Tag: Religion

  • Sind wir denn alle

    Beugend beten Demokraten
    im heiligen Saal.
    Influenzer flüstern, raten:
    Ruft auf Gott zur Wahl
    Hört auf zu Zittern.
    Lest, was wir twittern.
    Sind wir denn alle
    verrückt geworden?

    Gott weiß es nicht.
    Schmelzen die Gletscher
    im hohen Norden?
    Nicht seine Sicht.
    Muss Gott denn heute
    auch demonstrieren?
    Er schwenkt den Hut.
    Ist schwitzen schlimmer
    als zu erfrieren?
    Das tut Gott gut.
    Muss er denn allen
    die Wahrheit sagen?
    Wenn niemand hört.
    Ist nicht das Klima
    cool zu ertragen?
    Wir sind empört.
    Sind wir jetzt alle
    verrückt geworden?
    Das liegt bei Gott.
    Vergibt er Berlin
    die Brandschutzorden?
    Dann ist er tot.

  • Trauer Tag                                                                  

    Dunkel sind ihre Wasser
         Und zerfliessen im Nichts
    Sie bergen den steten Verlust
         Und zerbersten im Licht
    Kalt sind ihre Tiefen
         Und  überfluten das Sein
    Sie greifen nach Wirklichkeiten
         Und verschütten die Hoffnung
    Stark sind ihre Fluten
         Und versprechen welchen Trost?

    All Das                                                                          

    All das
    das rinnt
    die Gassen
    herab
     ein Strom
    trockener Tränen
    ihre Spur
    eingemeisselt
    wofür
    die Zweifel
    schwarzer Entbehrung
    für all das
    das Unvorstellbare
    lauert in jeder Sekunde
    beherrschend  die Welt
    Unverständnis
    für all das
     weht in Zweigen
    bricht den Baum
    fallend auf Stein
    der Gassen
    verborgen ist all das
    unter dem Schleier der Unwissenheit

    Das Zeichen                                                                       

    Flutend  durch Wolkenberge schwarz- geblähtes Segel 
    Ziellos im weiten Raum, einer Aufgabe gehorchend- mit verborgenem Sinn
    Schneidend die Erkenntnis  in Lichtreflexen der Furcht
    Widersprüchlich im zwingenden Strahl eines dunklen Warum
    Aufblitzend-  im fernen Wissen  Gehorsam fordernd
    Ahnen über  jenes Unverfügbare der Zeiten unerklärlich im Jetzt


  • NOTRE-DAME DE PARIS

    Il canto accarezza
    le volte immortali
    del tempio.
    Nubi d’incenso
    s’alzano,
    compagne
    all’umana preghiera.
    Al cuore s’abbraccia,
    caldo,
    un canto di donna,
    melodia dell’infinito.
    Dello spartito
    il tronco silenzio
    lascia sulle navate
    un’ultima eco
    nel duomo deserto.

    Commento :
    La basilica, dopo l’incendio, è diventata
    nel mondo ancora piu’ importante, fascino
    delle pietre, dell’incenso che sale, del
    canto che rapisce.

    NOTRE-DAME DE PARIS

    Der Gesang liebkost
    das  unsterbliche Gewölbe
    des Tempels.
    Wolken von Weihrauch
    erheben sich,
    und begleiten
    das menschliche Gebet.
    Das Herz umarmt,
    warm,
    der Gesang einer  Frau
    eine unendliche Melodie.
    Das plötzliche Schweigen
    der Noten
    lässt auf den Kirchenschiffen
    ein letztes Echo
    im menschenleeren Dom.


    Kommentar :
    Die Basilika ist nach dem Brand für die Welt
    noch wichtiger geworden. Die Faszination der
    Steine, des Weihrauchs, der nach oben steigt,
    der Gesang, der uns ganz in seinen Bann zieht.

  • Spürst du
    wirklich nicht
    die Nähe deines Engels?
    Nimmst du seine
    Spuren nicht wahr?
    Das glitzernde Funkeln
    auf Wasser Schnee
    und Blütenblättern?
    Der Duft der Blumen
    der selbst im Herbst
    noch im Erinnern wirkt?
    Die leisen Abschiedslieder
    der Vögel
    das sanfte Rascheln
    der Blätter im Windhauch
    Doch
    du nimmst sie wahr
    aber erkennst sie nicht
    als Spuren deines Engels

    Du erkennst auch nicht
    den Blick deines Engels
    wenn er dich
    mit den Augen
    eines anderen Menschen
    betrachtet
    Du wunderst dich nicht
    über das leichte Glücksgefühl
    so wunderst du dich
    auch nicht
    über die unerklärliche Trauer
    die dich manchmal befällt
    Oh, würdest du doch erkennen
    dass es die Trauer deines Engels ist
    auch er
    möchte wahrgenommen werden

    Helga Thomas
    12.12.2019

    Der neue Tag beginnt
    Rosa Sonnenaufgangslicht
    und weißer Raureifschleier
    verschönen unsre Welt
    lassen Hässliches verschwinden
    Der neue Tag beginnt
    mit ihm beginnt
    das neue Jahr
    das wiederum den Reigen eröffnet
    von einem neuen Jahrzehnt!
    Rosa Sonnenaufgangslicht
    und weißer Raureifschleier
    scheinen ein Versprechen
    zu verkünden
    Ob wir es entschlüsseln?
    Die nächsten Stunden
    Tage Jahre
    was werden sie uns bringen?
    Lasst uns versuchen
    gutes tun in Schönheit vollendet
    unserer Welt einzufügen


    Helga Thomas
    1. Januar 2020

    Wir müssen heimatlos
    werden damit
    wir die Heimat
    suchen und finden
    in uns
    die Heimat
    die Spiegelbild ist
    der wahren Heimat
    dort haben auch
    Liebe und Frieden
    Heimat gefunden

    Helga Thomas
    8.1.2020

    Sind Bäume nicht
    aufrechte Spiegelbilder
    von Lebensströmen
    die im Verborgenen fliessen?
    Wähle den Baum
    der Bild ist für
    dein augenblickliches Leben
    Vielleicht verstehst du so
    besser den Sinn
    von Hindernissen
    und Umwegen
    Und noch eins…
    Hast du bemerkt?
    Der Fluss
    gradlinig und zielgerichtet
    hat viel Kraft aber
    er musste die Schönheit opfern!

    Helga Thomas

    8.1.2020

  • Alle Sterne unserer Welt
    am Himmel und auf Erden
    als Stein Blüte Frucht und Schneekristall
    sind Teil der göttlichen Schöpfung
    Aus den Augen
    des göttlichen Kindes
    (und seinem Spiegelbild in den Kindern der Erde)
    leuchten und strahlen sie
    Folge ihrem Licht
    Wie der Stern die Könige
    führte so führen sie dich
    ins eigene Innere
    wo im Dunkel
    das göttliche Kind wartet
    … auf uns

    Was waren die Worte,
    mit denen Ihr das Kind begrüßtet,
    das Kind und seine Mutter?
    Welche Wesen entschwebten
    Eurem in Liebe sprechenden Mund?
    Wenn ich Euch
    das frage, lautlos,
    und anderen
    mit begeisterndem Feuer
    davon erzähle,
    welche Kinder werden geboren
    aus dem Schoß meines Mundes?
    Dürfen sie einst
    die Schüler oder Gefährten
    Eurer heiligen Kinder sein?

    Die Luft vereinigt in sich
    das wärmende Feuer
    als Licht,
    das kühlende Wasser
    als Feuchte.
    Das Wort lebt in der Luft,
    sein feuriges Erkennen
    steigt als Licht empor,
    erleuchtet den Raum.
    Die Wogen des Fühlens
    tropfen zur Erde,
    münden dort
    im Strome der Zeit.
    Einander durchdringend
    bilden sie den Stern,
    der dich führt
    auf dem Wege des Königs
    zum Kind,
    geboren durch dich
    in dir.

    Schweigen kann heißen:
    Hören
    auf die Worte der Engel,
    Schweigen kann heißen:
    Warten
    auf das Wort des Du.
    Beide Wege des Schweigens
    sind Wege des Königs,
    der beim Kind
    das Gefäß seiner Hände
    öffnet
    zum Streicheln
    und,
    um das Wort zu empfangen.

    Das Wort der Drei Könige
    Was habt Ihr gesagt,
    als ihr Euch gefunden,
    was habt Ihr gefragt,
    als der Stern verschwunden?
    Was war Euer Wort,
    als ihr den Raum betratet,
    in dem sich
    die Welt zu ändern begann?
    Euer Wort,
    es wirkt fort
    durch alle Welt
    bis ans Ende der Zeiten
    und doch
    ist es verstummt,
    weil unsere Herzen
    nicht hören.

    Der Schatten der drei Könige
    Wo blieb Euer Schatten,
    als ihr Euch beim Kinde verneigtet,
    Eure Geschenke der Mutter zu Füßen legtet?
    In was hat er sich gewandelt,
    am Boden liegend,
    vom Kinde fliehend,
    zum Weg werdend
    IHM
    zum Dunkel der Menschen.
    Er folgte Euch nicht,
    als ihr wieder gingt,
    er blieb
    bei Mutter und Kind
    und sang leise
    das Lied vom Verzeihen.

    Einst
    führte uns der Stern
    und unsere Füße fanden
    den Weg.
    Heute,
    suchen unsere Augen
    den Stern.
    Vielleicht
    wird er nur
    im Dunkel sichtbar?

    Dunkel
    liegt über dem spurlosen Weg,
    den Ihr einst gegangen.
    Schweigen
    erfüllt den Raum,
    als Euer letztes Wort verklungen.
    Aber Euer Stern
    erhellt die Winternacht
    und Sommers
    blüht die Blume
    über dem dunklen
    schweigenden See.


    Der König
    mit dem Kelch in der Hand
    aus Gold, rot wie sein Gewand,
    sprach fordernd zu mir:
    Gib mir Dein Chaos,
    ich nehme es auf
    in meinen ordnenden Kelch
    und bewahre es und bewahrend
    ordnet es sich.
    Dann geb ich es Dir zurück übers Jahr,
    damit Du geben kannst,
    allen
    die Deiner Gabe bedürfen.


    Ich gehe
    und folge
    den Weisen,
    folgend dem Weg weisenden Stern.
    Die Töne
    Eurer Taten
    klingen im Glockenklang
    uns entgegen.
    Unsere Schritte
    bilden den Rhythmus,
    Gedanken
    die Melodie.
    Wer komponiert das Werk,
    zu dem dein Herz singen soll?
    fragte mich einer der Weisen.

    In der Mitte von Ende und Anfang
    stiegen die Sterne nachts herab
    und geleiteten Menschen,
    die ihren Weg suchten.
    Zum Neubeginn erblühen sie nun tags
    und weisen den Suchenden
    den Blick wieder nach oben.


    Und wenn wir sternenähnlich geworden sind
    und wir dem neu geborenen Kinde leuchten,
    werden unsere drei Könige kommen
    und die Schätze aus unserer Vergangenheit uns geben
    und dann wird ein vierter bei ihnen sein.

    Hoffnung
    Ich bin die Mutter, die das Kind gebiert
    und das Kind, das geboren wird.
    Ich bin der Stern, der leuchtet
    und die drei Könige, die ihm folgen,
    und ich bin der vierte König,
    der Mensch, der alles dieses ist.

    Der Ruf erging an Euch,
    aufzubrechen.
    Ihr folgtet ihm und dem Stern
    wie die anderen
    dem Lichte des Engels folgten.
    Nacht –
    dunkel und kalt,
    doch Euch
    schützt und wärmt und führt
    das Licht der Himmel.
    Ich aber sitze hier,
    bei meinem eigenen winzigen Licht
    und warte,
    bis er kommt,
    einzukehren
    in meinen
    engen Raum.

    Auch ich war einst ein König
    wie Ihr,
    ich aber scheute die Mühe des Aufbruchs.
    Auch ich war einst ein Hirte,
    furchtsam und dumm wie diese,
    ich aber konnte nicht glauben.
    So blieb ich immer zurück
    mal traurig, mal zornig,
    Einer muss bleiben.
    Denn wer empfängt sonst
    das Kind,
    bereitet ihm Wohnung
    und Nahrung den Eltern?


    Wo sind sie,
    die drei Weisen,
    die einst
    am Tage der Tage
    den Stern sahen und ihm folgten.
    Wo sind sie heute?
    Wer folgt heute dem Stern?
    Wem leuchtet der Stern heut?
    Wann wird der Sucher
    erleuchtet,
    wann der Erleuchtete
    zum König?
    Wenn er sich auf den Weg gemacht hat,
    dem Stern seiner Erleuchtung zu folgen!
    Ich bin auf dem Weg,
    ich bin aufgebrochen
    in finsterer Nacht,
    denn ich weiß,
    der Stern leuchtet,
    auch wenn ich ihn nicht seh.

    Gute Gedanken – liebevolles Tun,
    harmonisch übereinstimmend,
    rhythmisch wiederholt,
    sind die Melodie,
    die aus den Schritten
    der drei Menschen ertönt,
    die seit Geburt des Kindes
    unterwegs sind,
    sich Nacht für Nacht
    ihm langsam, aber stetig nähern.

  • Taufspruch

    (26.10.2019)

     

    Lasst uns auch sie wahrnehmen
    die Sprachlosen ohne würdige Fürsprecher
    Kinder auf der Flucht
    vor Krieg und Zerstörung
    Straßenkinder, Kinder in Not
    Lasst uns sie wahrnehmen
    und für sie würdige Fürsprecher sein

    ֎֎֎

  •  

    1.

    Einem Pik gleicht dieser Baum
    einsam am dunklen Übergang,
    im Abendschimmer steht der Übergang
    Dorthin, dorthin wolltest du gehen
    zum Nachtlager verbrüdert
    mit erdiger Mutter
    verbrüdert
    mit Windspiel und Reh

    Die narbige Fläche
    hat den Frieden geteilt
    am gradlinigen Wandel
    zur tiefrauschenden Macht
    Alles lag offen
    alles lag bar
    unter den besten Sternenkindern

    Als die Schatten vergingen
    und erste Gesänge uns riefen
    betrat ich die herrliche Pracht
    Denn immerzu konnte sie trösten,
    denn keiner wurde verstoßen
    den Kummer umgab

     

    2.

    Fremd blieb mir jener
    der dies bezeugte
    doch nicht bestaunte
    wie der neue Tag trotzig hervorbrach
    wie er die Schöpfung zornig bedrängte
    immerzu um Anerkennung ringend
    der Durchtränkte,
    im einstimmigen Neigen
    der belaubten Phalanx
    im ungewohnten Grollen
    dumpf und unersättlich
    jähzorniger Elemente

     

  • Weihnachten 2019

     

    Als ich ein Kind zu Weihnacht war
    Von sechs bis sieben Jahren
    Wäscht Mutter mir mein schwarzes Haar
    Sagt, du wirst heut erfahren

    Kalt in der Scheune schreit ein Kind
    In Bethlehem geboren
    Dir Menschensorgen in den Wind
    Laut, einsam und verloren.

    Sie legte es zu mir ins Bett
    Es schlief, ich war am träumen
    Wir träumten beide im Duett
    von Weihnachtslichterbäumen.

    Von der Mutter, die so lieb
    Für uns beide sorgte.
    Die auch in Träumen bei uns blieb
    Uns ihre Morgen borgte.

    Heute, jetzt, im Leben spät
    In den Rentnerjahren
    Träume ich, was sie gesät
    Was ihre Träume waren.

    Ich trinke aus dem Lebenswein
    Bin traurig um die Lieben
    Und danke Gott,  sie sind doch mein
    Gedanken mir geblieben.

    So wasche ich mein graues Haar
    Und färbe meine Seele.
    Das Kind singt mir Halleluja
    Wenn ich von ihm erzähle.

  • Was ist Prägen?
    E. Grundmann 23.01.2019

    Zuerst frage ich gern die Etymologie, denn ἔτυμος (ἔτυμον, ἐτύμη) heisst wahr, echt, wirklich – und bedeutet hier der wahre Wortsinn.

    Prägen geht auf das Alt- und Mittelhochdeutsche zurück und bedeutet pressen, einpressen, vielleicht auch in die Oberfläche einbrechen. Wenn mich also etwas prägt, dann wirkt etwas von aussen auf mich ein und hinterlässt einen Eindruck, einen bleibenden nämlich, wenn von Prägung die Rede sein soll. Da fällt jedem sofort ein, dass ihn Eltern, Familie, Lehrer geprägt haben, dann natürlich auch beeindruckende Erlebnisse. Das ist uns geläufig und bedarf keiner weiteren Ausführung. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass alles und jedes jedes und alles prägt, id est aufeinander Einfluss nimmt, und, wenn man es auf die Spitze treiben will, in einem kosmischen Zusammenhang steht. In den letzten Feinheiten ist das dann so gering, dass zwar nicht mehr von wesentlicher Prägung gesprochen kann – aber es ist vorhanden! Auch in der unbelebten Natur finden Prägungen statt, etwa wenn geologische Schichten aufeinanderpressen oder auch nur Molekül- und Kristallstrukturen sich aneinanderlagern.

    Alles, was ist, wechselwirkt, um so mehr, je näher die Beteiligten und je stärker der Impuls. Es gibt keine vollständige Inertia, Trägheit, insofern, als auch der Schwächste mitwirkt, nämlich im Passivum, indem er sich beeinflussen lässt.

    Auch wir prägen uns hier gegenseitig in unserem schönen BDSÄ, selbst wenn wir das typische Prägealter doch schon mehr oder weniger überschritten haben. Aber so lange wir ein Sensorium besitzen und einen Hauptrechner, der das alles verarbeiten kann, spielen die Eindrücke hin und her.

    Die Überlegung gibt Anlass, über die Verantwortung nachzudenken, die mit einem solchen Einflussgespinst einhergeht. Wir als Sprachschöpfer spüren die Prägungen, welche die öffentliche Sprachkultur auf die Völker ausübt. Wir sehen den Zusammenhang von Verrohung der Sprache und Verfall der Sitten bis hin zur Straftat. Wir sehen die Verführbarkeit der Massen. Victor KLEMPERER hat in seiner LTI[1] bezeugt, wie die Nazi-Propaganda sogar bei ihm, dem Opfer und Gegner der Nazis, in die Oberfläche einbrach und zu prägen versuchte. Ja, es gibt sie, die Prägung wider Willen, die Prägung mit Gewalt, mit List, mit Überredung: Wenn teuflische Ideologien Köpfe verführen, selbst hochgebildete, wenn katastrophale Kindheiten Seelen verbiegen.

    Achten wir wachsam auf das, was uns prägen will. Hinterlassen wir selbst möglichst einen guten Eindruck. Die Naturschützer sagen: Leave nothing but your footprints. Ich erweitere: Leave nothing but good footprints in history! Freunde, prägt euch das ein!

     

    Prägen

    1.      Etymologie

    1.1.   KLUGE < 9. Jh mhd præch(en), bræchen, ahd brähhen – vergleichbar ae abracian einpressen, ostfr. prakken pressen. Verwandtschaft zu brechen besser offen lassen – wictionary: Belege fehlen.

    1.2.   WAHRIG < ahd prahhen, brahhen «brechen machen, gebrochene Arbeit hervorbringen» < germ *brahhjan -> brechen

    1.3.   Wiktionary mhd bræchen, præchen „einpressen, abbilden“ < ahd giprāhhan, prāhhan „indem die Oberfläche eingebrochen wird, etwas einpressen, einritzen“

     

     

     

    [1] Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig: Reclam jun., 1978

  • Beitrag zum BDSÄ-Kongress in Bad Herrenalb

    Lesung zum Thema „Freie Themen“, Moderation: Eberhard Grundmann

    Samstag 22. Juni 2019, 20 h

     

    Wir erinnern uns an den Schreck, als am 15. April dieses Jahres die Nachricht um die Welt raste, dass eine der berühmtestes Kathedralen der Welt, ein Wahrzeichen von Paris, ein Nationaldenkmal religiöser Baukunst und Touristenmagnet für etwa 13 Millionen Besucher jährlich und ein UNESCO-Weltkulturerbe lichterloh brannte, der Holzdachstuhl einbrach und einer der Spitztürme kurz nach Beginn des Brandes einstürzte. Dieses Feuer riss eine große und brennende Wunde in das Alltagsleben der Pariser und machte die kulturbewussten Menschen weltweit tief betroffen. Die Beileidsbekundungen aus aller Welt bestätigten, dass dieses Bauwerk ein Symbol völkerverbindender Kultur darstellt.

    Noch während der Löscharbeiten erklärte Präsident Macron, die Kirche werde wieder aufgebaut, eine groß angelegte Sammlung solle das Geld zusammentragen. Bereits nach 48 Stunden waren 700 Millionen Euro beisammen. Wenn in dieser kurzen Zeit schon so viel Geld bereitsteht, wird über die nächsten Jahre eine sehr große Summe zusammenkommen, die eine Rekonstruktion von Notre Dame ermöglicht. Zum Vergleich: Der Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche kostete 183 Mio. Euro. Allein diese Geschichte zeigt, wie sehr Kunstwerke, die aus dem Glauben an einen Gott entstanden sind, die Wertschätzung von Gläubigen prägen.

    .

    Und ich habe mir überlegt, wie ich selbst von religiösen Werken beeinflusst wurde.

    Ich bin zwar evangelisch konfirmiert, aber später aus Zorn über die Heuchelei in den christlichen Kirchen und aus tiefen Zweifeln an der Existenz eines Gottes aus der Kirche ausgetreten. Nichts in dem Apostolischen Glaubensbekenntnis glaube ich. Meine Wut über die vielfältigen Verbrechen innerhalb der katholischen Kirche mit deren Billigung und Tarnung hält an. Der Widerspruch zwischen dem enormen ideellen, spirituellen und finanziellen Wert der Kunstwerke und der angeblich unantastbaren Integrität und moralisch-ethischen Kompetenz, die von der katholischen Kirche propagiert werden, zeigt die Scheinheiligkeit offen.

    Unabhängig davon fühle ich mich intensiv angesprochen von den großartigen religiösen Kunstwerken, die aus tiefer Gläubigkeit entstanden sind. Aber ich glaube nicht, dass diese Kunstwerke ein Beweis für die Existenz eines Gottes sind, sondern bestenfalls Versuche darstellen, dem Ideal einer Wunschvorstellung Ausdruck zu verleihen.

    Als meine Großmutter mich anlässlich meiner Konfirmation zu einer zweiwöchigen Reise nach Florenz und Rom einlud, kannte ich schon die Grundzüge der römischen Geschichte, die Grundlagen von Latein und einige sehr wichtige klassische Musikwerke von Bach wie das Weihnachtsoratorium, die Matthäus-Passion und Händels Messias.

    Ich werde nie vergessen, wie mir vor den Uffizien in Florenz Michelangelos David-Statue zeigte, dass Anmut und Schönheit kein Gegensatz zu Wucht sein müssen. Als ich dann am Ostersonntag 1961 auf dem Petersplatz in der Menschmenge stand und anschließend durch den Petersdom ging, war ich nicht nur von der Andacht vieler Menschen, sondern besonders von der grandiosen Architektur der Kathedrale und ihrer Kunstwerke tief berührt. Ich stand lange vor der Pieta, die Michelangelo aus einem perfekten Marmorblock gemeiselt und 1499 als 25-Jähriger fertiggestellt hatte. Noch heute kann ich mich erinnern, wie ich von der Schönheit der Statue und der Trauer der Maria betroffen war. Allein der monumentale Faltenwurf in Marias Kleid und ihr verklärtes Gesicht sind unübertreffbare Meisterstücke für sich. Ähnlich erging es mir, als ich in der Sixtinischen Kapelle das Deckengemälde auf mich wirken ließ. Viele Jahre später fuhr ich extra nach Mailand, um dort im Dom die zweite Pieta Michelangelos anzuschauen, die auch sein letztes Werk war und unvollendet blieb.

    Wenn ich erklären soll, was zeitlose Schönheit für mich bedeutet, fallen mir sofort zwei Kunstwerke ein: diese Römische Pieta und eine singuläre Aufnahme von Arturo Benedetti Michelangeli von Galuppis 5. Klaviersonate: eine absolute Harmonie von Form, Material und spiritueller Aussage, eine nicht steigerbare Perfektion, eine absolut reine Darstellung.

    Bewegend ist für mich, mit welch kreativer Kraft, Fantasie und physischer Stärke Menschen ausgestattet werden, wenn sie mit tiefer Gläubigkeit Kunst planen und diese meisterlich, unverkennbar persönlich und zeitlos schaffen – für ihren Gott, dem sie dienen und sich und ihre Gaben als Kunstwerk zurückschenken.

    Über wie vielen Kunstwerken steht das S.D.G.! Das Soli deo gloria! Johann Sebastian Bach hat es oft benutzt, und Anton Bruckner schrieb demütig und wie ein kleines Kind über seine ultimative, seine Neunte Sinfonie „Dem lieben Gott“.

     

    Die Welt-Liste der malerischen Kunstwerke mit religiösen Themen ist unendlich lang.

    Nur ein paar persönliche Beispiele: Schon mehrfach bin ich in Colmar vor dem Isenheimer Altar gestanden, und im April habe ich wieder die Stuppacher Madonna bei Bad Mergentheim besucht, diese wunderbaren Werke von Matthias Grünewald.

    In der Kathedrale von Liverpool habe ich als Schüler einen Konzertabend von Simon Preston an der weltgrößten Orgel erlebt.

    Ich sehe mich in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Berlin vor dem großen blauen modernen Glasfenster, das nach dem Wiederaufbau von dem französischen Glaskünstler Gabriel Loire geschaffen wurde und heute als Gegenstück zu den noch sichtbaren Mauerschäden an die Zerstörung im 2. Weltkrieg dient. Ich erinnere mich an das Freiburger und das Ulmer Münster, an den Hamburger Michel und an den Kölner Dom, der nach dem Vorbild der Notre Dame entworfen wurde.

    Die vielen Konzerte in der schlichten Kirche von Saanen im Berner Oberland, die ich als Student beim Yehudi-Menuhin-Festival über mehrere Jahre besuchen durfte, sind ein prägender Bestandteil meiner kulturellen Erfahrungen.

    Ich erinnere mich an zwei Stunden in der Westminster Abbey, und für mich als Musikliebhaber war es ein besonderes Erlebnis, die Kirche St. Martin-in-the–Fields am Trafalgar Square in London zu besuchen, aus der das weltberühmte Orchester Academy of St. Martin in the Fields stammt, das Neville Marriner gegründet hatte. –

    Obwohl Johann Sebastian Bach nicht katholisch war, schuf er nach seinem Kosmos an Passionen, Oratorien und Kantaten noch seine H-Moll-Messe, für mich eines der größten Musikwerke der Geschichte. Und Mozart beendete sein Leben mit dem Requiem. Auch Verdi komponierte mit seiner Missa da Requiem ein zeitloses und erschütterndes Dokument tiefster Gläubigkeit. Die Schöpfung und Die Vier Jahreszeiten von Haydn, die Requien von Pergolesi, Dvorak und Fauré gehören für mich zu eindrucksvollen Werken der religiösen Kunst. Am Ostermontag 1969 erlebte ich in Wien Beethovens Missa solemnis mit den Wiener Philharmonikern unter Leonard Bernstein. Und das Deutsche Requiem von Brahms zeigt, wie gut deutsche Texte zu religiösen Kompositionen passen.

    Ich erinnere mich an die vier Passionen, die Hellmut Rilling in Auftrag gab zu seinem Bach Musikfest 2000 in Stuttgart: Tan Dun komponierte seine Water Passion nach Texten von Matthäus und leitete auch die Uraufführung. Eine Markus-Passion wurde von Osvaldo Golijov komponiert, Sofia Gubaidulina schuf eine Johannes-Passion, und Wolfgang Rihm steuerte seine Messe Deus passus nach Texten von Lukas bei. Ich bin glücklich, dass ich die Uraufführungen besuchen konnte.

    Denken wir auch an die Schreibkunst, die seit Menschgedenken den religiösen und spirituellen Gedanken Form gab und den verschiedenen Glaubens- und Machtinteressen Ausdruck verlieh. Die Bibel gehört hierher und Dantes Comedia divina, die Thora und der Koran. Und machen wir uns bewusst, wie viele Menschen Gebete, religiöse und spirituelle Texte, Romane und Gedichte verfasst und künstlerisch gestaltet haben. Die Bibliotheken und Museen weltweit sind voll davon!

    Auch die Baumeister aller Jahrhunderte wollten ihrem Gott Denkmäler und Kirchen aller Art und in allen Größen schaffen. Jedes Land, das religiös geprägt ist, hat seine berühmten Kirchen. Ich erinnere mich noch an meinen Besuch in der Al Aqsa Moschee in Jerusalem und in der Hagia Sofia in Istanbul. Der Asakusa-Schrein in Tokio, die Pyramiden von Gize und die Pyramiden der Azteken und Maja, und Tempelanlagen wie in Angkor Wat sind ebenso zeitlose Werke höchster Baukultur, die nur durch religiöse Kraft möglich waren und den Menschen alle Opfer, oft auch das Leben, abgefordert haben.

    In diese Reihe der unverzichtbaren Kulturdenkmäler gehört auch Notre Dame. Ich denke, es ist nur folgerichtig, dass sie wieder aufgebaut wird. Auch die Dresdener Frauenkirche wurde mit vereinten Kräften neu geschaffen und ist heute wieder ein Haus Gottes, in dem ihm mit Musik und Sprache, mit Stille und Glauben gedient und ein mahnendes Zeichen für Frieden und Versöhnung gesetzt wird.

    Vielleicht gibt es diesen Gott ja. Wenn es ihn nicht gibt, haben sich die Menschen mit der Vorstellung, Gott existiere, etwas geschaffen, das ihnen in und aus tiefster Verzweiflung helfen und schöpferische Kraft ohne Ende mobilisieren kann.

    Eine kleine Geschichte will ich als Beispiel anfügen.

    Drei Maurer, die an derselben Mauer arbeiteten, wurden gefragt, was sie da gerade tun.

    Der erste sagte: „Ich verdiene meinen Tagelohn.“

    Der zweite antwortete: „Ich verdiene Geld, um meine Familie ernähren zu können.“

    Der dritte strahlte: „Ich helfe beim Bau einer Kathedrale!“