Monat: November 2018

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    Sprecher ist Clemens Kerz.

     

    Aus dem Leben einer Kirchenmaus

    Das Leben ist wunderbar. Selbst für mich, der ich eine arme, graue Kirchenmaus, männlich, ein Mäuserich bin. Ich lebe versteckt in einem großen zum Himmel reichenden Haus mit wunderlichen Bildern unter dem Dach und bunten Fenstern, durch die morgens und abends die Sonne tanzende rot – blaue Schattenbilder malt. Das Haus ist so lang, dass ich den Weg vom Kopf zum Fußende selten wage. Er ist gefährlich. Eigentlich lebe ich nur nachts sicher, wenn die Menschen das Haus verlassen haben, der Besitzer den goldenen Becher, die goldene Schale und das Kreuz auf dem Tisch abgeräumt, das Licht ausgeschaltet, die Türen verschlossen und sich schlafen gelegt hat.

    Vor ihm und den Menschen, die mit Wassereimern, Besen und Wischtüchern nicht einmal einem kleinen Staubkorn erlauben, sich auszuruhen, muss ich mich verbergen und in Acht nehmen. Ich darf keine Spuren hinterlassen, die auf meine Existenz deuten könnten. Ich habe da meine Erfahrung.

    Es ist gar nicht so lange her und der Schrecken dringt mir immer noch in meine Träume, als ich aus einem Wasserrest getrunken hatte, der von den Reinigungsmenschen übersehen worden war. Einen Tag danach bekam ich fürchterliche Bauchkrämpfe und einen so heftigen Durchfall, dass ich meine Toilette nicht mehr erreichen konnte. Wie es das Schicksal will, wurden meine Hinterlassenschaften sofort entdeckt. Die Menschen suchten nach mir in den dunkelsten Verstecken, stellten Käsefallen auf, ja, beauftragten sogar eine Katze mich zu fangen und zu töten.

    Das war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Ich musste hungern und darben. Ich flüchtete mich in die Einsamkeit hinter einem großen Bild im ersten Stock. Es zeigt einen abgemagerten Mann, der schwer an einem Kreuz trägt. Ich weiß nicht, ob er es war, der mir half, die verlockenden Käseversuchungen, den Hunger, Durst und all die Angst zu überstehen. Aber ich glaube es. Heute, da ich nach Tagen vorsichtig und voller Furcht in mein Zuhause zurückkehre, lächelt er mir zu.

    Zu meiner Überraschung begrüßt mich eine mir unbekannte, weiße, wahrscheinlich Einstein – intelligente Maus Madame. ‚Sie werde Madame Curie genannt. Sie sei eine Labormaus. Mit List und Verstand dem Verderben entronnen. Die Flucht sei extrem schwierig gewesen, da sie von der Welt außerhalb ihres Laborkäfigs nichts gewusst habe. Sie sei durch mehrere Abwasserkanäle geschwommen, habe sich erschöpft auf den stinkenden Abfällen der Menschen ausruhen können, und sei schließlich durch die offene Tür in die Kirche geschlüpft – denn das sei hier doch, so wie sie es auf ihrer langen Reise erfahren habe, ein Gotteshaus. Sie bitte um Aufnahme und Schutz. Um sorgfältige Betreuung. Hungrig sei sie und durstig dazu.‘

    Ich bin mit mir uneins. Da bittet um Aufnahme und Schutz eine Madame Curie, die wahrscheinlich welterfahren und intelligenter ist, als ich es bin. Ich habe von der Welt nichts, aber auch gar nichts, sie aber hat alles gesehen. Sie weiß sogar, dass mein großes Haus eine Kirche ist. Zweifelsfrei, sie ist schön, sexy, attraktiv. Aber ich? Bleibe ich Herr im Haus? Hat sie vielleicht einen Pakt mit der Katze oder mit dem Käsefallensteller geschlossen? Sagt ihnen, wann ich mein Versteck verlasse und zur leichten Beute werde?

    Kann ich ihr vertrauen? Wie kann Ich sie auf die Probe stellen? Vielleicht mit meinen Erinnerungen an die Vorträge über Wissen, Glauben, ferne Länder, die ich aus meinem Versteck verfolgen konnte?‘

    Ich bitte sie, sich zu mir an den Tisch zu setzen, mit mir zu essen und zu trinken. Ich nenne sie ‚Liebes‘ – ja, ich bin schon in der Stimmung sie ‚Liebes‘ zu nennen und sage zu ihr:

    „In der großen, weiten Welt war ich noch nie. Ich kenne nur die Menschen, die hier in das Gotteshaus kommen. Entweder sie fotografieren sich mit ihrem Smartphone, oder setzen sich andachtsvoll auf die Stühle.

    Die Menschen, die in den Vorträgen gezeigt werden, verhalten sich anders. Die tragen rote Schwimmwesten und sitzen eng aneinander gepresst auf kleinen Gummibooten, die über das Wasser schaukeln. Manchmal tobt das Meer. Dann fallen die Menschen hinein und ertrinken. Manchmal findet sie ein großes Schiff. Dann klettern die Menschen von dem kleinen Boot auf das Schiff.

    „Weißt du, warum die Menschen das tun? Haben sie keine Angst?“, frage ich sie. „Ich habe große Angst vor dem Wasser. Das Meer ist ein Teufel.“

    „Das Meer, sage ich dir, ist kein Teufel. Es folgt wie ein Mensch seinen Gefühlen. Mit Liebe und Hass, Mordlust und Mitleid, Neid und Gier. Das Gefühl des Wassers ist der Wind. Du musst den Wind begreifen, wenn du das Meer verstehen willst“, erwidert sie.

    „Und die Menschen? Hier in dem Gotteshaus sind sie friedlich. Reichen sich die Hände. Singen andachtsvolle Lieder. Knien und beten. Spenden sogar Geld“, erkläre ich.

    „In den Vorträgen aber erzählen die Menschen, „dass da draußen Kinder, Männer und Frauen gemartert und ermordet würden. Kinder und Frauen würden in einer Reihe aufgestellt. Ihnen dann die Köpfe abgeschlagen. Kleine Kinder würden auf alte Frauen schießen. Kampfjets Bomben abwerfen und ehrfurchtsvolle Häuser zertrümmern. Die Menschen würden hungern, sich hassen und Krieg führen. Die bösen Menschen würden die guten Menschen martern und vertreiben. Deshalb seien fliehende Menschen immer gute Menschen. Und guten Menschen müsse man helfen.“

    Sind diese Berichte Fake News? Besitzen böse Menschen kein Herz, keinen Verstand? Wissen böse Menschen, dass sie böse sind? Oder glauben sie, dass sie Gutes tun? Du kommst aus der Wissenschaft. Hast die weite Welt durchwandert. Bitte sage mir. Sagen die Vorträge die Wahrheit? Wenn ja, warum sind die Menschen dort so böse und hier so gut?“, frage ich sie.

    Sie lächelt mich an: „Wie der Wind die Stimmung des Meeres regelt, so bestimmt die Landschaft die Gefühle der Menschen. Ich war eine Versuchsmaus. Ich lag schon mit gespreizten Beinen auf dem Rücken. Eine weiß gekleidete Menschenfrau hielt mich fest und wollte mich töten, als sie einen Anruf erhielt. „Ich muss es dir sagen: Es ist aus mit uns. Endgültig!“, hörte ich die Telefonstimme. Die Menschenfrau wurde kreidebleich und ließ mich fallen. Ich benutzte ihre Verzweiflung. Floh sofort. Flitzte durch den Türspalt hinunter auf die Straße.  Suchte nach Schutz.

    Wenn du auf der Flucht bist, sind Katzen sehr gefährlich. Aber sie meiden Wasser wie die Pest. So rannte ich durch die Abwasserkanäle zum Flusshafen, schlich mich auf ein Containerschiff und fuhr als blinder Passagier um die Welt. Ich erlebte übersatte, aber auch magere Tage. An manchen fraß ich Menschenfleisch, das ich den Ratten stahl. Es schmeckt gar nicht so schlecht, sage ich dir.

    Ich verbarg mich in Kameltaschen und Schilfrohrhütten, klaute den hungernden Bauern das letzte Maiskorn. Dabei hatte ich kein schlechtes Gewissen, denn sie wurden sowieso erschossen. Auf weiße Mäuse aber schießt niemand. Zumindest nicht in Afrika. Schließlich brachte mich ein Kohleschiff wieder in den Hafen. Dort floh ich vor einer lauernden Katze in diese Kirche, zu dir.“

    „Du hast viel erlebt in deinem aufregenden Leben. Sind die Menschen wirklich so böse? So böse wie Katzen, die mit uns Mäusen Stierkampf spielen. Uns quälen, bevor sie uns ermorden?“

    „Ich kann dir nicht sagen, was bei den Menschen gut und böse ist. In der Mauswelt kann ich keinen Unterschied erkennen oder gar erklären. Bei den Menschen?

    Ich meine, dass viele Menschen gut sind und Böses tun. Andere sind böse und tun Gutes. Die Menschen glauben oft, sie täten Gutes und wissen selten, dass sie Böses tun. Umgekehrt gilt das aber nicht. Denn die Menschen glauben niemals, dass sie Böses tun und wissen selten, ob sie Gutes tun.

    Wir Mäuse haben wenige Probleme. Die Wichtigsten sind Katzen, Fressen, Trinken, Kinder aufziehen. Menschen haben viele Probleme. Zusammenleben, Eigentum, Arbeit, Freizeit,  Macht, Unterscheidung in Gut und Böse. Diese Aufgaben können sie heftig erzürnen. Dann demonstrieren sie. Fühlen sich stark. Werden gewalttätig. Legen Feuer. Vergewaltigen und Morden.

    Sie gründen eine ‚Heiligen Katze’, tanzen um sie herum. Verlangen von jedem Menschen, dass er sie anbetet. Tut er das nicht, dann töten sie ihn wie ein Schwein. Wie die Katze uns Mäuse. Sie sagen, dass nur die Katzenanbeter Gottes würdige Menschen seien. Die anderen höchstens Affen, Hunde, zumeist Schweine. Deshalb würden sie allenfalls Hunde, Affen oder Schweine, niemals Menschen morden. Weißt du, wenn sie Katzen töten würden, hätte ich eine gewisse Sympathie für sie.

    Wissen verachten die Katzenanbeter. Es interessiert sie nicht. Nur ihr Katzenglaube zählt. Deshalb könnten sie mit ihrem Glauben Berge versetzen. Mit Wissen wäre das weniger als ein Staubkorn.

    Ich bin eine Maus. Ich kenne keinen Glauben. Ich stelle mir vor, dass ein Glaube auf inneren Wunsch, Vorstellung und Gefühl beruht. Er Ist an die Seele gebunden und führt sie bis hin zum Tod. Bei Katzenanbetern möglichst mit Mord an fremden Affen, Hunden oder Schweinen.

    Wissen habe ich nur im Labor gesehen. Dort wird begründet und beobachtet. Katzenanbeter können das nicht verstehen.

    Dort habe ich beobachtet, wie sich die Menschen erregten, heftig stritten. Über Dinge, die sie weder verstanden noch selbst erfahren hatten. Sie glaubten an Demokratie, nur wenige an Katzen. Sie wussten auch, dass ihre Demokratie eine Fata Morgana ist. Ein falsches Spiel. Deshalb verstehe ich nicht, warum die Menschen nicht das tun, was sie wissen, sondern nur das, woran sie glauben.

    Die Menschen hier wollen Demokratie nach Afrika exportieren und wundern sich, dass die Afrika-Menschen von dieser heiligen Katze nichts wissen, sie nicht einmal als Gastgeschenk empfangen wollen. Für Essen, Trinken, oben schwimmen, den Tod vermeiden kämpfen sie dort, wo das Leben am Abgrund steht. Dummheit ist tödlich. Die intelligenten Menschen führen die Dummen zur Schlachtbank. Manchmal überlassen sie uns Mäusen das Menschenfleisch als Dessert.“

    Ich höre ihr gespannt zu. Blicke ihr tief in die Augen. Sie zwinkert. Ich fühle eine tiefe Zuneigung zu ihr. Schon möchte ich sie in meinen Arm nehmen, ihr einen Kuss geben, als eine tiefe Männerstimme ‚um Aufmerksamkeit’ bittet. ‚Er heiße die Anwesenden herzlich willkommen und freue sich, ihnen seine Erlebnisse aus dem Sudan und Jemen berichten und erklären zu können’.

    „Komm mit mir. Es gibt einen Vortrag über das Elend der Menschen. Vielleicht auch über die Katzenanbeter. Komm bitte! Lass uns zuhören!“, bitte ich sie spontan. Wir verlassen vorsichtig unser Versteck und schleichen entlang der Bodenspalten in meine dunkle Zuhörerecke. Ein schlanker hochgewachsener Mann mit ausschweifendem Bart und zerzausten Haaren steht am Rednerpult. Er spricht laut und zeigt erschreckend bunte Bilder.

    Im vertrauten Zuhörerversteck höre ich den Redner sagen‚ er wisse, dass die Bilder, die er jetzt zeigen werde, schwer zu ertragen seien. Die Aufnahmen seien authentisch. Die Wahrheit. Er selbst habe sie geschossen. Es seien die Dokumente eines fürchterlichen Krieges. Verstümmelte Leichen, um die sich niemand außer Ratten und Mäusen kümmere.

    „Hier, bitte beachten Sie, unter den grauen Ratten frisst sogar eine weiße Maus! Auch in dieser von Gott verlassenen, schwer bestraften Welt zeigt die Natur, wie stark sie ist. Dass seltsam auffällige Tiere jedem Tod zum Trotz überleben können!“

    Auf den sorgfältig in Reihen aufgestellten Bänken sitzen die Zuhörer. Unter ihnen ein junges Paar. Beide schmiegen sich eng aneinander, halten sich an den Händen. Sie trägt lange, schwarz gefärbte Haare und ein buntes Sommerkleid. Er hat die Kopfhaare abrasiert. Ist ein kräftig gebauter muskelstarker Mann. Sie ist erschreckt. Ihm macht nichts und niemand etwas vor!

    „Du, Martin! Das ist doch eine Labormaus! Kein Albino! Eine gewöhnliche Labormaus!“, flüstert sie. So laut, dass einige Zuschauer sich erstaunt nach ihr umdrehen. So laut, dass meine Freundin Madame Curie und auch ich es hören.

    Sie wisse das genau! Die weiße Maus gleiche genau der frechen Labormaus, die ihr vor einigen Monaten, als sie noch mit Peter befreundet war, entwischt sei. Die habe ihr damals bei ihrem Chef eine Menge Ärger eingebrockt.

    Dann blickt sie in unsere Richtung. Ich bin besorgt, ob sie mich oder meine Freundin in ihrem weißen Fell entdecken kann.

    „Du Martin, ob es hier Mäuse gibt?“, fährt sie fort.

    ‚Er glaube es nicht. Die würden in der Kirche nichts zu fressen finden. Hier könnten sie nicht überleben und seien gezwungen, wie die Flüchtlinge auf den Fotos auswandern.

    Allerdings … Er erinnere sich an einen Vorfall im letzten Jahr. Da habe man voller Abscheu Mäusekotspuren direkt neben dem Altar entdeckt. Man habe versucht, die Maus mit Käsemausfallen zu fangen. Ja, sogar ein Katze in der Kirche übernachten lassen. Die Maus sei nicht erwischt worden. Ihr Kot aber sei seitdem verschwunden. Man glaube, dass die Maus gestorben oder verhungert sei, jedenfalls nicht mehr in der Kirche lebe. Die Mausaktion sei somit erfolgreich gewesen.’

    „Ja, das bin ich“, bestätigt mir meine Liebe Madame Curie. „Ich war im Jemen. Nach einem Bombenangriff wurde fotografiert. Wir alle aßen Menschenfleisch. Es gab nichts anderes. Es schmeckt übrigens nach Mais und Zucker. Gar nicht so schlecht. Ich könnte mich daran gewöhnen.“

    „Liebes“, sage ich ihr. „Menschenfleisch kann ich dir leider nicht anbieten. Aber Oblaten aus der goldenen Schüssel oben auf dem Altar. Manchmal auch einige Tropfen Wein aus dem goldenen Becher. Sie sagen, das sei das Blut und das Fleisch Gottes, des Jesus von Nazareth.

    Man überlege, die Kirche in eine Moschee um zu gestalten. Es gäbe nur noch wenige Kirchenbesucher, hörte ich vor einigen Tagen den Pfarrer sagen. Wenn das geschieht, versiegt meine Nahrungsquelle. Ich kann dich dann nicht mehr mit dem Blut und Fleisch des Jesus von Nazareth ernähren. Dann müssen wir flüchten. Vielleicht dorthin, wo wir Menschenfleisch finden können.“

    Sie schmiegt sich an mich.

    Das gehe in Ordnung. Dort kenne sie sich aus. Dort würde sie schon für mich sorgen können, tröstet sie mich. Ich umarme und küsse sie. Dann sage zu ihr: „Wie wunderbar wird unser Leben!“

  • Wer Ohren hat zu hören[1]

    Im alten Ägypten war das Ohr mehr als nur ein Sinnesorgan, das krank werden und die Fähigkeit des Hörens einbüßen konnte. Es hatte zentrale Bedeutung für das Leben selbst. Man glaubte nämlich, dass der Hauch des Lebens in das rechte, der des Todes in das linke Ohr eintrete[2]. Göttern wie dem Ptah oder dem Amon-Re wurden steinerne Stelen mit Reliefs in Form von Ohren gestiftet, um wie aus den Inschriften hervorgeht[3] gnädiges Gehör zu erbitten oder für die Gewährung eines Wunsches zu danken.

    Gottheiten und andere machtvolle Wesen, denen besondere Kräfte gegen Krankheit und Not zugeschrieben wurden, mit anatomischen Votiven zu beschenken ist ein seit prähistorischen Zeiten überlieferter Brauch. Aus Ton, Marmor, Kalkstein und Metallen entstanden Nachbildungen von Körperteilen. In Wallfahrtskirchen, wo Sinnesorgane, Gliedmaßen und Herzen aus Holz oder Wachs, Kunststoff oder dünnem Blech die Altäre und Heiligenbilder schmücken, lebt die Tradition fort.

    Den Ohr-Votiven kommen außer ihrer Bedeutung für die Erkrankung oder Heilung des Hörorgans noch andere Funktionen zu. Sie appellieren als  materialisierte Bitte an die „gnädig hörende“ Gottheit, im griechischen Sprachraum: ἐπήκοος /epékoos. Weihinschriften mit dem Epitheton epékoos Waren natürlich besonders geeignet, die Dringlichkeit des Anliegens zu unterstreichen[4].

     

     

    Bild 1: Ohren-Relief, Kassel[5]

    Nach Bieber 1910, 5 f. Taf. I, 2

     

    Die mutmaßliche Entstehungszeit des Marmorreliefs (Bild 1) oszilliert zwischen dem  5/4. Jh. v. Chr. und der römischen Kaiserzeit. Margarete Bieber ist die einzige, die ihre hohe Datierung, unter Berufung auf Furtwängler, begründet: „Die beiden Ohren haben die runde und breite Form, die Furtwängler als die typisch attische für das perikleische und das folgende Zeitalter erwiesen hat. Er charakterisiert sie als eine breite, gedrückte Form mit sehr weiter Muschelhöhle und kurzem Läppchen“[6].

    Gelegentlich nimmt ein Ohrenpaar eine weitere figürliche Darstellung in die Mitte[7]. Eine Votivtafel aus dem Asklepieion von Korinth zeigt den Abdruck eines inzwischen verlorenen, von Ohren gerahmten männlichen Geschlechtsorgans.

     

     

    Bild 2: Korinth, 4. Jh. v. Chr. Terrakotta

    Nach Roebuck, 1951, 120 Nr. 10 Taf. 33

     

    Anders als in Griechenland handelt es sich in Etrurien und Latium auch bei den Darstellungen paariger Sinnesorgane, wie Ohren oder Augen, meist um Einzelexemplare. Man fertigte sie in Serie aus preiswertem Ton[8]; nur  ausnahmsweise sind sie mit Inschriften versehen. Wenige nennen göttliche Adressaten, wie die etruskische Vea oder die römische Minerva. Auch der Ceres und ihrer Tochter Proserpina, der Uni (Juno) und Turan (Venus) sowie dem Apollon[9] kamen anatomische Votive zu. Andere in kleinen, ländlichen Heiligtümern verehrte Gottheiten blieben anonym.

    Selten sind an Körperteil-Votiven krankhafte Veränderungen dargestellt[10].

    Der epigraphische Hinweis auf eine Norm-Abweichung am Lobulus eines zyprischen Kalksteinohrs ist eine Rarität. In syllabischer Schrift deuten sich die Worte an: „Ich gehöre einem Tauben“[11].

     

    Bild 3: Nach Masson 1998, 27 Nr. i. j. Taf. 7

     

    In früharchaischer Zeit hat man vor allem in Attika bestimmte Teile des menschlichen Körpers stark stilisiert wiedergegeben. Das ornamentale Ohr des über drei Meter hohen Kuros A von Sounion ist übergroß und flach, vertikal ausgerichtet und auffallend weit oben platziert.

     

    Bild 4: Kouros aus Sounion, Detail. Anf. 6. Jh. v. Chr.

    Nach Martini 1990, 18 f. Abb. 3

     

    Die anatomischen Details sind in die Fläche eingetieft. Eine gleichförmig breite Grube trennt Helix und Anthelix, die oben in zwei gekrümmte Grate übergehen. Unten schließt das Ohrläppchen an, das mit zwei konzentrischen Rinnen, einer breiteren und einer schmalen, geschmückt ist.  Vorn zwischen Ohrmuschel und Lobus sitzt der knopfförmige Tragus. Ein Antitragus ist nicht angegeben[12].

    Mit ähnlichen konzentrischen Kreise wie auf dem Ohrläppchen des Kouros hat man wenig später die Ohrscheiben an zyprischen Frauenköpfen verziert.

     

    Bild 5: Spätarchaisches Frauenköpfchen, Tamassos/Zypern

    Fund-Nr.  613/1975. Grabung Buchholz[13]

     

    Die aufwändig geschmückte junge Frau trägt zusätzlich ein Diadem und eine Ohrmuschel-Verkleidung aus Edelmetall. Ob das dünne Blech über dem Gehörgang dazu angetan war, den Lärm der Welt ein wenig zu dämpfen?

     

    Abgekürzt zitierte Literatur und Bildnachweis:

    Bieber 1910: M. Bieber, Attische Reliefs in Cassel, AM 35, 1910, 5-16    Bild 1

    Bieber 1815: M. Bieber. Die antiken Skulpturen und Bronzen des Königlichen Museum Fridericianum in Cassel (Marburg 1915) Beilage, Taf. I f.

    Buchholz 1978: H.-G. Buchholz, Tamassos, Zypern, 1974-1976, 3. Bericht, AA 1978, 155-230

    Buchholz – Untiedt 1996: H.-G. Buchholz – K. Untiedt, Tamassos. Ein antikes Königreich auf Zypern (Jonsered 1996)    Bild 5

    Çambel – Özyar 2003: H. Çambel – A. Özyar, Karatepe – Aslantaş Azatiwataya (Mainz 2003)

    Forsén 1996: B. Forsén, Griechische Gliederweihungen (Helsinki 1996)

    Gercke 2007: P. Gercke – N. Zimmermann-Elseify, Antike Steinskulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel (Mainz 2007)

    Hermary – Mertens 2014: A. Hermary – J. R. Mertens, The Cesnola Collection of Cypriot Art: Stone Sculpture. New York. Metropolitan Museum of Art (New Haven 2014)

    Karageorghis 2000: V. Karageorghis, Ancient Art from Cyprus. The Cesnola Collection in The Metropolitan Museum of Art (New York 2000)

    Krug 1985: A. Krug, Heilkunst und Heilkult (München 1985)

    Macintosh Turfa 2004: J. Macintosh Turfa, Weihgeschenke, Röm., ThesCra I (Los Angeles 2004) 362 f. Commentary

    Martini 1990: W. Martini, Die archaische Plastik der Griechen (Darmstadt 1990)    Bild 4

    Masson 1998: O. Masson, Les Ex-Voto trouvés par L. Palma di Cesnola à

    Golgoi en 1870, Mélanges Olivier Masson, Centre d’Études Chypriotes, Cahier

    27 (Paris 1998) 25-29 Taf. 6-10   Bild 3

    Recke – Wamser-Krasznai 2008: M. Recke – W. Wamser-Krasznai, Kultische Anatomie. Etruskische Körperteil-Votive aus der Antikensammlung der JLU Gießen (Ingolstadt 2008)

    Richter 1988: G.M.A.  Richter, Kouroi  (New York 1988, reprinted from 31970)

    Roebuck 1951: C. Roebuck, Corinth 14. The Asklepieion and Lerna (Princeton 1951)    Bild 2

    Schnalke 1990: Th. Schnalke – C. Selheim, Asklepios, Heilgott und Heilkult (Erlangen- Nürnberg 1990)

    Stierlin 1986: H. Stierlin, Kleinasiatisches Griechenland (1986)

    Van Straten 1981: F. T. van Straten, Gifts for the Gods, in: H. S. Versnel (Hrsg.), Faith Hope and Worship (Leiden 1981) 65-151

    Weinreich 1912: O. Weinreich, ΘΕΟΙ  ΕΠΗΚΟΟΙ, AM 37, 1912, 1-68

     

    [1] Math. 11, 15.

    [2] pEbers 100, 3, zit. bei Schnalke 1990, 74.

    [3] Weinreich 1912, 47.

    [4] s. z. B. Van Straten 1981, 83: an Isis, die gnädig erhörende, oder ders. a. O. 116 Nr. 6.1, „Kallistrate ἐπήκόῳ –  der gnädig hörenden – Artemis Kolainis.

    [5] Forsén 1996, 32 f. Abb. 5; Gercke 2007, 306 Abb. 101; Krug 1985, 151 Abb. 68; Schnalke 1990, 68 Abb. 34; Van Straten 1981, 106 Nr. 1.5.

    [6] Bieber 1910, 5-7 Taf. 1, 1; dies. 1915, 37 Nr. 76 Taf. 33;

    [7] Marmorrelief mit Serapis, London, Van Straten 1981, 83 Abb. 12; Tabula ansata mit Doppelaxt zwischen Ohren am Zeustempel von Euromos, Stierlin 1986, 115 Abb. 79.

    [8] Recke – Wamser-Krasznai 2008, mit zahlreichen Literaturangaben..

    [9]  Macintosh Turfa 2004, 362.

    [10] Ausnahme: Korinth, Hand mit ‚Abszess‘, Roebuck 1961, 124 Nr. 60 Taf. 40.

    [11] Aus Golgoi, Hermary – Mertens 2014, 285 Nr. 395. 396; Karageorghis 2000, Nr. 418; Masson 1998,  27 Nr. i – 1881. j –  1882 Taf. 7.

    [12] Çambel – Özyar 2003, 119 Abb. 144 Taf. 33; Richter 1988, 43 Abb. 33-39..

    [13] Buchholz 1978, 222 Anm. 132; ders. – Untiedt 1996, 128 Abb. 32 c; ausführliche Publikation des Köpfchens durch W. Wamser-Krasznai im Druck.

  • The muffin contract – le contrat de la baguette – der Keks Vertrag

    “Hello, my friends!”

    “Bon jour, Madame la Chanceliere et Monsieur le President!”

    “Guten Tag, meine Herren Präsidenten.“

    „Welcome to my cancellation of our joint muffin contract. You might have seen my Twitter message. It expresses in addition to my cancellation our deep interest in a revised new contract. I am convinced that you understand.”

    “Pa du tout! Nous allons nous assurer que nous baguettes seront vendre sur sa lancée. Come votre muffins noires.”

    “Verehrter, lieber Herr Präsident. Auch wenn wir Ihre Wahl auf das heftigste bekämpft haben, so steht doch unsere Freundschaft über allem! Besonders heute.  Ihre Landsleute schätzen unsere Kekse. Warum wollen Sie ihnen diesen köstlichen Genuss verwehren?“

    „I am afraid, that both of you do not understand my motivation. Let me explain. You seem to overrate your position and, unfortunately, I have to say, you also seem to poorly understand our commercial laws and my presidential mandatory actions.”

    “Monsieur le President! Je suis le President de la Grande Nation. Nous sommes les champions mondiales de la democratie et de la bonne cuisine! Notre baguettes ont unique. Nous sommes copains comme conchons. Je ne m’explique pas pourquoi ce probleme est apparu.”

    “Auch ich verstehe nicht, warum wir den für uns drei so erfolgreichen Keks Vertrag aufkündigen und neu verhandeln sollen. Er ist doch ein Zeichen unserer Freundschaft. Denken Sie nur an die vielen schlaflosen Nächte, die wir für das Aushandeln opfern müssten. Ich stehe für Kontinuität und nur selten für Aktivität. Es graut mir vor jeder neuen Aufgabe und kommenden, eigentlich vermeidbaren Aktionen.“

    „I am sorry, my dear friends! I am the master, and you are the servants. Please, do not misunderstand the situation! At present, we are buying your Baguettes and your Kekse, and, in reverse, we are selling our black muffins to you. Obviously, there is a great difference between our and your profit. Your profit exceeds ours by far. This is not fair, and, therefore, we have to do something.

    In a first step, we will change the color of our muffins from black to white. We are no longer interested in selling our profitless black muffins. We will change them into promising white muffins! Therefore, a new contract is unavoidable. ”

    “Voulez-vous change les muffins noires contre les muffins blanches? Je n’y crois pas! Pourquois? Il lest faire difficile de vendre muffins blanches. Au moins en la Grande Nation.”

    “Warum wollen Sie die schwarzen Muffins aufgeben und in weiße umwandeln? ‚Black war und ist doch immer beautiful‘, hier in Europa und auch in den USA.

    In unserer Sprache haben wir deshalb die negativen Schwarzbezeichnungen wie Negerküsse, Schwarzamerikaner, oder das Lied über die kleinen Negerlein verboten.

    Ich werde dafür sorgen, dass auch Bezeichnungen wie Schwarzwurzel, Schwarzwald, Schwarzwild oder Schwarzspecht aus unserer Sprache entfernt werden. ‚Schwarz sehen‘ ist schon verboten, ebenso wie ‚Schwarzarbeit’.

    Natürlich ist aus diesen Gründen der Import von schwarzen Muffins schwierig und der Appetit daran gering. Weiße Muffins werden aber daran nichts ändern. Sie würden uns in erhebliche Schwierigkeiten stürzen. Weiße Muffins würden sofort in Konkurrenz mit unserem Weißbrot und mit den Baguettes in diesem Vertrag stehen. Und, wie sollen wir unseren afrikanischen Mitbürgern erklären, daß schwarze Muffins nicht mehr zu kaufen sind?“

    „I do understand. However, unfortunately, you did not get the point. Please take into consideration the influence of the black or dark internet and, in addition, of the American Rifle Association on all our actions, especially on the muffin contract. One of my most faithful followers is the American Rifle Association. It urgently asked me to fight against the dark internet and to cancel the export of black muffins, in order to save the life of black pupils. It recognizes that the old ‘black’ contract is suspicious for our African Americans and especially promotes the fear of our black citizens to be mistaken for black muffins in Europe.”

    “On n’a pas idée! Il y a impossible de vendre muffins blanche en la Grande Nation. C’est un affront a l’encontre de notre citizens africains. Elles desirons manger muffins noires et aucun cas muffins blanches: Mais, il m’importe, que nous exportons notres baguettes.”

    “Auch ich muss auf dem bis heute gültigen Vertrag bestehen. Zusammen mit dem Präsidenten der großen Nation werden wir die europäische Union beauftragen, den Import der weißen Muffins zu untersagen. Denn dieser Import wäre eine ungeheuerliche Beleidigung unserer Mitbürger mit afrikanischem Hintergrund und gleichzeitig eine gesetzeswidrige Bevorzugung der einheimischen konservativen, überaus national denkenden und populistischen Bevölkerung. Ich kann davor nur warnen!“

    „Dear friends, nobody is in the position to warn me! I am the elected, and because of my power the world’s President too! I do not forget that you have fought against me in the past, when I still was the candidate only.

    I am the one who has to warn you: Do not make this mistake again, and stop fighting against me! Please do not forget my unique aim, and follow my slogan, believe, and winning principle: America first!”

    “Monsieur le President. Mercy beaucoup pour votre explanation. J’ accept votre opinion. Je propose un compromise: Nous rembourson ‘America’ de ‘notre pais’ et enlevon ‘noire’ et ‘blanche’.”

    “Das ist ein guter Kompromiß. Damit können wir alle leben und unsere Freundschaft erhalten.“

    „I am not sure. However, as long the term ‘notre pais’ will be considered and approved to be identical with ‘America’, I will agree for, let us say, the next two months. After these two months I will present a new contract. It might follow your wish that we should not to use the color white and we might replace it by another color, for example yellow. Yellow, wonderful, brilliant: Yes, that would be the most exciting color!

    Thank you for promoting me to my innovative and excellent idea. We will meet again after two months.”

    “Dieu soit loue. Je n’expecte pas une couleur nouveau. Je pense que Monsieur le President est daltonien. C’est un message interessante. J’arrangerais bien quelque chose, peut-etre lunettes noires libres pour vous et notres citizens.  Au revoir.”

    “Vielen Dank und gute Nacht. Eine brillante Idee. Die schwarze Brille würde das Problem elegant lösen. Herr Präsident, würden Sie uns zustimmen, wenn wir die EU davon überzeugen könnten, Ihnen und unserer Bevölkerung kostenlos schwarze Brillen zur Verfügung zu stellen? Das wäre die beste aller Lösungen und würde das Problem der Muffin Farben für alle Zeiten lösen. Auf diese Weise werden Sie ein Kandidat für den Nobelpreis! Dann könnte ich wieder ruhig schlafen, zumindest für die nächsten zwei Monate.“

    „I will think about the complementary black glasses. You are very generous. I appreciate all your efforts to recommend my person for the Nobel price. Therefore, I accept the gift of the black glasses and will use it for the promotion of my slogan, ‘America first’”.

    “Excuse mois, Monsieur Le President. Nous avon accepter l’expression ‘notre pais first’ en fait de ‘America first’. ”

    “What does this mean: ‘notre pais first’?”

    “Zwischen uns drei guten Freunden und für Sie in Amerika: ‚America first’! Hier in Europa können wir es nicht übersetzen. Unsere Kultur und Geschichte lassen keine eindeutige und auf keinen Fall einstimmige Übersetzung zu. Wir Deutsche würden es sehr gern, aber dürfen es nicht so übersetzen: Deutschland über alles!“

    „Non. Notre traduction est: Nous sont on marche! Avec les autres pais de par le monde. Mais, sans les Nord-Americains.“

    „Very good. I am the most important man in going forward. I am glad, that you will follow, my dear friends. I will be your guide, and I am proud to use your black glasses. Thank you, take care and good night!”

    “Tres bien. Bon nuit.”

    “Monsieur le President, das war ein überaus erfolgreiches Treffen unter uns engen Freunden. So werden wir es schaffen, die Probleme in der Europäischen Union zu lösen. Vielen Dank, meine Herren Präsidenten“.

    „Bon nuit, Madame la Chanceliere. J’expecte votre support et je cherche d’animer un debat equivaente en front de Union europeenne en la semaine prochaine. Merci beaucoup. Au revoir. ”

    „Sehr gern. Gute Nacht und auf Wiedersehen.”