(deutsche Übersetzung von Dietrich Weller im Anschluss an den Text)
Long ago there lived a Chan Master called Xu who was on the constant pursuit of perfection. To approach perfection, second in his opinion, the utmost sense of humility was essential.
The mountains within the Earth´s landscape are images of humility. Mountains erode to become flat plains. The slope of a mountain to the plain is the core of humility. Humility is not simply modesty but the highest virtue -mother of all virtues. There cannot be any other good quality in ones soul which does not possess the virtue of humility.
Master Xu was fishing by the banks of his favorite river, one day. The river was flowing; the birds were singing sweetly and the fragrance of the flowers overwhelmed the air. When suddenly a horse drawn gilded carriage appeared.
The coachman opened the door, bent down with respect, and let two men dressed in long silk robes step down from the carriage. They both bowed with reverence to the fisherman and declared: “Honorable Master Xu we have been sent from His Heavenly Excellency the Emperor to invite you to his Palace. The Emperor offers you the position of Prime Minister; the highest rank in the whole Empire. You could even live in the Palace.
Master Xu also bowed in respect and replied: “The Almighty has the capability to create everything, yet his gentle humility seems to know when there are enough plants, animals and every other living thing. A humble being avoids excess. Living in humility I know exactly when to stop wanting. My goal in this world is to be free, so that I can meditate, listen, teach and share my wisdom with others. With a profound gratitude I accept only two bowls of rice and three cups of tea every day, offered to me by my pupils.
Please observe my old friend the turtle over there. He pointed to an aged turtle only two paces away from him.
According to the legend the Gods gave its forefather Gui to the ancestor of our Emperor. The Emperor gave orders to wrap this turtle in a thousand silk pieces, and to lock it alive in a golden box ornamented with precious jade. Even today one can observe the jade-box lying beside the throne.”
Once again, Master bowed respectfully and declared: “Most worthy Messengers, please thank His Heavenly Excellence the Emperor for the great honor, he offers me. I believe that the finest quality of man can flourish only in freedom.Those who would give up essential liberty for temporary security deserve neither liberty nor security. Modesty is the conscience of the body, and because of that, I forego this promotion. I prefer to remain a simple dressed Chan Master with a peaceful heart, instead of being a Prime Minister dressed in golden robes, and shut up for eternity in the Emperor’s Palace.”
The messengers departed and the humble Chan Master continued to fish with a smiling face, and the turtle as a sign of approval wagged its tail …..
Copyright für den Originaltext bei Dr. med. André Simon, andre.simon[at]hin.ch
DEMUT
übersetzt von Dietrich Weller
Vor langer Zeit lebte ein Chan-Meister namens Xu, der auf der ständigen Suche nach Vollkommenheit war. Um Vollkommenheit zu erreichen, ist seiner Meinung nach Demut unerlässlich.
Die Berge innerhalb der Erdlandschaft sind Abbilder der Demut. Der Abhang eines Berges zur Ebene ist der Kern der Demut. Demut ist nicht einfach Bescheidenheit, sondern die höchste Tugend – Mutter aller Tugenden. Es kann keine andere gute Qualität in der Seele eines Menschen geben, die nicht auch die Eigenschaft der Demut hat.
Eines Tages angelte Meister Xu am Ufer seines Lieblingsflusses. Der Fluss strömte, die Vögel sangen süß, und der Duft der Blumen überwältigte die Luft. Da erschien plötzlich eine von Pferden gezogene vergoldete Kutsche.
Der Kutscher öffnete die Tür, verbeugte sich mit Respekt und ließ zwei in lange Seidenroben gekleidete Männer aus der Kutsche stiegen. Sie verbeugten sich beide mit Verehrung vor dem Fischer und erklärten: „Ehrenwerter Meister Xu, wir sind von Seiner Himmlischen Exzellenz dem Kaiser abgesandt, um Sie in seinen Palast einzuladen. Der Kaiser bietet Ihnen die Stelle des Ministerpräsidenten an, den höchsten Rang im ganzen Imperium. Sie würden sogar im Palast wohnen.“
Auch Meister Xu verbeugte sich mit Respekt und antwortete: „Der Allmächtige hat die Fähigkeit, alles zu erschaffen, seine sanfte Demut scheint sogar zu wissen, wann es genügend Pflanzen, Tiere und alle anderen Lebewesen gibt. Ein demütiges Wesen vermeidet Überfluss. Weil ich in Demut lebe, weiß ich genau, wann ich aufhören muss zu wünschen. Mein Ziel in dieser Welt ist frei zu sein, damit ich meditieren, zuhören, lehren und meine Weisheit mit anderen teilen kann. Mit großer Dankbarkeit nehme ich jeden Tag nur zwei Schalen mit Reis und drei Tassen Tee an, die mir von meinen Schülern angeboten werden.
Bitte beobachten Sie meinen alten Freund, die Schildkröte dort.
Er zeigte auf eine alt gewordene Schildkröte nur zwei Schritte von ihm entfernt. Nach der Legende gaben die Götter den Ahnen die Schildkröte Gui als Vorfahr unseres Kaisers. Der Kaiser gab Anweisung, diese Schildkröte in tausend Seidenstücke einzuwickeln und sie lebendig in einen goldenen Schachtel mit kostbarer Jadeverzierung einzuschließen. Jeden Tag kann man das Jadegehäuse neben seinem Thron betrachten.
Noch einmal verbeugte sich Meister XU respektvoll und erklärte: „Ehrenwerte Botschafter, bitte danken Sie Seiner Himmlischen Exzellenz dem Kaiser für die große Ehre, die er mir anbietet. Ich glaube, dass die schönste Qualität des Menschen nur in Freiheit blühen kann. Jene, die unabdingbar nötige Freiheit für zeitbegrenzte Sicherheit aufgeben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit. Bescheidenheit ist das Gewissen des Körpers, und deshalb verzichte auf die Beförderung. Ich ziehe es vor, ein einfach gekleideter Chan-Meister mit einem friedlichen Herzen zu bleiben, statt ein Ministerpräsident zu sein, der in goldene Roben gekleidet und für die Ewigkeit im Kaiserpalast eingeschlossen ist!“
Die Botschafter reisen ab, und der demütige Chan-Meister angelte weiter mit lächelndem Gesicht, und die Schildkröte wedelte bestätigend mit ihrem Schwanz …
Bemerkung des Übersetzers:
Chan ist eine in China ab 5. Jahrhundert entstandene Strömung und ab dem 12. Jahrhundert auch nach Japan gelangt .Es ist ein Zustand meditativer Versenkung.
Copyright für die Übersetzung bei Dr. Dietrich Weller