Gabriele Stotz-Ingenlath Dr. med. Dr. phil.
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Azaleen
Sie blühen eben im Verborgenen,
unzugänglich:
Die Gewächshäuser sind derzeit geschlossen
wie Museen, vielbesuchte, engräumige.
So entfalten sie sich üppig ungesehen,
dem hiesigen Vorfrühling exotisch voraus,
umsonst umgepflanzt aus dem Osten
und gezüchtet in Abendlandböden –
zu wessen Freude denn nun?
Dabei bräuchten wir genau jetzt
ihre Spur von Rosa im Dunkel,
ihre Blütenkränze in der Begrenzung.
Sind sie auch schön ohne Betrachter?
Urbi et orbi
Mehr kann er nicht tun.
Ein Äußerstes an Segen und Gebet –
für den Erdkreis, den heimgesuchten.
Es ist eine blaue Stunde,
der Regen fällt,
der weitläufige Platz ist menschenleer,
der Baldachin ist weiß wie sein Gewand.
Er sitzt allein, versunken, gebeugt
und bringt die Angst, den Tod, die Not
vor Gott.
Man nimmt ihm die Verbundenheit ab.
Wird die Last abgenommen –
vor dem Pestkreuz des Mittelalters,
zu dem so viel Gepeinigte schon aufsahen,
vor der Ikonen-Mutter in Gold,
zu der sie namenlos flehten?
Er nimmt uns mit
ins Innerste möglichen Glaubens,
in die gesuchte Heimat.
Schwarzer Tod
Dem Sterbenden nahe zu sein,
die Nahestehenden zu umarmen,
gemeinsam Abschied zu nehmen –
geht nicht.
Nehmt Abstand
von natürlichen Reflexen,
von Bedürfnissen nach Trost,
von Ritualen!
Der Sterbende geht ohnehin allein hinüber,
begleitet und getragen
von Gedanken, Gefühlen, Gebeten und Geborgenheit –
so Gott will.
Aber wie damals zu archaischen Seuchenzeiten
geht es nicht,
das entgleitende Kind nicht zu umarmen,
dem Bruder nicht von den Lippen zu lesen,
der uralten Mutter nicht die Augen zuzudrücken.
Und es muss doch gehen – um des Lebens willen.
Dann nimm sie hin, Tod!
Uns bleibt der Stachel –
bis zum lichten Ostertag.
Wie damals
So viele Richtlinien und Empfehlungen,
so viele Verbote.
Es gibt wieder Denunzianten, besonders brave,
und solche, die zu hinterfragen wagen,
dass die Welt gleichsam stillsteht.
Es gibt wieder die gleiche Ratlosigkeit,
die nach starken Worten und klarer Führung verlangt,
eine Unsicherheit wie sich zu verhalten,
das unbehagliche Gefühl, beobachtet zu werden
und massig Informationen,
ganze Schaltbäume an Verhaltensmaßregeln,
die wie immer keiner liest.
Man versucht, der Angst Herr zu werden.
Jetzt ist die Zeit der Pragmatiker und der Bürokraten,
die die Ungewissheit in Regeln bannen.
Widerstand aber ist kaum möglich,
denn die Macht, gegen die es zu kämpfen gilt,
ist keine menschliche.
Broken wings
Eingesperrt – so empfand er sich,
isoliert – fühlte sich das Leben an.
Energie vibrierte,
die virtuellen Welten genügten nicht.
Immer nur verzerrte Gesichter auf Bildschirmen.
Reden, Nachrichten schreiben – das war nicht Seines.
Mit der Gruppe um die Häuser ziehen,
in Parks zusammensitzen bei Musik,
per Handschlag sich verständigen von Jugend zu Jugend:
das wäre es, das ist es.
So schlug er mit der flachen Hand aus Wut an die Wand –
und brach sich den Arm.
Die Welt räumt auf
Die Welt räumt auf
in ihrer Unordnung
Die Welt steht still
in ihrer Hetze
Die Welt ist ratlos
in ihrer Autonomie.
Aber zu all dem gab Gott die Sonne
nahezu jeden Tag in der Krise.
Und es war gut.
Gefährliche Hilfe
Aus dem Haus wagt er sich kaum noch,
aber so viele Male wird er das Blühen nicht mehr erleben und
so macht er sich auf in die Sonne,
um die Blüte festzuhalten im Bild
für sein Wohnzimmer, das er kaum noch verlassen soll.
Dabei stolpert er und fällt.
Ein junger Mann stürzt herbei und hilft ihm auf –
ganz nah kommt im dankbaren Lächeln
Gesicht zu Gesicht.
Quarantäne
Vierzig Tage in der Wüste,
Fastenzeit, Osterzeit –
vierzig Tage hält der Mensch Ausnahmezustände aus,
dann geht es nicht mehr,
dann verwüstet die Wüste,
dann mergelt der Hunger aus,
dann würden sogar Feiern zu viel.
Die Alten hatten Augenmaß.
Sie bemaßen die Zeit weise
und ließen Rückkehr zu
zum Altgewohnten
mit neuen Augen.
Welttheater
Nun sind das Erste und das Letzte,
was sie sehen auf dieser Welt
Masken,
über denen Augen schauen,
glänzend, verschwimmend und forschend.
Augen nur.
Der Lebensatem der Welt
Ist getrennt, verhüllt und je eigen.
So einsam sind Kinder und Sterbende heute
mit ihrem Selbst
und der eigenen Rolle
bei Auftritt und Abgang
auf der Bühne des Lebens.
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Ein Hypochonder in Zeiten der Coronaviren
Die Gasmaske hat er bereitgelegt,
stündlich nimmt er neue Informationen auf,
geht in Gedanken Infektionswege durch.
Wovor denn haben Sie solche Angst?
Er zögert kurz: Vor Leid und Tod.
Fürchten wir das nicht alle – diffus, vage, unbewusst?
Hilflos.
Und nun haben Leid und Tod einen Namen und eine Form,
ein Virus ist es, das man nachweisen,
gegen das man den Kampf aufnehmen,
dessen Ausbreitung man vermeiden
kann.
Weltweit schwenken alle ein in die Endstrecke des Nachdenkens
über etwas Konkretes, Nachweisbares, Sichtbares, Fassbares.
Vielleicht überleben ja nur die Paranoiden, meint er,
weil sie sich konsequenter schützen.
Wäre das zu wünschen?Heimat
In der ganzen Welt ist man unterwegs,
international tauscht man sich aus und
auf Reisen findet man zum eigenen Selbst.
Wenn aber Not auftritt, weltweit,
zieht es einen zurück in die Heimat
und man wird zurückgeholt
in die eigene Nation.
Verantwortung wird übernommen
Im eigenen Land,
in dem je eigene Erlasse gelten.
Die Grenzen werden dicht gemacht,
jedes Land steht für sich, steht ein für seine Bürger.
Und schaut doch zu den Nachbarn im Vergleich.
Wer schützt, wer behandelt, wer verhindert besser?
Dabei ist es ein Virus,
das überall gleich im Austausch ansteckt
über Nationsgrenzen hinweg
die Welt betrifft:
Unsere gemeinsame Heimat.Besuchsverbot
Oft wurden sie ohnehin nicht besucht.
Alleinsein – das kennen sie;
die Stille, den Blick aus dem Fenster
in lichte, grüne, bunte, dörre Blätter,
Rollgeräusche und Rufe am Gang,
ungerichtet, ungehört.
Zum Waschen kommt jemand, zum Essen, zum Anziehen.
Griffe: geübt, fest, effektiv.
Aber manchmal, ach manchmal, klopfte es
und jemand sprach sie an, mit Vornamen,
mit dem eigenen Namen, wie ihn die Mutter aussprach oder das Kind.
Und dann traten die Erinnerungen ein,
schöne allzumeist,
Blumen hatten Farben und Duft,
ein Gesicht sah sie an, eilig, aber es sah sie an,
da blieb die Zeit stehen,
da kam Freude auf,
da war das Leben zu spüren.
Nun kommt niemand mehr.
Besuch könnte den Tod bringen.
Und?
Er käme mit Blumen, Lächeln und Leben.
Nun sterben sie allein vor sich hin.Häuslichkeit
Einer der Großen hat gesagt,
das Unglück der Menschen rühre daher,
dass sie nicht allein mit sich in einem Zimmer sein könnten.
Nun sind die Züge leer und die Flughäfen,
auf einmal ist dem exzessiven Reisen ein Ende gesetzt,
auf den Bühnen wird noch versucht zu spielen
ohne Resonanz und Applaus im Zuschauerraum
(das ist nicht, wozu Theater gedacht ist),
in Espressobar und Pizzeria,
Stammlokal und Pub
stehen Stühle auf Tischen
wie in leeren Schulen.
Und auch Spaziergänge ohne Ziel sind bald untersagt.
Wie gestaltet sich wohl die neue Häuslichkeit?
Nicht jeder liest, liebt, lacht mit andern.
Von (zu viel?) Außen auf die eigene Innerlichkeit
zurückgeführt hat jeder nun zu Hausaufgaben
Zeit und Raum und
die Chance,
neu und anders sich selbst und womöglich Glück zu finden
und den Großen zu widerlegen
oder auch nicht.Angst
Wer keine Angst hat, ist dumm –
hat sie gesagt, die kluge, reflektierte Lehrerin.
Der denkende Mensch kennt Risiken,
Vorsicht und – maßvolle Nachsichtigkeit.
Aber adäquate Sorge kann kippen in krankhafte Angst.
Und dann dominiert sie unweigerlich den Verstand.
Alles, was ich tun kann derzeit ist,
in der Sprechstunde
Patienten die Frage
Haben Sie selbst denn Angst?
umsichtig
mit Nein zu beantworten.Vergesst die Seele nicht!
Da gibt es Zahlen und Figuren,
das Virus ist entschlüsselt,
Form und Übertragungswege sind bekannt.
Tröpfchen.
Abstrichgewebe.
Lungenversagen.
Abstand, Abwehr, Antikörper.
Kein Händereichen, kein Kontakt, kein Treffen,
keine Arbeit, kein Zusammensein,
um den Körper zu schützen vor Körperlichem.
Bleibt gesund
ist Gruß und Wunsch und erste Pflicht,
für die Staaten in die Knie gehen.
Doch ist der Mensch Körper allein?Das Böse
Das Böse kann sich allein nicht verwirklichen,
wie ein Virus
muss es sich eines Wirts bemächtigen –
selbst unfertig, nicht existent ohne Ergänzung,
Membranlos konturlos
überlebt es nur schmarotzend im Wirt.
Hat der es als solches kennengelernt,
als etwas Wesensfremdes,
kämpft er dagegen, stößt es ab und lässt es nicht wieder ein,
gibt ihm keine Herberge mehr.
Und wenn das Böse sich doch einnistete,
zerstört es seine Herberge,
aber der Wirt zieht weiter
ins Weite
und lässt es zurück.Planbarkeit
Sparpreise der Bahn gibt es ein Jahr im Voraus,
Urlaube werden gebucht für den übernächsten Sommer.
Save the dates gelten weit in die Zukunft
im virtuellen Kalender.
Kinder werden geplant und das Sterben.
Das Leben als Abfolge wohlüberlegter, vorentschiedener Termine.
Jetzt tritt Corona auf den Plan und auf die Pläne, –
die Kalender verlieren ihre Macht.
Eintragungen verfallen;
Was, wenn einem durchorganisierten Leben
die Organe versagen?
Wie schwer Menschen von heute das jeweils fallen mag,
vielleicht ist es auch leicht,
sich fallen zu lassen ins Hier und Jetzt
des Schöpfungsplans.Ruhe vor dem Sturm
Es ist wichtig, und sie haben es wichtig,
es ist notwendig, und sie haben ihre liebe Not:
Retter in Weiß sind aktiv bis zur Erschöpfung,
Stationen werden leergeräumt,
ganze Krankenhäuser neu geschaffen,
Betten aufgerüstet,
Monitore angeschlossen,
ohne Ende wird organisiert.
Wir warten auf den Ansturm.
Und wenn er aber kommt?
Und wenn er aber nicht kommt?Fledermaus
Es war die Fledermaus.
Skrupellose Forscher haben Versuchstiere auf den Markt entsorgt.
Es war die Ernährung.
Sie essen aber auch alles dort, Reptilien und Schlangen.
Es war Waffe.
Ein Virus – gezüchtet und in die Welt gesetzt, um Großmächte zu schwächen.
Es war Tabu.
Die Ansteckungsgefahr wurde verheimlicht von der Macht.
Es war der Teufel am Ende,
der Gottesdienste und Glauben zu zerstreuen versucht.
Es ist das Kausalitätsbedürfnis der Menschen,
wenn sie Gründe suchen für den Alptraum des Geschehens,
das sich ihrer Einflussnahme entzieht.
Es waren einmal Theorien.
aber nun ist es, wie es ist.
Und was die Fledermaus uns sagen will,
können wir nicht hören.Reset
Man darf Freiheit nur zeitlich begrenzt einschränken,
sonst erträgt der Mensch es nicht.
Er braucht die Hoffnung auf eine Zeit danach,
wenn die Gefahr vorüber ist,
wenn alles wieder gut wird und schön.
Wie Kinder aus Krankheiten gewachsen hervorgehen,
wird der Mensch nach der Krise anders sein.
Er wird verstanden haben,
was und wer im Letzten trägt.
Er wird dankbar sein
und er wird wieder ein bisschen mehr
lieben.