Autor: Siegbert Kardach

  •  

    Über das Schriftbild der Ärzte – vornehmlich traditionelle Rezepte und Unterschriften betreffend – gehen die Meinungen auch wohlmeinender Betrachter nicht weit auseinander. Den Medizinern wird allgemein eine schlechte und vor allem unleserliche Handschrift attestiert. Das hat Ursachen in der Hatz des beruflichen Alltags, was das erwähnte Urteil allerdings auch nicht mildert. Doch es gibt rühmliche Ausnahmen.

    Mein verehrter klinischer Lehrer Professor August Sundermann – weit bekannter und strenger Ordinarius für Innere Medizin an Erfurts nunmehr erfolgreich beerdigter Medizinischer Akademie, Erzieher vieler Studenten und Ärzte – hatte selbst ein bemerkenswert schönes und deutliches Schriftbild. Zusätzlich fesselte er in seinem Kolleg und bei wissenschaftlichen Vorträgen mit wohlverständlicher Artikulation der Sätze. Zu Ärzten und Studenten, die handschriftliche Texte oder ihre Unterschriften nicht lesbar oder in abstrakter Form zu Papier brachten, sagte er ironisch: „Schämen Sie sich Ihres Namens, dass Sie ihn so unlesbar entstellen, oder können Sie nicht richtig schreiben?“

    Im Übrigen forderte er – wie jeder verantwortungsbewusste Lehrer – generell für alle und von allen eine lesbare Schrift und verständliche Aussprache. „Denn Sprache und Schrift sollen zur Verständigung der Menschen dienen und nicht zur Verschleierung von Identität, Gedanken und Problemen!“

    Womit er nicht nur die Mediziner in die Pflicht nahm. Und, recht überlegt, scheint das Sundermannsche Credo immer mehr an Bedeutung zu gewinnen.

     

    Aus Kardach, Medizin tropfenweise, Peter-Stein-Verlag, Weimar.

    Copyright Dr. Siegbert Kardach

  •  

    Auch unser tägliches Befinden ist gespalten. Einmal in unser eigenes Hoch und Leiden. Zum anderen werden wir stark beeinflusst vom Befinden anderer, die uns unmittelbar begegnen. Manchmal ist dann deren Befinden schon unser eigenes. Nicht, weil wir keinen Charakter hätten, sondern weil andere ihren nicht immer ausgeglichenen Charakter wie einen schweren Schmiedehammer auf unseren sensiblen Amboss der Empfindsamkeiten schlagen.

    Umgekehrt geschehen, würden diese seelischen Schlägertypen schon nach kurzer Zeit zusammenbrechen.

    Dann sähe wohl die kleine Welt um uns herum noch zerstörter und unharmonischer aus. Und dementsprechend auch unser tägliches Befinden.

    Aus Kardach, Medizin tropfenweise

    Copyright Dr. Siegbert Kardach

     

  •  

    Der Deutsche hat zwei sehr unterschiedliche Charakterseiten, die aber eigentümlicherweise zusammengehören. Einesteils neigt er zum unkontrollierten Herrenmenschen, der Weltkriege vom Zaun bricht und menschenmordende, perfektionierte Massenvernichtungssysteme ausklügelt und zulässt.

    Zum anderen leidet er an einem gemischten Anbiederungs-Selbstaufgabe-Selbstverleugnungssyndrom, garniert mit erstaunlicher Klagfähigkeit und Selbstbemitleidsphasen.

    Trost – wenn auch keine Absolution – können wir Deutsche bei einigen bemerkenswerten Menschen unserer Geschichte finden, die sich in bestimmten, charakterfordernden Situationen politisch und privat verweigerten und Widerstand geleistet haben. Diesen verdanken wir eine angemessene Form von Selbstachtung.

    Zum Glück vergisst die internationale Kritik nicht deutsche Dichter, Denker, Musiker, Maler, Wissenschaftler, aber auch Sportler, deren Leben und Leistungen die Welt- und Kulturgeschichte wesentlich bereichert haben.

    Ergo: wenn wir allen Völkern mit notwendigem Respekt begegnen, positive Lehren aus unserer wechselvollen Geschichte ziehen und auch normalen Umgang mit uns selbst pflegen, haben wir Deutsche keinen ersichtlichen Grund, uns nicht zu mögen.

     

    Der Text stammt aus Kardach, Tropfenweise Medizin, Peter-Stein-Verlag, Weimar.

    Copyright Dr. Siegbert Kardach