muss das Subjekt bei Wasser und Brot in den Turm – die Poesie verhüllt ihr Antlitz und trauert.“ (Aus der 6. Säckinger Epistel, Panzer 4, 254 f.)

    Noch heute sind die Betrachtungen des philosophierenden Katers Hiddigeigei  beherzigenswert:   

    Hiddigeigei spricht, der Alte:
    Pflück die Früchte eh’ sie platzen.
    Wenn die magern Jahre kommen,
    saug an der Erinn’rung Tatzen.

    (Trompeter, Strophe 3 aus Lied 9, 5951-5954, Panzer 2, 356[70]).

    Fruchtlos stets ist die Geschichte;
    Mögen sehn sie, wie sie’s treiben!
    – Hiddigeigeis Lehrgedichte
    Werden ungesungen bleiben.

    (Trompeter, Strophe 6 aus Lied 12, 6003-6006, Panzer 2, 358)

    Mögen die Liedersammlungen „Neueres“ und „Aus dem Weiteren“ zum guten Teil aus Gelegenheitsdichtung, langatmigen Festgrüßen, Lobliedern auf Orte, Landschaften und Personen bestehen, in epischer Breite daherkommen und ihren Leser rechtschaffen ermüden, so findet sich doch auch manches Perlchen darin: 

    Mir ist zum Geleite
    In lichtgoldnem Kleide
    Frau Sonne bestellt;
    Sie wirft meinen Schatten
    Auf blumige Matten,
    Ich fahr‘ in die Welt.

    (Panzer 1, 81, Strophe 2)

     

    7. Bestreuet die Häupter mit Asche…

    Ja, wir finden beim Meister Josephus durchaus Geistvolles, auch Anmutiges und viel Erheiterndes. Andere Meinungen sind natürlich das gute Recht der Kritiker und Rezensenten. Urteilen diese aber, weil es nun einmal Mode ist, nur nach der abwertenden Sekundärliteratur und in völliger Unkenntnis der Werke selbst, dann geben wir ihnen den einen Rat: „Bestreuet die Häupter mit Asche…“[71]

     

    Fußnoten

    [1] Herausgegeben von F. Panzer (Leipzig und Wien 1910).
    [2] Juniperus, Panzer 2, 422.
    [3] Berschin – Wunderlich 2003.
    [4] Wunderlich 2003, 204 f.
    [5] Eggert 1971, 164; Mahal 2003, 16.
    [6] Selbmann 1982, 11.
    [7] J. Lobe, Würzburg 1971, 236. 245, Selbmann a. O. 10 Anm. 13-17.
    [8] Eggert 1971, 21 f.
    [9] Ein “Prä-Simmel“, Mahal 2003, 14-16. 20.
    [10] Eggert 1971, 12; Selbmann 1982, 11.
    [11] Martini 41981, 313 f. Dort fälschlich: „Johann“ Viktor von Scheffel!
    [12] Mahal 2003, 20.
    [13] Selbst wenn die letzteren “nicht ohne Heines Prosa denkbar“ seien,
    Martini, 41981, 314.
    [14] Mahal a. O. 17.
    [15] Panzer 1, 197.
    [16] Panzer 4, 149 f.; dazu auch Rupp 2003, 110.
    [17]Krohn 2003, 37. S. 40 und Anm. 24.
    [18] Panzer 1, 5-70.
    [19] Panzer 1, 6 f.
    [20] Schmidt-Bergmann 2003, 32.
    [21] Panzer 1, 27 f.
    [22] In einem Brief an Bernhard von Arnswald, den Kommandanten der Wartburg, Krohn 2003,  45 f.
    [23] Schmidt-Bergmann 2003, 32.
    [24] Eggert 1971, 64-69. 164-171.
    [25] Scheffels Mutter an Schwanitz, Schmidt-Bergmann 2003, 34.
    [26] Es floriert noch heute, wenn auch nicht ganz an demselben Ort. Säckinger Epistel 1, Panzer 4, 1917, 215; Trompeter 6. 2416-18 und 2436 f. Panzer 2, 275.
    [27] Aus dem Hauensteiner Schwarzwald, Panzer 4, 72-75.
    [28] z. B. in der Epistel aus Donaueschingen, Ad fontes Danubii 18. Juli 1858, Panzer 4, 471.
    an Friedrich Eggers, Schmidt-Bergmann 2003, 30.
    [30] Zollner 1976, 10.
    [31] Panzer 1, 27.
    [32] Wunderlich, zit. bei Krohn 2003, 47.
    [33] Zit. nach J. Proelß, Scheffels Leben und Dichten (Berlin 1887) 507, Selbmann 1982, 55 mit Anm. 55.
    [34] Scheffel hat ihr im “Gaudeamus“, Aus dem Weiteren, ein Denkmal gesetzt, Panzer 1, 109 f.; Döring 1999, 97-100.
    [35] Dazu Zollner1976, “Mehr als ein Sauf-Poet“.
    [36] Wie schade wäre es um sein darin enthaltenes Wanderlied gewesen, das heute als “Frankenhymne“ bezeichnet wird: “Wohlauf, die Luft geht frisch und rein…“
    [37] „Das böse Wort des Heidelberger Philosophen Kuno Fischer vom “Saufpoeten in Wasserstiefeln“, Zollner 1976, 10; Mahal 2003, 16; “zum Saufpoeten und drittrangigen Reimeschmied machte ihn…“, M. Krüger-Hundrup zur Ausstellung für Frankenlied-Dichter Scheffel in Bad Staffelstein 2011; H. Seele, Der “Saufpoet“ mit dem Faible für Heidelberg, Heidelberger Geschichtsverein; “Scheffels Saufpoesie“, Möbius 1907, 21. .
    [38]Man denke nur an das „Sit vino gloria der „Maulbronner Fuge“, Panzer 1, 43-45.
    [39] Deutscher Maler, bei dem Scheffel in Italien Unterricht nahm, Panzer 4, 343.
    [40] Dazu auch W. Wamser-Krasznai, Nachwort zu: Die Quellen zum west-östlichen Divan, in: dies., Fließende Grenzen, 2015, 114-117.
    [41] Hafis, Der DIVAN. Aus dem Persischen von Joseph von Hammer-Purgstall ND 2007.
    [42] Panzer 1, 29.
    [43] Vorwort zu Juniperus, Panzer 2, 422.
    [44] Archipoeta, Vagantenbeichte, aus Carmen X.
    [45] Trompeter 2, 968, Panzer 2, 216.
    [46] Möbius 1907, 19 f.
    [47] Möbius 1907, 20 f.
    [48] Kussmaul, auf Grund eigener Beobachtung, Möbius S. 20f.
    [49] Dazu die Siebente Säkkinger Epistel: Myn lieb und frumm Schwesterlin Maria! Panzer 4, 265.
    [50] Möbius 1907, 5.
    [51] Möbius S. 21.
    [52] Die berüchtigten “retrospektiven“ Diagnosen!
    [53] Panzer 1, 17, 47; “Schwermut und innere Verödung“, Martini 41981, 314.
    [54] Möbius S. 6.
    [55] Möbius S. 9.
    [56] Möbius S. 13.
    [57] Möbius S. 12- 14.
    [58] Möbius S. 10.
    [59] Falls wir den Mode-Anglismus als ernsthafte Krankheit anerkennen wollen.
    [60] Möbius S. 11; aus dem Weiteren, Panzer 1, 32: Miasmen aus dem überschwemmten Rhonetal.
    [61] Gaudeamus, Panzer 1, 93.
    [62] Möbius S. 18 f.
    [63] Möbius S. 21.
    [64] Panzer 4, 330 f.
    [65] Möbius a. O.
    [66] Pallottino 1988, 18.
    [67] Torelli 1988, 31; Sprenger – Bartoloni 1977, 9.
    [68] Pauli 1992, 726 und Anm. 6; ebenso Gleirscher 1991, 11.21.
    [69] Panzer 1, 197.
    [70] “Typisch ist die Verharmlosung, die Scheffels ,Hidigeigei‘ gegenüber Hoffmanns ,Kater Murr‘ zeigt,“ Martini 41981, 318.
    [71] Scheffel: Asphalt, Panzer 1, 25 f.

     

    Abgekürzt zitierte Literatur:

    Döring 1999: R. Döring, Die Ilmenauer Promenaden (Ilmenau 1999)

    Eggert 1971: H. Eggert, Viktor von Scheffel, in: Studien zur Wirkungsgeschichte des deutschen historischen Romans (Frankfurt am Main 1971) 64-69

    Gleirscher 1991: P. Gleirscher, Die Räter (Samedan 1991) 11. 21

    Krohn 2003: R. Krohn, Mittelalter hausgemacht. Scheffels Schaffen zwischen Historie und Poesie, in: W. Berschin – W. Wunderlich (Hrsg.), Joseph Victor von Scheffel (1826-1886). Ein deutscher Poet – gefeiert und geschmäht (Ostfildern 2003) 35- 55

    Mahal 2003: G. Mahal, Erinnerungen an einen Vergessenen, in Berschin – Wunderlich a. O. 11-21

    Martini 41981: F. Martini, Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848-1898 (Stuttgart 41981) 313-318. 446-448

    Möbius 1907: P. J. Möbius, Über Scheffels Krankheit. Kritische Bemerkungen über Pathographie (Halle 1907)

    Pallottino 1988: M. Pallottino, Etruskologie (Basel – Boston – Berlin 1988)

    Panzer: Scheffels Werke. Hrsg. Friedrich Panzer (Leipzig und Wien 1910)

    Pauli 1992: L. Pauli, Auf der Suche nach einem Volk. Altes und Neues zur Räterfrage, in: Die Räter – I Reti (Bolzano-Bozen 1992) 725-756

    Rupp 2003: M. Rupp, Ein Stück nationaler Geschichte in der Auffassung des Künstlers. Joseph Victor von Scheffel und die Mediävistik, in: Berschin – Wunderlich a. O. 109-134

    Scheffels Werke, Hrsg. F. Panzer (Leipzig und Wien1910)

    Schmidt-Bergmann 2003: Hansgeorg Schmidt-Bergmann, „mein bester Kern ist immer noch der Zug zur Kunst“. Briefe und Notizbücher Joseph Victor von Scheffels zwischen 1848 und 1853, in: Berschin – Wunderlich a. O.  23-34

    Selbmann 1982: R. Selbmann, Dichterberuf im bürgerlichen Zeitalter. Joseph Viktor von Scheffel und seine Literatur (Heidelberg 1982)

    Sprenger – Bartoloni 1977: M. Sprenger – G. Bartoloni, Die Etrusker (München 1977)

    Torelli 1998: M. Torelli, Die Etrusker (Wiesbaden 1998)

    Wunderlich 2003: W. Wunderlich, Scheffels Trompeter von Säckingen und Ekkehard in Oper und Konzert, in: Berschin – Wunderlich a. O. 191-222

    Zollner 1976: H. L. Zollner, Mehr als ein Sauf-Poet, in: Aufbruch 12. 6, 1976, 10

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