Schlagwort: Natur

  • (Nach dem Originaltext folgt die Übersetzung von Dietrich Weller)

    Simon-Katze

    EXPERIENCE – ERFAHRUNG

    “Homo faber fortunae suae” Everyone is a blacksmith of his own making. However, destiny awards one with the hammer to forge red-hot iron, whereas  others must forge the ice-cold iron with a bare fist. Nevertheless, those less privileged during their life’s journey are forced to the bitterest path to achieve knowledge. This rough path of continually learning through mistakes is known as experience.

    The word “experience” originates from from the latin noun experientia which ist derived from experiens, participle of the Verb experiri = through the trying“.

    Moreover, I believe that the origin of the word experience is older. Let’s propose a new hypothesis.

    The Greek language uses the term “piro” πείρω) for the word experience which further develops into the expression “empirical”.

    Empirical denotes information gained by means of experience.

    The greek prefix pyr- ist derived from pyro = fire.

    The new hypothesis is that the double meaning of the term “piro / pyro” = experience and fire, alludes to an old tale.

    “This very old tale is about a monkey who persuaded a cat to pull chestnuts out of the fire, so as to avoid burning its own paws”.

    Almost certainly is that the cat gained experience through fire. This tale and versions of it is present in many languages, as in English Proverbs from the 17th century: “Burn not thy fingers to snuff out another’s candle“.

    Harm oneself, as in “I’ve burned my finger “could mean “I have learned from personal experience.“

    Experience fills a space between capacities of perception and memory on the one side, and the dispositions of art and science on the other side. 
Simplified experience is generated from perception and memory.

    Even Hippocrates describes the role of experience in formulating medical theories and in following medical treatments. (experienced doctors!)

    More developed forms of experience come from the tendency to grow. It grows horizontally as in the knowledge of new facts at the level of generality. Moreover, experience grows vertically to a higher level.

    The German word for experience is “Erfahrung”, and it expresses its meaning more precisely. Die Erfahrung describes the growth (both horizontally and vertically), and the aspect of the time,that indicates the coherency of life’s experiences.

    Dr. med. André Simon  ©Copyright

     

    André Simon: Erfahrung

    Übersetzung von Dietrich Weller

    „Homo faber fortunae suae.“[1] Jeder ist der Schmied seines Schicksals. Das Schicksal jedoch belohnt den, der mit dem Hammer das glühend rote Eisen schmiedet, wobei andere das eiskalte Eisen mit der bloßen Faust schmieden müssen. Nichtsdestotrotz werden die weniger Privilegierten im Laufe ihres Lebens auf die bittersten Wege geschickt, um zur Erkenntnis zu kommen. Diesen groben Pfad des andauernden Lernens durch Fehler nennt man Erfahrung.

    Das Wort „experience“ stammt aus dem lateinischen Hauptwort experientia = Versuch, dieses wieder von dem Verb experiri = versuchen, erproben, ausprobieren.

    Ich glaube jedoch, dass der Ursprung des Wortes Erfahrung älter ist. Lassen Sie mich eine neue Hypothese aufstellen.

    Die griechische Sprache benützt den Begriff piro (πείρω)für das Wort Erfahrung, das sich weiter entwickelt zu dem Ausdruck empirisch.

    Empirisch bezeichnet Informationen, die durch Erfahrung gewonnen werden. Etymologisch bezeichnet die Vorsilbe pyro– Feuer[2].

    Die neue Hypothese besagt, dass die Doppelbedeutung des Begriffes piro = Erfahrung und Feuer sich auf eine alte Sage bezieht.

    Diese sehr alte Sage handelt von einem Affen, der eine Katze überredet hat, Kastanien aus dem Feuer zu holen, damit er sich seine eigenen Pfoten nicht verbrennt.

    Beinahe sicher ist, dass die Katze die Erfahrung durch das Feuer gewonnen hat. Die Sage und Versionen davon sind in vielen Sprachen vorhanden, so auch im englischen Sprichwort: Verbrenn deine Finger nicht, wenn du die Kerze eines anderen ausdrückst.

    Sich selbst schaden wie in „Ich habe meinen Finger verbrannt“ kann bedeuteten: Ich habe aus meiner persönlichen Erfahrung gelernt.

    Erfahrung füllt einen Raum zwischen den Fähigkeiten der Wahrnehmung und des Gedächtnisses einerseits und den Möglichkeiten des Kunst und Wissenschaft andererseits. Vereinfacht: Erfahrung wird durch Wahrnehmung und Gedächtnis erzeugt.

    Sogar Hippokrates beschreibt die Rolle der Erfahrung beim Formulieren medizinischer Theorien und der daraus folgenden Behandlungen (erfahrene Ärzte!).

    Weiter entwickelte Formen der Erfahrung entstehen durch die Tendenz zu wachsen. Sie wächst horizontal wie in der Kenntnis neuer Tatsachen auf allgemeiner Ebene. Außerdem wächst Erfahrung vertikal auf ein höheres Niveau.

    Das deutsche Wort für Erfahrung beschreibt die Bedeutung noch genauer. Erfahrung beschreibt das Wachstum (sowohl horizontal als auch vertikal) und den Gesichtspunkt der Zeit, die den Zusammenhang der Erfahrungen in einem Leben anzeigt.

     

    [1] Bemerkung des Übersetzers: Wörtlich übersetzt: „Jeder ist der Handwerker seines Schicksals.“ Im Deutschen benützen wir das Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied.“

    [2] Bemerkung des Übersetzers: Pyromanie ist eine psychische Störung: der zwanghafte Trieb, Brände zu legen und sich beim Anblick des Feuers sexuell zu erregen. Pyrotechnik ist die Feuerwerkerei (Herstellung und Gebrauch von Feuerwerkskörpern).

    Copyright für die Übersetzung Dr. Dietrich Weller

     

  • Zu seinem Esel sprach der Bauer:
    „Ich sag dir offen, wie es ist,
    du bist nicht wert, mein alter Grauer,
    das Heu, das du tagtäglich frisst!“

    Der Esel hörte es mit Schrecken,
    er dachte an so manches Jahr,
    als er mit korngefüllten Säcken
    auf seinem Weg zur Mühle war.

    Das ist der Lohn für Müh und Plage,
    wie einen Hund jagt man mich fort.
    Nun muss ich auf die alten Tage
    noch suchen einen andern Ort!

    Doch hilft kein Jammern und kein Grämen,
    das bringt mich nur um den Verstand:
    Ich mach mich auf und geh nach Bremen,
    verding mich dort als Musikant.

    Warum, so wird sich mancher fragen,
    warum musst es denn Bremen sein?
    Ich weiß es nicht, ich kann nur sagen,
    dem Esel fiel nichts Bessres ein.

    Und die Idee, auf die er baute,
    die klang für  Menschenohren schlimm:
    Er wollte schlagen dort die Laute,
    so steht es bei den Brüdern Grimm.

    Ein alter Jagdhund lag am Wege,
    den ebenfalls sein Herr verstieß,
    weil er zu müde und zu träge
    das edle Wild entkommen ließ.

    „Kopf hoch!“  So sprach der Esel weise,
    als er den Hund in Tränen fand:
    „Komm doch mit mir auf eine Reise,
    ich werd  in Bremen Musikant.“

    Sie sahn an einem schatt‘gen Platze
    zwei Tiere noch, man glaubt es kaum,
    die arme ausgesetzte Katze
    und dann den Hahn auf seinem Baum.

    „Kommt mit und jammert hier nicht länger!“,
    schlug ihnen gleich der Esel vor,
    wir brauchen in der Band zwei Sänger;
    Sopran fehlt noch und auch Tenor.“

    Die Sonne war schon längst im Sinken,
    die Pfoten, Hufe müd und matt,
    und immer noch war da kein Blinken
    von Lichtern einer großen Stadt.

    Ein Jogger kam, der ganz ermattet
    sich setzte auf den nächsten Stein,
    der Esel fragte: „Ihr gestattet,
    könnt dies der Weg nach Bremen sein?“

    Der Jogger wischte mit dem Tuche
    Sich ab das feuchte Angesicht:
    „Nach Bremen seid ihr auf der Suche,
    das schafft ihr heute Abend nicht.

    Ein Tierheim gibt es hier am Orte
    für arme Streuner, so wie ihr,
    klopft dort mal höflich an die Pforte
    und fragt nach einem Nachtquartier!“

    Sie fanden schon das Tor verschlossen,
    jedoch der Pförtner war noch wach.
    „Geht weiter!“, sagte er verdrossen“,
    wir sind schon voll bis unters Dach!“

    Im Wald an einem trocknen Platze,
    da legten sich ins weiche Gras
    der Hund und auch die müde Katze,
    dieweil der Hahn im Baume saß.

    „Ich bleibe wach und werd dich rufen“,
    schrie er dem Esel zu, der bald
    lostrabte und auf müden Hufen
    durchforstete den finstern Wald.

    Er hatte fernes Licht gesehen,
    vielleicht war‘s auch ein Feuerschein,
    es konnten Menschen, Zwerge, Feen
    und schlimmstenfalls auch Räuber sein.

    Der Hahn da oben im Geäste
    Jetzt mit dem Esel leise sprach:
    „Ein Häuschen ist’s, es ist das Beste,
    ich flieg dorthin und sehe nach.“

    Es ist bekannt seit alten Zeiten:
    ein Hahn verbringt die Nacht im Stall,
    doch hier, das lässt sich nicht bestreiten,
    lag vor ein echter Sonderfall.

    Wer glaubt, er habe da gefunden
    nur eine wilde Räuberschar,
    dem sagen wir es unumwunden:
    Was dort bei Grimm steht, ist nicht wahr.

    Er sah nur ärmliche Gestalten
    bei einem kargen Abendbrot
    des Tages erste Mahlzeit halten.
    Das glich zu sehr der eignen Not.

    Der Esel wartete mit Bangen
    Auf seines Boten Wiederkehr.
    War er von Räubern abgefangen
    Und vorbereitet zum Verzehr?

    Dann rüttelte ein Sturm die Gipfel,
    ein Ast verfehlte ihn nur knapp,
    und durch der Bäume hohe Wipfel
    flog jetzt der Hahn zu ihm herab.

    „Ich dachte schon, dass man dich köpfte“,
    erleichtert sah der Esel aus,
    der Hahn sprach, als er Atem schöpfte:
    „Das ist fürwahr kein Räuberhaus!“

    „Ich denk, wir sollten höflich bitten
    um einen Platz am warmen Herd,
    und sind wir dort nicht wohlgelitten,
    so ist es den Versuch doch wert.“

    „Nur Mut!“, so sprach der Esel weise
    und musterte die künft’ge Band
    „ich glaub in unserm Künstlerkreise,
    da gibt es bald ein Happy- End.“

    Auf leisen Pfoten, Tatzen, Krallen
    so pirschten sie ans Haus sich ran,
    sie hörten Lärm und Lachen schallen,
    man stimmte grad ein Trinklied an.

    Es war, als ob der Hahn sich scheute,
    den andern offen zu gestehn:
    „Das sind sie nicht, die armen Leute,
    die ich durch’s Fenster hab gesehn.“

    „Wir müssen trotzdem danach schauen“,
    so sprach der Esel mit Bedacht,
    „wir werden eine Leiter bauen,
    ich zeige euch, wie es gemacht.“

    Er musst die müden Glieder bücken,
    denn schließlich war er Untermann,
    dann sprangen schnell ihm auf den Rücken
    der Hund, die Katze und der Hahn.

    Und so zu viert am dunklen Fenster,
    da boten sie ein schaurig Bild,
    ein Räuber schrie: „Dort sind Gespenster!“
    Die Haare sträubten sich ihm wild.

    Ein andrer rief: „Tod und Verderben!
    Wir müssen fort, so schnell es geht!“
    Da ging das Fensterglas in Scherben,
    eh nur der Hahn einmal gekräht.

    Getrieben von Gewissenslasten
    flohn jetzt die Räuber in den Wald;
    es war ein Rennen, Laufen, Hasten
    nach einem sichern Aufenthalt.

    Dass dann die Räuber wiederkehrten,
    dazu noch in derselben Nacht,
    das haben sich die sehr gelehrten
    Gebrüder Grimm nur ausgedacht.

    Doch andre Leute kamen wieder,
    die jüngst der Hahn durchs Fenster sah.
    Sie stiegen vom Geäst hernieder
    von einem Baume, der ganz nah.

    Die Tiere und die fremden Gäste,
    die ausgestanden manche Qual,
    verspeisten hungrig nun die Reste,
    die übrig war‘n vom Räubermahl.

    Dann rückten näher sie zusammen,
    das Feuer ward neu angefacht
    und sahen heiter in die Flammen,
    vergessen war der Schreck der Nacht.

    Mit ernster Miene sprach der Esel:
    „Welch guter Platz für Mensch und Tier!
    Was solln uns Hameln, Bremen, Wesel?
    Ich schlage vor, wir bleiben hier.“

    Doch hier ließ sich der Hund vernehmen:
    „Im Ganzen stimm‘ ich überein,
    doch vorher geh ich noch nach Bremen
    und heb am Denkmal dort ein Bein.“

     

    Copyright Dr. Lieselotte Riedel

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

  • Beitrag zur Lesung „Geheimnisse“ beim BDSÄ-Kongress 2016

     

    Das Rosmarinsüppchen

    „Hallo Schatzi!“

    Ich hasse diese einschmeichelnde Begrüßung! Schließlich hört man als erfahrene Frau die Lüge bei einem Mann schon, bevor er sie ausgesprochen hat. Ich musste nur noch genau hinhören oder hinschauen, um die Details zu erfahren. Henner hatte mich so oft an der Nase herumgeführt, und er machte sich geradezu einen Sport daraus, mich zu ärgern. Ich dumme Kuh habe ihm immer wieder verziehen. Mal habe ich aus falsch verstandener Liebe einfach den Mund gehalten und die Kränkungen geschluckt, mal habe ich mir die Tränen theatralisch über das Make-up laufen lassen und verschmiert, um ihm zu zeigen, wie sehr er mich verletzt. Auch wenn ich ihm Szenen gemacht habe mit Geschrei und zerschmettertem Geschirr, hat ihn das nicht wirklich und schon gar nicht lange beeindruckt.

    Jetzt war es mal wieder so weit.

    „Hallo Schatzi! Das war ein anstrengender Tag!“

    Ich schaute ihn an: „Wie siehst denn du aus?“

    Sie müssen sich das mal vorstellen: Wie im Kitschfilm. Die Krawatte auf Halbmast, die oberen beiden Hemdköpfe offen, die Goldhalskette über seinem gewellten dunkelbraunen Brusthaar, den Kopf zerzaust, das Jackett zerknittert, die Bügelfalten platt. Und das Gesicht wie nach einer durchwachten Nacht, ungewaschen, unrasiert, die Falten noch tiefer als sonst. Und die waren nicht nur vom Arbeiten so tief, ganz sicher nicht.

    Seit ich zufällig neulich seine neue Sekretärin gesehen habe, ist mir klar, warum er so oft abends und bis spät in die Nacht dringende Besprechungen machen muss.

    Ich sah sie auf dem Büroflur auf sein Zimmer zu gehen. Das blonde Haar floss über die schlanke und offene Rückenpartie des Kleides. Das hautenge Kleid betonte den wackelnden Hintern dieses Schoßhühnchens in geradezu obszöner Weise. Die hohen Stöckelabsätze waren eine orthopädische Katastrophe und ihr Klackern auf dem Steinboden eine Zumutung für jedes Ohr. Wie Pistolenschüsse knallten sie über den Gang. Meine Birkenstock-Schuhe hört man nicht! Und als sie sich umdrehte, dieses Möchte-gern-Playboy-Häschen, konnte ich sofort sehen, wo der Plastische Chirurg sein Geld verdient hat. Die mit Botox aufgedunsenen Lippen waren kurz vor dem Platzen, und die silikongefüllten Brüste drohten das eng anliegende Blüschen zu sprengen. Nicht einmal einen BH trug diese Büropuppe. Bei Heidi Klum wäre sie nicht als Model angekommen, aber mein Mann hat sie sofort eingestellt. Wofür eigentlich? Diese an allen Rundungen aufgeblasene Frau passte genau in sein Beuteschema. Sie erfüllte ganz sicher die Wünsche meines Mannes, aber bestimmt nicht bei der Arbeit.

    Es hat mich gar nicht gewundert, dass ich schon ein paar Tage später ganz zufällig blonde Haare auf Henners Hemd fand, und ich entdeckte, dass er in seinem Aktenkoffer eine zusätzliche Flasche seines Parfums mitnahm und abends frisch beduftet heim kam. Aber mich kann er nicht täuschen. Er stank nach einer schwülen Mischung aus Frauenparfüm und seinem Rasierwasser. Das war richtig ekelig!

    Früher wäre ich ausgeflippt vor Wut und hätte sein Büro zuhause demoliert. Aber ich habe mir geschworen, meine Kräfte zu sparen für den entscheidenden Tag. Ja, Sie hören richtig, ent-scheidend. Das hat etwas mit Scheidung zu tun. Aber nicht wie Sie denken – mit Rechtsanwalt und Gericht, nein, nein. Da muss mir schon etwas Besseres einfallen.

    Heute war das Fass voll. Ich meine das Fass meines Zorns. Und wissen Sie warum? Als Henner ins Bad ging und die Kleider auf das Bett geworfen hatte, fielen mir sogar ohne Suchen sofort schwarze kurze Haare an seinem Hemd auf. Und der Lippenstiftfleck auf dem Kragen war nicht zu übersehen. Henner hatte seine Jacke so achtlos hingeworfen, dass das Bild einer jungen Schwarzhaarigen heraus gefallen war. So was von billig! Wollte er mich provozieren? War er wirklich so blöd, solch ein Bild in der Jackentasche zu lassen? Oder hat die kleine schwarze Hexe ihm das Bild zur Erinnerung in die Tasche gesteckt, ohne dass er es gemerkt hat? Egal: Jetzt betrog er seine Sekretärin und mich mit einer neuen Frau!  Das war entschieden zu viel.

    „Schatzi, machst Du mir was zum Essen?“, tönte es aus dem Badezimmer unter der Dusche hervor.

    „Aber ja,“, rief ich zurück, „ich mache dir dein Lieblingssüppchen!“

    Ich ging in den Garten und sah mit der Terrassenbeleuchtung noch gut genug, um rasch die Zutaten zusammenzusammeln. Erst pflückte ich frische Rosmarinnadeln, dann von der großen Taxushecke frische Eibennadeln. Das reichte für ein wirkungsvolles Abendessen. Den Rest hatte ich in der Küche.

    Rosmarin mag Henner besonders gern. Den kräftigen Duft der ätherischen Öle möchte er in der Suppe schmecken. In unserer Verliebtheitsphase verwendete ich extra Kölnisch Wasser, weil dort viel Rosmarin enthalten ist, und Henner konnte nicht genug kriegen, an mir zu schnuppern. Die Eiben kannte er nicht. Er war ein Gartenmuffel.

    Also schnitt ich je eine Handvoll Rosmarin- und Eibennadeln ganz fein, bis sie fast pulverig waren, erwärmte sie in der Pfanne, aber nur ganz leicht und mit einem großen Stück Butter dazu, damit die Wirkstoffe auch wirken können! Dann vermischte ich sie mit Sahne und Gemüsebrühe zu einer cremigen Suppe. Das wird ein besonderes Essen, dachte ich und stellte das gute Porzellan auf den Tisch und eine Vase mit frischen Blumen aus dem Garten.

    „Willst du nicht mitessen?“, fragte Henner, als er sah, dass ich nur ein Gedeck gerichtet hatte.

    „Nein, ich habe schon gegessen! Lass es dir schmecken!“

    Ich muss gestehen, ich genoss es, wie er seine Suppe löffelte und meine Kochkünste lobte.

    „Das schmeckt heute ganz besonders! So anders als sonst!“

    „Ja, ich habe es besonders gewürzt!“, sagte ich nicht ohne ein gewisses Maß an Freude über mein gelungenes Werk. Ich beobachtete mit Genugtuung, dass Henner mit großem Appetit alles aufaß – drei Teller Suppe.

    Wir unterhielten uns nicht. Er war ja so müde – von seiner Beschäftigung im Büro oder wo auch immer. Dafür muss man als Ehefrau schließlich Verständnis haben. Als Henner sein Süppchen gegessen hatte, trank er einen Whisky und griff immer wieder an seinen Bauch.

    „Komisch“, sagte er, „das rumort so, aber vielleicht habe ich mir im Büro was eingefangen, da klagen alle über Durchfall.“

    „Ja, das wird es sein“, meinte ich ruhig und sehr zufrieden.

    Plötzlich rannte er los Richtung Toilette. Nachdem er sich dort erleichtert hatte, wollte er nur noch ins Bett.

    „Ich fühle mich so schwach, ich brauche noch einen Whisky!“

    „Den bringe ich dir gern!“

    Man soll letzte Wünsche nicht abschlagen!

    Nach einer Weile meinte Henner: „Mir wird so komisch, mein Herz schlägt so unregelmäßig.“

    „Ja, ja, das kann sein, bei dem Magen-Darm-Infekt. Bald hört´s auf!“

    Ich konnte mich einer gewissen Schadenfreude über meine Doppeldeutigkeit nicht ent-ziehen.

    Henner schlief rasch ein, unruhig zwar, und einmal erbrach er im Bett. Aber das nahm ich ihm nicht übel und machte das Bett frisch, soweit das bei dem inzwischen bewusstlosen Mann möglich war. Ich setzte mich neben ihn. Ich fühlte immer wieder seinen Puls und spürte genussvoll, dass er immer langsamer wurde.

    Tatsächlich hörte es nach einer Weile auf. Das Herz meine ich.

    Es ist schon wichtig, im richtigen Moment die richtige Suppe richtig zu würzen.

  • Beitrag zur Lesung „Gärten“, Moderation Jürgen Rogge, Würzburg 2016

     

    Mein Freund Ralph führte bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren eine Allgemeinarztpraxis im benachbarten Renningen. Jetzt ist er wie ich regelmäßig in der Notfallpraxis Leonberg tätig. Bei dieser Gelegenheit kamen wir im vergangenen Sommer auf meine Fotografien von Blumen und Tieren zu sprechen. Er fragte mich: „Weißt du eigentlich, dass wir im Umkreis von zwanzig Kilometern einige kleine Naturschutzgebiete haben, in denen du sehr seltene Pflanzen und sogar fast alle deutsche Wild-Orchideen sehen kannst?“

    Nein, das wusste ich nicht, aber ich bat ihn, mich dorthin zu führen, denn ich wusste, dass Ralph ein exzellenter Hobby-Botaniker ist, der immer wieder Führungen durch diese Biotope leitet. Deshalb vereinbarten wir rasch einen Termin für eine gemeinsame Wanderung. Aus diesem einen Vormittag sind inzwischen mehrere für mich sehr lehrreiche Spaziergänge durch Wald und Flur geworden. Jedes Mal führte mich Ralph an eine andere Wiese, in einen anderen Wald, auf eine andere Heidelandschaft. Ich bekam meinen Privat-Unterricht, gespickt mit lateinischen Namen und am Beispiel erklärten Wesen der Pflanzen.

    Er zog aus seiner Tasche eine Lupe heraus. „Schau mal, dieses Johanniskrautblatt (Hypericum perforatum). Siehst du die winzigen kleinen Löcher in diesem Blatt? Die Blätter sind aber gar nicht perforiert, sondern sie haben kleine Bläschen, in denen Hypericin erhalten ist. Du verschreibst doch auch Johanniskrautextrakt in der Praxis gegen depressive Verstimmung.“ Ich war so begeistert von dem Blatt unter der Lupe, dass ich es durch das Vergrößerungsglas mit der Makrolinse fotografierte.

    „Kennst du den Unterschied zwischen einer echten Kamille (Matricaria chamomilla) und den anderen Formen der Kamille?“ Er holte aus seinem Umhängebeutel ein Taschenmesser und schnitt den Blütenboden der Pflanze auf: „Das ist eine echte! Der Blütenboden ist hohl! Dieser Blütenboden ist bei allen anderen Formen gefüllt!“

    „Ach, schau mal, hier steht Salbei (Salvia offinialis).“ Er nahm eine Blüte, riss einen kleinen Strohhalm aus der Wiese, führte ihn langsam in die Blüte und erklärte: „Wenn die Biene anfliegt – das ist jetzt der Strohhalm – und auf den Blütenboden drückt, gibt es hier einen Mechanismus, der die Blütenstängel aus der Blüte heraus auf den Rücken der Biene kippt und den Blütenstaub aufträgt. Dann fliegt die Biene mit Salbeinektar im Magen und Blütenpollen auf den Flügeln wieder fort und bestäubt andere Pflanzen.“

    Bei jedem der Spaziergänge sah und hörte ich mehr, als ich mir manchmal nicht merken konnte. Deshalb fragte Ralph mich immer wieder nach den Namen und Unterschieden der Pflanzen. Ich habe den Eindruck, er kennt jede mit Vor- und Nachnamen und die lateinische Bezeichnung sowieso. Nebenbei erklärte Ralph mir viele medizinische Anwendungen der Phytotherapie, die ich noch nicht wusste und die er in seiner Praxis oft angewendet hatte.

    Beim nächsten Spaziergang schlenderten wir am späten Vormittag über eine am Südhang in einem Wäldchen gelegene Sonnenwiese mit Wachholdersträuchern. Hier zeigte Ralph mir eine überwältigende Sammlung von wilden Orchideen: Knabenkraut, Stendelwurz, Mücken-Händelwurz, Bocksriemenzunge, Hummel-Ragwurz, Bienen-Ragwurz, Pyramidenorchis. Und da stand noch einer großer Busch Schwarze Tollkirsche in voller Blüte. Herrliche Bläulinge und Zitronenfalter flatterten von Duft zu Duft, die Heuschrecken hüpften von Halm zu Halm. Ich kam gar nicht nach mit Fotografieren, Anschauen, Zuhören, Staunen. Dann setzten wir uns auf eine Bank und waren einfach dankbar, dass wir es uns leisten können, am hellen Werktag mit so viel Genuss mitten in der Natur uns an ihrem Schätzen zu freuen. Und wenn Ralph sich nicht sicher ist, welche Blume er da in der Hand hat, schlägt er in seinem Pflanzenbuch nach, das er immer in der Tasche mit sich trägt.

    Diese Orchideen-Wiese besuchten wir auch an einem kalten und sonnigen Wintertag. In der funkelnden Schneedecke sahen wir Fuchsspuren, die typisch in einer geraden Linie in den Schnee gedrückt waren. An einem Wacholder schaffte ich es, mit Schnellbildfunktion die Sonne in einem fallenden Schneewassertropfen einzufangen.

    Eines Tages im Sommer rief mich Ralph an: „Ich habe eine Schwanenblume gefunden – ganz hier in der Nähe! Die ist ganz selten. Du musst kommen, ich zeig sie Dir!“ Er brachte mich an einen kleinen Bachlauf, und natürlich hätte ich die schöne Blume nicht gesehen und schon gar nicht wertzuschätzen gewusst, wenn Ralph mir die Rarität nicht gezeigt hätte.

    Das nächste Mal brachte er mich zu einer Herkulesstaude, auch als Riesenbärenklau bekannt, am Rand einer viel befahrenen Straße. Wir standen vor der mannshohen Staude, und ich wollte sie anfassen, da stoppte Ralph mich gerade noch rechtzeitig: „Nicht anfassen! Um Himmelwillen, das macht schreckliche Hautausschläge!“

    Ralph und ich genossen inzwischen mehrere stundenlange Spaziergänge. Ihm verdanke ich die Bekanntschaft mit der großartigen und vielseitigen Landschaft in unserer unmittelbaren Nähe, die ich nicht kannte, obwohl ich hier immer gelebt habe. Deshalb habe ich mir inzwischen einige Pflanzenbestimmungsbücher gekauft und freue mich daran, nachzuschlagen und Neues zu lernen.

    Nach unseren Touren kamen wir zurück in Ralphs Haus. Dort hat seine Frau einen wunderbaren Garten angelegt. Ralph sagte: „Gudrun ist für den Garten zuständig, da kennt sie jede Pflanze persönlich. Und ich weiß hier nicht so gut Bescheid wie in Wald und Wiese.“

    Das Faszinierende für mich als Gast in diesem Garten ist die Harmonie, die er ausstrahlt. Da gibt es Ruheplätze, Arbeitsplätze, einen Nutzgarten und einen Ziergarten – alles schön gestaltet als eine Einheit. Da Ralph auch ein sehr vielseitig begabter Handwerker mit hervorragend eingerichteter Werkstatt ist und Gudrun neben ihrem Schuldienst viele künstlerische Arbeiten macht mit eigenem Brennofen für den Ton, haben die Eheleute einige gemeinsame handwerklich-künstlerische Projekte geschaffen. Am selbst gebauten Gartenhaus hängt zum Beispiel eine Leiter. Sie sieht aus wie eine Drahtleiter, besteht aber aus Sprossen, die aus verschieden farbigem Ton gebrannt sind. Eine witzige Umdeutung des Wortes Tonleiter.

    Zuhause lud ich meine Bilder in den PC, und Ralph bot sich immer an, alle mit mir zu beschriften. Das begeisterte ihn so, dass er sich sogar eine neue Kamera kaufte, um bessere Makroaufnahmen machen zu können.

    Als Ralph sich an seine neue Kamera gewöhnt hatte, schlug ich ihm vor, mit mir in die Wilhelma zu gehen, das ist der botanisch-zoologische Garten in Stuttgart. Hier kannte ich mich aus und zeigte Ralph meine Lieblingsplätze. Die Landschaft dort verbindet in einzigartiger Weise die Fülle von Tierwelt und Botanik. Der kleine Wald aus Mammutbäumen (Sequoia gigantea), die reichhaltig mit seltenen Pflanzen bestückten Gewächshäuser und die neue Primaten-Anlage mit ihrem Gorilla-Kinder-garten sind meine Hauptziele. Bei jedem Besuch entdecke ich etwas Neues und freue mich darüber.

    Wir haben jetzt ein gemeinsames Projekt vereinbart. Jeder hat sich einen Baum gesucht, den wir mindestens einmal im Monat fotografieren wollen, um die jahreszeitlichen Veränderungen bewusst zu erleben und zu dokumentieren. Ich beobachte eine weit ausladende Eiche, die allein und mitten in einem großen Feld steht. Ralph hat einen mächtigen Apfelbaum entdeckt, vom dem er schon jetzt ein leuchtend buntes Herbstbild vergrößert in der Wohnung aufgehängt hat.

    Ralph plant zurzeit ein eigenes Pflanzenbuch mit Fotos und medizinischem Wissen. Ich fotografiere mehr und freue mich daran, dass Ralph mir den großen Garten der Naturschutzgebiete in unserer Gegend gezeigt hat. Aber wenn wir zu zweit durch die Landschaft schlendern, lerne ich mehr über Botanik. Sie ist das Ziel meiner gelegentlichen Fotostunden, auch wenn Ralph nicht mitgehen kann. Ich bin dankbar, dass wir die Freude an der Natur gemeinsam genießen können. Das ist eine willkommene Abwechslung zu unserer Praxisarbeit und für mich eine Entdeckung im Alter.

     

  • Betrag zur Lesung „Werte und Wertewandel) beim BDSÄ-Kongress 2916

     

    Ganz verschiedene Werte und Wertungen

     

    Anstatt eine theoretische philosophische Abhandlung zu diesem wichtigen Thema zu schreiben, will ich an einigen knapp skizzierten Beispielen aus meinem Alltag zeigen, wie unterschiedlich Werte erlebt und geäußert werden.

     

    Der Patient in der Notfallpraxis sagt: „Gestern habe ich mir den Zeigefinger in der Tür geprellt. Da bin ich heute Nacht wegen der Schmerzen durch die Hölle gegangen.“

     

    Die fünfundzwanzigjährige Frau fährt im Elektrorollstuhl in das Behandlungszimmer. Ich frage, warum sie im Rollstuhl sitzt.

    Sie antwortet lachend: „Ich habe eine angeborene Zerebralparese und kann seit ein paar Monaten nicht einmal mehr stehen. Außerdem habe ich regelmäßig epileptische Anfälle. Jetzt komme ich wegen meiner fieberhaften Grippe. Aber mir geht´s gut.“

     

    Der dreijährige bis jetzt gesunde Junge sagt zu seiner Mutter: „Jetzt ist alles dunkel. Warum hast Du das Licht ausgemacht? Mach es wieder an!“ –

    Der Junge war plötzlich auf beiden Augen blind geworden. Wenige Stunden später sahen die Ärzte im Schädel-Comptertomogramm Metastasen im Kleinhirn und an der Kreuzung der Sehnerven.

     

    Eine Frau mit metastasierendem Bronchialkarzinom im Endstadium, die im Pflegeheim liegt, sagt zu mir: „Wenn Sie mich noch einmal besuchen wollen, müssen Sie es bald tun. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Das schönste Erlebnis heute war, als die Schwester mir ein Glas warme Milch gebracht hat. Die Liebe, die ich hier empfange, ist ein großes Geschenk, für das ich unendlich dankbar bin.“

     

    Als Arzt in der Neurologischen Reha-Klinik nahm ich einen Patienten nach Schlaganfall auf meiner Station auf. Nach dem ausführlichen Gespräch mit Untersuchung fragte die Ehefrau: „Was kann ich noch für meinen Mann tun?“

    Ich legte mein Buch „Wenn das Licht naht – der würdige Umgang mit schwer kranken, sterbenden und genesenden Menschen“ auf den Tisch.

    Sie war verblüfft und lachte mich an. „Oh, Sie haben das geschrieben! – Dieses Buch hat mich auf der Intensivstation in München in den letzten Wochen am Bett meines Mannes am Leben gehalten. Eine Schwester hat es mir ausgeliehen.“

     

    Die zwanzigjährige Frau ägyptischer Abstammung sagt in der Sprechstunde: „Gottseidank bin ich nicht schwanger. Wenn mein Vater wüsste, dass ich einen Freund habe und mit ihm schlafe, würde er zuerst meinen Freund und dann mich umbringen.“

     

    Bei einem Hausbesuch in einer sehr wertvoll eingerichteten Villa werde ich in das ehemalige Arbeitszimmer des Hausherrn geführt. Jetzt ist es sein Schlafzimmer – mit Blick in den wunderbar gepflegten Garten. Der Mann liegt seit zwei Jahren nach Schlaganfall im Wachkoma und atmet spontan durch eine Kanüle in der Luftröhre, seine Augen sind geschlossen. Er reagiert nicht auf meinen Gruß.

    Seine Frau sagt: „Jeder Tag, den ich ihn hier pflegen darf, ist ein Geschenk für mich, für das ich jeden Tag dankbar bin. Und trotzdem hoffe ich, dass er bald friedlich einschlafen darf. Jeden Tag begrüße ich meinen Mann – und nehme ein bisschen Abschied.“

     

    In der Praxis habe ich eine Woche lang einen ägyptischen Mann behandelt, der seine in Leonberg verheiratete Tochter besuchte, nicht viel Geld hatte und schon die überstürzte Heimreise plante. Ich habe ihn dann kostenlos behandelt.

    Bei seinem letzten Besuch in der Praxis kniete seine Frau beim Abschied vor mir nieder, nahm meine beiden Hände und sagte etwas, was die Tochter übersetzte: „Ich bitte Gott, dass er mir zehn Lebensjahre nimmt und sie Ihnen schenkt.“

    Eine Frau mittleren Alters kam nach langem Krankenhausaufenthalt in die Sprechstunde, legte einen langen Arztbrief auf den Tisch und fragte, ob ich sie als neue Patientin annehme. Ich überflog den Brief und sah eine lebensbedrohliche Diagnose mit einigen Komplikationen und zwei Reanimationen.

    Ich sagte anerkennend: „Da haben Sie aber viel durchgemacht. Und die Ärzte haben Ihnen wirklich geholfen.“

    Die Frau antwortete wütend: „Das ist ein Scheiß-Krankenhaus!“

    „Wieso das denn?“

    „Da hat doch tatsächlich die Schwester an einem Morgen vergessen, mir einen Löffel zum Joghurt zu bringen!“

     

    Die Frau im Endstadium einer bösartigen Erkrankung wird von einem mir bekannten Hausarzt gefragt: „Was ist Ihnen denn noch wichtig? Gibt es etwas, was Sie unbedingt noch erleben wollen?“

    Die Frau sagt nach einiger Überlegung: „Der Haushalt muss aufgeräumt sein!“

     

    Mein Freund Nabil stammt aus Syrien. Nach dem Medizinstudium kam er mit seiner jungen Frau nach Deutschland und wurde Internist und Radiologe. Er hatte seit 1984 über viele Jahre seine Praxis im Haus neben meiner Praxis. Jetzt ist er wie ich Rentner, arbeitet in der Notfallpraxis weiter und leitet noch das Nuklearmedizinische Zentrum im Krankenhaus Sindelfingen. Häufig wird er als Übersetzer gebraucht, wenn Flüchtlinge aus den arabischen Ländern behandelt werden sollen. Nabil hat mir die beiden folgenden Geschichten erzählt.

    Ein 24-jähriger schlanker und gut aussehender Mann kommt mit nachhängendem rechtem Bein, spastischer Arm- und Handlähmung und Sprachstörung in die Klinik. Nach der Ursache seiner Lähmung gefragt berichtet er, ein ungarischer Grenzsoldat habe ihn bei der Flucht mit einem Elektroschockgerät mehrfach heftig auf die linke Schädel-seite geschlagen, dann habe es im Kopf geblutet. –

    Nabil fragt nach: „Wäre es nicht besser gewesen, wenn Sie in Syrien geblieben wären?“ –

    „Nein, ganz sicher nicht, die Regierungstruppen und die Rebellentruppen wollten mich zum Wehrdienst einziehen. Ich wollte nicht kämpfen. Wenn ich geblieben wäre, hätten Sie mich erschossen. Es ist alles gut. Ich bin hier und lebe!“

     

    Nabil machte von der Notfallpraxis aus einen Hausbesuch in einer Flüchtlingsunterkunft in Leonberg und traf dort eine junge Familie aus Syrien.

    Der Ehemann erzählte: „Wir wurden täglich mit Bomben beschossen, in unserer Straße stand kein Haus mehr. Wir hatten nichts mehr, wir konnten nichts anders tun, als zu Fuß zur türkischen Grenze zu wandern. Meine Frau war im neunten Monat schwanger, unser eineinhalbjähriger Sohn war bei uns. In der Türkei wurde unser zweites Kind im Lager geboren, es ist jetzt vier Wochen alt. Aber wir sind hier, und wir sind gesund und dankbar.“

    Neulich machte ich mitten in der Nacht von der Notfallpraxis aus einen Hausbesuch in Weissach in der Stadthalle, die als Flüchtlingsunterkunft umgebaut war. Nachdem ich den Patienten untersucht hatte, sagte die Angestellte vom Sicherheitsdienst: „Jetzt können Sie auch gleich noch mit dem Bürgermeister sprechen.“

    Ich war verblüfft: „Jetzt morgens um zwei Uhr ist der Bürgermeister hier?“

    Tatsächlich stand vor der Halle eine Gruppe junger Männer und unterhielt sich lebhaft. Ich stellte mich vor, und einer der Männer sagte: „Ich bin Daniel Töpfer, der Bürgermeister.“

    Ich lachte ihn an: „Das ist ja ungewöhnlich, nachts um die Zeit den Bürgermeister bei Flüchtlingen zu treffen? Was machen Sie hier?“

    Er lachte zurück: „Wir haben vier Partien Schach gespielt!“

    Da mischte sich einer der Flüchtlinge mit gutem Englisch ein und erzählte begeistert, dass sie oft Schach miteinander spielen, und das sei großartig, „but Daniel always wins, he is a champion!“

    In welcher Stadt in Deutschland nimmt sich ein Bürgermeister Zeit, um mitten in der Naht vier Partien Schach mit Flüchtlingen zu spielen?

    Meine Hochachtung, Herr Töpfer, für ihre meisterliche Bürger-Nähe!

     

    (Für die nicht Ortskundigen: Weissach ist eine Gemeinde mit etwa 7500 Einwohnern im Kreis Böblingen. Hier hat Porsche sein Entwicklungszentrum. Daniel Töpfer wurde 2014 im Alter von 25 Jahren mit 58% zum Bürgermeister gewählt.)

  • Beiträge zur Lesung „Gärten“, BDSÄ-Kongress Mai 2016

     

    Im Gras vor der alten
    kleinen Kirche
    blühen Schneeglöckchen
    Kokitche werden sie
    in Bulgarien genannt

    Sie sind weiß wie
    die Lilie die
    der Engel
    der Jungfrau reichte

    Weiß
    wie Schnee
    wie die Milch
    der Mutter

    Drei Blütenblätter
    umfassen den Becher
    der sich zur Erde neigt

    Drei
    wie Vater Mutter und Kind
    wie die Frau
    die gleichzeitig auch
    Mutter und Tochter ist

    Eine Dreiheit
    wie Vater Sohn
    und Heiliger Geist

    Wo sind deine drei
    anderen Blütenblätter
    verborgen?

    Wohin sind sie verschwunden?
    Oder wem
    hast du sie geschenkt?

    Helga Thomas

    20.2.2016

     

    Nachtrag vom 2.3.16:

    Ich schenkte sie dem Künstler
    der sie zum Becher schuf
    zum Abbild des
    Heiligen Gral
    versteckt
    in der Mitte der Drei

    Das Schneeglöckchen dankt
    der Wärme
    dem Licht
    indem es sich öffnend
    sich nieder zur Erde neigt

    Vielleicht
    sagt es dem Schnee
    dass er das Tauen
    nicht fürchten muss
    Freude wird ihn erfüllen
    wenn Tropfen um Tropfen
    er sich löst

    Freude wird auch die Erde erfüllen
    denn das Schneeglöckchen versprach:
    ich werde dir schenken
    was jetzt in mir wächst

    13.2.2016

     

     

    Als Kind sprach ich
    als ich noch nicht sprechen konnte
    mit den Blättern im Wind
    mit dem im Baum verborgenen Gesicht
    das dem Gesicht der Mutter glich
    und in manchen Nächten
    zum Mond heimgekehrt war

    Als Kind ging ich
    spazieren im Garten
    mit Wunderbäumen
    und Zauberblumen
    die ich mir selbst erschaffen habe

    Als Kind liebkoste ich
    mein kleines Tier im Arm
    das meinen Schlaf beschützte
    und am Tage nur ein Bettzipfel schien

    Als Kind war das mein Alltag
    und heute fühle ich mict glücklich
    und meine es ei ein besonderer Tag
    wenn es mir wieder gelingt

     

    Copyright Dr. Helga Thomas

     

     

     

  • Simon-Patience-Bild

    Am Ende dieser Geschichte steht die Übersetzung von Dietrich Weller

    PATIENCE                                         

    Many, many years ago, an old wise man was asked if patience gives one power. His answer was a tale about patience.

    “Once upon a time by the banks of a small tributary of the Yellow river 河蒙西) a well known Sage was fishing. As in every refined tale it is the case, that a Sage is able to communicate with animals .Nearby the fisherman rested a large turtle. The turtle asked the fisherman again and again, the explanation of the patterns of its shell……..Your home – a shell – is your protection against all injuries. It has a pattern on it that describes your virtues. Your greatest virtue is the virtue of patience. This shell is a symbol of patience.

    Humans protect themselves with clothes against the cold. If one puts on more clothes as the cold increases, then the cold will not be able to harm us. However, clothes do not protect us against wrongs, insults, or anger. In these instances when one encounters great wrongs, one should learn to be more patient .One puts on an imaginary shell thereby the insults will be unable to irritate our minds. By being patient a turtle, for example, overcomes storms. By being patient, man can master stormy times and adversities.

    Clearly, patience is power.

    Being patient is the ability to calmly see the accomplishment of one’s goals, not hastily or impertinently. Being patient doesn’t mean sitting around waiting for things to happen.     Instead, it means to work hard as long as necessary without giving up until one attains ones goals. It is to be remembered that if one persist in one’s personal objectives, while enduring the necessary wait, one shall finally succeed. Silkworms make silk cocoons after getting their fill of mulberry leaves. Man, on the other hand, use the silk to weave gowns. In time and with patience the mulberry leaf eventually becomes a silk gown.

    With patience, one learns to enjoy the process and the journey, rather than just keeping ones sights on the end result. By practicing fishing I grow to be patient“, concluded the Sage.

     

    Author’s note                                                                                                                                         

    Patience is an English word meaning “the quality of being patient in suffering,“ originating from Latin „patientia“ (bearing hardship; endurance). The word “patience” has a double meaning as in suffering and  endurance. It can apply to both patients and doctors alike.
    A patient-patient bears hardship – with fortitude and calm and without complaint.

    A patient- physician practices – with patience, steady perseverance and even-tempered care.

    A patient-physician has a virtue to listen to his   patients and the willingness to suppress restlessness or annoyance when confronted with delays in protracted treatments.

    Dr. med. André Simon   © Copyright   

     

    Geduld

    Von André Simon, übersetzt von Dietrich Weller

    Vor vielen, vielen Jahren wurde ein weiser Mann gefragt, ob Geduld Kraft spende. Seine Antwort bestand in einer Fabel über Geduld.

    „Es war einmal am Ufer eines Nebenflusses des Gelben Flusses ein sehr bekannter Weiser beim Angeln. Wie in jeder veredelten Fabel kann ein Weiser mit den Tieren sprechen. Neben dem Fischer ruhte sich eine Schildkröte aus. Die Schildkröte fragte den Fischer immer und immer wieder nach den Erklärungen für die Muster ihres Hauses.

    Dein Haus – eine Muschel – ist dein Schutz gegen alle Verletzungen. Es trägt ein Muster, das deine Tugenden beschreibt. Deine größte Tugend ist Geduld. Dieses Haus ist ein Symbol für Geduld.

    Menschen schützen sich mit Kleidern gegen die Kälte. Wenn man bei zunehmender Kälte mehr Kleider anzieht, kann uns die Kälte nichts anhaben. Gegen Verfehlungen, Beleidigungen und Wut schützen sie uns jedoch nicht. In diesen Fällen, wenn man große Verfehlungen erlebt, sollte man lernen geduldiger zu sein. Man zieht eine scheinbare Hülle an, wobei die Beleidigungen unseren Geist nicht mehr stören können. Durch Geduld übersteht eine Schildkröte Stürme. Durch Geduldigsein kann der Mensch stürmische Zeiten und Widrigkeiten meistern.

    Ganz klar: Geduld bedeutet Kraft.

    Geduldigsein ist die Fähigkeit, die Vollendung der eigenen Ziele zu beobachten, nicht hastig oder hartnäckig. Geduldigsein bedeutet nicht herumzusitzen und darauf zu warten, dass irgendwelche Dinge geschehen. Stattdessen bedeutet es, hart so lange zu arbeiten wie nötig, ohne aufzugeben, bis man seine Ziele erreicht hat.

    Man muss sich klarmachen, dass man letztlich siegen wird, wenn man auf seine persönlichen Zielvorgaben besteht, während man die notwendige Wartezeit aushält. Seidenwürmer produzieren Seidenkokons, nachdem sie sich an Maulbeerblättern sattgegessen haben. Der Mensch andererseits nutzt die Seide, um Kleider zu weben. Mit der Zeit und mit Geduld wird das Maulbeerblatt schließlich zu einem Seidenkleid.

    Mit Geduld lernt man den Vorgang und die Reise zu genießen statt die Blicke nur auf das Endresultat zu richten. Indem ich angle, wachse ich in die Geduld hinein!`“, schloss der Weise.

    Bemerkung des Autors

    Patience ist ein englisches Wort, das die Eigenschaft bezeichnet, geduldig im Leiden zu sein. Das stammt aus dem Lateinischen patientia: Ertragen von Not, Ausdauer. Es kann sich sowohl auf Patienten als auch auf Ärzte beziehen.

    Ein geduldiger Patient erträgt Not – mit Stärke, Tapferkeit und Ruhe und ohne Klagen.

    Ein geduldiger Arzt praktiziert mit Geduld, gleichmäßigem Beharrungsvermögen und ausgeglichener Stimmung.

    Ein geduldiger Arzt hat die Tugend, seinem Patient zuzuhören und den Willen, Unruhe oder Verärgerung zu unterdrücken, wenn er mit Verzögerungen bei langwierigen Behandlungen konfrontiert wird.

    Bemerkung des Übersetzers

    Das lateinische Wort patientia ist abgeleitet vom Verb pati. Das bedeutet zulassen, dulden und erdulden, leiden und erleiden.  Hier ist bereits die Doppelbedeutung enthalten, die aus dem (primären) passiven Leid die (sekundäre) aktive Eigenschaft des Verhaltens im Leid, nämlich das Erdulden, die Geduld, entwickelt. –

    Das Verb pati ist transitiv/passiv, es gibt im Latein keine aktive Form des Leidens. Das zeigt, dass Leid als etwas Auferlegtes ertragen werden muss. Das verwandte Verb patere (mit langem e gesprochen) bedeutet offenstehen, offen sein, zulassen, offenbar sein. Daraus leitet sich der südländische Patio (= der offene Innenhof) ab.

    Passus sum bedeutet wörtlich übersetzt: „Ich werde geleidet = mir wird Leid auferlegt“.

    Diesen passiven Begriff kennen wir im Deutschen nicht, wir übersetzen ihn in das aktive „ich leide“.

    Aus dem Wortstamm pati/passus hat sich auch der Begriff Passiv entwickelt: „es passiert mit mir“, dem das Aktive „ich mache etwas“ gegenübersteht.

    Copyright Dr. Dietrich Weller

     

  •  

    Wenn in herbstlichem Schweigen jedes Lachen stirbt
    Und kein Schnee als gnädiges Leichentuch das Namenlose verdeckt –
    Wird Passion zum Advent.
    Dann wandeln sich gefrorene Rosen in Christusblüten.
    Der Sturm trägt mit den toten Blättern
    Die letzten Zweifel fort
    Und gibt die neuen Knospen frei.
    Bleierne Wolken künden den Märzschnee
    Und im Feuer der steigenden Wasser
    Glüht österliches Weiß.

  • Diese Texte hat Eberhard Grundmann beim BDSÄ-Kongress in Bremen 2015 vorgetragen in der Lesung „Schiff-Fisch“ (Moderation Jürgen Rogge)

    Memorandum eines Wassertropfens

    Halt!
    Bevor du mich trinkst
    oder wegspülst
    sieh mich an
    mich
    den kleinen wassertropfen
    Von weit komme ich her
    aus einem fernen ozean
    stieg ich empor
    flog hoch über meere und inseln
    und kontinente
    regnete nieder auf berge
    sickerte durch gestein
    wusch höhlen
    und trug das mineral
    für tropfstein und sinterbecken
    so schön dass maler nicht
    aufhören sie zu bejubeln
    auch üble gifte
    lud man mir auf
    die ich mühsam in
    sandschichten ablegte
    manches rad drehte ich
    für dich auf meinem weg
    manches schiff trug ich zu dir
    brot liess ich dir wachsen
    ich reinigte dich und dein haus
    in adern floss ich und tränen
    ich habe deinen zorn befriedet
    im rauschen des baches und des meeres
    im sommer gab ich dir kühlung am fluss
    Sieh mich an
    bevor du mich
    trinkst oder wegschüttest!
    (27.06.2010 Ždiar SK)

    phylogenese rückwärts

    früher war es besser
    sagte der primat
    und stieg vom baum der erkenntnis
    streckte sich wohlig in die waagerechte
    auf der besten matratze der saison
    und sprach
    es ist fast wie früher
    als ich ein fisch war
    im warmen meer
    (30.10.2012)

    Allein

    Ein Haus hat Ritzen und Ratzen,
    und oben, da flitzen die Spatzen,
    unter jedem Silbertischchen
    wohnt auch gleich ein Silberfischchen,
    von Fliegen und Mücken zu schweigen,
    die sirren und tanzen den Reigen.
    Da klagt doch so mancher, wie kann es nur sein,
    er wäre allein.
    (25.07.2013)

    Wennemanns neue Himmelsmechanik

    Wennemann erwacht
    mitten in der Nacht.
    Ein Gedankenblitz
    reisst ihn aus dem Sitz.
    Die Väter stritten grob,
    ob die Erde, ob
    sie eine Scheibe sei
    oder Kugel oder Ei.
    Alles eitler Tand,
    wie Wennemann jetzt fand.
    Vom Traum her mit dem Tubus
    erkennt er sie als Kubus
    mit Gebirgen an den Kanten
    vom Ural bis zu den Anden
    und mit Ebenen dazwischen
    und mit Seen drin zum Fischen,
    und mit Mooren und mit Torfen
    wird er täglich neu geworfen
    von des Schicksals Übermächten,
    von den guten wie den schlechten.
    Wennemann erklärt penibel,
    so erst würden uns plausibel
    die Wechselfälle der Geschicke,
    welche statt als Bahn als Knicke
    imponieren und im Leben
    wie auch sonst als Erdenbeben,
    wenn wieder mal und über Nacht
    der Würfel auf die Kante kracht.
    Aberach ist hochentzückt,
    endlich wird zurechtgerückt,
    was ihm bisher als ein Rätsel
    verschlungen schien wie eine Brezel.

  • (Der Text wurde beim BDSÄ-Kongress 2015 in Bremen vorgetragen)
    Die Frage, was der Mensch mit seinem Globus mache, bewegt seit Jahren die öffentliche Debatte. Dabei wird an Industrie und Technik gedacht, nicht aber an den höchstpersönlichen humanen Beitrag.

    Nach seinem grundlegenden Bauplan ist der Mensch – so wie viele andere Arten auch – ein doppelwandiger Schlauch. Die primären anatomischen Orientierungen dieses Schlauches sind die Wände INNEN und AUSSEN sowie der Zwischenraum in der MITTE zwischen den Wänden. Sekundäre Orientierungen sind EINGANG und AUSGANG, die man auch ORAL und ABORAL nennt, was mundwärts und afterwärts bedeutet. Analoge Namen sind ROSTRAL (schnabelwärts) und CAUDAL (schwanzwärts) oder bei aufrechter Haltung OBEN und UNTEN. Die tertiären Orientierungen sind VORN / HINTEN, RECHTS / LINKS.

    Die Achse durch den oralen und aboralen Pol kann senkrecht, waagerecht und in jeder Neigung dazwischen sowie in jeder Krümmung gedacht werden. Sie verrät viel über den Inhaber. Klassisch unterscheidet sich die krumme Achse des Homo supressus in der Despotie von der Orthopädie des aufrechten Ganges eines Freien.

    Der eben beschriebene Schlauch Mensch bewegt sich nicht nur durch die Welt, sondern er bewegt auch die Welt durch sich, und zwar hindurch. Das tut er auf dem Wege des Stoffwechsels mit folgendem Ergebnis. Meine Berechnungen beruhen auf der Weltbevölkerung vom 8.12.2001 20:32. Zu dieser Zeit waren es lt. Internet[1] 6.185.969.436 Leute – im Januar 2015 bereits über 1 Milliarde mehr. Unterstellt man, dass jeder pro Tag bescheidene 2,5 l Wasser[2] und 505g feste Nahrung zu sich nimmt, ergibt das einen Jahresverbrauch von 5,6 Mrd mWasser und 1,14 Mrd t feste Stoffe.

    Auf der anderen Seite gibt die Weltbevölkerung auch wieder etwas zurück. Nämlich an Flüssigkeit jährlich – wenn man jedem 1,5 l Tagesproduktion unterstellt und Schweiss, Tränen sowie andere Kleinstmengen nicht mitrechnet ‑ rund 3,4 Mrd m3. Das entspricht dem 15,75-fachen von Deutschlands grösstem Stausee, der Bleilochtalsperre. Es entspricht auch mehr als einer halben Million schweren Güterzügen, die 10 mal um den Äquator reichen würden[3]. Bei den Feststoffen – die Tagesleistung sei ohne Hautschuppen, Haare oder Nägel 300g ‑ kommen wir auf runde 677 Mio t/Jahr. In green-bewegten Reports vermisse ich Hinweise auf derartige Emissionen.

    Zu alldem werden jährlich schon in Ruhe 853 Mrd m3  CO2 ausgeatmet, das sind 1,5 Mrd t und immerhin knapp 7% der industriellen Emission, die ihrerseits bei 21,8 Mrd t[4] liegt. Bei körperlicher Belastung aber kann das Atemzeitvolumen bis über das 22-fache steigen, was Jogger zu Umweltsündern macht. Als Durchschnitt dürfte das 4-fache bei weitem nicht zu hoch gegriffen sein. Ich frage daher: Wo bleibt das Verbot des Ausatmens oder wenigstens seine Besteuerung? Ferner ist zu bedenken, dass der aborale Pol der Menschheit jährlich 1,35 Mrd m3 durchaus unedler Gase abgibt, darunter N2, H2, CH4, CO2 – die letzten beiden sind Treibhausgase. Es ist geradezu ein Skandal, dass die Energieträger Methan (CH4) und Wasserstoff (H2) nicht ins öffentliche Netz gespeist werden. An diesem Punkt muss das Energiegesetz dringend nachgebessert werden.           00:06:35:00

     

    [1] http://www.dsw-online.de/cgi-bin/count.pl

    [2] Werte für Ein- und Ausfuhr aus: 1) Schmidt R F, Tews G (Hrsg.): Physiologie des Menschen. Berlin: Springer, 1993 und 2) Silbernagl S, Despopoulos A (Hrsg.): Taschenatlas der Physiologie. Stuttgart: Thieme, 1991

    [3] 566.667 Züge zu je 6.000t und 700m Länge = 396.667km = 10x Äquator

    [4] http://www.wissenschaft.de/sixcms/detail.php?id=28499