Ein Gutmensch
Moritz Grünling war, wie seine Freunde gern behaupteten, bereits als Gutmensch auf die Welt gekommen. Und diese ihm zugeschriebene Eigentümlichkeit, angeboren oder im frühen Kindesalter erworben, hatte sich mit den Jahren zugespitzt.
Auch als Erwachsener verstand er es, seinen Beruf, er hatte Politologie studiert, mit seinen humanitären Absichten in Einklang zu bringen. Manchmal beklagte er sogar seine späte Geburt, wäre er doch zu gern viel eher gegen rassistische Vorurteile ins Feld gezogen. Aber der Amerikaner wie auch der Mohrenkopf waren schon vor seiner Zeit aus den Bäckereien verschwunden, Zigeunerschnitzel durch Ungarisches Schnitzel ersetzt worden, und am Zigeunerbaron hatten sich bereits Hartnäckigere als er die Zähne ausgebissen.
Jedoch wie nach Überschwemmungen noch Pfützen zurückbleiben, so hatten auch diese akribischen Feldzüge für ihn noch Überbleibsel hinterlassen, denen er sich widmen konnte. Er war ein Kämpfer im Kleinen geworden und verbot seinen Kindern Drei Chinesen mit dem Kontrabass oder Drei Zigeuner fand ich einmal… zu singen.
Nachdem er sein Sendungsbewusstsein nur unvollkommen ausleben konnte, ergab sich durch einen Wechsel der Arbeitsstelle verbunden mit einer Versetzung an einen anderen Ort noch einmal Gelegenheit, seine hehren Ideale zu praktizieren.
Man könnte annehmen, Moritz Grünling habe in einem kleinen vergessenen Winkel noch etwas rassistisch Anmutendes aufgetan, aber so war es nicht. Grünling war in eine Großstadt versetzt worden, und sogar hier entdeckte er Unkraut, das es auszumerzen galt.
Er war in der Mittagspause durch die ihm noch fremde Stadt gestreift und fand sich zu seinem Erstaunen vor einer Apotheke wieder, die den frevelhaften Namen Mohrenapotheke trug. Im Handumdrehen erfand er ein körperliches Übel und betrat den Verkaufsraum.
„Ich brauche etwas gegen Sodbrennen?“, sagte er zu dem jungen Mann hinter dem Ladentisch, der nach seinen Wünschen fragte. Der junge Mann empfahl Bullrichsalz. Grünling zückte umständlich sein Portemonnaie und warf, während er das Geld herausfingerte, einen Blick auf den über den Regalen angebrachten, prachtvollen Mohrenkopf, der sich, vorteilhaft mit einer Halskette geschmückt, im Profil präsentierte.
„Wohl der Firmengründer?“, fragte Grünling launig auf den Kopf des Schwarzafrikaners weisend.
„Mein Urgroßvater“, erwiderte der blonde, junge Mann völlig ernsthaft, der sich damit als Inhaber zu erkennen gab und die geistreiche Bemerkung des Kunden nicht recht würdigen konnte. Trotzdem wünschte er diesem einen schönen Tag.
Etwa eine Woche später wurde der Apotheker zu einem Gespräch in die Rechtsabteilung der Stadt gebeten. Eine Ahnung sagte ihm, dass er diese Einladung dem an Sodbrennen leidenden Kunden verdankte. Und so war es: In höflicher Form wurde er gebeten, seiner Apotheke einen weniger Ärgernis erregenden Namen zu geben. Der Pharmazeut, in vierter Generation in diesem Geschäft, weigerte sich rundheraus.
Abends, als er im Kreise seiner Kollegen am Stammtisch saß, was einmal wöchentlich geschah, erzählte er ihnen von dem merkwürdigen Ansinnen. Einhellig waren die dort versammelten Pharmazeuten, der Adlerapotheker, der Schwanenapotheker, der Rosenapotheker und der Einhornapotheker der Ansicht, dass er, der Mohrenapotheker, sich richtig verhalten habe. Umso merkwürdiger berührte ihn daher die Meinung seiner Frau, der er vor dem Zubettgehen von den Ereignissen des Tages berichtete und dabei seine standhafte Haltung hervorhob.
„Bist du sicher, dass das vernünftig ist?“, fragte die Gattin. Natürlich war sich der Mohrenapotheker sicher, aber wie ein steter Tropfen den Stein höhlt, ließ er sich nach und nach von der Skepsis seiner Frau anstecken.
Und so kam es eine Woche später zu einer geringfügigen Änderung des ethnisch anfechtbaren Namens: Über dem schönen runden O des Mohren hatten sich einfach zwei Strichlein eingefunden.
Copyright Dr. Lieselotte Riedel
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