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Platon (Waltrud Wamser-Krasznai)

Aus: Platon, Der Staat (πολῑτεία)

(Nach einem Referat im Hauptseminar Alte Geschichte (Prof. Dr. Helga Gesche, WS 1993/94)

Platon, ein Sohn des Atheners Aristion und der Periktione, durch die er mit einer der führenden oligarchisch orientierten Familien Athens verwandt war, lebte von 427-348 v. Chr. Beim Tod des Sokrates 399 v. Chr. gehörte er seit acht Jahren zu dessen Schülern. Auf einer ersten großen Reise nach Unteritalien und Sizilien kam Platon in engen Kontakt mit den Pythagoräern. Er begegnete dem Tyrannen von Syrakus, Dionysios I. und soll versucht haben, ihn nach seinen in der Politeia formulierten Idealen zu beeinflussen. Nach seiner Rückkehr begründete er in Athen eine Akademie, eine Lebensgemeinschaft von Jüngern der Philosophie. Zwischen 366 und 361 v. Chr. reiste Platon erneut nach Syrakus.

Fast alle platonischen Werke haben die Form des Dialogs. Sokrates entlarvt zunächst das Wissen seines Gesprächspartners als Scheinwissen und führt ihn dann, ständig fragend, induzierend, zu seinen Begriffen von den Haupttugenden.  Aristophanes verspottet ihn in den „Wolken“ als Sophisten, obwohl Sokrates sich in Gegensatz zu den sophistischen Lehren stellt.

    Das erste Buch der Politeia handelt vom Wesen der Gerechtigkeit. Dann entwirft Sokrates/Platon das Musterbild eines guten Staatswesens (472 d. e) in dem sich der Gerechte der Gerechtigkeit so weit wie möglich annähern soll (472 c). Im Gegensatz dazu steht die Ungerechtigkeit, die sich in den Zerfallsformen der Verfassungsarten zeigt und in den Seelen Derjenigen entsteht, die gezwungen sind, in einem derart degenerierten Staatswesen zu leben.  

    Oligarchie ist jene Verfassung, in der die Reichen herrschen und die Armen keine Macht haben. Außer den Herrschenden sind alle Bettler. Die Herrschenden aber gewöhnen sich und ihre Söhne von jung auf an Schwelgerei (556 b) und machen sie zu körperlicher und geistiger Arbeit unfähig, wenig tauglich im Ertragen von Lust und Leid (556 c) und träge dazu.

Der Arme erkennt: die Männer gehören uns, sie sind ja nichts wert.

Aus kleinem Anlass entwickelt sich ein Bürgerkrieg (556 d. e). 

    Demokratie entsteht, wenn die Armen siegen und ihre Gegner verbannen, alle übrigen aber nach gleichem Recht an Verfassung und Ämtern teilnehmen lassen. Fürs erste sind die Menschen frei, der Staat quillt über in der Freiheit der Tat und der Freiheit des Wortes und jedem ist erlaubt zu tun, was er will. Es gibt keinen Zwang zum Gehorsam, wenn du nicht willst; dass man dich nicht zum Krieg zwingt während eines Krieges oder zum Frieden, wenn du nicht Frieden halten willst; oder wenn ein Gesetz dir ein Amt oder eine Richterstelle verbietet, dass du dann nichtsdestoweniger Beamter oder Richter sein kannst, wenn dich die Lust dazu packt – eine angenehme, herrenlose und bunte Verfassung (557 a-558 c). Den Hochmut nennen sie Wohlerzogenheit, die Verschwendungssucht Großzügigkeit und die Unverschämtheit Mut (560 d). Kein ordnender Zwang waltet über dem Leben, doch süß nennt er und frei es und selig – und genießt es zur Neige (561d). Der Lehrer fürchtet in dieser Lage die Schüler und schmeichelt ihnen, die Schüler machen sich nichts aus den Lehrern. Zuletzt kümmern sie sich nicht einmal um die Gesetze, um nur ja nirgends einen Herrn über sich zu haben. Wie viel freier hier als anderswo das Leben der Tiere ist, das würde niemand glauben, der es nicht gesehen hat. ..die Esel gewöhnen sich gar frei stolz einher zu schreiten und stoßen auf der Straße jeden Begegnenden, der ihnen nicht ausweicht. Kurz, alles ist voll der Freiheit (563 a-e).

    Im demokratischen Staat gibt es drei Gruppen: die Drohnen, die Reichen –  auch als „Drohnenweide“ bezeichnet – und das arme, arbeitende Volk. Dies sind die meisten (564 d. e).

    Und sie werden einen Mann vor allen an die Spitze stellen, diesen aufziehen und aufpäppeln. Aus dieser Wurzel des Führertums wächst der Tyrann und aus keiner anderen. Er bittet das Volk um Wächter für seinen Leib, damit heil bleibe des Volkes Retter. Er beginnt immer neue Kriege, damit das Volk einen Feldherrn braucht (565 c-566 b). So folgt aus dem Übermaß an Freiheit die tiefste und härteste Knechtschaft, die Tyrannis (564 a).

    In dem Staat, den Sokrates den wahren, gesunden nennt, werden seiner Meinung nach die Leute in Frieden leben (372 c). Da nun die Menschen von Natur aus über unterschiedliche Anlagen verfügen und Besseres leisten, wenn sie ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden, braucht man eine genügend große Anzahl von Arbeitskräften in verschiedenen Berufen: Bauern und Handwerker (371 a), Händler und Lohnarbeiter (371 d. e).

    Doch die Gesprächspartner des Sokrates wünschen auch Annehmlichkeiten des Lebens, Bequemlichkeit, Luxus, Kunst, also einen „üppigen Staat“, τρυφώσαν πόλιν (372 e), der wachsen und mehr Menschen mit stärker differenzierten Berufen integrieren soll.  

    Darin liegt aber schon der Keim der Expansion, die Wurzel des Krieges (373 e). Dies erfordert einen besonderen Berufsstand, den des Soldaten (374 c) oder, wie ihn Sokrates nennt, den Wächter/φυλαξ (374 d). Ihm werden der  Grenzschutz sowie die innere Einheit und Sicherheit (Polizeidienst) anvertraut (423 b-d). Durch strenge Auswahl der Charaktere und sorgfältige zweigleisige musisch-gymnastische Erziehung soll die besondere Eignung der Wächter angestrebt werden (376 e), da sie den Feinden wachsam und scharf, ihren Angehörigen und Mitbürgern aber freundlich und verträglich gegenüber treten sollen.

    Neben dem sportlichem Training stehen der Unterricht in Arithmetik, Geometrie, Astronomie und den musischen Fächern (522 c. 526 c. 527 d). Die Wahl muss unter denen getroffen werden, die am meisten Verantwortungsgefühl für den Staat haben und davon überzeugt sind, dass der Vorteil der Polis zugleich auch der ihre ist (412 c. d).

    Da die Begabungen in beiden Geschlechtern gleich verteilt sind und die Frau ihrer Anlage nach für alle Berufe geeignet ist ebenso wie der Mann, nur dass sie schwächer ist als er (455 d. e), erhalten Männer und Frauen des Wächterstandes dieselbe Erziehung und nehmen gleichermaßen teil an der Sorge für den Staat und auch am Krieg (457 a). Beschäftigt mit dieser ihrer eigentlichen Aufgabe wird den Wächterinnen die Pflege ihrer Nachkommenschaft vollkommen von Ammen und Kinderfrauen abgenommen (460 d). Notwendige Folge des gemeinsamen Lebens für den Staat ist, dass diese Frauen den Männern gemeinsam angehören und auch die Kinder sind gemeinsam; weder kennt der Vater sein Kind noch das Kind seinen Vater (457 c. d).

    Geeignete Paare werden zusammengeführt und nur gesunde Kinder aus erwünschten Verbindungen sind der Aufzucht würdig (460-461 c). Die anderen sind an einem unzugänglichen und unbekannten Ort zu verbergen und so zu behandeln als sei für sie keine Nahrung vorhanden. Auch wer siech am Körper ist, den sollen sie [die Heilkundigen] sterben lassen, wer an der Seele missraten und unheilbar ist, den sollen sie sogar töten! (410 a)                      

    Nun fehlt im Entwurf eines Staates mit guter Verfassung noch das Wichtigste und Schwerste (473 b). Die besten Wächter müssen zu Philosophen gemacht werden, (503 b) sodass ihnen Gerechtigkeit, Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit als die höchsten Tugenden gelten (487 a. 503 c). Wer fähig ist,  Zusammenhänge zu erfassen (537 c), wird etwa fünf Jahre lang in der Dialektik geschult (539 c). Wenn er an die Reihe kommt, den Staat zu leiten, so tut er das um des Staates willen, nicht weil es schön, sondern weil es notwendig ist (540 b), und er hält andere zu gleicher Tüchtigkeit an. Das gilt auch für die Herrscherinnen, τας  ἇρχούσας, soweit ihre Anlage sie dazu befähigt (540 c).              

    Die beschriebene Staatsform könnte Königtum, βασιλεία, heißen, wenn ein einziger unter den Herrschenden hervorragt, Aristokratie dagegen wenn es mehrere sind (445 d). Der Gerechte ist nicht nur auf Erden der Glücklichste  (580 c), auch nach seinem Tod erwarten ihn große Freuden, denn so glaubt Sokrates und so rät er auch seinen Freunden zu glauben: die menschliche Seele ist unsterblich (621 c).

Aus heutiger Sicht stellt der Denkentwurf Platons für einen Staat eine Mischung einerseits aus Realisierbarem und Erstrebenswertem, andererseits aus  Unrealistischem und Verabscheuungswürdigem dar. Die Bildung geistiger Eliten durch Auswahl- und Prüfsystem ist zwar unmodern, aber durchführbar  und m. E. auch wünschenswert.   

Published inProsa

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