Autor: Amir Mortasawi Dr. med.

  • Balsam der Blicke

    (3.10.2019)

     

    Die Augen schließe ich sanft
    wandere durch die begeisternden Bilder
    des heutigen farbenfrohen Herbsttages
    Die aufgelockerten weichen Wolken
    tanzten geschmeidig im treibenden Wind
    wechselten  fließend die Bilder im Himmel
    In diesem friedlichen Schauspiel
    bei abwechselnder Beleuchtung
    beeindruckten mich besonders die Bäume
    mit ihren betörenden bunten Blättern
    Mein Herz öffnet tanzend tausend Fenster
    sagt singend zärtlich zu mir
    sei im Leben wie seidene Sonnenstrahlen
    berührend, beleuchtend, Balsam der Blicke

    ֎֎֎

  • Wurzelwerk

    (2.10.2019)

    Verbindet das Wurzelwerk Bäume
    so kann mancher Stumpf weiterleben
    versorgt in der Gemeinschaft
    Mein Wurzelwerk verbindet mich
    nicht nur mit zeitgenössischen Wesen
    Es ist Jahrtausende alt

    ֎֎֎

  • Bereicherung

    (2.10.2019)

     

    Bei aller entschlossener Zielfixierung
    schaue ich mehr nach links und rechts
    dank deiner Anwesenheit
    So komme ich mit Schätzen in Berührung
    die des Herzens Fenster weit öffnen

    ֎֎֎

  • Lagebericht

    (28.9.2019)

     

    Betrachte ich bewegt-beunruhigt diesen Haufen
    in goldenen Tretmühlen verloren
    selbstzufrieden, satt, gefräßig
    behäbig beschäftigt mit blendenden Blasen
    in untätiger stumpfsinniger Mitläuferschaft
    an nahen und fernen Verbrechen beteiligt
    blicke ich in diese aufgerissenen dunklen Gründe
    kommt in mir Bitterkeit und Groll gewaltig auf 

    Dann sage ich zu mir wiederholt warnend
    der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge*
    der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser* 

    In solchen schmerzenden Phasen
    brauche ich Tränen klärender als der Frühlingsregen
    einen Blickwinkel breiter als die Ozeane
    einen Standpunkt höher und fester als die Berge
    ein Farbbrett bunter als die Herbstpalette
    In solchen Zeiten brauche ich
    die aufrichtende Wärme der Erde
    die gütigen Augen der Liebe

    ֎֎֎

    * In Anlehnung an Bertolt Brecht: An die Nachgeborenen; 1939 veröffentlicht in Svendborger Gedichte

  • Zärtliche Wärme

    (28.9.2019)

     

    für Heidi

     

    Mitten in der dunklen Nacht
    bin ich erschrocken aufgewacht
    Den Grund wusste ich freilich nicht
    verschwommen war die benötigte Sicht
    Dein zärtlicher Atem war zu spüren
    Deine tröstende Wärme war zu berühren
    Es wurde mir schleunig klar
    Glück ist nah und wunderbar 

    ֎֎֎

  • Gedeihliches Leben

    (16.9.2019)

     

    für Svea

     

    Auf meinem Unterarm
    schaukle ich ein Wunder
    frohgemut hin und her 

    Dein Blick gewinnt täglich
    an willentlicher Aufmerksamkeit
    Ich merke gerührt-glücklich
    dass du deine Umwelt
    umfassender wahrnimmst
    und besser Botschaften abgibst
    Wenn du auf meinem Arm einschläfst
    durchströmt mich tröstliche Wärme
    begleitet von den schönsten Melodien
    meines tanzenden Herzens 

    Immer und immer wieder
    frage ich mich sehnsüchtig suchend
    mit tiefstem Heimweh nach Frieden
    wie wir uns verhalten sollen
    gerade in diesen turbulenten Tagen
    damit zerbrechliche Wesen wie du
    auf diesem Planeten gedeihlich leben
    und ihre wunderbaren Fähigkeiten
    vollkommen entwickeln können

    ֎֎֎

  •  

    Der Taubensee*

    (1.9.2019)

     

    für Heidi

     

    Wunderbare Wesen unserer Zeit
    beratschlagen auf beiden Seiten des Wanderpfades
    diese grünen Kleider der Baumstümpfe und der Berghänge
    diese farbenfrohen Fahnen der Felsen
    Vielgestaltige grüne Blätter
    manche kreisförmig rotbraun oder gelb verziert
    weisen feinste Inschriften auf
    bedeutende Botschaften für Behutsam-Betrachtende
    Bekannte und unbekannte Wegbegleiter
    lehren beharrlich
    das Leben zu begreifen
    das Dasein zu ehren

    ֎֎֎

    * Der Taubensee bei Ramsau

  • Die Saalach

    (1.9.2019)

     

    Andreas Peglau gewidmet*

     

    Gestern waren im Fluss
    drei Stein-Stränge erkennbar
    auf der einen Seite
    oben mit Moos bekleidet
    unten vom Wasser umspült
    in der Mitte
    tief im Wasser schimmernd
    auf der anderen Seite
    im Trockenen die Sonne anbetend
    Heute nach einer regnerischen Nacht
    im tosenden Fluss
    sind die drei Stein-Stränge nicht mehr sichtbar 

    Mitten in dieser verzaubernden Gestaltung
    werde ich vom Zifferblatt der Armbanduhr
    erschütternd daran erinnert
    dass die Vorfahren meiner Landsleute
    vor achtzig Jahren begannen
    ihre verbrämten Verbrechen
    gnadenlos auszuweiten 

    Voller Sehnsucht nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit
    frage ich mich gerührt
    wie viel Menschen auf der Erde
    das faschistische Gedankengut
    bewusst oder unbewusst
    noch in sich beherbergen
    und wie viel Generationenwechsel nötig sind
    damit diese verbrecherische Denkweise
    bedacht bearbeitet
    und schöpferisch beseitigt werden kann

    ֎֎֎

     

  • Wandern

    (1.9.2019)

     

    für Hilmar

     

    Auf Wanderwegen
    von Freunden umgeben
    wesentliche Weltwunder
    mit allen Sinnen wahrnehmen
    Die erlebte Ehrfurcht vor dem Leben
    in alltäglicher Arbeit
    federleicht vielfältig verwenden

    ֎֎֎

  • Ich spreche vom Licht

    Fereydoun Moshiri ( 1926-2000 )

     

    Jeden Morgen,
    sobald das Sonnenlicht über den fernen Bergen emporsteigt,
    breite ich die Flügel aus,
    flinker als die Brise;
    lasse die Botschaft der Morgendämmerung fliegen
    mit hellen, klaren Gedichten.
    Die Menge der Schlafenden
    rufe ich
    mit süßen, lieblichen Liedern. 

    Ich erzähle vom Licht, vom Licht,
    von lebendigem Leben,
    von frischem Atem, von neuem Dasein,
    vom Stolz. 

    Aber im Gedränge der Straße
    verlieren sich meine Stimme und meine Lieder. 

    Dieser und jener sagt:
    „Befreie dich von diesem sinnlosen Bemühen!
    All dieses Schreien ist fruchtlos
    in den tauben Ohren!
    Der Verrückte spricht übers Licht
    mit den Maulwürfen!“ 

    Fremd mit diesem ganzen kalten Gerede
    rufe ich weiterhin geduldig
    die Menge der Schlafenden
    mit Liebe, Freude, Leidenschaft.
    Die Botschaft der Morgendämmerung
    lasse ich fliegen.
    Wohin ich auch gehe,
    spreche ich diesem und jenem ins Ohr,
    sogar im Gedränge der Straße,
    vom Licht,
    vom Licht.

    ֎֎֎