Beitrag zur Lesung Gehen oder Bleiben auf dem BDSÄ-Kongress 2017 in Gummersbach
Zähne, die fehlen
Ein Zahn, der beißt, der tut nicht weh,
ein Zahn, der nicht mehr beißt, tut doppelt weh.
Ist es mit Zähnen wie mit Partnern?
Sie machen Schmerzen, bis man sie bekommen hat,
sie machen Schmerzen, seit man sie bekommen hat,
und machen Schmerzen, wenn sie hassen
und schließlich uns verlassen.
Der Zahnbruch, subjektiv genommen,
ist ohne Zweifel immer unwillkommen.
Mitunter sitzt die ganze Seele
In eines Zahnes dunkler Höhle.
Ein hohler Zahn ist ein Asket,
der allen Lüsten widersteht,
weil Mundgeruch dem hohle Zahn entweht.
Auch können Zahnspanggürtel
fungieren wie ein Keuschheitsgürtel.
Doch hat’s die gute Eigenschaft,
dass sich dabei die Lebenskraft,
die oft man außenhin verschwendet,
auf einen Innenpunkt hinwendet.
Es ist und bleibt ein weher Zahn
ein schlechter Schlafkumpan.
Ein Zahn, er macht mitunter
die faulsten Leute munter.
Besonders an den Zähnen nagt
der Zahn der Zeit und plagt.
Die Lust aufs allerbeste Beafsteak
wächst, wenn der letzte Zahn fällt weg.
Es ist und bleibt der wehe Zahn
ein schlechter Fresskumpan.
Wird der Betäubungsstich gesetzt,
und fühlst du das bekannte Bohren,
das Zucken, Rucken und Rumoren,
ist sie beendet, deine Weltgeschichte,
vergessen sind die Kursberichte,
die Steuern und das Einmaleins,
kurz, jede Form gewohnten Seins.
Was sonst real erscheint und wichtig,
wird plötzlich wesenlos und nichtig.
Es ist und bleibt der wehe Zahn
ein schadenfroher Wegkumpan.
Warum bohrt bloß
der Zahnarzt früh am Morgen los?
Ach ja: die Morgenstund
hat Gold im Mund!
Ja, selbst die alte Liebe rostet,
man weiß nicht, was der Zahn im Urlaub kostet,
denn einzig in der engen Höhle
des wehen Zahnes weilt die Seele,
und unter Toben und Gesaus
entschließt du dich: Er muss heraus!
Du kommst zum Schluss:
Dich reizt das Apfel-Essen nicht.
O, lass uns schauen!
Du hast bloß Implantate nicht
genug zum Apfel-Kauen!