Schlagwort: Arbeit

  • 1993 kam ich von einer kurzen sehr ergiebigen Griechenlandreise zurück und erfuhr aus der Zeitung, dass ich Konkurrenz bekommen hatte. Zwei Fachkollegen hatten sich 500 m von mir entfernt niedergelassen. Wir luden sie ein, sprachen freundschaftlich mit ihnen und es ließ sich gut an bis auf die Gewissheit, dass sich nun mehr Leute in den nicht größer gewordenen Kuchen teilen mussten. Alle Patienten, die männliche Ärzte bevorzugten, schöne große neue Praxisräume, hübsche Arzthelferinnen, Bestellsystem und Fahrstuhl haben wollten, verließen mich; auch diejenigen, denen ich zu ungeduldig war. Eine Katastrophe zunächst. Dann tröpfelten einzelne frühere Patienten zurück. Die Atmosphäre entspannte sich. Wir vertraten einander und waren einigermaßen sicher, dass wir miteinander leben konnten.

    Dann fiel der nächste Schlag. Von heute auf morgen wurde mir die Röntgenzulassung entzogen. Meine Einrichtung war veraltet, die Bilder entsprachen qualitativ nicht mehr den Anforderungen. Auf meinem Haben-Konto durfte ich allerdings verbuchen, dass meine Diagnostik und meine Therapie (-Vorschläge) bis dahin einwandfrei waren. Eine glanzvolle Erinnerung habe ich an eine Patientin, die unter dem Verdacht auf Schenkelhalsfraktur sekundär zu mir geriet. Ihre Hausärzte, die nicht besonders viel davon hielten, Überweisungen an Orthopäden auszustellen, da sie ja ohnehin selbst alles wussten und konnten, hatten die Patientin in eine radiologische Praxis geschickt. Der Befund:  „kein Anhalt für …“. Doch die Schmerzen bestanden unverändert weiter. Nun wurde ihr – einer bekannten Butzbacher Persönlichkeit –  tatsächlich eine Überweisung zum Orthopäden zugestanden, mit der Einschränkung „zur Diagnostik“, damit nur ja keine „fachärztliche“ Therapie daraus würde. Meine klinische Untersuchung mündete in den starken Verdacht auf eine Schenkelhalsfraktur. Jetzt musste das Röntgenbild angefordert werden. Es war trotz seiner fach-radiologischen Provenienz ziemlich verbesserungsfähig, zeigte aber doch eine eindeutige intermediale Fissur des Schenkelhalses. Das war den Hausärzten peinlich, mir aber ein inneres Gau-Turnfest.

    Zurück zum Entzug meiner Röntgenzulassung. Wir hätten das Röntgengerät aufmöbeln oder ersetzen und nach erneuter Prüfung die Zulassung behalten können. Nun war mein Mann und einziger Mitarbeiter in der Praxis ein exzellenter Wirtschaftsingenieur. Seine diesbezüglichen Fähigkeiten hatte er bereits beim Umzug der Praxis von Kassel nach Butzbach bewiesen. Durch Verkleinerung der Räume, Verzicht auf weiteres Personal, radikaler Verminderung der Ausgaben und Ausbau von ein paar Besonderheiten wie z. B. Hausbesuch – bei Orthopäden durchaus unüblich – war der Betrieb endlich „wirtschaftlich“ geworden. Er stellte mir frei, die Ausgabe für eine neue Röntgeneinrichtung in den Kauf zu nehmen, musste mir aber davon abraten, da der Röntgenanteil seinen Berechnungen nach nicht wirtschaftlich zu erbringen war.

    Wir verzichteten auf eigenes Röntgen – für einen Orthopäden ungeheuerlich – und trafen ein Abkommen mit einer sehr kollegialen Röntgenärztin. Meinen Befürchtungen zum Trotz stiegen unsere Einnahmen an. Auf einmal konnten wir von der Praxis leben. Ein bescheidenes Zubrot ergab sich aus meiner Mitarbeit im Prüfungsausschuss der Kassenärztliche Vereinigung. Über 10 Jahre saß ich dort, an Mittwoch Nachmittagen, lernte eine Menge und verdiente ein bisschen was dazu. Wir besuchten zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen. Ich hielt Vorträge in Volksbildungswerken und bildete mich zur Abrechnungs-Expertin aus. Der Schachzug gelang. Inzwischen sind wir Rentner und leben bequem. Die weitere Entwicklung, die ja durchaus Anlass zu Pessimismus gibt, liegt nicht mehr in unserer Hand.

    Es kommt aber noch eine Fortsetzung. Als ich versuchte, meinen Kassenarztsitz, den ich bis zum vollendeten 68. Lebensjahr innehatte, weiterzugeben, dachte ich natürlich an meine hiesigen Kollegen. Sie hatten inzwischen einen dritten Orthopäden als Angestellten, ohne eigene Kassenzulassung hinzu genommen. Dieser war aber ein rechter Stoffel, der es nicht einmal für nötig hielt, telefonisch bei mir vorzusprechen. Da fing ich an zu „mauern“ und Verhandlungen mit einem sympathischen etwa 18 km entfernt praktizierenden Kollegen aufzunehmen. Das zog sich in die Länge. Ein Anwärter z. B. nahm lieber eine Oberarzt-Stelle an und blieb in der Klinik, verständlich. Eine andere Praxis, etwas näher gelegen, sprang ein. Ich schloss mit dem jungen angestellten Orthopäden einen Vertrag. Jetzt begannen meine hiesigen Kollegen quer zu schießen, zitierten mich vor die KV, die Landesärztekammer und das Sozialgericht. Ich gewann erwartungsgemäß, denn einer neueren sozialgerichtlichen Entscheidung zu Folge war ein Kassenarzt-Sitz nicht gegen den Wunsch der Inhaberin zu vergeben. Wir konnten uns den Rechtsbeistand sparen. Die prominente Rechtsanwältin unserer Kontrahenten dagegen durfte  sich anschließend ein neues Auto leisten.

    Nach ihrer Trennung von dem „Stoffel“ und einer Gesetzesänderung haben meine Kollegen längst einen angenehmen „Dritten“. Wir sind versöhnt, und ich konsultiere sie bei Bedarf selbst.         

    Gut gegangen.