Monat: Mai 2021

  •    Die Inkubation, Heilschlaf, griechisch Enkoimesis, ist eine tragende Säule in der Medizin des antiken Hellas. Der Hilfesuchende hofft auf nächtliche Traumgesichte, in denen ihm die Gottheit erscheint und ihn in den  Möglichkeiten zur Linderung der Leibes- und Seelennöte unterweist.

    Dafür muss sich der Patient gründlich vorbereiten, Enthaltsamkeit üben,  kultische Waschungen vornehmen und natürlich Opfer bringen (De Abstinentia II 19, zit. nach Krug 1985, 130). Beim Kommen und Gehen sind Gebühren in einen Tresor, Thesauros, zu entrichten, adressiert z. B.  an Asklepios und Apollon bzw. deren Priester.

        Aufschlussreich für die Gepflogenheiten der Letzteren ist ein Bericht in  Aristophanes‘ Komödie „Plutos“. Nachdem dieser im Meer gebadet hat, begibt er sich mit seinen Begleitern in den heiligen Bezirk des Asklepieions von Athen[1], wo die Opfer, Honigkuchen und anderes Backwerk, am Altar deponiert werden. Dann legt er sich mit seinen Begleitern dort in der Nähe nieder. Sie werden von den Tempelaufsehern, die das Licht löschen, zur Ruhe aufgefordert. Doch statt zu schlafen beobachten sie, wie der Priester alle nahrhaften Gaben einsammelt und in seinen Sack steckt[2]. Diese einträgliche Gewohnheit ging nach der Einführung des Christentums natürlich nicht verloren. Der Bischof Tychon aus Zypern berichtet im 5. Jh. u. Z., dass die Eltern eines taubstummen Knaben Tage und Stunden in der Kirche eines Heiligen verbrachten, „auf dem Boden schliefen, fasteten und Tränen vergossen“ (Chr. Markschies, Heil und Heilung in der Spätantike, in: Wunderheilungen in der Antike. Von Asklepios zu Felix Medicus, Oberhausen 2006, 17-23). Auch die Opferpraxis ist ungebrochen, denken wir nur an Goethes Mephisto im Faust:

    die Kirche hat einen guten Magen, hat ganze Länder aufgefressen
    und doch sich niemals übergessen.
    Die Kirch` allein, ihr guten Fraun,
    kann ungerechtes Gut verdaun.

        Während des rituellen Mahles im Heiligtum werden die geopferten Tiere, oft sind es Widder, verzehrt. Das Fleisch darf den heiligen Bezirk nicht verlassen. Auch Votivgaben wie Statuen, Reliefs und kleine Figuren aus Bronze oder Terrakotta verbleiben als immerwährendes Eigentum der Gottheit im Heiligtum (Strabon 8 6, 15; 14 2, 19; Plin. n. 29, 4).

        Wie aus den antiken Schriften hervorgeht, legten sich die Bittflehenden zum Heilschlaf auf den Boden, der höchstens von einer Strohmatte oder einem Fell bedeckt war. Man glaubte nämlich, dass die Erde während des Schlafs Kräfte freisetze, weshalb man „ipsi terrae incubatum est“, sich auf die Erde selbst niederlegte (L. Deubner, De incubatione, Diss. Giessen 1891. Eur. Hec. 70 ff.). Im Gegensatz dazu stellt die antike Bildkunst die Kranken gewöhnlich auf einem bequemen Bett, einer Kline, dar.

         

     Abb. 1: Weihrelief an Asklepios. Aus dem Piräus, Anf. 4. Jh. v. Chr.  
    Aufnahme der Verfasserin

        In Abb. 1 ist der am Kopfende stehende Gott gerade dabei, ‚Hand an die Patientin zu legen‘.

        Von Weihreliefs und Heilinschriften kennen wir den Gebrauch tragbarer Betten (Abb. 2). Demosthenes von X., gelähmt an den Beinen. Dieser kam in das Heiligtum auf einer Bahre und ging auf Stöcke gestützt herum. Als er sich im Heilraum zum Schlaf gelegt, sah er ein Gesicht: er träumte, der Gott verordne ihm, vier Monate im Heiligtum zu bleiben…Hierauf kam er…, als er an den letzten Tagen mit zwei Stöcken in den Heilraum hineingegangen war, gesund heraus (Iama C 64)[3].

       Oft brachten die Kranken Diener und Lasttiere für den Gepäck-Transport mit. Iama C 45[4]: Melissa kam mit einem Geschwür an der Hand. Als die Diener das Lager für die Frau von dem Saumtier abluden, nistete sich eine Viper…ein und kroch in die Laubfüllung der Matratze; als nun Melissa sich darauf legte, öffnet sie [die Schlange] durch  einen Biss das Geschwür an der Hand und darauf wurde sie gesund.

                      

     Abb. 2: Weihrelief, Chalkidiki, 1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.
    Abguss Erlangen. Aufnahme der Verfasserin

       Dem Tempel gegenüber ist der Ort, wo die den Gott um Hilfe Bittenden schlafen (Paus. II 27.2) nämlich die Inkubationsräume, griechisch Enkoimeterien oder Abata (= die Unbetretbaren). In Epidauros fanden sich bei einer lang gestreckten Halle im Nordwesten des inneren Bezirks steinerne Stelen mit Heilinschriften, Iamata. Darauf… sind die Namen von Männern und Frauen verzeichnet, die von Asklepios geheilt wurden, und dazu die Krankheit, an der jeder litt, und wie er geheilt wurde (Paus. II 27, 3). Die Buchstabenform weist in die zweite Hälfte des 4. Jh. v. Chr.[5]

        An die Halle schließt das Bad des Asklepios an (Paus. II 27, 6) das der kultischen Reinigung vor dem Betreten der Heilräume dient.

        Eine außergewöhnliche Terrakottafigur (Abb. 3) aus dem Asklepieion von Nora/Sardinien zeigt einen von der heiligen Schlange umwundenen nackten Jüngling im therapeutischen Schlaf.                          

     Abb. 3:  Schlafender Jüngling, 2. Jh. v. Chr. 
    Nach Bernardini – Santoni – Tronchetti 2016, 109 Abb. 166

        Manche Patienten sind den euphemistischen Heilinschriften gegenüber skeptisch und müssen sich zunächst eines Besseren belehren lassen, wie wir z. B. aus Iama A 3[6] erfahren: Ein Mann, der die Finger der Hand nicht rühren konnte bis auf einen, kam zu dem Gott als Bittfleher. Als er die Weihetafeln in dem Heiligtum sah, war er ungläubig gegen die Heilungen und machte sich über die Aufschriften lustig. Als er im Heilraum schlief,  träumte ihm…es sei…der Gott erschienen und ihm auf die Finger gesprungen und habe ihm die Finger ausgestreckt…als es Tag geworden, kam er gesund heraus.

        Die Inkubation fand im Tempelbezirk statt[7], doch in der übrigen Zeit hielten die Heilung-Suchenden sich außerhalb des Temenos auf, etwa an Orten der Zerstreuung wie in den Theatern (Epidauros, Pergamon u. a.) bzw. in Herbergen mit fest installierten Klinen. Arzthäuser verfügten über Ordinationsräume, Iatreia, in denen möglicherweise kurzfristig auch „stationär“ behandelt wurde[8]. Jedenfalls – so berichtet Plinius – soll die Heilkunde getreu nach der von Hippokrates eingeführten Weise, die wir „die klinische nennen“ ausgeübt worden sein [9].

    Zusätzliche Literatur und Bildnachweis:

    P. Bernardini – V. Santoni – C. Tronchetti, Il Museo Archeologico Nazionale di Cagliari (Sassari 2016)    Abb. 3

    A. Burford, The Greek Temple Builders at Epidauros (Liverpool 1969)

    E. J. und L. Edelstein, Asclepius. A Collection and Interpretation of the Testimonies (Baltimore 1945)

    K.-V. von Eickstedt, Das Asklepieion im Piräus (Athen 2001)

    G. Harig, Zum Problem „Krankenhaus“ in der Antike, Klio 53, 1971, 179-195.

    R. Herzog, Die Wunderheilungen von Epidauros. Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin und Religion (Leipzig 1931) 

    E. Holländer, Plastik und Medizin (Stuttgart 1912)

    A. Krug, Heilkunst und Heilkult (München 1985)

    Th. Schnalke, Asklepios. Heilgott und Heilkult. Ausstellungskatalog Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg 12. Juli- 30. September 1990  (Nürnberg 1990)

    W. Wamser-Krasznai, Wie man sich bettet…Lager und Lagern in antiken Heil-Heiligtümern, in: Les Études classiques 80 (Namur 2012) 55-72

    G. Welter, Troizen und  Kalaureia (Berlin 1941)


    [1] Außer dem Stadtheiligtum in Athen gibt es „das andere im Piräus“ (Scholia in Aristophanum, Ad Plutum, 621, T. 722), E. J. und L. Edelstein, Asclepius (ND 1975) Band I, 212-218, 375-377.

    [2] Aristoph. Plut. 655-683.

    [3] Herzog 1931, 33.

    [4] Herzog 1931, 27.

    [5] Herzog 1931, 2 und 6.

    [6] Herzog 1931, 9-10.

    [7] s. dazu Harig 1971, 182.

    [8] Galen, De antidotis I. 2. XIV,7, s. Harig 1971, 185 f. Anm. 41.

    [9] Nach dem Brand des Asklepiostempels auf Kos: „instituisse medicinam hanc, quae clinice vocatur“, Plin. nat. 29, 1 (2), 4, E. J. und L. Edelstein 1945, 401-402, Nr. 795. Hygin, Fabulae 274,9, E. J. und L. Edelstein 1945, 186, Nr. 360. Habig 1971, 180 und 182.

  • (21.5.2021)

    Iwona und Elias Davidsson gewidmet

    Uralte Bäume!
    Mit Bewunderung
    Begeisterung
    Demut
    erlebe ich eure Anwesenheit
    Mit euch tanze ich kreisend
    die Hände zum Himmel gestreckt
    den Blick in die Ferne gerichtet
    die Befindlichkeiten abgelegt
    Ihr seid die wahre Verkörperung
    der Eigenständigkeit und Verbundenheit
    des Rückgrats und der Biegsamkeit
    der Geduld und Beharrlichkeit
    der endlosen Endlichkeit
    der Sehnsucht nach Leben

    ֎֎֎

  • (21.5.2021)

    Um den Blick
    zum Erfassen der Wahrheiten
    erfolgreich zu behindern
    sind nicht unbedingt
    Lügen vonnöten
    Es reichen schon
    aus dem Zusammenhang gerissene
    Halbwahrheiten

    ֎֎֎

  • (21.5.2021)

    Jahrhundert alte Bäume
    den Himmel auf den Armen tragend
    kleine Kinder
    auf den Wiesen Ball spielend
    langschwänzige Papageien
    die Brunstzeit besingend
    Des Lebens Rad dreht sich

    ֎֎֎

  • (28.5.2021)

    Das Leben ist wahrhaftig
    ein strenger, verständlicher Lehrmeister
    gerade jetzt
    wo eine gigantische Versuchsreihe
    global gestaltet wird
    ohne jeglichen Ethikantrag
    ohne ein Mindestmaß
    an sich wissenschaftlich Bewährtem
    dafür umso mehr
    mit betrügerischem Getöse

  • Vorbemerkung
    Durch einen Anruf von Helga Thomas erfuhr ich von dem Tod unserer Kollegin Pauline Abt am 01. Mai 2021. Helga hatte einen intensiven schriftlichen Nachruf von Frau Abts Tochter, Frau Dr. Dorothea Zitzmann, erhalten. Da ich Pauline Abt nur ganz am Anfang meiner BDSÄ-Mitgliedschaft (also Ende des vergangenen Jahrhunderts!) einmal persönlich getroffen und später nur vereinzelt telefonisch gesprochen hatte, und Helga einen dauerhafte und freundschaftliche Beziehung zu Frau Abt gepflegt hatte, schlug ich vor, dass Helga einen Nachruf für unsere Homepage schreibt. Sie war damit gern einverstanden, schrieb sofort einen liebevollen und freundschaftlichen Brief und schlug ihrerseits vor, dass wir Frau Zitzmanns Nachruf ebenfalls veröffentlichen. Da Frau Zitzmann freundlicherweise diesen Nachruf mit den Bildern jetzt zur Verfügung gestellt hat, will ich gern die Wünsche erfüllen und hoffe, dass wir hiermit Pauline Abt einen letzten respektvollen und freundlichen Dienst erweisen und uns angemessen für ihre Jahrzehnte lange Mitgliedschaft und ihre Beiträge zu unserem Verband bedanken.

    Dietrich Weller

     

     

    Dr. med. Pauline Theresia Abt, geb. Rauch

    Geboren am 13. November 1922 in Göppingen
    gestorben am 1. Mai 2021 in Burgheim

    Meine Mutter, Frau Dr. Pauline Theresia Abt, geborene Rauch, kam am 13. November 1922 in Göppingen zur Welt. Sie war die Tochter von Franz–Josef Rauch und seiner Ehefrau Dorothea. Er war Bahninspektor in Göppingen, zog aber 1924 zurück in seinen Heimatort Berg bei Friedrichshafen, wo noch mehrere Geschwister lebten. Johann, der älteste Bruder führte ein Café in Berg. Er konnte besonders gut malen und hat die Brandmalereien auf der Vertäfelung im Berger Häuschen angefertigt. Sohn Hermann bekam die Mühle, Sohn Wilhelm das Sägewerk.

    Die Mutter, Dorothea, war das 17. und letzte Kind ihrer Eltern, sie hatte eine Hauswirtschaftsschule besucht.
    Die Kindheit meiner Mutter muss sehr glücklich gewesen sein, wie sie auch in ihrem Buch „Der Fritzle, der Hermann und ich“ beschreibt. Sie war ein umhegtes und geliebtes Einzelkind, durfte ihren Vater auf der Jagd begleiten und mit ihrer Mutter Kastanienbier brauen.
    Alles änderte sich, als ihr Vater an einem Nasenkarzinom erkrankte. Im Frühjahr 1933 verstarb er schließlich, tief betrauert von seiner Frau, die zeitlebens nur noch schwarze Kleidung trug, und seiner Tochter.
    Pauline machte 1942 ihr Abitur in Friedrichshafen. Sie wollte Medizin studieren, musste aber zuvor den Reichsarbeitsdienst absolvieren. Danach hoffte sie nach Hause zu kommen, wurde aber noch zum Kriegshilfsdienst eingezogen. Sie arbeitete als Straßenbahnschaffnerin in Heilbronn. In ihrem Heimaturlaub zu Weihnachten wurde sie von einem Hund gebissen und musste nicht wieder zu ihrem Dienst erscheinen, was sie später als ihr großes Glück bezeichnete, da viele Mädchen zum Funkdienst abkommandiert wurden und aus dem Krieg nicht wiederkamen.
    1943 bekam sie einen Studienplatz in München und bezog ein kleines Zimmer in der Heßstraße. Im Sommer 1944 wurde sie bei einem Bombenangriff verschüttet, ihr Zimmer bestand nur noch aus rauchenden Trümmern. Aber sie konnte bei einem Bekannten und seiner Schwester unterkommen und ihr Studium beenden. Während des Studiums lernte sie auch ihren zukünftigen Mann Rudolf Abt aus Burgheim kennen.
    Nach dem Krieg aber musste sie zunächst ihre Assistenzarztzeit absolvieren. Sie tat dies in Markdorf bei Friedrichshafen. Dort lernte sie zwei tüchtige Frauen kennen, „Prezele“, zeitlebens ihre Freundin, und „Käthchen“, die mit ihr nach Burgheim zog und als Haushälterin die Familie versorgte.   1954 schließlich heiratete sie Dr. Rudolf Abt und zog zu ihm

    nach Burgheim.
    Pauline und Rudolf bekamen zwei Kinder, meinen Bruder Andreas und mich, die  nach ihrer Großmutter benannt wurde. 1960 bekam meine Mutter die Kassenzulassung und baute ihre eigene Praxis auf. Sie war mit Leib und Seele Ärztin, liebte es, ihre Patienten nicht nur in medizinischen, sondern  in allen Lebensfragen zu beraten. Ihre Patienten dankten es ihr mit großer Treue, Anhänglichkeit und Respekt. Ich glaube, dass meine Eltern ein sehr erfülltes, glückliches Leben führten. Oft waren Freunde bei uns zu Besuch, meine Eltern bereisten zusammen viele Länder der Welt und konnten, trotz starker beruflicher Anspannung, auch ihren Alltag genießen.
    In den siebziger Jahren begann sich meine Mutter für den Umweltschutz zu interessieren und leitete einige Zeit den Bund Naturschutz in Neuburg. Sie interessierte sich zeitlebens für Flora und Fauna, liebte Tiere und hatte großes Wissen über die heimische Pflanzen-und Tierwelt. Schützenswerte Gebiete versuchte sie durch Anpachtung vor der Zerstörung zu bewahren. Für ihre Verdienste erhielt sie noch im Herbst 2020 in München den Bayerischen Umweltpreis verliehen. Sie hat diesen  Tag sehr genossen,.

    1989 übergab sie ihre Praxis an mich und meinen Ehemann Sebastian. Noch in den Folgejahren unterstützte sie uns bei Erkrankungen der Kinder oder sonstigen Notfällen immer gerne und mit großem Engagement in der Praxis. Auch für unsere Kinder war sie stets eine liebevolle und fantasievolle Großmutter, die sich viel Zeit für sie nahm.
    Einen tiefen Einschnitt in ihrem Leben bedeutet der Tod meines Vaters im Jahre 1997. Lange Zeit zog sie sich völlig zurück. Sie beendete ihre Tätigkeit im Pfarrgemeinderat, und ihre schriftlichen Beiträge für das Pfarrblatt wurden eingestellt. Nur ihre Kurzbeiträge für den „Burgheimer Zwoaring“ schrieb sie weiter.

    Allmählich begann sie, sich ein neues Leben ohne ihren Ehemann aufzubauen. Sie trat dem Kreis der Neuburger Lyrikerinnen bei und schloss dort intensive neue Freundschaften, sie schrieb etliche Bücher, Gedichte, Kindheitserinnerungen und Märchen.
    Bis ins hohe Alter war sie stets an anderen Menschen interessiert und nahmen regen Anteil an ihren Sorgen und Nöten. Ihre Ratschläge waren stets gefragt und jeden Abend telefonierte sie ausgiebig mit der einen oder anderen Freundin. Auch schrieb sie sehr gerne liebevolle Briefe.
    Sie konnte bis vier Wochen vor ihrem Tod alleine in ihrer Wohnung leben, unterstützt von ihren Kindern und Freundinnen.
    Am Karfreitag März 2021 erlitt sie einen Sturz, infolge dessen sie ins Krankenhaus  eingeliefert werden musste. Dort erlitt sie am Ostersonntag einen Schlaganfall mit linksseitiger Lähmung. Sie erholte sich zunächst wieder etwas und wurde im Pflegeheim Straß liebevoll versorgt. Am 1. Mai 2021 verstarb sie am frühen Morgen, nachdem sich ihr Zustand deutlich verschlechtert hatte. „Ich nehme alles an, was auch kommt“, sagte sie noch im Krankenhaus zu mir. Ihr offenes, liebevolles Wesen und ihr kluger Rat werden uns fehlen!

    Dr. Dorothea Zitzmann

    Jetzt folgt der Brief von Helga Thomas an Pauline Abt.

    Liebe Pauline

    Das ist der erste Brief von mir an Dich, den Du nicht in Händen halten wirst. Aber ich bin davon überzeugt, Du kannst ihn trotzdem lesen. Das war eines unserer Themen; der Kontakt mit Verstorbenen, durch unsere Erinnerung, in uns, in unserem Unbewussten; sind sie dort oder ist das der Zugang zur realen Welt der Toten? Wir haben die Antworten offen gelassen und meinten, wir müssten da sehr wachsam sein und genau beobachten.
    Sicherlich ist jetzt der Brief, wenn ich mit Dir rede, mehr mit Deinem Bild, was ich von Dir in mir trage, aber es ist vielleicht die Brücke für die Zukunft. Gestern kam mir die Idee, dass ich Dir den Brief schreiben muss. Gestern, 8. Mai, Kriegsende, Kapitulation, in der SBZ nannten sie es den Tag der Befreiung. Ich glaubte beides nicht als Kind, ich war davon überzeugt, der Krieg geht immer noch weiter.
    Das ist eines der Themen, über die wir fast kaum geredet haben, Du hast nur meine Erzählungen, die Erinnerungen aus der Zeit sehr einfühlsam und sehr schön gefunden und meintest, das sei gut für meine Enkelkinder. Damals hatte ich noch keine, da waren sie noch in weiter Ferne.
    Wie fing unsere Beziehung an? Du, ich weiß es nicht. Das ist etwas, was ich Dich auch immer noch fragen wollte. Ich weiß, von Anfang an, als ich in den BDSÄ eintrat, warst Du und Deine Freundin da, die so schöne Skulpturen machte. Ich mochte euch beide, aber ich wollte euch in eurem Beisammensein nicht stören. Wahrscheinlich habt ihr´s gemerkt, denn immer dann, wenn wir eh zu mehreren waren, hattet ihr unauffällig mir einen Platz freigehalten. Das war Deine empathische, feinfühlende, im Hintergrund wirkende Art; die war so wohltuend in unserer lauten Zeit, in der oft Effekthascherei wichtiger ist als echtes Gefühl. Du hast mir unauffällig den Rücken gestärkt. Wie das so ist bei Lesungen, gibt es immer Leute, die begeistert von einem sind, ob die Sachen nun gut sind oder nicht; andere, die neutral bleiben, oft noch das beste Publikum; und wieder andere, die zeigen wollen, dass sie gute Lehrer sind, die einen belehrten oder Ja-aber sagten und Warum-nicht usw. usf. Mich störte das, mich verunsicherte das, aber andererseits war ich über jede Kritik froh, und wer sagte mir, dass der andere recht hat?
    Da kamst Du und meintest, warum ich mich denn so verunsichern lasse, wir hätten doch oft genug über schöpferische Prozesse geredet, und so wie ich schreibe, sei das doch sehr mütterlich. Heute denke ich, ja, Du hast von Dir gesprochen. Bevor ich ein Gedicht niederschreibe, ist es lange in mir gewachsen, manchmal parallel zu anderen. Und irgendwann einmal kann ich sie aufschreiben, und dann kann ich auch geringfügige Verbesserungen vornehmen, aber eigentlich ist es fertig. Und Du meintest, das ist eben das Zeichen, dass das Gedicht mein Kind ist; ich gehe mit ihm schwanger, und dann lasse ich es in die Welt, aber ich muss es weiter beschützen. Und als mal jemand kam von unseren Teilnehmern, der inzwischen auch nicht mehr unter den Lebenden ist, und einige Kritik äußerte und warum fragte, meinte Pauline, ganz schnell sich dazwischen schaltend: weil sie es so mag! Außerdem mag ich das Gedicht auch so, und das weiß die Helga. Und damit war das Thema erledigt.
    Ich versuch mich zu erinnern, welche von Deinen Sachen mir besonders gefallen haben, es war doch sehr vieles. Und das Viele hat jetzt etwas wie einen tragfähigen Teppich geschaffen; einen Teppich, der nicht nur von unten her wärmt und den Boden bedeckt, sondern der einen auch durch die Lüfte tragen kann. Irgendwann war ich so eingespannt, dass es nicht viel Zeit neben den Treffen für private Kontakte gab, auch weil die Arbeit in Bulgarien mich forderte, aber dann änderte es sich wieder. Und irgendwann kamst Du nicht. Und dann kam Deine E-mail, dass Du eigentlich austreten wolltest, worauf ich ganz bestürzt war und Schuldgefühle hatte, weil ich dachte, ich hätte doch längst Dir mal schreiben müssen und fragen, wie es Dir geht. (Damals waren wir noch per Sie, ich weiß auch das nicht mehr, wann wir zum Du übergegangen sind, ich glaube das war irgendwann mal ganz automatisch, ohne Feier, ohne Brüderschaft, einfach so: Pauline und Helga.) Und dann hattest Du aber überlegt, dass unser Verband das Geld vielleicht brauchen könnte, und Du bleibst drin. Und das fand ich so toll, dass ich Dir gleich ganz spontan schreiben musste. Und dann entwickelten sich diverse Gespräche, per Telefon, per Brief. Und ich hatte die Idee, beim nächsten Treffen solltest Du unbedingt Texte von Dir auswählen und einreichen – ich würde sie dann für Dich vorlesen. Ich weiß nicht mehr, warum es nicht dazu kam. Kam dann Deine Krankheit dazwischen? Oder war da schon der Lockdown? Ich weiß es nicht mehr.
    Deine Krankheit war erschreckend, aber es war bewundernswert, wie Du damit umgingst. Du teiltest mir mit, dass man ein kleines Mamakarzinom entdeckt hat, dass Du aber jetzt in dem Alter bist, dass Du denkst, es ist besser, nichts mehr zu machen; ich soll das nur zur Kenntnis nehmen und mich nicht wundern, wenn ich vielleicht mal keine Post mehr bekomme. Das hat mich natürlich sehr erschreckt, aber ich konnte ja schreiben.
    Aber wie gesagt, irgendwann kam der Lockdown, und da ging es mir sehr schlecht. Und das war ein Grund, warum ich Dir zwar noch schrieb, aber Dich nicht anrief. Wenn Du mich dann liebevoll fragst, wie es mir geht und ich auch ohne technische Hilfsmittel Deinen liebevollen Blick aus Deinen warmen Augen auf mir ruhen fühle, dann wusste ich, dann kann ich mich nicht mehr beherrschen, da muss ich weinen und muss dir klagen, was mir nicht gut geht; und dir gings doch schlechter! ich musste doch schließlich Rücksicht auf Dich nehmen.
    Und irgendwann wuchs ein neuer Gedanke in mir, was unsere Beziehung betraf. Es betraf nicht nur Dich, es betraf auch eine befreundete Kollegin in Bayern und eine junge Kollegin in Österreich, die sehr tapfer kämpft gegen die Vorurteile mancher Analytiker. Ich entschloss mich, irgendwann muss der Lockdown zu Ende sein, und dann reise ich! Ich mache eine Rundreise: zu Dir, nach München, bzw. an den Starnberger See und nach Wien. Ich wusste nur noch nicht welche Reihenfolge und in welcher Zeit. Ich teilte Dir das nie mit, weil ich Dir keinen Zeitpunkt sagen konnte und weil ich ja auch noch nicht so sicher war, ob Dich das wirklich freuen würde, ob Du nicht erschrecken wirst und Dich vielleicht als Gastgeber verpflichtet fühlst, obwohl ich dann sicher war, dass das dann doch nicht der Fall ist.
    Ja, das ist etwas, was ich Dir sehr gerne hatte sagen wollen, und dazu ist es nun nicht gekommen. Es ist aber nicht nur Dein Weggang, dass es jetzt nicht dazu kam, sondern immer noch dieser verdammte Lockdown.
    Du hast auch mit Deiner ruhigen, mütterlich-freundlichen und doch sehr klugen Art manchmal Streithähne auseinander gebracht, ohne dass Du billige Kompromisse vorgeschlagen hast. Du hast die Meinung eines anderen respektiert, aber hast ihm trotzdem die eigenen Grenzen aufgezeigt, auch das war immer sehr wohltuend.
    Ja, und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich alles sagen wollte. Über Dich, über unsere Beziehung. Ich weiß auch gar nicht, ob ich für meine lieben Freunde im Verband Dich richtig habe in Erinnerung rufen können.
    Ein weiteres Thema, was uns sehr beschäftigte, neben den künstlerischen Prozessen, war überhaupt das Wachsen, das Sich-Entwickeln, von Tieren und von Pflanzen, ein unerschöpfliches Thema. Und drum hat es mich doppelt gefreut, als ich jetzt las, dass Du noch letztes Jahr den Preis für Umweltschutz von Bayern bekommen hast.
    Am 1. Mai ging es mir nicht gut, ich war furchtbar müde. Und ich verstand es nicht, aber ich bin in letzter Zeit öfter müde. Es hat sicherlich verschiedene Ursachen, die hier keine Rolle spielen. Jedenfalls wartete ich darauf, ob sich Kopfschmerzen einstellen, denn dann hätte ich gewusst, dass ein mir nahestehender Menschen stirbt, das ist bei mir manchmal so. Aber die Kopfschmerzen waren nur ganz schwach, so dass alles sehr unsicher war. Und eine Woche später, bzw. nicht ganz eine Woche später, es war schon der Freitag, wollt ich nicht nach Hause. Es fiel mir immer was ein, warum ich das Nachhausegehen hinauszögere, obwohl da Arbeiten auf mich warteten, angenehme Arbeiten. Ich hatte ja inzwischen Dir meine letzten Gedichte geschickt. Und dann kam ich nach Hause, und der sehr schöne Nachruf Deiner Tochter erwartete mich. Ich dachte, dass ich jetzt daraus einiges zitiere, aber ich weiß nicht; der ist so schön, dass ich ihn eigentlich nicht auseinander reißen möchte, und vielleicht wäre es gut, wenn man ihn an meine persönlichen Erinnerungen anfügt. Ich werde Deine Tochter fragen, ob sie damit einverstanden ist.

    In Gedanken umarme ich Dich so, wie wir uns immer zum Abschied umarmt haben.

    Deine Helga

  • One ancient fantasy describes an encounter between Fire, Water and Trust.                 As they walked through the woods The Fire said:

     “If I get lost, see if there is any smoke. Because where there is smoke, there is fire. „

    The Water replied, „If I get lost, look where there’s moisture, because where there’s moisture, there’s water.“

    The saddened Trust said: “If I get lost, don’t look for me. Once lost it is impossible to find me. „

    To consider:

    How often in life do we ignore smoke or moisture? Are we deluding ourselves that something is missing, in spite of realizing the signs?

    And how often we forget how hard it is to earn someone’s trust, and how easy it is to lose it irretrievably.

    Dr. med. André Simon © Copyright

    Credits: The sword lily was photographed by Dr. Dietrich Weller, who has agreed to illustrate this story. The author is grateful for this permission.

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Fantasie

    Eine alte Fantasiegeschichte beschreibt eine Begegnung zwischen Feuer, Wasser und Vertrauen. Auf ihrem Weg durch die Wälder sagte das Feuer:

    „Wenn ich verloren gehe, schau nach,  ob es irgendwo Rauch gibt. Denn wo es Feuer gibt, weht auch Rauch.“

    Das Wasser erwiderte: „Wenn ich verloren gehe, schau nach, wo es Feuchtigkeit gibt, denn wo Feuchtigkeit ist, gibt es auch Wasser.“

    Das betrübte Vertrauen sagte: „Wenn ich verloren gehe, sucht mich nicht. Wenn ich einmal verloren bin, ist es unmöglich, mich zu finden.“

    Zu bedenken:

    Wie oft im Leben beachten wir Rauch oder Feuchtigkeit nicht? Machen  wir uns selbst vor, dass etwas fehlt, statt die Zeichen zu erkennen?

    Und wie oft vergessen wir, wie schwierig es ist, das Vertrauen einer Person zu verdienen, und wie leicht es ist, es unwiederbringlich zu verlieren?

    Dank: Die Schwertlilie wurde von Dr. Dietrich Weller fotografiert. Der Autor dankt für die Genehmigung, diesen Text damit zu bebildern.

  • (12.5.2021)

    Ihr Großverbrecher unserer Zeit!
    Ihr Handlanger der Banditen!
    Ihr Mitläufer und Nutznießer!
    Ihr Unentschlossenen!
    Ihr Schweigenden!
    Wenn die Erwachsenen Gewalt erfahren
    und diese erdulden
    denke ich auch an ihre Selbstverantwortung
    Die Pläne der zeitgenössischen Großverbrecher
    für Klein- und Schulkinder
    stehen für mich allerdings
    auf einem ganz anderen Blatt
    verbunden mit tiefster Wut

    Die Neuauflage der Nürnberger Prozesse
    ist unweigerlich unterwegs

  •     Groß ist die Zahl der mythischen Verwandlungen. Besonders im Umfeld der göttlichen Geschwister Artemis und Apollon finden eindrucksvolle  Metamorphosen statt. Beide Gottheiten richten und strafen beim Verstoß gegen Sitte und Recht. Ihre Gründe für die Verwandlung der Wesen mit denen sie jeweils in nähere Beziehung treten, sind aber durchaus unterschiedlich.

    Artemis rächt Verletzungen ihrer jungfräulichen Integrität.

        Als Kallisto, die Schönste, sich dem Gefolge der Göttin anschließt, gelobt sie ebenso wie Artemis stetige Keuschheit. Als diese eines Tages die von Zeus verursachte Schwangerschaft der Gefährtin entdecken muss, lässt sie ihr im Zorn ein zottiges Bärenfell und Krallen wachsen.

                          

    Abb. 1: Verwandlung der Kallisto, 390-380 v. Chr. 
                                       Nach Schefold 1981, 231 Abb. 322

        Was Kallisto dann zustößt, wird in verschiedenen Parallelmythen berichtet. Ob sie von den Pfeilen ihrer Herrin getötet wird, oder von Hera, der eifersüchtigen Gemahlin des Zeus – jedenfalls kreist sie seither als Große Bärin um den Polarstern.

        Den Jäger Aktaion, der Artemis unbekleidet beim Baden beobachtet hat, verwandelt sie in einen Hirsch. Seine eigenen Hunde erkennen ihn nicht mehr und stürzen sich auf ihn, um ihn zu zerreißen. Mit ihren „sanften Geschossen“[1] beendet die Göttin seine Qualen.

        

    Abb. 2: Aktaion, während der Verwandlung von seinen Hunden angefallen.
                                        Nach Schefold 1981, 138 Abb. 180

        Mit Apollon ist es anders. Zwar wird er überall wegen seiner Schönheit gerühmt, aber in der Liebe hat er fortwährend Pech.

        Daphne, die anmutige Nymphe, flieht „schneller als der leichte Lufthauch“[2]  vor dem liebeskranken Gott und entzieht sich ihm endlich ganz durch die Verwandlung in einen Lorbeerbaum. Zu seinem Trost und um etwas von der Geliebten bei sich zu tragen, bekränzt Apollon seine Stirn mit dem heiligen Lorbeer. Musentöchter und- söhne, die es zu wissenschaftlichem oder künstlerischem Erfolg gebracht haben, tun es ihm nach.

                     

      Abb. 3: Daphne wird zum Lorbeer, augusteische Kopie
                  eines hellenistischen Originals (?) Nach Schefold, 208, Abb. 283.

        Die schöne Koronis, bereits von Apollon schwanger, gibt sich auch noch einem Sterblichen hin. Flugs überbringt eine weiße Krähe dem Gott die kränkende Nachricht. Wie so oft trifft die Strafe zunächst den Überbringer der fatalen Botschaft. Das weiße Gefieder färbt sich rabenschwarz. Dabei ist es bekanntlich seither geblieben.                     

    Abb. 4 und 5: Apollon mit weißer und schwarzer Krähe
                                     Nach Schefold 1981, 209  Abb. 284. 285

        Heilkundige, die gern ein wenig über den Tellerrand spähen, kennen den halbwegs versöhnlichen Schluss der Geschichte: Apollon tötet die treulose Koronis, wird aber von Reue gepackt und rettet das ungeborene Kind aus dem Leib der sterbenden Geliebten. Es ist der kleine Asklepios, der anschließend vom weisen Kentauren Chiron erzogen und höchst erfolgreich in den medizinischen Wissenschaften unterrichtet wird.

        Eine seiner Aufsehen erregenden Heilungen gelingt Asklepios beim Sohn des Theseus, Hippolytos[3]. Dieser, zur Keuschheit entschlossen, dient der jungfräulichen Artemis/Diana. Unschuldig-schuldig löst er eine Liebes- und Eifersuchtstragödie aus. Seine scheuenden Rosse schleifen ihn fast zu Tode,

    Und allein die starke Arznei des apollinischen Sohnes  
    gab mir das Leben zurück…
    dann warf Cynthia [ein Beiname der Diana]
    um mich ein dichtes Gewölk…gab mir ein höheres Alter und ließ
    unkenntlich mein Antlitz werden…wies mich hierher [nach Aricia]
    befahl mir zugleich den Namen niederzulegen,
    warst du Hippolytus einst, sollst du nun Virbius sein.
    Seither lebe ich hier im Hain als einer der minderen Götter,
    und die Herrin gewährt mir als dem Ihrigen Schutz[4].

        Unter unseligen Vorzeichen stand die Ehe des barbarischen Thraker-Königs Tereus mit der athenischen Königstochter Prokne von Anfang an. Als er auf Bitten seiner Gattin aufbricht, um ihre Schwester Philomele zu einem Besuch abzuholen, entledigt er sich seiner Verantwortung auf die schändlichste Weise. Er hält Philomele gefangen, tut ihr Gewalt an und schneidet ihr, um sie am Verkünden der Untat zu hindern, die Zunge heraus. Doch Philomele versinkt nicht in Lethargie. Einfallsreich ist der Schmerz und Not macht erfinderisch[5]. Sie setzt sich an den Webstuhl und fügt zwischen das weiße Garn purpurne Schriftzeichen ein, die den Frevel anzeigen. Das fertige Werk lässt sie zu Prokne bringen. Diese versteht sogleich und gerät außer sich vor Wut und Schmerz. Sie mischt sich unter die Bachantinnen, befreit ihre Schwester und tötet ihren kleinen Sohn Itys, um den verbrecherischen Vater an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen[6]. Bevor sich der König rasend vor Zorn auf die Frauen stürzen kann, verwandelt ihn Zeus in einen Wiedehopf, die Schwestern aber in Singvögel[7]

    Literatur und Bildnachweis:

    M. Bieber, Tereus, AM 50, 1925, 11-18  

    A. Klöckner, Mordende Mütter. Medea, Prokne und das Motiv der furchtbaren Rache im klassischen Athen, in: G. Fischer – S. Moraw (Hrsg.), Die andere Seite der Klassik (Stuttgart 2005) 247-263

    Ovid, Metamorphosen. Lateinisch/Deutsch (Reclam Stuttgart 22003)

    Pausanias, Reisen in Griechenland I (Zürich – München 31986)

    W. Schadewaldt, Die Sternsagen der Griechen (Frankfurt am Main – Hamburg 1956)

    K. Schefold, Die Göttersage in der klassischen und hellenistischen Kunst (München 1981)    Abb. 1-5

    E. Simon, Tereus. Zur Deutung der Würzburger Schauspieler-Scherbe.  Festschrift des Kronberg-Gymnasiums (Aschaffenburg 1968) 155-165

    Th. v. Scheffer, Die Legenden der Sterne 

    W. Wamser-Krasznai, Metamorphosen der Haut im antiken Mythos,

    Aktuelle Dermatologie 33/2007, 92-95

    Für Reproduktionen und Bildbearbeitung danke ich H. Zühlsdorf, Gießen.


    [1] Hom. Od. 11, 172 f. 199.

    [2] Ov. Met. 1, 502 f.

    [3] Genannt nach seiner Mutter, der Amazonenkönigin Hippolyte.

    [4] Ov. Met. 15, 533-547.

    [5] Ov. Met. 6, 575.

    [6] Klöckner 2005, 240 f. Anm. 12 Abb. 1. 2; Paus. I  5, 4. 24, 3.

    [7] Ov. Met. 6, 423-674; Bieber 1925, 15 Anm. 4.

  • (3.5.2021)

    Trotz intakter Augen
    trotz wohlbehaltener Ohren
    nahmen sie das Geschehen nicht wahr
    Sicher behebbar war ihre Unwissenheit
    Betrüblich überwog ihre bodenlose Bequemlichkeit
    Zerstörerisch führte ihre Angst vor Eigenverantwortung
    So nahmen sie drastisch
    treu, tatkräftig, töricht
    an ihrem eigenen Begräbnis
    täglich teil

    ֎֎֎