Tag: Mythologie

  • Fußspur – Planta pedis[1]     04.05.2022 

        Die Fußspuren göttlicher Wesen, von denen uns antike Autoren berichten, sind flüchtig und manifestieren sich nur während eines begrenzten Zeitraumes. ἲχνος, ἲχνιον, ἲχνια heißt es griechisch, lateinisch vestigium, vestigia und im Deutschen sind neben “Fußspur” auch Fußstapfen und Fußabdruck gebräuchlich[2]

        Göttliche Fußspuren in antiken schriftlichen Quellen:

    da schritt ihm Pallas Athene
    nun behende voran ; er folgte den Spuren der Göttin – μετ’ ἲχνια βαῖνε θεοῖο[3].
     …schritt sodann, die hehre Göttin Kalypso,
    ihm [Odysseus] behende voran; er folgte den Spuren der Göttin –  ὁ δ’ ἔπειτα μετ’ ἴχνια βαῖνε θεοῖο[4].

        Odysseus folgt den Spuren der Athena und der göttlichen Nymphe Kalypso. Schuhe können wie Fußabdrücke die Erscheinung der Gottheit vertreten, sei es aus kultischem Anlass oder als Gewähr für ihre ständige Gegenwart.

        Manche Fußstapfen hingegen sind so charakteristisch, dass

    der Erdenerschütterer [Poseidon] nicht verwechselt werden kann:

    Aias erkannt ihn zuerst, der hurtige Sohn des Oϊleus,
    …das war einer der olympischen Götter..
    ich hab es an seinen Fußspuren gesehen…
    daran erkennt man Götter leicht…[5]

        Ein Hufabdruck vom Pferd des Castor soll sich am Felsen bei Tusculum, dem heutigen Frascati, befinden[6]. Er und sein Bruder Pollux [Polydeukes] hatten an der Schlacht am Regillus-See teilgenommen, seien aber, nachdem die Römer die Latiner besiegt hatten, sofort verschwunden. Nur eine Huf-Spur bezeuge ihre Anwesenheit. Streng genommen ist Castor kein Gott sondern der sterbliche Bruder des Halbgottes Polydeukes/Pollux. Die Mythologie der Brüder ist so variabel, dass es nicht verwundert, wenn sie in demselben homerischen Hymnos gleichzeitig als Dioskuren, Söhne des Zeus und als Tyndariden, Söhne des Tyndareos, bezeichnet werden[7]

        Das ist keine Ausnahme. Dieses Phänomen begegnet überall dort, wo der oberste der Götter, Zeus, in Frauengeschichten verwickelt ist, etwa bei seinem berühmten Sohn Herakles, den ihm die schöne Alkmene geboren hat, der aber zugleich als Sprössling ihres Gemahls, des sterblichen Königs Amphitryon, gilt.

        … einen Fußstapfen des Herakles, der zwei Ellen lang ist, zeigen die Skythen an einem Felsen in der Nähe des Flusses Tyres [in Dakien][8]. Lukian von Samosata fabuliert von einer Insel jenseits der Säulen des Herakles:

    ich schiffte mich zu Cadix ein…wir wurden 79 Tage lang vom Sturm herumgetrieben; am 80. aber erblickten wir..eine waldichte Insel…und begannen deren Beschaffenheit  zu erkunden. Ungefähr zweitausend Schritte vom Ufer wurden wir eine eherne Säule gewahr…auf der die Aufschrift zu lesen war: Bis hierher sind Bacchus und Herkules gekommen. Auch entdeckten wir nicht weit davon zwei Fußstapfen in dem Felsen, wovon mir der eine einen ganzen Morgen Landes groß, der andere aber etwas kleiner zu sein schien. Ich vermutete, dass der kleinere vom Bacchus, und der andere vom Hercules sei[9].

        Ein sterblicher Halbgott, ein Heros, lebt demnach auf  ‘größerem Fuße’ als der zu den olympischen Gottheiten gezählte Dionysos, den er noch dazu an Bedeutung übertrifft? Ja. Lukian ist freilich bekannt für Übertreibungen und Lügengeschichten. Dadurch relativiert sich die Größe des Hercules-Fußes (einen ganzen Morgen Landes!) ein wenig. Geht das aber weit genug um die Darstellung eines Fußspuren-Paares unterschiedlicher Größe  (Abb. 1) für diese Fabel in Anspruch zu nehmen?                                              

     

    Abb. 1: Aus Dion, Makedonien,    Nach Egelhaaf-Gaiser 2013, 150

         Dem widerspricht die Inschrift. Die Weihgeberin, Ignatia Erennia Ermanou, hat “auf Weisung”, kat epitagin, gehandelt. Der Marmorblock zeigt den  Abdruck eines Fuß-Paars von ungleicher Länge und Breite. Die Ferse des  linken größeren und die des kleineren rechten Fußes setzen an derselben Grundlinie an, daher steht eine Schrittstellung nicht zur Debatte[10]. Auch als Fußspuren der Stifterin, die damit ihre Anwesenheit vor Ort dokumentiere, sind sie nicht zu deuten[11], es sei denn der Kunsthandwerker hätte eine – ungewöhnliche – Fehlentwicklung darstellen wollen. Für sonstige Krankheitszeichen sind keine Anhaltspunkte vorhanden[12].

        Der Hercules-Kult geht in Rom weit zurück bis in die Zeit vor “Gründung der Stadt”. Als Beleg für seine Göttlichkeit gilt der “sehr große” Altar, die Ara maxima. Ihre mächtigen Quader sind, wenn auch nach einigen Umbauten in    deutlich späterer Zeit, am Forum Boarium in der Krypta der Kirche Santa Maria in Cosmedin zu sehen[13]. Hercules hatte im Kampf mit dem dreigestaltigen Geryon(eus) eine Anzahl besonders schöner, wertvoller Rinder erbeutet. Der wilde Cacus bemächtigt sich der edelsten von ihnen:   

        Cacus…der grässlich gestaltete Halbmensch
    …stahl aus den Hürden vier herrliche Stiere
    Ebenso viele Kühe von unvergleichlicher Schönheit.
    Um nicht Spuren zu geben von Füßen, die vorwärts gerichtet,
    Zog er am Schwanz sie zur Höhle empor…[14]

        Hercules lässt sich von den abwärts gerichteten Hufspuren nicht lange täuschen. Er sprengt die Höhle, befreit die Rinder und tötet den Dämon.   

        Die irreführenden Spuren erinnern an den Höhepunkt einer Kriminal-Geschichte unserer Zeit. Zwei seriöse Herren, die durch den Leichtsinn und die Gleichgültigkeit junger Leute ihr Liebstes verloren haben, verschaffen einander wechselseitig eine späte Genugtuung. Einer trägt den toten Delinquenten auf dem Rücken und hängt ihn an einen Baum, um dessen Selbstmord zu simulieren. So entsteht eine Fußspur von erstaunlicher Tiefe. Der erfahrene Kommissar schöpft Verdacht, doch er kann (und will) nichts beweisen. Die Folge ist eine Art von individueller Gerechtigkeit, zu der nun auch der zweite der beiden Rächer umgehend seinen Beitrag leisten wird[15].

        In Termessos gab es den inschriftlich bestätigten Fußabdruck eines nicht namentlich genannten Gottes, ἲχνει θεοῦ, in den die Bittsteller hineintraten, um ihm ganz nahe zu kommen[16]. Man dachte an Sarapis, der seine therapeutischen Kräfte bisweilen übertragen konnte, etwa auf sein Pferd, von dessen Hufschlag ein Kranker genesen sei[17], oder auf den Kaiser Vespasian, den ein Patient im Serapeion von Alexandria bat, seine kranke Hand mit der Fußsohle zu berühren. Danach sei die Hand wieder gebrauchsfähig geworden[18].  

        Auch am Eingang zum Mithräum in Ostia traten die Mysten zum Zeichen ihrer Nachfolge in den Fußabdruck des Mithras[19].

        Als die Kaiserin Helena nach Jerusalem gelangte, erwies sie den Fußstapfen Christi auf dem Ölberg die gebührende Verehrung[20].

        Im “Lügenfreund” schildert Lukian von Samosata die eindrucksvollen Zeugnisse der uralten Wege-Göttin Hekate:

    Da stampfte die Hekate mit ihrem Schlangenfuß auf den Boden und schuf dadurch eine sehr große Kluft, so tief, dass sie bis zum Tartaros reichte und Einblick in den Hades gewährt[21].

        Herodot berichtet von Chemmis im Gau von Theben, dort gibt es einen heiligen Bezirk des Perseus, des Sohnes der Danae… Da finde man im Tempel eine der Holzsandalen, die er trägt, zwei Ellen lang; wenn die sich zeige, dann gehe es ganz Ägypten gut[22] .

        Fußspuren in archäologischen Zeugnissen

        Im Gegensatz zu den flüchtigen Tritten göttlicher Füße hinterlassen sterbliche Wesen am Boden mehr oder weniger deutliche Spuren. Eignet sich ein Untergrund zur Bearbeitung, so können mit Hilfe von Hammer und Meißel flache Reliefs entstehen (Abb. 1). Sogar ein glatter harter Untergrund bewahrt  einen Abdruck, der von der Spurensicherung fixiert werden und ggf. zur Aufklärung einer Tat beitragen kann[23].

        Aber auch der Besuch einer Gottheit kann greif- und sichtbare Spuren hinterlassen.

        Göttliche Fußspuren in archäologischen Zeugnissen:

        Übergroße Spuren:

        Wie wir den antiken Quellen entnehmen, können für die Bestimmung der Göttlichkeit Schuhe in Übergröße und Abdrücke von überlebensgroßen Füßen maßgebend sein[24]. Freilich sind nicht alle großformatigen Stapfen geeignet, von ihrer göttlichen Herkunft zu überzeugen. Der Fuß auf einer Stele aus der Nekropole von Kition/Zypern weist zwar die beachtliche Länge von 38 cm auf,  ist aber so nachlässig umrissen und beliebig platziert, dass es schwerfällt, an göttlichen Ursprung zu glauben[25].

        Bei den “Sarapis-Füßen” handelt es sich nicht um Abbildungen von Fußspuren, sondern um rundplastische Darstellungen meist übermenschlich großer beschuhter Füße. ἲχνος bedeutet ja sowohl Fuß als auch  Fußspur[26]. Bekrönt wird der Fuß mit einer – häufig verlorenen – Büste des ägyptisch-römischen Sarapis[27]. Dieser Heilgott war uns bereits in schriftlichen Quellen als möglicher Übermittler seiner therapeutischen Fähigkeiten begegnet. Die vorhandenen Denkmäler, die sich vielleicht an einem verlorenen Kultbild im Serapeion von Alexandria orientierten, stellen nach den Inschriften  Votivgaben dar, doch lasse ihre Monumentalität – teilweise sind sie “übernatürlich groß, ja manchmal kolossal-groß” – eine Erscheinung des Gottes vermuten[28].         

        Inschriften:

        Eine kleine Säule im Museum von Alexandria trägt neben dem Fußabdruck die Inschrift: Ἴσιδος πόδας/Füße der Isis. Kein Zweifel, dass hier die Epiphanie der Göttin epigraphisch bestätigt wird. Gleichwohl hielt M. Guarducci den nicht “allzu seltenen Frauennamen Isis” für den der Stifterin[29].

        Wegen des unvollständigen Erhaltungszustandes einer kanellierten Säule bei Pogla/Pisidien bleibt offen, ob die Fußspur der inschriftlich genannten  Göttin Artemis selbst zugehört oder ihr von einer Stifterin namens Artemeis gewidmet ist[30].

        In Termessos fand sich ein 65 cm hoher Altar, dessen Inschrift sich an den “gnädig hörenden” Theos Hypsistos Epekoos richtet. Sie endet mit den Worten “Ichnei theou”= Füße oder Fußspuren des Gottes. Das räumt alle Zweifel aus[31]

         Motivisches:

        Auf den Blöcken vor dem Tempel der Isis Domina in Belo/Spanien kommen den Eintretenden als Paar zusammengehörige Füße in Schrittstellung entgegen. Dunbabin hält sie deshalb (?) für Fußspuren der Göttin Isis[32]. Der doppelseitige Hallux valgus spricht durchaus nicht gegen ihre Göttlichkeit[33]!

        Berühmt und viel diskutiert sind die Marmorfußspuren in der Quo-vadis-Kapelle an der Via Appia in Rom. Dort soll Christus den aus der Stadt flüchtenden Petrus zur Umkehr bewogen haben[34].

        Votive: Gaben an die Gottheit

        Das in Rhamnous im Tempel der Nemesis gefundene separat gearbeitete Sohlenpaar[35] aus Poros gleicht einem anspruchslosen Votiv.

        Eine Marmortafel aus Lavinium/Pratica di Mare bietet zwei Paar gegensinnig ausgerichtete Füße, die als Flach-Relief in den Text integriert sind. Isidi Reginae C Sempronius Chryse/ros votum solbuit – der Königin Isis. Gaius Sempronius Chryseros hat sein Gelübde erfüllt[36].     

        Auf einem Felsen beim Heiligtum der Athena Sammonia im Osten Kretas lässt eine Inschrift aus dem 6./5. Jh. v. Chr. wissen: dem Denios gehören diese Füße. Das abwärts zeigendes Fuß-Paar ist offenbar mit Sandalen beschuht. Zwei einzelne unbekleidete rechte Füße zeigen nach links[37].  

        Ebenfalls im Osten Kretas hat sich eine aus derselben Zeit stammende  linksläufige Fels-Inschrift mit dem Namen des Weihenden, Thyandros, erhalten. Sie ist von einem nach links gerichteten Fuß-Paar und einem gleichfalls nach links gewandten Einzelfuß flankiert[38]

        Zwei gegensinnige Fußabdruck-Paare aus Italica mit einer Inschrift aus dem  2./3. Jh. n. Chr. sind der Nemesis Augusta geweiht, die hier als Schutzgöttin der Amphitheater angesprochen wird. Vermutlich war der Auftraggeber ein Gladiator[39].

        In Akrokorinth fand sich im Heiligtum der Demeter und Kore ein Mosaik, dessen Bildfeld von zwei mit Schlangen umwundenen Körben eingefasst ist. Zwischen ihnen erkennt man den Abdruck von einem Paar Schuhe, dessen Spitzen auf eine Tabula ansata zeigen[40]. Aus der Inschrift geht der Name des Weihgebers hervor: Oktavios Agathopous, der mit dem trefflichen Fuß= πους,  passend zu unseren Betrachtungen!

        An Zeus Hypsistos richtet sich die Inschrift auf einer Marmorplatte von der Pnyx in Athen: Eutychia euchen theo Hypsisto anetheka = Eutychia hat sie dem allerhöchsten Gott, Hypsistos, geweiht

                       

    Abb. 2: Dem Hypsistos geweiht, Athen, 1./2. Jh. n. Chr. ,   Nach Forsén 1996, 71f. Abb. 68

        Die ganze übrige Tafel wird von einem Paar Fußsohlen eingenommen (Abb. 2[41]).

        Auf der Insel Delos gibt es überregionale Heiligtümer für ägyptische Gottheiten. Eine im Serapeion gefundene Steinplatte lässt zwei große nackte Fußsohlen erkennen[42]. In der Dedikationsinschrift der vier Stifterpersönlichkeiten werden Isis und Anubis als Adressaten genannt. 

        Wenn wir der Göttlichkeit der Sarapis-Füße nicht folgen, ist hier der Ort für die dargebrachten Votive[43].

        In  manche Heiligtümer gelangten gemalte, umrissene oder gezeichnete Körperteil-Votive, etwa in Golgoi/Zypern, wo der heilkundige Theos Hypsistos die Reliefs von Sinnes- und Geschlechtsorganen sowie Kalksteinplatten mit farbig gefassten Augenpartien erhielt[44]. Zugehörig ist wohl auch eine Tafel mit geritztem Augenpaar, einem Jünglingskopf im Profil und einem menschlichen Vorfuß mit den ersten drei Zehen.

        Menschliche Fußspuren

        Literarische Quellen, nicht nur aus der Antike:

    quamquam a pueritia vestigiis ingressus patris et tuis = obwohl ich von Kindheit an in die (Fuß)-Spuren des Vaters und die deinen trat und ihnen so als meinen Leitbildern nachfolgte…[45].

        Als Orest das Grab seines Vaters Agamemnon besucht, hinterlässt er einen Fußabdruck, eine Haarlocke und ein Stück Stoff, die Zeichen an denen ihn seine Schwester Elektra erkennt[46].   

        Ein Rezept gegen Eifersucht:

       … ein treffliches Mittel, ihm die Phöbis zu verleiden, ich sollte …ihren Stapfen mit dem meinigen auslöschen, sodass mein rechter Fuß auf den Stapfen ihres linken und umgekehrt mein linker auf ihren rechten zu stehen käme, und dazu sagen:

    nun bin ich über dir
    und du bist unter mir.
    Und ich tat wie sie mir befohlen hatte.[47]

        Von der Heilkraft des aufgesetzten Fußes:

     Bei manchen Menschen haben von Geburt an einzelne Körperteile eine wunderbare Wirkung gegen irgendwelche Leiden, so bei König Pyrrhos die große Zehe des rechten Fußes, in der eine besondere göttliche Kraft stecke[48].

        Himmelfahrt eines Propheten:

    Während seiner Reise durch die Alte Welt besucht Mark Twain die  Omarmoschee von Jerusalem mit dem “Wunderfelsen in der Mitte der Rotunde”. Mohammed war mit diesem Stein wohlvertraut. An der Stelle wo er stand, hat er bei der Auffahrt “in dem massiven Stein seine Fußabdrücke hinterlassen”[49].

        Archäologische Zeugnisse

        “Ich war hier”. Votanten im Heiligtum[50]:  

        Auf Isis nimmt eine Marmorplatte aus Thrakien Bezug. An den Seiten sind ihre Klanginstrumente (Sistra) dargestellt. Die Abdrücke zwischen ihnen gehören zu zwei rechten Füßen verschiedener Größe. Das spricht für Besucher, die ihre Anwesenheit im Heiligtum dokumentieren[51].

        Am Hymettos in Athen fanden sich in felsigen Untergrund eingraviert die Umrisse von wenigstens fünfzehn Fußpaaren, die in das späte 5. Jh. v. Chr. datiert werden[52].  

        Menschliches, allzu Menschliches:

        Die einprägsame Liebesbotschaft einer Kurtisane wiederholt sich auf einem Ton-Lämpchen ägyptisch-römischer Zeit (Abb. 3).

                                

    Abb. 3: Akoluthi! Folge mir! 2./3. Jh. n. Chr.,   Nach Lau 1967, 93 Abb. 19

        Aus dem Alltag:

        Eine Reihe kleinasiatischer Grabreliefs besteht im Wesentlichen aus  Scheintüren mit Abbildungen von Sandalen-Paaren und Gebrauchs-Gegenständen wie Kamm, Spiegel oder Wollkorb aus dem Umfeld der Frau bzw. Gerätschaften für Symposion, Palästra oder Werkstatt aus der Welt des Mannes[53]. Man legte die Sandalen ab um Sport zu treiben, an einem Symposion teilzunehmen, zum Bad oder vor dem Betreten eines Boudoirs. Ihre Form  erinnert an die so genannten Flip-Flops, ungeformte Kunststoffsohlen mit Zehensteg und Schrägriemenbefestigung.

                                      

    Abb. 3: Mosaik aus Sabratha/Libyen,    Aufnahme der Verfasserin

        Das Mosaik zeigt antike “Flip-Flops” in sehr stilisierter Form (Abb. 3), begleitet von guten Wünschen für ergötzliches Baden[54].    

        Reiseschutz[55]:

        Die Ausrichtung der Sandalen und Füße ist bedeutsam. Eine Marmorplatte, die auf dem Forum Holitorium in Rom als Schwelle gedient hatte, zeigt das Relief zweier gegensinnig angeordneter Fußstapfen und wünscht Glück pro itu et reditu /für Reise und Rückkehr. Nach Aussage der severischen Inschrift hat ein gewisser Iovinus sein Gelübde gegenüber der Dea Caelestis Triumphalis erfüllt (Abb. 4). Dieser Göttin entspricht die punische Tanit, der nach der Eroberung von Karthago in Rom ein Heiligtum am Kapitol errichtet worden war[56].

                      

    Abb. 4: Rom, Kapitolinische Museen. Frühes 3. Jh. n. Chr.,   Aufnahme der Verfasserin

        Reisen war stets unsicher und gefährlich. Solcher Ungewissheit verdanken wir wohl die Weihung eines interessanten Reliefs vom Tor Marancia in Rom. Wiedergegeben sind energisch umrissene nach oben gerichtete Füße und ein  schemenhaft angedeutetes Gegenpaar[57]. Interpretieren wir richtig, so ist die Hinreise bereits glücklich vonstatten gegangen. Nun muss noch die Rückfahrt  bewältigt werden, wofür die Reisenden weiterhin des göttlichen Schutzes bedürfen.      

        Siegeln und Stempeln    

        Im Ashmolean Museum in Oxford befindet sich ein skaraboides Siegel in Form eines nackten linken, nach links gerichteten, Fußes[58]. Exakt sind der ausgeprägte Ballenbereich und die Zehen mit den feinen Falten an der Beugeseite angegeben. Aus orthopädischer Sicht handelt es sich um einen Ballen-Hohlfuß. In zyprischer Silbenschrift ist ein Name angegeben: Pigreus[59]

         Ebenfalls auf Zypern zeigt man einen schuhförmigen Bronze-Stempel (5-10 n. Chr.) vom Typus Planta pedis, wie sie von Töpfern und Steinmetzen verwendet wurden[60].

        Götterspuren – machtvoll und zart

        Nemesis, die Rächerin der Hybris, setzt starke Zeichen. Ihr gestiefelter Fuß tritt den Kopf eines völlig hilflosen Mannes nieder (Abb. 6). Handelt es sich um personifizierten Übermut oder um einen der überwundenen Feinde Roms?[61]  

                         

    Abb. 6: Nemesis Malibu. 2. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr.,   Ausschnitt. Aufnahme der Verfasserin

        In der Aenaeis heißt es:

    Tu regere imperio populos, Romane, memento –
    hae tibi erunt artes – pacisque imponere morem,
    parcere subiectis et debellare superbos[62].   

    Denk’ dran, Römer, die Völker Kraft deines Amts zu regieren,
    Übe die Kunst, die Sitten in Frieden zu ordnen,
    Unterlegene schone, den Hochmut aber bezwinge!    

        So ist ein Bogen geschlagen, zurück zu den göttlichen Fußspuren, auch wenn sie im Falle der Nemesis etwas kriegerisch daherkommen. Ganz anders äußert sich Zeus gegenüber Venus/Aphrodite, der schönsten und anmutigsten seiner Töchter: 

    Dir sind nicht gegeben, mein Kind, die Werke des Krieges.
    Wende dich lieber zu den lieblichen Werken der Hochzeit[63].

         Flüchtig und fruchtbringend ist ihre Spur:             

     Heraus aber stieg die hehre herrliche Göttin, und ringsumher
     unter dem Tritt ihrer schlanken Füße spross frisches Grün.
     Götter und Menschen nennen sie Aphrodite…[64]

    Abgekürzt zitierte Literatur und Bildnachweis:

    Boardman – Vollenweider 1978: J. Boardman – M. L. Vollenweider, Cat. of the Engraved Gems and Finger Rings (Oxford 1978)

    Buchholz 2000: H.-G. Buchholz, Kyprische Bildkunst zwischen 1100 und 500 v. Chr. Images as media. Orbis Biblicus et Orientalis 175, 2000, 215-266 

    F. Castagnoli (Hrsg.) Lavinium I (Rom 1972)  

    Castiglione 1967: L. Castiglione, Tables votives a empreintes de pied dans les temples d’Égypte, Acta Orientalia Hung. 20.2, 1967, 239-252

    Castiglione 1968: L. Castiglione, Inverted Footprints. Acta Ethnographica Academiae Scientiarum Hungaricae 17,  1968, 121-137  

    Castiglione 1971: L. Castiglione, Zur Frage der Sarapis-Füße, Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 97, 1971,  Festschr. Walther Wolf zum 70. Geburtstag, 30-43 

    Dunbabin 1990: Katherine M. D. Dunbabin, Ipsa  deae vestigia… Footprints divine and human on Greco-Roman monuments, JRA 3, 1990, 85-109    

    Egelhaaf-Gaiser 2005: U. Egelhaaf-Gaiser, Herodot und der Fußabdruck des Herakles, Habilitationskolloquium 21. Dezember 2005

    Egelhaaf-Gaiser 2013: U. Egelhaaf-Gaiser, “Ich war ihr steter Diener” Kultalltag im Isis-Buch des Apuleius, in: Imperium der Götter. Isis – Mithras – Christus. Kulte und Religionen  im Römischen Reich (Badisches Landesmuseum Karlsruhe 2013) 150      Abb. 1

    Faletti 2016: G. Faletti, Auf fremde Rechnung, in: Gefährliche Ferien. Italien (Zürich 2016) 7-73

    Forsén 1996: S. Forsén, Griechische Gliederweihungen (Helsinki 1996)   

    Abb. 2

    M. Guarducci, Le impronte del Quo vadis e monumenti affini, figurati ed epigrafici, Rendiconti Pontificia Accademia Romana di Archeologia 19, 1942-1943, 305-344  

    Hermary 1989: A. Hermary, Cat. des Antiquités de Chypre. Musée du Louvre. Sculptures (Paris 1989) 

    Kötting 1972: B. Kötting, Fuß, RAC (Reallexikon für Antike und Christentum) 8, 1972, 722-743    

    Kötting 1983: B. Kötting, Fußspuren als Zeichen göttlicher Anwesenheit, Boreas 6, 1983, 197-201       

    Krug 2001: A. Krug, Björn Forsén, Griechische Gliederweihungen, Klio 83, 2001, 2, 528- 530

    Langdon 1985: M. K. Langdon, Hymettiana I, Hesperia 54, 1985, 257-270

    Lau 1967: O. Lau, Schuster und Schusterhandwerk in der griechischen und römischen Literatur und Kunst (Bonn 1967)    Abb. 3

    Manganaro 1964: G. Manganaro, Peregrinazioni epigrafiche, ArchCl 16, 1964, 291-295 Taf. 69-72

    O. Masson, Les Inscriptions Chypriotes Syllabiques (Paris 1961)

    F. Meynersen, “Zwei Stapfen im Fels!” Ikonographie und Bedeutung künstlich erzeugter Fussabdrücke in der Antike, in: A. Merl – G.-R. Puin – O. Siebisch (Hrsg.), Zwischen Sanaa und Saarbrücken. Hans-Caspar Graf von Bothmer zum 70. Geburtstag (Saarbrücken 2012) 65-103

    Michaelidou-Nicolaou 2000: I. Michaelidou-Nicolaou, A short note on a Bronze Stamp of the PLANTA PEDIS Type, Periplus. Festschrift für Hans-Günter Buchholz zu seinem achzigsten Geburtstag am 24. Dezember 1999 (Jonsered 2000)   

    Nista 1994: L. Nista (Hrsg.) Castores (Roma 1994)

    Petridou 2009: G. Petridou, Artemidi to ichnos: divine feet and hereditary Priesthood in Pisidian Pogla, Anatolian Studies 59, 2009, 81-93

    Simon 1990: E. Simon, Die Götter der Römer (München 1990)

    Simon 2004: E. Simon, Heilende Heroen, AfR 6, 2004, 39-43 Taf. 11, 1 

            Van Straten 1981: T. van Straten, Gifts for the Gods, in: H. S. Versnel (Hrsg.)  

            Faith, Hope and Worship (Leiden 1981)  

            Touchais 1984: G. Touchais, Chronique des Fouilles en 1983, BCH 108, 1984,

            733-843

    Travlos 1971: J. Travlos, Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen (Tübingen 1971)

    Waelkens 1986: M. Waelkens, Die kleinasiatischen Türsteine (Mainz 1986)   

    Wamser-Krasznai 2015: W. Wamser-Krasznai, Fehldiagnose! in: Fließende Grenzen (Budapest 2015) 13-21.

    Wamser-Krasznai 2016: W. Wamser-Krasznai, Bene lava, in: Beschwingte Füße (Budapest 2016) 64-78  

    Wamser-Krasznai 2016: Unter dem Diktat der Schuhmode im Altertum, in: Beschwingte Füße (Budapest 2016) 99-116

    Weinreich 1909: O. Weinreich, Antike Heilungswunder, Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 8,1 (Gießen 1909)  67-73

    Weinreich 1912: O. Weinreich, ΘΕΟΙ  ΕΠΗΚΟΟΙ, AM 37, 1912, 1-68

    Yon – Callot 1987: M. Yon – O. Callot, Nouvelles  découvertes dans la nécropole ouest de Kition, RDAC 1987, 149 -166.


    [1] Zu diesem Thema stellte mir A. Klöckner, Frankfurt am Main, ihre umfangreiche Literaturliste zur Verfügung. Dafür danke ich ihr sehr herzlich.

    [2] Meynersen 2012, 67 Anm. 12.

    [3] Hom. Od. 2, 404; 3, 30; 7, 38.

    [4] Hom. Od. 5, 193.

    [5] Hom. Il. 13, 71 f. Meynersen 2012, 72 Anm. 38.  

    [6] Cicero macht sich darüber lustig, de nat. deor. 3, 11; Kötting 1983, 198; Meynersen 2012, 66.

    [7] Hom. h. an die Dioskuren; Nista 1994, 9.

    [8] Hdt. hist. 4, 82; Meynersen 2012, 73.

    [9] Lukian. Ver. Hist. 1, 7; Guarducci 1943, 309 Anm. 11.

    [10] Vgl. dagegen die Schrittstellung eines Fußpaares am Eingang zum Isistempel in Belo/Spanien, Dunbabin 1990, 86. 89 Abb. 4. Die Autorin hält den Abdruck aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen für denjenigen der Göttin.

    [11] Anders Egelhaaf-Gaiser 2013, 150.

    [12] Bekanntlich sind an Weihgaben in Form von Körperteilen pathologische Veränderungen außerordentlich selten dargestellt worden. s. Grmek – Gourevitch 1998, 293 Abb. 230; Wamser-Krasznai 2015, 14 Bild 3.

    [13] Simon 1990, 72. Die großen sorgfältig geglätteten Quader aus Anienetuff seien nicht früher als in die Mitte des 2. Jhs. v. Chr. zu datieren, Coarelli, Rom  2019, 303.

    [14] Verg. Aen. 8, 208 – 272.

    [15] Faletti 2016, 40 f.

    [16] Kötting 1983, 199; Weinreich 1912, 36 f.

    [17] Iama Epidaur. IG IV 952, 110 ff.

    [18] Sueton, Vesp. 7, 2-3; Tac. hist. 4, 81, 1-3; Castiglione 1971, 33; Simon 2004, 42; Weinreich 1909, 68.

    [19] Kötting 1972, 740; ders. 1983, 199 Anm. 17; Weinreich 1912, 37 Anm. 1; ferner Castiglione 1968, 122 und Anm. 9: außer Caelestis und Mithras empfange auch Kybele als dritte der orientalischen Gottheiten in Rom Fußabdruck-Weihungen.

    [20] Eusebius, vita Constantini 3, 42, zit. bei Kötting 1983, 200 Anm. 25 f.

    [21] Lukian, Philopseudes c. 24.

    [22] Hdt. II, 91; Castiglione 1967, 251; Kötting 1983, 198.

    [23] Meynersen 2012, 66.

    [24] Dunbabin 1990, 86-88 Anm. 16; Kötting 1983, 198 f.  Anm. 10; Meynersen 2012, 69 f. Anm. 26.

    [25] Yon – Callot 1987, 160 f. Abb. 9 a.

    [26] Castiglione 1971, 36 Nr. 8; Weinreich 1912, 37.

    [27] Castiglione 1971, 30-43 Abb. 3; Petridou 2009, 86 f. Abb. 9.

    [28] Castiglione 1971, 32 f.

    [29] Guarducci 1943, 315; Meynersen 2012, 73. Anders Dunbabin 1990, 86 Anm. 16; Castiglione 1967, 244 Anm. 16; eher skeptisch: Kötting 1983, 198 f. Anm. 10-15. 20.

    [30] Petridou 2009, 81-93 Abb. 1-5.

    [31] Petridou 2009, 84 f. Abb. 7.

    [32] Dunbabin 1990, 86. 89 Abb. 4. 5.

    [33] Wamser-Krasznai 2016, 108 Bild 16.

    [34] Guarducci 1942-1943,  305 f. Abb. 1; Kötting 1983, 201 Anm. 32.

    [35] Petridou 2009, 83; Touchais 1984, 7550 f. Abb. 30.

    [36] Castagnoli 1972, 75 Abb. 76; Castiglione 1968, 124 f. Abb. 6. Dunbabin 1990, 90 Abb. 8; Meynersen 2012, 77.  91 Abb. 8.

    [37] Dunbabin 1990, 90 Abb. 7; U. Egelhaaf-Gaiser 2005, T 3, stellte mir freundlicherweise ihren Text zum Habilitationskolloquium  zur Verfügung; Guarducci 1943, 311 Abb. 3; Meynersen 2012, 71. 85 Abb. 2; Petridou 2009, 85 Abb. 8.

    [38] Egelhaaf-Gaiser 2005, T 2; Guarducci 1943, 310 f. Abb. 2.

    [39] Castiglione 1968, 124 Abb. 8. 

    [40] Dunbabin 1990, 85. 87. 108 Nr. 11 Abb. 1; N. Bookidis, Hesperia 43, 1974, 280 f. Taf. 56 f.

    [41] Travlos 1971, 572  Abb. 718;  van Straten, 1981, 144 f.; Guarducci 1942-43, 337 Abb. 17.

    [42] Guarducci 1943, 313 Abb. 4; Meynersen 2012, 74 Abb. 4.

    [43] Castiglione 1971, 36-43.

    [44] Kötting 1983, 197. Hermary 1989, 452. 454 Nr. 934. 940-942.

    [45] Cic. rep. 6, 24; Kötting 1972, 734; ders. 1983, 199.

    [46] deúteron tekmérion podon…Fußstapfen …von zwei Paar Füßen.. Aischyl. Choeph. 205 f.

    [47] Lukian, Hetärengespräche 4, 5, Melissa und Bacchis.

    [48] Plin. n. VII, 20; XXVIII, 9  42; XXVIII, 34, Weinreich 1909, 67. 72; Plut. Pyrrh. c. 3.

    [49] Mark Twain, Reise durch die Alte Welt [1867] (Hamburg 1964) 389 f. weitere Fußabdrücke Mohammeds: Moscheen in Alexandria, Tanta, Kairo; Castiglione 1967, 246:

    [50] Meynersen 2012, 79.

    [51] Dunbabin 1990, 86 f. Abb. 3.  

    [52] “At least fifteen pair of outlines of the feet (platae pedis) of children, adults, and a giant”, Langdon 1985, 264 f. Abb. 1 Taf. 73 c. d; Meynersen 2012, 71.  

    [53] Waelkens 1986, 124-361 Nr. 297-584 Taf. 45-81.

    [54] Dunbabin 1990, 100 Abb. 17 f. Wamser-Krasznai 2016, 64 Bild 1.

    [55] Kötting 1983, 197.

    [56] ThesCra I, 389 Nr. 512 Taf. 106 (E. Simon). Die Taube zwischen den gegensinnigen Fußabdruck-Paaren verbinde Caelestis auch mit Aphrodite, Castiglione 1968, 122 f. Abb. 5; ferner ThesCra I,  435 Empreintes de pieds 897. 898 ohne Abb. (V. Brouquier-Reddé); Guarducci 1943, 320 f. Abb. 9.

    [57] Guarducci 1943, 318-320 Abb. 8.

    [58] “A right foot shown from below”, Boardman – Vollenweider 1978, 15 Nr. 71 Taf. 13.

    [59] Buchholz 2000, 231 Abb. 4i. 250 Anm. 127; Masson 1961, 348 Nr. 360 Abb. 116 und Taf. 60, 10; Meynersen 2012, 86 f. Abb. 3a und b.

    [60] Sie werden unterschiedlich interpretiert: als Segenswunsch, Michaelidou-Nicolaou 2000, 119 Taf. 32, 1-3;  apotropäisch, Kötting 1972, 733; als Zeichen der Praesenz; Zustimmung im Zusammenhang mit Verträgen, Meynersen 2012, 81. Kaiserzeitliche beschriftete Abdrücke auf Kalksteinplatten,  Manganaro 1964, 294, 2 Taf. 71, 1.

    [61] LIMC VI [1992] 758 (P. Karanastassi); Hornum 1998, 136 f.; “und ich werde deine Feinde zum Schemel deiner Füße machen”, Psalm 110, Schweitzer 1931, 215 f. Abb. 11.

    [62] Verg. Aen. VI 851-853.      

    [63] Hom. Il. 5, 428.

    [64] Hes. Theog. 195 f.

  •     Groß ist die Zahl der mythischen Verwandlungen. Besonders im Umfeld der göttlichen Geschwister Artemis und Apollon finden eindrucksvolle  Metamorphosen statt. Beide Gottheiten richten und strafen beim Verstoß gegen Sitte und Recht. Ihre Gründe für die Verwandlung der Wesen mit denen sie jeweils in nähere Beziehung treten, sind aber durchaus unterschiedlich.

    Artemis rächt Verletzungen ihrer jungfräulichen Integrität.

        Als Kallisto, die Schönste, sich dem Gefolge der Göttin anschließt, gelobt sie ebenso wie Artemis stetige Keuschheit. Als diese eines Tages die von Zeus verursachte Schwangerschaft der Gefährtin entdecken muss, lässt sie ihr im Zorn ein zottiges Bärenfell und Krallen wachsen.

                          

    Abb. 1: Verwandlung der Kallisto, 390-380 v. Chr. 
                                       Nach Schefold 1981, 231 Abb. 322

        Was Kallisto dann zustößt, wird in verschiedenen Parallelmythen berichtet. Ob sie von den Pfeilen ihrer Herrin getötet wird, oder von Hera, der eifersüchtigen Gemahlin des Zeus – jedenfalls kreist sie seither als Große Bärin um den Polarstern.

        Den Jäger Aktaion, der Artemis unbekleidet beim Baden beobachtet hat, verwandelt sie in einen Hirsch. Seine eigenen Hunde erkennen ihn nicht mehr und stürzen sich auf ihn, um ihn zu zerreißen. Mit ihren “sanften Geschossen”[1] beendet die Göttin seine Qualen.

        

    Abb. 2: Aktaion, während der Verwandlung von seinen Hunden angefallen.
                                        Nach Schefold 1981, 138 Abb. 180

        Mit Apollon ist es anders. Zwar wird er überall wegen seiner Schönheit gerühmt, aber in der Liebe hat er fortwährend Pech.

        Daphne, die anmutige Nymphe, flieht „schneller als der leichte Lufthauch“[2]  vor dem liebeskranken Gott und entzieht sich ihm endlich ganz durch die Verwandlung in einen Lorbeerbaum. Zu seinem Trost und um etwas von der Geliebten bei sich zu tragen, bekränzt Apollon seine Stirn mit dem heiligen Lorbeer. Musentöchter und- söhne, die es zu wissenschaftlichem oder künstlerischem Erfolg gebracht haben, tun es ihm nach.

                     

      Abb. 3: Daphne wird zum Lorbeer, augusteische Kopie
                  eines hellenistischen Originals (?) Nach Schefold, 208, Abb. 283.

        Die schöne Koronis, bereits von Apollon schwanger, gibt sich auch noch einem Sterblichen hin. Flugs überbringt eine weiße Krähe dem Gott die kränkende Nachricht. Wie so oft trifft die Strafe zunächst den Überbringer der fatalen Botschaft. Das weiße Gefieder färbt sich rabenschwarz. Dabei ist es bekanntlich seither geblieben.                     

    Abb. 4 und 5: Apollon mit weißer und schwarzer Krähe
                                     Nach Schefold 1981, 209  Abb. 284. 285

        Heilkundige, die gern ein wenig über den Tellerrand spähen, kennen den halbwegs versöhnlichen Schluss der Geschichte: Apollon tötet die treulose Koronis, wird aber von Reue gepackt und rettet das ungeborene Kind aus dem Leib der sterbenden Geliebten. Es ist der kleine Asklepios, der anschließend vom weisen Kentauren Chiron erzogen und höchst erfolgreich in den medizinischen Wissenschaften unterrichtet wird.

        Eine seiner Aufsehen erregenden Heilungen gelingt Asklepios beim Sohn des Theseus, Hippolytos[3]. Dieser, zur Keuschheit entschlossen, dient der jungfräulichen Artemis/Diana. Unschuldig-schuldig löst er eine Liebes- und Eifersuchtstragödie aus. Seine scheuenden Rosse schleifen ihn fast zu Tode,

    Und allein die starke Arznei des apollinischen Sohnes  
    gab mir das Leben zurück…
    dann warf Cynthia [ein Beiname der Diana]
    um mich ein dichtes Gewölk…gab mir ein höheres Alter und ließ
    unkenntlich mein Antlitz werden…wies mich hierher [nach Aricia]
    befahl mir zugleich den Namen niederzulegen,
    warst du Hippolytus einst, sollst du nun Virbius sein.
    Seither lebe ich hier im Hain als einer der minderen Götter,
    und die Herrin gewährt mir als dem Ihrigen Schutz[4].

        Unter unseligen Vorzeichen stand die Ehe des barbarischen Thraker-Königs Tereus mit der athenischen Königstochter Prokne von Anfang an. Als er auf Bitten seiner Gattin aufbricht, um ihre Schwester Philomele zu einem Besuch abzuholen, entledigt er sich seiner Verantwortung auf die schändlichste Weise. Er hält Philomele gefangen, tut ihr Gewalt an und schneidet ihr, um sie am Verkünden der Untat zu hindern, die Zunge heraus. Doch Philomele versinkt nicht in Lethargie. Einfallsreich ist der Schmerz und Not macht erfinderisch[5]. Sie setzt sich an den Webstuhl und fügt zwischen das weiße Garn purpurne Schriftzeichen ein, die den Frevel anzeigen. Das fertige Werk lässt sie zu Prokne bringen. Diese versteht sogleich und gerät außer sich vor Wut und Schmerz. Sie mischt sich unter die Bachantinnen, befreit ihre Schwester und tötet ihren kleinen Sohn Itys, um den verbrecherischen Vater an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen[6]. Bevor sich der König rasend vor Zorn auf die Frauen stürzen kann, verwandelt ihn Zeus in einen Wiedehopf, die Schwestern aber in Singvögel[7]

    Literatur und Bildnachweis:

    M. Bieber, Tereus, AM 50, 1925, 11-18  

    A. Klöckner, Mordende Mütter. Medea, Prokne und das Motiv der furchtbaren Rache im klassischen Athen, in: G. Fischer – S. Moraw (Hrsg.), Die andere Seite der Klassik (Stuttgart 2005) 247-263

    Ovid, Metamorphosen. Lateinisch/Deutsch (Reclam Stuttgart 22003)

    Pausanias, Reisen in Griechenland I (Zürich – München 31986)

    W. Schadewaldt, Die Sternsagen der Griechen (Frankfurt am Main – Hamburg 1956)

    K. Schefold, Die Göttersage in der klassischen und hellenistischen Kunst (München 1981)    Abb. 1-5

    E. Simon, Tereus. Zur Deutung der Würzburger Schauspieler-Scherbe.  Festschrift des Kronberg-Gymnasiums (Aschaffenburg 1968) 155-165

    Th. v. Scheffer, Die Legenden der Sterne 

    W. Wamser-Krasznai, Metamorphosen der Haut im antiken Mythos,

    Aktuelle Dermatologie 33/2007, 92-95

    Für Reproduktionen und Bildbearbeitung danke ich H. Zühlsdorf, Gießen.


    [1] Hom. Od. 11, 172 f. 199.

    [2] Ov. Met. 1, 502 f.

    [3] Genannt nach seiner Mutter, der Amazonenkönigin Hippolyte.

    [4] Ov. Met. 15, 533-547.

    [5] Ov. Met. 6, 575.

    [6] Klöckner 2005, 240 f. Anm. 12 Abb. 1. 2; Paus. I  5, 4. 24, 3.

    [7] Ov. Met. 6, 423-674; Bieber 1925, 15 Anm. 4.

  •  

    A swan is the symbol of wisdom, sincere love, fidelity to the partner, innocence, purity, strength, and courage.

    They are in close relationship with the luminous gods and a sacred possessor of magical powers linked to music and singing, combined with the therapeutic powers of sun and water.

    The swan also represents the inner light and harmony of the human spirit, the divine spark in man.

    The flight of swan is compared to the return of the spirit to its source. The swan represents the part of the man who tends to develop the good to himself in perception and spirituality,

    This symbolism arises from the transformation of the ungainly chick into a majestic swan, whose look can push beyond the world of appearances and see in the future.

    The swan song is a metaphorical expression for the final artistic effort of a musician or poet. It refers to an ancient credence that swans sing a beautiful song before they are to die, having been silent during their lifetime.

    Dr. med. André Simon © Copyright

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Der Schwan

    Ein Schwan ist das Symbol von Weisheit, echter Liebe, Treue zum Partner, Unschuld, Reinheit, Stärke und Mut. Sie stehen in enger Beziehung mit den leuchtenden Göttern und sind heilige Eigentümer magischer Kräfte, die mit Musik und Gesang verbunden sind, kombiniert mit der therapeutischen Kraft von Sonne und Wasser.

    Der Schwan stellt auch das innere Licht und die Harmonie des menschlichen Geistes dar, den göttlichen Funken im Menschen.

    Der Flug des Schwans wird verglichen mit der Rückkehr des Geistes zu seiner Quelle. Der Schwan steht für den Teil des Menschen, der dazu neigt, das Gute bei Wahrnehmung und Spiritualität für sich zu entwickeln.

    Dieses Symbol entsteigt aus der Veränderung des unbeholfenen Kückens zu einem majestätischen Schwan, dessen Blick uns jenseits der Welt der Erscheinungen schickt und in die Zukunft sehen kann.

    Der Schwanengesang ist ein bildhafter Ausdruck für die letzte künstlerische Anstrengung eines Musikers oder Dichters. Er bezieht sich auf einen althergebrachten Gauben, dass Schwäne ein wunderbares Lied singen, bevor sie sterben sollen, nachdem sie ihr Leben lang still waren.