Schlagwort: Medizin

  •    From my experience as a physician, after half a century of practicing, I could confirm that the whole world is one big workplace. Everyone suffers from something, and few of them visit the doctor, and if they already do, they don’t like it.

     As a doctor, I have treated the patients not only with pills, but with beautiful words, sweet healing fairy tales, nice stories or poems. I wanted to be a doctor -poet.  I don’t have a degree in poetry, and I gathered the patients who don’t need only the pills. They need to listen interesting stories, poems or sweet blessed fairy tales. During many years of medical work, I had the opportunity to see, hear and treat many interesting cases. We doctors have a special position among the people. In my practice, the patients often opened their souls and the confessions came out from the sick body. I could see the people not only physically, but also mentally naked. In this way, I could observe their kindness, torment, helplessness, insignificance and greatness, but sadly also their malevolence and rancor. By taking off the mask in front of me (not in the pandemic time), I get special and more correct notions about life’ marvels. Many things can only be understood by us, the doctors, and therefore forgiven. Our position is similar to those of the priests, to whom people confess.

    However, the confessions are not always sincere. Patients lie a lot, someone often, someone always. However, even their lies are of interest. From those lies I could also study a patient. Every lie has its cause, conscious or subconscious. To look for these causes and connect them with the consequences is a fascinating job. There is an opportunity for that, and I can notice that some patients move “blind” through their lives. Those patients don’t hear, don’t see, don’t understand. But it’s a pity, because many miracles happen around us during our life’ journey. My goal was always to observe, be discreet and comprehend a person. However, it is better not to treat only the diseases but the patient as a whole. We need the scientific knowledge brought from the university, and our drugs are good against the disease. A real remedy for the illness, for each patient should be found carefully in the heart and the mind of the doctor.

    The doctor and writer Carl Nothnagel (1841 – 1905) wrote appropriate: “Only a good man can be a good doctor.“ Being good is not possible without selflessness, sacrifice, suffering and courage.

    Dr. med. André Simon © Copyright

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Der Schriftstellerarzt

    Aus meiner Erfahrung nach einem halben Jahrhundert als praktizierender Arzt kann ich bestätigen, dass die ganze Welt ein großer Arbeitsplatz ist. Jeder leidet an irgendetwas und wenige konsultieren einen Arzt, und wenn sie es schon machen, tun sie es nicht gern.

    Als Arzt habe ich die Patienten nicht nur mit Pillen behandelt, sondern mit schönen Worten, süßen heilenden Märchen, netten Geschichten oder Gedichten. Ich wollte Dichterarzt sein. Ich habe keinen Abschluss in Dichtkunst, und ich habe Patienten gesammelt, die nicht nur Pillen brauchen. Sie brauchen es, interessanten Geschichten zuzuhören, Gedichten oder süßen gesegneten Märchen. Während vieler Jahre mit medizinischer Arbeit hatte ich die Gelegenheit, viele interessante Fälle zu sehen, zu hören und zu behandeln. Wir Ärzte haben eine besondere Stellung unter den Menschen. In meiner Praxis haben die Patienten oft ihre Seelen geöffnet, und die Bekenntnisse kamen aus dem kranken Körper heraus. Ich konnte die Menschen nicht nur körperlich, sondern auch geistig nackt sehen. Dadurch konnte ich ihre Freundlichkeit, Qualen, Hilflosigkeit, Bedeutungslosigkeit und Größe beobachten, aber trauriger Weise auch ihren Unwillen und Hass. Indem sie ihre Maske vor mir abnehmen (nicht während der Pandemie), erhalte ich besondere und genauere Merkmale über die Wunder des Lebens. Viele Dinge können von uns, den Ärzten, nur verstanden und deshalb verziehen werden. Unsere Lage ist ähnlich wie die der Priester, denen sich die Leute anvertrauen.

    Aber die Bekenntnisse sind nicht immer ernsthaft. Patienten lügen viel, manche oft, manche immer. Aber ihre Lügen sind aufschlussreich. Durch diese Lügen konnte ich die Patienten auch besser kennen lernen. Jede Lüge hat ihren Grund, bewusst oder unbewusst. Diese Gründe zu suchen und sie mit den Folgen zu verbinden, ist eine faszinierende Aufgabe. Es gibt dafür Gelegenheiten, und ich kann wahrnehmen, dass einige Patienten „blind“ durch ihre Leben laufen. Diese Patienten hören nicht, sehen nicht, verstehen nicht. Aber es ist ein Jammer, weil während unserer Lebensreise um uns herum viele Wunder passieren. Mein Ziel bestand immer darin zu beobachten, verschwiegen zu sein und eine Person zu verstehen. Aber es ist besser, nicht nur eine Krankheit zu behandeln, sondern den Patienten als Ganzes. Wir brauchen die wissenschaftliche Erkenntnis, die von der Universität stammt, und unsere Medikamente sind gut gegen die Krankheit.

    Ein wirkliches Heilmittel für die Krankheit für jeden Patienten sollte sorgfältig im Herzen und im Verstand des Arztes gefunden werden.

    Der Arzt und Schriftsteller Carl Nothnagel (1841 – 1905) schrieb treffend: „Nur ein guter Mensch kann ein guter Arzt sein. Gut zu sein, ist nicht möglich ohne Selbstlosigkeit, Opfer, Leiden und Mut.“

  • 15.10.2021

        Wer da glaubt, unter diesem Titel verberge sich eine zu Herzen gehende Seifenoper, wird eine herbe Enttäuschung erleben. Es geht nämlich um handfeste Dinge wie antike Nachbildungen menschlicher oder tierischer Herzen, die man den Göttern darbrachte, um für erfahrene Hilfe zu danken oder Beistand in Krankheit und Not zu erbitten. Die Tradition setzt sich in Wallfahrtskirchen fort, wo Bilder und Altäre von Heiligen mit Devotionalien in Form von Herzen und anderen Körperteilen aus Wachs, Holz, Blech oder Kunststoff geschmückt werden[1].

        Antike  Körperteil-Votive bestehen aus örtlichem Kalkstein, Marmor, Holz oder dem preisgünstigen fast überall verfügbaren Ton. Die große Vielfalt der als Herzen interpretierbaren Terrakotta-Objekte gab von jeher Anlass zu  kontrovers geführten Diskussionen[2].      

                                             

    Abb. 1: Blick in den Thorax, nach Spalteholz 1907, 381 Abb. 427

        Beim Blick in den Brustraum des menschlichen Körpers erkennt man zwischen den zur Seite geklappten Lungenflügeln das Herz mit den beiden blattähnlich flach aufliegenden Vorhöfen/Atrien (Abb. 1).

        Seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts war ein Terrakotta-Gegenstand (Abb. 2) neuerdings in den Blick der angehenden und etablierten Gießener Archäologen geraten.

                  

    Abb. 2: Terrakotta aus Veji, Gießen, Inv.-Nr.  T III-18. Aufnahmen: M. Recke, Gießen/Frankfurt am Main.

        Er gehört mit einigen gleichartigen Objekten zur bedeutenden Sammlung antiker etruskischer Körperteilvotive, die der ehemalige Ordinarius für Anatomie in Königsberg, Ludwig Stieda, 1913 dem Archäologischen Institut der Universität Gießen zum Geschenk machte. Stieda, der seinen Lebensabend in Gießen verbrachte, hatte die Terrakotten in Mittelitalien, vor allem in Veji/Latium, erworben und 1899 in einer ersten Publikation sorgfältig beschrieben[3]. Gegenstände wie Abb. 2 fasste er unter der Überschrift: „Rätselhafte Organe“ zusammen.“… Die Leute in Veji wussten keinen Namen dafür, die Bediensteten der Museen in Rom benannten sie …’bubboni‘ [und] deuteten auf die Leistengegend…Ich bin vorläufig mit dieser Deutung nicht einverstanden… [und] halte die betreffenden Stücke für die krankhaft veränderte Eichel des männlichen Gliedes (glans penis)“. Zwei Jahre später folgte eine sehr viel ausführlichere, reich bebilderte Monographie mit dem Titel „Anatomisches über Alt-Italische Weihgeschenke (Donaria)“[4]. Darin blieb er, was die „konischen“ oder „pyramidalen“ Objekte betraf, zunächst bei seiner ersten Einschätzung, wurde aber „nachträglich an dieser Deutung irre“ und dachte an „eine vergrößerte Nachbildung der erkrankten Brustwarze“[5].

        Heute wissen wir, dass bei anatomischen Votiven nur ausnahmsweise pathologische Veränderungen angegeben sind. Krankheitszeichen an Brustdrüsen und männlichen Genitalien, Beulen[6] („Bubboni“) oder gar Pestbeulen[7] an Weihgeschenken wären eine Rarität, deren Echtheit ernsthaft bezweifelt werden dürfte. Die Konsultation von Ärzten verschiedener Fachrichtungen rief Ratlosigkeit und Kopfschütteln hervor.

        Konische und pyramidale Tongebilde kommen aus Fundorten in Mittelitalien/Etrurien, landen in Museen und Antikensammlungen mit entsprechenden Schwerpunkten und verschwinden häufig in Magazinen[8]. Im italienischen Schrifttum begegnet die Bezeichnung Cippi[9], Cippetti[10],  Cippetto votivo a pigna (Pinienzapfen)[11]. Cippus ist eine Grenzmarkierung, gilt aber im archäologischen Sprachgebrauch meist als Hinweis auf ein Grabmal (Abb. 3). In den Nekropolen von Cerveteri/Caere sind die Markierungen nach Geschlechtern differenziert: steinerne Häuschen bezeichnen weibliche, Cippi die männlichen Grabstätten[12].

    .

                      

    Abb. 3: Cippus aus Kalkstein, Palestrina, 3./2. Jh. v. Chr.,
    nach: Pensabene 1982, 71 Nr. 10 Taf. 11, 4

        Terrakotta-Cippi wie sie unter anderem aus dem Tiber geborgen werden[13], sind ovoidal, konisch oder pyramidal geformt, variieren jedoch beträchtlich in Form und Größe. Die von A. Comella und G. Stefani vorgenommene Gruppen-Einteilung[14] liegt etwas modifiziert auch dieser Untersuchung  zugrunde.

        1. Glatte konische oder ovoidale Objekte mit mehr oder weniger gerundeter Spitze[15].

        2. Konische oder ovoidale Objekte mit umlaufender Einziehung oberhalb der Basis[16]. Ein Exemplar aus Lavinium ist mit einer geritzten Weihinschrift an die etruskische Göttin Menrva (lateinisch Minerva) versehen[17]. Die  Form der Buchstaben weist in das 3. Jh. v. Chr.

        3. Konische Objekte mit Blattmotiv[18] oder geschlossenem Blattkranz an der Basis. Sie stammen u. a. aus Fregellae, Rom und Veji (Abb. 4) [19].                         

    Abb. 4: Gießen, Inv.-Nr.  T III 43/12, aus Veji. Aufnahme: M. Recke, Gießen/Frankfurt am Main

        4. Konisch geformter Cippus, an dessen Basis zwei farbige Markierungen einander gegenüber liegen[20]. Andeutungen von „Herzohren“ ?  

        5. Konische Objekte mit zwei gegenständigen V-förmigen Inzisionen an der Basis[21]. Angedeutete „Herzohren“?

        6. Konische Objekte mit zwei gegenständigen blattartigen Protuberanzen an der Basis. „Herzohren“[22]?.

        Sambon hatte keine Bedenken, einen solchen Gegenstand, den er aus einer Privatsammlung kannte, als Herz mit aufgelagerten „auricles“ (Herzohren, Vorhöfe) zu bezeichnen (Abb. 5).

                                              

    Abb. 5:  Terrakotta-„Heart“,  nach: Sambon 1895, 148 Abb. 8

        7. Ein Exemplar im Nationalmuseum von Tarquinia ließ nach Entfernung von Inkrustationen außer den beiden plastisch angesetzten „Herzohren“ rot aufgemalte ‚Coronargefäße‘[23] erkennen.

        8. Die pyramidalen Objekte von dem nach seinem Haupt-Fundort hier so genannten ‚Typus Veji‘ (Abb. 2, 6) zeigen senkrechte Einziehungen und Rillen auf dem Körper. Rund um die Basis sitzen Protuberanzen verschiedener Größe. Allein im Votivdepot von Campetti in Veji kamen 346 solcher Exemplare zum Vorschein[24].

                                     

    Abb. 6: Gießen Inv.-Nr.  T III-18, Veji.  Aufnahme M. Recke, Gießen/Frankfurt am Main 

    Auf Grund der Ähnlichkeit mit Darstellungen von Herzen innerhalb eines thoracalen Eingeweideverbundes hatte Comella die pyramidalen Gebilde als „Cuori“/Herzen gedeutet[25]. Befestigt man einen Gegenstand wie T III-18 (Abb. 2. 6. 11) dergestalt an einer Fläche, dass die Spitze des Konus nach vorn zeigt, so erschließt sich die Vergleichbarkeit mit Herzen, die in einen Organverbund integriert sind[26] oder aus dem „Fenster“ einer Leibeshöhle hervor lugen[27]. Die Sammlung Stieda in Gießen enthält zwei spektakuläre Exemplare dieser Art, Inv.-Nr. T III-9 (Abb. 7) und T III-37 (Abb. 8) [28].

                                          

    Abb. 7: Gießen T III-9; aus Veji. Aufnahme M. Recke, Gießen/Frankfurt am Main

        Bei der Inv.-Nr. T III-9 handelt es sich um die linke obere Körperseite eines Mannes. Über dem horizontalen Mantelbausch öffnet sich das von einem Wulst eingefasste „Fenster“. Unter dem Bogen springt zwischen stilisierten „Lungenflügeln“ das Makronen-ähnlich gestaltete Herz hervor.

        Allerdings unterscheiden sich die Protuberanzen in Form und Ausrichtung. Während sie an der Basis von T III-18 breit und rund aufsitzen, entfalten sie sich beim Torso T III-37 (Abb. 8) wie kleine Blätter und streben in alle Richtungen auseinander. So bleibt für den ‚Typus Veji‘ im Hinblick auf die „Diagnose Herz“ ein Rest Unsicherheit [29].

                                         

    Abb. 8: Gießen T III-37, aus Veji, Aufnahme: M. Recke, Gießen/Frankfurt am Main

        Frühere Deutungen wie „pathologisch veränderte Glans penis, Lymphknoten oder Abszess[30]“ überzeugte ebenso wenig wie die Vermutung, es handele sich um die anikonische Darstellung des Weihgebers[31].

        Näher liegt der Vergleich mit einem von griechischen sog. Totenmahlreliefs[32] wohlbekannten (Opfer-) Gebäck, dessen Form zu der Bezeichnung „Pyramides“ geführt hatte[33] (Abb, 9).

                        

    Abb. 9: Athen, National-Museum, spätes 4. Jh. v. Chr., 
    nach: Thönges-Stringaris, 1965, 80 Nr. 78 Beil. 11, 2

        Allerdings fehlen in etruskischen Bankett-Szenen die Darstellungen ähnlich geformter Backwaren. Das gilt auch für die Wandmalereien in etruskischen Gräbern.

        Von der üblichen approximativen Datierung um das 3. Jh. v. Chr. war man lange nicht abgewichen. Ein wenig beachteter Fund aus dem Entengrab/Tomba delle Anatre in der Nekropole Riserva del Bagno in Veji[34] lässt aufmerken. Das 1958 entdeckte Kammergrab war schon früh von Grabräubern aufgebrochen und ausgeraubt worden[35]. Farben und Stil der Enten-Fresken sowie die in der Kammer verbliebenen Keramik-Scherben datieren das Grab in das 7. Jh. v. Chr. Die Beifunde der sog. Coppette d’impasto, Becher aus brüchigem, von vielen groben Einschlüssen durchsetztem graubraunem Ton[36] (Abb. 11 a) beschrieb A. Medoro als konvex oder konisch, im Inneren hohl und glatt, an der Oberfläche ungleichmäßig und mit Protuberanzen besetzt. Nach Photo und  Zeichnung erinnern sie in verblüffender Weise den Votiv-„Herzen“ vom ‚Typus Veji‘ (Abb. 10 und 11).

                            

    Abb. 10: „Coppette d’impasto“, Tomba delle Anatre. 
    Zeichnung  C. Damiani – D. De Angelis, A. Medoro 2003, 80 Abb. 97

        An der Deutung als Behälter für flüssige oder feste Ingredienzien zweifelte   Medoro anscheinend selbst[37]. Die angegebenen Maße übertreffen die der ‚Gießener‘ Votive etwa um 0,5-1,5 cm. Schwerer wiegt aber die Abweichung im vermuteten Zeitraum der Entstehung: „Coppette“ und Votive vom ‚Typus Veji‘ wären durch mindestens 400 Jahre getrennt! Außerdem stammen die ersteren aus einem Grab, letztere, wie die anatomischen Weihgaben allgemein, aus Heiligtümern und deren Depots. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Jahr 2003 waren die „Becher“ noch nicht inventarisiert. Ich habe sie kürzlich, Anfang Oktober 2021, betrachten können, ohne die Möglichkeit sie zu photographieren. Sie sind  in einer Vitrine der Abteilung Veji im Etruskischen Nationalmuseum der Villa Giulia in Rom ausgestellt. Die Legende lässt ihre Bedeutung offen. Für mich hat sich die aus Photo und Zeichnung abgeleitete Vergleichbarkeit der beiden Objektgruppen (Abb. 11) relativiert. Die „Coppette“ erscheinen größer, dunkler und an der Oberfläche weniger strukturiert als gedacht. Gegen eine Parallelisierung der Funde sprechen ja auch die Entdeckung der „Becher“ in einem Grab und vor allem die vom Kontext abgeleitete Datierung in das 7. Jh. v. Chr.

    Abb. 11:  Veji, „Coppette d’Impasto“[38]          Votiv Gießen T III-18

        Dem gegenüber stehen eine gewisse Ähnlichkeit in der Form und der Fundort auf dem Gelände der alten Etruskerstadt Veji. Aber: Herzen? Falls die Votive vom Typus Veji wie Gießen T III-18 noch als solche durchgehen[39] – dem Betrachter der „Coppette d’Impasto“ fällt dieser Vergleich gewiss nicht ein.   

    Abgekürzt verwendete Literatur und Bildnachweis:

    Alexander 1905: G. Alexander, Zur Kenntnis der Etruskischen Weihgeschenke nebst Bemerkungen über anatomische Abbildungen im Altertum. Anatomische Hefte. I. 1905, 157-198

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    Bartoloni 1970: G. Bartoloni, Alcune terrecotte votive delle Collezioni Medicee ora al Museo Archeologico di Firenze, StEtr 38, 1970, 257-270 Taf. 21 d

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    Holländer 1912: E. Holländer, Plastik und Medizin (Stuttgart 1912)

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    Martini 2003: W. Martini, Sachwörterbuch der Klassischen Archäologie (Stuttgart 2003)

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    Pensabene 1977: P. Pensabene, Cippi, Busti, Ritratti. Nota in Margine a M. F. Kilmer, The Shoulder Bust in Sicily and South Italy, ArchCl 29, 1977, 430 f.

    Pensabene 1982: P. Pensabene, Sulla tipologia e il Simbolismo dei Cippi funerari a Pigna con corona di foglie d’Acanto di Palestrina, ArchCl 34, 1982, 71 Nr. 10 Museo di Palestrina 38-97 Taf. 9-36        Abb. 3

    Pensabene 2001: P. Pensabene, Le Terrecotte del Museo Nazionale Romano II Materiali dai Depositi Votivi di Palaestrina: Collezioni ‚Kircheriana‘ e ‚Palestrina‘ (Roma 2001)

    P. Pensabene  – M. A. Rizzo – M. Roghi – E. Talamo 1980: P. Pensabene – M. A. Rizzo – M. Roghi – E. Talamo, Elementi aniconici a „pigna“, in: Terracotte votive dal Tevere (Roma 1980) 321 f. 

    Recke 2000: M. Recke, Die Klassische Archäologie in Gießen. 100 Jahre Antikensammlung (Gießen 2000) 53 f, Abb. 29

    Recke 2008: M. Recke, Auf Herz und Niere, Spiegel der Forschung 25 Nr. 2, 2008, 59 f. Abb. 4-6

    Recke 2012-2013: M. Recke, Neues aus der Antikensammlung – Jahresbericht 2012-2013,  6 Abb. b.

    Recke 2015: M. Recke, Neues aus der Antikensammlung – Jahresbericht 2015, 12 Abb. a.

    Recke – Wamser-Krasznai 2008: M. Recke – W. Wamser-Krasznai, Kultische Anatomie. Etruskische Körperteil-Votive aus der Antikensammlung der Justus-Liebig-Universität Gießen. Stiftung Ludwig Stieda (Ingolstadt 2008)

    Recke – Wamser-Krasznai 2008a: M. Recke – W. Wamser-Krasznai, Kultische Anatomie. Begleitheft zur Ausstellung (Ingolstadt 2008)

    Sambon 1895: L. Sambon, Donaria of Medical Interest in the Oppenheimer Collection of Etruscan and Roman Antiquities, British Medical Journal II, 1895, 146-150 und 216-219.        Abb. 5

    Spalteholz 1907: W. Spalteholz, Handatlas der Anatomie des Menschen II (Leipzig 1907)        Abb. 1

    Stieda 1899: L. Stieda, Über alt-italische Weihgeschenke, Römische Mitteilungen 14, 1899, 230-243  

    Stieda 1901: L. Stieda, Anatomisches über Alt-Italische Weihgeschenke (Donaria). Anatomisch-Archäologische Studien II (Wiesbaden1901) 51-131

    Thönges-Stringaris 1965: R. N. Thönges-Stringaris, Das griechische Totenmahl, AM 80, 1965, 1-99 Beil. 1-30        Abb. 7

    Torelli – Pohl 1973: M. Torelli – I. Pohl, Regione VII. Veio. Scoperta di un piccolo santuario etrusco in Località Campetti. La Stipe Votiva, in: NSc 370, 1973, 227-258 

    Vagnetti 1971: L. Vagnetti, Il Deposito votivo di Campetti a Veio (Sansoni 1971)     

    Van Kampen 2003: I. van Kampen (Hrsg.), Dalla Capanna alla Casa. I primi abitanti di Veio (Formello 2003)

    Wamser-Krasznai 1996: W. Wamser-Krasznai, Die Italischen Terrakotten aus der Antikensammlung der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ungedruckte Magisterarbeit 1996

    Wamser-Krasznai 2007: W. Wamser-Krasznai, Antike Weihgeschenke im Blickpunkt der Andrologie, in: E. G. Jung (Hrsg.), Kleine Kulturgeschichte der Haut (Darmstadt 2007) 100-103


    [1] Wamser-Krasznai 2007, 100.

    [2] Di Giuseppe 2012, 309, Nr. 16 Abb. 5.98 (E 44)

    [3] Stieda 1899, 241; ähnlich Bartoloni 1994, 521.

    [4] Stieda, 1901. 105 f.

    [5] Stieda 1901, 131 Anm. 1.

    [6] Im Sinne einer ausgeprägten umschriebenen Lymphknotenschwellung, Alexander 1905, 178 f. Auch Stieda erwähnt diese Bezeichnung, verwirft sie jedoch, Stieda 1901, 105; desgleichen Holländer 1912, 313 f.

    [7] Brijder – Beelen – van der Meer 1989/90, 168. 218 Abb. 162.

    [8] z. B.: Sammlung Gorga, Rom, Palazzo Altemps; Sammlung Kircheriana, Pensabene 2001, 281 Taf. 59, 288; Sammlung Stieda, ders. 1901, 82. 105 f. 131 Abb. 5. 9. 18. 22 Taf. 2-5; Modena, Museo Civico, Alexander 1905, 173 f. 178 f. Abb. 7-9 Taf. 1/2; Antikensammlung  Bonn, Bentz 2008, 158 f. Abb. 160; Florenz, Rom, Holländer 1912, 313-315 Abb. 206-208; Bartoloni 1970, 257-270. 267 Nr. 35-36 Taf. 21 d

    [9] Comella 1982, 151; Coarelli 1986, 141 f.

    [10] Comella 1978, 82-86 Taf. 37 f.; dies.1986, 79-81 Taf. 43; Vagnetti 1971, 103 Taf. 58. 

    [11] Pensabene 2001, 281.

    [12] Blumhofer  1993, 6-64. 73-82; Coarelli 1986, 142; Martini 2003, 54.

    [13] Pensabene – Rizzo – Roghi – Talamo 1980, 43. 322  Nr. 1212 Taf. 113; Holländer 1912, 314 Abb. 208.

    [14] Comella – Stefani 1990, 109-112  Taf. 34d-g.

    [15] Comella 1982, 154 Nr. D19XIV und XV Taf. 91 b; Bartoloni – Benedettini 2011, 697 Nr. L V Taf. 86 g; Comella 1986, 80 Taf. 43 a; Comella – Stefani 1990, Taf. 34 e H II; Vagnetti 1971, 103 Nr. 1 Taf. 58. Einige   Exemplare erinnern an babylonische Gewichte, Comella 1978, 83 Nr. E 2 Taf. 37, 217; Märtin 2012, 57 Abb. 35.

    [16] Comella 1978, 84 Nr. E 6, Taf. 37, 221.

    [17] Fenelli 1984, 336 Abb. 11.

    [18] Coarelli 1986, 142 Taf. 92, 3. 4.

    [19] Aus Veji: Bartoloni – Benedettini 2011, 696 Taf. 86 e-f; Recke 2012-2013, 7 Abb. 6 b; aus dem Tiber: Pensabene – Rizzo – Roghi – Talamo 1980, 321 f. Nr. 1207-1209 Taf. 113.; Holländer 1912, 314. Abb. 208.

    [20] Comella – Stefani 1990, 111 Nr. H II Taf. 34 e.

    [21] Comella 1978, 84 f. Nr. E 7 Taf. 38; Comella 2001, 84  Taf. 33 b.

    [22] Comella 1978, 84 f. Nr. E 4-6 Taf. 37; Comella 2001, 84 Taf. 33 b.

    [23] Baggieri 1999, 98 Abb. 20. auch  Abb. 1, mit vertikal geschwungenen Furchen; Macintosh Turfa, ThesCRA I, 2004, 365 Nr. 314.

    [24] Cascino – Di Giuseppe – Patterson 2012, 308 f.  Nr. 16  E44 Abb. 5.98 und S. 401 (Appendix 3); Bartoloni – Benedettini 2011, 695 f. Taf. 86 a-d; Comella – Stefani 1990, 110 Taf. 34 d. Stieda 1901, 82. 105 f. 131 Abb. 5. 9. 18. 22 Taf. 2-5.. 

    [25] Comella 1982, 150-157, Taf. 89 b-d. 90-91 a. c; Comella 1978, 82-86 Taf. 37 f.

    [26] Comella 1982, 157 Taf. 93 a; Comella – Stefani 1990, 110.

    [27] Bartoloni – Benedettini 2011, 571 f. Taf. 77 a; Recke 2008, 60 f. Abb. 5. 6. Überlegungen dazu, allerdings noch mit abweichenden Schlussfolgerungen, stellte die Verfasserin bereits in ihrer unpublizierten Magisterarbeit an,  W. Wamser- Krasznai, Die italischen Terrakotten der Antikensammlung der Justus- Liebig- Universität Gießen, 1996, 57-59. 

    [28] Recke – Wamser-Krasznai 2008,  118-123. 130 Abb. 46 f. 48 f. 54. 136 Abb. 57.

    [29] So auch Edlund-Berry, ThesCra I, 2004, 372 Nr. 5.

    [30] „Bubonen, Bubboni, entzündliche Geschwülste der Inguinaldrüsen“, Alexander 1905, 173 f.

    [31] Pensabene 1977, 430 f. Taf. 118-121; ders. – Rizzo – Roghi – Talamo 1980, 321;  „Typ H I“, Comella – Stefani 1990, 109-112 Taf. 34d-g.

    [32] Thönges-Stringaris 1965, 15. 78 Nr. 63 Taf. 8, 2;  S. 81 Nr. 85 Taf. 9, 1; S. 80 Nr. 78 Taf. 11, 2.

    [33] Sinn 2000, 116 f. Abb. 13; Backwerk: Recke – Wamser-Krasznai 2008, 70 f. und 122 f. Abb. 48. 49; Holländer 1912, 313-315 Abb. 206. 207; „Tortine votive“ Torelli – Pohl 1973, 248 Abb. 125; ebenso neuerdings Bouma 1996, 277 Abb. 12i; das Depot Acquoria bei Tivoli habe außer Votivköpfen kleine Kuchen, „focacce“, und  konische Gegenstände aus Ton enthalten, Comella 1981, 738-739, Nr. 63; Edlund-Berry, ThesCRA I, 372 Nr. 5.

    [34] „Uno dei punti più suggestivi di Veii“, De Agostino 1965, 139.

    [35] De Agostino 1965, 140; Brocato 2008, 70.

    [36] Medoro 2003, 80  Nr. 97 Taf. 11 d.

    [37] Die Dissertation zum Entengrab, Arianna Medoro, Perugia1998-1999, ist nicht publiziert, van Kampen 2003, 137.

    [38] Foto M. D ‚Eletto.

    [39] Eher skeptisch auch Fabbri 2019, 118-121 Abb. 64 c.

  • Hilfsmittel zwischen Last und Nutzen – heute und in alter Zeit

        Kaum etwas anderes ist uns augenblicklich so lästig wie die Maske.

    Das Wort kommt aus dem Arabischen, Maskharat, und bedeutet Narr, Posse, Scherz. Über das französische Masque und das italienische Maschera gelangte es in die deutsche Sprache, und es überrascht uns kaum, dass der Name für Wimperntusche, Maskara, nichts anderes bedeutet als Possenspiel oder Narrheit. Schauspieler „machen Maske“ wenn sie für den Auftritt hergerichtet werden. Der Schminkraum im Theater heißt kurz „die Maske“. 

    In der antiken Kunst bezeichnet man als Masken die vom Kopf vertikal abgetrennten Gesichter, die sich durch ihren starren Ausdruck, ihre übersteigerte Mimik und ihre unnatürlichen Züge als künstlich erweisen[1]. Anders als eine   Protome oder Büste schließt die Maske am Kinn oder mit der Bartspitze ab. Daher trifft das Wort „Maske“, das wir in der jetzigen Pandemie-Situation für  die vorgeschriebene Mund-Nase-Bedeckung verwenden, nicht so richtig ins Schwarze. Besser wäre „Halbmaske“, doch denken wir dabei eher an die Verkleidung der oberen Gesichtshälfte – aus virologischer Sicht natürlich unsinnig. 

                     

    Abb. 1 Kleine Halb-„Maske“ aus Bronze, Lucus Feroniae, „4.-2. Jh. v. Chr.“, nach: Baggieri 1999, 92 Abb. 7

        Wie die „blinden“ Augen des kleinen Bronzevotivs  (Abb. 1) zeigen, trifft der Ausdruck Maske auch hier nicht zu. Ob es sich allerdings, wie der Autor suggeriert[2], um die Darstellung einer Augenkrankheit handelt, ist mehr als fraglich.   

        Antike Theatermasken bedecken nicht nur das Gesicht, sondern umschließen den Kopf einschließlich Hinterhaupt und Haaren. Eine Schlaufe erleichtert die Handhabung[3] (Abb. 2).

                                 

    Abb. 2: Gefäßfragment Athen, um 470 v. Chr.,  nach Bieber 1961, 23 Abb. 74

         Lebensgroße zum Teil Schrecken erregende Terrakotta-Masken aus dem 7. und frühen 6. Jh. v. Chr. wurden aus dem Heiligtum der Artemis Orthia bei Sparta[4] und aus Opfergruben von Tiryns geborgen. Für den Gebrauch waren sie zu schwer und zu scharfkantig; sie hatten ihre Funktion im Kult der Göttinnen Artemis und Demeter. In den religiösen Festen des Dionysos sollte das Tragen von Masken aus Holz, Leder oder Leinwand die kultische Vereinigung mit dem Gott gewährleisten. Seit dem späteren 6. Jh. v. Chr. wurde der Brauch in die szenischen Aufführungen übernommen[5]

        Dionysos, der Gott des Theaters, gilt als Maskengott schlechthin. Zwar fließen die antiken Schriftquellen zu diesem Thema nur spärlich[6], doch gibt es bildliche Darstellungen von der Verehrung des Gottes in Maskenform[7].

        Das Relief (Abb. 3) zeigt ein Standbild des Dionysos, vor dessen Angesicht die Personifikation der Bühne, Skene, und der Dichter Euripides gemeinsam eine Maske halten[8]. Die drei Namen sind beigeschrieben.         

                  

    Abb. 3: Marmor-Relief Istanbul, ca. 1. Jh. v. Chr.-1. Jh. n. Chr., Aufnahme der Verfasserin.

        Hinter den Protagonisten erkennt man jeweils einen kleinen Altar mit einer weiteren Maske. So ist der Gott dreifach gegenwärtig, im Kultbild und in „Persona“, wie die Maske im Lateinischen heißt. Unser Wort Person beschreibt daher ein Wesen, das sein wahres Gesicht hinter einer Maske verbirgt!

    In Gräbern und Heiligtümern bestehen Masken zumeist aus Ton, Marmor oder – selten – aus Kalkstein. Sie besitzen keine Rückseite, sind ganz auf  ‚Konfrontation‘, auf die Vorderansicht hin, angelegt. Prósopon – das was man ansieht – ist das griechische Wort für Maske. Widersprüchlich kann sie sein, belustigend und furchteinflößend zugleich. Der Spötter Martial hat diese Ambivalenz in ein Epigramm gefasst[9]:  

    Persona Germana

        Sum figuli lusus russi persona Batavi,
        quae tu derides, haec timet ora puer.

    Germanische Maske

        Scherz eines Tonbildners bin ich, Maske des roten Batavers,
        Magst du auch lachen, jedoch ängstigt die Fratze das Kind[10].

             

    Abb. 4: Tonmaske aus Alteburg bei Köln, frühe römische Kaiserzeit, Aufnahme: H. Rose, Köln

        Die Augäpfel (Abb. 4) mögen aus einem anderen Material eingesetzt gewesen sein, was die erschreckende Wirkung sicher noch steigerte.

        Aus den Nordwestprovinzen des römischen Reiches kennen wir weibliche Terrakotta-Masken im Miniatur-Format, die im 3. und 4. Jahrhundert

    n. Chr. entstanden. Im Gegensatz zu den leeren, offenen Augenhöhlen sind die Lippen fest geschlossen (Abb. 5)[11].                                  

                                      

    Abb. 5: Miniaturmaske, Gießen T II-2., Aufnahme N. Eschbach, Gießen

        Dies erinnert an die Pantomime, den stummen rhythmischen Tanz, der sich seit dem Ende der römischen Republik bis zum 6. Jh. n. Chr. großer Beliebtheit erfreute. Tänzerinnen und Tänzer drücken den Inhalt ganzer Dramen allein durch die Bewegungen ihres Körpers und der Hände aus. Nur die Masken werden entsprechend den Rollen gewechselt. Solo-Sänger oder Chöre, unterstützt von Klang-Instrumenten, bringen die Texte zu Gehör[12].

        Bei Terrakotta-Masken aus etruskischen Votivdepots ist die Augenpartie nicht offen, sondern wie bei den Gesichtern von Statuen geschlossen und ausgearbeitet[13] (Abb. 6).  

                    

    Abb. 6: Terrakotta-Votiv aus Narce/Latium 3./2. Jh. v. Chr., Nach: Fabbri 2019, 70 Abb. 23 a

        Als Adressaten für Augen- und Masken-Votive gelten die Gottheiten Selvans/Silvanus, Vei/Ceres, Bona Dea, Menerva/Minerva, Apollo, Feronia, Nortia, Fortuna und die Nymphen. Da aber die epigraphischen Belege fehlen,  bleiben Zuordnungen meist spekulativ[14].      

        Wir Heutigen aber werden noch für geraume Zeit „Masken“-Träger sein. Das ist keineswegs beispiellos. Während der Epidemien – im 17. Jahrhundert sorgte die Pest u. a. in Venedig 18 Monate lang für Angst und Schrecken  – trugen die Ärzte Masken mit schnabelartig verlängerten Nasen, die eine Kräuterfüllung zur vermeintlichen Reinigung der Luft enthielten (Abb. 7). 

                                        

    Abb. 7: Ärztin mit Pestmaske, Aufnahme: Petúr L. Krasznai, Budapest

    Also: Pazienza!

    Abgekürzt zitierte Literatur und Abbildungsnachweis:

    Baggieri 1999: G. Baggieri, Archaeology, Religion and Medicine (1999) 80-103, Abb. 1

    Bieber 1961: M. Bieber, The History of Greek and Roman Theater (Princeton 1961)    Abb. 2

    Fabbri 2019: F. Fabbri, Votivi anatomici fittili (Bologna 2019)    Abb. 6

    Frickenhaus 1912: A. Frickenhaus, Lenäenvasen. 72. BWPr 1912

    Froning 2002: H. Froning, Masken und Kostüme, in: S. Moraw – E. Nölle (Hrsg.), Die Geburt des Theaters in der griechischen Antike (Mainz 2002) 70-95

    Grassinger – Scholl 2008: D. Grassinger – A. Scholl, Dionysische Skulptur in der Berliner Antikensammlung, in: R. Schlesier – A. Schwarzmaier (Hrsg.), Dionysos. Verwandlung und Ekstase (Berlin 2008) 107-117

    Lezzi-Hafter – Zindel 1991: A. Lezzi-Hafter – Chr. Zindel (Hrsg.), Dionysos. Mythes et Mystères.Vases de Spina (Kilchberg / Zürich 1991)

    Moraw 2002: Die großen Dramatiker – Aischylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes und Menander, in: S. Moraw – E. Nölle (Hrsg.), Die Geburt des Theaters in der griechischen Antike (Mainz 2002) 119-140

    Rose 2000: H. Rose, …sum figuli lusus…Die römischen Terrakottamasken in den Nordwestprovinzen (Köln 2000) 81 f.    Abb. 4

    Rose 2003: H. Rose, Spätrömische Miniaturmasken in Germanien und der Gallia Belgica, Xantener Berichte 3, 2003, 325-351

    Schwarzmaier 2008: A. Schwarzmaier, Dionysos, der Maskengott: Kultszenen und Theaterbilder, in: R. Schlesier – A. Schwarzmaier (Hrsg.), Dionysos. Verwandlung und Ekstase (Berlin 2008) 80-93

    Summerer 1999:  L. Summerer, Masken, in: dies., Hellenistische Terrakotten aus Amisos (Stuttgart 1999) 65-82.

    Wamser-Krasznai 2017: W. Wamser-Krasznai, Masken für Pantomimen und die weiblichen Miniaturmasken in den Nordwestprovinzen des römischen Reiches, in: Streufunde (Filderstadt 2017) 149-171

    Wamser-Krasznai 2018: W. Wamser-Krasznai, Faszination Maske, in: Scholien und Spolien (Filderstadt 2018) 25-30

    Wrede 1926: G. Wrede, Der Maskengott, AM 53, 1926, 66-95


    [1] Summerer 1999, 65-82.

    [2] Baggieri 1999, 92.

    [3] Froning 2002, 72 Abb. 89. 76 Abb. 96. 81 Abb. 105 f.; Wamser-Krasznai 2018, 26 Abb.1.

    [4] Froning 2002, 84 Abb. 83.

    [5] Grassinger – Scholl 2008, 107.

    [6]Lezzi-Hafter – Zindel 1991, 4-3; Schwarzmaier 2008, 90.

    [7]Athenaios, Deipnosophistai 14, 622 b-d;  Schwarzmaier 2008, 88 Abb. 6. 9. 10; Wrede 1926, 81 Abb. 1. 83 Abb. 2. 89 Abb. 4. 

    [8] Bieber 1961, 30 Abb. 109; Moraw 2002, 123 Abb. 157; Wamser-Krasznai 2018, 27 Abb. 3.

    [9] Mart. epigr. XIV. Apophoreta 176.

    [10] Übertragung: W. Wamser-Krasznai.

    [11] Wamser-Krasznai 2017, 166 Abb. 17.

    [12] Rose 2003, 341 f. ; Wamser-Krasznai 2017, 151 f.

    [13] s. auch unsere Abb. 1.

    [14] Fabbri 2019, 170.

  •             On Saturday, July the 4th 2009, by the celebration of the American Independence Day, the friend of mine from London, invited me to participate.  There, as a special guest, was Dr. William Davey (born 1942), a former Physician to The Queen.

             I have seen the invitation as an opportunity to present my stories to Dr. Davey with eventuality, he could write the preface of my future book. So, I invited him and the friend of mine for a lunch on Sunday the 5th. After the lunch, as he read some stories, he was delighted. When I announced to him, that my book should have a quotation of George Orwell, he wasn’t keen to make his comments. My hopes vanished.

    In the sixties of the last century, I have studied in London, so I asked him how is the ambiance in 2009.   Dr. Davey responded that, there are no traditionally English citizens to be seen in London, but mere immigrants and newcomers of Islamic religion. His comment was futuristic because from the Year 2016 was elected the London’s first Muslim mayor, Pakistani Sadiq Khan, re-elected in 2021. Because of these circumstances, Dr. Davey owned an appartement as a second residence at French Riviera.

    After the lunch by coffee time, I have asked Dr. Davey to explain, on behalf of being the physician of the Queen for fifteen years, if the title of MD had been sufficient to ensure this function. Dr. Davey denied. The Queen is the Supreme Governor of the Church of England, and is preferable that, her personal physician should have studied theology. Anyway, Dr. Davey has studied at the Trinity college in Cambridge, and has a Ph.D. in the theology. However, he explained that to cure the Queen, there is to be also a doctor specialized in homeopathy.

    Dr. Davey was first approached by a friend in 1978 who in turn was a close friend of the then current Physician to The Queen. The current physician to the Queen would be retiring, and that there was need of a replacement a doctor who specializes in homeopathy.

    At that time, he explained to me, he did not even know what homeopathy was. So, he was suggested to train in homeopathy and with the possibility of making himself available. He began a course at the Royal London Homeopathic Hospital (RLHH) in 1978. The Government recognized the Faculty of Homeopathy and he began a course to qualify as a Member of Faculty of Homeopathy MFHOM.  Dr. Davey narrated that, he already worked in orthodox research during previous years, and was startled to discover how totally unscientific the world of homeopathy was. There existed no working hypothesis for its modus operandi. The Hahnemannian postulate of serial dilutions and increasing effectiveness caused him intellectual indigestion, and was against fundamental laws of Physics. Further, Dr. Davey discovered that there was no uniformity in the manufacture of the potencies. There was no standard preparation, which became one of the main thrusts of his effort to bring homeopathy into the 20th century.

    In November 1985 he was involved with the Prince of Wales initiatives in the “Colloquia on Complementary Medicine” at the Royal Society of Medicine.

    After that, – Dr. Davey was appointed Physician to the Queen in 1986, which post he held until 2001, when he was forced to take early retirement on health grounds.

    Epilogue:
    After the meeting with Dr. Davey the email correspondence with him has shown that, he is very occupied and has no time to recension and to preface of the book.

    Dr. med. André Simon © Copyright

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Eine interessante Begegnung

    Am Samstag, dem 4. Juli 2009, lud mich ein Freund aus London ein, an der Feier des Amerikanischen Unabhängigkeitstages teilzunehmen. Dort war ein als besonderer Gast Dr. William Davey (geb.-1942) eingeladen, ein früherer Arzt der Königin.

    Ich habe die Einladung als Gelegenheit gesehen, Dr. Davey meine Geschichten zu zeigen mit der Möglichkeit, dass er das Vorwort für mein zukünftiges Buch schreibt. Deshalb lud ich ihn und meinen Freund zum Mittagessen am Sonntag, den 5. Juli ein. Als er nach dem Essen einige Geschichten las, freute er sich. Als ich ihm erklärte, dass mein Buch ein Zitat von George Orwell enthalten soll, war es ihm unwichtig, das zu kommentierten. Meine Hoffnungen schwanden.

    In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte ich in London studiert, also fragte ich ihn, wie die Stimmung 2009 sei. Dr. Davey antwortete, man sehe keine traditionellen englischen Bürger in London, sondern nur Einwanderer und Neulinge mit islamischer Religion. Seine Bemerkung war vorausschauend, denn ab dem Jahr 2016 wurde der erste moslemische Bürgermeister Londons gewählt, der Pakistaner Sadique Khan, der 2021 erneut gewählt wurde. Wegen dieser Umstände besaß Dr. Davey ein Appartement als zweiten Wohnsitz an der Französischen Riviera.

    Nach dem Mittagessen fragte ich Dr. Davey, weil er 15 Jahre lange der Arzt der Königin gewesen war, ob der Titel MD (Medical Doctor) für seine Funktion ausreichend gewesen sei. Dr. Davey verneinte. Die Königin ist das Oberhaupt der Kirche von England, und vorzugsweise sollte ihr persönlicher Arzt Theologie studiert haben. Jedenfalls hatte Dr. Davey am Trinity College in Cambridge studiert und trug den Titel Ph.D. in Theologie. Er erklärte jedoch, dass man, um die Königin heilen zu können, auch ein in Homöopathie spezialisierter Arzt sein müsse.

    Dr. Davey wurde zuerst 1978 von einem Freund angesprochen, der wiederum ein enger Freund des damaligen Arztes der Königin war. Der gegenwärtige Arzt der Königin wollte in Ruhestand gehen, und es war notwendig, ihn zu ersetzen durch einen  Arzt, der auf Homöopathie spezialisiert war.

    Zu dieser Zeit, erklärte er mir, wusste er nicht einmal, was Homöopathie war. Also schlug er vor, sich in Homöopathie zu üben mit der Möglichkeit, für das Amt zur Verfügung zu stehen. Er begann 1978 einen Kurs am Königlichen Homöopathischen Krankhaus London. Die Regierung anerkannte die Homöopathische Fakultät, und er begann einen Kurs, um sich als Mitglied der Homöopathischen Fakultät zu qualifizieren. Dr. Davey erzählte, dass er in den vorhergehenden Jahren schon in der schulmedizinischen Forschung gearbeitet hatte und war verblüfft zu entdecken, wie unwissenschaftlich die Welt der Homöopathie war. Es gab keine Arbeitshypothesen für ihre Vorgehensweisen. Die Forderung Hahnemanns bezüglich der Reihenverdünnungen und der steigenden Wirksamkeit konnte er schlecht intellektuell verdauen. Sie verstieß gegen grundsätzliche Gesetze der Physik. Außerdem entdeckte Dr. Davey, dass es keine Einheitlichkeit bei der Herstellung der Potenzen gab. Es gab keine Standardherstellung, was zu einer der hauptsächlichen Schubkräfte seiner Anstrengungen führte, die Homöopathie in das 20. Jahrhundert zu führen.

    Im November 1985 wurde er in die Initiativen des Prince of Wales einbezogen, in der Königlichen medizinischen Gesellschaft „Kolloquien über Komplementärmedizin“ abzuhalten. Danach wurde Dr.- Davey 1986 zum Arzt der Königin ernannt. Diesen Posten bekleidete er bis 2001, als er aus gesundheitlichen Gründen gezwungen war, frühzeitig in Ruhestand zu gehen.

    Nachwort:
    Nach dem Treffen mit Dr. Davey zeigte die E-Mail-Korrespondenz, dass er sehr beschäftigt war und keine Zeit hatte, einen Rezension oder ein Vorwort zu dem Buch zu schreiben.

  • The earliest presentations of Asklepios on coins and Hippocrates

    Zusammenfassung: Die frühesten Münzen mit Darstellung des Asklepios stammen aus der thessalischen Stadt Larissa und werden auf das 5. Jh. v. Chr. datiert. Sie können in fünf verschiedene Typen klassifiziert werden. Typ 1 zeigt Asklepios stehend. In der ausgestreckten rechten Hand hält er eine Schale, die er einer Schlange hinreicht, die sich aus hohem Gras oder Schilfrohr aufrichtet. Diese Darstellung ist singulär. Die anderen vier Typen stellen Büsten des Asklepios dar. Es können zwei verschiedene Darstellungen unterschieden werden: A. In der auch später üblichen kanonischen Weise mit vollem Haar und B. mit Haartracht und Gesichtszügen, wie sie sich sonst nicht in der Literatur finden. Die Zeit der Prägung der Münzen fällt in die Lebenszeit Hippokrates´, des bedeutendsten Arztes seiner Zeit, der wahrscheinlich Bürger Larissas war und bei Larissa begraben wurde. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass das Bildnis Hippokrates´ für die Darstellung des Asklepios Pate stand. Diese Hypothese wird durch den Vergleich von antiken Portraits des Hippokrates mit den Asklepiosmünzen aus Larissa sowie durch Entkräftung alternativer Erklärungsmodelle bestärkt.

    Schlagworte: Asklepios, Portrait, Larissa, Thessalien, Münzen, Hippokrates

    Summary: The earliest coins with presentations of Asklepios origin from the Thessalian city of Larissa and are dated into the 5th century BC. Five different types of coins are known. Type 1 shows Asklepios standing. In his outstretched right hand, he holds a patera, which he offers to a serpent erecting from high grass or reed. This presentation is singular. The other 4 types represent busts of Asklepios. Two different presentations can be discriminated:  A. the canonical mode which is common also in later times and B. with hairstyle and facial features not found elsewhere in literature. The time when the coins were minted was within the lifetime of Hippocrates, the most famous physician of his times, who probably was citizen of Larissa and was buried near to Larissa. It is hypothesized, that the portrait of Hippocrates was the inspiration for the depiction of Asklepios. The hypothesis is fortified by comparing ancient portraits of Hippocrates with the Asklepios coins from Larissa and by invalidation of other explanatory models.

    Key words: Asklepios, portrait, Larissa, Thessaly, coins, Hippocrates

    Die Obole des 5. Jh. v. Chr. aus Larissa in Thessalien erzählen Geschichten und weisen eine originelle Formgebung auf. So finden sich Motive wie die Sandale des Jason[1] oder die Ball spielende Quellnymphe Larissa (1). Ein Rätsel stellen die Darstellungen des Asklepios dar, deren Datierung von der Mitte des 5. Jh. bis 344 v.Chr. angegeben wird. Danach wurden über 300 Jahre keine Münzen des Asklepios mehr in Larissa geprägt (1, 2). Wie kam es zu diesen Darstellungen mit den frühesten des Asklepios überhaupt? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. 

    Thessalien gilt als Geburtsort des Asklepios und Ursprung des Asklepioskultes. Erst später wurde dieser Ursprung nach Epidauros verlegt und der Mythos entsprechend umgeschrieben (3, 4). In Trikka, ca. 60 km westlich von Larissa gelegen, stand nach Homer bzw. Strabo (5, 6) der älteste Tempel des Asklepios, es wird angenommen, dass der Kult dort bis mindestens bis auf das 7 Jh. v. Chr. zurückgeht (4). Die frühesten Münzen des Asklepios aus Trikka wurden allerdings deutlich später als die von Larissa geprägt (Ende des 4. Jh. v. Chr.) und weisen einen komplett anderen Typus auf, die ersten Münzen des Asklepios aus Epidauros wurden um 350 v. Chr. geprägt (1). Von Larissa ist in den antiken Schriften nichts über einen frühen Asklepioskult erwähnt. Was also verband Larissa mit Asklepios?

    Die Literatur und Quellenlage hierzu ist dürftig. Herrmann nennt zwei Typen von Silbermünzen des Asklepios (eine stehend, die andere eine Büste, Abb. 1 und 2) und gliedert sie anhand Münzfuß, vergleichender Studien und stilistischer Merkmale in Stufe III Gruppe F und G seiner Systematik (datiert 435-400 v. Chr.) ein (2). Überlegungen zu dem Motiv finden sich jedoch nicht. Münzen mit inkusem Quadrat wurden in Thessalien vor 400 v. Chr. geprägt (1, 2). Bernhard schreibt (in 7, S.16) zu den beiden Münzen: „Mitunter trägt der Gott einen sehr langen, vollen Bart, wie wir es auf zwei Silbermünzen von Larissa in Thessalien sehen.

    Pausanias erzählt uns einer auffallend langbärtigen Statue des Asklepios: 70 Stadien von Thitorea ist ein Tempel des Asklepios mit dem Namen Archagetas. Er genießt bei den Thitoreern und in gleichem Masse bei den anderen Phokern Verehrung; innerhalb des heiligen Bezirkes haben die Hilfesuchenden und die Sklaven des Gottes ihre Wohnungen; in der Mitte steht der Tempel und das Bild von Marmor mit einem wohl 2 Fuß langen Barte (Paus. X. 32,12)“. Weiterhin fügt er an (S.16): „Die auf Münzen abgebildeten Büsten und Ganzfiguren des Asklepios, sowohl des stehenden als des thronenden, sind wohl durchgehend Statuen oder Reliefs entnommen.“

    Anschließend (S.16,17) wird über die typischen Darstellungen des stehenden Asklepios ausgeführt: „Die Haltung ist ein ruhiges Dastehen, selten der Moment des Ausschreitens; der Kopf leicht vorgeneigt, die Füße sind meist beschuht.“ Nach Thraemer werden fünf verschiedene Typen des stehenden Asklepios geschildert.[2] Zur Illustration dienen Münzen aus römischer Zeit. Leider werden die Münzen aus Larissa von Bernhard fälschlich in das 4. Jh. v.Chr. datiert, und es wird dadurch übersehen, dass es sich um die frühesten Münzen des Asklepios handelt. Zudem wurde von ihm die Tatsache nicht gewürdigt, dass ein stehender Asklepios, der sich mit der linken Hand auf den langen Stock stützt und mit der rechten einer Schlange eine Schale hinreicht zu keinem der fünf Schemata passt. Auch sonst finden sich in der umfangreichen Darstellung zu Münzbildern des Asklepios bei ihm keine ähnlichen Darstellungen. Die früheste Darstellung des Asklepios ist tatsächlich singulär.

    Die besondere Stellung dieser Münze wurde dagegen von Hart erkannt: „History assigns Epidauros and Tricca as the original sites of Asclepian temple medicine. However, numismatic precedence goes to Larissa in Thessaly where a coin of 450-400 BC shows Asclepius feeding a serpent. This indicates that it was here that the medical cult first gained sufficient prominence to appear on coins, whereas Tricca portrayed the god of medicine in 400-344 BC and Epidauros in 370 BC. The Triccan and Epidaurean sanctuaries certainly existed before these dates, but Asclepios did not possess significant stature to appear on coins” (8, S.80). Auch Riethmüller (4) stellt in seinen umfangreichen Studien zu Asklepios fest, dass Tempel, Weiheinschriften und Statuen mit Bezug zu Asklepios aus früher Zeit in Thessalien weitgehend fehlen und den Obolen aus Larissa neben den wenigen schriftlichen Zeugnissen für den Nachweis eines frühen Asklepioskultes in Thessalien von entscheidender Bedeutung ist.

    Abbildung 1a

    Abbildung 1b         

    Abbildung 1a, b. Typ I der Münzen mit Darstellungen des Asklepios aus Larissa. Sie zeigt den Halbgott stehend nach rechts, bekleidet mit einem Himation, das rechte Bein etwas angewinkelt bzw. übergeschlagen. Mit der linken Hand stützt er sich auf einen langen Stock, das Symbol des freien Bürgers und des Wanderarztes. Mit der ausgestreckten rechten Hand reicht er eine Phiale einer Schlange. Die Schlange erhebt sich aus einem Feld von 5 nicht ganz parallelen vertikalen Linien (1a), die zumeist als Schilfgras bezeichnet werden (1b).[3] Die ganze Darstellung befindet sich in einem inkusen Quadrat. Der Kopf des Asklepios trägt einen Vollbart, die Haare sind am Scheitel glatt. Die Umschrift lautet ΛAPISA. Auf der Vorderseite ist ein nach rechts trabendes Pferd dargestellt, darüber ein 8-strahliger Stern und unter dem Pferd eine Pflanze mit zwei vom Boden beginnenden Blättern und einer Blüte auf einem sich gerade zwischen den Blättern erhebendem Stängel. 

    In Abb. 1 und 2 hat Asklepios keinen besonders auffallend langen Bart. Die Entfernung von 170 km (ca. 920 Stadien) zwischen Larissa und Tithorea und dass Phoker und nicht Thessalier angesprochen sind, sprechen zudem dagegen, dass sich das Pausanias-Zitat auf die frühen Asklepiosdarstellungen in Larissa beziehen können.

    Bei eingehender Recherche finden sich neben den genannten zwei Typen weitere drei unterscheidbare Typen von Asklepiosmünzen aus Larissa. Es ist erstaunlich, dass mehr als 50 Jahre vor Epidauros in Larissa eine ganze Serie von Münzen mit Darstellungen des Asklepios aufgelegt wurde. Von den insgesamt fünf Typen sind voerals Silbermünzen (Obole, genauer Trihemiobole), einer als Dichalkon (Bronzemünze) geprägt (1).

    A

    Abbildung 2a

    Abbildung 2b

    Abbildung 2a, b. Typ II der Münzen mit Darstellungen des Asklepios aus Larissa. Typ II, ebenfalls mit inkusem Quadrat und auf 430-400 v.Chr. datiert, zeigt die Büste des Asklepios (Kopf und einen Teil des Oberkörpers) im Profil nach rechts. Er ist mit einem Himation bekleidet, trägt einen Vollbart, das rechte Ohr ist frei, die Augen sind relativ schmal. Die Haare im Nacken sind nur leicht gewellt, das Scheitelhaar ist glatt. Er trägt einen Lorbeerkranz. Rechts vor ihm ringelt sich S- (1a) bzw. ᴤ- (1b) förmig aufgerichtet eine Schlange. Die Umschrift lautet ΛAPI(SA). Auf der Vorderseite ist ein Stierhuf auf einem Schild mit doppeltem Perlkranz dargestellt.[4] 

    Abbildung 3a.

    Abbildung 3b.

    Abbildung 3a, b. Typ III der Münzen mit Darstellungen des Asklepios aus Larissa. Typ III zeigt den Kopf und Teile des mit Himation bekleideten Oberkörpers des Asklepios im Profil nach rechts mit Vollbart, langem welligem Haar und Lorbeerkranz. Das Ohr ist vom Haar bedeckt, der Kopf ist im Verhältnis zur Münze größer als bei Typ II, entsprechend nimmt die Schlange rechts vom Kopf des Asklepios einen geringeren Raum ein und ist mehr gestreckt als bei Typ II. Die im Verhältnis größere Augenpartie, die niedrigere Stirn und die muskulöseren Oberarme unterscheiden sich darüber hinaus von Typ II. Typ III wird ebenfalls auf vor 400 v.Chr. datiert (inkuses Quadrat).

    Abbildung 4

    Abbildung 4. Typ IV der Münzen mit Darstellungen des Asklepios aus Larissa. Typ IV ist bisher erst mit drei Exemplaren belegt (9) und in der älteren Literatur nicht erwähnt (1). Er zeigt Kopf und gesamten, mit Himation bekleideten Oberkörper des Asklepios im Profil nach rechts mit Vollbart und langem, welligem Haar an den Schläfen und dem Hinterkopf. Das Ohr ist vom Haar bedeckt, das Scheitelhaar erscheint ähnlich wie bei Typ II. Der linke Unterarm ist angewinkelt, in der linken Hand hält er etwas, das als Strauß von Kräutern interpretiert wird, aber bisher mangels besser erhaltener Exemplare nicht genau identifiziert werden konnte. Eine Schlange ist nicht dargestellt. Die Vorderseite zeigt den Kopf der Nymphe Larissa nach rechts. Da die Münze kein inkuses Quadrat aufweist, wird sie nach 400 v.Chr. datiert (356-342 v.Chr.)(9).

    Abbildung 5a

    Abbildung 5b

    Abbildung 5a, b. Typ V der Münzen mit Darstellungen des Asklepios aus Larissa. Bei Typ V handelt es sich um eine Bronzemünze (Dichalkon). Sie zeigt den Kopf des Asklepios mit Vollbart und langem, welligem Haar im Profil nach rechts sowie den oberen Teil des Oberkörpers. Der Hals ist auf den meisten Exemplaren auffällig kurz. Das Ohr ist zumeist von Haar bedeckt, wie auf den anderen Darstellungen trägt er einen Lorbeerkranz. Von der Schlange ist nur der obere, nur leicht S-förmig gekrümmte Teil zu sehen. Die Vorderseite zeigt den Kopf der Nymphe Larissa nach links. Die Münze wird auf 400-344 v.Chr. datiert (1).

    Insgesamt unterscheidet sich Typ II von Typ III (und V) insofern, als die Haare weniger gewellt sind, das Ohr frei ist, der Lorbeerkranz anders gerichtet ist und die Augenpartie und die Stirn anders geformt sind. Typ III und V sind in Bezug auf das Porträt und die Schlange ähnlich, allerdings ist der Kopf von Typ III länger als bei Typ V und der Oberkörper wirkt bei Typ V, insbesondere im Vergleich zu Typ III, verkümmert. Typ IV fällt etwas aus dem Rahmen, da keine Schlange abgebildet ist, von der Büste des Asklepios her entspricht er eher Typ II. Spätere Münz-Darstellungen aus Epidauros und seinen Einflussgebieten in Kos und Pergamon zeigen das Porträt des Asklepios ähnlich Typ III (und V) ebenfalls bekränzt, mit lockigem Haar, großen Augen und deutlich unterschieden zu Typ II (Abbildung 6-7).

    Abbildung 6a

                                                                                                                                                        

    Abbildung 6b

    Abbildung 6a, b. AR Hemidrachmen aus Epidauros, ca. 250 v.Chr. Vorderseite mit belorbeertem Kopf des Asklepios nach links.

    Abbildung 7. AR Tetrobol aus Kos, 200-180/170 v.Chr. Vorderseite mit Kopf des Asklepios nach rechts. 

    In der Zeit der Prägung der Asklepiosmünzen von Larissa lebte der bedeutendste Arzt seiner Zeit, Hippokrates. Seine Lebenszeit wird von ca. 460-370 v.Chr. angenommen (10). Er ist in Kos aufgewachsen und wurde von seinem Vater als Arzt ausgebildet.  Wahrscheinlich um 420 v.Chr. verließ er Kos dauerhaft (11). Ziel war Thessalien, das Ursprungsgebiet des Asklepios und Geschlechtes von Ärzten, die sich als Nachfahren des Asklepios ansahen. Hippokrates verstand sich als ein solcher Asklepiade, d.h. direkter Nachfahre des Asklepios (11, 12). Seine Söhne Thessalos(!) und Drakon begleiteten ihn. Er wirkte in Nordgriechenland als Wanderarzt an zahlreichen Orten und wurde wahrscheinlich Bürger Larissas, wo er im Alter von ca. 90 Jahren starb. Auf seinem Grabmal, etwas nördlich von Larissa gelegen, befand sich folgende Inschrift:

    „Der Thessaler Hippokrates, Koer von Herkunft, ruht hier,
    aus der Wurzel des unsterblichen Phoibos hervorgegangen.
    Zahlreiche Krankheiten hat er bezwungen mit den Waffen der Hygieia.
    Ruhm hat er bei vielen erlangt, nicht durch Glück, sondern durch seine Kunst“(13)

    Aus dieser Inschrift, wie auch aus Erwähnungen bei Platon und Aristoteles (11, 12), dürfte als sicher gelten, dass er bereits zu Lebzeiten der bedeutendste Arzt seiner Zeit war. Schon als er Kos verließ war er weithin bekannt und Chef des Arztadels von Kos (11). Hieraus lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit schlussfolgern, dass sein Wirken in Larissa Auswirkungen auf die Stadt hatte und ihr selbst zu Bekanntheit, wenn nicht gar Ruhm verhalf. Um Bürger einer thessalischen Stadt zu werden („Der Thessalier Hippokrates…“) musste er mehrere Jahre dort gelebt haben. In Larissa, so darf man annehmen, traf er auf eine seit mehreren hundert Jahren mehr oder weniger lebendige Asklepios-Tradition.

    Es sei daher die Hypothese aufgestellt, dass die frühesten Münzen des Asklepios mit dem Wirken des Hippokrates in Larissa zusammenhängen. Es kann vermutet werden, dass die Anwesenheit Hippokrates die vorbestehende Asklepios-Tradition beflügelt hat und ihr mit der Prägung von Asklepios-Münzen ein starkes Zeichen gesetzt werden konnte.  Für die Hypothese sprechen:

    1. der zeitliche Zusammenhang: Die Prägung der Typen I, II und III fielen mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit in die Lebenszeit des Hippokrates. Wenn die Angabe stimmt, dass er ca. 420 v. Chr. Kos verlassen hat (10) war er bei Ankunft in Thessalien ca. 40 Jahre alt. Die Prägung der Typen I, II und III fällt in diese Zeit. Die späteren Typen IV und V fielen sehr wahrscheinlich ebenfalls in seine Lebenszeit oder in die Zeit wenige Jahre nach seinem Tode. Später wurden über Jahrhunderte keine Münzen des Asklepios mehr in Larissa geprägt. 
    2. Die Bedeutung des Hippokrates schon in damaliger Zeit, bereits um 420 v. Chr. war er ein berühmter Arzt.[5]
    3. Fehlende andere Erklärungen, insbesondere keine die Zeiten überdauernden schon vorherigen Zeugnisse eines starken Asklepioskultes (Tempel, schriftliche Zeugnisse, Kultbild, etc.

    Auch Riethmüller sieht einen möglichen Zusammenhang zwischen dem langjährigen Aufenthalt des Arztes und Asklepiaden Hippokrates in Larissa wird und dem dortigen Asklepioskult (4, Band II, S. 304-305), allerdings ohne näher darauf einzugehen.  Münzbilder stellten im antiken Griechenland für die Städte eine wichtige Visitenkarte dar. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Themen auf Münzen nicht beliebig, sondern mit wesentlichen jeweiligen Charakteristika tief verbunden waren. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie die Motivgestaltung auf den Asklepiosmünzen von Larissa verstanden werden kann.

    Woher waren auf den griechischen Münzen die Darstellungen von Göttern, Halbgöttern, Nymphen etc. inspiriert? Häufig orientierten sie sich an bekannten Kultbildern, die quasi einen Idealtypus darstellten, so z.B. die in römischer Zeit auf Münzen typische Darstellung des Aesculap mit der sich an einem Stab emporwindendenden Schlange, die in römischen Kopien von Statuen des Asklepios aus dem 5. Jh. v.Chr. überliefert sind (14)(Abbildung 8).

    Andererseits hatten die Stempelschneider auch künstlerische Freiheiten und dürften sich, wie auch später in der bildenden Kunst, menschlicher Modelle für ihre Motive bedient haben.

    Abbildung 8. Marmorstatue des Asklepios. Römische Kopie nach einem griechischen Original des 5 Jh. v.Chr.

    Typ I und II der Asklepiosmünzen aus Larissa erscheinen miteinander verwandt, insofern die Darstellung des Kopfes mit längerem Vollbart und glattem Scheitel ähnlich sind. Typ II wirkt wie ein Ausschnitt von Typ I, indem nur Kopf und Oberkörper des Asklepios sowie die Schlange gezeigt sind, das Schilfgras aus dem die Schlange kommt, der Stab auf den sich Asklepios stützt und die Interaktion, das Hinreichen einer Phiale (zur Fütterung?) zu der Schlange, werden bei Typ II weggelassen. Insofern bietet Typ I möglicherweise das szenische Bild, die Hintergrundserklärung für Typ II und man könnte annehmen, dass die beiden Typen programmatisch zusammengehören. Für den kundigen Zeitgenossen dürfte die szenische, interaktive „Geschichte“ auch wenn nur Kopf und Oberkörper des Asklepios sowie die Schlange zu sehen waren, klar gewesen sein.

    Die Darstellung von Typ I ist, wie bereits erwähnt, singulär und findet sich nach eingehender Recherche (15, 16) sonst nicht Münzen, auf Weihe- oder Grabreliefs oder Statuen. Auch Riethmüller (4, Band I S. 96) schreibt, dass die Darstellung des stehenden Asklepios aus Larissa (Abbildung 1) beispiellos ist und weder auf Münzen noch in Relief- oder Rundskulptur Parallelen hat. Dass sie einem nicht mehr vorhandenen bzw. in keiner Kopie erhaltenen Kultbild entstammt ist nach meiner Ansicht eher unwahrscheinlich, da ein solch auffälliges Kultbild oder ein Tempel der ein solches Kultbild enthält, von den antiken Schriftstellern erwähnt worden wäre aber auch dadurch, dass eine räumlich so komplexe Szene (stehender Asklepios, langer Arm zur Schlange, Schilfgras) sich schlecht für ein Kultbild eignet. Aus Trikka, wo der wohl älteste Tempel des Asklepios stand, sind Münzen eines wiederum anderen Typs bekannt, die vom Ende des 4 Jh. v.Chr. stammen (Abbildung 9) und ebenfalls singulär sind (4). Hier ist Asklepios auf einem Stuhl sitzend, die aufgerichtete Schlange mit einem Vogel fütternd, dargestellt, möglicherweise das Motiv des Kultbildes aus dem frühesten Tempel (4). Für die bekannten Münzen des Asklepios aus Epidauros (Abbildung 10) ist nachgewiesen, dass es sich um die Darstellung eines Kultbildes handelt. Interessant ist, dass das Prinzip der Interaktion, Asklepios nährt die Schlange, bei Typ I von Larissa und der Asklepiosmünze von Trikka, dasselbe ist. Das nährende Prinzip geht ja später auf Hygieia über, während Asklepios vielmehr als Beherrscher der Schlangenkräfte (Schlange windet sich an seinem Stab empor) dargestellt wird.

    Abbildung 9. Trichalkon aus Trikka vom Ende des 4. – Anfang 3. Jh. v. Chr. Kopf der Nymphe Trikke nach rechts / Asklepios nach rechts sitzend, füttert Schlange mit einem Vogel.

    Wenn die gängigen Interpretationen der Schlange als chtonisches Weisheitssymbol zutreffen (17), könnte die Szene auf Typ I folgendermaßen interpretiert werden: Der göttliche Arzt, Mensch (Darstellung mit dem Stock des Bürgers) und sterbliche Halbgott verbindet sich pflegend, nährend mit den Kräften der Erdweisheit, die in Form der Schlange aus dem Element des Feuchten, schwer Durchdringlichen (Schilfgras) emporsteigt. Die Schlange kann Krankheit hervorrufen, sich mit der Schlange verbinden kann helfen Krankheit zu überwinden und Erkenntnis der Heilung bringen. Solch ein Sinnbild wäre wohl auch mit dem Weltbild eines Asklepiaden vereinbar, der eine „göttliche Krankheit“ nicht anerkennen kann (18) aber durchaus in seinen Schriften einen tiefen Bezug zum Wirken des Göttlichen im Menschen und der Natur erkennen lässt. Ob Hippokrates am Entwurf der Münzbilder von Typ I und II beteiligt war, lässt sich natürlich nicht zweifelsfrei nachweisen. Es gibt allerdings auch keinen triftigen Grund, der dagegenspräche und somit kann der Zusammenhang der frühesten Münzen des Asklepios mit Hippokrates mit gewisser Wahrscheinlichkeit behauptet werden.  

    Abbildung 10. Drachme aus Epidauros um 250v.Chr. mit Darstellung des Kopfes Apollons (Vater des Asklepios) mit Lorbeerkranz und dem nach links thronenden Asklepios der die Hand über den Kopf einer sich frei empor ringelnden Schlange hält. Unter dem Thron liegt ein Hund (typisch für Epidauros, da der Hund dort in der Asklepiosmythologie eine wichtige Rolle als Entdecker des Asklepioskindes spielte. Die Darstellung auf dieser Münze gilt als Nachbildung der berühmten Asklepiosstatue des Thrasymedes (7).

    Auffällig ist, dass die frühesten Münzen des Asklepios aus Larissa zwei deutlich unterschiedliche Portraits (Typ II und Typ III bzw. V) zeigen. Typ III bzw. V entsprechen eher dem „typischen“, dem Zeus ähnlichen Bildnis des Asklepios mit langem, vollem Haar, wie es auf zahlreichen Kultstatuen überliefert ist (vgl. Abb. 6-8).[6] Typ II weicht von diesem Stil deutlich ab.

    Könnte das Bildnis Hippokrates´ für diesen Typ II Pate gestanden haben? Portraits auf Münzen setzten sich im Verlauf der griechischen Geschichte erst allmählich in hellenistischer Zeit durch (19), menschliche Portraits für Götterfiguren galten als Blasphemie. Allerdings war Asklepios kein Gott in vollem Sinne, sondern sterblicher Halbgott, bei Typ I ist er mit dem Stock als typischem Attribut des griechischen Bürgers dargestellt. Am Übergang vom 5. zum 4. Jh.v.Chr. wurden erstmals individuelle Portraits von herausragenden Persönlichkeiten wie Sokrates und Platon in Stein angefertigt (19). Auch Portraits auf Münzen wurden schon aus dem 5. Jh.v.Chr. vermutet, lassen sich allerdings nicht genau nachweisen.[7] Es wäre für die Zeitumstände somit zwar ungewöhnlich aber nicht völlig ausgeschlossen, dass ein Portrait mit individuellen Zügen auf einer Münze vorkommt. Es hat zudem eine gewisse Logik anzunehmen, dass die Züge des Asklepios zumindest eine Ähnlichkeit mit denen des berühmten Bürgers der Stadt und als Asklepiade Nachfahre des Halbgottes tragen sollten. Von Hippokrates gibt es verschiedene erhaltene Portraits, die allerdings erst nach seinem Tode in hellenistischer Zeit angefertigt wurden und in römischer Zeit kopiert wurden (Abbildung 11, 12), sie sind dadurch nur beschränkt aussagekräftig.

    Abbildung 11. Römische Kopie eines Bildnisses des Hippokrates aus hellenistischer Zeit. Darunter Ausschnitt von Typ II aus Abbildung 2.

    Abbildung 12. Kopie der als echt angesehenen Hippokratesbüste aus Ostia. Nase und Teile des rechten Ohres sind restauriert (20)

    Darstellungen des Hippokrates zu seiner Lebenszeit sind bisher nicht bekannt. Die längliche Kopfform, die vom Nasensattel nach lateral ansteigenden Augenbrauen, Nase, Mund und Augenpartie und der glatte Scheitel in Abbildung 11 und 12 sind gut vereinbar mit Typ II aus Larissa, Bart und Haartracht sind allerdings unterschiedlich.

    Eine Münze aus Kos, die das Bildnis des Hippokrates trägt, was an der Umschrift ersichtlich ist, stammt von der 2. Hälfte des 1. Jh.n.Chr. also mehr als 500 Jahren nach seinem Tod (Abbildung 13). Sie ist allerdings wohl auch nach einem Bildnis aus hellenistischer Zeit angefertigt (21). Kopfform und einige Details (Ohr frei, Haaransatz an der Stirn, Haare am Scheitel glatt) passen gut zur Darstellung von Typ II.

    Abbildung 13. Bronzemünze von Kos aus der römischen Kaiserzeit. Vorderseite mit Kopf des Hippokrates nach rechts, schlangenumwundener Stab rechts, Legende: III „HIP[POKRATES]“. Rückseite Schlangenstab. Legende: KOION. BMC Caria and Islands: 216, no. 216, Tafel XXXIII, 7

    Zur etwa selben Zeit wurde in Kos auch eine Münze des Asklepios geprägt (Abbildung 14). Sie zeigt ihn mit gelockten, vollen Haaren, die das Ohr bedecken. Diese Darstellung entspricht mehr dem Typ III bzw. V aus Larissa.

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    Abbildung 14. Bronzemünze von Kos aus der Kaiserzeit. Vorderseite mit belorbeertem Kopf
    des Asklepios nach rechts, Schlangenstab rechts. Legende: ‚ASKLEPIOS‘. Rückseite mit verschleierter, sitzender weiblicher Figur, die das Kinn in die rechte Hand stützt und nach links blickt. Legende: KOION. BMC Caria and Islands: 214, no. 204, Tafel XXXIII, 7.

    Auch politisch war Hippokrates nach aller Wahrscheinlichkeit gut vernetzt, schon von Kos aus sollen gute Beziehungen zum Königshaus von Makedonien bestanden haben. Der Legende nach soll er den Makedonenkönig Perdikkas II (gestorben 413 v. Chr.) geheilt haben. Vom 5. Jh. v. Chr. bis zum Ende der Selbständigkeit 344 v. Chr. herrschten die Aleuaden in Larissa und der Umgebung der Stadt. Während der Perserkriege kämpften Teile der Familie auf Seiten der Perser. Sie wurden daher von den Persern und später von den Makedoniern protegiert und blieben mit deren Hilfe an der Macht (22). 344 v.Chr. wurde Thessalien dann allerdings dem Makedonenreich angegliedert und die eigenständige Münzprägung hörte auf.

    Auch wenn Portraits auf Münzen im ausgehenden 5 Jh.v.Chr. noch nicht Usus waren, sprechen doch einige Gründe dafür, dass Typ II der Asklepiosdarstellungen von Larissa vom Aussehen des Hippokrates inspiriert waren und wir damit die früheste zumindest dem Hippokrates ähnliche Abbildung vor uns haben.

    1. Typ II unterscheidet sich deutlich von den typischen Asklepiosdarstellungen auf Kultstatuen, den Münztypen III und V sowie von späteren Münzen.
    2. Typ II hat Ähnlichkeit mit Darstellungen des Hippokrates auf römischen Büsten und Münzen nach Kopien aus hellenistischer Zeit.
    3. Hippokrates war Asklepiade und zur Zeit der Prägung von Typ II ein sehr bedeutender Arzt, der in Thessalien wirkte.
    4. Hippokrates war auch politisch gut vernetzt.

    Die namentliche Nennung wie auf der Münze mit Darstellung des Hippokrates aus der römischen Kaiserzeit (Abbildung 13) ist im 5. Jh. v. Chr. nicht zu erwarten, die Bilder sprachen für sich, nur die Städtenamen wurden angegeben. Dass weitgehend zeitgleich zwei unterschiedliche Typen des Asklepiosportraits in Larissa geprägt wurden, könnte damit erklärt werden, dass Typ III und V kanonisch waren, d.h. den schon damals vorhandenen Kultstatuen des Gottes entsprachen und Typ II auf die lokale Besonderheit, eben die Bedeutung Hippokrates` für Larissa, zurückzuführen sind.

    Dass die Forschung diesen zugegeben etwas spekulativen Zusammenhang bisher nicht aufgegriffen hat könnte u.a. daran liegen, dass die frühesten Münzen des Asklepios aus Larissa selten (23) wenig spektakulär und zumeist nur mäßig erhalten sind und daher teilweise übersehen wurden. So wird Typ II in einer ansonsten guten Übersichtsarbeit über Darstellungen des Asklepios und medizinischen Themen auf antiken Münzen nicht erwähnt (8). Die Seltenheit könnte auch dafür sprechen, dass die Münzen nur für kurze Zeit geprägt wurden. Die besondere Konstellation mit dem Sujet eines sterblichen, aus Thessalien stammenden Halbgottes und der Anwesenheit eines göttlichen, d.h. aus „der Wurzel des unsterblichen Phoibos hervorgegangenen“ Arztes in der Stadt Larissa mag dazu geführt haben, die Verschmelzung der beiden zu wagen.

    Literatur

    1. Head, Barclay: Historia Numorum. A Manual of Greek Numismatics. Thessaly, 290-295. Oxford At The Clarendon Press, 1911. Zugriff unter http://snible.org/coins/hn/

    2. Herrmann, Fritz: Die Silbermünzen von Larissa in Thessalien. Zeitschrift für Numismatik, XXXV (1925), 1-69 sowie 8 Tafeln

    3. Aston, Emma: Asclepius and the Legacy of Thessaly.  The Classical Quarterly 2, Vol. 54/1 (2004), 18-32.

    4. Riethmüller, Jürgen W. Asklepios, Heiligtümer und Kulte. Band I und II. Verlag Archäologie und Geschichte Heidelberg, 2005

    5. Homer: Ilias. II Gesang, Verse 729-733.

    6. Strabo: Geographica. XIV 1,39.

    7. Bernhard Oskar. Griechische und römische Münzbilder in ihren Beziehungen zur Geschichte der Medizin. Verlag Orell Füssli, Zürich, 1926

    8. Hart, Gerald: Ancient coins and medicine. Canadian Medical Association Journal 94 (1966), 77-89.

    9. Classical Numismatic Group, LLC: Auktion Triton XV vom 03.01.2012; Los 276. https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=198897

    10. Kudlien, Fridolf: Hippokrates von Kos. In: Ziegler, Konrat; Sontheimer, Walther (Hrsgg.): Der kleine Pauly 2, 1169. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1979.

    11. Brockmann, Christian: Hippokrates: Seine Orte, seine Wissenschaft. Gegenworte 16 (2006), 78-83. https://edoc.bbaw.de/files/1255/17_brockmann.pdf

    12. Platon: Protagoras 311

    13. Anthologia Graeca VII 135. übersetzt In: Flashar, Hellmut: Hippokrates, Meister der Heilkunst. C.H. Beck (2016), 29.

    14. Eckart, Wolfgang: Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. (Kapitel 1, 6). Springer, 8. Aufl. 2017

    15. Digital LIMC, eingesehen unter https://weblimc.org/page/home/Asklepios

    16. Weisser, Bernhard. Asklepios auf antiken Münzen in Epidauros, Athen und Pergamon. In: Wunderheilungen der Antike: von Asklepios zu Felix Medicus; Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Humbildt-Universität zu Berlin und des Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité; Tomas Lehmann (Hrsg). Oberhausen Athena (2006); 62-81

    17. Keréni, Karl: Der göttliche Arzt. Studien über Asklepios und seine Kultstätten. Hermann Gentner Verlag Darmstadt 1956

    18. Flashar, Helmut. Hippokrates Meister der Heilkunst. C.H.Beck 2016

    19. Pangerl, Andreas: 400 Years of Hellenistic Portraits. In: Pangerl, Andreas (Hrsg.): 400 Years of Hellenistic Portraits. Verlag Staatliche Münzsammlung München 2020

    20. Richter Gisela MA. The Portraits of the Greeks. Phaidon Press LTD London (1965) Volume 1;151-154.

    21. Petsalis-Diomidis, Alexia: Truly Beyond Wonders: Aelius Aristides and the cult of Asklepios. Oxford University Press 2010

    22. Mansel, Arif Müfid: Larisa. In: Ziegler, Konrat; Sontheimer, Walther (Hrsgg.): Der kleine Pauly 3, Deutscher Taschenbuch Verlag, München (1979); 499-501

    23. Classical Numismatic Group, LLC. Auktion Triton XIV vom 03.01.2011; Los 105.  https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=175209.

    Abbildungsnachweise

    Abbildung 1a. Gorny und Mosch, Auktion 244 Münzen der Antike vom 06.03.2017, Los 233.

    Abbildung 1b. Classical Numismatic Group, LLC. Auktion Nomos 3&4 vom 09.05.2011; Los 1116.  https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=182485

    Abbildung 2a. Classical Numismatic Group, LLC. Auktion Triton XIV vom 03.01.2011; Los 105.  https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=175209

    Abbildung 2b. Classical Numismatic Group, LLC. Auktion 211 vom 25.09.2013; Los 138. https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=242628

    Abbildung 3a. Classical Numismatic Group, LLC. Auktion Nomos 3&4 vom 09.05.2011; Los 1120.  https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=182485

    Abbildung 3b. Classical Numismatic Group, LLC. Auktion 96 vom 14.05.2014; Los 186. https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=256056

    Abbildung 4.Classical Numismatic Group, LLC. Auktion Triton XV vom 03.01.2012; Los 276. https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=198897

    Abbildung 5a. Classical Numismatic Group, LLC. Auktion Nomos 3&4 vom 09.05.2011; Los 1164.  https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=182529

    Abbildung 5b. Classical Numismatic Group, LLC. Electronic Auction 413 vom 31.01.2018; Los 32. https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=352889

    Abbildung 6a. Classical Numismatic Group, LLC. Auction 78 vom 14.05.2008; Los 719. https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=121290

    Abbildung 6b. Classical Numismatic Group, LLC. Auction 75 vom 23.05.2007; Los 320. https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=103228

    Abbildung 7. Classical Numismatic Group, LLC. Electronic Auction 417 vom 28.03.2018; Los 256. https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=356297

    Abbildung 8. Museo Chiaramonti, Vatikan, Inventarnummer 2023. Vom Vicolo dei Leutari in Rom, gefunden 1783. Aus https://de.wikipedia.org/wiki/Epidauros#/media/Datei:Asklepios_Leutari_Chiaramonti_Inv2023.jpg.

    Abbildung 9. Classical Numismatic Group, LLC. Electronic Auction 393 vom 15.03.2017; Los 54. https://cngcoins.com/Coin.aspx?CoinID=331119

    Abbildung 10. Gorny und Mosch, Auktion 276 Münzen der Antike vom 19.04.2021, Los 150.

    Abbildung 11. Louvre, Paris.

    Abbildung 12. Fotografiert aus Richter Gisela MA. The Portraits of the Greeks. Volume 1 Figure 864. Phaidon Press LTD London 1965

    Abbildung 13. Fotografiert aus Petsalis-Dionidis A. Truly beyond Wonders. Aelius Aristides and the cult of Asklepios. Oxford University Press 2010

    Abbildung 14. Fotografiert aus Petsalis-Dionidis A. Truly beyond Wonders. Aelius Aristides and the cult of Asklepios. Oxford University Press 2010


    [1] Erinnernd an den Verlust einer Sandale als der Held den Fluss Anaurus querte.

    [2]  Nach Eduard Thraemer: Asklepios 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band II,2, Stuttgart 1896, 1642–1697. „Schema I: Der Körper stützt sich mit der rechten Achsel auf den langen Stab, die Linke ist in die Seite gestemmt und meist verhüllt. Schema II: Die rechte Hand hält den kurzen Stab. Schema III: Der lange Stab ist unter die linke Achsel gestemmt, der linke Unterarm tritt stets aus dem Gewand hervor. Schema IV: Die linke Hand auf dem kurzen Stab. Schemata I-IV zeigen A. in affektloser Ruhe. Schema V zeigt A. als Mitleid fühlender und zugleich auf Abhilfe sinnende dem (zu ergänzenden) Bittsteller zugeneigte Gestalt. Die Schemata I-IV entsprechen der älteren attischen Kunst, während das Ideal des milden, mitfühlenden Arztgottes auf die jüngere attische Schule zurückzuführen ist“

    [3] Nach thessalischem Mythos badete Korona, die Mutter Asklepios`, die Füße im Boibe-See in der flachen ostthessalischen Ebene als sich Apollon ihr näherte (nach 4). Dias Schilfgras würde zu diesem Mythos passen.

    [4] Die Darstellung des Stierhufs im Zusammenhang mit Asklepios ist noch nicht ganz geklärt. Wahrscheinlich besteht er durch die Opferschau bzw. veterinärmedizinische Aufgaben. Auf einer Münze aus römischer Zeit (Severus Alexander, Mysien, Parium, 222-235 n.Chr.) ist Asklepius sitzend dargestellt, wie er den Huf eines Stieres untersucht (Parium Mionnet Supp. 5, 769). 

    [5] König Atarxerxes I von Persien (464-424 v.Chr.) ließ angeblich Hippokrates auffordern zur Behandlung einer Seuche nach Persien zu kommen, was dieser allerdings ablehnte. Dies wäre ein weiterer Beleg dafür, dass Hippokrates bereits vor seinem 40. Lebensjahr für seine Fähigkeiten weit bekannt war. Vgl. Brockmann C. Hippokrates: Seine Orte, seine Wissenschaft. Gegenworte 2006; 16:78-83.

    [6] Bernhard (7, S. 14) beschreibt den gewöhnlichen Idealtypus des Gottes als „einen Mann auf reifer Lebensstufe. Sein Kopf ist dem Zeus ähnlich, nur ist alles in Mildere gestimmt, der Ausdruck ist gütiger, das Haupthaar weniger aufstrebend, die Lockenbildung zierlicher, der Bart im ganzen weniger voll…Als Kopfschmuck trägt der Gott eine glatte oder auch eine gedrehte, diademähnliche Binde, das Theristrion, seltener ist er mit dem Lorbeerkranz geschmückt“.

    [7] Themistokles bzw. sein Sohn Archepolis aus Münzen von Magnesia am Mäander (siehe 19)

  • Tiefe

    (18.8.2021)

    Voller Stolz zeigen sie mir
    die Bestätigung ihrer Impfung
    faseln fröhlich
    von den wieder erlangten Freiheiten
    und beweisen bedauerlich
    die Tiefe ihrer Oberflächlichkeit

  • Heyne-Verlag, ISBN 978-3-453-20738-7, 18€, 284 Seiten

    Ein Chirurg (altgriech. Handwerk, Handarbeit) schreibt ein sehr gutes populärwissenschaftliches Buch. – Das ist der erste Satz, der mir bei der Charakterisierung dieses Buchs wichtig erscheint. Er ist auffallend und bemerkenswert, weil es wenige Chirurgen gibt, die gut lesbare und sehr informative Bücher für Nichtwissenschaftler schreiben. Da sind Allgemeinärzte, Kinderärzte, Neurologen, Internisten und Psychiater sehr viel literaturaffiner und schreibfreudiger.

    Ein weiterer Gesichtspunkt, der dieses Buch so lesenswert macht, ist Schäffers pragmatischer und im Praxisalltag so wichtiger Ansatz, auf die psychosomatische Sprache unserer Patienten zu achten. Wenn wir Ärzte ihnen regelmäßig in der Sprechstunde aufmerksam zuhören, erhalten wir durch diese umgangssprachlichen Formulierungen wertvolle Hinweise auf die psychosozialen Hintergründe, die unsere Patienten zu ihren Beschwerden und letztlich zu uns führen. Es wird deutlich, wie sehr der Verdauungstrakt symbolisiert, was wir im übertragenen Sinn im Leben alles zu verdauen haben, was uns reizt, bläht und umtreibt, was uns schwer im Magen liegt, wenn es nicht mehr weitergeht oder wenn wir Schiss haben. Wenn uns die Galle überläuft, weil uns eine Laus über die Leber gelaufen ist, werden wir sauer, und es stößt uns sauer auf.

    Der erfahrene Chirurgie-Professor gliedert sein umfangreiches Buch deshalb logischerweise anhand typischer Alltagsfragen aus der Praxis. Ein paar Beispiele: Was treibt den Magen an? Vom Sodbrennen und verrutschten Magen. Kann der Magen ausleiern? Kann der Magen platzen? Geht Liebe durch den Magen? Wenn der Magen das Sagen hat und durch die Galle zu uns spricht. Magengeschwüre, Magenkrebs und Magentherapien. Und die Frage Wie näht man Butter? macht neugierig auf das Kapitel über die Bauchspeicheldrüse! Vom Magenknurren, Schluckauf und saurem Hering. In dem Kapitel Rettung vor Rundungen? Hilft die Magen-OP? bespricht Schäffer die neue chirurgische Disziplin der bariatrischen Chirurgie, die Übergewichtigen Hilfe zur Gewichtsreduktion verschaffen soll.

    Natürlich spielen Essen und Trinken eine große Rolle in diesem Buch. Schäffer erklärt wichtige und oft unbekannte Fakten, räumt mit typischen Irrtümern auf und gibt wertvolle praktische Tipps für genussvolle, gesunde und bewusste Ernährung. Er ist ehrlich dabei, denn er gesteht schmunzelnd seine Schwäche, in der Hektik des Klinikalltags Gummibärchen zu naschen.

    Viele dramatische Geschichten aus der Klinik, die spannend geschildert werden, zeigen den authentischen Praxisbezug des Buchs und das erzählerische Geschick des Autors.

    Schäffer gibt Antworten auf die Fragen und Konflikte in leicht verstehbarer Sprache. So stelle ich mir vor, dass er in der Sprechstunde seinen Patienten antwortet – sachlich korrekt, wissenschaftlich auf neuestem Stand, sehr informativ und abwägend. Er spricht erfahren, lebensklug und humorvoll mit den Menschen. Wir können ihm beim Lesen zuhören. Hier zeigt sich, dass er auf die zwischenmenschlichen Dinge ebenso achtet wie auf sein hoch spezialisiertes operatives Handwerk. Dieses Buch ist nicht nur für flüssig zu lesen; man kann auch als Arzt einiges daraus lernen.

    Was ist der Unterschied zwischen einem Mediziner und einem Arzt? Ein Mediziner behandelt einen Magenkrebs. Ein Arzt behandelt einen Menschen, der an Magenkrebs leidet.

    Prof. Michael Schäffer ist ein Arzt, der sein Handwerk (im wörtlichen und besten wertschätzenden Sinn gemeint) menschenwürdig ausübt – und überzeugend und unterhaltend darüber schreibt.

    Dr. med. Dietrich Weller, Präsident Bundesverband Deutscher Schriftstellerärzte

  •    Die Inkubation, Heilschlaf, griechisch Enkoimesis, ist eine tragende Säule in der Medizin des antiken Hellas. Der Hilfesuchende hofft auf nächtliche Traumgesichte, in denen ihm die Gottheit erscheint und ihn in den  Möglichkeiten zur Linderung der Leibes- und Seelennöte unterweist.

    Dafür muss sich der Patient gründlich vorbereiten, Enthaltsamkeit üben,  kultische Waschungen vornehmen und natürlich Opfer bringen (De Abstinentia II 19, zit. nach Krug 1985, 130). Beim Kommen und Gehen sind Gebühren in einen Tresor, Thesauros, zu entrichten, adressiert z. B.  an Asklepios und Apollon bzw. deren Priester.

        Aufschlussreich für die Gepflogenheiten der Letzteren ist ein Bericht in  Aristophanes‘ Komödie „Plutos“. Nachdem dieser im Meer gebadet hat, begibt er sich mit seinen Begleitern in den heiligen Bezirk des Asklepieions von Athen[1], wo die Opfer, Honigkuchen und anderes Backwerk, am Altar deponiert werden. Dann legt er sich mit seinen Begleitern dort in der Nähe nieder. Sie werden von den Tempelaufsehern, die das Licht löschen, zur Ruhe aufgefordert. Doch statt zu schlafen beobachten sie, wie der Priester alle nahrhaften Gaben einsammelt und in seinen Sack steckt[2]. Diese einträgliche Gewohnheit ging nach der Einführung des Christentums natürlich nicht verloren. Der Bischof Tychon aus Zypern berichtet im 5. Jh. u. Z., dass die Eltern eines taubstummen Knaben Tage und Stunden in der Kirche eines Heiligen verbrachten, „auf dem Boden schliefen, fasteten und Tränen vergossen“ (Chr. Markschies, Heil und Heilung in der Spätantike, in: Wunderheilungen in der Antike. Von Asklepios zu Felix Medicus, Oberhausen 2006, 17-23). Auch die Opferpraxis ist ungebrochen, denken wir nur an Goethes Mephisto im Faust:

    die Kirche hat einen guten Magen, hat ganze Länder aufgefressen
    und doch sich niemals übergessen.
    Die Kirch` allein, ihr guten Fraun,
    kann ungerechtes Gut verdaun.

        Während des rituellen Mahles im Heiligtum werden die geopferten Tiere, oft sind es Widder, verzehrt. Das Fleisch darf den heiligen Bezirk nicht verlassen. Auch Votivgaben wie Statuen, Reliefs und kleine Figuren aus Bronze oder Terrakotta verbleiben als immerwährendes Eigentum der Gottheit im Heiligtum (Strabon 8 6, 15; 14 2, 19; Plin. n. 29, 4).

        Wie aus den antiken Schriften hervorgeht, legten sich die Bittflehenden zum Heilschlaf auf den Boden, der höchstens von einer Strohmatte oder einem Fell bedeckt war. Man glaubte nämlich, dass die Erde während des Schlafs Kräfte freisetze, weshalb man „ipsi terrae incubatum est“, sich auf die Erde selbst niederlegte (L. Deubner, De incubatione, Diss. Giessen 1891. Eur. Hec. 70 ff.). Im Gegensatz dazu stellt die antike Bildkunst die Kranken gewöhnlich auf einem bequemen Bett, einer Kline, dar.

         

     Abb. 1: Weihrelief an Asklepios. Aus dem Piräus, Anf. 4. Jh. v. Chr.  
    Aufnahme der Verfasserin

        In Abb. 1 ist der am Kopfende stehende Gott gerade dabei, ‚Hand an die Patientin zu legen‘.

        Von Weihreliefs und Heilinschriften kennen wir den Gebrauch tragbarer Betten (Abb. 2). Demosthenes von X., gelähmt an den Beinen. Dieser kam in das Heiligtum auf einer Bahre und ging auf Stöcke gestützt herum. Als er sich im Heilraum zum Schlaf gelegt, sah er ein Gesicht: er träumte, der Gott verordne ihm, vier Monate im Heiligtum zu bleiben…Hierauf kam er…, als er an den letzten Tagen mit zwei Stöcken in den Heilraum hineingegangen war, gesund heraus (Iama C 64)[3].

       Oft brachten die Kranken Diener und Lasttiere für den Gepäck-Transport mit. Iama C 45[4]: Melissa kam mit einem Geschwür an der Hand. Als die Diener das Lager für die Frau von dem Saumtier abluden, nistete sich eine Viper…ein und kroch in die Laubfüllung der Matratze; als nun Melissa sich darauf legte, öffnet sie [die Schlange] durch  einen Biss das Geschwür an der Hand und darauf wurde sie gesund.

                      

     Abb. 2: Weihrelief, Chalkidiki, 1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.
    Abguss Erlangen. Aufnahme der Verfasserin

       Dem Tempel gegenüber ist der Ort, wo die den Gott um Hilfe Bittenden schlafen (Paus. II 27.2) nämlich die Inkubationsräume, griechisch Enkoimeterien oder Abata (= die Unbetretbaren). In Epidauros fanden sich bei einer lang gestreckten Halle im Nordwesten des inneren Bezirks steinerne Stelen mit Heilinschriften, Iamata. Darauf… sind die Namen von Männern und Frauen verzeichnet, die von Asklepios geheilt wurden, und dazu die Krankheit, an der jeder litt, und wie er geheilt wurde (Paus. II 27, 3). Die Buchstabenform weist in die zweite Hälfte des 4. Jh. v. Chr.[5]

        An die Halle schließt das Bad des Asklepios an (Paus. II 27, 6) das der kultischen Reinigung vor dem Betreten der Heilräume dient.

        Eine außergewöhnliche Terrakottafigur (Abb. 3) aus dem Asklepieion von Nora/Sardinien zeigt einen von der heiligen Schlange umwundenen nackten Jüngling im therapeutischen Schlaf.                          

     Abb. 3:  Schlafender Jüngling, 2. Jh. v. Chr. 
    Nach Bernardini – Santoni – Tronchetti 2016, 109 Abb. 166

        Manche Patienten sind den euphemistischen Heilinschriften gegenüber skeptisch und müssen sich zunächst eines Besseren belehren lassen, wie wir z. B. aus Iama A 3[6] erfahren: Ein Mann, der die Finger der Hand nicht rühren konnte bis auf einen, kam zu dem Gott als Bittfleher. Als er die Weihetafeln in dem Heiligtum sah, war er ungläubig gegen die Heilungen und machte sich über die Aufschriften lustig. Als er im Heilraum schlief,  träumte ihm…es sei…der Gott erschienen und ihm auf die Finger gesprungen und habe ihm die Finger ausgestreckt…als es Tag geworden, kam er gesund heraus.

        Die Inkubation fand im Tempelbezirk statt[7], doch in der übrigen Zeit hielten die Heilung-Suchenden sich außerhalb des Temenos auf, etwa an Orten der Zerstreuung wie in den Theatern (Epidauros, Pergamon u. a.) bzw. in Herbergen mit fest installierten Klinen. Arzthäuser verfügten über Ordinationsräume, Iatreia, in denen möglicherweise kurzfristig auch „stationär“ behandelt wurde[8]. Jedenfalls – so berichtet Plinius – soll die Heilkunde getreu nach der von Hippokrates eingeführten Weise, die wir „die klinische nennen“ ausgeübt worden sein [9].

    Zusätzliche Literatur und Bildnachweis:

    P. Bernardini – V. Santoni – C. Tronchetti, Il Museo Archeologico Nazionale di Cagliari (Sassari 2016)    Abb. 3

    A. Burford, The Greek Temple Builders at Epidauros (Liverpool 1969)

    E. J. und L. Edelstein, Asclepius. A Collection and Interpretation of the Testimonies (Baltimore 1945)

    K.-V. von Eickstedt, Das Asklepieion im Piräus (Athen 2001)

    G. Harig, Zum Problem „Krankenhaus“ in der Antike, Klio 53, 1971, 179-195.

    R. Herzog, Die Wunderheilungen von Epidauros. Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin und Religion (Leipzig 1931) 

    E. Holländer, Plastik und Medizin (Stuttgart 1912)

    A. Krug, Heilkunst und Heilkult (München 1985)

    Th. Schnalke, Asklepios. Heilgott und Heilkult. Ausstellungskatalog Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg 12. Juli- 30. September 1990  (Nürnberg 1990)

    W. Wamser-Krasznai, Wie man sich bettet…Lager und Lagern in antiken Heil-Heiligtümern, in: Les Études classiques 80 (Namur 2012) 55-72

    G. Welter, Troizen und  Kalaureia (Berlin 1941)


    [1] Außer dem Stadtheiligtum in Athen gibt es „das andere im Piräus“ (Scholia in Aristophanum, Ad Plutum, 621, T. 722), E. J. und L. Edelstein, Asclepius (ND 1975) Band I, 212-218, 375-377.

    [2] Aristoph. Plut. 655-683.

    [3] Herzog 1931, 33.

    [4] Herzog 1931, 27.

    [5] Herzog 1931, 2 und 6.

    [6] Herzog 1931, 9-10.

    [7] s. dazu Harig 1971, 182.

    [8] Galen, De antidotis I. 2. XIV,7, s. Harig 1971, 185 f. Anm. 41.

    [9] Nach dem Brand des Asklepiostempels auf Kos: „instituisse medicinam hanc, quae clinice vocatur“, Plin. nat. 29, 1 (2), 4, E. J. und L. Edelstein 1945, 401-402, Nr. 795. Hygin, Fabulae 274,9, E. J. und L. Edelstein 1945, 186, Nr. 360. Habig 1971, 180 und 182.

  •                                             

        The ART of WRITING

    What is the writer’s secret in creating a story?

    The writers possess an irresistible and insatiable aspiration to tear piece by piece the life events and the dreams from the darkness of non-existence. Finally, those pieces, like the “mosaic tiles”, are shaped and embedded in their texts, forever. This tenacity of the writers reminds of the way of the ants and their construction of an anthill in a busy place, where this structure is doomed to be uprooted or run over.

    The profession of a writer as a creator carries torments and irresistible charms. The writers perceive the life events to create in their texts, for the second time, more permanent and significant sense. Their work is a difficult uphill, as a long, winding and broken line, on which lonely buildings rise here and there. However, in this structure there are even more empty spaces and abandoned construction sites.

     At one point, the topic and its handling will look original and perfect to the writer. However, the writer cannot even remotely estimate what that story means to him, whether is successful or not, and does not know what is worth in itself.  It will remain closed to the curious gaze of its creator, and it will show its value only to the reader. There are inspired impulses that are born during the creation of the work.                     

    The writer desires more or less consciously to imagine the theme. However, some secondary topics, that arise during the work which characterize the theme, are sometimes more appropriate than the basic topic.  Those secondary topics have the source in the writer’ memory and in the subconscious mind. The subconscious mind is hidden deep in the being of the writer. The subconscious mind cooperates with the basic ideas of the writer, it modifies and revives them. The power of subconscious shapes the artistic profile and gives the writer creative power and originality.  

    An exceptional skill of an author is to annul the time- frames in the narration, in order to improve and more completely outline the nature of the human being and its destiny. Sometimes, during writing, an idea escapes the writer’s attention, disappears, and it suddenly returns and finds its place in the story that emerges. That is the magic of writing.                                                              
     Dr. med. André Simon © Copyright

    Übersetzung von Dietrich Weller
    Die Kunst des Schreibens

    Worin liegt das Geheimnis eines Schriftstellers, wenn er eine Geschichte erfindet?

    Schriftsteller besitzen eine unwiderstehliche und unersättliche Sehnsucht, Lebensereignisse und die Träume aus der Dunkelheit der Nicht-Existenz Stück für Stück heraus zu reißen. Am Schluss werden diese Stücke jedoch wie Mosaikkacheln geformt und in ihre Texte eingefügt. Diese Hartnäckigkeit der Schriftsteller erinnert an die Methode der Ameisen und ihre Methode, an einem belebten Platz einen Ameisenberg zu errichten, wo die Struktur dazu verdammt ist, entwurzelt oder überrannt zu werden.

    Der Beruf eines Schriftstellers als Schöpfer birgt Qualen und unwiderstehlichen Reiz. Die Schriftsteller nehmen die Lebensereignisse wahr, um in ihren Texten beim zweiten Mal  andauernderen und ausdrucksstärkeren Sinn zu erschaffen. Ihre Arbeit ist ein schwieriger Aufstieg, genauso wie eine lange, verschlungene und unterbrochene Strecke, auf der einsame Gebäude hier und da emporwachsen. Allerdings gibt es in dieser Struktur mehr leere Räume und verlassene Baustellen.

    Einerseits sehen das Thema und der Umgang damit für den Schriftsteller original und vollkommen aus. Andererseits kann der Schriftsteller nicht einmal im Verborgenen einschätzen, was die Geschichte für ihn bedeutet, egal ob sie erfolgreich ist oder nicht, und er weiß nicht, was sie in sich für einen Wert trägt. Es wird dem neugierigen Blick des Schöpfers verborgen bleiben und seinen Wert nur dem Leser offenbaren. Es gibt beflügelte Anstöße, die während des schöpferischen Vorgangs des Werks geboren werden.

    Der Schriftsteller sehnt sich mehr oder weniger bewusst danach, sich das Thema wie ein Bild vorzustellen. Allerdings sind zweitrangige Inhalte, die während der Arbeit auftauchen und das Thema charakterisieren, manchmal besser geeignet als das Grundthema. Diese zweitrangigen Themen haben ihren Ursprung im Gedächtnis des Schriftstellers und in seinem Unterbewusstsein. Das Unterbewusstsein ist  tief im Wesen des Schriftstellers versteckt. Es arbeitet mit den Grundideen des Schriftstellers zusammen, es verändert und belebt sie. Die unterbewusste Macht formt das künstlerische Profil und schenkt dem Schriftsteller schöpferische Kraft und Einzigartigkeit.

    Eine außergewöhnliche Fähigkeit eines Autors besteht darin, die Zeitrahmen in der Erzählung verschwinden zu lassen, um die Natur des menschlichen Wesens und sein Schicksal vollständiger zu beschreiben. Manchmal entwischt dem Schriftsteller während des Schreibens eine Idee, und sie kommt plötzlich zurück und findet ihren Platz in der Geschichte, die sich entwickelnd sichtbar wird.  Das ist der Zauber des Schreibens.

    Bemerkung des Übersetzers
    Dr. Simon bat mich um einen Kommentar zu seinem Text. Ich schrieb die folgenden Zeilen, und er wünschte sich, sie hier an den Text anzuhängen.

    „Ich war sehr beeindruckt, wie Du die Grundlagen des Schreibens  nicht nur sachlich, sondern auch emotional aus der Sicht des Schriftstellers dargestellt hast. Es wird so klar, dass der Schriftsteller im täglichen Leben Spuren, Tatsachen, Bilder, Gefühle und Zusammenhänge aufnimmt, speichert und an der passenden Stelle im nächsten oder übernächsten Text wieder empor holt. Um das Gedächtnis zu sichern, führen ja viele Schriftsteller einen Zettelkasten oder ein Notizbuch.
    Besonders fällt mir das auf, wenn ich Bücher von Hanns-Josef Ortheil lese, der spät sprechen, lesen und schreiben gelernt und von Kindheit an seine Notizbücher aufbewahrt hat und daraus schöpft und ganze Bücher neu schreibt, indem er sein in Stichwörtern und Szenen geschriebenes Notizbuch-Leben  unter neuen Titeln und Gesichtspunkten sortiert, zusammenstellt und vertiefend betrachtet. Seine Biografie Die Erfindung des Lebens über seine Jugend ist meines Erachtens Pflichtlektüre für Menschen, die am Beispiel eines dramatischen Lebensanfangs erkennen möchten, wie existenziell wichtig sprechen, schreiben und lesen sind. Es ist ein erlebtes Zeugnis, wie das Leben durch Sprache entdeckt wird.
    Das Bedürfnis, Eindrücke und daraus sich selbständig machende Gedanken und Handlungen in Schrift festzuhalten, ist der Ausdruck des klassischen menschlichen Bedürfnisses, den Moment, das Leben, das Glück unveränderbar und dauerhaft zu besitzen. Der Literaturklassiker dazu steht in Goethes Faust: „Augenblick, verweile doch, du bist so schön!“
    Aus diesen durch Ersatzmethoden festgehaltenen Momenten wird  je nach Persönlichkeit, Bildung und Veranlagung ein Schriftsteller, ein Fotograf, ein Maler, ein Komponist oder ein Handwerker. Die Fantasie und die geistigen und manuellen Fertigkeiten tragen ihren Teil dazu bei. Wie arm sind da die Menschen, die unreflektiert durchs Leben laufen und einfach kritiklos aufsaugen, was im Flimmerkasten an Müll angeboten wird!
    Faszinierend finde ich, wie beim Schreiben einer Geschichte die Personen ihr Eigenleben entwickeln und der Schriftsteller am Anfang oft nicht weiß, wie der Roman oder die Geschichte enden wird, weil der geistige Vater der Protagonisten noch nicht erkannt hat, welche Wendung oder überraschende Handlungen seinen Personen plötzlich einfällt. Das hast Du sehr gut dargestellt und die leeren Plötze und frustranen Gedanken und Handlungsstränge richtig beschrieben, die dann dem Rotstift geopfert oder von der Löschtaste ins ewige Netzt des PC-Nirwana verscheucht werden müssen!
    Die Gedanken machen sich selbständig und sind doch immer schon im Unterbewusstsein des Schriftstellers angelegt, sonst könnten sie nicht so denken und handeln, wie es dann auf das Papier oder in den PC kommt. Der Schriftsteller kann seine Träume, Sorgen. Ängste in seinen Texten ausleben und verarbeiten. Wir Schriftstellerärzte sind unser eigenes Beispiel, wie ein Berufsstand die Alltagsprobleme durch betrachtende und distanzierende Schilderung zu bewältigen versucht und die Umwelt wenigstens ansatzweise daran teilhaben lässt.
    Der Schauspieler, darf in seinen Rollen alle seine verborgenen Eigenschaften voll ausleben. Dazu gehört viel innere Freiheit, besonders die unangenehmen und sozial nicht akzeptierten Triebe und Gefühle voll aus dem inneren Gefängnis der Erziehung oder repressiven Entwicklung ausbrechen und oft bedrohliche Gestalt annehmen zu lassen. Deshalb kann ein Schriftsteller oder ein Schauspieler nur etwas überzeugend produzieren (wörtlich: nach vorne -auf die Bühne- führen), was er selbst zumindest als Anlage besitzt.
    Wie reich sind diejenigen, die aus dem Erlebten durch bewusste Verarbeitung den eigenen inneren Reichtum steigern, wachsen und gedeihen lassen – und ihre Umwelt an diesen Früchten teilhaben lassen.
    Du hast in unserer BDSÄ-Homepage Deine eigene Form der asiatischen Kurzgeschichten gefunden. Darüber freue ich mich jedes Mal, wenn Du mir einen neuen Text schickst, der mir Freude beim Übersetzen macht, weil ich versuche, ihn in Deinem Stil zu übertragen.“

  • Da wir nun Ärzte sind – oder der Eid des Hippokrates 2021 (Klaus Kayser)

    Da wir nun Ärzte sind
    Sind wir erfahren
    Mit Leid zu leben
    Die ihr uns ausgebildet
    Das Leben zu bewahren.
    Denn
    Wir sind ein Teil von Euch
    Die Augen eures Sinns.

    Da wir nun Ärzte sind
    Setzen wir Grenzen
    Des überreichlich
    Leid klagenden Genusses
    Appetit  überfressen.
    Weil
    Euch gierige Freiheit
    Aus den Gedärmen platzt.

    Da wir nun Ärzte sind
    Müssen wir handeln
    Frei von Bedenken
    Den Zucker zu nehmen
    Von dem Wahn der Freude
    Jetzt
    Die Gier nach Heute
    Sonst seid  ihr morgen
    Sinnlos vor Schmerzen blind.

    Da wir nun Ärzte sind
    Fordern wir wachsam
    Euch zu erheben
    Von der Mutter Gestern
    Zu dem Kind des Morgen
    Damit
    Dank eurer Arbeit
    Wenn wir vergangen
    Zu Ärzten wird das Kind .

    Da wir nun Ärzte sind
    Auf zur Tat!
    Wir lösen die Schlinge
    Um das verfettete Herz.
    Heilen die kranke Demokratie.