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(17.3.2021)
in Erinnerung an Wilhelm Reich
Sollte jemand mich ehrlich fragen
weshalb sich leidvolle gesellschaftliche Ereignisse
uns aus den vergangenen Zeiten bekannt
zum Teil bereits tiefgründig beleuchtet
anscheinend wiederholen
zwar nicht in demselben Gewande
allerdings nach denselben Grundsätzen
dann werde ich liebevoll aufrüttelnd fordern
aufrichtig innig hinzuschauen
welche Potentiale wir in uns tragen
die solche Wiederholungen ermöglichen
was wir verinnerlicht haben
und was wir selbst täglich dazu beitragen
dass ein gesellschaftliches System
schwer auf Ungerechtigkeiten begründet
bestehen bleiben kann
Die Veränderung der Welt
erfordert eine aufrichtige Selbsterfahrung
und die folgerichtige Umsetzung
der dabei gewonnenen Erkenntnisse
mit Schmerzen und Verzichten verbunden
mit Konflikten und Widerständen
und vor allem
mit der Sonne der Lebensfreude֎֎֎
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(29.3.2021)
Wie jenes Meer
das die ganze Nacht
voller Erwartungsfreude
geduldig liebevoll
den Sand an seinem Ufer spült
um beim Sonnenaufgang
die Füße der Suchenden
gereinigt zu küssen
singt mein Herz tagein, tagaus
in hellen wie in dunklen Zeiten
von dem befreienden gemeinschaftlichen Kampf
von der gestaltenden Macht der Liebe
von der Wärme verbundener Herzen
vom Licht -
(30.3.2021)
Antonia Fischer, Viviane Fischer, Reiner Füllmich und Justus Hoffmann gewidmet
Wenn ich in dem hessischen Städtchen Rotenburg
morgens voller Lebensfreude aufwache
bedeckt nicht selten
ein dichter Nebel
die Fulda
Wälder, Felder
Häuser und Straßen
Begleitet von einem schöpferischen Lächeln
das tief in meinem Herzen tanzt
ehre ich auch an solchen Tagen
mit jedem meiner Teilchen
das Leben
und weiß
dass die Sonne erscheinen wird֎֎֎
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zum vierhundertsten Todestag
Hochgestimmt und offenherzig
so traten wir nun an
Empfinden und Folgern
zu meistern
der Altvorderen
unsere Herkunft,
wie es denn wurde,
dass wir anders meinten
dann
erwachsen nach Hunderten von Jahren
aus dem gewohnten Schoß
der allerersten Märchen
und aus Resten
eines beschlagenen GedenkensGalt es
einsame Brüche zu erkennen
im Lauf der gequälten Geschlechter
zu finden vielleicht nur
die schleichende, kleinlaute Abkehr
vom bisherigen Sinnen?Mein einstiges Stürmen
wirkt mir
zu mancher Stunde fremd
so unerwartet toll
will´s mir erscheinen
Kaum mehr kann ich kennen
erkennen, etwas Sicheres in mir
nicht lässt sie sich wissen
erwischen die großartige WeltIm Schleier der Zeiten
verpuppt sich die unstete See
zum haltlosen Strom
meiden die längst gesättigten Blicke
den Grund
im trüb gewordenen Wasser,
können nicht sagen
warum es wurde was da ist
und wie das wurde was es ist
Zum ersten Aufbegehren gewandt
vermag ich betagteres Empfinden
nicht zu entwirren
nicht in mir
auch nicht im Kosmos,
nicht die erwartete tiefe Zäsur
in einem übermächtigen
unwiderstehlich waltenden Gedanken,
dass so entschieden, so vollkommen
in der Abfolge unserer Epochen
sein Gegenteil durchaus
den weiteren Weg benennen konnte
Parabelähnliches Verhalten fast,
erst den einen
dann den zweiten Schenkel hochziehen
hoch hinauf, fast zu den Sternen
und stetig, stetig muss sie
muss die Bewegung sein
-so tippte es mir der Lehrer auf den Graphen-
ohne ein Stocken in der Führung
soll es geschehen
Leichtherzig haben wir
bescheidene Einschnitte nicht gespürt
sie nicht gesucht
nicht der stillen Kehrtwende
unterschwelligen Moment
Was unmöglich in Gänze erschien
ist in Summe wahrhaftig geworden,
wurden sie
die zahllosen Grenzwerte, mein Freund
unerklärbar überschritten
nicht säßen wir sonst hier
wohl gezeugt, so sagen es die Schriften
als bittersten Todesernst
der Zweifel besiegte,
grausame Überzeugung
aus der Mühle unzähliger Jahre gespeist
unserem Denken
nur noch als bester Unfug galt
überwunden zwar
doch ohne die eine Erkenntnis
wie dies geschah
im eigensten Innern
endgültig gekappt
ist sie auch hier
die heilende Nabelschnur
zu den Dingen
aus Bruchstücken der Überlieferung
fügten wir es uns zurecht
wie wir es zu verstehen meinten
jenes Gesamtbildnis
Doch passt es nicht,
immer ein Steinchen noch so klein
passt so richtig nicht
ins ehrgeizige Mosaik
Trotzdem erleichtert
und so stolz
deuten wir immer wieder gern
aufs geltende Zeitalter
und die verwandelten Gesichter -
Pfingsten 1987: Wir wollen uns ein wenig umsehen in Thüringen und Sachsen. Das Auto ist frisch gewartet, die Route genehmigt, (Inter-) Hotels sind festgelegt, Papiere und Pässe in Ordnung. Los geht’s. An der Grenze bei Herleshausen müssen wir natürlich warten. Aber dann schießen unsere Pässe über das Förderband zu uns zurück. In Gotha setzen wir zum ersten Mal den Fuß auf den Boden des nahen, fremden Landes. Der kleine Opel mit dem Mainzer Kennzeichen ist schnell bekannt und wird überall angestarrt. Keine Hindernisse, nur, dass wir eine Arabeske im Sinn haben: Ekkehard und Uta in Naumburg, außerhalb unserer sanktionierten Route. Und wie der Teufel sein Spiel macht: Verkehrskontrolle. Herzklopfen. Führerschein und Kraftfahrzeugschein sind zur Stelle. Bremsen, Lichter, alles funktioniert wie am Schnürchen. Dann wird unser Reiseplan visitiert, wir fürchten Schlimmes. Doch wir bekommen unsere Papiere zurück mit den freundlichen Worten: Gute Fahrt, meine Damen!
Ein anderes Glanzlicht: Die Drei Gleichen. Wir erklimmen alle drei Burgberge, genießen viel Grün und, anders als erwartet. intakte Wälder. Die Sage vom Grafen von Gleichen mit den zwei Ehefrauen geriet in das Goethe-Drama Stella, an das der Dichter, nachdem das Publikum gegen das tragische Finale protestiert hatte, einen zweiten versöhnlichen Schluss anfügte. Da heißt es dann: Und Gott im Himmel freute sich der Liebe und sein heiliger Statthalter sprach seinen Segen dazu. Und ihr Glück und ihre Liebe fasste selig e i n e Wohnung, e i n Bett und e i n Grab.
Von Dresden ist es nicht weit nach Radebeul, wo mir, einer alten Karl-May-Leserin, im gleichnamigen Museum das Herz höher schlägt. Bautzen an der Spree, Görlitz an der Neiße, auch schon vor der grundlegenden Restaurierung eine schöne Stadt. Die Friedensbrücke. Da drüben liegt Polen, für uns Westdeutsche damals noch unsagbar fern.
Bei der Ausreise falle ich mit meinen beiden Fotoapparaten, einer für Diapositive, der andere für Negative, Papierabzüge, auf. Es sind zwei Praktika, VEB Pentacon, eine vorzügliche Marke, die zu dieser Zeit zwar exportiert, aber im eigenen Land nicht verkauft wurde. Ich rede und rede und kann den Zöllner schließlich daran hindern, meinen belichteten Film herauszureißen. Das Auto wird gründlich untersucht, auch der Benzintank. Sie lassen uns ungeschoren ziehen, wir müssen auch nichts bezahlen, haben nur mehr als eine Stunde verloren.
Pfingsten 1989: Diesmal geht es in den Norden der Deutschen Demokratischen Republik. Die erste Station ist Wismar mit der Insel Poel, wo wir Freunde besuchen. Am Pfingstsamstag sind wir nicht die einzigen, die von Schlutup aus nach Osten wollen. Die Grenze hält uns so lange auf, dass wir zu spät zu einem Stapellauf kommen, schade. Aber Wismar ist schön, auf der Insel blüht der Raps, es duftet. Dicke Kastanienbäume stehen direkt an der Straße. Wir genießen den geräuchertem Aal, von unseren Gastgebern selbst gefangen und zubereitet. Weiter über Rostock und Schwerin, Stralsund und Rügen, Greifswald und Usedom, es klappt alles, wir sind begeistert. Auf der Rückfahrt treffen wir unsere Freunde noch einmal, in Grevesmühlen bei den beeindruckenden Megalithen. Als wir uns verabschieden, fließen Tränen. Wann werden wir uns wiedersehen? Ein halbes Jahr später ist die Grenze weg. Die Freunde waren inzwischen sicher schon zehnmal bei uns, wir wenigstens fünfmal auf ihrer Insel. Der Raps und die Kastanien blühen immer wieder. Dicke alte Laubbäume begleiten die Straßenränder, so dicht an der Fahrbahn wie sie bei uns schon lange nicht mehr stehen dürfen. Eine kluge Entscheidung hält den Massentourismus fern, Hochhäuser dürfen nicht gebaut werden. Unsere Freundin kann sich nicht vorstellen, an einem anderen Ort dieser Welt zu leben als auf ihrer kleinen Insel.
Oktober 1989. Familien-Besuch im Erzgebirge, Annaberg-Buchholz. Ich habe eine Tempo-Automatik für meinen Wagen bekommen, um die erlaubte Geschwindigkeit leichter halten zu können. Meine schwerbehinderte Tante muss Geld tauschen; für mich als Begleitperson entfällt der Zwangsumtausch, erstaunlich. Da wir privat wohnen, melden wir uns auf der Polizei an. Wir haben einen Obstkorb mit frischer Ananas, Zitrusfrüchten und Bananen dabei, natürlich auch Kaffee. Aber wir sind es, die verwöhnt werden, mit Köstlichkeiten aus einem privaten Delikatessenladen. Am nächsten Tag kriege ich „frei“, meine Tante gibt mir ihre Mark der DDR, und ich ziehe los, an der Zschopau entlang, vorbei an der Augustus-Burg, weiter nach Freiberg. Von der Stadt weiß ich nicht mehr viel, nur dass es im Ratskeller vorzügliche Rouladen mit Rotkraut gab. Natürlich keinen Wein dazu – Null Promille.
Einen Tag später ist schon wieder alles vorbei. Auf der Rückfahrt muss ich nach der richtigen Auffahrt fragen. Der nette ältere Sachse fleht mich förmlich an: „Ach bleiben Sie doch hier, was für eine Praxis könnten Sie haben! Uns laufen ja die Ärzte alle weg!“ Für einen Moment bin ich nachdenklich, aber wenn ich mich jetzt nicht beeile, stehen meine Patienten zu Hause bis auf den Marktplatz. Um 16.00 Uhr beginnt die Sprechstunde, und es ist leider schon 11.00 Uhr. Das wird knapp, aber wir schaffen es[1].
1996 Klassentreffen in Berlin: Wir laufen immer und immer wieder durch das Brandenburger Tor, hinüber und herüber wie die kleinen Kinder; wohnen im Grunewald im wilden Westen und genießen Kabarett im Osten, die „Stachelschweine“ in der Friedrichstraße. Das literarische Quartett wird gründlich auf die Schippe genommen. Eine Kahnpartie auf der Spree muss natürlich auch sein, mit Gurken versteht sich. Aber was ist das alles gegen die Museumsinsel und den offenen Vorhang!
[1] W. Wamser-Krasznai, Gehen oder bleiben? in: dies. Scholien und Spolien (2018) 103-105.
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Berlin 27. Mai 1971
Die Fliege, die verirrt den Ausweg sucht
wie eine Möwe , die das Meer nicht findet
und glaubt die Schaumkronen als Wolken
Sie geben ihr Leben aus,
zerreißen ihr Weh wie dünne Netze
auch Balken zerbersten ohne Schrei
wie Musik in verödeten Ohren
aber Sonne ist nur Finsternis im Inneren der Figur—- -
Frühjahrsputz
(8.3.2021)
in Erinnerung an Jaleh Esfahanai (1921-2007)
Mit der Sonne als Wegweiser
bin ich wach unterwegs
Auch wenn die klare Kälte
noch die Oberhand hat
berichten der bunte Krokusteppich
und das betriebsame Rabenpaar
dass der farbenfrohe Frühling
fröhlich vor der Tür stehtAngesichts des Aufstands der Blümchen
des wieder erwachten Grüns
des berauschenden Gesangs der Bäche
und der bezaubernden Gemälde der Wolken
werde ich im Gebäude meiner Gedanken
dem Frühjahrsputz die Ehre erweisenDann werde ich voller Liebe
ausgewählte Düfte meiner Visionen
als berufene Botschafter der Lebensfreude
wie friedliche fleißige Vögel
weit, weit, weit fliegen lassen֎֎֎
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Der Hutewald
(4.3.2021)
Julian Assange gewidmet
Das Verteidigungsministerium verteidigte umfassend
die Interessen der Kriegsindustrie
das Gesundheitsministerium
die Interessen der Krankheitsunternehmen
das Bildungsministerium
die Interessen der Verblödungsfirmen
das Finanzministerium
die Interessen der Verelendungsgesellschaften
In der hochgezüchteten Spezialisten-Kultur
gedieh die verrechtlichte Korruption
und der Blick für das große Ganze
galt als gefährlicher Schädling
Die Marionetten gestikulierten geschäftig
zogen die Menschen in ihren Bann
und verschleierten vielfältig
die fatalen verbrecherischen Verhältnisse
Die erstickende Stille
hallte betäubend
im Getöse der blendenden
Banalitäten und Belanglosigkeiten
Meine weisen Wegbegleiter
die uralten Bäume
mit ihren sprießenden Knospen
und frohlockenden Trieben
erzählten geduldig
die große Geschichte
des fließenden LebensDer befreiende Frühling war wieder
auch unter diesen Umständen
unaufhaltbar unterwegs֎֎֎
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(2.3.2021)
in Erinnerung an Mohammad-Reza Shajarian (1940-2020)
nspiriert durch den Sonnenschein und ein persisches Gedicht von Barzin Azarmehr entstand der folgende Text.
Reihe dich ein, geschätzter Freund
Schließe dich dem Zug der Freidenkenden an
Verweile nicht verlassen in tiefer Trauer
Dieses gemeinschaftliche Leid
ist nur gemeinsam zu behandeln
Solch eine schwere Lebensaufgabe
ist nur solidarisch zu lösen
Bedenke die vergangenen
aufrichtig suchenden Generationen
Schöpfe lebensfroh Kraft
aus ihren Fehlern und Erfolgen
Lass uns diesen drängenden Weg
gemeinsam bestreiten und beschreiten
Reihe dich ein, geschätzter Freund
Schließe dich dem Zug der Freidenkenden an֎֎֎