-
Prolog 1: Die „Fritz“ ist ein Renndoppelzweier unseres Ruderclubs RV OSCH (Osterholz-Scharmbeck), ein in die Jahre gekommenes Boot des Herstellers Filippi, einer Ruderwerkstatt aus Wetzlar. Zugelassen bis 90 kg. Es fährt nicht mehr so richtig geradeaus, es ist ein bisschen „weich“, aber ich liebe es.
Prolog 2: Alexander von Humboldt reiste im Jahr 1800 ins Orinoco-Tal. Zusammen mit seinem Begleiter, dem französischen Botaniker Aimé Bonpland sammelte er wichtige geographische, zoologische und botanische Daten, die viele Mythen um die unerforschte Region entkräften konnten. Humboldt faszinierten vor allem die für den gewaltigen Strom so charakteristischen “zerstreuten Landschaftszüge, dieses Gepräge von Einsamkeit und Großartigkeit.” (Wikipedia)
Sonntagmorgen im Januar 2021, Temperatur knapp unter Null, Windstille, die Sonne möchte rauskommen, traut sich aber nicht richtig.
Zu zweit gehen wir aufs Wasser, und wir müssen aufpassen: Es sind noch zwei Rennzweier unterwegs.
Richtung Ritterhude passieren wir die bewaldete Mündung des Scharmbecker Bachs.
Solange wir hier rudern, fällt mir an dieser Stelle der Orinoco ein.
Witzig, der Scharmbecker Bach ist vergleichsweise klein, und der Orinoco ist der viertgrößte Strom der Welt.
Aber: Diese Gegenden haben etwas gemeinsam: So, wie der Orinoco und der Amazonas über den Rio Negro miteinander in Verbindung stehen, und vom Rio Negro haben die Entdecker mal behauptet, es sei der einzige Fluß, in dem das Wasser bergauf fließen kann, so ist es auch in diesem Wassernetzwerk von Hamme und Wümme.
Auch die fließen (wegen der Tide) mal bergauf, mal bergab, stehen miteinander in Verbindung, beispielsweise durch die Semkenfahrt bei Waakhausen.
Durch diese Amphibienlandschaft kurven wir, unter der Hammebrücke hindurch, wo man sehr aufpassen muß, der Durchlaß ist für das Ruderboot gerade ausreichend. Dann passieren wir den ersten Zweier, ohne Berührung, mit Begrüßung.
An der Ritterhuder Schleuse treffen wir den zweiten Zweier ohne Berührung.
Der Rückweg ist dann frei, hinter der Brücke.
Heute fließt das Wasser weder bergauf noch bergab. Dafür ist es windstill.
Warum das Wasser beim Orinoco bergauf fließen kann?
„Der Orinoco führt nach der Einmündung sedimentreicher Nebenflüsse aus dem höheren Bergland trübes Wasser und bildet hier bei seinen Verzweigungen nicht nur Inseln, sondern auch eine – in Oberläufen von Flüssen sehr seltene – Flussbifurkation; sie gilt als die bedeutendste Flussverzweigung weltweit. Der Brazo Casiquiare zieht vom Wasser des Orinoco (1.400 m³/s[4]) zwischen 12 % bei Niedrigwasser und mehr als 25 % bei Hochwasser ab und wächst im weiteren Verlauf zum linken Quellfluss des Rio Negro heran, der wiederum in den Amazonas mündet.“
Der Hamme fehlt einfach so eine Flußbifurkation.
Aber das ist auch gut so.
Sonst würden wir uns ständig verfahren oder nicht entscheiden können, in welche der Bifurkation wir hineinrudern sollen.
Wir haben auch keinen Fitzcarraldo.
Wir haben dafür „Fritz“.
Die „alte Fritz“.
-
Das Morgen ist der Tod des Heute
Heute lag im Bett und schlief
Träumte seinen Traum
Kindchen gestern kam und rief
Nimm den Apfel von dem Baum
Im Paradies im Traum.Und der Apfel fiel
Aus dem Paradies und fiel
Aus dem Apfeltraum.Auf die Straße, auf die Steine
Vor den Kasten, vor die Beine
Vom Leierkastenmann
Der den Apfel sah und sang:Vom Chaos geboren
Zum Leben bestellt
Das Heute verloren
Im Morgen der Welt.Tröstet euch Leute
Das Morgen wird heute
Und das Heute fällt
in das Gestern der Welt.Heute legt mir
Das Geld in den Hut
Morgen seht ihr
Wie gut mir das tut.Heute ist verloren
Fällt vom Apfelbaum.
Im Paradies geboren
Wächst zum Morgentraum.13.12.2020
-
Wir müssen mit dem Klima leben,
das Feuer speit und Menschen frisst
Wir müssen an der Zukunft weben
Die nur schwer zu ändern ist.Seht nur,
die Natur
macht ihr eigenes Ding.Was kümmert sie
Die Kohle,
wenn wirr zu viele Menschen sind.Was kümmert sie
Das Nashorn
In der Steppe ist sie blind.Natur kennt keine Sorgen
Sie geht ihren Weg.
Wir sind nicht jetzt, nicht morgen
Ihr Lebensprivileg.Egal ob süß ob sauer
Ihr ist nichts von Dauer
Ihre Lebenszeit
Ist unsere Ewigkeit.Wir müssen uns fügen
Sie bestimmt den Galopp
Wirft uns aus dem Sattel
Sagen wir Stopp!14.12.2020
-
Proviant
(7.11.2020)
Sollte ich vier Bilder
als Proviant mitnehmen
würde ich den Himmel mitnehmen
bei aufgehender Sonne
die frisch gepflügten Kornfelder
bei Beherbergung vieler Vögel
die hohen bunten Berge
während der Reise der Zugvögel
und dein bezauberndes Lachen
Die ersten drei Bilder wären austauschbar
das letzte nicht֎֎֎
-
Eine Widmung
(Ivo Meraskentis)
Der kleine Mond
am Gipfel ist er langgezogen
ganz wird er sich zeigen dann
rund und schön
wird er sich zeigenmancher Vers ward ihm gewidmet
oft besungen hat man ihn
weitre Zeilen könnten leicht
ein überflüssiges Lied nur sein,
vielleicht
vielleicht gereicht zur Ehre ihm
dies eine,
dass ich mich freuen werde
wenn Herzensblicke
wieder ruhen sollten
auf seiner Pracht
selbstlos und sicher auf der Bahn
mir Gute Nacht zu sagen,
zu gestatten
nicht nur das Wörtchen Schade -
Dichtende Bäume
(2.11.2020)
Betrachte mich als einen Baum
und meine Gedichte als seine Früchte
oder als seinen Schutz und Schatten
für Suchende und Wanderer
Die Wurzeln dieses Baumes
verweilen auch im Iran
mit seiner uralten reichhaltigen Erde
Dynastien und Herrscher kamen und gingen
wie Wolken und Stürme
die Wiege barmherziger Betrachtungen
blieb und bleibt֎֎֎
-
Aufstehen
(17.10.2020)
Wenn du
die natürlichen, wunderschönen Eisgebilde
am Rande der Wasserläufe
mit allen Sinnen erleben willst
musst du zuerst wissen
wann, wo und wie sie entstehen
Dieses Wissen allein
kann dir jedoch die bezaubernde Begegnung
mit diesen Wundern nicht verschaffen
Du musst aufstehen
und dich in Bewegung setzen
So verhält es sich auch
mit der gesellschaftlichen Gerechtigkeit
und den anderen Schönheiten des Lebens֎֎֎
-
Bekenntnis
(7.10.2020)
Wenn du mich fragst
in diesen bedrückenden
und gleichzeitig hoffnungsträchtigen Tagen
in einer Zeit
in der die Mächtigen alles unternehmen
um menschliche Nähe und Berührung
mit schlechtem Gewissen zu beladen
und dass nicht nur bei unseren Kindern
ja, wenn du mich fragst
was das Leben ist
sage ich dir voller Inbrunst
Das Leben ist die Wärme
miteinander verbundener Herzen֎֎֎
-
Dichtung und Liebe
(3.10.2020)
Im Bach der Morgendämmerung
wasche ich meine Augen
Mit dem Seidentuch des Regens
reinige ich meine Gedanken
Dem großzügigen Wind
überlasse ich meine Sorgen und Zweifel
Und dann
unbeschwert, verrückt
mit geläuterten Worten
schreibe ich dir
meine schönsten Liebesgedichte֎֎֎