Schlagwort: Reisen

  • Pfingsten 1987: Wir wollen uns ein wenig umsehen in Thüringen und Sachsen. Das Auto ist frisch gewartet, die Route genehmigt, (Inter-) Hotels sind festgelegt, Papiere und Pässe in Ordnung. Los geht’s. An der Grenze bei Herleshausen müssen wir natürlich warten. Aber dann schießen unsere Pässe über das Förderband zu uns zurück. In Gotha setzen wir zum ersten Mal den Fuß auf den Boden des nahen, fremden Landes. Der kleine Opel mit dem Mainzer Kennzeichen ist schnell bekannt und wird überall angestarrt. Keine Hindernisse, nur, dass wir eine Arabeske im Sinn haben: Ekkehard und Uta in Naumburg,  außerhalb unserer sanktionierten Route. Und wie der Teufel sein Spiel macht: Verkehrskontrolle. Herzklopfen. Führerschein und Kraftfahrzeugschein sind zur Stelle. Bremsen, Lichter, alles funktioniert wie am Schnürchen. Dann wird unser Reiseplan visitiert, wir fürchten Schlimmes. Doch wir bekommen unsere Papiere zurück mit den freundlichen Worten: Gute Fahrt, meine Damen!

    Ein anderes Glanzlicht: Die Drei Gleichen. Wir erklimmen alle drei Burgberge, genießen viel Grün und, anders als erwartet. intakte Wälder. Die Sage vom Grafen von Gleichen mit den zwei Ehefrauen geriet in das Goethe-Drama Stella, an das der Dichter, nachdem das Publikum gegen das tragische Finale  protestiert hatte, einen zweiten versöhnlichen Schluss anfügte. Da heißt es dann: Und Gott im Himmel freute sich der Liebe und sein heiliger Statthalter sprach seinen Segen dazu. Und ihr Glück und ihre Liebe fasste selig e i n e Wohnung,   e i n Bett und e i n Grab.

    Von Dresden ist es nicht weit nach Radebeul, wo mir, einer alten Karl-May-Leserin, im gleichnamigen Museum das Herz höher schlägt. Bautzen an der Spree, Görlitz an der Neiße, auch schon vor der grundlegenden Restaurierung eine schöne Stadt. Die Friedensbrücke. Da drüben liegt Polen, für uns Westdeutsche damals noch unsagbar fern.      

    Bei der Ausreise falle ich mit meinen beiden Fotoapparaten, einer für Diapositive, der andere für Negative, Papierabzüge, auf. Es sind zwei Praktika, VEB Pentacon, eine vorzügliche Marke, die zu dieser Zeit zwar exportiert, aber im eigenen Land nicht verkauft wurde. Ich rede und rede und kann den Zöllner schließlich daran hindern, meinen belichteten Film herauszureißen. Das Auto wird gründlich untersucht, auch der Benzintank. Sie lassen uns ungeschoren ziehen, wir müssen auch nichts bezahlen, haben nur mehr als eine Stunde verloren.     

    Pfingsten 1989: Diesmal geht es in den Norden der Deutschen Demokratischen Republik. Die erste Station ist Wismar mit der Insel Poel, wo wir Freunde besuchen. Am Pfingstsamstag sind wir nicht die einzigen, die von Schlutup aus nach Osten wollen. Die Grenze hält uns so lange auf, dass wir zu spät zu einem Stapellauf  kommen, schade. Aber Wismar ist schön, auf der Insel blüht der Raps, es duftet. Dicke Kastanienbäume stehen direkt an der Straße. Wir genießen den geräuchertem Aal, von unseren Gastgebern selbst gefangen und zubereitet. Weiter über Rostock und Schwerin, Stralsund und Rügen, Greifswald und Usedom, es klappt alles, wir sind begeistert. Auf der Rückfahrt treffen wir unsere Freunde noch einmal, in Grevesmühlen bei den beeindruckenden  Megalithen. Als wir uns verabschieden, fließen Tränen. Wann werden wir uns wiedersehen? Ein halbes Jahr später ist die Grenze weg. Die Freunde waren inzwischen sicher schon zehnmal bei uns, wir wenigstens fünfmal auf ihrer Insel. Der Raps und die Kastanien blühen immer wieder. Dicke alte Laubbäume begleiten die Straßenränder, so dicht an der Fahrbahn wie sie bei uns schon lange nicht mehr stehen dürfen. Eine kluge Entscheidung hält den Massentourismus fern, Hochhäuser dürfen nicht gebaut werden. Unsere Freundin kann sich nicht vorstellen, an einem anderen Ort dieser Welt zu leben als auf ihrer kleinen Insel.

    Oktober 1989. Familien-Besuch im Erzgebirge, Annaberg-Buchholz. Ich habe eine Tempo-Automatik für meinen Wagen bekommen, um die erlaubte Geschwindigkeit leichter halten zu können. Meine schwerbehinderte Tante muss Geld tauschen; für mich als Begleitperson entfällt der Zwangsumtausch, erstaunlich. Da wir privat wohnen, melden wir uns auf der Polizei an. Wir haben einen Obstkorb mit frischer Ananas, Zitrusfrüchten und Bananen dabei, natürlich auch Kaffee. Aber wir sind es, die verwöhnt werden, mit Köstlichkeiten aus einem privaten Delikatessenladen. Am nächsten Tag kriege ich „frei“, meine Tante gibt mir ihre Mark der DDR, und ich ziehe los, an der Zschopau entlang, vorbei an der Augustus-Burg, weiter nach Freiberg. Von der Stadt weiß ich nicht mehr viel, nur dass es im Ratskeller vorzügliche Rouladen mit Rotkraut gab. Natürlich keinen Wein dazu – Null Promille.      

    Einen Tag später ist schon wieder alles vorbei. Auf der Rückfahrt muss ich nach der richtigen Auffahrt fragen. Der nette ältere Sachse fleht mich förmlich an: „Ach bleiben Sie doch hier, was für eine Praxis könnten Sie haben! Uns laufen ja die Ärzte alle weg!“ Für einen Moment bin ich nachdenklich, aber wenn ich mich jetzt nicht beeile, stehen meine Patienten zu Hause bis auf den Marktplatz. Um 16.00 Uhr beginnt die Sprechstunde, und es ist leider schon 11.00 Uhr. Das wird knapp, aber wir schaffen es[1].

    1996 Klassentreffen in Berlin: Wir laufen immer und immer wieder durch das Brandenburger Tor, hinüber und herüber wie die kleinen Kinder; wohnen im Grunewald im wilden Westen und genießen Kabarett im Osten, die „Stachelschweine“ in der Friedrichstraße. Das literarische Quartett wird gründlich auf die Schippe genommen. Eine Kahnpartie auf der Spree muss natürlich auch sein, mit Gurken versteht sich. Aber was ist das alles gegen die Museumsinsel und den offenen Vorhang!


    [1] W. Wamser-Krasznai, Gehen oder bleiben? in: dies. Scholien und Spolien (2018) 103-105.

  • Klaus Kayser, Verkauft mir den Mao nicht.
    Lehmann media ISBN 978-3-96543-139-3

    Unter Globalisierung verstehen wir im Allgemeinen eine wirtschaftliche Verbindung und Verknüpfung der Länder und Menschen über Kontinente hinweg – mit allen guten und schlechten Folgen, von der raschen Verfügbarkeit der Güter in allen Bereichen der Welt bis zur stundenschnellen Verbreitung eines gefährlichen Virus zu allen Völkern. In dem vorliegenden Buch erlebt der Leser einen anderen weltweit aktuellen Gegensatz, nämlich wie drei Religionen und deren Anschauungen drei Personen auf die Probe stellen.

    Ein wohlhabender chinesischer Autohändler bekommt die Diagnose eines fortgeschrittenen Lungenkrebses, und er bittet seinen in Heidelberg als Arzt arbeitenden Sohn, ihn „auf einer Reise zu den alten Stätten unseres Volkes“ zu begleiten – genau so, wie er einst mit Mao Zedong, dem Vorbild des Vaters, die große Reise unternommen hat. Der Vater weiß nicht, dass der Sohn eine muslimische Freundin hat, die als Wissenschaftlerin in Heidelberg arbeitet. Sie verheimlicht ihren Eltern ihre Beziehung zu dem Arzt, weil sie die Abneigung ihres Vaters den „Ungläubigen“ gegenüber kennt. So entschließt sich das Paar, die Reise durch China mit dem Kranken scheinbar zufällig gemeinsam anzutreten. Die Muslimin erhält eine von dem Arzt kunstvoll eingefädelte Einladung zu einem Vortrag in einer Universität in Shanghai und hat damit einen Grund, auch nach China zu reisen. Das Paar hofft, dass der fremdenfeindliche Kranke im Laufe der Reise die Beziehung der Liebenden erkennt und gutheißt. Sie treffen einander scheinbar zufällig immer wieder in denselben Hotels und unternehmen die geplanten Ausflüge miteinander. Dabei entwickeln sich tiefe Gespräche über alte und neue Kulturen, Bräuche und Lebensweisheiten. Die Reise von Ort zu Ort wird zu einer Reise von Thema zu Thema, von Gesundheit über Krankheit zum Tod. Und, wie könnte es anders sein, von Abneigung über Anerkennung zu Akzeptanz.

    „Mein Sohn, du und deine langnasige kostbar glückliche Lichtfrau, bald meine Tochter, bist willkommen“ ist dafür das erlösende Wort des Kranken am Ende der Reise. Als sie durch das Große Tor der Vollendung zum Aprikosenaltar und dann zur Halle des Schlafs gelangen, erreicht der kranke Vater sein Ziel. Vorher prägt er seinem Sohn und dessen Freundin noch den Satz ein: „Verkauft mir den Mao nicht!“ und meint damit das von ihm verherrlichte Bild des Mao, das er in seinem Herzen trägt und das ihn als großes Foto auf seinem Sarg an der Seite von Mao Zedong zeigt.

    Auffallend ist rein stilistisch, dass die handelnden Personen keine Namen haben. Der Vater, der Sohn und die Schöne sind die Protagonisten. Das klingt allgemeingültig, archetypisch und ist (fast) beliebig in andere Kulturen umzusetzen. Der Leser wird mit breitem kulturellem Wissen anhand von Fotografien und Zitaten, Legenden und Begegnungen durch die chinesische Geschichte und Philosophie geführt und profitiert somit von der langjährigen Reisefreude und Erfahrung des Autors. Das Buch enthält einen QR-Code, der den Leser zu einer App führt, die weiteres Wissen zu der chinesischen Kultur und Geschichte vermittelt.

  • Dieser Text war (ursprünglich vorgesehen für die Lesung Streifzüge, Moderation Dietrich Weller, Stralsund 2020)

    Eigentümlich faszinierend sind Bach und Fluss. Es darf das kleinste Rinnsal sein, etwa in Freiburg die „Bächle“ oder die Dreisam, die, weil sie ein wenig zum Ausufern neigte, durch eine endlose Folge von Stufen gebändigt wurde.  Hauptsache es fließt! Andere Wasser haben auch ihre Schönheiten, stille Wasser wie Teiche, Seen, Maare, und wilde Wasser wie die Nordsee oder der Atlantik. Aber was ist das schon gegen einen Fluss?

    Die Wetter entspringt im Hochmoor am Rande des Vogelsbergs und mündet  über die Nidda in den Main. Um schwimmen zu lernen ging man, bevor sich die Landräte durch den Bau von Bädern und Kreiskrankenhäusern zu profilieren begannen, an die Wetter, in das von uns so genannte „Bad Griedel“ bei Butzbach, zu dem es heute längst gehört. Das Wasser war warm und schlammig, gemütlich und ungefährlich. Auch später behielt die Wetter ihre Anziehungskraft. An einem Flussbogen in Trais Münzenberg begründeten wir ein Wasserheiligtum, wo wir den Nymphen Opfer in Form von Kupfermünzen darbrachten.     

    Der Sommer 1952 war so heiß und trocken, dass die Fluss-Schifffahrt vorübergehend eingestellt werden musste. Für die Ferien hatten wir Streifzüge an und auf der Weser vorgesehen. Unser Schiff setzte wegen des Niedrigwassers so häufig auf, dass wir zwischen Höxter und Hameln ausgebootet und auf kleinere Wasserfahrzeuge umgeladen wurden. Mutige machten sich einen Spaß daraus, den Fluss trotz der beachtlichen Strömung als Fußgänger zu überqueren.

    Östlicher Quellfluss der Weser ist bekanntlich die Werra – zwei Namen, ein und derselbe indogermanische Wortstamm. Beides bedeutet „fließen“.

    Wo Werra sich und Fulda küssen,
    sie ihre Namen büßen müssen.
    Und hier entsteht durch diesen Kuss
    deutsch bis zum Meer der Weser Fluss.

    Das aus einer sehr anderen Zeit stammende Verslein ist auf dem Weserstein in Hannoversch Münden oberhalb des Zusammenflusses zu lesen. Werra-aufwärts wechselte der mäandernde Fluss 40 Jahre lang von einem der beiden deutschen Staaten in den anderen, dass es nur so eine Art hatte. In Bad Sooden-Allendorf, wo man beim Passieren der Werra-Brücke den westlichen Teil des Landes nicht zu verlassen brauchte, erfanden wir ein Wortspiel mit französischen Wurzeln: Qui viverà verrà (die Zeit wird’s lehren) wurde zu: qui viverà Werra (der wird leben, dem es vergönnt ist an der Werra zu weilen). Jetzt verbindet sie wieder!                  

    Die Donau ist bekanntlich alles andere als „schön blau“, aber ihre Entstehungsgeschichte fasziniert. Als Ursprungsort gilt der dekorativ gefasste Quelltopf in Donaueschingen. Das überfließende Wasser sammelt sich in der Brigach, bevor diese sich mit der Breege vereinigt, um dann als Donau bei Immendingen im Karst des Weißen Jura zu versinken. Ein Teil des Wassers tritt im sprudelnden Aachtopf wieder an den Tag, fließt nach Westen über den Bodensee zum Rhein und damit in die Nordsee. Andere Quellbäche füllen das alte Flussbett auf und die neue Donau macht sich auf ihren langen Weg nach Osten zum Schwarzen Meer. Eine Wasserscheide? Ja, doch sie ist auch ein Bindeglied zwischen Norden und Osten. Nicht genug damit; bevor sie sich ins Schwarze Meer ergießt, teilt sie sich in viele Mündungs-Arme und gibt sich alle Mühe, die vier heutigen Nachbarstaaten miteinander zu verbinden. Einmal wurde ich gebeten, für jemanden von der Budapester Kettenbrücke herunter ins Wasser zu spucken; davor habe ich mich gedrückt, der Fluss war mir dreckig genug. Trotzdem ist die Donau ein majestätischer Anblick, wie sie mitten durch das schöne Budapest strömt, dessen Stadtteile sie allerdings heute, trotz der wunderbaren Brücken, faktisch trennt. Zu Stoßzeiten nämlich werden die Brücken zu Nerven-zerfetzenden Verkehrs-Fallen. Vom hoch gelegenen Buda in das geschäftige Pest ist man weit länger als eine Stunde unterwegs, gleich welches Fortbewegungsmittel man benutzt; auch die Straßenbahn kann nicht wie sie sollte. Es gibt keine Rettung außer dem Zweirad oder der U-Bahn, und die bringt einen nicht überallhin.

    Meine erste Begegnung mit der Elbe hatte ich 1942 in Dresden und im Elbsandsteingebirge, dessen Anwohner nicht alle etwas von der aufgezwungenen „Verbindung“ hielten. Das verstand ich damals noch nicht, aber an die mächtigen Felsen kann ich mich erinnern und vor allem an die rote Brauselimonade, die ich dort bekam. 1990 war endlich Gelegenheit, von Osten her über die Elbe nach Westen zu blicken. Wie lange hatte ich mir die Nase am Zaun plattgedrückt und von einem Aussichtsturm, der am Westufer errichtet war, auf die andere Seite hinüber gespäht. Noch waren die Dömitzer Brücken nicht wieder hergestellt, aber es gab genügend Fähren in beide Richtungen. Der Fluss verbindet wieder, wie es sich für ein fließendes Wasser geziemt.

    In Rom, im Tiber nahe der Cloaca maxima, beim Tempel des Asklepios liegt mein Carneol-Ring. Leider hat dieses kleine Opfer meine Freundin nicht vor schwerer Krankheit retten können.

    Der älteste Kult auf der Tiberinsel galt dem Flussgott Tiberinus. Als aber Rom 293 v. Chr. von einer schweren Seuche heimgesucht wurde, benötigte man die Hilfe eines Größeren, des Heilgottes Asklepios. Eine Gesandtschaft machte sich zu Schiff auf den Weg nach Epidauros, dem wichtigsten Kultort des Gottes. Auf der Rückfahrt hatte sie eine heilige Schlange an Bord, die bei der Tiberinsel in den Fluss tauchte. So bezeichnete sie den Ort, an dem der Asklepios-Tempel  errichtet werden sollte. Heute steht da die Kirche S. Bartolomeo. Hospitäler der Israeliten und der Barmherzigen Brüder setzen die Kontinuität der antiken Heilstätte fort. „Zu Bestrahlungen und Behandlungen wandern die Römer über die beiden kurzen Brücken ins uralte Hospital. Dort geht es…sauber zu, da wird der alten Heilüberlieferung noch immer Genüge getan“, schrieb Marie Luise Kaschnitz 1962[1]. Die Ostspitze der Insel erinnert an den Bug des Schiffes, mit dem die heilige Natter nach Rom gebracht wurde. Eine wohl auf das Jahr 62 v. Chr. zurück gehende Travertin-Verkleidung zeigt ein Relief des Äskulap mit seinem Schlangenstab und verbindet so den Tiber mit dem saronischen Golf, aber auch mit den vielen fließenden Brunnen, die zu einem Asklepios-Heiligtum gehören; denn „rein muss sein, der in den duftenden Tempel tritt…“[2].     

    Übrigens sind es von der Tiberinsel nur wenige Schritte zur Giudecca, und dort isst man die allerbesten Artischocken!


    [1] Schlange des Äskulap, in: Engelsbrücke (München 51983) 71 f.

    [2] Porphyrius, De Abstinentia II 19, zit. bei A. Krug, Heilkunst und Heilkult (München 1985) 130.

  •  

    Finde ich meine Richtung
    auf dem alten Kompass
    so würde ich mich
    sehr gern dorthin begeben
    doch weiß ich nicht
    wie viele Tagesnächte es kosten soll
    Verkünden werden es vielleicht
    die goldenen Herden
    mit fröhlichem Gebrüll
    von Sonne umflutet
    jeden Tag
    die satten,
    auf dunklen Schiffen einst,
    da drängten wir
    von Kythira nach Rhodos

    Der Speer zuerst
    er neigt seinen Schaft,
    der Bogen
    eine Mulde weit die Arme
    Nicht Thermopylens letztes
    trauriges Kapitel
    auch nicht Bruder den Bruder, nein
    nur beieinander verweilen sie still
    So möchte die Hand
    Früchte berühren, sie pflücken
    kann ihr doch nur ein Leichtes sein
    bei solch geringer Entfernung
    Meinte man,
    unsre göttliche Insel zu erspähen,
    zu vernehmen
    das laute Geschrei unruhiger Tiere
    so wird
    mein ewig transzendierender Wille
    den noch so kleinen Abstand
    überwinden
    werde ich mir die Früchte nehmen

     

  • Rotenburg an der Fulda

    (9.12.2019)

     

    für Heidi

    Dieses hessische Städtchen habe ich gern
    wegen seiner fröhlichen Fachwerkhäuser
    mit ihren schiefen Wänden, bunten Fassaden
    und Geschichten erzählenden Türen
    wegen des Glockenspiels am alten Rathaus
    im Gewühl des überschaubaren Wochenmarktes
    der beruhigenden Gesänge des Fulda-Wehrs
    vor der alten Brücke als Tribüne
    wegen der Spielplätze im Schlosspark
    umgeben von alten Bäumen, Nistkästen
    und farbenreichen Blumenbeeten
    wegen der Fulda-Wiesen und Kornfelder
    mit ihren vielfältigen Bewohnern
    der Wander- und Fahrradwege
    der herzlichen Grußbotschaften
    bekannter und unbekannter Augen
    vor allem aber
    weil ich dich hier kennengelernt habe
    und das Farbenspiel wunderbarer Sonnenuntergänge
    im Glanz deiner Augen
    auf unserem Balkon erleben kann

    ֎֎֎

  • The DOORS

              

    It is an ancient truth that, after one small narrow door is closed for us, almost immediately a new huge entrance opens. We often hear people say, that happiness is like a butterfly; chasing, it escapes and if we stand still, it       leans on our shoulders. If we have listened to these veracities, we would conclude, that happiness and opportunities happen alone and almost by magic.

    However, in the reality, when one small narrow door is closed for us, we often spend a lot of time complaining about what happened, and the emptiness and noise of our sadness remained. No one reacts quickly enough to see the other entrance where it is assumed to be the better choice.

    Perhaps, at some point in our life’ cycle, we take the best choice, for a certain period. This is enough to make us believe, that it would be our final destiny. However, we should create the destiny with determination and courage by finding for us the proper exit.

    This alleged „emergency exit“, which offers new path towards the „true happiness». is not always open immediately. It is worth pondering over the issue to understand, that life, in reality, is a maze of doors to overstep.   Though, by the failures, we take advantage to acquire the experience and start over.

    The closed door does not work well. Neither, the sadness can go out, nor the happiness can come in.

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Translator´s addition

    A wise chinese saying points out the background of our destiny:

    „By trying to avoid mistakes in choosing our way of life at forks of our paths we are led to our real destiny. Our assumed detour is the true path.“

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Die Türen

    Es ist eine alte Wahrheit: Wenn eine kleine enge Tür sich für uns schließt, öffnet sich fast sofort ein riesiger Eingang. Wir hören oft, dass die Leute sagen, Glück sei wie ein Schmetterling: Wenn wir ihn jagen, flieht er, und wenn wir verharren, lehnt er sich an unseren Schultern an.

    Wenn wir diesen Wahrhaftigkeiten zuhören, schließen wir daraus, dass Glücklichsein und Gelegenheiten von allein und fast wie Zauber geschehen.

    Aber in der Wirklichkeit verbringen wir viel Zeit damit, nachdem sich eine Tür geschlossen hat, über das Geschehene und über die verbleibende Leere und die Störgeräusche unserer Seele zu klagen. Keiner reagiert rasch genug, um den anderen Eingang zu erkennen, von dem wir die bessere Wahlmöglichkeit vermuten.

    Vielleicht ergreifen wir die beste Wahl an einem Punkt unseres Lebenszyklus für eine bestimmte Phase. Das genügt, um uns glauben zu machen, es sei für unser endgültiges Schicksal. Allerdings sollten wir das Schicksal mit Bestimmung und Mut erschaffen, indem wir für uns den passenden Ausgang suchen.

    Dieser angebliche „Notausgang“, der uns den neuen Pfad zur „wahren Glückseligkeit“ anbietet, ist nicht immer sofort offen. Es lohnt sich, über die Angelegenheit nachzudenken, um zu verstehen, dass das Leben in Wirklichkeit ein Labyrinth von Türen darstellt, die man verpassen kann.

    Doch durch die Fehlversuche haben wir den Vorteil, Erfahrungen zu sammeln und von vorn anzufangen.

    Die geschlossene Tür funktioniert nicht gut. Weder die Traurigkeit kann entweichen noch kann das  Glück hereinkommen. 

    Zusatz des Übersetzers:

    Durch den Versuch, Fehler an Weggabelungen auf unserem Lebensweg zu vermeiden, werden wir zu unserem wirklichen Schicksal geführt. Unser vemeintlicher Umweg ist der richtig Weg.“

     

  • Grand Tour 1958

    Beim Wieder-Lesen von D. Richters „Goethe in Neapel“[1] bin ich diesmal an dem Begriff „Grand Tour“ hängengeblieben. Damit ist die Kavaliersreise gemeint. die Aristokraten-Sprösslinge, später auch Söhne von wohlhabenden Bürgern, im 18. und 19. Jahrhundert nach Italien, und dort vor allem nach Venedig, Rom und Neapel unternahmen. In Begleitung der hoffnungsvollen jungen Männer waren oft Kunstgelehrte und Literaten, meist Dienerschaft und immer reichlich Gepäck, denn die Reise ging über viele Wochen und Monate. Nicht alle hatten einen so generösen fürstlichen Mäzen wie Goethe, den der Herzog von Sachsen – Weimar – Eisenach bei vollen Bezügen für weit länger als ein Jahr beurlaubte. Man bewegte sich mit der Postkutsche gemächlich vorwärts.

    Als mir mein Vater zum Abitur 1958 eine Italienreise schenkte, nahmen wir natürlich den Zug, und die erste Station war nicht Venedig sondern Florenz. Außerdem mussten die Osterferien, an die Papa als aktiver „Oberstudienrat“  noch gebunden war, ausreichen. Dennoch lässt sich das Unternehmen viele Jahre vor Beginn des Massentourismus, exakt geplant und wohl vorbereitet durch Lektüre und Kartenmaterial, als unvergessliches Erlebnis durchaus mit einer „Grand Tour“ vergleichen.

    Wir brachen gegen Abend aus unserer kleinen Stadt auf und hatten dann  stundenlang Aufenthalt in Frankfurt, bis unser „D-Zug“ abfahren sollte. Es gab ein Kino, und ich erinnere mich, angesteckt von meinem ‚geologischen‘ Vater, an einen faszinierenden Schwarz-Weiß-Film über das Nördlinger Ries. Dorthin machten wir später einen Ausflug, mit Photoapparat und Geologen-Hammer in der Tasche.

    Ende der 50-er Jahre verfügten die „Schnellzüge“ noch über richtige Speisewagen mit eigener Küche. Ein Kellner ging herum und legte einem Bratkartoffeln nach, toll! Auf dem Brenner standen wir mehr als eine Stunde lang im verschlossenen Zug, Höhepunkt der Südtirol-Krise. Kurz zuvor war ein halbes Postamt mit Bediensteten und Bombenpaket in die Luft geflogen. Polizei und Zöllner durchsuchten alles gründlich, sogar die Seifenschachteln mussten geöffnet werden.

    Gegen 17.00 Uhr waren wir in Florenz und pilgerten zu Fuß, die Koffer in der Hand, auf unsere Pension zu. Einmal fragte mein Vater in seinem besten Italienisch ein altes Mütterchen nach dem Weg. Es antwortete: „I bin do a frimd, aber i hob a Kartn in dera Taschn“, das half uns doch! In der Pension gab es „Table d‘ Hȏte, in Anwesenheit der Padrona di Casa. Man wartete mit dem Essen, bis sie „Buon Appetito“ gewünscht hatte. Das Wasser und der ausgezeichnete Wein waren inclusive. Abends wurden die Schuhe vor die Tür gestellt, und morgens holte man sie geputzt herein.

    Am meisten beeindruckte mich der Ausflug nach Fiesole. Die Uffizien haben mich gelangweilt. Palazzo und Ponte Vecchio waren und sind natürlich wunderschön.

    In Rom hatten wir die Empfehlung der Florentiner Pension an ein vergleichbares Etablissement. Es lag im Vatikan-Viertel. Am Gründonnerstag fand eine allgemeine Papst-Audienz in der Peterskirche statt. Pius der XII, sehr gebrechlich – er starb noch in demselben Jahr – wurde hoch an uns vorüber getragen. Zum ersten Mal erlebte ich in einer Kirche Applaus und lautstarke Begeisterung, Evviva!!! Man reichte ihm weiße Mützen hinauf, die er kurz aufsetzte und nach dieser rituellen Geste zurückgab. An Ostern hielt er seine Rede in fünf Sprachen; sein Deutsch war besser als sein Französisch. In der Pension gab es Schokoladeneier und Biskuit.

    Ich sah Tivoli, die Glanzlichter des Nationalmuseums mit dem  Diskuswerfer, damals noch in den Thermen des Diokletian, das Forum und den Palatin, die Caracalla-Thermen und die Michelangelo-Skulpturen, für die ich allerdings rennen musste, weil unser Zug nach Neapel nicht warten würde und die Heiligen ja erst am Ostersonntag wieder enthüllt wurden.

    Neapel und sterben? Na ja. Es war dort etwa 10 Grad kälter als erwartet. Wieder Fußmärsche zu unserem neuen Hotel, das einsam und allein auf einer öden Fläche lag. In jedem Zimmer gab es zwei Heizrippen, die sich sogar mehrmals am Tag erwärmten. Das war dringend nötig! Ich lehnte mich mit dem Rücken daran, wenn ich Postkarten schrieb.

    Papa lief zur Hochform auf: die Flegräischen Felder, Pozzuoli, der Bradyseismos, Monte Nuovo, Vesuv; aber natürlich auch Paestum, Pompeji, Herkulaneum, Capri. Wir wurden überall angestarrt, wohlwollend eigentlich, padre e figlia! Nicht alltäglich. Meine Schuhe – weiße vorn gerundete Ballerina-Slippers – erregten Aufsehen und Heiterkeit. Die Neapolitanerin trug schwarze spitze, hochhackige Schuhe. Was für ein Kontrast! In Rock und Pumps balancierte sie im Damensitz als Sozia auf der Vespa ihres Kavaliers. Helm? Das war noch sehr fern.

    Gefährdet fühlten wir uns nie. Das kam später. 1991 wurden meine Freundin und ich von Halbwüchsigen mit Steinen beworfen, als wir uns zu weit auf ihr Territorium vorgewagt hatten. 1998 traute ich mich in Neapel nur auf die Straße, wenn ich wie eine Athena Promachos gerüstet war, in der Hand nicht einmal eine Plastiktüte.

    Bei unserer Grand Tour hatte auch Ischia auf dem Programm gestanden, war aber buchstäblich ins Wasser gefallen. Ich bin seither noch nicht dort gewesen, habe es aber für den kommenden März gebucht, bei Leben und Gesundheit und wenn die Welt noch steht.

    Ich freu‘ mich ja so!

    [1] Berlin 22013, 9.

  • IMPRESSIONEN VON DER ZUGSPITZE

    Wenn mich ein jüngerer Mensch fragt (unter jüngeren Menschen verstehe ich alles von 60 Jahren an abwärts), wie es bei mir in meinem Alter jetzt mit der Liebe sei, mit dem Gefühl des Verliebtseins, mit der Sexualität …  dann muss ich sagen: Die Liebe ist weiter gewachsen, verlieben tue ich mich mehr denn je, auch wenn es nur eine letzte sich entfaltende Blütenknospe im Herbst ist oder der erste grüne Grashalm im Frühjahr oder ein vertrocknetes Blatt in Herzform … Sexualität? Ich weiß es nicht. Im Moment spielt sie keine Rolle. Ich merke aber mehr als vorher, wenn ich junge Liebespaare sehe, wann der Funke der Sexualität in das Gefühl des Verliebtseins eindringt, beziehungsweise, wem von den beiden es mehr um die Befriedigung der Sexualität geht und er den anderen dazu braucht. Die Beziehung zum anderen ist zweitrangig. Im Moment spielt sie für mich keine Rolle. Vielleicht ändert es sich noch. Das Leben ist ja voller Überraschungen! Was ich aber – wie ich heute entdeckte – nicht mehr erlebt habe, war, wie sich das Gefühl des Verliebtseins im Körper äußert. Heute erlebte ich es wieder.

    Ich muss neu anfangen: wenn mich einer fragt … siehe oben… Dann würde ich heute sagen: Wenn ich das Gefühl des Verliebtseins wieder erfahren will, dann muss ich nur mit der Seilbahn auf die Zugspitze fahren. Der plötzliche Höhenunterschied löst nicht nur einen unangenehmen Druck in Ohren und Hinterkopf aus, er verursacht auch im Sonnengeflecht das Gefühl des Verliebtseins … aber es ist nicht nur angenehm…

     

  • Wandern

    (1.9.2019)

     

    für Hilmar

     

    Auf Wanderwegen
    von Freunden umgeben
    wesentliche Weltwunder
    mit allen Sinnen wahrnehmen
    Die erlebte Ehrfurcht vor dem Leben
    in alltäglicher Arbeit
    federleicht vielfältig verwenden

    ֎֎֎

  • Mitbringsel

    (9.3.2019)

     

    Bei länger werdenden Tagen
    in Erwartung des Frühlings
    durchströmt von der Morgenröte
    gehe ich auf Meditationsreise
    Als Mitbringsel schenke ich dir
    den Glanz der Augen
    beim Pflücken der Träume
    die Zärtlichkeit des Lachens
    bei Wahrnehmung befreiender Erkenntnisse
    die Gesänge des Herzens
    beim Berühren der Glückseligkeit

    ֎֎֎