Monat: August 2018

  • Dornige Pfade

    An der einzigen höheren Schule in unserer kleinen Stadt war Griechisch kein Unterrichtsfach. Um mir den Wunsch nach bescheidenen Kenntnissen in dieser Sprache zu erfüllen, hätte ich an das Gymnasium in einer benachbarten Kreisstadt wechseln müssen, damals undenkbar! 

    Das Graecum

    Als dann viel später die Gelegenheit kam, meine Facharzt-Praxis ein wenig zu reduzieren und ein Steckenpferd zu reiten, lebte der alte Wunsch wieder auf. Zunächst wurde ich Gasthörerin, dann ordentlich eingeschriebene Studentin der Klassischen Archäologie – da war das Graecum dann ohnehin vorgeschrieben.  Um 7.45 Uhr mittwochs, dem einzig möglichen Tag, drückte ich die Schulbank. Der Griechisch-Lehrer legte netterweise die eine und andere Sonderschicht, nie länger als 10 Minuten, für mich ein. Schon auf der halben Strecke zwischen Wohn- und Arbeitsstätte einerseits und dem Studienort andererseits wechselte ich gleichsam auf einen anderen Planeten. Nach der bestandenen Graecums-Prüfung auf dem Rückweg zur Nachmittagssprechstunde schwebte ich förmlich auf Wolken. Jetzt konnte mich doch nichts und niemand mehr vollkommen traurig machen!

    Magister artium

    Aber der Weg zu den Sternen ist lang und dornenvoll. Das nächste Ziel war der Magister artium, nicht ganz einfach neben den Praxis-Verpflichtungen. Die Dozenten erwiesen sich als großzügig. Einmal durfte ich früher weggehen, ein anderes Mal später kommen. Von einem älteren Kommilitonen, einem Techniker, der nun Vor- und Frühgeschichte studierte, hörte ich, dass ihm für die Promotion sein früheres akademisches Studium als zweites Nebenfach angerechnet worden war. Eine analoge Lösung gab es zunächst nicht. Als ich im akademischen Prüfungsamt erschien, hieß es: Medizin und Klassische Archäologie? Nein, das ist doch wirklich gar zu weit von einander entfernt! Ich hatte „Psychologie“ in petto, das ging dann. Brav und durchaus interessiert absolvierte ich die vier vorgeschriebenen Seminare und Vorlesungen (heute würde man wohl sagen: Module), Allgemeine Psychologie, Sozialpsychologie, Arbeits-Psychologie, das vierte habe ich vergessen. Dann gab es, als ich so weit war, keinen Prüfer für den Magister-Studiengang. Erneut sprach ich beim Prüfungsamt vor. Dort residierte inzwischen eine andere Sachbearbeiterin. „Was wollen Sie denn mit noch einem zweiten Nebenfach“, hieß es jetzt. „Sie haben doch ein volles akademisches Studium abgeschlossen, das können wir anrechnen“. Mir fehlten die Worte. Aber die Erleichterung war groß.

    Für die Magisterarbeit waren die „Die italischen Terrakotten der Antikensammlung der Justus-Liebig-Universität Gießen“ zu bearbeiten. Ursprünglich hatte ich mir die Terrakotten-Sammlung in ihrer Gesamtheit, ca. 100 Objekte, vorgenommen aber vor dieser Fülle kapitulieren müssen. Die Arbeit wurde mit einer schwachen Zwei bewertet, hauptsächlich wohl wegen der schlechten Abbildungen, die meinen Zweitgutachter immerzu „vor die Vitrinen zwangen“. Bei der Ausfertigung der Urkunde war der Gender-Wahn bereits ausgebrochen; ich wurde gefragt, ob ich mich „Magistra artium“ nennen wolle.

    Intermezzo

    Obwohl unser Institutsleiter mir danach die Promotion anbot, zog ich es zunächst vor, mir den Wunsch nach einer Bearbeitung aller in Gießen vorhandenen antiken Terrakotten zu erfüllen. Ohne mir Gedanken über die dazu erforderlichen Mittel zu machen, strebte ich eine gedruckte Publikation an. Anfangs legte ich meine Entwürfe unserem Professor vor. Er redigierte sie exakt, wurde es aber bald leid und gab mich an seinen Assistenten ab. Nachdem ich auf diese Weise etwa ein Jahr vertrödelt hatte, riet mir mein hauseigener Finanz- und Wirtschaftsminister, doch lieber eine Dissertation in Angriff zu nehmen; da sähe man eher, wofür man arbeite. Ich war sehr schnell überzeugt  und mein Professor fackelte nicht lange: „Von Ihnen hätte ich gern eine Typologie der Tarentiner Symposiasten“. Sie seien im Rahmen der Magisterarbeit zu kurz gekommen, darin stecke mehr Potential. Es gab kein Zögern, dieses Thema  nahm ich sofort an.

    Die Dissertation

    Neben der Praxis kostete die Promotion noch einmal fünf Jahre. Um Geld und Zeit zu sparen, entschloss ich mich zu einer seit kurzer Zeit möglichen rechtsgültigen Internet-Publikation: Studien zu den Typen der Tarentiner Symposiasten. Diss. Justus-Liebig-Universität Gießen 2002. http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2003/1184. Die erforderlichen „besseren“ Abbildungen finanzierte eine Stiftung. Ab 2003 durfte ich dann neben dem Dr. med. auch den Titel „Dr. phil.“ führen.

    Sich selbst gedruckt lesen!  

    Noch immer waren auf dem Weg zu den Sternen zwei Vorhaben zu verwirklichen: eine gedruckte Ausgabe der leicht überarbeiteten Dissertation und ein gedruckter Katalog der Terrakotten aus der Gießener Antiken-Sammlung. Die Dissertation liegt längst vor, befriedigend, ansehnlich und auch für Nicht-Fachleute einigermaßen lesbar.

    Zum Katalog aber gab es nur noch negative Äußerungen. Derartige Kataloge würden heute nicht mehr gefördert. Ich kann das nicht glauben, denn inzwischen kamen weitere Terrakotten-Kataloge heraus, die sicher nicht alle ganz und gar  von ihren Verfassern finanziert worden sind. Einige enthalten mäßige Abbildungen, unbegründete Datierungen oder unzureichende Kommentare.  Es sind aber auch sehr nachahmenswerte Veröffentlichungen darunter.

    Später hieß es dann, wenn schon eine Publikation unserer bemerkenswerten Sammlung erschiene, müsse das in anspruchsvoller Form und mit neuen erstklassigen Abbildungen geschehen. Dafür fehlten natürlich die Mittel. Auch eine vorgesehene Foto-Aktion kam bis heute aus Kostengründen nicht zu Stande. Von dem Vorschlag, die Terrakotten online auf unserer Homepage zu publizieren, war ich wenig begeistert, sah jedoch vorläufig keine andere Möglichkeit. So machte ich mich an die Arbeit und hatte überraschend viel Freude daran. Ich ahnte noch nicht, dass mir auch hier reichlich dorniges und unwegsames Gelände bevorstand. Meine Texte mussten natürlich von der Chefin und dem Kustos der Antikensammlung gebilligt werden. Das hieß vor allem: antichambrieren, um Termine betteln, vertagt werden, warten. Bald hatte eine Grabung Vorrang, ein Kongress, eine Dienstreise, bald ein krankes Kind, ein Wasserschaden, ein Vortrag. Zuweilen musste ich herbe Kritik einstecken, lernte aber eine Menge und erhielt viele Anregungen, manchmal sogar Anerkennung und Lob. Während der Vertretungsphase im Institut lief es zunächst wie am Schnürchen, dann aber forderten die eigenen Projekte des Interimsleiters ihr Recht. Trotzdem ließ er mich nicht hängen und so gelang es glücklicherweise, die meisten Terrakotta-Objekte, von denen halbwegs brauchbare Aufnahmen existieren, online zu veröffentlichen.

    Nun sind andere Zeiten angebrochen. Auf der einen Seite eine neue junge Arbeitsgruppe, auf der anderen ich, eine richtige Altlast, ein Dorn im Auge. Die  erträumte gedruckte Publikation, die ich inzwischen selbst hätte finanzieren wollen, wurde mir versagt. Zwar bin ich sofort auf ein anderes Pferd, dem ich ebenfalls durchaus mit Vergnügen die Sporen gebe, umgestiegen, doch das Ziel ist weit, der Pfad bleibt dornig. Oder ist vielleicht der Weg schon das Ziel?

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    Truth, justice and nobility are  ‚
    the finest and the weakest tones
    in the general harmony of life.
    They can be heard only
    when the stronger tones
    of insolence, violence and injustice
    become silent.

     

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Wahrheit

    Wahrheit, Gerechtigkeit und Vornehmheit
    sind die feinsten und die schwächsten Töne
    in der allgemeinen Harmonie des Lebens.
    Man kann sie nur hören,
    wenn die stärkerer Töne
    der Unverschämtheit, Gewalt und Ungerechtigkeit still werden.

     

     

  • ORANGE

           

     

    A recognized expert in the field of human resources held a lecture. After the introductory speech, he put an orange on the table in front of him, and asked mysteriously his audience:

    „If I squeeze this orange with all my strength, what will come out of it?“

    “Orange juice“, was the unanimous response.

    Then, the expert  said, „That’s right. The reason that orange juice is coming out of the orange is that it’s just that what is inside. Now, if we expand the metaphor, imagine someone squeezing you like that and hint at your problems, worries, and fears. Only your rage, hatred, contempt, fear, and anger will come out of you.

    It is what you carry inside you.

    Remember, if you are squeezedalways comes out what is inside you,

    From an orange will never come out an apple juice and will never come out of you what is not already within you.“

    From a good man cometh benevolence and kindness as he voices what is in his heart.

     

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Orange 

    Ein anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der menschlichen Ressourcen hielt einen Vortrag. Nach der Einleitung legte er eine Orange auf den Tisch vor sich und fragte die Zuhörer geheimnisvoll:

    „Wenn ich diese Orange mit aller Kraft auspresse, was kommt dann aus ihr heraus?“

    „Orangensaft!“, war die einstimmige Antwort.

    Dann sagte der Fachmann: „Das stimmt. Der Grund, warum Orangensaft aus der Orange kommt, ist, dass es genau das ist, was drin ist. Wenn wir jetzt die Metapher ausdehnen, stellen Sie sich vor, jemand presst Sie so aus, und spielen Sie auf Ihre Probleme, Sorgen und Ängste an.

    Nur Ihr Zorn, Hass, Verachtung und Ärger werden aus Ihnen heraus kommen.

    Das ist es, was Sie in sich tragen.

    Denken Sie dran, wenn Sie unter Druck gesetzt werden, kommt immer heraus, was in Ihnen steckt.

    Aus einer Orange wird nie Apfelsaft fließen, und aus Ihnen wird nie etwas heraus kommen, was sich nicht schon in Ihnen befindet.“

    Aus einem guten Mann wird Gutwilligkeit und Freundlichkeit kommen, da er zum Klingen bringt, was sich in seinem Herz befindet.

     

     

     

     

  • Dennoch

    So lange Kinder, Enkelkinder, vielleicht inzwischen auch Urenkelkinder leben, die noch in sich die Schmerzen der geflohenen, geretteten , ermordeten, oder sonstwie umgekommenen Vorfahren spüren, und die wegen dieses Schmerzes keine Dankbarkeit für ihr Leben im Hier und Jetzt empfinden, werden weiterhin Flüchtende im Meer ertrinken, anderen, obwohl sie müde und durstig sind, die Tür gewiesen . Auch unsere Umwelt wird nicht geschont. Was sind die Triebfedern? „ich denke an mich, jetzt bin ich dran. Wer hat an meine Vorfahren gedacht?“

    „Warum soll es denen besser gehen als es mir und den meinen ging?“

    Ist das nicht auch eine Art von Neid und Missgunst? Es ist schwer, dieses Denken zu ändern, denn es ist ihnen ja nicht bewusst. Gilt es zu hoffen, dass es irgendwann ihnen selbst so schlecht geht (vielleicht auch nur körperlich?) und sie sich in Psychotherapie begeben. Aber kann sich was ändern, wenn nur auf Symptombeseitigung und Kostenersparnis in einer Kurzzeittherapie geachtet wird? Wir können nicht einmal darauf hoffen, dass diese Spezies Mensch ausstirbt, denn schon vor ihrem Tod haben sie ihr unbewusstes Leid, ihre Sünden den Nachkommen vererbt. Und außerdem: Ende von Krieg und Verfolgung ist erst mal nicht zu erwarten.

    Als ich am Schluss meiner Gedanken einen Titel suchte, der auch ausdrückt, dass ich nicht in depressionsähnliche Resignation verfalle, sah ich die Wand hinter dem Schreibtisch meines Vaters in seinem Arbeitszimmer (in Ost-Berlin circa 1957, kurz vor seinem illegalen Verlassen der DDR). Dort hingen Fotografien von zerbombten Kirchen (Gedächtniskirche in Berlin, Garnison Kirche in Potsdam). Darunter ein gerahmter Spruch, nein, kein Spruch nur ein Wort:

    DENNOCH

    Helga Thomas

    7.8.2018 7:00 Uhr

  • Sonntag, 5.August 2018

     

    Ein Sonnentag
    voll
    Wärme und Licht …

    Menschen
    Tiere
    Pflanzen
    leiden
    sehnen sich
    nach Regen …

    Lektion für uns
    Einseitiges zu vermeiden
    die Ganzheit zu
    suchen?

  • Die folgenden Gedichtsammlungen befinden sich auf der Homepage von Amir Mortasawi:

     

    Verbunden mit der Erde

     

    https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2016/09/gedichte-band-11.pdf

    https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2018/06/gedichte-band-2.pdf

     

    30 Gedichte für den Frieden

    https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2017/04/30-gedichte-fc3bcr-den-frieden.pdf

  • Lavendel

    (4.8.2018)

     

    Pflanzen, Düfte und Früchte
    versetzen mich mitten im Alltag
    in andere Sphären
    So schwebe ich mit Hyazinthen
    Stiefmütterchen und Mehlbeeren
    durch den Teheraner Frühling meiner Kindheit
    Geranien vermitteln mir den Gruß
    des alten Gärtners der Schule
    Maulbeeren spielen die Musik
    des Werdegangs der Seidenspinner
    Hand in Hand mit Rosenwasser
    gehe ich gemächlich
    durch Grabstätten und ihre Gärten
    Löwenmäulchen, Basilikum und Pfefferminze
    beten mit mir mitten in Beeten
    Wassermelonen ziehen mich zärtlich
    in den kalten Bach hinein
    Neulich hat sich Lavendel
    lieblich hinzugesellt
    Er bringt mich in den Spiegelsaal
    bewegender Begegnungen

    ֎֎֎

  • Geschichten und Gedichte

    (28.7.2018)

    in Erinnerung an Erich Fried (1921-1988)

     

    Geschichten und Gedichte
    geben wie die Gene
    lebenswichtige Weisungen weiter
    vom Herzen zum Herzen
    Geschichten und Gedichte
    werden wie die Gene
    versetzt, verfälscht, vernichtet
    damit die Interessen der Machthaber
    rücksichtslos durchgesetzt werden können
    Geschichten und Gedichte
    beschütze ich beharrlich wie mein Rückgrat
    im täglichen, trächtigen Kampf
    gegen die Verbrecher unserer Zeit

    ֎֎֎