Monat: Januar 2016

  • Gemarterte Füße

    Unter dem Diktat der Schuhmode im Altertum

     

    Erinnern wir uns zunächst an die verschiedenen Fußtypen. Da gibt es den ägyptischen Fuß (Bild 1), bei dem die Zehen wie die Orgelpfeifen nebeneinander liegen.

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 1

                              

                               Bild 1. Figürliches Gefäß (Kreta?) um 600 v. Chr.

    Bonn, Akademisches Kunstmuseum. Photo: W. Wamser-Krasznai

     

    Beim griechischen Fuß dagegen ist die zweite Zehe am längsten (Bild 2).

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 2

     

                         Bild 2. Fuß des Kaisers Constantin, Anf. 4. Jh. n. Chr.

    Nachbildung Trier. Photo: W. Wamser-Krasznai

                          

    Sind alle Zehen nahezu gleich lang dargestellt, dann sprechen wir salopp von einem „Quadratfuß“ (Bild 3). In der Natur ist er nicht leicht zu aufzutreiben; doch bleiben wir hier bei der antiken Kunst.

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 3

     

                            Bild 3.  Dame d’Auxerre, Paris, ca. 640/630 v. Chr.

    Nach Martini 1990, 47 Abb. 13

    Sie – die antike Kunst nämlich – ist überraschend reich an Darstellungen von  Füßen, die wir heute als krankhaft verändert, als deformiert oder leicht beschönigend als „von der Norm abweichend“ bezeichnen würden. Jeder Orthopäde kennt das Bild der verdickten schmerzhaften Ferse, die nach einem schwedischen Kollegen Haglund-Ferse oder Haglund-Exostose heißt (Bild 4).

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                                                       Bild 4. Haglundferse

    Nach Rössler – Rüther 2007, 331 f. Abb. 16.74 a

    Sie ist entweder die Folge einer Verknöcherungsstörung der Calcaneus-Apophyse im Wachstumsalter oder die einer überschießenden Verknöcherung am Ansatz der Achillessehne, die durch permanenten Druck der Fersenkappe bei einem Schuh von mangelhafter Passform entsteht. Da schon der bloße Anblick einer derartigen Ferse schmerzt, ist es verblüffend zu erfahren, dass ähnliche Höcker zu bestimmten Zeiten offenbar für besonders darstellenswert galten – etwa im Ägypten der Amarnazeit (Bild 5).

     Wamser-Krasznai-Füße-Bild 5                             

     

                                Bild 5. 14. Jh. v. Chr.Berlin, Neues Museum

    Photo: W. Wamser-Krasznai

    Auch im antiken Griechenland, das der Schönheit und dem Ebenmaß geradezu leidenschaftlich ergeben war, ist die Wiedergabe einer Exostose keine Seltenheit. So weihte man gegen 500 v. Chr. eine Kore, die Statue eines Mädchens, auf die Athener Akropolis, in der Absicht, der Göttin Athena, Schutzpatronin der Stadt, ein kostbares Geschenk zu machen. Die Vorwölbung oberhalb des Calcaneus, des Fersenbeins, ist nicht zu übersehen (Bild 6). Was kann den Bildhauer veranlasst haben, den hinteren Abschnitt eines Mädchenfußes mit einer derartigen Protuberanz auszustatten, um nicht zu sagen: zu verunstalten?

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 6                           

     

                       Bild 6.  Spätarchaische Kore, Athen, Akropolis Nr. 682

    Nach Richter 1968, 71 f. Abb. 364

    Die Vorwölbung erscheint uns als pathologisch, mindestens aber als unschön. Ihre Wiedergabe ist keine Ausnahme und beschränkt sich weder auf das weibliche Geschlecht, noch auf die Zeit der Archaik oder Frühklassik (Bild 7).

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 7

    Bild 7. Krieger vom Aphaia-Giebel West links, ca. 480/70 v. Chr.

    Glyptothek München. Photo: W. Wamser-Krasznai

    Sogar das Votiv-Bein auf einem Weihrelief an die Heilgötter Asklepios und Hygieia zeigt eine mäßige Verdickung am oberen Fersenrand (Bild 8).

      Wamser-Krasznai-Füße-Bild 8                                                                              

                                         

                             Bild 8. Weihrelief aus Melos, römische Kaiserzeit

    British Museum London. Photo: W. Wamser-Krasznai                              

                                        

    Was steckt hinter derartigen Äußerungen künstlerischer Gestaltung? Vermutlich war der Skulpteur durch ein lebendes Vorbild angeregt. Er mag es interessant, vielleicht nicht gerade „schön“, auf jeden Fall aber darstellenswert gefunden haben.

    Wodurch sind die Vorwölbungen verursacht?  Nun – sie entstanden und  entstehen auch heute noch durch den permanenten Druck eines Schuhwerks von mangelhafter Passform auf die empfindlichen Teile des Fußes. Damit ist nicht erklärt, weshalb der Höcker bei antiken Darstellungen zumeist etwas höher sitzt als die Fersenkappe eines heutigen Halbschuhs.

    Wie sieht das antike Schuhwerk aus, das einen Fuß zu quälen und krankhafte Reaktionen hervorzurufen vermag? Die Joch- und Netzwerksandalen des 6. und 5. Jhs. v. Chr. (Bild 9) eignen sich offensichtlich wenig dazu, den nötigen Druck zu erzeugen.

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 9

     

                      Bild 9.  Gefäß in Form eines Fußes mit Netzwerksandale

    Um 525-500 v. Chr. London, British Museum.
    Photo: W. Wamser-Krasznai

    Auch geschlossene Schuhe müssen nicht fußfeindlich sein, vorausgesetzt, sie bestehen aus einem schmiegsamen Material. Zwar ist die Ferse selbst (Bild 10) nicht zu sehen, doch lässt sich aus der Form des vorderen Schuhabschnitts auf einen weichen Stoff schließen. Ein Zusammenhang zwischen zeittypischem Schuhwerk und der Angabe eines Fersenhöckers am nackten Fuß ist hier nicht zu erkennen.

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 10

                                 

                           Bild 10. Füße der Nikandre, Athen, ca. 660 v. Chr.

    Nach Martini 1990, 92 Abb. 26

     Wenden wir uns noch einmal dem Fuß unserer Kore, und zwar dem vorderen Abschnitt, zu (Bild 11).

     Wamser-Krasznai-Füße-Bild 11                                                                                                      Bild 11. Kore Akropolis 682

    Nach Karakasi 2001, 172 Taf. 252 c

    Wir sehen, wie der Querriemen der zierlichen Sandale die kleine Zehe aus ihrer naturgewollten Stellung in die Adduktion drängt, d. h. an die vierte Zehe heranzieht. Das Martyrium hat begonnen. In allernächster Zeit wird ein schmerzhafter Kleinzehenballen entstehen, das Gegenstück zum Hallux valgus. Damit ist ein bedeutsames Stichwort gefallen.

    Sextus Pompeius Festus (2. Jh. n. Chr.) stellt hallux und hallestai= ἃλλεσθαι (hinaufspringen) sprachlich nebeneinander und beschreibt sie im Lateinischen als „pollex (pedis) scandens super proximum, dictus a saliendo“ – als großen Zeh, der über den nächsten steigt, weil er gleichsam auf diesen hinaufgesprungen scheint[1] (Bild 12).

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 12

                                                 Bild 12. Hallux valgus

    Nach Rössler – Rüther 2007, 331-333 Abb. 16.76 a

    Dass die große Zehe im Gegensatz zu den anderen nur aus zwei Phalangen besteht, war schon Galen[2] bekannt und wurde von ihm als eine der tektonischen Voraussetzungen für die Stabilität des medialen Längstragbogens gesehen[3].

    Die Entwicklung der geradeaus nach vorn gerichteten Großzehe zum Hallux valgus lässt sich an Bildwerken der Antike verfolgen. Beginnen wir mit den Jahren um 570 v. Chr., zunächst in Attika, in der Gegend von Athen. Trotz der hohen Sohle ist die Welt für den Fuß noch in Ordnung (Bild 13).

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 13

                          Bild 13. Detail der sog. Berliner Göttin, ca. 570 v. Chr.

    Photo: W. Wamser-Krasznai

    Wir bleiben ungefähr in dieser Zeit und bei demselben Sandalentypus, der von seiner Grundform her dem Fuß keine Gewalt antut, begeben uns aber nach Etrurien. Wie wir sehen, zieht der Sandalenriemen die große Zehe aus ihrer geraden Richtung nach außen gegen die 2. Zehe, nach lateral, wie wir sagen. Spreizfuß und Hallux valgus kündigen sich an (Bild 14). Bereits im Altertum müssen also negative Kräfte auf den Fuß eingewirkt haben, die stärker waren als dessen empfindlichste Teile.

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 14

     

    Bild 14. Detail einer Frauenstatuette aus Vulci/Etrurien, Anf. 6. Jh. v. Chr.

    Brit. Mus. London, nach Sprenger – Bartoloni 1977, 93 f. Abb. 46 b.

    Wir brauchen nicht weit zu suchen, um die Ursachen zu finden. Auch in der Antike gab es Zeiten, in denen es schick war, extrem spitze Schuhe zu tragen (Bild 15).

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 15

                            Bild 15. Kore Akropolis 683, spätarchaische Zeit

    Nach Richter 1968, 77 f. Abb. 384

    Die junge Frau ist mit einem vollkommen „symmetrischen“ Halbschuh bekleidet. Bei diesen hochgradig fußfeindlichen Konturen hilft es nicht viel, wenn wir annehmen, dass es sich um einen „griechischen Fuß“ handelt, dessen längste Zehe, die zweite, sich bis in die Schuhspitze hinein ausstrecken kann. Der Hallux, die Zehe Nr. 1, wird ja trotzdem rigoros nach lateral, nach außen, gedrängt. Das ist aber nicht alles. Auch die kleinen Zehen, die vierte und  fünfte, geraten unter Druck, und zwar nach medial, zur Mitte hin. Alles im Dienste der Schönheit! Vollends in der Spätantike scheint ein handfester Spreizfuß dem Schönheitsempfinden nicht widersprochen zu haben. Wie hätte sonst ein Elfenbeinschnitzer es wagen können, eine Göttin, noch dazu Hygieia, die Göttin der Gesundheit, mit einem so ausgeprägten Hallux valgus darzustellen (Bild 16)?

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 16

                   Bild 16. Hygieia mit Spreizfuß, Elfenbeindiptychon ca. 400 n. Chr.

    Nach Simon 1990, 25 Abb. 22

    Modische Narrheit war auch in der Antike nicht auf das weibliche Geschlecht  beschränkt. Das Schuhwerk des karischen Satrapen Maussolos von  Halikarnassos drängt die große Zehe ebenfalls in die Valgisierung, d. h. nach außen, den armen gequetschten kleinen Zehen entgegen (Bild 17).

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 17

                           Bild 17. rechter Fuß des Maussollos. Mitte 4. Jh. v. Chr.

    London, Brit. Mus. Photo: W. Wamser-Krasznai

    Was sagen die antiken Schriftsteller dazu? Von Plutarch ist die folgende Episode überliefert: Ein Römer, der von seinen Freunden getadelt wird, weil er seiner sittsamen, reichen und schönen Frau den Scheidebrief geschickt habe, streckt seinen Fuß vor und sagt: Auch dieser Schuh ist schön anzusehen und neu, aber niemand weiß, wo er mich drückt[4]. Pikanterweise sind es gerade die Füße des schönen Apollon vom Belvedere, die sich dazu eignen, einen solchen Text zu illustrieren (Bild 18). Die Art, wie der Sandalenrand die erste, zweite und fünfte Zehe beeinträchtigt und ihnen den notwendigen Spielraum nimmt, ist geradezu ein Musterbeispiel für das Martyrium des Fußes.

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 18

                             Bild 18. Linker Fuß des Apollon, 330/20 v. Chr.

    Nach Dohan Morrow 1985, 106 Abb. 96

    Aristophanes, der alte Spötter, legt einem Ehemann, der sich gern einmal ein Paar anständige Hörner aufsetzen lässt, die folgende Bitte in den Mund:

    „O Schuhmacher, meiner Frau quetscht der Schuh das kleine Fußzehchen zusammen, es ist ja so zart. Komm du zur Mittagszeit und weite ihn, auf dass er größer sei…“ (Lysistrate).

    Ein Exkurs ins Mittelalter zeigt, dass es dem vornehmen Ratsherren nicht genügte, Schuhe mit lang ausgezogenen Schnäbeln zu tragen, nein, er bindet sich noch ein Glöckchen an die Spitze, damit jedermann hören und sehen kann, wie er um der Mode willen einen Narren aus sich macht (Bild 19).

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 19

     

                             Bild 19: Gotisches Schuhwerk im Miniaturformat,

    Meister Richard Fenchel, Butzbach. Photo: W. Wamser-Krasznai

    Auch missgebildete Götterfüße lässt die antike Bilderwelt ausnahmsweise zu. Beim Klumpfuß handelt es sich bekanntlich um ein angeborenes Leiden. Hephaistos, der Gott der Schmiede, sagt von sich, dass er „als Krüppel zur Welt“ kam[5], was ihn aber nicht hindert, Karriere als Kunsthandwerker zu machen und mit seinen Erzeugnissen weithin berühmt zu werden. Auf Bitten der Göttin Thetis schmiedet er die Waffen für ihren Sohn Achilleus (Bild 20), allerdings ohne diesen damit vor dem tödlichen Pfeilschuss in die Ferse, seine einzige verwundbare Stelle, retten zu können.

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 20

                    Bild 20: Hephaistos / Sethlans zwischen Thetis und Achill

    Etruskischer Karneolskarabäus, 530/520 v. Chr. nach  LIMC IV, 1988

                    

    „Dem Musiker Dorion, der einen Klumpfuß hatte, kam“, wie Athenaios berichtet[6], „bei einem Symposion der Schuh des behinderten Fußes abhanden“  – man streifte ja bekanntlich die Schuhe ab, bevor man sich zu Tische legte – Dorion also sagte, „Ich will dem Dieb nichts Schlimmeres wünschen, als dass ihm der Schuh passt“.

    Unsere Betrachtungen zur Diktatur der Schuhmode im Altertum blieben unvollständig ohne einen Blick auf ihre Auswüchse. Wer Schillers Balladen noch kennt, dem fallen zum hochsohligen Schuh des Schauspielers „Die Kraniche des Ibykus“ ein. Dort heißt es:

    So schreiten keine ird’schen Weiber,
    die zeugete kein sterblich Haus.
    Es steigt das Riesenmaß der Leiber
    Hoch über Menschliches hinaus.

    Wamser-KRasznai-Füße-Bild 21

                                         Bild 21: Römisches Mosaik, 3. Jh. n. Chr.

    Altes Museum Berlin. Photo: W. Wamser-Krasznai

    Häufig wird der Kothurn vorschnell mit dem stelzenartigen Schuh der römischen Kaiserzeit assoziiert. Doch seine Grundform war flach. Er hatte einen weichen, weiten Schaft und eine schnabelartige Spitze[7]. Ein solches Paar war symmetrisch geschnitten, sodass beide Schuhe jeweils an beide Füße passten[8]. Sie waren, um es mit Galen zu sagen, über einen Leisten geschlagen[9]. Die Erhöhung der Sohlen beginnt erst im Hellenismus und steigert sich weiter in der römischen Kaiserzeit (Bild 21).

    Neben den hohen Kothurnen gab es die sog. Tyrrhenischen Sandalen[10]. Sie hatten vergoldete Riemen und Sohlen von extremer Höhe.                                                 

    Mit der Aufforderung: Folge mir! versprechen die Abdrücke genagelter Schuhsohlen allerlei Liebesfreuden (Bild 22).

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 23                                           

     

                                  Bild 22: Akolouthi! Folge mir! 2./3. Jh. n. Chr.

    Nach Lau 1967, 93 Abb. 19

    „Die Frauen treiben es so weit, dass sie mittels der Schuhnägel ihre Schuhsohlen…mit Liebesgrüßen…dekorieren…und dem Boden…wie mit einem Siegelstempel ihre Courtisanengedanken aufprägen“, klagt Clemens von Alexandria[11] .

    Wann und wo begegnen uns antike Fuß-Darstellungen, die dem natürlichen Ebenmaß Rechnung tragen und frei sind von Anzeichen des Martyriums?

    Ein erfreuliches Beispiel geben manche Statuen von Kleinkindern (Bild 23).

    Wamser-Krasznai-Füße-Bild 24

     

                            Bild 23. Der kindliche Herakles als Schlangentöter

    Rom, Kapitolinische Museen. Photo: W. Wamser-Krasznai

    Beim Erwachsenen ist das ebenso selten wie in unserer heutigen, ach so zivilisierten Welt. Wir begeben uns auf die Insel Samos und gehen weit zurück, in die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. (Bild 24). Da schuf der Künstler die Bronzestatuette eines zierlichen Mädchens und umkleidete den „ägyptischen Fuß“  mit einem geschlossenen Schuh. Dabei ließ er den Zehen ihre naturgegebene Freiheit, ohne sie gewaltsam in eine andere Form zu pressen.

    Wamser-Krasznai-Bild 24-Korenstatuette aus dem HEraion

     

    Bild 24. Korenstatuette aus dem Heraion, um 550 v. Chr.

    Bronze. Berlin, Altes Museum. Photo: W. Wamser-Krasznai

    Nur – entspricht dies dem heutigen Schönheitsempfinden? Wohl kaum!

    Eher könnten wir uns mit der Form des Sandalengefäßes (Bild 1) befreunden. Auch da liegen die Zehen, wir sagten es schon, bequem nebeneinander „wie die Orgelpfeifen“.

    Es ist davon auszugehen, dass die antiken Künstler erstens ihre Anregungen aus dem Leben nahmen, und dass sie zweitens die kleineren und größeren Abweichungen von der physiologischen Norm in ihr und ihrer Zeitgenossen klassisch-hellenistisches Schönheitsideal aufnahmen. Weihgaben an die Gottheit oder gar Statuen von Göttern als unschön, hässlich, krankhaft darzustellen wäre verwerflich. Der Künstler hätte riskiert, nicht nur den Unmut der Gottheit hervorzurufen, sondern auch seine Auftraggeber zu verlieren. Die Wiedergabe verformter Füße wie im Fall von Hephaistos (Bild 20) stellt eine Ausnahme dar, die einen besonderen Gott auf besondere Art kennzeichnet[12]. So bleibt es nach allem, was wir gesehen haben, auch in der Antike bei der betrüblichen Tatsache: Wer schön sein will, muss leiden[13]. Um derart unangenehmen Wahrheiten zu entgehen, haben wir die Möglichkeit, das Symposion zu verlassen, nachdem wir uns die Schuhe haben bringen zu lassen[14], oder eleganter…

    wir schnallen uns Flügel an die Füße und gehen in die Luft! (Bild 25)

    Wamser-KRasznai-Füße-Bild 25

    Bild 25. Hermes mit geflügelten Schuhen, 500-490 v. Chr.

    Nach Zanker 1965, 31 Taf. 5 a

     

    Abgekürzt zitierte Literatur und Abbildungsnachweis:

    Bieber 1941: M. Bieber, Ne supra crepidam sutor iudicaret, AJA 45, 1941, 62f.

    Dohan Morrow 1985: K. Dohan Morrow, Greek Footwear and the Dating of Sculpture (Madison 1985)Bild 18

    Karakasi 2001: K. Karakasi, Archaische Koren (München 2001)  Bild 11

    Lau 1967: O. Lau, Schuster und Schusterhandwerk in der griechisch-römischen Literatur und Kunst (Bonn 1967)  Bild 22

    LIMC  IV 1988: LIMC IV (1988) 657 Nr. 18 a Taf. 405 s. v. Sethlans (I. Krauskopf)  Bild 20

    Martini 1990: W. Martini, Die archaische Plastik der Griechen (Darmstadt 1990) Bild 3. 10

    Michler 1986: M. Michler, Zum Hallux valgus in der Antike, in: W. Blauth (Hrsg.), Hallux valgus (Berlin – Heidelberg 1986) 1-18

    Richter 1968: G. M. A. Richter, Korai (London 1968)  Bild 6. 15

    Rössler – Rüther 2007: H. Rössler – W. Rüther, Orthopädie und Unfallchirurgie (München 2007) 331-333 Abb. 16.74 a und 16.76 a   Bild 4. 12

    Simon 1972: E. Simon, Das antike Theater (Heidelberg 1972)

    Simon 1990: E. Simon, Die Götter der Römer (München 1990)  Bild 16

    Sprenger – Bartoloni 1977: M. Sprenger – G. Bartoloni, Die Etrusker. Kunst und Geschichte (München 1977)  Bild 14

    Wamser-Krasznai 2005: W. Wamser-Krasznai, Wer schön sein will, muss leiden…oder Glanz und Elend des menschlichen Fußes, Orthoprof. 4/2005, 5-9

    Wamser-Krasznai 2013: W. Wamser-Krasznai, Hephaistos – ein hinkender Künstler und Gott, in: dies., Auf schmalem Pfad (Budapest 2013) 72-82.

    Zanker 1965: P. Zanker, Wandel der Hermesgestalt in der attischen Vasenmalerei (Bonn 1965)   Bild 25

     

    [1] Michler 1986, 2.

    [2] Griechischer Arzt, geb. ca. 130 n. Chr. in Pergamon, gest. nach 204 n. Chr. in Rom.

    [3] Gal., De usu partium lib. III, c.8; Michler 1986, 3 Anm. 11.

    [4] Plut. mor. conjung. praec. 141, 22.

    [5] Homer, Od. 8, 310-311.

    [6] Athen. Gelehrtenmahl 8, 338 a.

    [7] Simon 1972, 23 f.

    [8] Lau 1967, 128 f.

    [9] Gal., De sanitate tuenda lib. V, 11.

    [10] Dohan Morrow 1985, 183 mit Anm. 77. Eindrucksvolle Abbildung z. B. in: Pergamon. Panorama der antiken Metropole (Berlin 2011) 491 Nr. 4.3.

    [11] Paedagogus XI, 11.

    [12]Dazu: Wamser-Krasznai 2013, 72-82.

    [13]Wamser-Krasznai 2005.

    [14] Vorführungen durch Behinderte wurden von gewissen Zuschauern abgelehnt. Sie ließen sich „die Schuhe bringen“, um das Symposion zu verlassen, Pliniusbrief  9, 17.

  • „Und was haben die im Krankenhaus gefunden?“ „Ja, die haben bei mir ein vegetarisches Nervensystem entdeckt!“

    „Am meisten tun mir meine Kopfschmerzen immer im Kopf weh.“

    „… und dann haben sie mir diese eigenartigen Kobold-Bestrahlungen gegeben.“

    „Neulich haben sie beim Röntgenologen eine Monografie von meinem Busen gemacht!“

    „Ich möchte einen Termin zu einer Krebsvorhersage!“

    Eine alte Dame von etwa 70 Jahren: „In meinem Alter muss man damit rechnen, dass man immer älter wird.“

    „Immer wenn ich mal schneller gehe oder Treppen steige, denke ich, es ist meine Harnblase.“

    „Ich kann Ihnen mit gutem Gewissen sagen, dass es in meiner Familie keine Erbanlagen gibt.“

     

    Aus: „Ich bin mit meinem Alter schon seit Jahren nicht mehr einverstanden! Stilblüten aus der ärztlichen Sprechstunde“, Sigurd Göttlicher, Erich Weiß Verlag, 2015

    Mit freundlicher Genehmigung des Erich Weiß-Verlags, Bamberg

     

  • Simon-Patience-Bild

    Am Ende dieser Geschichte steht die Übersetzung von Dietrich Weller

    PATIENCE                                         

    Many, many years ago, an old wise man was asked if patience gives one power. His answer was a tale about patience.

    “Once upon a time by the banks of a small tributary of the Yellow river 河蒙西) a well known Sage was fishing. As in every refined tale it is the case, that a Sage is able to communicate with animals .Nearby the fisherman rested a large turtle. The turtle asked the fisherman again and again, the explanation of the patterns of its shell……..Your home – a shell – is your protection against all injuries. It has a pattern on it that describes your virtues. Your greatest virtue is the virtue of patience. This shell is a symbol of patience.

    Humans protect themselves with clothes against the cold. If one puts on more clothes as the cold increases, then the cold will not be able to harm us. However, clothes do not protect us against wrongs, insults, or anger. In these instances when one encounters great wrongs, one should learn to be more patient .One puts on an imaginary shell thereby the insults will be unable to irritate our minds. By being patient a turtle, for example, overcomes storms. By being patient, man can master stormy times and adversities.

    Clearly, patience is power.

    Being patient is the ability to calmly see the accomplishment of one’s goals, not hastily or impertinently. Being patient doesn’t mean sitting around waiting for things to happen.     Instead, it means to work hard as long as necessary without giving up until one attains ones goals. It is to be remembered that if one persist in one’s personal objectives, while enduring the necessary wait, one shall finally succeed. Silkworms make silk cocoons after getting their fill of mulberry leaves. Man, on the other hand, use the silk to weave gowns. In time and with patience the mulberry leaf eventually becomes a silk gown.

    With patience, one learns to enjoy the process and the journey, rather than just keeping ones sights on the end result. By practicing fishing I grow to be patient“, concluded the Sage.

     

    Author’s note                                                                                                                                         

    Patience is an English word meaning “the quality of being patient in suffering,“ originating from Latin „patientia“ (bearing hardship; endurance). The word “patience” has a double meaning as in suffering and  endurance. It can apply to both patients and doctors alike.
    A patient-patient bears hardship – with fortitude and calm and without complaint.

    A patient- physician practices – with patience, steady perseverance and even-tempered care.

    A patient-physician has a virtue to listen to his   patients and the willingness to suppress restlessness or annoyance when confronted with delays in protracted treatments.

    Dr. med. André Simon   © Copyright   

     

    Geduld

    Von André Simon, übersetzt von Dietrich Weller

    Vor vielen, vielen Jahren wurde ein weiser Mann gefragt, ob Geduld Kraft spende. Seine Antwort bestand in einer Fabel über Geduld.

    „Es war einmal am Ufer eines Nebenflusses des Gelben Flusses ein sehr bekannter Weiser beim Angeln. Wie in jeder veredelten Fabel kann ein Weiser mit den Tieren sprechen. Neben dem Fischer ruhte sich eine Schildkröte aus. Die Schildkröte fragte den Fischer immer und immer wieder nach den Erklärungen für die Muster ihres Hauses.

    Dein Haus – eine Muschel – ist dein Schutz gegen alle Verletzungen. Es trägt ein Muster, das deine Tugenden beschreibt. Deine größte Tugend ist Geduld. Dieses Haus ist ein Symbol für Geduld.

    Menschen schützen sich mit Kleidern gegen die Kälte. Wenn man bei zunehmender Kälte mehr Kleider anzieht, kann uns die Kälte nichts anhaben. Gegen Verfehlungen, Beleidigungen und Wut schützen sie uns jedoch nicht. In diesen Fällen, wenn man große Verfehlungen erlebt, sollte man lernen geduldiger zu sein. Man zieht eine scheinbare Hülle an, wobei die Beleidigungen unseren Geist nicht mehr stören können. Durch Geduld übersteht eine Schildkröte Stürme. Durch Geduldigsein kann der Mensch stürmische Zeiten und Widrigkeiten meistern.

    Ganz klar: Geduld bedeutet Kraft.

    Geduldigsein ist die Fähigkeit, die Vollendung der eigenen Ziele zu beobachten, nicht hastig oder hartnäckig. Geduldigsein bedeutet nicht herumzusitzen und darauf zu warten, dass irgendwelche Dinge geschehen. Stattdessen bedeutet es, hart so lange zu arbeiten wie nötig, ohne aufzugeben, bis man seine Ziele erreicht hat.

    Man muss sich klarmachen, dass man letztlich siegen wird, wenn man auf seine persönlichen Zielvorgaben besteht, während man die notwendige Wartezeit aushält. Seidenwürmer produzieren Seidenkokons, nachdem sie sich an Maulbeerblättern sattgegessen haben. Der Mensch andererseits nutzt die Seide, um Kleider zu weben. Mit der Zeit und mit Geduld wird das Maulbeerblatt schließlich zu einem Seidenkleid.

    Mit Geduld lernt man den Vorgang und die Reise zu genießen statt die Blicke nur auf das Endresultat zu richten. Indem ich angle, wachse ich in die Geduld hinein!`“, schloss der Weise.

    Bemerkung des Autors

    Patience ist ein englisches Wort, das die Eigenschaft bezeichnet, geduldig im Leiden zu sein. Das stammt aus dem Lateinischen patientia: Ertragen von Not, Ausdauer. Es kann sich sowohl auf Patienten als auch auf Ärzte beziehen.

    Ein geduldiger Patient erträgt Not – mit Stärke, Tapferkeit und Ruhe und ohne Klagen.

    Ein geduldiger Arzt praktiziert mit Geduld, gleichmäßigem Beharrungsvermögen und ausgeglichener Stimmung.

    Ein geduldiger Arzt hat die Tugend, seinem Patient zuzuhören und den Willen, Unruhe oder Verärgerung zu unterdrücken, wenn er mit Verzögerungen bei langwierigen Behandlungen konfrontiert wird.

    Bemerkung des Übersetzers

    Das lateinische Wort patientia ist abgeleitet vom Verb pati. Das bedeutet zulassen, dulden und erdulden, leiden und erleiden.  Hier ist bereits die Doppelbedeutung enthalten, die aus dem (primären) passiven Leid die (sekundäre) aktive Eigenschaft des Verhaltens im Leid, nämlich das Erdulden, die Geduld, entwickelt. –

    Das Verb pati ist transitiv/passiv, es gibt im Latein keine aktive Form des Leidens. Das zeigt, dass Leid als etwas Auferlegtes ertragen werden muss. Das verwandte Verb patere (mit langem e gesprochen) bedeutet offenstehen, offen sein, zulassen, offenbar sein. Daraus leitet sich der südländische Patio (= der offene Innenhof) ab.

    Passus sum bedeutet wörtlich übersetzt: „Ich werde geleidet = mir wird Leid auferlegt“.

    Diesen passiven Begriff kennen wir im Deutschen nicht, wir übersetzen ihn in das aktive „ich leide“.

    Aus dem Wortstamm pati/passus hat sich auch der Begriff Passiv entwickelt: „es passiert mit mir“, dem das Aktive „ich mache etwas“ gegenübersteht.

    Copyright Dr. Dietrich Weller