Kategorie: Prosa

  • Ein Beitrag zur Lesung Gehen oder Bleiben beim BDSÄ-Kongress in Gummersbach 2017

     

    Ein Blütentraum 

    Immer, wenn ich durch Schönhagen fuhr, der an dem verzweigten See gelegenen Stadt mit einer doppeltürmigen Kirche, stieg in mir die Erinnerung an Dich auf.

    Bevor der Zug hielt, blickte ich in die Bahnhofstraße, eine Allee mit japanischen Zierkirschen, die zur Blütezeit im Mai mit ihrem strahlenden Weiß-Rosa die Seele heller leuchten ließ.

    Und wenn der Zug hielt, schaute ich auf den Bahnsteig hinaus. Aber ich sah Dich nie.

    Hätte ich aussteigen sollen, um Dich zu suchen? Nein. Das Leben war anders gelaufen. Ich hatte schließlich Familie, Kinder, eine interessante Arbeit.

    Und doch. Ich musste an Dich denken.

    Warum bin ich nicht bei Dir geblieben? Du warst so großartig. Dir vor allem verdanke ich  so wunderbare Erlebnisse und Gefühle. Wir konnten so herrlich miteinander lachen. Was haben wir nicht alles gemeinsam unternommen!

    Du warst nicht nur schön, sondern auch klug. Das in einer Person, sagte mein Vater, finde sich selten.

    Du spieltest Flöte und machtest mich mit Musik vertraut, die ich nicht kannte. Ich war fasziniert davon, wie Du die richtigen Finger im richtigen Moment auf die richtigen Öffnungen setzen konntest, damit der richtige Ton entstand. Ich durfte auch probieren, aber es kam nur ein Quietschen zustande.

    Als wir in Berlin waren und Du mich in die Staatsoper zum Violinkonzert von Mendelssohn-Bartholdy führtest, lernte ich eine ganz andere Welt kennen. Aber als Du mir die Schallplatte mit diesem Konzert, Du hattest sie unter Schwierigkeiten gerade erst erworben, eine Woche  später vorspieltest, kam mir die Musik nur „irgendwie bekannt“ vor.

    Du warst mir in dieser Beziehung über, ebenso beim Anhören von Balladen, die Peter Anders sang. Und Du verfolgtest sogar alles auf der Partitur.

    Ich besitze diese Schallplatten noch und höre sie zuweilen.

    Weißt Du noch, als wir zelteten? Nachts kamen Wildschweine. Ohne Dich hätte ich mich nicht getraut, sie zu vertreiben. Wir gingen dann noch am See entlang. So schön hat der Mond – ganz nahe, groß und orangefarben leuchtete er – nie wieder geschienen. Über dem Wasser zogen zarte Nebelschwaden dahin. Beim Fangen von Glühwürmchen glitten wir ins schon etwas feuchte Gras, was wir erst später bemerkten. So laue Nächte gab es niemals mehr.

    Als wir einmal an den FKK-Strand gelangten, bedeutetest Du mir, dass das noch nichts für mich sei.

    Nun ja, von zu Hause kannte ich Nacktbaden nicht. Aber Du warst doch ohne Badeanzug noch viel schöner als mit. Deine ebenmäßigen Beine waren an den Waden mit kleinen schwarzen Fusselhaaren bedeckt. Du hattest es gerne, wenn ich sie Dir streichelte. Heute rasieren sich die Mädchen diese Haare ab und erinnern mich an Nacktschnecken.

    Oh, und die Leberflecke auf Deinem Rücken sahen aus wie das Sternbild der Waage. Du hattest gescherzt: „Wer waagt, gewinnt.“

    Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass Du die Gans zum Mittag im Backofen braten musstest. Deine Mutter wollte mir wohl zeigen, dass Du auch kochen konntest.

    Und ich durfte die braun gebratene Gans zerlegen. Vermutlich wollte Deine Mutter sehen, ob ich das Tranchieren beherrsche.

    Als ich den ersten Flügel abtrennte, kam noch Blut aus dem Gelenk. Die Gans war nicht gar geworden. Ein Schreck für Deine Mutter und vor allem wohl für Dich. Und sofort erklärtest Du, dass wir Chinesisch essen würden. In China würde, jedenfalls bei Ente, nur die Oberschicht mit der Haut in Oblatenstärke abgetrennt und verspeist. Das hattest Du gelesen, wie Du mit später verraten hast. Wir aßen also Chinesisch und die Situation war gerettet.

    Später haben wir noch oft darüber gelacht, vor allem über das Gesicht Deiner Mutter.

    Du konntest auch so unbeschwert tanzen. Unvergesslich, Dich in den Armen zu halten.

    Als Du auf dem Betriebsfest, wohin ich Dich mitgenommen hatte, in Deinem weißen Kleid mit dem wehenden Rock allein weiter tanztest, weil Du nicht bemerktest, dass die Musik gar nicht mehr spielte, bildeten die Anwesenden einen Kreis und klatschten im Takt. Und mein Chef, verheiratet, drei Kinder, sagte zu mir: „Schauen Sie sich das an! Da bekommt man doch gleich Lust auf was Neues.“

    Ach, Deiner Mutter hattest Du auf eindringliche Nachfrage erzählt, ich hätte versucht, Dich zu küssen. Dabei hatten wir uns längst geküsst. Und wie!

    Deine Mutter stellte mich zur Rede: ob denn das jetzt schon sein müsse? Brav und etwas eingeschüchtert hatte ich verneint, wurde aber rot bei dieser Lüge.

    Ich musste an den Tag denken, den wir bei meinen Eltern, als sie im Urlaub waren, im wesentlichen im Bett verbrachten, so wie Klärchen und Wolfgang in Kopenhagen. Du hattest lächelnd aus dem Fenster in den blauen Himmel geschaut und festgestellt: „Ihr habt aber eine hübsche Stadt hier.“

    Und haben wir nicht herrlich verspielt mit Deiner kleinen Schwester herum getollt? Sie hing an mir wie an einem großen Bruder. Oder – ich war ganz erschrocken bei dem Gedanken – wie an einem Vater?

    Einmal hatte sie Schluckauf, schon seit Stunden. Tiefes Einatmen und Luftanhalten hatte nicht geholfen. Da nahmst Du die Sache in die Hand:

    „Leg Dich mal hin“, sagtest Du. „Die Augen schließen. Tief einatmen. Die Luft anhalten. Und an den Schluckauf denken. Wie sieht er aus? Welchen Mund hat er? Wie groß ist seine Nase? Siehst Du ihn? Ganz dunkelgrün ist er.“

    Deine Schwester nickte.

    „Nun fliegt er in den Himmel, an den Kuschelwolken vorbei, wird immer kleiner. Weg ist er.“

    Und tatsächlich, der Schluckauf war verschwunden.

    Deine Schwester fragte ungläubig: „Woher hast Du gewusst, wie er aussieht?“

    Du hattest Deine langen Wimpern bedeutsam auf und zu geklappt und geantwortet: „Ich wusste es nicht, ich habe es nur geahnt.“

    Warum war unsere Liebe eigentlich verschwunden?

    Manchmal dachte ich, sie ist gar nicht zu Ende gegangen.

    Warum geht eine Liebe überhaupt vorbei? Und warum beginnt sie? Wieso verliert am Beginn alles bisher Gewesene seine Bedeutung?

    Als Du mir in einer dunklen Nacht ins Ohr flüstertest, Du wünschtest Dir ein Kind von mir, hattest Du mich damit erschreckt. Du dachtest ans Heiraten. Und ich wollte nicht, jedenfalls noch nicht. Bindungsangst nennt man das wohl.

    Ich verhielt mich zögerlich bis ablehnend, wollte plötzlich nach Hause.

    Du hast mich zum Bahnhof begleitet und geweint. Der Zug fuhr erst in einer Stunde. Die ganze Zeit hast Du geweint.

    Dann sah ich Dich nie wieder.

    Aber immer, wenn ich durch Schönhagen fuhr, warst Du mir wieder nah.

    Dein Lachen erinnerte mich an unsere glücklichen Zeiten. Dein Weinen weckte Schuldgefühle in mir.

    Ich bin Dir unendlich dankbar.

    Du hast mir die Augen geöffnet für Donizettis „Liebestrank“, für die Musik von Mendelssohn-Bartholdy im „Sommernachtstraum“ und für den großen Geiger und Dirigenten Yehudi Menuhin. Für Kurt Masur – noch in Berlin – mit „Le Sacre du Printemps“ von  Strawinsky und Manfred Krug in „Porgy and Bess“, für die Felsenstein-Inszenierungen an der Komischen Oper insgesamt. Für Wolf Kaiser als Mackie Messer und Helene Weigel als Mutter Courage im Berliner Ensemble. Für die ganze Kulturszene überhaupt. Und für viele andere Dinge des Lebens und Liebens, deren ich mir erst nach Dir bewusst wurde.

    Heute fuhr ich wieder durch Schönhagen.

    Zu Füßen der japanischen Kirschbäume war ein Meer von Blütenblättern zu rosafarbenen Schneehaufen aufgetürmt. Die Äste wirkten noch ein wenig kahl, denn erst jetzt, nach der Blüte, begannen die ersten Blätter zu sprossen.

    Wie gewohnt, sah ich auf den Bahnsteig, um nach Dir zu schauen.

    Ein heißer Schauer durchfuhr mich. Da standest Du. Schlank wie eh und je. Die dunklen Haare immer noch sportlich kurz. Deine Augen wie Kohlen. Dein Lachen  dunkler als früher.

    Ich stürzte aus dem Zug, als zum Einsteigen aufgerufen wurde, und eilte auf Dich zu.

    Fast, aber eben nur fast, hätte ich Dich umarmt.

    Ich sah Deinen Mund mit den senkrechten Falten in der Oberlippe. Es war der Mund meiner Mutter. Hab ich Dich deshalb geliebt? Gibt es tatsächlich so eine Prägung?

    „Hallo, erkennst Du mich nicht?“

    Du gucktest verständnislos.

    „Ich bin es. Georg Falkenstein!“

    Erkanntest Du mich wirklich nicht? Na ja, 50 Jahre sind eine lange Zeit. Ich war fülliger geworden, eben älter, hatte keine Haare mehr auf dem Kopf und trug eine Brille.

    Du sagtest: „Falkenstein? Georg Falkenstein? Irgendwo muss ich den Namen schon einmal gehört haben.“ Dabei schütteltest Du leicht den Kopf.

    Und Du gingst davon, erst langsam, dann immer schneller.

     

  • Beitrag zur Lesung über das Thema Gehen oder bleiben

    BDSÄ-Kongress Mai 2017

    Vorbemerkung: Mein Freund Ronald hat mir ausdrücklich erlaubt, diese Geschichte hier vorzutragen.

    Die emotionale Hürde

    Ronald rief mich an:

    „Du hast doch Erfahrung mit Patientenverfügungen. Ich brauche Deinen Rat.

    Meine Mutter lebt in Kanada mit ihrem zweiten Mann. Vor ein paar Tagen ist sie in der Küche gefallen und hat sich eine Kopfplatzwunde zugezogen. Ihr Mann rief den Krankenwagen, man brachte sie in die Klinik, dort wurde die Wunde genäht. Dann haben sie meine Mutter wieder entlassen. Ein paar Stunden später stürzte sie noch einmal und verletzte sich wieder. Als sie jetzt in das Krankenhaus kam, hatte einer der Ärzte die Idee, ein Computertomogramm vom Schädel zu machen. Dabei stellten sie eine große Hirnblutung fest, und Mutter wurde stationär aufgenommen.

    In den folgenden Stunden verschlechterte sich ihr Zustand rapide, und sie starb.

    Mein Stiefvater war natürlich völlig entsetzt, er fuhr aber schließlich nach Hause. Am nächsten Morgen wollte er beim Bestattungsinstitut die Beerdigungsformalitäten regeln. Der Bestatter sagte nach einem Blick in seinen Computer:,Ihre Frau ist nicht als tot gemeldet. Sie lebt noch.`

    ,Nein, nein, sie ist tot! Ich war dabei, als sie starb!`

    Der Bestatter blieb bei seiner Meinung: ,Sie würde hier auf meiner Liste stehen, wenn sie tot wäre. Bitte gehen Sie noch einmal zur Klinik, und vergewissern Sie sich!`

    Mein völlig verunsicherter Stiefvater fuhr zur Klinik. Dort traf er auf die Krankenschwester, die beim Sterben meiner Mutter anwesend gewesen war.

    Sie erschrak beim Anblick meines Stiefvaters und berichtete stockend:

    ,Ich habe Ihre Frau nach ihrem Tod zugedeckt in den Raum für Verstorbene geschoben. Als ich eine Weile später kam, um sie zu waschen, hörte ich ein Röcheln unter der Decke. Ihre Frau war tief bewusstlos und atmete ganz flach. Ich schlug sofort Alarm, und wir brachten sie auf Station. Dort liegt sie jetzt.‘

    Ein Arzt erklärte meinem Stiefvater, es sei ihm völlig unklar, wie es nach dem festgestellten Tod noch einmal zur Spontanatmung hatte kommen können. Dieser jetzige Zustand könne noch lange anhalten. Vielleicht sogar Wochen und Monate. Eine Hoffnung auf Heilung habe er nicht, die Hirnblutung sei viel zu ausgedehnt. Wenn Mutter überleben würde, dann nur schwerst hirngeschädigt.“

    Ronald machte eine kurze Pause, dann fragte er: „Wie sollen wir uns verhalten, was soll ich meinem Stiefvater raten? Soll die Ernährung fortgeführt werden? Sollen Medikamente gegeben werden?“

    „Zuerst will ich dir sagen, wie leid mir diese Situation tut. Das ist eine echte Schock- und Horrorgeschichte. Gibt es eine Patientenverfügung?“

    „Ja, die gibt es, und meine Mutter hat ganz klar verfügt, dass sie in einem hoffnungslosen Krankheitszustand keine lebens- und leidensverlängernden Maßnahmen will.“

    „Dann ist nach deutschem Recht die Situation ganz klar. Ernährung anzuordnen, zum Beispiel intravenös oder mit Magensonde, und Medikamente zu geben, sind ärztlich anzuordnende Leistungen. In dem vorliegenden Fall würden Ernährung und Medikamente das Leben und vielleicht sogar das Leiden verlängern. Die Ärzte dürfen also gar keine Ernährung und Medikamente geben, da dies gegen den erklärten Willen deiner Mutter geschieht.

    Die entscheidenden Fragen bei jedem neuen Medikament oder jedem neuen Ernährungsbeutel sind:

    • Darf ich diesen nächsten Beutel, dieses nächste Medikament geben?
    • Nützt es dem Patienten?
    • Würde der Patient das jetzt wollen?

    Es geht nicht darum, ob das Medikament oder die Ernährung objektiv wirkt, sondern ob sie subjektiv nützen. Und über den Nutzen entscheidet allein der Patient.

    Nach deutschem Recht sind Ernährung und Medikamentengabe gegen den erklärten Willen des Patienten vorsätzliche Körperverletzung nach §223 StGb. Ich vermute, das ist nach kanadischem Recht auch so. Aber das kann man ja fragen.“

    Ronald sagte erleichtert: „Diese Antwort habe ich erwartet. Danke, dass du das so klar formulierst. Was soll ich tun?“

    „Schlage deinem Stiefvater vor, mit der Patientenverfügung zu den behandelnden Ärzten zu gehen und sie auf die Vorschriften deiner Mutter zur Therapie in dieser Lebensphase aufmerksam machen. Er sollte sie bitten, die Ernährung und die Gabe von Medikamenten einzustellen. Wichtig ist eine sorgfältige palliative Versorgung, die für Beschwerdefreiheit sorgt. Dann wird sie in den nächsten Tagen, vielleicht sogar innerhalb eines Tages sterben. Das ist meiner Meinung nach das Gnädigste, was Ihr für sie noch tun könnt. Sie hat es so verfügt, deshalb müsst Ihr es so machen.

    Das Therapieziel ist nicht mehr, die Frau am Leben zu halten und zu heilen, sondern es hat sich durch die sehr schlechte Prognose verändert. Jetzt besteht das Therapieziel darin, der Patientin zu helfen, damit sie möglichst beschwerdefrei sterben kann.“

    Wir wechselten noch herzliche Worte, und ich bat Ronald, mich über den weiteren Verlauf zu informieren. – Ein paar Tage später rief er mich wieder an:

    „Mein Stiefvater ging in die Klinik und wollte mit den Ärzten sprechen. Er war sich völlig klar darüber, dass es seine Aufgabe war, jetzt den vor Jahren gemeinsam verfassten Beschluss umzusetzen und die Ärzte um eine Beendigung der Therapie zu bitten. Aber er brachte es nicht über´s Herz, den Ärzten diese Entscheidung zu vermitteln. Denn er sah plötzlich den Konflikt, dass er dann entscheiden müsste, dass JETZT die Flüssigkeitszufuhr abgestellt wird. Er hatte das Gefühl, damit den Todeszeitpunkt durch Verhungern zu bestimmen. Und dies, obwohl er wusste, dass der natürliche Verlauf diesen Zeitpunkt bestimmen würde.

    Also verließ er die Klinik, ohne den Ärzten den Beschluss in der Patientenverfügung mitzuteilen. Er sagte zu mir: ,Lass mich noch ein paar Tage warten. Ich hoffe, dass die Natur einen gnädigen Abschluss findet.`“

    Die Mutter starb einen Tag später bei laufenden Infusionen.

     

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    Mein Beitrag zur Lesung  „Plötzlich war alles ganz anders“

    Moderation Hans Brockmann

    Samstag, 27. Mai 2017

    BDSÄ-Jahreskongress Gummersbach

     

     

    Der Bläuling

    An diesem Nachmittag lag meine Stimmung etwas unter der Mittellinie. Ich war müde und wusste, dass mir noch eine Nachtsprechstunde in der Notfallpraxis bevorstand. Nach einem Schläfchen auf dem Sofa saß ich wieder am Schreibtisch, um einen Beitrag über Donald Trump zu überarbeiten, den ich zu der Lesung von Hans Brockmann zum Thema Plötzlich war alles anders geplant hatte. Ich spürte, dass ich nicht richtig vorwärts kam. Die schlechte Laune, die ich bei meinen Gedanken an diesen malignen Narzissten Trump verspürte, bremste mich. Ich überlegte, ob ich einfach aufstehen und etwas anders tun oder über etwas ganz anderes schreiben sollte. Aber worüber? Mir fiel nichts ein. Das ist der typische Moment, in dem ich auf eine Eingebung zur rechten Zeit hoffe und bereit bin, einfach abzuwarten. Ich stand auf und wollte mir in der Küche eine Tasse Kaffee machen, da zeigte eine Meldung am PC, dass mein Freund Giovanni eine E-Mail geschickt hatte. Ich las die kurze Nachricht. Dann erkannte ich, dass die Post einen Anhang trug.

    Giovanni ist Künstler und erfreut Birgit und mich immer wieder mit seinen Bildern.

    Ich öffnete die Datei. Und plötzlich war alles ganz anders.

    Da flatterte ein Schmetterling auf eine Feige zu und füllte mit seinen blauen Flügelchen etwa ein Drittel des Blattes. Die Zartheit der Stimmung erfasste mich sofort, und ich spürte meine Begeisterung über diese unverhoffte Begegnung. Mein erster Gedanke war: So will ich das fotografieren! Giovanni hatte mit seinen Augen fotografiert und dann mit Wasserfarben diesen Schmetterling aufs Blatt gezaubert.

    Ja, richtig: Für mich ist seine Art zu malen eine Form von Zauber, vom dem eine Faszination ausgeht, die mich zum Hinschauen, zum Verweilen verführt.

    Giovanni weiß um meine Liebe zur Fotografie und zu Naturaufnahmen. Letztes Jahr hatte ich ihm von meinem Plan erzählt, ein Buch mit eigenen Schmetterlingsfotos zu gestalten. Da schenkte er mir ein Taschenbüchlein mit Gedichten und Prosatexten von Hermann Hesse über Schmetterlinge. So übernahm ich einige Texte in das Buch.

    Und jetzt dieser herrliche Bläuling! Es muss ein Bläuling sein, kein anderer Schmetterling hat solche hellblauen Ober- und Unterseiten. Obwohl die Konturen nur angedeutet sind, filigran umrissen und unvollständig ausgemalt, ergänzt mein Auge alles, was nicht in Einzelheiten gezeichnet ist. Die Flügel muten an wie bei den Glasflüglern, deren Flügel durchsichtig sind und wie Glasblättchen von einem feinen Rahmen gehalten werden. Die Beine und Fühler des Schmetterlings sind durch feinste Striche skizziert, der hellbraungrüne Leib mit zartester Struktur dem Insekt auf den Leib gepasst. Man sieht die Einkerbungen der Ringe, und doch sind sie nur hingetupft. Auch die geschlossene Feige mit ihrer dunkelvioletten Schale ist nicht voll ausgemalt. Da fehlt ein Stück Farbe, und genau das wirkt wie ein kleiner Lichtschimmer auf der Fruchthülle. Der Stängel der Pflanze ist nur mit einem Strich dargestellt, der aus einzelnen braungrünen Farbtupfen zusammengesetzt wird, und doch sehe ich die Rindenstruktur und die kleinen Abgänge der zarten Blätter. Auch die beiden Feigenblätter sind nur umrisshaft abgebildet und nur teilweise mit hellem Mattgrün gefüllt.

    Es gibt nur zwei Farben auf dem Blatt – blau mit zwei Schattierungen und grünbraun mit zwei Schattierungen, und doch wirkt es flügelleicht, sonnenhell, duftig.

    Vom fotografischen Standpunkt aus sehe ich: Das Objekt ist sehr gut freigestellt. Der Hintergrund verschwimmt völlig. Es gibt nur den Schmetterling im Vordergrund wie auf einer Nahaufnahme. Wenn ich aber genau hinschaue, gibt es gar keinen Hintergrund, denn Giovanni hat einfach ein hellbeiges Papier mit leicht grauem Unterton genommen, das perfekt als Hintergrund passt. Ich brauche nicht mehr Einzelheiten, um das Bild als vollständig zu empfinden. Das ist eine Eigenart von Giovannis Kunst: Er deutet nur das Wichtigste an und überlässt es dem Betrachter, den Rest der Wirklichkeit beizutragen.

    Ich war fasziniert und begann, das Bild auch unter grafischen Gesichtspunkten anzuschauen. Die Blattaufteilung ist perfekt. Das Hochformat ist optisch in Dreiecke eingeteilt, die durch Linien entstehen, die das Bild dritteln. Die erste Linie läuft von rechten Drittelpunkt des unteren Bildrandes in die obere linke Ecke. Hier zieht der Stängel der Feigenpflanze mit der Feige oben drauf. Die zweite Linie verläuft von dem mittleren Drittel des linken Bildrandes in die obere rechte Ecke. Sie verbindet das linke Blatt mit der Feige und dem oberen Rand des Schmetterlings von dem Vorderbein über den Kopf und den ganzen langen Flügel entlang. Die Feige sitzt genau auf der linken Drittellinie, und der Kopf des Schmetterlings markiert die obere Drittellinie des Bildes. Interessant: Auch hier sind die Linien nicht vollständig gezeichnet oder ausgefüllt. Jeweils ein Drittel der Linien sind gar nicht da. Sie existieren nur in meiner Fantasie. Hier hat Giovanni wieder etwas weggelassen und dadurch Spannung erzeugt. Das obere linke Dreieck des Bildes ist leer, und doch fehlt nichts. Es wirkt gefüllt von Hintergrund, von meiner Fantasie, die dort eine Wiese sieht.

    Das ist kein zoologisch-botanisches Bild für das Lexikon oder Lehrbuch. Das ist Naturkunst – Kunst in der Natur – Malerei mit ihrer Kunst, die Natur fantasievoll zu beschreiben, so dass dem Betrachter fast alle Fantasie überlassen bleibt.

    Wie gesagt: Plötzlich war alles ganz anders. Ich saß hellwach vor dem Blatt, voll Freude und Begeisterung. Ich vergaß die Zeit. Erst ein Blick auf die Uhr mahnte mich, in die Klinik zu fahren. Der Schmetterling begleitete mich den Abend hindurch. Ich schlief mit seinem Bild ein, und am Morgen flog er als erster Gedanke durch mein aufwachendes Bewusstsein und flügelte mich langsam wach, lange bevor ich die Augen öffnete. Dann versuchte ich, den Schmetterling mit Worten zu zeichnen.

    Später rief ich Giovanni an und bat ihn, mir das Originalbild zu verkaufen. Als er es mir brachte, erzählte er, dass es tatsächlich mit mir zu tun habe. Denn als er im letzten Jahr an der italienischen Blumenriviera malen wollte, fielen ihm die herrlich reifen Feigen vor seiner Terrasse auf. Dann blätterte er in meinem Schmetterlings-Fotobuch, das er von mir bekommen und in den Urlaub mitgenommen hatte, und fand dort einen Falter, der wunderbar auf die Feige passte. Also prägte er sich diesen ein und setzte ihn kunstvoll stilisiert in Wasserfarben auf die Feige. Jetzt hängt das Bild neben meinem Schreibtisch, und ich freue mich jeden Tag daran.

    Diese Geschichte soll zeigen, dass auch kleine Erlebnisse wichtig sind und ganz viel verändern können.

     

    Dietrich Weller

  • Hier ist der Zeitungsartikel, der über die Öffentliche Lesung in der Kapelle des Hotel Wyndham Garden in Gummersbach am 27. Mai 2017 berichtet.

    Oberbergischer Anzeiger Nr_123 29 Mai 2017

  • Dr. med. Cordula Sachse-Seeboth,

    RAPIDOT, Pandoras Pillbox,

    Amazon 2017

     

    Rezension von Dr. Dietrich Weller 

    Eine Warnung vorweg: Es soll Menschen geben, die an das Gute im Menschen und besonders in unserem Gesundheitssystem glauben. Wenn Sie diesen Glauben aufrechterhalten wollen, sollten Sie Rapidot, den Debutroman von Cordula Sachse-Seeboth, der im April 2017 erschienen ist, nicht anfangen zu lesen. Denn wenn Sie anfangen, kommen Sie nicht mehr weg. Sie werden hineingerissen in einen Strudel von kurzen Kapiteln, die mit einer rasanten und leider realistisch möglichen Handlung alle Hinterhältigkeiten und kriminellen Machenschaften offenlegen, die bei der Erprobung eines neuen Medikaments im Rahmen von vorgeschriebenen Studien denkbar sind. Die Gier nach Geld und Macht sind die Treibfedern einer Bande von Gangstern im vornehmen Klinik- und Pharmamilieu von Berlin. Die Handlung spielt hauptsächlich in der Kardiologischen Klinik der Cordialité (wer könnte die Parallele zu der berühmten Charité übersehen?), wo Professor Lindberg der Leiter der zweiten Studienphase zu einem revolutionären Mittel gegen das gefährliche Vorhofflimmern ist. Rapidot ist das als Handelsname geplante Kunstwort aus rapid – schnell und Anti-dot – Gegengift.

    Die studienerfahrene Ärztin und Autorin Cordula Sachse-Seeboth schildert mit enormem Sachwissen und verblüffenden Details zu Praxis und Risiken des Studienablaufs, wie gewissenlose Drahtzieher planmäßig Menschenleben aufs Spiel setzen, um die Genehmigung für das Medikament Rapidot zu erhalten. Den Verbrechern im weißen Kittel und im blauen Zweireiher, die mit teilweise sarkastischer Eiseskälte geschildert werden, steht die junge Assistenzärztin Zoe gegenüber. Sie wird als Assistentin von Lindberg eingestellt und mit der Durchführung der Studie betraut, weil er testosterongesteuertes Interesse an ihr hat und sie ihn mit kluger Ablehnung und geistreicher Schlagfertigkeit reizt. Zoe ahnt die geplanten kriminellen Pläne der Pharmafirma und die lebensgefährdende Wirkung von Rapidot und heckt einen ebenso kriminellen Plan aus, um die Versuchspersonen zu retten. Zoe entdeckt die Hintergründe, die zu zehn „zufälligen“ Unfalltoten im Vorfeld der ersten Studienphase geführt haben. Dadurch verwickelt sie sich immer mehr in eine für sich selbst lebensbedrohliche Lage. Das Netz der Gier und der Süchte, der Lügen und Finten, der Morde und Rettungsversuche wird entfaltet, es führt zu mehreren packenden Höhepunkten und fällt dann auf total verblüffende Weise in sich zusammen.

    Obwohl der Roman 600 Seiten umfasst, wird der Leser von Kapitel zu Kapitel weitergelockt, denn die Autorin beherrscht die Dramaturgie perfekt: Sie lässt den Leser oft am Ende eines Kapitels im spannendsten Moment „hängen“ und schwenkt zu einem anderen Handlungsstrang um. (Daher kommt der Fachbegriff cliffhanger.) Die einzelnen Kapitel sind knapp und präzise aufgeteilt und geschildert. Sie springen mitten in die Handlung, und schildern Menschliches und Allzumenschliches in bildhafter Sprache, die häufig mit witzigen und geistreichen Dialogen gespickt ist. Skrupellosigkeit, Raffinesse, kriminelle Energie und tiefe Menschlichkeit werden eindrucksvoll verwoben. Die Charaktere der Handlung sind plastisch und lebensecht beschrieben, sehr gut ausgearbeitet, auch mit vielen kleinen Charakteristika versehen, und der Leser kann sich jede Hauptperson klar vorstellen. Das Böse und das Gute liegen sehr nahe beieinander. Und beides ist glaubwürdig.

    Imponierend finde ich, dass die Autorin im Anhang nach Ideen der Arzeimittelkommission, der Cochrane Collaboration und der Zeitschrift arznei-telegramm einen realisierbaren und wertvollen Katalog von Verbesserungen der bis jetzt gültigen Vorschriften für Studienabläufe zusammengestellt hat. Die dort noch enthaltenen Lücken in den Regeln haben unter anderem den vorliegenden Pharma-Thriller möglich gemacht. Dass die Autorin auch eine gehörige Portion Humor hat, zeigt sie mit dem angehängten Kapitel „Aufklärung über Nutzen und Risiken des Buchkonsums“.

    Ein beeindruckender und (auch für Nichtmediziner!) lesenswerter Debutroman, der mich neugierig macht, womit die Autorin uns demnächst überrascht. Ihren Kindern hat sie Kinderbücher versprochen, und Science-Fiction steht auch auf ihrem Plan. Wir dürfen gespannt sein.

    Dr. med. Dietrich Weller,

    Präsident im Bundesverband Deutscher Schriftstellerärzte BDSÄ

    —>> Lesen Sie auch www.rapidot.de

  • Solange wir die alten und neueren Mythen noch kennen, sind ihre Gestalten unsterblich. Meine Geschichte folgt dem Gedanken – die Unsterblichen sind unter uns.

     

    Arethusa

    Kapitel  I

    Syrakus – Ortigia – Catania – Ortigia

    Unsere letzte große Reise führte uns zu den Liparischen Inseln.

    Das Flugzeug landete in Catania und der Bus brachte die mit verschiedenen Ankunftszeiten eingetrudelte Reisegruppe nach Acireale, wo wir ein Abendessen bekamen und übernachteten. Erst auf der Rückfahrt erzählte uns Vincenzo, unser Reiseleiter, dass der Name Acireale an die Geschichte von Akis und Galathea erinnert. Der Riese Polyphem, dem geweissagt worden war, er werde von Odysseus geblendet werden, verliebte sich in die schöne Nereide Galathea, die allerdings mit dem Hirtenjungen Akis ein Paar war. Als Polyphem die beiden entdeckte, rettete Galathea sich mit einem Sprung ins Meer, während Akis von einem Felsbrocken getroffen wurde, den Polyphem auf seinen Nebenbuhler schleuderte. Aus dem Blut, das unter dem Felsbrocken hervorquoll, wurde ein Fluss. Diese Geschichte und die Odyssee legen nahe, dass es im antiken Sizilien Küstenbewohner gab, die als eine Art Küstenwache ungebetene Gäste, die von See her kamen, fern hielten und dabei offensichtlich hervorragende Steinschleuderer wie ihre Nachbarn auf Mallorca waren.

    Am nächsten Tag gab es auf dem Weg nach Milazzo, wo uns die Fähre nach Stromboli ins Land der Phäaken, wo Nausikaa den schiffbrüchigen Odysseus am Strand fand, bringen sollte, einen Stopp an der Meerenge von Messina, der Scylla und Charybdis der Odyssee. Man konnte das gegenüber liegende Festland sehen. Vor uns, ein paar Schritte hinter der Absperrung, streckte ein etwa mannshoher Riesenfenchel seine trockenen Samenstände in die Höhe. Es ist dies die Fackel des Prometheus, mit der dieser der Sage nach den Menschen das Feuer brachte. Man kann nämlich das Mark des trockenen Stängels entzünden, und dieses glimmt langsam im Stängel, ohne dass dieser verbrennt. Auf diese Weise kann man Feuer über längere Strecken transportieren.

    Schon drei Jahre zuvor hatten wir eine Rundreise durch Sizilien unternommen. Im Tal der Tempel bei Agrigent beeindruckte mich der gut erhaltene Concordia-Tempel, der im 6. Jahrhundert in eine christliche Kirche umgewandelt wurde. Am faszinierendsten war aber der Dom in Syrakus, wo sich hinter einer barocken Fassade der noch fast vollständig erhaltene Athena-Tempel aus dem 5. Jahrhundert vor Christus befindet. Die Mauern der Cella hat man durchbrochen und Teile als Pfeiler stehen gelassen, so dass ein dreischiffiges Kirchenschiff entstand. Der Dom ist der Gottesmutter Maria geweiht. Da drängte sich mir der Gedanke auf, was wäre, wenn die unsterbliche Athene, die einstige Hausherrin, heute den Dom besucht und Maria dort trifft.

    Donna Maria war auf Betreiben des Vatikans nach Syrakus als Chefin der erzbischöflichen Diözesanverwaltung gekommen. Man munkelte, dass sie schwere Schicksalsschläge getroffen hatten und sie einen Sohn verloren habe. Auch wenn eine Frau in der Kirchenverwaltung ungewöhnlich ist, so beugte man sich doch dem Wunsche der höchsten Stelle. Der Bischof musste regelmäßig in Gedanken an sie stöhnen. Für alle Welt hatte sie ein offenes Ohr, und alle Welt wandte sich mit ihren Sorgen und Nöten an sie. Immer wieder sah er den finanziellen Ruin vor seinem inneren Auge, aber erstaunlicherweise füllten sich die Kassen immer wieder durch Schenkungen und Vermächtnisse.

    Donna Maria sah von ihrem Schreibtisch auf und blickte auf die Piazza Duomo und das gegenüberliegende Portal des Domes, als es an ihrer Tür klopfte. Auf ihr „Herein“ betrat eine große schlanke Frau in dunklem Kostüm den Raum. Sie trug eine Schultertasche und einen Laptop unter dem Arm. Der einzige Schmuck war eine goldene Brosche am Revers, die das großäugige Abbild einer Eule, ähnlich der Rückseite der antiken Drachme, zeigte. Die fein geschnittenen Gesichtszüge, von mittellangem dunkelblondem Haar umrahmt, wirkten streng und erweckten eher den Eindruck von Alterslosigkeit.

    Donna Maria blickte auf und erhob sich von ihrem Platz.

    „Ihr seid es, Ihr kommt zu mir?“

    Mit einem Lächeln legte die Frau ihre Visitenkarte auf den Schreibtisch.

    „Alice Maiden, Scientific Consultant, Member of Atlantic Council“

    „Ja, ich bin es“, sagte die Frau und lächelte kurz.

    „Mich führt ein Anliegen zu Euch. Meine Organisation möchte ein Treffen organisieren. Da habe ich mich an mein altes Haus erinnert, das jetzt Euren Namen trägt. Wir brauchen für dieses  Treffen einen Ort, dessen Geschichte über die Zeiten reicht. Könntet Ihr für ein paar Tage uns die Sakristei Eures Hauses als Konferenzort zur Verfügung stellen? Es sind nur sechs Personen. Sie kommen als Ordensschwestern. Sie könnten vielleicht auch im Gästehaus des Bischofs untergebracht werden.“

    Donna Maria nickte. Für einen Augenblick wanderte ihr Blick wieder hinaus über den sonnigen Platz zu der Kathedrale Santa Maria delle Colonne, und sie wurde sich bewusst, dass sie jedes Mal, wenn sie durch das Kirchenschiff gegangen war und die Säulen an den Wänden sah, unwillkürlich an ihre Vorgängerin dachte, die jetzt vor ihr stand.

    „Lasst uns hinüber gehen und uns davon überzeugen, ob das Haus noch immer Euren  Ansprüchen genügt.“

    Sie stiegen die breite Treppe des erzbischöflichen Palastes hinab und traten in das helle Licht über der Piazza Duomo. Nach wenigen Schritten standen sie vor dem grandiosen Portal mit seinen korinthischen Säulen, gekrönt von der  Madonnenfigur. Sie stiegen die Stufen der breiten Freitreppe hinauf und durchschritten das große Portal. Nun standen sie im Dämmerlicht und hielten einen Moment inne. Durch die kleinen Rundbogenfenster hoch oben in den Seitenmauern fiel nur wenig Licht. An der linken Außenmauer wölbte sich das Halbrund gewaltiger dorischer Säulen in den Raum. Man hatte die Mauern der ehemaligen Cella durchbrochen und deren Reste als  Pfeiler stehen gelassen, die  das Mittelschiff von den Seitenschiffen trennten. Im rechten Seitenschiff war der Zugang zu mehreren Kapellen zu sehen.

    Eine Gruppe von Touristen  stand vor den Kapellen und zückte ihre Fotoapparate.

    Im Gestühl des Mittelschiffes saßen eine junge Frau und ein Mann mittleren Alters, die sich leise unterhielten. Gelegentlich war ein unterdrücktes Lachen zu hören.

    Donna Maria trat an die Stuhlreihe und sprach die beiden an.

    „Vincenzo!“

    Auf die Ansprache erhob sich der Mann.

    „Oh, Donna Maria! Darf ich Ihnen Alessia Fontana vorstellen. Sie ist Reiseleiterin und besucht mit ihren Gruppen regelmäßig unsren Dom. Heute ist sie mit einer Gruppe Tedeschi hier“

    Die junge Frau nickte zurückhaltend.

    „Buon giorno!“

    „Vincenzo ist unser Sacristan“, wandte sie sich an ihre Besucherin und dann an ihn: „Das ist Donna Alice. Sie hat ein Anliegen. Ich erkläre es Ihnen.“

    Donna Maria nahm den Sacristan beiseite und ging mit ihm einige Schritte in Richtung des Altarraums.

    „Wir bekommen ein paar Gäste, die es sich in den Kopf gesetzt haben, sich ausgerechnet in unserer Sakristei zu treffen. Ich baue auf Ihre Hilfe. Es ist wichtig. Ihr müsst euch um sie kümmern und ihnen jeden Wunsch von den Lippen ablesen.“

    Währenddessen trat Donna Alice auf die junge Frau zu .

    „Alessia Fontana? Ihr seid doch Arethusa, meine alte Nachbarin. Ich freue mich, Euch wieder zu sehen. Ihr seid jetzt in der Tourismusbranche tätig?“

    „Ja, man tut, was man kann. Auch ich freue mich, Euch wieder zu sehen. Ihr besucht Euer altes Domizil? Ihr seid nicht vergessen. Ich erzähle meinen Gruppen, dass das hier lange Euer Haus war, ehe man es in Donna Marias Hände gelegt hat. Auch meine Heimstatt gibt es noch, und man hält sie in Ehren. Entschuldigt mich, ich muss meine Schäfchen einsammeln. Sie haben zwar noch etwas Zeit, um Ortigia zu erkunden, aber am Nachmittag wartet der Bus auf uns, und wir müssen weiter.“

    Die beiden Frauen verabschiedeten sich. Die junge Frau begab sich in die Seitenschiffe. Doch sie traf nur noch wenige Mitglieder Ihrer Gruppe. Die meisten hatten den Dom bereits wieder in die Helligkeit des Tageslichtes verlassen.

    Schließlich wandte sich ein junger Mann aus ihrer Gruppe an sie.

    „Alessia, darf ich Sie ein Stück begleiten. Mir knurrt inzwischen der Magen. Wo bekomme ich hier etwas zu essen?“

    Er wirkte  sportlich. Sein  Haar hatte einen leicht rötlichen Schimmer, ebenso sein kurz geschorener Kinnbart. Er musterte seine Reiseleiterin mit sichtlichem Wohlgefallen. Immerhin war sie mit ihrem blauen Rock und der türkisfarbenen Bluse, dem schwarzen welligen Haar, das ihr bis auf die Schulter fiel und von dem immer eine Strähne noch feucht zu sein schien, den großen braunen Augen, der schlanken Nase mit den leicht geblähten Nasenflügeln und den vollen Lippen eine beeindruckende junge Frau.

    Sein Angebot schien ihr nicht unangenehm zu sein.

    „Keine schlechte Idee, Doktor Schlegel. Ich könnte jetzt auch etwas essen. Sehen Sie dort, uns gegenüber die Stühle auf dem Platz. Das ist das „La Volpe e l`Uva“.

    Rasch fanden sie einen Tisch, und kurz darauf erschien der Kellner.

    „Alessia, ich verlasse mich auf Sie, was können Sie empfehlen?“

    Sie einigten sich auf Muccu di fave als primo piatto, Pesce spade al sammurigliu als secondo piatto, zum Abschluss als Dolci Cantuccini und Malvasier, dazu eine Karaffe Wasser.

    Während sie auf den ersten Gang warteten, fragte sie: „Was hat Sie eigentlich nach Sizilien geführt?“

    „Ach wissen Sie, ich beschäftige mich aktuell mit der Geschichte der Wikinger. Die müssen nicht nur im Ostseeraum unterwegs gewesen sein. Sie waren ja auch in Britannien und an der französischen Küste. Ich habe gehört, dass es an der italienischen Küste als kulinarische Spezialität ein Stockfischgericht gibt, von dem man sich erzählt, dass es auf die Wikinger zurückgeht. Stockfisch war deren Reiseproviant. Die Normannen, die Ihr Sizilianer nicht unbedingt in allerbester Erinnerung habt, waren dann ja christianisierte Wikinger. Aber vor ihnen sind möglicherweise schon Wikinger als Händler hier gelandet.“

    Der Kellner brachte das Essen, Nudeln mit wildem Fenchel und frischen Sardinen. Die junge Frau griff nach dem Besteck. Durch eine kleine ungeschickte Bewegung fiel die Gabel auf den Boden. Spontan bückten sich beide und griffen nach ihr. Dabei berührten sich ihre Hände .Es entstand ein leises zischendes Geräusch, und man hätte meinen können, dass bei der flüchtigen Berührung ein Dampfwölkchen aufstieg.

    Sie richteten sich blitzartig auf und starrten einander erstaunt an.

    „Ihr, Ihr“, stammelte sie, „seid einer von uns?“

    „Es scheint so. Könnte es sein …“, er zögerte und lächelte sie an, „könnte es sein, dass Ihr etwas mit der Fonte Aretuse zu tun habt? Ich … ich arbeite in Berlin als Arzt. Auch ich muss heutzutage meinen Unterhalt verdienen. Da wir schon mal bei den Wikingern sind, die nannten mich Loki. Für sie war ich für das Feuer zuständig. Ihre Sympathie für mich war aber geteilt. Einerseits brauchten sie mich und meine Erfindungsgabe, andererseits fürchteten sie mich auch. Es ging mir ähnlich wie Eurem Prometheus. Aber nach Ragnaröck tun sich völlig neue Möglichkeiten auf.“

    Sie lächelte in an. „Da muss ich wohl immer auf Abstand achten. Es ist aber nett, mit ihnen hier zu sitzen.“

    Nach dem Schwertfischsteak servierte ihnen der Kellner eine kleine Schale mit Cantuccini und für jeden ein Likörglas mit Malvasier. Sie zeigte ihm, dass man die Cantuccini in den Malvasier tunken muss.

    „Wenn wir heute Abend in Acireale sind, müssen Sie mir mehr von sich erzählen. Wir müssen aufbrechen. Ich bin mir aber sicher, dass unser Busfahrer nicht ohne mich losfährt.“

    Sie standen auf und schlenderten gemächlich über die Brücke, die Ortigia mit dem Festland verbindet und den Corso Umberto primo zur Bushaltestelle.

    „Weißt du“, sagte sie, hielt inne und korrigierte sich, “Wissen Sie, wem ich heute begegnet bin? Meiner Nachbarin. Der Dom war früher ihr Haus, ehe Maria dort eingezogen ist. Sie scheint jetzt international tätig zu sein. Aber sie ist die alte geblieben, nüchtern und ziemlich humorlos. Sie kann nachtragend und rachsüchtig sein. Man ist gut beraten, sie nicht zu verprellen. Sie organisiert irgendeine Zusammenkunft im Dom. Der arme Vincenzo! Er arbeitet dort als Sakristan. Früher war er auch im Ausland. Ich glaube sogar, einige Zeit in Deutschland. Er hat auch schon als Reiseleiter gearbeitet. Wenn ich den Dom besuche, unterhalten wir uns regelmäßig, und er versteht mich, wenn ich mal Probleme mit einer Gruppe habe. Auch mit Euch ist es  nicht immer ganz leicht. Ihr Tedeschi habt oft so etwas Oberlehrerhaftes. Manche müssen alles besser wissen und beschweren sich über Geringfügigkeiten. Sie befürchten, sie würden nicht das bekommen, wofür sie bezahlt haben und glauben, man will sie übers Ohr hauen. Andere haben sich ganz genau vorbereitet, und ich muss aufpassen, was ich ihnen erzähle. Der eine oder andere meint, mich ständig korrigieren zu müssen. Mit einem guten Essen und reichlichem Trinken kann man euch aber immer wieder befrieden.“

    Der Doktor hörte ihr schmunzelnd zu. Ganz wie zufällig berührten sich ihre Hände, und obwohl es leise zischte,,verhakten sich die kleinen Finger ineinander. In diesem Augenblick fiel es ihm ein, wo er sie schon einmal gesehen hatte, in einem alten Film mit Antony Quinn „Der Glöckner von Notre Dame“. Sie sah der Schauspielerin, die das Zigeunermädchen Esmeralda gespielt hatte, zum Verwechseln ähnlich.

    Donna Maria betrat den Dom. Sie suchte ihren Sakristan. Sie sah ihn im Altarraum, wo er die Blumen ordnete. Versunken sang er die Cavatina aus I Lombardi vor sich hin „La mia letizia infondere …“. Er liebte Verdi..

    Sie durchquerte das Kirchenschiff und sprach ihn an.

    „Vincenzo!“

    Sein Gesang brach abrupt ab.

    „Unser Besuch kommt morgen zur Mittagszeit in Catania an. Die einen mit dem Flug 13.20 aus  Rom und die anderen um 14.50 aus Istanbul. Ich bitte Euch, sie am Flughafen abzuholen. Ihr bringt sie dann ins Gästehaus. Sie wollen  übermorgen in der Sakristei zusammenkommen. Sorgt bitte dafür, dass der Raum entsprechend eingerichtet wird.“

    Vincenzo, ein echter Sizilianer, klein und drahtig, mit weißem Haarkranz und ergrautem kurzen Bart, verneigte sich kurz vor seiner Chefin.

    „Keine Sorge, es wird alles zu Eurer Zufriedenheit sein.“

    Am nächsten Morgen stand er in der Garage des Wirtschaftshofes der Diözesanverwaltung. Da stand das Luxusgefährt des Bischofs. Das kam nicht infrage. Er schielte auf den alten Fiat 900 E, einen schon altersschwachen Minibus, und es juckte ihn in den Fingern, den zu nehmen. Nonnen, hatte die Chefin gesagt, Nonnen … und ein tiefsitzendes Unbehagen regte sich, doch er ließ  nicht zu, dass die Erinnerungen an  Kindheit und Schulzeit in einer Klosterschule wieder hoch kamen. Für die würde die alte Klapperkiste eigentlich reichen. Doch dann spürte er die CD´s mit den Verdi-Arien in seiner Tasche und entschied sich, den Fiat Scudo Kombi zu nehmen mit seinen bequemen sechs Sitzplätzen und der Möglichkeit, während der Fahrt seine Musik zu hören.

    Er startete den Wagen, legte die CD ein und bei den ersten Tönen: “Livi amo ne´lieti“ aus La Traviata fädelte er sich in den morgendlichen Verkehr in Richtung Catania ein.

    Die mittägliche Hitze staute sich über Catanias Flughafen Fontanarossa “Vincenzo Bellini“. Der Flug aus Richtung Rom sollte um 13.20 Uhr landen. Als sich die Ankunftshalle füllte und die Fluggäste um die Gepäckbänder gruppierten, holte er ein Pappschild hervor, auf dem er einfach nur „Siracusa“ geschrieben hatte. Die ersten Gäste kamen aus dem Ausgang, aber es dauerte eine Weile, bis schließlich drei Nonnen im weißen Habit und dunklem Skapulier mit langem weißen Schleier über den Rücken, einen Rollkoffer hinter sich herziehend, die Ankunftshalle verließen. Sie schauten sich suchend um, und als sie sein Schild entdeckten, steuerten sie auf ihn zu.

    Trappistinnen dachte er, ob die wohl den Mund aufmachen werden? Zu seinem Erstaunen sprachen sie ihn in einem einigermaßen verständlichen Italienisch an. Zur Begrüßung stellten sie sich als Schwester Destinata, Schwester Presentata und Schwester Futurata vor. Sie wirkten erschöpft.

    „Wir  freuen uns, endlich in Catania angekommen zu sein.“

    Er begleitete sie zum Parkplatz, räumte die Koffer in den Kofferraum und bat sie, es sich im Auto bequem zu machen, da er noch gut eine Stunde auf die Ankunft der anderen Gruppe warten müsse. Auch bot er ihnen an, eine Erfrischung zu besorgen, was sie dankend annahmen. Als er mit drei Flaschen Wasser zurückkam, saß nur die Ältere im Auto und schien  zu schlafen, während sich die beiden anderen in einen überdachten Wartebereich gesetzt hatten.

    Schließlich füllte sich die Ankunftshalle erneut. Fluggäste umstanden die Gepäckbänder und relativ rasch erschienen wiederum drei Nonnen, diesmal im dunklen Habit der Karmeliterinnen am Ausgang und steuerten auf Vincenzo zu. Sie wirkten wesentlich frischer und stellten sich als Schwester Inalterabilata, Schwester Filatorata und Schwester Venturata vor. Schwester Filaturata trug die Nachbildung einer kleinen Schere und einer halbvollen altertümlichen Spindel an ihrem Gürtel, Schwester Venturata die Nachbildung einer leeren Spindel sowie einige kurze aufgefädelte Stäbchen und Schwester Inalterabilata die Nachbildung einer vollen Spindel sowie einer antiken Schriftrolle. Sie verzichteten auf eine Erfrischung und nahmen anstandslos die freien Plätze im Auto ein.

    Vincenzo musste sich auf den Nachmittagsverkehr konzentrieren und summte alle Melodien vor sich hin, die ihm gerade in den Sinn kamen. In Deutschland hatte er die Lieder Carl-Michael Bellmanns mit ihren barocken Opernmelodien kennen gelernt. Sie hatten inzwischen Catania in Richtung Syrakus verlassen und unwillkürlich gingen ihm die Liedzeilen

    „Ich fühl der Jahre Schwere,
    bin nicht so jung, wie ich gern wäre
    Klotho schon wetzt die Schere,
    der alte Charon Tabak kaut“

    über die Lippen. Da tippte ihn plötzlich Schwester Filatorata auf die Schulter.

    „Seien Sie vorsichtig und berufen Sie es nicht. Wir wollen heil in Syracus ankommen.“

    Erschrocken verstummte Vincenzo und legte eine seiner Verdi-CD`s ein.

    Später lieferte er seine Fahrgäste wohlbehalten am Gästehaus des Erzbischofs ab. Er trug ihnen die Koffer ins Haus, wo Donna Maria sie bereits erwartete.

    Diese begrüßte ihre Gäste mit einen freundlichen „Bon giorno, ich bin Donna Maria und für Ihr Wohlbefinden während ihres Aufenthaltes verantwortlich.“

    Da stellte sich die Älteste aus der ersten Gruppe vor.

    „Ich bin Urd, und hier heiße ich Schwester Destinata, zuständig für das Gewordene oder das Schicksal, wie Sie wollen. Wir drei kommen aus Kirkjubaejarklaustur. Das Kloster dort ist zwar nur noch eine Ruine, aber wo wollen sie Yggdrasil heute noch verorten. Wir sind letzte Nacht um 1.00 Uhr in Reykjavik in den Flieger gestiegen und mussten drei Mal umsteigen. Aber was tut man nicht alles, wenn Not am Mann ist.“

    Dann trat die Zweite vor.

    „Ich bin Verdani, hier unter dem Namen Schwester Presentata, zuständig für das Seiende, die Gegenwart.“

    „Ich bin Skuld“, stellte sich die Jüngste vor, „hier heiße ich Schwester Futurata und bin zuständig für das, was sein soll, das Werdende, die Zukunft.“

    „Dann dürfen auch wir uns vorstellen. Wir kommen aus Koufalio nordwestlich von Thessaloniki. Ich bin Atropos, zuständig für das Unabwendbare, das Geschehene. Ich heiße hier Schwester Inanterabilata. Ich führe das Buch.“

    Ich bin Klotho, die Spinnerin, hier als Schwester Filatorata. Ich spinne den Faden und schneide ihn auch ab.“

    „Und ich bin Lachesis,die das Los wirft und mitbestimmt,wann Klotho zur Schere greift.Hier heiße ich Schwester Venturata.“

    „Meine Damen“, sagte Donna Maria, „ich bedanke mich. Ich zeige Ihnen jetzt Ihre Zimmer. Sie können sich frisch machen, sich ausruhen oder, wenn Sie wollen, ein wenig Ortigia erkunden. Gegen 19 Uhr haben wir für Sie eine Mahlzeit vorbereitet. Morgen früh können Sie hier frühstücken und um 9 Uhr  Ihre Konferenz in der Sakristei unseres Domes beginnen. Unser Vincenzo wird sich um Sie kümmern und dafür sorgen, dass es Ihnen an nichts fehlt. Wir sehen uns zur Abendmahlzeit wieder.“

    Während Donna Maria das Gästehaus verließ und durch den Nachmittag ihren Wohnräumen im Verwaltungsgebäude zustrebte, dachte sie: Das sind sie also, die Uralten, die Rastlosen, die Nimmermüden. Sie werden auch hier ihrem Geschäft nachgehen. Die Menschen werden sie freundlich anlächeln, zu den frommen Schwestern höflich Distanz halten und den Hauch nicht spüren, der sie umweht.

    Vincenzo hatte  die Sakristei hergerichtet. Um den massiven Eichentisch in der Mitte hatte er sechs hochlehnige Stühle gruppiert. Er hatte zwei Flipcharts mit mehrfarbigen Stiften aufgestellt und eine alte Truhe mit einem sauberen Leinentuch abgedeckt. Darauf stand eine Batterie Wasserflaschen, eine Thermoskanne, Tassen.

    Inzwischen war es Mittag geworden. Vincenzo hatte in dem kleinen Restaurant, in dem er selber regelmäßig aß, Arancini – frittierte Reisbällchen – in Auftrag gegeben. Er trug sie in einem Korb zusammen mit einem Glas Artischockenböden, Oliven, Käse und Weißbrot. In der anderen Hand trug er einen 5-Literkanister mit Weißwein. Während er mit seiner Last durch das Mittelschiff schritt, sang er selbstvergessen: §La donna è mobile …“ vor sich hin. Er stieß die angelehnte Tür der Sakristei mit dem Fuß auf und verstummte urplötzlich. Alle sechs Nonnen starrten ihn mit gerunzelter Stirn an.

    Sie hatten sich um den Tisch gruppiert. Die beiden ältesten –Schwester Destinata und Schwester Inanterabilata-  standen mit einem Stift in der Hand an den Flipcharts und schienen Listen zu erstellen. Die eine schrieb Griechisch, die andere benutzte offensichtlich Runen. Auf dem Tisch war eine große Karte ausgebreitet.

    Vincenzo murmelte verlegen: „Ich bringe Ihnen einen Imbiss“, und trug den Korb und den Weinkanister zu der Truhe. Im Vorbeigehen meinte er, auf der Karte Teile Afrikas, das Mittelmeer und den Norden Europas zu sehen. Auf sie waren Pfeile in verschiedenen Farben gezeichnet, vom Zentrum Afrikas an die Mittelmeerküste reichend, von dort bogenförmig in östlicher oder westlicher Richtung über Land oder Meer nach Norden weisend. Einzelne der Pfeile endeten in einem Kreuz oder waren durchgestrichen.

    Während Vincenzo den Korb ausräumte und seinen Inhalt auf der Truhe verteilte, fuhren die Nonnen in ihrer Tätigkeit fort, als sei er nicht anwesend. Schwester Venturata hielt ein Bündel kurzer Stäbe in der Hand und warf sie mit Schwung über die Landkarte. Dann beugte sie sich darüber, um das Ergebnis des Wurfes zu begutachten. Mit stummen Mundbewegungen las sie dann deren Botschaft, während Schwester Venturata die Lage der Losstäbe ihrerseits beurteilte. Beide wandten sich an Schwester Filaturata und Schwester Presentata, um mit ihnen das Ergebnis zu diskutieren. Vincenzo fiel auf, dass sie jetzt in unterschiedlichen Sprachen miteinander redeten, die einen in einem alten melodisch klingenden Griechisch, die anderen in einem kehlig harten Nordisch,s ich dabei aber scheinbar problemlos verstanden. Schwester Presentata und Filatorata hörten ihnen aufmerksam zu, beugten sich über die Karte und zeichneten erneut großräumige Pfeile in ihr.

    Während Schwester Destinata und Schwester Inanterabilata das Ergebnis auf ihren Flipcharts vermerkten, schien es Vincenzo, als würde kurzzeitig ein Hologramm in die Luft projiziert. Er meinte, in einen unübersehbaren Raum zu blicken, in dem an Fäden Spindeln hingen, die sich drehten und ihren Faden aufspulten. Dabei rissen permanent überall Fäden und volle, halb volle, fast leere Spindeln fielen herab und bildeten einen zunehmend wachsenden Haufen. Das Hologramm verschwand, Schwester Venturata raffte die Stäbe zusammen, holte mit leichtem Schwung aus und warf sie erneut. Die beiden jungen Frauen beugten sich darüber und diskutierten das Ergebnis. Die zuvor eingezeichneten Pfeile auf der Karte wurden durchgestrichen und erneut Pfeile eingezeichnet. Man hätte bei ihrem Anblick an fließendes Wasser denken können, das sich immer wieder neue Wege bahnt, wenn sich ein Hindernis auftut. Während erneut das Ergebnis auf den Flipcharts vermerkt wurde, erschien ein neues Hologramm mit den Spindeln, deren Fäden in völlig neuer Zahl und Geschwindigkeit rissen, so dass die Fallenden am Boden ein anderes und neues Muster bildeten.

    Nachdem Vincenzo schließlich seinen Korb ausgepackt hatte, verließ er schleunigst die Sakristei, ohne zu bemerken, dass sich die  Schwestern Destinata und Inanterabilata umgewandt hatten und ihm mit einem eigenartigen Lächeln nachsahen.

    Er hatte das dringende Bedürfnis, den Dom so rasch als möglich zu verlassen. Während er  seinen Blick auf das dunkle, von zwei dorischen Säulen gesäumte Portal richtete, hatte er plötzlich das Gefühl, wie in einem kräftig fließenden Strom zu stehen, der jeden Schritt zähflüssig bremste und sein Vorwärtskommen hinderte. Die Wände des Doms schienen einen feinen Nebel abzusondern, der sich zu Gestalten verdichtete, so dass er vermeinte, in einer riesigen Menschenmenge zu stehen, die durcheinander wirbelte, durchscheinend und substanzlos, jedoch deutlich erkennbar. Die Menschen schienen durch ihn hindurch und er durch sie zu gehen. Da schritten Priester in antiken Gewändern, griechische Bürger, römische Söldner in voller Rüstung, Hopliten, Sklaven schleppten Baumaterial, nur mit einem Schurz bekleidete Bauleute bearbeiteten Säulentrommeln, Mönche, Bürger in mittelalterlicher Kleidung, verwundete Soldaten, erneut Bauleute aus jüngerer Zeit, dazwischen Frauen in hoheitlicher Kleidung. Er glaubte kurz Donna Alice zu erkennen. Ein deutscher Soldat mit Stahlhelm und Maschinenpistole kreuzte seinen Weg, Kinder, Verwundete, eine Gruppe Mussolini – Schwarzhemden, dann wieder weinende Frauen in altertümlichen Gewand, Bauern, amerikanische GI`s, eine Gruppe Priester, Männer in ritterlicher Rüstung der Normannen, Matrosen, Edelleute und in dem Gewimmel neben Donna Maria Alessia Fontana.

    In dem Augenblick hatte er das Portal erreicht und trat in den warmen Nachmittag. Benommen setzte er sich seitlich auf eine der Stufen, stützte den Kopf in die Hände und nahm dankbar das Leben auf der Piazza Duomo wahr, die Touristen an den Tischen des gegenüberliegenden Restaurants, ein Pärchen, das auf einer knatternden Vespa vorüber fuhr, Menschen, die über den Platz schlenderten. Ein leichter Wind hatte sich aufgemacht. Er hörte die kurzen hellen Schreie der niedrig fliegenden Mauersegler, und eine kleine dunkle Wolke ballte sich über den Dächern zur Seeseite zusammen. Vielleicht gibt es heute Abend noch ein Gewitter, dachte er.

     

    Arethusa    Kapitel II 

    (Acireale, Hotel Maugeri – Rom, Domus Sanctae Marthae)

    Dr. Schlegel war vom Geräusch der Müllabfuhr wach geworden und aufgestanden.

    Jetzt schaute er aus dem Fenster seines Hotelzimmers auf die Via Paolo Vasta. Gegenüber lag ein imposanter Bau. „Cinema Teatro Maugeri“ stand über einem großen Portal. Im oberen Teil der Fassade befand sich ein Schriftband „Scenia ex arte humanitatis comedia“.

    Das Gebäude hatte offensichtlich seine beste Zeit hinter sich und schien nicht mehr in seiner ursprünglichen Funktion genutzt zu werden. Das „Grande Albergo Maugeri“ lag an der Piazza Garibaldi, einer kleinen Grünfläche, die am unteren Ende am Corso Umberto endete.

    Gestern Abend hatte ihn nach dem gemeinsamen Abendbrot mit der Reisegruppe Musik, die von draußen in sein Zimmer drang, vor das Hotel gelockt. Junge Leute, vermutlich Studenten, hatten auf der Piazza eine Bühne aufgebaut und spielten bluesigen Rock`n Soul. Einige Gäste des Hotels und junge Leute standen am Rand der Piazza, lauschten der Musik und genossen den lauen Sommerabend. Alessia hatte sich zu ihm gesellt. Ein älteres Ehepaar, vermutlich Gäste des Hotels, schlenderte an ihnen vorüber. Sie hatten sich in der nahe gelegenen Gelateria Eis geholt und hielten die Eistüten in der Hand. Dr. Schlegel lächelte sie an und ganz spontan rutschte ihm heraus: „Oh, Ice Cream … you scream, everybody wants Ice cream.“ Die Frau blieb stehen und wandte sich fragend an ihn: „What do you say?“

    „It´s a music titel from Chris Barber.“ Es dauerte kurz, bis sie verstanden hatte. Dann ging ein Strahlen über ihr Gesicht. „Oh, yes, that´s the Music of my youth. Petit fleur.“

    „Yes, with Mounty Sunshine.“

    Für eine kurzen Augenblick konnte man sich die silbergelockte alte Dame wieder als junges Mädchen mit Ponny, Pferdeschwanz und Petticoat verstellen. Mit einem Lächeln folgte sie ihrem Mann, der diesen kurzen Wortwechsel offensichtlich nur am Rande war genommen hatte.

    Alessia drückte ihm die Hand und sah ihn fragend an. „Das ist die Musik, die mein Vater gehört hat. Er hat mich mit in Jazzkonzerte genommen, und wenn Chris Barber auftrat, dann gehörte „Ice Cream“ zum Standardrepertoire. Hast du gesehen, was die Erinnerung in ihr ausgelöst hat. Das war Magie, die vielleicht nur bei den Engländern wirkt. Ein wenig „Colour of Magic“. Sie sah ihn wieder verständnislos an.

    „Hast du nicht gelesen. Das ist der Titel eines Fantasyromans, der sogar verfilmt wurde.“

    Wenig später war er dann in ihrem Zimmer gelandet und früh neben ihr aufgewacht. Eine tiefe, fast ratlose Verwunderung hatte ihn befallen. Bevor er das Zimmer verließ, küsste er sie sacht auf die Stirn, ohne sie aufzuwecken. Jetzt versuchte er, in sich hinein zu hören und seine Gefühle zu sortieren. Die Nähe zu ihr hatte ein schwer fassbares Gefühl der Geborgenheit, des Sicher-umfasst-Werdens, in ihm ausgelöst. Neben ihr liegend hatte er geträumt, in eine grottenartige Höhlung hinab zu steigen, die ein klarer Wasserlauf durchfloss. Er hatte sich gebückt und das Wasser mit den Händen geschöpft und getrunken. Es schmeckte anders als zu Hause. Es erinnerte ganz schwach an das Meer, das er nur wenige Meter entfernt glaubte, an das Ufer branden zu hören.

    Das Geräusch der Müllabfuhr vor dem Hotel holte ihn wieder zurück. Auf dem Heimweg gestern waren sie durch Catania gefahren.

    Als er die Reise plante, hatte er seinem Vater am Telefon davon berichtet, und dieser hatte ihn an seinen  Großonkel erinnert. Er kannte dessen Bild aus alten Familienalben.

    Sein Großvater hatte als Militärangehöriger Medizin studiert und war Marinearzt gewesen. Nach seinen Erzählungen hatten im Kanal bei dichtem Nebel zwei Schnellboote einander gerammt und das Schiff des Großvaters war gesunken. Die Engländer hatten die im Meer treibende Besatzung aufgefischt und gefangen genommen. Der jüngere Bruder des Großvaters war bei den Fliegern und mit der 1. Fallschirmjäger-Division hier in der Nähe, etwas weiter südlich in Gela stationiert gewesen.

    1943 hatten sich die Alliierten zu einer Invasion auf dem europäischen Kontinent entschieden. Zu einer Landung in Frankreich sahen sie sich aber noch nicht in der Lage. Nach dem britischen Erfolg in Nordafrika bei El Alamein und der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad wollte Großbritannien den Feldzug im Mittelmeer fortsetzen. Die Westalliierten entschieden sich im Januar 1943 für die Invasion Siziliens, da sie von den sizilianischen Flugfeldern aus die Schifffahrt im südlichen Mittelmeer kontrollieren konnten. Ein wichtiges Ziel waren die Flugfelder nahe Gela.

    Vor dem eigentlichen Angriff auf Sizilien hatten die Alliierten im Juni die kleinen Inseln Pantelleria, Lampedusa, Lampione und Linosa besetzt und von dort aus Luftaufklärung der geplanten Landungsgebiete betrieben. Sein Großonkel Johannes Schlegel war in einem Luftkampf mit den Briten über den Flugfeldern von Gela  bereits am 5. Juli abgeschossen worden. Man hatte ihn bei der kleinen Stadt Comiso beigesetzt. Die erfolgreiche Landungsoperation „Husky“ mit Einnahme der Flugfelder sowie der Häfen Syracus und Licata am 10. Juli1943 hatte er also nicht miterlebt.

    Im selben Jahr hatten seine Großeltern geheiratet und als sein Vater 1944 geboren wurde, hatte man ihn nach dem gefallenen Bruder des Vaters Johannes genannt.

    Inzwischen waren die in Sizilien gefallenen deutschen Soldaten in den Cimiterio militare germanico di Motta Sant`Anastasia, die deutsche Kriegsgräberstätte Motta Sant`Anastatsia bei Catania umgebettet worden, die im September 1965 eingeweiht wurde. Hier lagen jetzt 4561 deutsche Gefallene.

    Er schaute auf seine Uhr.es war Zeit, zum Frühstück zu gehen. Er verließ das Zimmer und klopfte wenige Schritte weiter an Alessias Zimmertür. Sie öffnete und strahlte ihn an.

    „Einen Moment noch.“

    Dann gingen sie gemeinsam die breite Treppe hinab.

    „Kennst du die Geschichte von Acireale?“, fragte sie ihn.

    „Es ist eine Liebesgeschichte, die in der Antike in verschiedenen Versionen erzählt wurde. Es geht um den zotteligen Zyklopen Polyphem, der in Homers Odyssee auftaucht und in die schöne Nereide Galatheia verliebt ist. Es bläst seine Hirtenflöte und legt ihr in einem sehnsuchtsvollen Lied all sein Besitztum zu Füßen. Sie ist aber in den Hirtenjungen Akis verliebt. Als Polyphem die beiden entdeckt, wirft er einen Lavabrocken des Ätna auf seinen Nebenbuhler. Aus dem Blut des getroffenen Akis, das unter dem Felsbrocken hervorquillt, wird ein Fluß, den es in der Antike in der Nähe von Catania tatsächlich gegeben hat, der aber heute nach mehreren Ätnaausbrüchen und Erdbeben nicht mehr nachweisbar ist. Andere Autoren behaupten, dass Polyphem und Galatheia sogar ein Paar waren und einen Sohn hatten. Wieder andere meinen, dass der Dichter Polyxenos ein Trinkkumpan des Tyrannen von Syrakus Dyonysos war. Als der Dichter jedoch eine Liebschaft mit der Tochter des Tyrannen Galatheia anfing, wurde er in die Steinbrüche verbannt und musste dort Steine klopfen. Sein Satyrspiel „Der Kyklops“ entstand dann als böse Satire auf den Tyrannen.

    Diese Geschichte inspirierte später Musiker wie Lully, Händel und Haydn zu barocken Opern.

    Heute haben wir eine lange Tour vor uns. Zuerst Piazza Armerina, dann Agrigent mit dem Valle dei Templi. Wir müssen uns etwas beeilen. Der Bus steht schon vor der Tür, und wir müssen unsere Koffer noch einladen.“

    Monsignore Morgenstern hatte den Patron in das Domus Sanctae Marthae, das Gästehaus des Papstes, zum Frühstück eingeladen. Er hatte ihn auf dem Petersplatz erwartet und ging mit ihm zielgerichtet zum Arco delle Campane, dem Grenzübergang. Dort holte er einen kleinen unscheinbaren Schlüssel mit Messiganhänger im Scheckkartenformat aus der Tasche und wies ihn der Schweizer Garde vor, die daraufhin salutierte und beide durchließ. Sie gingen über die ehemalige Privatrennbahn des Kaisers Nero. Hier sollte das Massaker während der Christenverfolgung sowie die Kreuzigung des Petrus mit dem Kopf nach unter stattgefunden haben. In der Nähe einer kleinen Grünfläche kontrollierte sie nochmals ein Gendarm des Vatikans. Linkerhand befand sie die Tür der Eingangshalle des Gästehauses und direkt darüber die Fenster der beiden Räume, in denen der Papst wohnt. Sie gingen die Treppe zum Empfang hinunter und an der dort am Empfang sitzenden Ordensfrau vorbei in den Frühstücksraum. Monsignore Morgenstern steuerte einen Tisch an, der offensichtlich für ihn reserviert war.

    Links vom Eingang befand sich ein mittelgroßer Tisch, an dem bereits mehrere Personen saßen. Links außen von der Tischmitte kehrte ein Mann in weißem Umhang, unter dem der dunkle Straßenanzug durchschien, dem Raum den Rücken zu. Er erhob sich und ging zum Buffet, steckte zwei Scheiben Brot in den Toaster und nahm von einer fast leeren Schale eine Schinkenscheibe und ein Stück Melone. Dann wandte er sich um und schaute in die Runde. Er musterte Gesicht für Gesicht, Tisch für Tisch und Gast für Gast. Es dauerte etwa eine halbe Minute. Die Toastscheiben sprangen aus dem Toaster, und er begab sich wieder auf seinen Platz. Dort schenkte er sich Kaffee aus einer bereit stehenden Kanne ein und begann sein Frühstück.

    Der Monsignore wandte sich an den Patron.

    „Das ist der neue Stellvertreter. Viele der Kurienmitglieder und Kurienmitarbeiter mögen ihn nicht. Sie nennen ihn den „irren Argentinier“, den „Barmherzigkeitsjunkie“ .Und er weiß das.“

    Der Patron holte tief Atem und schüttelte andeutungsweise den Kopf. Das konnte viel bedeuten.

    „Ich habe übrigens ein Problem“, fuhr der Monsignore fort.

    „Eine alte Bekannte, sie war mal meine Assistentin an der Jewish University of Jerusalem – Lilith, du kennst sie vielleicht noch, hat angerufen. Sie arbeitet zur Zeit als Journalistin in Palermo.

    Sie berichtet mir, dass dort eine griechische Luxusjacht im Hafen liegt. Sie hat den Namen „Horse“. Es sieht so aus, als sei eigenartigerweise ein Teil des Schiffsnamens überstrichen worden. Der Kapitän heißt Ulysses. An Bord befindet sich eine illustre Gesellschaft. Alles hochrangige Leute aus den Maghrebstaaten. Sie bemühen sich intensiv um Kontakt zur Ehrenwerten Gesellschaft. Lilith befürchtet, dass etwas weitreichend Bedrohliches entstehen könnte, und sie fragt mich, ob ich nicht nach Palermo kommen könne. Sie traut mir zu, ich könne helfen, drohendes Unheil zu verhindern. Willst Du mitkommen? Ich habe vorsorglich schon zwei Flüge nach Catania reservieren lassen. Wir können schon heute fliegen.“

    Der Patron nickte.

     

     

     

     

  •  

    Tommy 

    My owner calls me Tommy. I have a large body with a thin long tail. I am plump and sit all day long on the couch feeding myself and watching TV. My owner is a very fat person. He feeds me daily with his leftover food. Every day I have breakfast, a light meal, brunch, afternoon refreshments and an opulent dinner. Between meals I love to drink coca cola and eat peanuts that I find adorable. I like eating bacon or sausages, Afterwards, I also like to eat cakes, chocolate and sweets. Every part of my body rebels against my stomach.  I´m asked: “Why should we be perpetually being engaged in administering to all your wants, while you do nothing. Simply you rest and enjoy your food. Your legs need to move, the pancreas needs the rest from the sweets and other foodstuffs. All your organs can no longer do their job”.

    Afterword

    Kim Campbell-Thornton who has written many articles and books about dogs and cats ,in the  article “Diabetes rising pets “ (image  above),  affirms: „As with people, the incidence of diabetes in cats and dogs is increasing and diabetes now affects as many as one in 50 of the animals, It is published in the literature that obesity is on the rise, No. 1, and No. 2, diabetes is on the rise right along with it.“

    Author’s note   

    Respect your body’s needs. Give your body excellent care to promote its health and well-being. Give it everything it absolutely requires including healthy food and drink.                    To continue stuffing food into a satiated body is to be trapped into believing that more of something is the cause of your happiness. To keep on feeding it is not as good as stopping. Eat, but stop when you are full.

     The World Health Organization warns: «Obesity has reached epidemic proportions globally, with more than 1 billion adults overweight – at least 300 million of them clinically obese – and is a major contributor to the global burden of chronic diseases, such as diabetes, cardiovascular diseases and disability.”  In the 21st century the simple advice for a healthy diet is “Enough is enough”.

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Tommy 

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Mein Herrchen nennt mich Tommy. Ich habe einen mächtigen Körper und einen dünnen langen Schwanz. Ich bin plump und hocke den ganzen langen Tag auf der Couch, ernähre mich selbst und sehe fern. Mein Herrchen ist eine sehr fette Person. Er füttert mich täglich mit seinen Essensüberbleibseln. Jeden Tag bekomme ich Frühstück, ein leichtes Essen, Brunch, nachmittägliche Erfrischungen und ein reichhaltiges Abendessen. Zwischen den Mahlzeiten liebe ich es, Coca Cola zu trinken und Erdnüsse zu essen, die ich wunderbar finde. Ich mag Schinkenspeck oder Würste. Danach esse ich auch gern Kuchen, Schokolade oder Süßigkeiten. Jeder Teil meines Körpers wehrt sich gegen meinen Magen. Ich werde gefragt: „Warum sollten wir uns andauernd mit deinen Wünschen beschäftigen, während du gar nichts tust? Du ruhst dich einfach aus und genießt dein Essen. Deine Beine müssen sich bewegen, die Bauchspeicheldrüse braucht Erholung von den Süßigkeiten und dem anderen Esskram. Alle deine Organe können nicht mehr länger ihre Aufgaben erledigen.“

    Nachwort

    Kim Campbell-Thornton, die viele Artikel und Bücher über Hunde und Katzen geschrieben hat, bestätig in dem Artikel „Diabetes schwemmt Haustier auf“ (siehe obiges Bild): „Genau wie bei Menschen steigt der Anteil an Diabetes bei Katzen und Hunden, und Diabetes betrifft eines von fünfzig Tieren. Es ist in der Literatur veröffentlicht, dass erstens Fettsucht immer häufiger vorkommt und zweitens Diabetes im gleichen Ausmaß ansteigt.

    Bemerkung des Autors

    Respektiere die Bedürfnisse deines Körpers. Gib deinem Körper hervorragende Pflege, um seine Gesundheit und Wohlbefinden zu gewährleisten. Gib ihm alles, was er absolut benötigt einschließlich gesunder Ernährung und Getränke.

    Weiter Nahrungsmittel in einen gesättigten Körper zu stopfen bedeutet, dass du in der Falle steckst, die dich glauben lässt, dass mehr von etwas die Ursache deines Glücks ist. Weiter zu essen ist nicht so gut wie damit aufzuhören. Iss, aber höre auf, wenn du satt bist.

    Die Weltgesundheitsorganisation warnt: „Fettsucht hat weltweit epidemische Ausmaße erreicht mit mehr als 1 Milliarde übergewichtigen Erwachsenen, von denen mindestens 300 Millionen klinisch fettsüchtig sind. Und das ist ein wesentlicher Beitrag zu der weltweiten Last der chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Behinderung.“

    Im 21. Jahrhundert ist der einfache Ratschlag für eine gesunde Ernährung „Genug ist genug!“

    Bemerkung des Übersetzers

    Das Wort Diät kommt aus dem Griechischen δίαιτα (díaita) und bedeutete ursprünglich Lebensweise. Inzwischen wird es für gesunde Ernährung benutzt.

  • Lichtes Wunder

    (14.4.2017)

    Umgeben von Zärtlichkeit der Farben
    vom Gesang der Vögel
    vom tanzenden Gersten- und Raps-Meer
    getragen von deiner Liebe
    schwinge ich mit der atmenden Erde
    betrachte das Leben
    und denke:
    Danke

  • Der Frühaufdreher

    oder:

    Gegen die Zeitumstellung

     

    Gott hatte angeblich die Idee, der Mensch solle sich die Erde untertan machen. Der Mensch hat ihm das abgenommen und angefangen, dies und jenes auf der Erde zu verändern.

    Das Klima beispielsweise, oder das Licht. Schaut mal auf Europa bei Nacht. Als ich Abitur machte, sollten die fossilen Energieträger in 25 Jahren aufgebraucht sein. Der Mensch hat sich überschätzt. Er hat selbst das bis heute nicht geschafft.

    Als ich Abitur machte, wurde beim Rudern der Skull direkt vorm Einsetzen in das Wasser aufgedreht. Über der Wasserlinie, beim Vorrollen in die Auslage, wurde er abgedreht, also waagerecht geführt. Das klingt richtig, wegen des geringeren Luftwiderstandes.

    Das Ruderblatt braucht einen hohen Widerstand im Wasser und einen geringen an der Luft.

    Früher war ein Ruderzyklus nach dem Endzug zu Ende. Das ist heute nicht mehr so. Wenn die Hände vor dem Vorrollen über den Knien ankommen, dann erst ist der Zyklus zu Ende. Das mußte ich neu lernen, umlernen. Und über den Knien wird auch aufgedreht. Das ist angeblich besser für das Einsetzen des Ruderblattes ins Wasser. Also: Früher aufdrehen. Ich finde das widersinnig und freue mich darauf, daß man bald wieder rudert wie früher. Es wird so kommen.

    Solange bleibe ich eben Frühaufdreher.

    Seit 2 Wochen haben wir die Zeit auf Sommerszeit umgestellt. Ich stehe also eine Stunde früher auf. Bin somit auch Frühaufsteher. Man kann die Zeit umstellen.

    Die Idee ist nicht neu, schon 1784 erläuterte Benjamin Franklin, daß durch das ausgiebige Nachtleben viel Energie vergeudet würde, und er schlug vor, pünklich ins Bett zu gehen und früh aufzustehen.

    Um Energie des Nachts einzusparen, wurde im ersten Weltkrieg eine Sommerzeit eingeführt, nach Kriegsende wurde sie wieder abgeschafft. Im zweiten Weltkrieg gab es dann wieder eine Sommerzeit. 1947 wurde sogar eine doppelte Sommerzeit verordnet, allerdings nur für 7 Wochen, dann war Schluß damit.

    Nach der Ölkrise gab es 1980 für Deutschland wieder eine Sommerzeit, und seit 1996 gibt es eine Sommerzeit für die Europäische Union.

    Man kann, soweit hat die Menschheit es gebracht, die Zeit schalten. Dafür gibt es heute extra Zeitschaltuhren.

    Man kann auch jemandem die Zeit stehlen.

    Man kann sich Zeit nehmen.

    Man sollt sich immer dann Zeit nehmen, wenn man keine mehr hat.

    Heute gibt es sogar Zeitmanagement.

    Und Zeitfenster, ganz modern. Besonders in Führungsetagen.

    Aber freut Euch nicht zu früh:

    Im Herbst wird die Zeit dann wieder zurückgeschaltet.

    Ein Wahnsinn.

    Eine Riesenspökenkiekerei.

    Weil: Die Zeit schaltet sich nicht. Die Zeit läuft auch nicht.

    Die Zeit ist einfach eine Idee von uns Menschen, die gerne etwas eindimensional darstellen: Länge, Zeit, Höhe, Breite.

    Dem Raum und seinen Veränderungen ist das ganz egal.

    Uns ja auch: Die OP Zeit wird manipuliert, die Deutsche Bahn hält sich nicht an Fahrpläne, Verabredungen sind in der Schweiz oder in Frankreich etwas ganz anderes als in Deutschland.

    Ich bin immer relativ pünktlich, darum muß ich aber auch viel mehr warten als meine Mitmenschen. Bis auf das Aufdrehen beim Rudern: Da warten immer alle auf mich.

    Ich wäre dafür, das Zeit schalten zu unterlassen, der Natur die Zeit zurückzugeben, die Winterzeit abzuschaffen, etwas früher aufzustehen und dafür etwas später aufzudrehen.

    Und doch ruft mir der Steuermann wieder zu: Heiner, Du kommst zu spät!

    Und dann lachen im Achter wieder sieben.

  • A SPARROW TALE ( Dr. med. André Simon)

     

     

    There is an old story that tells how a grand Knight, who was riding through a forest, one day, came across a sparrow lying on the ground on its back with both feet in the air. To the question: what does it do, sparrow said, that the sky is to fall down. „The Knight laughingly replied „Are you going to keep it?“ „Everyone should do what one can“ said the sparrow.

     

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

     

     

    Die Geschichte vom Spatz

    Es gibt eine alte Geschichte, die erzählt, wie ein berühmter Ritter auf seinem Ritt durch einen Wald eines Tages an einem Spatz vorbei kam, der rücklings auf dem Boden lag und beide Beine in die Höhe streckte.

    Auf die Frage, was er mache, sagte der Spatz, der Himmel falle herunter.

    Der Ritter antwortete lachend: „Fängst du ihn auf?“

    „Jeder sollte tun, was er kann!“, sagte der Spatz.

     

    Übersetzung von Dietrich Weller