Schlagwort: Trauer

  • Mein Beitrag zum Kongress der Union Mondiale des Écrivains Médicines UMEM in Rheinfelden 2018 

    Offizielles Thema: Schreiben – Zaubertrank für Ärzte?

    Mein Zaubertrank heißt Schreiben.

    Ein Zaubertrank soll besondere Kräfte vermitteln, um die schwierigsten Aufgaben zu bewältigen. Die Wirkungen eines Zaubertrankes werden bei Asterix und Obelix im Jubiläumsheft zum 50. Geburtstag der Comic-Serie so beschrieben:

    Verschmitzt lächelnd macht sich der glückliche Konsument bereit. Er schließt die Lider und senkt das Kinn, um aus der Kelle des Druiden zu trinken. Unter der Wirkung des Zaubertranks hebt der Proband ab. Seine Füße flattern im Gleichtakt mit den Helmflügeln! Asterix besitzt übermenschliche Kraft und kann es mit der gesamten römischen Armee aufnehmen.

    Ich schreibe meistens, um mich aus der Betroffenheit herauszuholen, wenn mich der schlimme Anteil des Alltags in der Notfallpraxis packt. Das Schöne ist, dass ich schreibend auch die heiteren und ungewöhnlichen Begegnungen festhalte und immer wieder genieße. Deshalb will ich über beide Seiten des Schreibens sprechen.

    Ich will hier keine der sehr belastenden Situationen ausführlicher beschreiben. Sie verfolgen mich manchmal in meinen Träumen. Bei uns Ärzten genügen ein paar Stichwörter, um flammende Bilder in der Erinnerung lodern zu lassen: Leichenschau bei Verwahrlosten, schwerverletzte Unfallopfer, sterbende Kinder, verzweifelte Eltern, entstellende Erkrankungen und Operationsbilder. Es gibt aber auch Menschen, die unsere Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft ausnützen und als Pflichtdienstleistung zur Unzeit verlangen.

    Ich möchte meinen Beruf mit Herz und Verstand ausüben. Dafür bemühe mich um Empathie: Ich versuche nachzuempfinden, wie die Krankheit, das Problem den Patienten leiden lassen. Und ich bin mir gleichzeitig bewusst, dass es nicht mein Problem ist und dass ich es nicht lösen muss. Das ist heilende Nähe zum Betroffenen verbunden mit schützender Distanz für mich selbst.

    Wenn ich mir den Leidens-Rucksack des Patienten auflade, wird aus mir ein hilfloser Helfer! Hilfsbedürftige erwarten aber zumeist, dass Helfer stark sind oder sich wenigstens so verhalten. Helfer müssen aber auch aus Selbstschutz stark bleiben, um ihre beruflichen Aufgaben und Pflichten erfüllen zu können. Trotzdem muss jeder Helfer auch Momente haben, in denen er seine Schwäche, seine Verletzlichkeit und Erschöpfung äußern und leben kann. Deshalb brauchen wir alle jemanden, dem wir vertrauen können, dass er uns hilft.

    Um mir diesen Spagat immer wieder bewusst zu machen, schreibe ich meine Erlebnisse, Gefühle und Gedanken auf. Diese Gabe und Freude, mich gut ausdrücken und Konflikte in Worte fassen zu können, helfen mir seit vielen Jahren auch bei der Bewältigung meiner Belastungen. Ich habe regelmäßig beobachtet, dass sie nicht mehr in meinen Träumen erscheinen, wenn ich sie aufgeschrieben habe!

    Mein begeisternder Lateinlehrer war es, der mir über sechs Jahre die Liebe zur Sprache als Kulturgut und zur deutschen Sprache übertrug. Mein Dank für dieses sprachliche Geschenk wird andauern, solange ich lebe. Mein Lateinlehrer. war einer der wenigen Lehrer, von denen ich etwas für das ganze Leben gelernt habe und nicht nur über ihre Fächer.

    Sein Satz wird mir bis an das Ende meines Gedächtnisses gegenwärtig sein:
    Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn die Fakten vergessen sind.

    Noch ein wichtiges Zitat von Sir Francis Bacon Lesen macht vielseitig, verhandeln geistesgegenwärtig, schreiben genau.

    Schon als Schüler habe ich festgestellt, dass Schreiben meine flüchtigen Gedanken verlangsamt, bewusster macht, ordnet, wertet. So kann ich zu klareren logischen Folgerungen und Entscheidungen kommen. Wenn ich schreibe, schaue und fühle ich genauer hin, formuliere sorgfältiger und verstehe besser. Was ich verstanden habe, kann ich besser ertragen.

    Durch das Schreiben kann ich mich ändern. Das ist doch schon viel.

    Wen interessiert, was ich schreibe? Zuerst einmal mich. Der narzisstische Anteil in mir glaubt natürlich, dass alle wissen wollen und sollen, was ich wichtiges geschrieben habe. Mein vernünftiger und realistischer Anteil bringt den Narzissten zurück auf den Boden der Tatsachen! Keines meiner Bücher hat mehr als die erste Auflage erreicht.

    Aber ich veröffentliche nicht jeden Text! Wenn es zu grausig ist, was ich für mich notiert habe, um es loszuwerden und einzuordnen, teste ich manchmal bei meiner Frau oder interessierten Freunden, ob sie den Text ertragen können und mir raten, ihn zu veröffentlichen. Auf dieses Urteil höre ich. Dafür bin ich dankbar.

    Seit ich weiß, dass es sogar Verlage gibt, die meine Gedanken drucken, bin ich eitel genug, etwas zu veröffentlichen. Ich habe in einigen meiner Bücher selbst erlebte Patientenschicksale beschrieben. Ich veröffentliche meine Texte auch auf meiner Homepage.

    Ich will ein Beispiel geben, wie ein kurzer veröffentlichungsfähiger Text über eine bedrückende Szene meines Erachtens aussehen könnte. Das folgende Gedicht ist meine Verarbeitung von zwei Hausbesuchen an einem Tag bei demselben Patienten. Es besteht nur aus Stichwörtern, Tatsachen und direkter Rede. Gefühle werden nicht besprochen. Sie entstehen umso stärker im Kopfkino des Lesers.

    Letzte Stunden

    Bauch vom Krebs zerfressen,
    operiert und bestrahlt,
    welke Haut über Knochen,
    hohle Wangen,
    Bartwildwuchs,
    wirres Haar,
    leerer Blick,
    Schmerzen.

    Uringeruch.
    Nein, nicht waschen!
    Nur noch sterben!
    Nein, nicht ins Hospiz!
    Zu Hause bleiben!
    Lass mich los!

    Verzweifelter Bruder,
    weil ihm Hilfe verboten ist.

    Die Stimme schweigt,
    der Blick wird matt,
    die Atmung schnappt
    und stoppt.

    Endlich erfüllter Wunsch.

     

    Es gab und gibt  viele Ärzte, die sich ihr Leiden unter den besonderen Belastungen in diesem Beruf durch das Aufschreiben des Erlebten versuchen, erträglicher zu gestalten. Gottfried Benn, der berühmt geworden ist durch seine schonungslosen Gedichte aus dem Sektionssaal, schrieb 1921 in einem Brief:

    Es ist kein Leben dies tägliche Schmieren und Spritzen und Quacksalbern und abends so müde sein, dass man heulen könnte. (…) Ja, ich bin unbeschreiblich müde und abgelebt wieder mal augenblicklich, darüber ist nichts zu sagen, die Sinnlosigkeit des Daseins in Reinkultur und die Aussichtslosigkeit der privaten Existenz in Konzentration.

    Aber sehen wir auch die heitere Seite, die lohnt aufgeschrieben zu werden! Ein Beispiel:

    Schlaflos in Leonberg

    Die in der DRK-Leitstelle ankommenden Anrufe der Patienten werden an den Dienst habenden Rettungsassistenten in der Notfallpraxis weitergeleitet. Eine Rettungsassistentin erzählte mir folgendes Telefonat, das sie mitten in der vergangenen Nacht geführt hatte. Eine männliche und unsicher wirkende Stimme meldet sich:

    „Ich bin 83, und ich kann nicht schlafen. Kann jemand vorbeikommen und mir eine Schlaftablette bringen?“

    Die Rettungsassistentin sagt freundlich:

    „Da brauchen Sie mich nicht, Sie können ohne Rezept in der Apotheke Schlaftabletten kaufen!“

    Nach kurzer Überlegung fügt sie hinzu:

    „Warum können Sie denn nicht schlafen?“

    „Wissen Sie, ich bin Lehrer gewesen, und ich muss Fragen, die mir einfallen, einfach klären. Sonst kann ich nicht schlafen. Und da bin ich vorhin aufgewacht und dachte immer wieder an die SWR-Landesschau, die ich abends regelmäßig anschaue. Mir fällt aber der Name des Moderators nicht mehr ein. Ich grüble ständig darüber nach. Deshalb kann ich nicht schlafen..“

    Die Rettungsassistentin tippte rasch am PC „SWR-Fernsehen“ ein, suchte die Moderatoren und las dem Anrufer deren Namen langsam vor – bis zu der Frage:

    „Meinen Sie Michael Matting?“

    Erleichtert kam die Antwort:

    „Ja, genau den meinte ich! Danke, jetzt kann ich schlafen. Sie müssen mir keine Schlaftablette mehr bringen!“

     

    So kann die Verarbeitung durch Aufschreiben ebenso wie ein Zaubertrank im Märchen nicht nur anderen helfen, in Abgründe der menschlichen Existenz zu blicken, sondern auch neue Kräfte durch Humor und Freundlichkeit vermitteln. Schreiben ist ein Zaubertrank in guten  und in schlechten Tagen.

     

     

     

     

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  • Prof. Dr. med. Horst Joachim Rheindorf

    Ehrenpräsident des BDSÄ
    geboren am 06. Mai 1922, verstorben am 07. Mai 2018

    Am 6. Mai 2018, seinem 96. Geburtstag, kämpft Horst Joachim Rheindorf in der Klinik um sein Leben.

    Geboren am 6. Mai 1922 in Kassel, dient Horst Joachim Rheindorf zurzeit des Krieges als Infanterist im Sanitätsdienst der Wehrmacht. Er studiert an der Medizinischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg von 1943 bis 1950. Mit der Promotion zum Dr. med. schließt er das Studium ab. Bis 1953 arbeitet er in der Frauenklinik und Medizinischen Klinik.

    Die hessische Ärztekammer, in jenen Tagen ein Verein, ab 1956 eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, wirbt ihn von der wissenschaftlichen Laufbahn ab. Der Einsatz für die Rechte jüngerer Ärzte beeindruckt die ärztlichen Standesvertreter. Erinnern wir uns: Die vergütungsfreie Mitarbeit zu Beginn der klinischen Tätigkeit ist nahezu üblich.

    Horst Joachim Rheindorf wird als Ehrenmitglied auf Landes- und Bundesebene in den Marburger Bund aufgenommen. Die Ärztekammer Hessen beruft ihn zum ärztlichen Geschäftsführer, von 1956 an zum Hauptgeschäftsführer.

    Er setzt sich auf allen Ebenen bis in den Weiterbildungsausschuss der Bundesärzte-kammer für die Weiter- und Fortbildung ein, arbeitet an der Musterberufsordnung mit: Qualifikation unter Wahrung ärztlicher Normen ist das Anliegen. Er fördert die Carl-Oelemann-Schule: Qualifizierung des Assistenzpersonals ärztlicher Praxen in überbetrieblicher Ausbildung.

    Die Akademie für Ärztliche Weiterbildung und Fortbildung, Themen wie Gesundheitserziehung bzw. Prävention fesseln Rheindorf. Von Anbeginn sitzt er der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitserziehung stellvertretend vor. Er treibt den Ausbau des berufsständischen Versorgungswerks voran, um den Alters-unterhalt der Ärzte zu schützen.

    Im Hessischen Landesgesundheitsrat leitet er den Krankenhausauschuss; er initiiert die Gründung der Hessischen Akademie für Arbeits-, Betriebs- und Sozialmedizin, an der er lehrt. Als Mitglied mehrerer Ständiger Konferenzen und Ausschüsse auf Bundesebene sowie des Großen Senats organisiert, moderiert, referiert er in nationalen und internationalen Fortbildungskongressen.

    Die Pensionierung 1987 setzt der mitreißenden Energie kein Ende. Er bleibt Vor-sitzender der Deutschen Akademie für medizinische Fortbildung und Umwelt-medizin. Das korrespondierende Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Allge-meinmedizin gilt als Pionier der hausärztlichen Qualifizierung.

    Mit Prof. Dr. Wilhelm Theopold, Mitbegründer des Marburger Bundes, ehemaliger Präsident der Hessischen Landesärztekammer und der Bundesärztekammer, bahnt sich eine Freundschaft an. Als aktueller Schriftleiter des Hessischen und des Deutschen Ärzteblatts leitet Präsident Theopold ab 1982 den BDSÄ. Er beruft 1986 in weiser Voraussicht Rheindorf zum Ehrenmitglied, das bald die Kasse führt.

    Theopold kandidiert 1992 nicht mehr; die Verbandführung mit Diskussionen um niveauorientierte Aufnahmekriterien reizt zu Widerspruch. Er überzeugt Rheindorf, der Richtige zu sein, und schlägt vor, den Freund zum Präsidenten zu wählen.

    Rheindorf lobt ihn für den hohen Stand der Mitgliederzahl. Zur Einrichtung der Bibliothek, zum regelmäßigen Rundbrief und die anhaltende Präsenz in den Medien gratuliert er. Ärztliche Körperschaften oder Mitteilungsblätter stehen dem organi-sierten Phänomen „Doktor und Poet dazu“, so der Titel des 1987 erschienenen Buchs Theopolds, aufgeschlossen gegenüber.

    Präsident Horst Joachim Rheindorf erklärt beim Amtsantritt das mit dem soziokulturellen Strukturwandel kompatible Ziel: Zusammenhalt im Verband ohne Distanzierung einzelner Gruppen. Das Stichwort „wir sind eine große Familie“ klingt in unseren Ohren.

    Sucht bisher Theopold Diskussionen mit Kritikern, Pressereferenten und Öffentlichkeit, lässt Rheindorf bei Medienauftritten Vorsicht walten. Bald überrascht es ihn, bei Mitgliedern und Standesorganisationen Anerkennung zu ernten. Sitz, Geschäftsstelle, Bibliothek des BDSÄ verlegt er in die Fortbildungsakademie der Hessischen Landesärztekammer in Bad Nauheim. Dem Rundbrief stellt er turnusmäßig den persönlichen Brief voran. Er beschäftigt stundenweise eine Bürokraft, anfangs Frau Walter, danach Frau Näther. Den Rundbrief redigiert seine Frau Gabrielle, von Beruf Journalistin, in rechtlichen Angelegenheiten des Verbands berät Sohn Axel.

    Niemand befürchtet eine oligarchische Familienherrschaft: Familie Rheindorf bewältigt in der Spätzeit klassischer Nachrichtentechnik die wachsende Summe der Verbandsnachrichten. Die Mitglieder erfahren alles aus den Lesungen der Landesverbände und des Bundesverbands, zu Publikationen, Ehrentagen, Aus-zeichnungen ebenso wie Bibliothekszugänge. Die Familie waltet mit Handarbeit, mit viel Liebe zum Verband und Mitgliedern. Bei der Drucklegung des Rundbriefs und der Pflege des Mitgliederverzeichnisses hilft unermüdlich Frau Jutta Näther, Sekretärin der Geschäftsstelle bis heute.

    1993 findet der 36. Kongress des Weltverbands der Schriftstellerärzte (UMEM) in Fulda statt, zugleich der Jahreskongress in Bad Nauheim mit Verleihung der Schauwecker-Plakette an Wilhelm Theopold. Die „Ärzte Zeitung“ berichtet darüber. Die Schauwecker-Medaille ist die höchste Auszeichnung des BDSÄ, benannt nach seinem ersten Präsidenten.

    Gleichwohl sinkt die Mitgliederzahl. Das Bayerische Ärzteblatt setzt die Doppelspalte „Äskulap und Pegasus“ ab. Der allgemeine Wandel soziostruktureller Gewohnheiten kündigt sich im Verbandsleben an. Rheindorf besucht die Lesungen der Landesgruppen möglichst oft.

    Die Bereitschaft zu Sponsoring durch Firmen, Verlage oder deutsche Ärzteblätter schwindet, obwohl die Arbeit des Verbands gemeinnützig anerkannt ist: Der BDSÄ stellt wirksame Spendenbescheinigungen aus. Das Interesse öffentlicher Medien schrumpft mit dem Wachsen der neuen Medien.

    Die Aktivitäten verlagern sich auf private Initiativen der Mitglieder. Präsident Rheindorf ruft zur Aufmerksamkeit gegenüber der ärztlichen Schriftstellerszene in den neuen Bundesländern auf. Die Integration gelingt mit der Darstellung des Verbands als eine Familie.  Mitte der Neunziger Jahre steigen die Mitgliederzahlen.

    Vorstandsmitglieder kommen, gehen oder wechseln die Ämter, Präsident Rheindorf bleibt. Vor jeder Vorstandswahl fragt er, ob jemand das Amt übernehmen mag. Die Versammlung wählt ihn stets einhellig. Vier Mal erscheint die offizielle Verbands-anthologie „Edition deutscher Schriftsteller-Ärzte“.

    Gabrielles Idee „Neues aus der Redaktionsstube“ fördert die Zusammengehörigkeit. Sie betont, neben den aktiven Mitgliedern auch von anderen Mitgliedern Beiträge anzunehmen, um das Schaffen von Erfahrenen und Anfängern gleichermaßen zu dokumentieren.

    Die Beltzmühle in Altenstadt, ländliches Anwesen der Familie Rheindorf, dient mehrmals organisierten Lesungen. Weitere Landesverbände der neuen Bundesländer treten ab 2000 dem BDSÄ bei. Die Aktivitäten regen das Verbandsleben an, Ältere und Jüngere finden zusammen.

    2002 beginnt Harald Rauchfuss den Aufbau einer Webseite. Rheindorf begrüßt es, den Verband in neuen Medien zu präsentieren, um Interesse zu wecken. Der Rundbrief schwillt zu einem vielseitigen Publikationsorgan an. Die Herstellungs-kosten wachsen zwar, aber er ist ein Ausgleich für jene, die nicht an den Treffen teilnehmen können. Darüber freut sich Präsident Rheindorf im Dezember-Rundbrief 2004. Im Sinne der klassenlosen Gemeinschaft verzichtet er seit Beginn der Amtszeit darauf, Titel und Ehrenauszeichnungen der Autoren zu wiederholen.

    2005 stiftet Rheindorf auf dem Kongress in Bad Schandau den Literaturpreis, dem die Mitgliederversammlung den Namen Horst-Joachim-Rheindorf-Literaturpreis gibt. Das Hauptmotiv der Stiftung ist, den Verband für Interessenten attraktiv zu machen, zumal nach 1998 die Bundesärztekammer keinen Literaturpreis mehr ausschreibt. Der Literaturpreis des BDSÄ wird in der Regel auf dem Jahreskongress verliehen, ein Turnus ist nicht vorgegeben. Wie der Präsident befürchtet, öffnet der Preis eine Tür für Gefühle, übergangen zu sein.

    Der Präsident bereitet 2008 Harald Rauchfuss auf die neue Amtszeit vor. Nach der Wahl muss die Mitgliederversammlung den emeritierten Präsidenten drängen, der Ernennung zum Ehrenpräsidenten zuzustimmen. Rauchfuss würdigt Rheindorf, den Verband vor jenem Zeitgeist bewahrt zu haben, der im allgemeinen Literaturbetrieb das absolut individuelle Stilmittel beanspruche. Damit sei es ihm gelungen, einen Tiefpunkt des Verbands in den Neunziger Jahren zu überwinden.

    Hojo Rheindorf führt mit der Übernahme  der Präsidentschaft einen damals neuen Stil im Verband ein. Die vorher etwas steife Atmosphäre verwandelt er durch seine väterliche Art in eine freundschaftlich-familiäre, in der sich neue Mitglieder schnell angenommen und wohl fühlten. Als fortwirkendes Vermächtnis ist das bis heute so geblieben. Gleichwohl vermeidet er die Rolle des Übervaters: er kann loben, anerkennen und andere neben sich gelten lassen.

    Eine spontane Ehrung überrascht Familie Rheindorf am Abschiedsabend auf der Havel-Insel Lindenwerder. Barbara Kromphardt und Harald Rauchfuss komponieren eine mehrstimmige vielstrophige Abschiedshymne für „Hojo“, in die alle Kongress-teilnehmer einstimmen. Sie verklingt im besonnten Abend der Berliner Luft.

    Horst Joachim Rheindorf hat eine Tradition hervorgebracht, die Stabilität garantiert. Sie hilft, die Turbulenzen eigenwilliger poetischer Ausdrucksweisen und der modernen Medien zu steuern. Es gilt für die nachfolgenden Präsidenten Harald Rauchfuss und Dietrich Weller, über den Wandel der Poesie und der ärztlichen Tätigkeit im Sinne Rheindorfs nachzudenken.

    Am 8. Mai 2018 endet ein Leben im Dienst des ärztlichen Berufsstands, der Schriftsteller-Ärzte und der eigenen Familie. Von den zahlreichen Auszeichnungen seien genannt:

    Ernst-von-Bergmann-Plakette der Bundesärztekammer 1971
    Bundverdienstkreuz Erster Klasse 1972
    Bernhard-Christoph-Faust-Medaille des Landes Hessen 1982
    Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft 1997
    Großes Verdienstkreuz mit Stern 2002.
    Schauwecker-Medaille 2009

    Es ist Rheindorfs wegweisendes Vermächtnis, unsere Satzung zu leben mit »Förderung der Volksbildung, nicht nur in Fragen der Gesundheit, mit Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur, des Völkerverständigungsgedankens und der Humanität.« Es obliegt uns »die Pflege des literarischen Schaffens und dessen Förderung sowie die Hebung des gegenseitigen Verstehens und kulturellen Zusammengehens der Nationen zusammen mit der Union Mondiale des Écrivains Médecins (UMEM).«

    Die Satzung klingt mit Horst Joachim Rheindorfs Worten verständlicher: »Wir sind eine große Familie.« Wir gedenken seiner Worte auf Dauer und danken ihm für seine treue und hingebungsvolle Arbeit.

    Harald Rauchfuß und  Dietrich Weller

  • In dieser Sackgasse

    (20.7.2012)

     

    Freie Übersetzung eines Gedichtes des iranischen Denkers Ahmad Shamloo (1925-2000) aus dem Jahr 1979.

     

    Sie riechen an deinem Mund,
    nicht dass du gesagt hättest, „ich liebe dich“,
    sie riechen an deinem Herzen,
    es ist eine seltsame Zeit, Liebling. 

    Und die Liebe
    peitschen sie aus
    an dem Balken der Straßensperre.
    Die Liebe sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden. 

    In dieser krummen Sackgasse,
    in diesen Windungen der Kälte
    entfachen sie das Feuer
    mit Gedichten und Liedern als Brennmaterial.
    Riskiere nicht das Nachdenken,
    es ist eine seltsame Zeit, Liebling. 

    Derjenige, der nachts an die Tür klopft,
    ist zum Auslöschen des Lichtes gekommen.
    Das Licht sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden. 

    Dort sind Schlächter
    am Straßenübergang platziert
    mit Blut beschmierten Schlagstöcken und Hackmessern.
    Es ist eine seltsame Zeit, Liebling. 

    Den Lippen schneiden sie das Lachen aus
    und dem Mund den Gesang.
    Die Freude sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden. 

    Kanarienvögel werden gebraten
    auf einem Feuer von Jasmin und Lilien.
    Es ist eine seltsame Zeit, Liebling. 

    Der Satan, des Sieges betrunken,
    feiert unser Begräbnis am Festtisch.
    Der Gott sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.

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    Life

    The human life is a long and troublesome path,
    where sometimes a single rose can be found,
    but the thorns are everywhere.

    Copyright Dr. med. André Simon

     

    Das Leben

    Das menschliche Leben stellt einen sorgenvollen Weg dar,
    auf dem wir manchmal eine einzelne Rose finden können,
    aber die Dornen sind überall.

     

     

  • Baum Nummer 629

    (20.4.2018)

     

    Mancher empfiehlt mir wohlwollend
    gelegentlich auch eitel oder belehrend
    mächtige Verbrecher im Lande
    nicht beim Namen zu nennen
    beim Dichten allgemein zu bleiben
    Texte für die Ewigkeit zu schreiben 

    Wenn Suchende meinen Baum betrachten
    soll der Gesang meines Herzens
    im Friedwald frohlockend bezeugen
    dass Glück nicht in Gleichgültigkeit gedeiht
    sondern in Verbundenheit mit der Erde
    anschaulich als Gegebenes erlebbar

    ֎֎֎

  • Langer Atem

    (18.4.2018)

     

    In meinem Arbeitszimmer
    im sechsten Stock angekommen
    öffne ich weit die Tür zum Balkon
    Das zarte Frühlingsgrün
    bis zum Horizont ausgebreitet
    zeigt hier und da wunderbare
    rosa-weiße, gelbe
    rot-bräunliche Muttermale
    Die Sonne
    selbst nicht sichtbar
    schickt unverkennbar
    ihren hellen Gruß
    Vögel sind betriebsam, brünstig unterwegs
    Ich atme diese Sanftmut tief ein
    denke bewegt unter anderem
    an Gaza, Syrien, Libyen
    Irak, Yemen und Afghanistan
    denke an mein Ursprungsland Iran
    und bin mir dabei bewusst
    dass ich Verdunklungen wahrnehmend
    weiterhin vom Licht sprechen werde
    von der Geborgenheit in Gerechtigkeit
    von der Verbundenheit mit der Schönheit
    von langem Atem fürs Leben

    ֎֎֎

  • Vögel unterwegs

    (23.3.2018) 

    Vor einigen Wochen hatte ich das Glück, 3333 goldfarbene Tauben der Künstlerin Ruth Blanke zu erleben, die im November 2017 in die Überwasserkirche in Münster gezogen waren [1]. Die Bilder gingen mir nicht aus dem Kopf. Im weiteren Verlauf las ich das Buch „Die Mauer überwinden: Eine Vision für Israelis und Palästinenser“ des amerikanischen Psychologen, Traumatherapeuten und Friedensaktivisten Mark Braverman [2]. So entwickelte sich der vorliegende Text.

    [1] http://www.bistum-muenster.de/index.php?myELEMENT=344094

    [2] http://www.wdl-verlag.de/frieden-und-versoehnung/978-3-86682-162-0_Detail.htm

     

    ֎֎֎

     

    für Leni

     

    Besorgt, bewegt, entschlossen
    verrückt vor Hoffnung, geschlossen
    wollten 3333 Vögel
    in der Überwasserkirche in Münster
    das beklemmende Schweigen brechen
    das an Verbrechen grenzte 

    Das Fluch beladene Erbe des Wegschauens
    über Nacht nicht überwindbar
     wollten sie nicht widerspruchslos belassen
    auch nicht die törichten Ausreden
    das Schicksal sei in den Sternen geschrieben
     einige seien zum Gehorchen verurteilt
    andere auserwählt zum Befehlen 

    Fest davon überzeugt
    dass Begegnungen beheimaten
    tief verbunden mit der Erde
    traten sie den Flug in alle Himmelsrichtungen an
    um Lebewesen liebevoll zu berühren
    zur Gerechtigkeit zu rufen
    den Blinden die Augen zu öffnen
    die Gefangenen aus dem Gefängnis zu führen
    und die in der Finsternis Sitzenden
    aus ihren goldenen Kerkern

    ֎֎֎

  • Waltrud Wamser-Krasznai: Dem Tod ein Schnippchen schlagen

    Auch das Altertum hatte seine Alternativen zum Tod als unabdingbarem Schicksal. Das Sterben musste nicht endgültig sein; auf die eine und andere Weise ließ es sich umgehen, je nach Bedeutung und Verdienst des Verblichenen oder nach seiner verwandtschaftlichen bzw. wahl-verwandtschaftlichen Nähe zu einer Schutzgottheit. Medea z. B. war die Enkelin des Sonnengottes Helios, Achilleus der Sohn eines Sterblichen mit der Meeresgöttin Thetis, Herakles ein Sohn des Zeus mit einer Menschenfrau und Schützling der jungfräulichen Göttin Athena, während Asklepios, der Sohn einer sterblichen Mutter, den Apollon zum Vater hatte.

    Die Alternativen bestanden etwa in Vergöttlichung, Entrückung oder auch in  einer Wandlung.

     

    1. Vergöttlichung = Divinisierung = Apotheose:

    Asklepios, der griechische Heilgott schlechthin, ist in der homerischen Ilias noch kein Gott, sondern ein Sterblicher, nämlich ein untadeliger, ja ein unvergleichlicher Arzt[1]. Schon als Kind soll er Wunderdinge vollbracht haben. Es „verbreitete sich …die Kunde, der Knabe könne alles, was er wolle, an den Kranken heilen und auch die Verstorbenen auferwecken“[2]. Hygin berichtet in seinen Fabulae über die Erweckung des Hippolytos[3]. „Die Tragödiendichter und Pindaros … sagen…er habe sich für Geld gewinnen lassen, einen reichen Mann, der schon im Sterben gelegen, zu heilen, wofür er auch vom Blitz sei erschlagen worden… Wir aber…wollen ihnen das …nicht glauben; sondern wenn er des Gottes [Apollons] Sohn war, werden wir sagen, ging er gewiss nicht auf schnöden Gewinn aus; tat er aber dieses, so war er nicht des Gottes Sohn[4]“.

    Doch so berühmt Asklepios als Heil-Heros bereits ist – die ungeheure Hybris, Verstorbene zu erwecken, zieht den Tod nach sich. Zeus erschlägt ihn mit seinem Blitz[5].

    Gleichwohl entwickelt sich vor allem seit dem Ende des 4. Jhs. v. Chr. ein Kult, der sich geradezu rasant ausbreitet, und zwar ohne dass sich die Göttlichkeit des Asklepios, wie etwa die des Herakles, in einer Apotheose manifestiert. In Reliefs und Inschriften auf der sog. Telemachos-Stele ist die Gründung des Asklepios-Heiligtums in Athen um 420/419 v. Chr. konkret fassbar. Literarische Quellen zur Divinisierung des Heros fließen spärlich und stammen aus späterer Zeit. Bei Cicero heißt es: „Das Zusammenleben der Menschen und die allgemein übliche Gewohnheit…haben… den Brauch eingeführt, besonders verdiente Männer aufgrund ihres Ruhmes und aus eigenem Antrieb in den Himmel zu versetzen. Aus diesem Grund wird Herkules, werden Kastor und Pollux, Äskulap, ja auch Liber verehrt“, und: „…vor allem in Griechenland hat man viele Gottheiten menschlicher Abkunft[6].“ Auch Pausanias[7] äußert sich dazu: „Die Menschen waren damals nämlich wegen ihrer Gerechtigkeit und Frömmigkeit Gastfreunde und Tischgenossen der Götter…wie ja damals sogar aus Menschen Götter wurden, welche bis heute verehrt werden, etwa Aristaios, die kretische Britomartis, Herakles, der Sohn der Alkmene, und Amphiaraos…sowie Polydeukes und Kastor.“ Der antike Reiseschriftsteller sieht also die Vergöttlichung nicht geschlechtsspezifisch. Außerdem bringt er mit dem Heil-Heros Amphiaraos einen Vorläufer bzw. einen Aspekt des Asklepios ins Spiel.

    Dieser war mit seinem Kult offenbar in besonderer Weise dazu geeignet, die in klassischer Zeit veränderten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Der „Heiler der Krankheit“, wie es im homerischen Hymnos[8] heißt, trägt in weitaus stärkerem Maße als die anderen Götter menschliche Züge. Asklepios wendet sich dem Individuum und seinen Nöten helfend zu, er ist ein Gott, der „Hand anlegt“[9]. Es kam sogar zu Kultübertragungen. In Troizen wurde  Hippolytos im Kultbild des Asklepios, das Timotheos arbeitete, weiter verehrt[10].

    Heros und Apotheose:

    Nach einem überaus abenteuerlichen Leben wirft sich Herakles, um seine Qualen zu beenden, in den auf seinen Wunsch errichteten Scheiterhaufen. In den reinigenden Flammen werden seine Glieder göttlich[11] und die Olympier nehmen ihn auf in ihre Reihen.

     

    Weiterleben im regionalen Kult:

    Etwas anders als beim Vater liegt die Sache bei den Asklepios-Söhnen, „gute Ärzte, die zwei, Podaleirios und auch Machaon[12]. Nach Pausanias, der sich auf die kleine Ilias beruft, stirbt Machaon durch die Hand des trojanischen Bundesgenossen Eurypylos[13], nach einer anderen „sehr abgelegenen“ Version[14]  durch die Amazonenkönigin Penthesileia, die mit ihren Kriegerinnen ebenfalls zur Unterstützung der Trojaner herbeieilt. Sein Leichnam wird von Nestor, der dem untröstlichen Bruder Podaleirios „mit großer Zuwendung“ beisteht[15], nach Gerenia in Messenien überführt und dort bestattet. An seinem Grabmal erweist man ihm kultische Ehren. Als die Adoranten dort Linderung von Krankheit erfahren, entsteht bald ein bedeutendes Heiligtum[16]. So lebt Machaon als Heros Iatros weiter in einem regionalen Kult[17].

     

    2. Entrückung:

    Achilleus ist als Zögling des weisen Kentauren Chiron ein Heil-Heros, der sich auf die Wundbehandlung versteht. Als er am Pfeilschuss in die berühmte Achillesferse stirbt, entrückt ihn seine göttliche Mutter Thetis und bringt ihn nach Leuke, die weiße Insel im Schwarzen Meer, wo griechische Siedler ihm einen Tempel errichten und ihm göttliche Ehren erweisen[18]. Nach den Dichtern Ibykos und Simonides[19] wird Medea dort seine Gemahlin.

    Diese, eine Tochter des Königs von Kolchis und Enkelin des Sonnengottes Helios, ist heilkundig und verfügt über magische Kräfte. Aus Rache an Pelias, der den Jason als einen Anwärter auf den thessalischen Thron zum Einholen des Goldenen Vlieses auf eine lebensgefährliche Reise schickt, verführt Medea die Töchter des Pelias, ihren alten Vater in Stücke zu zerlegen und zu kochen, um ihn zu verjüngen. Die Zauberin hatte zuvor, um die Peliaden zu überzeugen, mit derselben Methode einen alten Widder erfolgreich verjüngt[20].

    Als der von Medea leidenschaftlich geliebte Iason sie verlässt, um die Tochter des Königs von Korinth zu heiraten, nimmt die Verratene furchtbare Rache. Um den Gatten an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen, ermordet sie die gemeinsamen Söhne. Während Jason sie mit gezücktem Schwert verfolgt, entschwindet die Magierin auf einem vom Sonnengott gesandten  Schlangenwagen. Sie wird, wie wir hörten, im Elysium mit Achilleus vermählt[21].

     

    3. Verwandlung = Metamorphose:

    Hyakinthos: Dich hat …Phoibos Apollon vor allen andern geliebt…er „warf  die Scheibe hoch in die Lüfte“…die aber ließ der harte Boden zurückprallen und schleuderte sie dir, Hyakinthos, ins Gesicht. Da erblasste der Gott ebenso wie der Knabe. Den Leib des Zusammengesunkenen fängt er auf… bald trocknet er die unheilvolle Wunde, bald hält er durch Heilkräuter die fliehende Seele auf. Doch …unheilbar war die Wunde. So oft aber das Frühjahr den Winter vertreibt…so oft ersteht er neu und blüht als Hyazinthe auf der grünen Wiese[22].

    Prokne und Philomele:

    Die attische Königstochter Prokne ist an den Thraker Tereus verheiratet worden. Mit ihm hat sie einen Sohn, Itys. Oft sehnt sie sich nach ihrem Vaterland und besonders nach Philomele, ihrer geliebten Schwester. Tereus verspricht, diese abzuholen und zu ihr zu bringen. Stattdessen entledigt er sich seiner Verantwortung gegenüber der Schwägerin auf die schlimmste Weise. Er nimmt sie gefangen, tut ihr Gewalt an und reißt ihr die Zunge heraus, um sie am Herausschreien des Frevels zu hindern. Doch Philomele versinkt nicht in Passivität. Sie verfertigt ein Gewebe mit geheimen Schriftzeichen, die das furchbare Geschehen offenbaren und sendet es an ihre Schwester Prokne. Diese versteht und gerät außer sich vor Wut und Schmerz. Als Bachantin befreit sie ihre Schwester und tötet ihren kleinen Sohn Itys, um den verbrecherischen Vater im Innersten vernichtend zu treffen und zu strafen. Bevor sich dieser rasend vor Zorn auf die beiden Schwestern stürzen kann, verwandelt Zeus alle drei in Vögel. Als Nachtigall ruft nun Prokne jede Nacht schluchzend nach ihrem kleinen Sohns[23].

    Kallisto:

    Bevor sich die schöne Nymphe dem Gefolge der jungfräulichen Artemis anschließt, gelobt sie ebenfalls Keuschheit. Als die Göttin eines Tages dennoch die von Zeus verursachte Schwangerschaft ihrer Gefährtin entdecken muss, lässt sie ihr im Zorn ein dichtes Bärenfell und Krallen wachsen. Was Kallisto dann zustößt, wird in verschiedenen Parallelmythen berichtet. Ob sie von den Pfeilen ihrer Herrin Artemis, von Hera, der eifersüchtigen Gemahlin des Zeus, oder gar von ihrem eigenen Sohn Arktos, dem Zeus-Sprössling, getötet wird – jedenfalls kreist sie seither als Sternbild der Großen Bärin[24] um den Polarstern[25].

     

    Literatur:

    Benedum 2008: C. Benedum, Der Wundarzt und Heilheros Machaon in Thessalien und Messenien, in: Austausch von Gütern, Ideen und Technologien in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer (Weilheim 2008) 499-506

    Bieber 1925: M. Bieber, Tereus, AM 50, 1925, 11-18 Taf. 2

    Kerényi 1956: K. Kerényi, Der göttliche Arzt (Darmstadt 1956)

    Kerényi 71984: K. Kerényi, Die Mythologie der Griechen 2, Die Heroen-Geschichten  (München 71984)

    Kerényi 21997: K. Kerényi, Töchter der Sonne (Stuttgart 21997)

    Klöckner 2005: A. Klöckner, Mordende Mütter. Medea, Prokne und das Motiv der furchtbaren Rache im klassischen Athen, in: Die andere Seite der Klassik. Gewalt im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. Kulturwissenschaftliches Kolloquium Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 11.-13. Juli 2002 (Stuttgart 2005) 247-263

    Krug 1012: A. Krug, Rez. zu: Riethmüller, Asklepios 2005, Gnomon 84, 2012, 726-737.

    Simon 1968: E. Simon, Tereus. Zur Deutung der Würzburger Schauspieler-Scherbe (Aschaffenburg 1968)

    Wamser-Krasznai 2007: W. Wamser-Krasznai, Metamorphosen der Haut im antiken Mythos, AktDermatol 33/2007, 96 f.

    Wamser-Krasznai 2017: W. Wamser-Krasznai, Ärzte und Tod in der Alten Welt. Mythos, Magie und Metamorphosen, in: dies., Streufunde (Filderstadt 2017) 71-83

    [1] Hom. Il. 4, 194. 9, 518.

    [2] Paus. 2, 26, 5.

    [3] Hyg. fab. 49; Apollod. 3, 121; Schol. Pind. P. 3,96; Paus. 2, 27,4.

    [4] Plat. polit. 3, 408 b. c; Aischyl. Ag. 1022-4; Eur. alc. 3-4; Pind. P. III 55-8.

    [5] Pind. P. III 34 ff. Pind. Schol. V. 3-6.

    [6] Cic. div. Lat.-Dtsch, (Darmstadt 1990)  2, 62, 6-1; 3, 39, 12-13.

    [7] Paus. 8, 2, 4.(Arkadien).

    [8] Hom. h. 16.

    [9] Klöckner 2001,132; Krug 1985, 121.

    [10] Paus.2, 32, 4.

    [11] Apoll. Rhod. 1. 752.

    [12] Hom. Il. 2, 731.

    [13] Paus. 3, 26, 9.

    [14] Spätbyzantinische Handschrift, die eine Herkunft aus der Aithiopis andeutet; Apollod. Epitome=Textauszug 5, 1, Krug 2012, 731.

    [15] Benedum 2008, 501.

    [16] Paus. 3, 26, 9.10.

    [17] Heil-Heros, Kerényi, 1956, 86.

    [18] Prok. Chr. 106. 14, ca. 550 n. Chr.

    [19] Apoll. Rhod. Kerényi 21997, 91; ders. 71984, 219.

    [20] Ov. Met. 7.

    [21] Wamser-Krasznai 2017, 71-79.

    [22] Ov. Met. 10.

    [23] Soph. Tereus Fr. 523 f., Simon 1968, 161.163.

    [24] Auch der „Große Wagen“.

    [25] Wamser-Krasznai 2007, 96.

  • Freundschaft und Liebe

    können helfen,

    Brücken zu bauen –

    über die Abgründe 

    des Mensch-Seins.

  • Kriegsverbrecher*

    (21.11.2017)

     

    Wenn mit dem Elend der Flüchtlinge
    Kapital geschlagen wird
    ist es wesentlich
    daran zu erinnern
    dass deutsche Kriegsverbrecher*
    durch Steuergelder finanziert
    und mit Ämtern geehrt werden

    ֎֎֎

    * Ergänzung

    Interessierten Lesern wird das folgende Buch des Historikers, Aufklärers und Friedensaktivisten Dr. Daniele Ganser empfohlen:

    Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien.

    Verlag: orell füssli

    ISBN: 978-3-280-05631-8