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Requiem für eine Kommilitonin (Fast eine Autobiographie)
Sie saß neben mir in der ersten Vorlesung zu Beginn des Studiums. Wir machten zwei Semester lang viel zusammen. Man aß damals im Kolpinghaus, wo man für DM 1,25 Spagetti mit Tomatensoße bekam. Es hieß nämlich, der Student geht so lange zur Mensa bis er bricht. In der Tat war das Essen in der Freiburger Mensa abscheulich, man meinte Spülwasser zu schmecken.
Da ich von einem Realgymnasium kam, glaubte ich das, was in Physik und Chemie verzapft wurde, bereits zu wissen, sodass ich nicht zu lernen brauchte. Maren hatte an einem sprachlichen Gymnasium Abitur gemacht, lernte also etwas für die naturwissenschaftlichen Fächer, mit der Folge, dass sie im Vorphysikum viel besser abschnitt als ich. Es entstand eine Freundschaft, die auf einer gewissen Konkurrenzsituation basierte.
Maren war Einzelkind so wie ich, hatte aber beide Eltern, von denen sie den Vater abgöttisch liebte, während sie ihre Mutter – wie ich mir später zusammenreimte – hasste.
Ich dagegen lebte mit meinem verwitweten Vater unter dem Diktat der Mutter meiner Mutter. Papa war viel zu alt für mich, lieb und gütig, konnte mir aber die eigene Mutter, vor allem in seelischen Angelegenheiten, natürlich nicht ersetzen. In geistiger Hinsicht hatte ich ungewöhnlich viel von ihm, lernte und wurde nach Kräften gefördert. Obwohl das Geld in der Nachkriegszeit sehr knapp war, sparte er nicht an Büchern, Reisen, Theaterbesuchen. Was das tägliche Leben kostete, wusste mein Vater nicht. An manchen Tagen hatte ich gerade noch 50 Pfennig für eine Suppe, doch es wäre mir unangenehm gewesen, ihn um eine pünktliche Überweisung meines monatlichen Unterhalts zu bitten. Kurz, ich war reichlich unselbständig, unreif, übermäßig behütet und “durfte nichts”, was heißt, dass ich z. B. zu Hause in unserer kleinen Garnisonstadt nach Einbruch der Dunkelheit nicht allein auf die Straße gelassen wurde. In Freiburg zu studieren war ein Privileg, das ich der Anwesenheit meiner etwas älteren Cousine am Studienort verdankte.
Als weitere Vergünstigung durfte ich nach dem Semester zu Maren an die untere Weser fahren. Sie hatte einen Dackel und ein Paddelboot, nahm mich mit zu Bootsausflügen. Natürlich saß ich als Anfängerin vorn, was mich zunächst ziemlich ängstigte. Als ich einmal vor ihr und ihrem Vater die Treppe hinaufging, sagte sie zu ihm: “Guck mal was für schöne Beine sie hat, wie Marmor”. Das hat sich, wie man sieht, eingeprägt. Viele Komplimente bekam ich ja nicht, empfand mich als Mauerblümchen und war es auch.
Unsere Studienorte, Wege, Fachrichtungen trennten sich, wir blieben über Geburtstags- und Weihnachtsbriefe in Verbindung. Ich heiratete verhältnismäßig früh, kam damit und mit der Schwiegerfamilie nicht sehr gut zurecht, auch nicht mit der Zeit als Medizinalassistentin, landete aber glücklicherweise in dem für mich richtigen Fach.
Maren wurde Anaesthesistin. Sie war entschlossen, sich damals nicht zu binden, nachdem sie einem Verehrer, der sie gleich nach dem Abitur heiraten wollte, den Laufpass gegeben hatte. Ich glaube, sie hat sich das insgeheim immer übel genommen, zumal sie erleben musste, wie eine Freundin und dieser Verehrer sich näher kamen und später auch heirateten.
Sie besuchte mich einmal während der Zeit, als ich noch – todunglücklich – mit meinem Mann zusammen im Haus meiner Schwiegermutter lebte. Maren empfand die ebenso tüchtige wie bestimmende Frau ebenfalls als tyrannisch, verstand sich aber gut mit dem Hund des Hauses (viel besser als ich), was ihr natürlich Sympathien einbrachte.
Maren litt ebenso wie ich an Migräne, jedoch wesentlich häufiger und mit schwereren Symptomen. Damals half ihr, wenigstens einigermaßen, Avamigran, was i. v. zu injizieren war. Als ich sie einmal an ihrem Arbeitsort besuchte, hatte es sie gerade so schlimm erwischt, dass sie nur noch im Sessel hing und wimmerte, bis ich sie mit einer i. v. Spritze erlöste, d. h. es wurde nach etwa 20 Minuten erträglich. Wehleidig war sie nicht, fand dann rasch ihre Vitalität wieder.
Irgendwann bekam sie eine Hepatitis. Ihre Arbeit hat sie nie länger als unbedingt notwendig unterbrochen. Zu welchem Zeitpunkt ihre depressiven Verstimmungen begannen, weiß ich gar nicht. Sie machte nicht viel Wesens darum und versuchte, sich an ihrem eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.
Später heiratete sie einen viel älteren Mann, ganz folgerichtig, wie ich im Hinblick auf ihre Familiengeschichte fand. Ihn lernte ich erst vor zwei Jahren kennen, einen kultivierten, liebenswürdigen Herrn alter Schule, der natürlich verheiratet gewesen war und Kinder hatte, nicht willens und auch nicht fähig, sich für Dinge des täglichen Lebens zu engagieren. Sie sagte nicht mehr als: die erste Zeit war sehr schwer. Wenig später wurde er hilfsbedürftig, zum Teil aus Bequemlichkeit. Maren stand treu zu ihm, hatte schreckliche Depressionen. Wir trafen uns in Abständen, gingen zusammen ins Ägyptische Museum. Sie meinte, dass zwischen uns “die Chemie immer noch stimme”. Clichés mag ich nicht, verstand aber die positive Botschaft. In der Folge gewann ich eine Art Oberhand, als ich gute Erfahrungen mit einer zweiten lebendigen, spannungsvollen und interessanten Ehe machte, erfolgreich bis zum 68. Lebensjahr eine Einzelkämpferpraxis führte und meinen Ehrgeiz durch ein Zweitstudium und kurzweilige schriftstellerische Tätigkeit befriedigen konnte.
Es kam der Sommer 2016. Ich war wegen einer Tagung an Marens Wohnort, mit ihr zum Kaffeetrinken und „Schwätzen“ verabredet. Wir trafen uns, sie setzte einen Fuß unglücklich auf die Rolltreppe, fiel buchstäblich auf die Nase, erlitt einen Nasenbeinbruch und, was viel unangenehmer war, eine stark blutende Platzwunde unter dem linken Auge. Notfall-Ambulanz, ab ins Klinikum, ich fuhr natürlich mit. In dem Zimmer, in dem wir dann mehr als zwei Stunden warten mussten (ein Notfall nach dem anderen, Wochenende natürlich), war alles vorhanden. Ich zog Handschuhe an und war in Versuchung, selbst zu nähen, ließ es glücklicherweise doch lieber bleiben und beschränkte mich auf Blutstillung und Zuspruch. Ein Kollege produzierte eine auch kosmetisch absolut einwandfreie Naht, für die Maren “nur” 125, – Euro zahlen musste, während die Rechnung für den Krankentransport mit mehr als 500 Euro zu Buche schlug.
Es kam der Juli 2017. Ich wollte mich fernmündlich nach ihrem Befinden erkundigen und an dieses gemeinsame Erlebnis erinnern, bekam ihren Mann ans Telefon und musste hören, dass Maren vier Wochen zuvor verstorben war. Ich schrie auf, erfuhr, dass sie wohl eine Apoplexie erlitten hatte und die Kellertreppe hinuntergestürzt war. Ihr Mann, gehbehindert und an ihre Fürsorge gewöhnt, fand sie Stunden später bewusstlos in einer Blutlache. Sie verstarb drei Tage später in der Klinik, ohne noch einmal aus dem Koma zu erwachen.
Entlastet mich das jetzt? Es soll ja manchmal helfen, sich etwas von der Seele zu schreiben…
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Lichter Blick
(15.7.2017)
Ganzheitlich fühlen und denken
denn das Ganze trägt das Wahre
Sich gegenüber verbindlich ehrlich sein
denn Redlichkeit entfesselt die Kräfte
Herzen und Köpfe berühren
denn Glück gedeiht gemeinsam -
Neuer Tag
(6.7.2017)
Neugierig öffne ich weit das Fenster
dem grüßenden Gesang meiner Geschwister folgend
Vor einigen Wochen hier geboren
üben die Jungvögel entzückend Fliegen
Das liebliche Lachen der Sonne
breitet sich im flirrenden frühen Tageslicht
tanzend auf Wald und Wiesen aus
befreit die Wipfel vom feuchten Schlafsand
Dieser sucht Trost bei glitzernden Tauperlen
in gelb-bräunlich ruhenden Kornfeldern
Die aufgewachten Baumkronen recken sich geschmeidig
in ihrem bunten samtigen Gewand
tragen gemütlich sattgrüne Gedichte vor
Mein neuer Tag beginnt֎֎֎
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Brise
Eine Brise streichelt sanft das Meer
Federleicht berührt sie mich erfrischend
Ich rieche an jedem ihrer Worte
Mein Herz wird zu einem Leuchtkäfer
und fliegt zu dir(16.6.2017)
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Wanderer
(1.6.2017)
Die Zärtlichkeit deiner Anschauung
verwandelt den eingenisteten Kummer
in farbenfrohe Schmetterlinge
die behutsam Leben lehren
Du lässt deine Erkenntnisse
sanft wandern
und Herzens Knospen öffnen sich -
Ein Beitrag zur Lesung Gehen oder Bleiben beim BDSÄ-Kongress in Gummersbach 2017
Ein Blütentraum
Immer, wenn ich durch Schönhagen fuhr, der an dem verzweigten See gelegenen Stadt mit einer doppeltürmigen Kirche, stieg in mir die Erinnerung an Dich auf.
Bevor der Zug hielt, blickte ich in die Bahnhofstraße, eine Allee mit japanischen Zierkirschen, die zur Blütezeit im Mai mit ihrem strahlenden Weiß-Rosa die Seele heller leuchten ließ.
Und wenn der Zug hielt, schaute ich auf den Bahnsteig hinaus. Aber ich sah Dich nie.
Hätte ich aussteigen sollen, um Dich zu suchen? Nein. Das Leben war anders gelaufen. Ich hatte schließlich Familie, Kinder, eine interessante Arbeit.
Und doch. Ich musste an Dich denken.
Warum bin ich nicht bei Dir geblieben? Du warst so großartig. Dir vor allem verdanke ich so wunderbare Erlebnisse und Gefühle. Wir konnten so herrlich miteinander lachen. Was haben wir nicht alles gemeinsam unternommen!
Du warst nicht nur schön, sondern auch klug. Das in einer Person, sagte mein Vater, finde sich selten.
Du spieltest Flöte und machtest mich mit Musik vertraut, die ich nicht kannte. Ich war fasziniert davon, wie Du die richtigen Finger im richtigen Moment auf die richtigen Öffnungen setzen konntest, damit der richtige Ton entstand. Ich durfte auch probieren, aber es kam nur ein Quietschen zustande.
Als wir in Berlin waren und Du mich in die Staatsoper zum Violinkonzert von Mendelssohn-Bartholdy führtest, lernte ich eine ganz andere Welt kennen. Aber als Du mir die Schallplatte mit diesem Konzert, Du hattest sie unter Schwierigkeiten gerade erst erworben, eine Woche später vorspieltest, kam mir die Musik nur „irgendwie bekannt“ vor.
Du warst mir in dieser Beziehung über, ebenso beim Anhören von Balladen, die Peter Anders sang. Und Du verfolgtest sogar alles auf der Partitur.
Ich besitze diese Schallplatten noch und höre sie zuweilen.
Weißt Du noch, als wir zelteten? Nachts kamen Wildschweine. Ohne Dich hätte ich mich nicht getraut, sie zu vertreiben. Wir gingen dann noch am See entlang. So schön hat der Mond – ganz nahe, groß und orangefarben leuchtete er – nie wieder geschienen. Über dem Wasser zogen zarte Nebelschwaden dahin. Beim Fangen von Glühwürmchen glitten wir ins schon etwas feuchte Gras, was wir erst später bemerkten. So laue Nächte gab es niemals mehr.
Als wir einmal an den FKK-Strand gelangten, bedeutetest Du mir, dass das noch nichts für mich sei.
Nun ja, von zu Hause kannte ich Nacktbaden nicht. Aber Du warst doch ohne Badeanzug noch viel schöner als mit. Deine ebenmäßigen Beine waren an den Waden mit kleinen schwarzen Fusselhaaren bedeckt. Du hattest es gerne, wenn ich sie Dir streichelte. Heute rasieren sich die Mädchen diese Haare ab und erinnern mich an Nacktschnecken.
Oh, und die Leberflecke auf Deinem Rücken sahen aus wie das Sternbild der Waage. Du hattest gescherzt: „Wer waagt, gewinnt.“
Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass Du die Gans zum Mittag im Backofen braten musstest. Deine Mutter wollte mir wohl zeigen, dass Du auch kochen konntest.
Und ich durfte die braun gebratene Gans zerlegen. Vermutlich wollte Deine Mutter sehen, ob ich das Tranchieren beherrsche.
Als ich den ersten Flügel abtrennte, kam noch Blut aus dem Gelenk. Die Gans war nicht gar geworden. Ein Schreck für Deine Mutter und vor allem wohl für Dich. Und sofort erklärtest Du, dass wir Chinesisch essen würden. In China würde, jedenfalls bei Ente, nur die Oberschicht mit der Haut in Oblatenstärke abgetrennt und verspeist. Das hattest Du gelesen, wie Du mit später verraten hast. Wir aßen also Chinesisch und die Situation war gerettet.
Später haben wir noch oft darüber gelacht, vor allem über das Gesicht Deiner Mutter.
Du konntest auch so unbeschwert tanzen. Unvergesslich, Dich in den Armen zu halten.
Als Du auf dem Betriebsfest, wohin ich Dich mitgenommen hatte, in Deinem weißen Kleid mit dem wehenden Rock allein weiter tanztest, weil Du nicht bemerktest, dass die Musik gar nicht mehr spielte, bildeten die Anwesenden einen Kreis und klatschten im Takt. Und mein Chef, verheiratet, drei Kinder, sagte zu mir: „Schauen Sie sich das an! Da bekommt man doch gleich Lust auf was Neues.“
Ach, Deiner Mutter hattest Du auf eindringliche Nachfrage erzählt, ich hätte versucht, Dich zu küssen. Dabei hatten wir uns längst geküsst. Und wie!
Deine Mutter stellte mich zur Rede: ob denn das jetzt schon sein müsse? Brav und etwas eingeschüchtert hatte ich verneint, wurde aber rot bei dieser Lüge.
Ich musste an den Tag denken, den wir bei meinen Eltern, als sie im Urlaub waren, im wesentlichen im Bett verbrachten, so wie Klärchen und Wolfgang in Kopenhagen. Du hattest lächelnd aus dem Fenster in den blauen Himmel geschaut und festgestellt: „Ihr habt aber eine hübsche Stadt hier.“
Und haben wir nicht herrlich verspielt mit Deiner kleinen Schwester herum getollt? Sie hing an mir wie an einem großen Bruder. Oder – ich war ganz erschrocken bei dem Gedanken – wie an einem Vater?
Einmal hatte sie Schluckauf, schon seit Stunden. Tiefes Einatmen und Luftanhalten hatte nicht geholfen. Da nahmst Du die Sache in die Hand:
„Leg Dich mal hin“, sagtest Du. „Die Augen schließen. Tief einatmen. Die Luft anhalten. Und an den Schluckauf denken. Wie sieht er aus? Welchen Mund hat er? Wie groß ist seine Nase? Siehst Du ihn? Ganz dunkelgrün ist er.“
Deine Schwester nickte.
„Nun fliegt er in den Himmel, an den Kuschelwolken vorbei, wird immer kleiner. Weg ist er.“
Und tatsächlich, der Schluckauf war verschwunden.
Deine Schwester fragte ungläubig: „Woher hast Du gewusst, wie er aussieht?“
Du hattest Deine langen Wimpern bedeutsam auf und zu geklappt und geantwortet: „Ich wusste es nicht, ich habe es nur geahnt.“
Warum war unsere Liebe eigentlich verschwunden?
Manchmal dachte ich, sie ist gar nicht zu Ende gegangen.
Warum geht eine Liebe überhaupt vorbei? Und warum beginnt sie? Wieso verliert am Beginn alles bisher Gewesene seine Bedeutung?
Als Du mir in einer dunklen Nacht ins Ohr flüstertest, Du wünschtest Dir ein Kind von mir, hattest Du mich damit erschreckt. Du dachtest ans Heiraten. Und ich wollte nicht, jedenfalls noch nicht. Bindungsangst nennt man das wohl.
Ich verhielt mich zögerlich bis ablehnend, wollte plötzlich nach Hause.
Du hast mich zum Bahnhof begleitet und geweint. Der Zug fuhr erst in einer Stunde. Die ganze Zeit hast Du geweint.
Dann sah ich Dich nie wieder.
Aber immer, wenn ich durch Schönhagen fuhr, warst Du mir wieder nah.
Dein Lachen erinnerte mich an unsere glücklichen Zeiten. Dein Weinen weckte Schuldgefühle in mir.
Ich bin Dir unendlich dankbar.
Du hast mir die Augen geöffnet für Donizettis „Liebestrank“, für die Musik von Mendelssohn-Bartholdy im „Sommernachtstraum“ und für den großen Geiger und Dirigenten Yehudi Menuhin. Für Kurt Masur – noch in Berlin – mit „Le Sacre du Printemps“ von Strawinsky und Manfred Krug in „Porgy and Bess“, für die Felsenstein-Inszenierungen an der Komischen Oper insgesamt. Für Wolf Kaiser als Mackie Messer und Helene Weigel als Mutter Courage im Berliner Ensemble. Für die ganze Kulturszene überhaupt. Und für viele andere Dinge des Lebens und Liebens, deren ich mir erst nach Dir bewusst wurde.
Heute fuhr ich wieder durch Schönhagen.
Zu Füßen der japanischen Kirschbäume war ein Meer von Blütenblättern zu rosafarbenen Schneehaufen aufgetürmt. Die Äste wirkten noch ein wenig kahl, denn erst jetzt, nach der Blüte, begannen die ersten Blätter zu sprossen.
Wie gewohnt, sah ich auf den Bahnsteig, um nach Dir zu schauen.
Ein heißer Schauer durchfuhr mich. Da standest Du. Schlank wie eh und je. Die dunklen Haare immer noch sportlich kurz. Deine Augen wie Kohlen. Dein Lachen dunkler als früher.
Ich stürzte aus dem Zug, als zum Einsteigen aufgerufen wurde, und eilte auf Dich zu.
Fast, aber eben nur fast, hätte ich Dich umarmt.
Ich sah Deinen Mund mit den senkrechten Falten in der Oberlippe. Es war der Mund meiner Mutter. Hab ich Dich deshalb geliebt? Gibt es tatsächlich so eine Prägung?
„Hallo, erkennst Du mich nicht?“
Du gucktest verständnislos.
„Ich bin es. Georg Falkenstein!“
Erkanntest Du mich wirklich nicht? Na ja, 50 Jahre sind eine lange Zeit. Ich war fülliger geworden, eben älter, hatte keine Haare mehr auf dem Kopf und trug eine Brille.
Du sagtest: „Falkenstein? Georg Falkenstein? Irgendwo muss ich den Namen schon einmal gehört haben.“ Dabei schütteltest Du leicht den Kopf.
Und Du gingst davon, erst langsam, dann immer schneller.
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Beitrag zur Lesung über das Thema Gehen oder bleiben
BDSÄ-Kongress Mai 2017
Vorbemerkung: Mein Freund Ronald hat mir ausdrücklich erlaubt, diese Geschichte hier vorzutragen.
Die emotionale Hürde
Ronald rief mich an:
„Du hast doch Erfahrung mit Patientenverfügungen. Ich brauche Deinen Rat.
Meine Mutter lebt in Kanada mit ihrem zweiten Mann. Vor ein paar Tagen ist sie in der Küche gefallen und hat sich eine Kopfplatzwunde zugezogen. Ihr Mann rief den Krankenwagen, man brachte sie in die Klinik, dort wurde die Wunde genäht. Dann haben sie meine Mutter wieder entlassen. Ein paar Stunden später stürzte sie noch einmal und verletzte sich wieder. Als sie jetzt in das Krankenhaus kam, hatte einer der Ärzte die Idee, ein Computertomogramm vom Schädel zu machen. Dabei stellten sie eine große Hirnblutung fest, und Mutter wurde stationär aufgenommen.
In den folgenden Stunden verschlechterte sich ihr Zustand rapide, und sie starb.
Mein Stiefvater war natürlich völlig entsetzt, er fuhr aber schließlich nach Hause. Am nächsten Morgen wollte er beim Bestattungsinstitut die Beerdigungsformalitäten regeln. Der Bestatter sagte nach einem Blick in seinen Computer:,Ihre Frau ist nicht als tot gemeldet. Sie lebt noch.`
,Nein, nein, sie ist tot! Ich war dabei, als sie starb!`
Der Bestatter blieb bei seiner Meinung: ,Sie würde hier auf meiner Liste stehen, wenn sie tot wäre. Bitte gehen Sie noch einmal zur Klinik, und vergewissern Sie sich!`
Mein völlig verunsicherter Stiefvater fuhr zur Klinik. Dort traf er auf die Krankenschwester, die beim Sterben meiner Mutter anwesend gewesen war.
Sie erschrak beim Anblick meines Stiefvaters und berichtete stockend:
,Ich habe Ihre Frau nach ihrem Tod zugedeckt in den Raum für Verstorbene geschoben. Als ich eine Weile später kam, um sie zu waschen, hörte ich ein Röcheln unter der Decke. Ihre Frau war tief bewusstlos und atmete ganz flach. Ich schlug sofort Alarm, und wir brachten sie auf Station. Dort liegt sie jetzt.‘
Ein Arzt erklärte meinem Stiefvater, es sei ihm völlig unklar, wie es nach dem festgestellten Tod noch einmal zur Spontanatmung hatte kommen können. Dieser jetzige Zustand könne noch lange anhalten. Vielleicht sogar Wochen und Monate. Eine Hoffnung auf Heilung habe er nicht, die Hirnblutung sei viel zu ausgedehnt. Wenn Mutter überleben würde, dann nur schwerst hirngeschädigt.“
Ronald machte eine kurze Pause, dann fragte er: „Wie sollen wir uns verhalten, was soll ich meinem Stiefvater raten? Soll die Ernährung fortgeführt werden? Sollen Medikamente gegeben werden?“
„Zuerst will ich dir sagen, wie leid mir diese Situation tut. Das ist eine echte Schock- und Horrorgeschichte. Gibt es eine Patientenverfügung?“
„Ja, die gibt es, und meine Mutter hat ganz klar verfügt, dass sie in einem hoffnungslosen Krankheitszustand keine lebens- und leidensverlängernden Maßnahmen will.“
„Dann ist nach deutschem Recht die Situation ganz klar. Ernährung anzuordnen, zum Beispiel intravenös oder mit Magensonde, und Medikamente zu geben, sind ärztlich anzuordnende Leistungen. In dem vorliegenden Fall würden Ernährung und Medikamente das Leben und vielleicht sogar das Leiden verlängern. Die Ärzte dürfen also gar keine Ernährung und Medikamente geben, da dies gegen den erklärten Willen deiner Mutter geschieht.
Die entscheidenden Fragen bei jedem neuen Medikament oder jedem neuen Ernährungsbeutel sind:
- Darf ich diesen nächsten Beutel, dieses nächste Medikament geben?
- Nützt es dem Patienten?
- Würde der Patient das jetzt wollen?
Es geht nicht darum, ob das Medikament oder die Ernährung objektiv wirkt, sondern ob sie subjektiv nützen. Und über den Nutzen entscheidet allein der Patient.
Nach deutschem Recht sind Ernährung und Medikamentengabe gegen den erklärten Willen des Patienten vorsätzliche Körperverletzung nach §223 StGb. Ich vermute, das ist nach kanadischem Recht auch so. Aber das kann man ja fragen.“
Ronald sagte erleichtert: „Diese Antwort habe ich erwartet. Danke, dass du das so klar formulierst. Was soll ich tun?“
„Schlage deinem Stiefvater vor, mit der Patientenverfügung zu den behandelnden Ärzten zu gehen und sie auf die Vorschriften deiner Mutter zur Therapie in dieser Lebensphase aufmerksam machen. Er sollte sie bitten, die Ernährung und die Gabe von Medikamenten einzustellen. Wichtig ist eine sorgfältige palliative Versorgung, die für Beschwerdefreiheit sorgt. Dann wird sie in den nächsten Tagen, vielleicht sogar innerhalb eines Tages sterben. Das ist meiner Meinung nach das Gnädigste, was Ihr für sie noch tun könnt. Sie hat es so verfügt, deshalb müsst Ihr es so machen.
Das Therapieziel ist nicht mehr, die Frau am Leben zu halten und zu heilen, sondern es hat sich durch die sehr schlechte Prognose verändert. Jetzt besteht das Therapieziel darin, der Patientin zu helfen, damit sie möglichst beschwerdefrei sterben kann.“
Wir wechselten noch herzliche Worte, und ich bat Ronald, mich über den weiteren Verlauf zu informieren. – Ein paar Tage später rief er mich wieder an:
„Mein Stiefvater ging in die Klinik und wollte mit den Ärzten sprechen. Er war sich völlig klar darüber, dass es seine Aufgabe war, jetzt den vor Jahren gemeinsam verfassten Beschluss umzusetzen und die Ärzte um eine Beendigung der Therapie zu bitten. Aber er brachte es nicht über´s Herz, den Ärzten diese Entscheidung zu vermitteln. Denn er sah plötzlich den Konflikt, dass er dann entscheiden müsste, dass JETZT die Flüssigkeitszufuhr abgestellt wird. Er hatte das Gefühl, damit den Todeszeitpunkt durch Verhungern zu bestimmen. Und dies, obwohl er wusste, dass der natürliche Verlauf diesen Zeitpunkt bestimmen würde.
Also verließ er die Klinik, ohne den Ärzten den Beschluss in der Patientenverfügung mitzuteilen. Er sagte zu mir: ,Lass mich noch ein paar Tage warten. Ich hoffe, dass die Natur einen gnädigen Abschluss findet.`“
Die Mutter starb einen Tag später bei laufenden Infusionen.
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aus Wicht, Dreck am Saphir, Vindobona Verlag, 2013
Sommerspaziergang
Ich bin an einer Pfütze steh´n geblieben
und hab´ hinein geschaut
und vor mich hin geträumt
und hab´ den Wolken nachgesehen
die sanft im Sommerwinde trieben
und atmet´ tief den Duft des Krauts
das mir den Weg gesäumtSeltsam, ich konnt´ den Himmel sehen
wenn ich zu Boden hab geschaut
mit seinem lauen Wehen
weit über mir erblautAbendlied
Wenn Du die Ufer hinabsteigst
zu den schwarzen Wassern des Schlafs
sieh noch einmal das dämmernde Grau
unseres Himmels durch das schwarzgrüne Kiefergeästschau, wie das Schweben der Abendvögel
weich ist und die wenigen Wolken
verweile ein wenig, eh du hinabsteigst
und das schwarze Gewoge dich fortträgtSieh noch einmal mit blinzelndem Auge
das mattere Rot an dem Wolkengeflöck
bewahre unterm Lid Dir ein wenig
dass vom grauenden Tau nicht zu fremd
die Stirne benetzt wird am MorgenFrühsommer
Der Sommer ist mir in den Schoß gefallen, ganz sacht
ein Hauch von Apfelblütenblättern
ich bin dir zärtlich übers Haar gefahren
du hast nur leis gelacht
Der Himmel ward schon grau
wir spürten´s kaum
und waren so vertieft und so versunken
in uns´re Liebe unterm Apfelbaum -
aus Wicht, Dreck am Saphir, Vidobona Verlag 2013
Nekrolog
Ich habe deine Brille in einer trüben Lache von Absinth gefunden
dein schwarzer Büstenhalter hing am Haken neben jener Tür
ich habe mich um deine Gunst ganz sicher nicht genug geschunden
und glaubte gar zu fest daran, es sei genügend Schnaps im BierDass dir die Knie weich geworden sind, als Dich ein andrer an die Brust gefasst
im Grunde kann ich das verzeihlich finden
und hoffe nur, dass Du auch Spaß daran gefunden hast
Mit einem dümmlich milden Lächeln menschlicher Verzeihung hab,
ich vor jener Tür mich umgedreht
und bin zu einer andern hin gegangen
doch fade grinsend wünschte ich,
dass es mit einem Burschen ähnlich Dir ergehtDas Lächeln und Verzeihung sind oft triste Brüder
und Abstinenz macht mit der Zeit Dich gelb und dürr
doch grade deshalb lieb ich Dich, mein süßes Luder
und heul in schwarzen Nächten in mein Nachtgeschirrwir
Haut an Haut haben wir
gelegen
Mund an Mund
Es war gut, dir zuzusehen
wie du dich anzogst
besser noch dir
die Tasse zu reichen
mit kaltem Tee
unter Lichtern
über welkes Laub
sind wir
in den Nebel gegangenAngebot
Es ist nich trecht von dir, wenn du ganz einfach weitergehst
es steht das spöttisch Lächeln dir recht gut in dem Gesicht
Versuch es doch noch mal mit mir, ich hoffe du verstehst
Vielleicht mach ich auf dich demnächst
ein kleines säuisches Gedicht.Im Volkston
Bin weit mein Weg gegangen
und sah ein Rosbusch steh´n
hab lange vor gestanden
ihn schweigend anzuseh´nund hab es nicht gewagt,
zu brechen mir ein Reis
Ś war dennoch nicht gezagt
brauch alle oder keinsŚ brach an der wilde Winter
ich baut am Weg ein Haus
Dass ich mein Sehnsucht linder
schau ich nach`m Rosbusch ausEr bleibt bei mir mein Leben
bis ich wird´ alt und grau
find Trost im wirren Streben
wenn ich den Rosbusch schauBetrachtungen am FKK
Es muss doch endlich einmal anders werden
mein voller Wanst ist mir zu voll
es machen deine wehrenden Gebärden
mich wilder noch und fast vor Liebe tollUnd wenn ich schweigend deine Nacktheit seh
und deine Hüften und ich seh noch mehr
dann tut es mir in meinen Hüften weh
ich sehne mich, ein bisschen nur, nicht sehr.Und wenn der Wind dann über Dünen streicht
und du hast Angst, dass man es sieht
dann haben´s Wanst und ich erreicht.
Ach sei nur still, ich habe dich tatsächlich lieb.Einsamkeit
Ein Regen weint und Trauer ist in mir
warum, ich bin so fern von dir
Nur noch dein Bild, dein Lächeln ist mir nah
wie lang ist´ s her, dass ich dich wirklich sah
manchmal noch glaube ich, ich spüre einen Hauch
von dir. Doch Kälte ist es nur und Dunkel auchTräumerische Reminiszenz
Ich hatte einstens einen Traum
beileibe nicht von einem Pflaumenbaum
geschweige denn, von einem Kind das Pflaumen aß
ich schwitzt auch nicht, ich träumt nur, dass
die Zeit wär ganz speziell für mich zurückgedreht
(mich wurmt´s, dass sowas nur im Traume geht)Wir sprachen beide grad von Sternen
und eigentlich wollt ich mich doch entfernen
nur bin ich dann noch da geblieben
du hast die Waage mir beschrieben
und hab´s probiert, auf die Gefahr, dass du mich unmoralisch nennst
mir eine knallst und dann nach Hause rennstEs war sehr nett von dir, du tatest`s nicht
und später störte uns sogar des Mondes Licht
auch sah ich noch einmal die Knospenzweige
in jenem Krug, doch besser ich verschweige
wie du den Arm gereckt und rasch das Licht gelöscht.
Jetzt bin ich ziemlich bös auf mich,
warum das nur im Traume möglich ist.Ein kleines säuisches Gedicht
Wenn ich der Schwalben Flug verfolge
und mit dem Dämmern bleibt
noch Wärme des vergang´nen Tags
und ich dich jetzt her holte
verdiente ich der Andern Neid
wir täten, was du gerne magstWir spürten sicher dann den Schweiß
ein jeder auf des Andern Lippen
wenn wir im Fleische fleischlich sind
und sähen selbst im Dunkeln noch das Weiß
der Haut und zählten zärtlich uns die Rippen
vergessend so die Furcht vor einem KindDie Wollust bliebe uns bis in den Morgen
du wärst für mich noch einmal schwach
beim ersten Amselschlag und das Versinken groß
wir wollen schon beim Heute auf das Nächstens borgen
wer weiß, wie lange es uns bleibt dies Dach
und sicher ist nur, was man heut genossRat bei Chaos im Liebesleben
Ich rate dir, frei nach Martial
zu enden deine schwere Qual
denn ich verstehe deinen Schmerz
und kenne das vertrackte Leiden.
Ermanne dich und mach es kurz
du brauchst das Ding bloß abzuschneiden -
aus Wicht, Dreck am Saphir, Vindobona Verlag 2013
Über die Nützlichkeit
Am meisten schätze ich die alten Dinge
schon lang gebraucht von anderer Hand
das beste Messer das, mit schmaler Klinge
sehr oft geschliffen schon, als ich es neulich fandAuch jener Sessel, in den ich gern mich fleeze
es saß schon mancher drin, er ist bequem
wir alle wechseln jederorts in Bälde
von dem, was übrig ist, bleibt nur das Nützliche besteh´nWenn ich seit langer Zeit dich heute einmal wieder sehe
weiß ich, manch einer hat dir deinen Mund geküsst
und dies erwägend, mich berührt es kaummit größ´rer Lust ich wieder zu dir gehe
da du nun etwas mehr erfahren bist
es kleidet dich, wie eine reife Frucht den BaumGlaub mir, das hat der Nutzen mich gelehrt
drum scheinst du so erst recht mir als begehrenswert
ich hoff, du wirst mir solche Meinung zugesteh´n
und heißt mich nicht so rasch, doch meiner Wege gehnGedanken beim Abschied, so ganz allgemein
Ach so, auch Dir ganz rasch auf Wiedersehn
ich weiß, daß Du es mir nicht übel nimmst
und hoffe sehr, dass Du mich später noch mal kennst
ich hab´s sehr eilig jetzt und werde weiter geh´nEs nässt der Regen Dir noch manches Jahr in das Gesicht
und wenn man sagt, dass wir die alten bleiben,
so steh´n wir morgen schon in einem neuen Licht.
Es bleibt uns nur, das Heute rasch voran zu treibenMan wird nun stündlich leider immer älter
vielleicht auch klüger, nur so genau weiß man das nicht
und immer ist ein Ende noch nicht abzuseh´n.Ich sorge mich, man wird vielleicht auch einmal kälter
Du machst die Augen zu vorm eigenen Gesicht
und wünschst, die Zeit manchmal zurück zu dreh´nÜber die Bleibe
Wenn auch die Zeiten heute kalt sind
so hoff ich doch, dass ich einst Wärme finde
durch stumme Häuserzeilen bläst ein fremder Wind
und dennoch lob ich sie, die wirren WindeSie kühlen mir die heiße Stirn
und geben mir zum Atmen reine Luft
so wird´ ich älter und ich seh die Häuser gern
in denen ich geweilt, oft mit verschied´ner LustDoch manchmal, wenn ich das Gesicht abwende
und weiter geh mit schnell´rem Schritt
wünsch ich, dass sich einst jemand fände
bei dem ich länger weilen kann, ich nähm´ ihn gerne mitIch denk, wir werden rasch zu Abend essen
und ist es spät, bleib ich auch noch die Nacht.
Mir träumt, ich hab die Straße ganz vergessen
so bleib ich da, sie hat mich nur gebracht.Dichterlied
Ich kannte einst einen Dichter
der war auf sich selber so stolz
laut lachte ihn aus das Gelichter
da ward sein Gesicht starr wie HolzEr wollte recht gerne weinen
doch lachten sie da noch mehr
was hätt´ es genutzt sein Greinen
um die missachtete EhrSo ist es mit manchen Dingen
in dieser freundlichen Welt
doch trotzdem blieb er beim Singen
und brachte es damit zu GeldDas Geld, das ward versoffen
versetzt in Whisky und Gin
so hat er sie richtig getroffen
die Mär von Ehre und SinnKater
Apfel essend hänge ich
einen Strick um meinen Hals
an einem Baum
im nahen Walde leiert eine Dixieband
der kalte Wind pfeift mir durchs Hemd
die Apfelstücken bleiben mir
im Halse stecken
wenn das so weiter geht
muss ich
leider noch verrecken.Freundlichkeit
Es ist gut, aus der Kälte zu treten
ich folge einladender Geste
es genügen schon wenige Worte
und Licht, wärmendes
so dank ich es
willens, jederzeit
auch freundlich zu seinLied von der (dreckigen) Unterwäsche (Selbsttröstung)
Verdrießlich ist oft das Gehabe großer Tiere
die sich so unabdingbar wichtig und ergaben dünken
Sie zahlen gern in Dollar, Westmark oder Lire
und wünschen, dass man springt, wenn sie nur winkenMit ihnen kommen Damen die exotisch riechen
ein solcher Anblick tut dem Mittellosen manchmal weh
doch deshalb braucht man sich nicht gleich verkriechen
besonders wenn man dieses nicht vergisst
dass so ein Mann in seiner Unterwäsche
ein Mensch wie alle andern istSo mancher unter uns fühlt manchmal so ein Drängen
dass er mit großen Taten Ruhm und Ehre sich erwirbt
Er sollte solch Gelüste besser an den Nagel hängen
manch einem ward die Haut dabei schon arg gegerbtDie Großen teilen Größe lieber unter sich alleine
und an die süßen Früchte kommt der kleine Mann nicht ran
doch kommst du näher, machen sie dir Beine
denn nur von weitem siehst du Hoch als Größe an
Es tröstet, wenn man solches nicht vergisst
dass so ein großer Mensch in seiner Unterwäsche
ein Mensch wie alle andern ist.Man hört die Männer öfter über Frauen klagen
mit ihrer Tugend und der Treue sei es nicht weit her
weil sie `nen Andern und Geschicktern ihnen vorgezogen haben
mir lamentieren diese Kerle viel zu sehr
Nur weil ein and´rer Mann gehalten hat, was er versprach
und stark nach Old Spice roch und Whisky trank
verdiente höchstens uns´re Dummheit solchen Krach
mich jedenfalls macht so ein Missgeschick nicht krank
Denn es ist besser, wenn man nicht vergisst
dass selbst Marie in ihrer Luxusunterwäsche doch nur `ne Frau wie alle andern ist.