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Ich meine
dass ich sage
was ich meine
aber ich weiß
das ich nicht immer
meine
was ich sage
und auch nicht sage
was ich meine
Manchmal erkenne
ich erst wenn ich etwas sage
was ich wirklich meine…
In der Kluft zwischen
meinen und sagen
erscheint mein Spiegelbild
ich erkenne mich
wie sich Narziss erkannte
– wenn er sich denn wirklich erkannte –
beim Blick in das Wasser
Ich hoffe nur
dass sich das was ich sage
aber nicht meine
nicht zur echten Lüge entwickeltDas ist gar nicht so einfach, habe ich inzwischen durch die Duplizität eines Vorfalles erkannt. Ich muss dazu etwas ausholen. Also: ich nehme an zwei Arbeitsgruppen teil, die sich regelmäßig treffen. Inhalt und Art der Arbeit ist fast identisch, die TeilnehmerInnen sind es nicht. Auf eine Gruppe freue ich mich schon im Voraus, was mich nicht hindert, fernzubleiben, wenn ich zu müde oder anderweitig beschäftigt bin. Die andere Gruppe: reine Pflichterfüllung, auch wenn ich einzelne Teilnehmer gerne sehe und hinterher immer etwas „herauskam“. Ich weiß nicht, warum das so ist und anscheinend habe ich deshalb ein schlechtes Gewissen. Einmal wurde es schlussendlich ganz stark, als nämlich das Treffen abgesagt wurde. Ich… freute mich! Wahrscheinlich, um das schlechte Gewissen zu kompensieren, sagte ich: “Oh je, wie schade!“ Ich dachte, ich höre nicht richtig! Der Ton, in dem ich es sagte, war pure Heuchelei! Ich habe nicht nur nicht gesagt, was ich meine, sondern… ich habe gelogen. Lügen finde ich schlimm! Ich muss besser wahrnehmen, was ich eigentlich meine, wenn ich etwas sage! Ich benutzte meine gerne-bei-ihr-sein-Gruppe als Übungsfeld. Auch hier passierte es, dass ein Treffen verschoben wurde. Was sagte ich? „Toll, dass ihr als neuen Termin einen ausgesucht habt, wo ich schon besetzt bin. So habe ich einen Abend frei!“ Alle verstanden es nicht nur, sondern waren im Gegenteil froh, dass mein Bedauern nicht so groß war, dass wir nun neu auf Terminsuche gehen mussten. Und sie meinten wirklich, was sie sagten!
Helga Thomas
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Wenn das Gestern
und der Tag davor
noch zu meinem Jetzt gehören
wie auch das Morgen
und der Tag danach
dann ist das meine GegenwartWenn ich mich an vorgestern erinnere
und wieder das Jetzt von dort
betrachte
und die Zukunft von damals
die inzwischen schon vergangen ist
dann spüre ich
den Hauch der Ewigkeit
und im gedanklichen Tun
kann mein Engel
sich mir nahen***
Ein Tropfen
auf dem Boden des Zimmers
ein Tropfen aus Wasser
kein Tautropfen
kein Regentropfen
ein Tropfen vom Giessen der Pflanzen
oder…Sichtbar gewordene Träne
eines unsichtbaren Wesens?***
Gedichte sind …
Gedichte –
gewandeltes LeidErkenntnisfrucht
nach langer SucheAntwort der Engel
auf die ungestellte FrageBotschaft aus fremden Welten
Auftrag
Von wem?Ruf deines Du
oder der Ruf nach ihm?Strandgut am Morgen
aus dem Nachtmeer -
Die Münze auf dem Weg
Heute Morgen
auf dem gewohnten Weg
(nur das Ziel in der Ferne
war nicht alltäglich)
gingen meine Füße von selbst
wussten wohin
meine Augen halfen
die Hindernisse im Voraus
zu beseitigenIch blickte innerlich
weder voraus
noch zurück
ich … entwirrte Gedankenfäden
– habe ich ein inneres Katzenwesen
das mit den geordneten Gedankensträngen
spielte? –Viele Fäden
hatten ihren Ursprung im Wesentlichen
wie zum Beispiel:
was ist das Böse?
Kann ich es überwinden?
Gemeinsam mit anderen?
Können wir es angstfrei betrachten?
Wo liegt der Sinn?
Ist Wandlung möglich?
Wie?Noch konnte aus den Gedankenfäden
kein brauchbares Gewebe entstehen
( brauchbar
nichts Künstlerisches)
da fragte ich mich
– oder wer war es?–
was willst du erreichen?
Ich möchte
Mut machen
helfen Ängste zu überwinden
ohne irgendwas
zu verniedlichen
ohne der Illusion
einer heilen Welt zu verfallen
Da
mein Auge sah ein kleines Blinken
der Fuß stoppte
eine Münze
verloren?
Achtlos fallen gelassen?Der Wert ist gering
und doch…
Die fünf Eichenblätter
die beiden Eicheln …
Bevor Zweifel
mein Wollen stören konnten
bin ich ermutigt worden
Welchen Wert
kann eine kleine
Ein-Cent Münze besitzen!Helga Thomas
11.3.2017
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Jaleh Esfahani
Dichterin der Zuversicht und Hoffnung
Am 29.12.2011 wurde in Zusammenarbeit mit Herrn Andreas Schmidt im Rahmen der Schriftenreihe „Bilder gegen den Krieg. Momentaufnahmen aus dem Iran“ bei der FriedensTreiberAgentur (FTA) ein Text über die iranische Dichterin Jaleh Esfahani veröffentlicht. Bei der vorliegenden Schrift handelt es sich um eine verkürzte Version.
Rotenburg an der Fulda, den 6.1.2017
Afsane Bahar
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Die iranische Dichterin Etel Soltani, die ab ihrem 13. Lebensjahr unter dem Pseudonym Jaleh Gedichte verfasste und auf dem ersten Kongress der iranischen Schriftsteller im Jahre 1946 in Teheran als Jaleh Esfahani vorgestellt wurde (1), gehörte zu den Menschen, die trotz vielfältiger Schicksalsschläge und der augenscheinlichen Macht der Gegner einer gerechten Welt trotzend aus gesellschaftlicher Verantwortung den Sinn für Ästhetik und Zuversicht schärften. Zur Anfertigung des vorliegenden Textes dienten unter anderem ihre Autobiographie „Schatten der Jahre“, die 1999 in London fertig gestellt und im Jahr 2000 in Deutschland veröffentlicht wurde, sowie ihre Gedichtsammlung „Abbildung der Welt“ aus dem Jahre 1981 (2,3).
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Jaleh wird in den 1920-er Jahren in Isfahan in einer wohlhabenden Familie geboren. Jalehs Mutter hat nach dem tragischen Tod ihres ersten Ehemannes wieder geheiratet und betreut neben ihren eigenen Kindern zusätzlich ihre verwaisten Geschwister. Ihr zweiter Ehemann, ein reicher Großgrundbesitzer, verbringt die meiste Zeit auf dem Lande, während die Familie in Isfahan wohnt. Jaleh beschreibt ihre Mutter als eine liebenswürdige, sehr beschäftigte, traurig gestimmte Frau mit Sinn für gesellschaftliche Gerechtigkeit, die oft keine ausreichende Zeit für ihre Kinder findet.
In der Nachbarschaft lebt eine alleinstehende, arme Frau, die ihren Lebensunterhalt unter anderem durch Rezitieren von Koranversen auf privaten Trauerveranstaltungen und während religiöser Zeremonien bestreitet. Während einer dieser Veranstaltungen wird Jaleh von der lieblichen Stimme dieser Frau so angezogen, dass sie einige Koranverse auswendig lernt. Diese alleinstehende Frau betreut tagsüber stundenweise die Kinder berufstätiger Eltern, die hauptsächlich aus den unteren Schichten stammen und bringt ihnen mündlich Koranverse bei. Jalehs Familie beschließt, sie vormittags zu dieser Frau zu schicken. So wird Jaleh Zeuge gesellschaftlicher Klüfte zwischen den Kindern und lernt die Verachtung, Ungerechtigkeiten und Feindseligkeiten kennen, denen ihre Betreuerin ausgesetzt ist.
Zusammen mit ihren Altersgenossen aus der Verwandtschaft und Nachbarschaft wächst Jaleh als spielerisches, neugieriges Kind auf und entdeckt früh ihr Interesse und ihre Liebe für Tiere und Pflanzen. Diese Begeisterung für die Natur wird sie lebenslang begleiten.
Als ihre Mutter Jaleh für die Grundschule anmeldet, kommt es zu ausgeprägten Streitigkeiten mit ihrem Vater. Gegen den Widerstand ihres Vaters besucht Jaleh die Schule. Unterstützt und gefördert durch ihren Großvater mütterlicherseits schließt sie die zweite und dritte Klasse innerhalb eines Schuljahres ab. Es handelt sich um eine moderne Schule (Grundschule und Gymnasium), die von einer Christin geleitet wird. Die Schulleiterin stammt von einer englischen Mutter und einem im Iran lebenden Armenier ab. Sie versucht den Unterricht sowie den Umgang mit den Schülerinnen und deren Familienangehörigen nach neuen pädagogischen Methoden zu gestalten. Die Schule genießt einen sehr guten Ruf, so dass Kinder reicher Familien aus anderen Landesteilen nach Isfahan geschickt werden, um in den Genuss der neuen Lehrmethoden zu kommen.
Einen besonderen Einfluss auf Jaleh übt eine ihrer iranischen Lehrerinnen aus, die sich für Astronomie, Erdkunde und Biologie interessiert und versucht, ihre Zöglinge anstelle von Aberglauben mit Hilfe von Wissen und logischem Denken zu erziehen. In Zusammenarbeit mit der Schulleiterin macht sie Jaleh und ihre Klassenkameradinnen durch karitative Unternehmungen und Krankenbesuche mit dem Leben außerhalb der Wände der wohlbehüteten Schule vertraut. So entwickelt sich bei Jaleh das Mitgefühl für andere Menschen und daraus folgend ein tief verwurzelter Sinn für gesellschaftliche Gerechtigkeit, der ihr Leben nachhaltig verändert.
Ein weiteres beeindruckendes Ereignis ihrer Kindheit ist die bittere Tatsache, dass ihre Schwester aufgrund mangelnder medizinischer Informationen und Möglichkeiten durch eine banale Erkrankung ihr Augenlicht verliert. Die ungebrochene Lebenslust und der Sinn für die Schönheit ihrer Schwester trotz dieses schweren Schicksalsschlages ist eine bleibende Lehre für Jaleh, die später selbst zu einem Fanal der Hoffnung und Zuversicht unter einschränkenden, zermürbenden Lebensumständen wird.
Durch Unterstützung und dank des heftigen Widerstandes ihrer Mutter kann sie als Grundschulkind einer traditionellen Ehe mit einem ihrer Verwandten väterlicherseits entgehen. Im Rahmen dieser Streitigkeiten und Auseinandersetzungen wird ihr ein Personalausweis ausgestellt, der bewusst als Geburtsjahr 1921 ohne Angabe eines Geburtstages ausweist, damit sie formal älter erscheint und heiratsfähig wirkt. Aus Sympathie zu einer Krankenschwester, die in einem englischen Krankenhaus arbeitet, wählte ihr Vater für Jaleh den Vornamen Etel. Etel Soltani und ihre Mutter bevorzugen jedoch den persischen Namen Mastane (‚berauscht‘; ‚betrunken‘; im weitesten Sinne auch ‚entzückt‘ bzw. ‚bezaubert‘). So nennt sich Jaleh auch in ihrer Autobiografie (4).
Im Sommer lebt Jaleh zeitweise auf dem Lande. Auch hier wird sie Zeuge der zum Himmel schreienden gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und Unterschiede. Unter anderem erfährt sie Einzelschicksale der Frauen aus armen Familien in ländlichen Gebieten.
Neben dem Schulunterricht lernt Jaleh zusammen mit einer ihrer Freundinnen in Isfahan das Geigespiel. Zweimal pro Woche fahren die beiden Freundinnen mit der Kutsche in den armenischen Stadtteil von Isfahan, Jolfa, um dort von einer französisch-armenischen Lehrerin im Tanzen unterrichtet zu werden. Ab dem 13. Lebensjahr verfasst Jaleh Gedichte und Aufsätze, die durch gesellschaftskritische, die Natur verehrende, tiefgründige Gedanken ausgezeichnet sind. Gleichzeitig weisen diese Texte auf ihr wiederkehrendes Gefühl der Einsamkeit, begleitet von tiefer Trauer, hin.
Nach Abschluss des Gymnasiums arbeitet Jaleh gegen den Widerstand ihres Vaters, die Unterstützung ihrer Mutter genießend, als eine der ersten Frauen in Isfahan bei der Nationalbank (banke melli). In dieser Zeit besucht sie die Stadt Shiraz, wo ein früheres Gedicht von ihr über die mangelhafte Pflege der altpersischen Residenzstadt Persepolis in einer örtlichen Zeitschrift veröffentlicht wird. Diese Veröffentlichung verschafft ihr den Auftritt in einem Shirazer Dichter- und Schriftstellerverein. In den Folgejahren erscheinen ihre Gedichte in weiteren Zeitschriften sowohl in Isfahan als auch in Teheran.
Am 25. August 1941 marschieren die Streitkräfte der Alliierten zur Sicherung der iranischen Ölfelder und Einrichtung einer Nachschublinie für die Sowjetunion in den Iran ein. Der Gründer der Pahlavi-Dynastie muss abdanken und sein Sohn, Mohammad Reza Shah, wird zum neuen Herrscher auf dem Pfauenthron erkoren. Die Besatzungszeit stellt eine bedrückende Phase für die iranische Bevölkerung dar und ist von Unsicherheit, Unruhen und Hungersnöten begleitet. Jalehs Gedichte sind in dieser Zeit patriotisch geprägt. In diesen Jahren wird sie von einem schweren Schicksalsschlag heimgesucht, ihre Mutter stirbt.
1943 lernt sie in einem Englischkurs in Isfahan ihren späteren Ehemann, einen Luftwaffenangehörigen, kennen. Nach ihrer Hochzeit wird ihr Mann nach Teheran versetzt, so dass Jaleh Isfahan verlässt. In Teheran bekommt sie eine Anstellung bei der Nationalbank. 1944 erscheint ihr Gedichtband „Die wilden Blumen“. Der Aufenthalt in Teheran ermöglicht ihr die Ausweitung ihrer literarischen Tätigkeiten und den Ausbau ihrer Verbindungen mit iranischen Dichtern, Journalisten und Schriftstellern. So lernt sie Größen der iranischen Dichtung wie Mohammad Taqi Bahar und Nima (Ali Esfandiari) kennen und kann von ihrem reichen Erfahrungsschatz profitieren. Vor allem die Bekanntschaft mit Nima beindruckt und beeinflusst ihr Schaffen sehr.
Der II. Weltkrieg, das Abdanken des großen Diktators, Reza Shah Pahlavi, und die Anwesenheit ausländischer Truppen verändern die gesellschaftspolitischen Gegebenheiten. Vorübergehend entstehen begrenzte Möglichkeiten zur Bildung politischer Vereine und Parteien. In dieser Zeit wird ihr Ehemann als Mitglied der Tudeh-Partei Irans verhaftet und zusammen mit einigen anderen Armeeangehörigen nach Kerman (über 1000 km von Teheran entfernt) abgeführt.
Parallel zu ihrer Tätigkeit bei der Nationalbank nimmt Jaleh ihr Studium an der Fakultät für Literatur der Teheraner Universität auf. Außerdem lernt sie bei ihrem Schwiegervater Arabisch. Im Juni 1946 findet der erste landesweite Kongress der iranischen Schriftsteller in den Räumen des Vereins für kulturelle Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Iran in Teheran in Anwesenheit ausländischer Politiker und Autoren statt. Jaleh erhält die Möglichkeit, eines ihrer Gedichte auf diesem Kongress vorzutragen.
1946 wird ihr Mann aus der Haft entlassen und kehrt nach Teheran zurück. Ihr erneutes gemeinsames Leben in Teheran dauert allerdings weniger als zwei Wochen. In dem iranischen Landesteil Azerbaijan wird im November 1945 – begünstigt durch die Anwesenheit der Sowjettruppen und auch als Folge der ethnischen Benachteiligungen unter Reza Shah Pahlavi – von der Demokratischen Partei Azerbaijans eine autonome Volksrepublik ausgerufen, was dann von dem ersten Nationalkongress im Dezember 1945 bekräftigt wird. Die Organisation der Tudeh-Partei Irans in Azerbaijan hat sich bereits aufgelöst und der Demokratischen Partei Azerbaijans angeschlossen. Jalehs Ehemann und einige seiner Parteigenossen eilen aus Teheran nach Azerbaijan, um die ausgerufene Volksrepublik zu unterstützen. Trotz ihrer politischen Bedenken fährt später Jaleh zusammen mit ihrer Schwiegermutter ebenfalls nach Täbris in der Hoffnung, dort leben und studieren zu können, wobei sie zu diesem Zeitpunkt die Landessprache, Azari, noch nicht beherrscht. Der Aufenthalt in Täbris wird allerdings bald abrupt abgebrochen, da infolge politischer Verhandlungen die Sowjettruppen den Iran verlassen und die iranische Zentralregierung daraufhin die Kontrolle über den Landesteil Azerbaijan wiedererlangt. Im Dezember 1946 verlassen Jaleh und ihr Mann zusammen mit einer Vielzahl ihrer Schicksalsgenossen in einer Eilaktion den Iran; ihr Leben im Exil in der Sowjetunion nimmt seinen Lauf. In den folgenden Jahren entflammen heftige Diskussionen über die Gründe der Niederlage im Iran und die Bestimmung des weiteren politischen Weges der Partei mitten in der Stalin-Ära mit all den Verhaftungen, Vertreibungen und Hinrichtungen.
In Baku lernt Jaleh die Sprache Azari und studiert Literaturwissenschaften. Im Februar 1949 wird ihr erster Sohn geboren. Tausende Verse übersetzt sie aus dem Azari ins Persische. Ihre sozialkritischen Gedichte verschaffen ihr Ruhm, sie ist ein angesehener Gast auf den Literaturkongressen in Moskau, Dushanbe und Baku (Jahre später auch in Kabul und Prag). 1951 erleidet sie eine infektiöse Hepatitis, deren Folgen sie bis zum Lebensende begleiten und sie immer wieder in ihrem Alltag und ihrer schöpferischen Arbeit stark beeinträchtigen. Im März 1953 bringt sie ihren zweiten Sohn zur Welt. Trotz dieser Ereignisse und Hindernisse kann Jaleh ihr Studium mit einer Diplomarbeit über das Werk „Khosro und Shirin“ des iranischen Dichters Nezami Ganjavi beenden.
Nach sieben Jahren Aufenthalt in Baku siedelt sie nach Moskau über und promoviert in persischer Literatur, wofür sie auch Russisch lernen muss. Ihre Dissertation schreibt sie über das Leben und Werk des renommierten iranischen Dichters und Gelehrtern Mohammad Taqi Bahar. Trotz dieser Erfolge sind die Belastungen im Alltag und die Behinderungen durch die wiederholten Krankenhausaufenthalte wegen ihrer Lebererkrankung so groß, dass sie immer wieder von zeitweiligen tiefen Depressionen heimgesucht wird. Nur ein glücklicher Zufall verhindert 1960 einen Suizid.
1960 wird sie an dem Moskauer Maxim Gorki-Institut für Weltliteratur angestellt. In den 1960er Jahren werden ihre Gedichte ins Russische übersetzt. 1965 erscheint im Moskauer Progress-Verlag ihre zweite Gedichtsammlung mit dem Titel „Der lebendige Fluss“ (zende roud). In demselben Jahr wird sie als ordentliches Mitglied in die Vereinigung der Schriftsteller der Sowjetunion aufgenommen.
Nach dem Sturz der Monarchie 1979 kann sie erst im September 1980 endlich aus dem langjährigen Exil nach Teheran zurückfliegen. Nur kurze Zeit nach ihrer Rückkehr bricht allerdings am 22. September mit massiven irakischen Luftangriffen auf iranische Flughäfen der achtjährige Krieg zwischen Irak und Iran aus. In dieser bedrückenden Atmosphäre knüpft Jaleh Bekanntschaften und Freundschaften mit iranischen Künstlern, beteiligt sich an Literaturtagungen und Gedichtabenden. Sie wird Zeuge der ideologischen Kurzsichtigkeiten und zerstörerischen Streitigkeiten unter den iranischen Intellektuellen in Teheran und anderen Landesteilen.
Im Februar 1982 verlässt Jaleh Teheran, um ihre Schwester wegen einer geplanten Augenoperation in England zu begleiten und ihren jüngeren Sohn in London zu besuchen. Wenige Monate später wird die Führung der Tudeh-Partei Irans in Teheran verhaftet. Die iranische Regierung setzt den Mitgliedern und Sympathisanten dieser Partei eine Frist und fordert sie auf, sich freiwillig zu stellen. Unter solchen Bedingungen ist eine Rückkehr aus London nicht sinnvoll. So beginnt ihr zweites Exil.
In den folgenden Jahren setzt Jaleh ihre literarische Tätigkeit fort und beteiligt sich an Veranstaltungen und Lesungen in verschiedenen europäischen, zentralasiatischen und nordamerikanischen Städten. 1992 erscheint in Schweden ihr Gedichtband mit dem Titel „Khoroushe khamoushi“ („Aufbrausen der Stille“ bzw. „Schrei der Stille“). Ihre Autobiografie wird im Jahr 2000 in Deutschland veröffentlicht. Ende 2007 erliegt sie ihrem Krebsleiden in London. Im Dezember 2007 wird ihr zu Ehren in England ein Verein gegründet (5,6).
۞۞۞
Biografie
(1974)
Das rote Lachen der Tulpen des Frühlings,
die gelbe Träne der Bäume des Herbstes,
der Kuss der Vereinigung und die Freude der Begegnung,
die Trauer des Abschieds und das Unglück der Abwesenheit.
Lebenslang suchen,
warten,
wünschen
und in den Schöpfungen aufblühen:
Das ist Eure und meine Biografie …
۞۞۞
Jene Melodie
(1972)
Die Tulpe des Wunsches wird wieder aufblühen,
des Herzens verschlossene rote Knospe wird aufgehen.
Ich sage nicht, dass der vergangene Frühling zurückkehrt,
dass die abgelaufene Zeit beginnt.
Es gibt eine andere Zeit und einen anderen Frühling …
Es ist eine Kunst,
fröhlich zu sein.
Freude spenden ist eine noch erhabenere Kunst.
Jedoch werden wir es uns nie zubilligen,
wie eine leblose Figur Tag und Nacht
ohne Kenntnis der Lage aller anderen Menschen
fröhlich zu sein.
Sorglosigkeit ist ein großer Fehler,
der uns fern sein sollte.
Wie schön wäre es,
wenn es einen Spiegel gäbe,
der das Innere zeigen würde,
damit wir uns in ihm betrachten könnten,
all das sehen würden,
was den Spiegeln verborgen bleibt.
Wir würden uns jener erhabenen Kraft bewusst,
die uns lehrt,
zu leben,
Beständigkeit zu erlangen,
der Bote des Sieges und der Hoffnung zu werden …
Es ist eine Kunst, fröhlich zu sein,
wenn sich andere Herzen an deiner Freude ergötzen.
Das Leben ist die einzigartige Bühne unserer künstlerischen Tätigkeit.
Jeder trägt seine Melodie vor und verlässt die Bühne.
Die Bühne ist stets vorhanden.
Blühend ist jene Melodie,
die die Menschen in ihrer Erinnerung bewahren …
۞۞۞
Wer bin ich?
(1977)
Wer bin ich?
Wer?
Ein Komet,
der der Nacht entrissen ist,
der die Bekanntschaft mit der Morgenröte gemacht hat.
Ein Auge, das das Licht erblickt hat,
versöhnt sich nicht mit der Dunkelheit.
Der helle Geist und das reine Wesen
versöhnen sich nicht mit der Verderbnis.
Wenn es in der Welt Ungerechtigkeit, Dunkelheit und Gewalt gibt,
gibt es den Kampf,
der zum Land der Gerechtigkeit und des Lichts führt.
In der großen Inschrift des Lebens steht:
Wenn du nicht siegst, wirst du verlieren.
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Der Mensch und der Stein
(1965)
Die unendliche Einsamkeit ist das Schicksal des Steins.
Es ist das Schicksal des Steins, blind und stumm zu sein,
nie aus Trauer zu weinen,
nie zu lachen,
schmerzlos, hoffnungslos und wunschlos zu sein.
Manchmal bekommt er als Fels
Tag und Nacht Ohrfeigen von einem fernen Meer.
Manchmal liegt er auf einem Grab und sagt ohne Stimme,
wie der Mensch heißt, der nie wieder zurückkehren wird.
Aber wenn er zur Statue ewig lebender Personen wird,
streuen die Menschen Blumen auf sein Haupt.
Glücklich ist der Stein, der zum Menschen wird.
Schade, wenn ein unglücklicher Mensch versteinert.
۞۞۞
Ich bin kein Kanarienvogel
(1970)
Ich bin kein Kanarienvogel, der auf der Wiese singt.
Wieso verlangst du von mir ein zärtliches Liebesgedicht?
Frühlingswasserfälle strömen aus meinen Augen,
da ich ein Berg bin.
Jedes Wort meines Gedichtes setzt das Papier in Flammen.
Ich bin das wutentbrannte Lied einer Gruppe,
einer aufständischen Gruppe, müde vom Warten,
mit offenen Augen und verbundenen Händen.
Ihr Schmerz hat eine andere Farbe und einen anderen Klang …
Nicht einen Moment vernachlässige ich das Schicksal meiner Heimat,
obwohl ich von ihr entfernt bin.
Ich bin der Dichter der Epoche des Übergangs,
der Poet einer Generation,
die gegen Ungerechtigkeit und Niederträchtigkeit kämpft.
Erachte mich als stumm,
wenn meine Stimme kein Herz erreichen sollte.
Mit tausend Augen betrachte ich die Welt,
damit du nicht glaubst, ich bin blind.
Ich bin der Dichter der schweren Zeit des Übergangs,
der Zeuge einer Epoche,
in der ein neues Zeitalter entsteht.
۞۞۞
Die bessere Welt
(1973)
Wenn man mich fragt,
was das Leben ist,
werde ich sagen,
stets auf der Suche sein,
eine bessere Welt ersehnen …
Heute bin ich aufmerksamer denn je,
in der Wachheit bin ich voller Gedanken,
im Schlaf bin ich wach.
Ich würdige die Zeit,
ich liebe die Erde.
Im Anblick eines jeden hellen Morgens werde ich so sehnsüchtig,
als wäre dies mein erster Tag,
als wäre dies mein letzter Tag.
In dieser verzaubernden Aufruhr
bin ich unruhig wie die Frühlingsvögel.
Mich bedrückt das Heim,
mich bedrücken sorglose Gedanken
und auch papageienhafte, sinnlose Gespräche.
Mich bedrücken die Tagesnachrichten,
wenn sie sich mit dem blühenden Markt des Einen
und dem kalten Krieg des Anderen beschäftigen
und nicht mit dem Geheimnis des Aufblühens menschlicher Kräfte.
Ich möchte einen offenen Raum,
der wie der Himmel grenzenlos ist …
und eine Welt,
die von dem Menschen weder Tod noch Opfer verlangt.
۞۞۞
Die Hand der Liebe
(1975)
Wenn der Vogel nicht singt,
das Wasser nicht tanzt,
das Grüne nicht wächst,
was wird die Erde machen?
Wie eintönig und armselig wird das Dasein sein,
wenn die Liebe nicht lacht,
die Hoffnung nicht leuchtet,
wenn die Freude fehlt
und gelegentlich der Schmerz.
Ich mache demjenigen Vorwürfe,
der Trübsal bläst
und wie der Winterschnee
die Umgebung in die Kälte treibt
überall, wo er sich hinsetzt.
Wie glanzvoll ist es,
die Hand der Liebe zu küssen.
Aber wie schmachvoll ist es,
wenn ein Mensch die Hand der Macht küsst.
Die Sonne und die Erde sind ineinander verliebt.
Wenn deine und meine Hände,
die wie grüne Zweige sind,
sich warm vereinigen,
werden sie tausende roter Blumen hervorbringen
und tausende gelber Früchte.
۞۞۞
Die goldene Nachtigall
(1968)
Du, goldene Nachtigall,
dich werde ich in meiner Dichtung,
in den warmen Händen der Freunde,
im Gesang des Lebens,
in den Ländern des Frühlings,
im Fleiß, der viele neue Triebe hervorbringt,
in der unruhigen Nacht der Wartenden,
beim Aufgang der ewigen Sonne,
goldene Nachtigall,
dich werde ich im Nest der Liebe finden,
damit du meines Herzens Garten
durch Licht und Gesang zum Blühen bringst.
۞۞۞
Die Erde grünt deinetwegen
(1974)
Die Erde grünt deinetwegen
und der Garten ist deinetwegen voller Farben geworden.
Vom wirren Singen der Vögel ist die Wiese voller Aufruhr.
Wieso sitzt du still?
Was betrübt dich?
Jetzt, wo ein neuer Frühling aufblüht,
pflückt die liebkosende Brise der Morgendämmerung Blüten
und wirft sie dem Wiedehopf zu Füßen.
Benimm dich wie junge Wesen,
wie die Bäume voller neuer Triebe.
Lebe froh, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Und schenke auch dem Nachbarn
einen Ast dieser Blume,
denn Schmerz und Trauer
begleiten uns wie der Schatten …
Der Frühling hat mir den Fleiß zum Erneuern beigebracht.
Wieso soll ich diesen Moment sinnlos verlieren,
denn das Jetzt ist ein Tropfen des Flusses meines Lebens,
und das verflossene Wasser wird in den Fluss nicht zurückkehren.
Wieso soll ich mit der Klinge der Traurigkeit den heutigen Tag enthaupten?
Wieso soll ich diese Geschichte akzeptieren,
dass das Leben erst am kommenden Tag ist?
Denn die Ewigkeit fängt mit jedem Moment an …
۞۞۞
Du fragst mich, woher ich stamme?
(1962)
Du fragst mich,
woher ich stamme?
Ich bin nicht sesshaft,
und ziehe umher.
Ich wurde erzogen durch Trauer und Schmerz.
Betrachte die Weltkarte,
mit einem Blick überquer die Ländergrenzen,
zweifelsohne wirst du kein Land finden,
in dem kein aus meiner Heimat Vertriebener lebt.
Ich bin der unruhige Geist des Schlafwandlers,
in Nächten mit Mondschein,
im Schlaf,
wandere ich auf den unendlichen Felsen der Sehnsüchte.
Mit der Frage,
woher ich stamme,
hast du mich aus diesem goldenen Traum geweckt.
Ich bin vom hohen Dach der Sehnsüchte heruntergefallen
und liege der Mauer der Wirklichkeit zu Füßen.
Du fragst mich,
woher ich stamme?
Ich komme aus dem Land des Reichtums und der Armut,
von den grünen Hängen des Elburs-Gebirges (7),
vom Ufer des prächtigen Zayanderud (8),
und aus den alten Palästen von Persepolis.
Du fragst mich,
woher ich stamme?
Ich komme aus dem Land der Dichtung, der Liebe und der Sonne,
aus dem Land des Kampfes, der Hoffnung und der Qual,
aus den Schützengräben der Opfer der Revolution.
In durstigem Warten brennen meine Augen.
Weißt du jetzt,
woher ich stamme?
۞۞۞
Hätte ich tausend Stifte
Hätte ich tausend Stifte,
tausend Federn,
jede mit tausend Wundern,
so würde ich jeden Tag tausend Mal
ein Epos und ein Lied für die Freiheit schreiben.
Wäre ich der Engel des Aufstands und des Zorns,
so würde ich schon tausend Jahre zuvor
die Stille und das traurige Warten der Sklaven durchbrechen;
ich würde in das Viertel der Sklavenhändler ziehen,
für die Versklavten Lieder singen,
damit die schönen Sklavinnen und die mutigen Sklaven
gegen die Sklaverei, Sklavenhalter und Sklavenhändler
sich in tausenden Aufständen zur Freiheit erheben,
dass niemand eines Anderen Knecht werde,
die Knechtschaft aus der Erinnerung der Menschheit verschwinde,
und niemand nicht einmal der Freiheit zum Knecht werde.
Wenn ich tausend Zungen hätte – mächtige Zungen,
fähig eine Botschaft ins Ziel zu tragen –
so würde ich in allen Sprachen,
die es weltweit gibt,
den der Unterdrückung verfallenen Völkern sagen:
Wenn ihr die Wurzeln der Knechtschaft mit dem Beil zerhackt,
wird eure „Vergeltung“ die errungene Freiheit sein.
Schreibt mit Flammen auf meinen Grabstein,
dass diese nach Freiheit Dürstende auf der Suche starb,
und wie verliebt sie zur Begegnung mit der Sonne eilte,
auf dass die rötliche Morgendämmerung der Freiheit aufblühe.
Wenn ich nach tausend Jahren auferstehe,
werde ich meiner Epoche den Freiheitsgruß entbieten.
Nach tausend Jahren werden andere Menschengenerationen,
wenn sie auf Besuch
von einem Stern zum anderen ziehen,
aus den verbliebenen Wellen
die Botschaft der Freiheit
aus unserer stürmischen Epoche
zu Gehör bekommen.
۞۞۞
Wolke und Sonne
(1978)
Der Gang der Zeit
nimmt jeden Moment eine neue Farbe an …
Gestern war der Himmel bewölkt und weinerlich.
Ich war traurig wegen der Tränen des Regens.
Eine Weile später als ich aus dem Flugzeug sah,
dass unter meinen Füßen die Wolke weinte
und über meinem Kopf die Sonne lachte,
fragte ich mich,
weshalb ich kurzsichtig gewesen bin?
Ich war betrübt.
Wo habe ich eine ewig bleibende Wolke erblickt?
Wenn wir den Kopf hoch halten,
wenn wir den weiter entfernten Himmel betrachten,
sind hinter der Dunkelheit der fliehenden Wolke
die helle Sonne und das unendliche Universum.
۞۞۞
Farbenfrohe Momente
(1971)
Ich brauche die Farben des Frühlings,
die Farbe der Blumen,
dieser reinen Geschenke des Paradieses,
die Farbe der blauen Hyazinthe,
die Farbe der gelben Narzisse,
die rote Farbe der Anemone,
die auf dem Feld gewachsen ist.
die goldenen Tulpen,
die violetten Jasminpflanzen,
die Schattierungen der Wiesen mit ihren hundert Farben,
die Farbe jener zärtlichen,
an den Blumenblättern einen Saum tragenden Rose,
die glänzenden, geliebten Farben des Frühlings.
Ich brauche sogar jene Steinblume,
die seit Jahrhunderten im Schoß des Gebirges blüht.
Ich brauche den Farbkasten der Natur,
die magische Farbe der Liebe,
die Farbe des Fleißes und der Hoffnung,
damit ich jedem Moment eine neue Farbe verleihe,
die Nacht und den Tag nicht der Farblosigkeit überlasse,
denn außer Schwarz und Weiß es gibt noch viele Farben.
۞۞۞
Du kehrst zurück
(1975)
Eines Tages kehrst du zurück.
Du kommst zurück
mit dem morgendlichen Wind der Berge,
mit den Wellen der Meere,
mit dem Frühling.
Und ich warte sehnsüchtig.
Du bist ein Bote aus warmen Ländern und weißt,
wie verzweifelt und traurig der Mensch durch die Kälte wird.
Ich rede nicht von der Kälte des Wetters,
ich meine die Kälte der Herzen.
Du weißt, wie sehr ich,
selbst voller Glut,
verabscheue
die Kälte der Reden,
die im Ohr rauschen,
den Frost der Herzen,
deren Licht der Liebe erloschen ist.
In meinem Herzen
sagt ein stiller Schrei immer und immer wieder,
dass du wie ein leuchtender Funke,
wie ein Stern aus der Ferne,
umarmt von mitternächtlichen Kometen
zurückkommst.
Ich bin voller Hoffnung,
dein Gesicht zu erblicken.
۞۞۞
Teheran und der Krieg
(Winter 1981)
Die schwarzen, furchtbaren Flügel des Kriegsdämons
liegen bedrückend auf den Teheraner Nächten.
Das einzige brennende Licht der Stadt
ist der Mond,
der bernsteinfarbene Mond,
der auf dem unsichtbaren Dach Teherans leuchtet.
Teheran ist dunkel,
Teheran ist still,
Teheran ist eine schwarz bekleidete Schönheit …
Wenn die morgendliche Sonne das Elburs-Gebirge beleuchtet,
all den goldenen Schnee,
und das Herz sich nicht verrückt in Teheran verliebt,
ist es kein Herz,
sondern ein Stein.
Doch welchen Platz haben jetzt Liebkosungen mit der Natur?
Heute ist Krieg.
Vom Schicksal der Heimat und der Menschen sich fern zu halten,
ist eine Schande.
Es ist eine Schande.
Uns ist der Iran übrig geblieben,
ein Meer des Zorns, des Blutes und des Sturmes.
Es ist schmachvoll,
ein Stein am ruhigen Ufer zu sein
angesichts all der selbstlosen Handlungen der Aufständischen,
die ihr Leben riskieren.
Es ist eine Schande,
nur sich selbst und die eigenen Interessen im Blick zu haben.
Wer kann nachts zuhause beruhigt schlafen,
wenn tausende Landsleute obdachlos sind,
vertrieben durch den Krieg,
den erbarmungslosen Krieg.
Du,
Geschichte schreibendes Teheran,
stolzes Teheran,
es sei,
dass ich deine Nächte voller Licht sehe,
dass ich erblicke,
wie der ganze Iran des Sieges wegen
mit Lichterketten beschmückt ist.
۞۞۞
Mütter wollen den Frieden
(1950)
(für meinen Sohn Bijan)
Du, verführerisches, schönes Kind,
du, Frucht meines Lebens,
dein Gesicht ist wie ein heller Spiegel
meiner Kindheit und meiner Jugend.
Ich betrachte in deinem Gesicht
mein geliebtes vergangenes Leben
und erblicke aus den Fenstern deiner Augen
eine glückliche Zukunft.
Deine Augen sind zwei große Sterne,
leuchtend wie der Stern deines Glücks.
Der Duft deines wohlriechenden Atems
beruhigt das Herz und erleichtert das Leben.
Wenn deine beiden kleinen Hände
sich wie eine Schlinge um meinen Hals werfen,
ist es so, als würde ich die Welt umarmen,
deine Liebe bringt meinen Körper zum Beben.
Die Mutter ist ein seltsames, selbstloses Wesen,
sie opfert sich für ihr Kind.
Die Mutter opfert das Herz und die Seele des Lebens
liebevoll für ihr Kind.
Du, geliebtes, schönes Kind,
du, die neue Blume meines Lebens,
auch wenn ich sterben muss,
werde ich dich nicht einen Moment
dem Feind überlassen.
Wenn sich eine Mücke auf dein Gesicht setzt,
springe ich von der Stelle und bin entrüstet,
wie soll ich es dann aushalten,
dass du inmitten Feuers und Blutes fällst.
Wenn man mein Auge ausreißt,
wenn man mein Herz zerreißt,
werde ich es nicht zulassen,
dass die Flamme des Krieges
deine Wiege verbrennt.
So wie ich,
verabscheuen und hassen alle Mütter der Welt
den Krieg.
Der Fluch der Mütter der Welt gilt jedem,
der das Feuer des Krieges entfacht.
۞۞۞
Quellenangaben und Bemerkungen
(1) Der Buchstabe „j“ wird im Wort „Jaleh“ (ژاله) wie in „Journal“ ausgesprochen.
„Jaleh“ bedeutet Tau und steht symbolisch für Reinheit und Schönheit. Der Name der Stadt Isfahan wird auf Persisch Esfahan (اصفهان) ausgesprochen. Der Buchstabe „i“ am Ende des Wortes „Esfahani“ weist darauf hin, dass etwas oder jemand aus Isfahan stammt bzw. Isfahan zugehörig ist.
(2) Jaleh Esfahani: Schatten der Jahre (Sayehaye salha) . Nima Verlag, Essen, 2000.
(3) Jaleh: Abbildung der Welt (Naqshe jahan). Progress Verlag, Moskau, 1981.
„Naqshe jahan“ (نقشِ جهان) bedeutet Abbildung oder Darstellung der Welt. Ein berühmter, historischer Platz in Isfahan trägt diesen Namen.
(4) Nach ihrer Heirat und der unerwarteten Ausreise in die Sowjetunion trägt sie den Nachnamen ihres Ehemannes und heißt dann Jaleh Badi’zade(ژاله بدیع زاده). Ihre Bücher erscheinen in den Sowjetrepubliken unter dem Namen Jaleh Badi‘. In Afghanistan wird sie als Jaleh Zendehroudi bekannt, da eine ihrer in Moskau erschienenen Gedichtsammlungen den Titel „Zendeh roud“(Der lebendige Fluss) trägt.
(5)http://www.jalehesfahani.com/E/foundation.php
(6)Bilder von Jaleh Esfahani sind im Internet zugänglich unter:
http://www.iran-emrooz.net/index.php?/farhang/more/14834/
(7) Hochgebirge im nördlichen Iran
(8) Dieser Fluss fließt durch Isfahan.
-
Gemeinsam
(5.1.2017)
Vergangene Jahrhunderte
fremde Länder
weit entfernte Erdteile
betrachte ich offenherzig
wissbegierig, zärtlich
und weine wiederholt
vor Schmerzen, Einschränkungen
Ungerechtigkeiten und Entbehrungen
die mich nicht unmittelbar betreffen
jedoch gemeinsames Leid bedeutenDie Tränen reinigen
durch und durch
meinen Blick
So wird Liebe
als Triebkraft meines Lebens
bereichernd, wegweisend, ermutigend
zum Widerstand und Kampf aufrufend
stets neu erlebt֎֎֎
-
Das neue Jahr
(31.12.2016)
Blauer Himmel
Hier und da weiße Wolkenstreifen
Bäume mit Raureif beschenkt
glitzernd im liebkosenden Sonnenschein
In einem Wipfel zwei Vögel
mit roter Brust
Sträucher mit Hagebutten
und bunten BeerenAus dem alten Jahr
rufe ich Momente auf
begeisternde, beschämende,
bewegende, beflügelnde BilderUnd dann singe ich
voller Inbrunst
meine Überzeugung beteuernd
Für den Leben spendenden Fluss
und die Mutter Erde
werde ich nichts dichten
außer Liebe und Freude -
Inhaltsverzeichnis
Weihnachten 2009 11 Friedensnobelpreis 2009 13 Kleines Experiment 15 Liebeserklärung 16 Gegossenes Blei. Ein Jahr danach 18 Antlitz 20 Agenda 2010 22 Ich möchte mich daran nicht gewöhnen 25 Siko 2010 27 Mittelbau-Dora 28 Belanglose Banalitäten, banale Belanglosigkeiten? 31 Der Baum ohne Blätter 33 Vermisstenanzeige 34 Der Wein der Einsamkeit 36 Der Leuchtkäfer 37 Mondschein 38 Das sonderbare Schachspiel 39 Sonnenblume 42 Neue Drohnen braucht das Land 45 Schwelende Glut 48 Was ist das für ein Land? 49 Begegnungen mit den Insassen der Hölle 51 Fremdwörter 53 Allen Unkenrufen zum Trotz 55 Was alles auf der Strecke bleibt 56 Die Gretchenfrage aktualisiert 58 Merke dir … 60 Am helllichten Tage 62 The common thread: from Hiroshima to Fallujah. /Der rote Faden. Von Hiroshima nach Fallujah. 63 Morden 67 Sonderbare Widersprüche 70 Drei Jahre nach der Operation Cast Lead 72 Spiegel 73 Freundschaft 75 Nachahmung 78 Ich liebe, deshalb bin ich 80 Was ich möchte 81 Ein Tanz, der Leben ist 83 Zuhause 85 Eine Sonne 87 Trost 89 Begegnungen beheimaten 90 Von Bienen, Wellen und Flammen 92 Ausfahrten 93 B.E.W.E.G.E.N 95 Anwesenheit 96 Die Sprache des Imperiums 97 Zeichen setzen 99 Kleider 100 Die Schönheit der Schöpfung 101 Frage 102 Brücken 103 Metamorphose 104 Innere Sonne 105 Inbrust 106 Heim(at) 107 Mitgefühl 108 Rückkehr / Return 109 Gaza 2014 111 Sollidarisch 112 Quittenbrücke 113 Erde 114 Biografie 115 Paris, Januar 2015 116 Erhabene Nacktheit 117 Einblick 118 Weißbuch 119 Quelle des Glücks 121 Schönheitslehre 122 Der Baum 123 Sehnsucht 124 Lass dich umarmen 125 Mithra 127 Gerade deswegen 129 Schreiben 130 Leidenschaftlich und gelassen 131 Für dich 132 Licht und Schatten 133 Verständigung 135 Gefüge 136 Straßenkinder 137 Für die in mir 138 Beheimatung im Herzen 139 Gedichte 140 Abruzzen 141 Welle 142 Solch eine Liebe 143 Die Schwalm 145 Schmetterling 146 Von Elfen und Elben 147 Liebeslied 148 Zusammenhänge im großen Gefüge 149 Meer der Morgenröte 151 Die Weitergabe der Texte wird vom Verfasser ausdrücklich gewünscht.
Bitte die Quelle angeben:
https://amirmortasawi.wordpress.com/
Weihnachten 2009
(20.12.2009)
Schnee, weiß, weich wie Samt
zärtlich wie die Freundschaft
sanft wie die ToleranzSchnee, rot, befleckt
Fußspuren der Barbarei
Hinterlassenschaft der GierFenster, beleuchtet
Wärme, Geborgenheit
Zimmer, geschmückt
Fest der FreudeFenster, zerschlagen
Kälte, Hass
Zimmer, verlassen
Sieg der Zerstörungfern und nah
ein Katzensprung
ein Augenblick֎֎֎
Friedensnobelpreis 2009
(14.12.2009)
nicht jedes schwarz ist schwarz
nicht jedes weiß ist weiß
nicht jedes rot ist rot
nicht jedes gelb ist gelbverfangen im netz der lügen
gekettet mit zuckerbrot und peitsche
ausgeschaltet durch den maulkorb der sachzwängehaben wir die fähigkeit in uns
tag für tag
nacht für nacht
stück für stück
tropfen für tropfen
schritt für schritt
schlag für schlag
tritt für tritt
stich für stich
aus uns
austreiben lassen
mit den augen zu hören
mit den ohren zu riechen
mit der nase zu schmecken
mit der zunge zu atmen
mit der lunge zu fühlen
mit der haut zu denken
mit dem gehirn zu schlagen
mit dem herzen zu schenkenoh, du „krone der schöpfung“
wie konntest du es zulassen
dich so erbärmlich
erbärmlich
erbärmlich
verkommen lassenKleines Experiment
(in Anlehnung an Erich Fried; 7. Dezember 2009)
Sieh dir
den Amtsträger an
ihn selbst
oder sein Fotound die Gesandten
die er in andere Länder schickt
um deutsche Interessenüberall zu verteidigen
dann sage dir dreimal laut vor:
„Es ist eine humanitäre Intervention
Es geht um die Verteidigung der Menschenrechte
Es gilt der Ausbreitung der Demokratie
Es dient dem Frieden „wenn du das glaubst
dann kannst du beruhigt weiter schlafen
wenn du es jedoch bezweifelst
und wagst Fragen zu stellenmusst du bereit sein
für eventuelle Schlussfolgerungen
einen hohen Preis zu bezahlenLiebeserklärung
(1.11.2009)
Du, Fee der Freiheit!
Du, Engel der Gerechtigkeit!
Du, Bote der Vernunft!
Ihr, Dreieck des Friedens!Euch im Sinn
greife ich nachts nach den Sternen.
Mit Hoffnung auf euer Erscheinen
fange ich den neuen Tag an.
Im Herbst der Farbenvielfalt
von den prächtigen Bäumen inspiriert
bereite ich in mühsamen Schritten
eure Ankunft vor.Verrückt vor Leidenschaft
leidend und doch glücklich
schlägt mein verliebtes Herz
träumend Schmetterlingen folgend
einem Kinde ähnelnd
eurer Liebkosung entgegen.Du, Fee der Freiheit!
Du, Engel der Gerechtigkeit!
Du, Bote der Vernunft!
Ihr, Dreieck des Friedens!֎֎֎
Gegossenes Blei. Ein Jahr danach.*
( 28.12.2009)
Langer Atem dort?
Kurzer Seufzer hier?
War das einkalkuliert?Große bunte Blasen
sie kommen auf
glänzenTiefe schmutzige Wunden
sie klagen an
stinkenMajestätische Bilder
sie grinsen
heuchelnLanger Atem dort
kurzer Seufzer hier
das war einkalkuliert.֎֎֎
* Die Einkesselung und Bombardierung des Gaza-Streifens durch Israel 2008/2009 wurde in Armeekreisen „Gegossenes Blei“ genannt.
Antlitz / Sima *
(6.12.2009)
Schon der erste Blick
hat verraten
dass du eine Mutter bist
besorgt
fürsorglich
schützend
warm
weiseSchon das erste Gespräch
hat gezeigt
dass du ein Mensch bist
leidend
und doch schöpferisch
verletzt
und doch kämpferisch
beraubt
und doch großzügig
betrogen
und doch vertrauendSchon die erste Umarmung
hat gezeigt
dass du lieben kannst.֎֎֎
* Das deutsche Wort ‚Antlitz‘ bedeutet auf Persisch ‚Sima‘. Dieses Gedicht ist Frau Sima Kassaie gewidmet.
Agenda 2010
Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr!
(Dezember 2009)
Frohes, neues Jahr, Püppchen!
Auch im Jahr 2010 werde ich dir genügend Themen und Fragestellungen anbieten, mit denen du dich beschäftigen kannst. Vergiss jedoch nicht unsere grundsätzlichen Vereinbarungen aus den vergangenen Jahren:
Du darfst hören,
jedoch mit Ohren, die ich betäube.
Du darfst hören,
jedoch das, was ich für dich bestimme und auswähle.Du darfst sehen,
jedoch mit Augen, die ich beneble.
Du darfst sehen,
jedoch das, was ich für sinnvoll erachte.Du darfst fühlen,
jedoch mit Sinnesorganen, die ich beeinflusse.
Du darfst fühlen,
jedoch nach meiner Anleitung.Du darfst denken,
jedoch in den von mir vorgegebenen Kategorien.
Du darfst denken,
jedoch meine Logik anwendend.Du darfst planen,
jedoch meinen Interessen entsprechend.
Du darfst planen,
jedoch nach meinen Vorgaben.Du darfst handeln,
jedoch mich nicht gefährdend.
Du darfst handeln,
jedoch nach meiner Regie.Püppchen!
Du darfst eine Marionette bleiben,
jedoch mit der tiefen Überzeugung,
frei von Strippen zu sein.In diesem Sinne wünsche ich dir ein wahnsinniges, neues Jahr.
֎֎֎
Ich möchte mich daran nicht gewöhnen.*
(8.1.2010)
George Orwell: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“
Wer die Vergangenheit nicht kennt
oder
sie zwar kennen gelernt hat
aber bewusst oder unbewusst
verdrängt
verkennt die Gegenwart.Wer die Gegenwart verkennt
oder
sie zwar prinzipiell erkennen kann
jedoch bewusst oder unbewusst
eine kritische Auseinandersetzung damit vermeidet
verbaut sich die Zukunft.Wer regieren will
und dabei
mit den drei Grundsätzen
Freiheit, Gerechtigkeit, und Vernunft
in Widerspruch gerät
wird die Regierten dazu verleiten
die Vergangenheit zu vergessen
die Gegenwart zu verkennen
und somit
die Zukunft zu verbauen.֎֎֎
* Dieses Gedicht ist anlässlich eines Gerichtsverfahrens Frau Dr. Sabine Schiffer gewidmet.
Siko 2010*
(6.2.2010)
Eure Angst ist begründet
denn wir können immer noch denken
mitten im Chaos
das ihr ausweitetEure Brutalität ist begründet
denn wir können immer noch lieben
mitten in der Kälte
die ihr verbreitetEure Verzweiflung ist begründet
denn wir wollen immer noch leben
mitten im Leben
das ihr zerstört֎֎֎
* Anlässlich der so genannten Sicherheitskonferenz in München
(2010)
In dieser beklemmenden Dunkelheit
in dieser erlahmenden Kälte
in dieser erstickenden Enge
schreist du im Siegesrausch
dass du ein Meister bist
aus Deutschland
der alles nimmt
was sich nach Leben sehnt
der alles vernichtet
was nach Menschlichkeit riechtDu bist ein Meister
nicht nur aus Deutschland
und die Vergesslichkeit
ist eine Volkskrankheit
nicht nur in Deutschland
und die Ignoranz
ist eine Seuche
nicht nur in Deutschland
und eine mögliche Wiederholung
ist eine Konsequenz
nicht nur in DeutschlandVergiss jedoch nicht
dass die Mutter Erde
von unzählig vielen
verehrt wird֎֎֎
* Nach dem Besuch des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora wurde dieser Text verfasst. Unter Leitung von Wernher Freiherr von Braun wurde dort das vernichtende Nazi-Raketenprogramm realisiert. Braun arbeitete später für die Raumfahrtentwicklung der USA. Ca. 20 000 Menschen starben im Zusammenhang mit diesem Konzentrationslager.
۞۞۞
Mittelbau-Dora
Ein Konzentrationslager des „Totalen Krieges“Mittelbau-Dora steht exemplarisch für die Geschichte der KZ-Zwangsarbeit und der Untertageverlagerung von Rüstungsfertigungen im Zweiten Weltkrieg. Mehr als 60 000 Menschen aus fast allen Ländern Europas, vor allem aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich, mussten zwischen 1943 und 1945 im KZ Mittelbau-Dora Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie leisten. Jeder dritte von ihnen starb.
Gegründet wurde „Dora“ als Außenlager des KZ Buchenwald im Sommer 1943 mit der Verlagerung der Raketenproduktion von Peenemünde in vor Luftangriffen geschützte Stollenanlagen bei Nordhausen. Später kamen weitere Rüstungsprojekte hinzu: Zehntausende KZ-Häftlinge mussten 1944/45 Zwangsarbeit beim Ausbau unterirdischer Flugzeug- und Treibstoffwerke leisten. Zu ihrer Unterbringung richtete die SS neue KZ-Außenlager ein, die im Herbst 1944 mit dem Lager Dora zum nunmehr selbständigen KZ Mittelbau zusammengefasst wurden. Dieses erstreckte sich am Ende mit fast 40 Lagern über den gesamten Harz.
Heute ist Mittelbau-Dora ein europäischer Lern- und Gedächtnisort. Relikte im ehemaligen Lagergelände und im Stollen zeugen von den Verbrechen, aber auch vom wechselvollen Umgang mit der Geschichte. Wechselausstellungen regen zur kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit an. Die 2006 eröffnete Dauerausstellung präsentiert Mittelbau-Dora nicht nur als Modellfall von Zwangsarbeit und Untertageverlagerung, sondern auch als Beispiel für die enge Einbindung der Konzentrationslager in die deutsche Gesellschaft.
Belanglose Banalitäten, banale Belanglosigkeiten?
(20.3.2010)
* Im Rahmen der Veranstaltung „Kultur des Friedens“ fand am 20.3.2010 in Essen eine Gesprächsrunde mit Vertretern von CDU, FDP, SPD, Grünen und Den Linken statt. Der einzige Lichtblick in dieser verdunkelnden Runde war der Moderator, der aufmerksam und aufdeckend handelte. Nach dieser Gesprächsrunde wurde dieses Gedicht verfasst.
Friede, Freude, Eierkuchen!
Zunächst nach den richtigen Zutaten suchen:Zwei Gläser voll Täuschung und Tarnung,
anderthalb Gläser heuchelnde Warnung,
ein beachtlicher Schuss suggerierte Dummheit,
drei Esslöffel softe Weisheit,
250 g weiche Wahrheit,
eine gute Prise berechnende Vergesslichkeit,
eine Hand voll bedachte Dreistigkeit.Dann mischen, kneten, knebeln, spalten,
dass keine Systemgefahr aufkommt, darauf achten.
Bald ist fertig der Friedensbrei.
Lasst die Kritiker bellen, das macht frei.
Macht, Geld und der Sitz im Bundestag,
soll uns erhalten bleiben, Tag für Tag.Friede, Freude, Eierkuchen!
Zunächst nach dem Unverbindlichen suchen!֎֎֎
Der Baum ohne Blätter
(in Anlehnung an Mohammad Reza Shafi’i Kadkani; 2010)
Hast du, Baum, im Herbst die Blätter verloren
oder bist du erlahmt von der klirrenden Kälte
so besteht doch die Hoffnung
dass die lebenspendenden Wolken im Frühling
dir wieder eine Blättertracht anlegenBald wird wieder eine morgendliche Brise
deine belaubten Zweige liebevoll berühren
und sie in Tanz versetzen
beklage dann das Schicksal all der Blätter
die von ihren Ästen getrennt worden sind֎֎֎
(in Anlehnung an Mohammad Reza Shafi’i Kadkani; 2010)
Seit geraumer Zeit wird vermisst
die Fee der Fröhlichkeit
mit der folgenden BeschreibungAugen:
dunkel, wie unsere Zeit
glänzend, wie eine menschliche Vision
viel versprechend, wie unsere JugendlichenHaare:
lang, wie die Leidensgeschichte der Geächteten
wellig, wie das widerspruchsvolle LebenLippen:
Zärtlichkeit singend, wie eine RosenknospeGesamteindruck:
anmutig, wie die bezaubernde Schöpfung
warm, wie die aufgehende Sonnezuletzt wurde sie gesehen
in einer Gegend
begrenzt von dem Kaspischen Meer im Norden
und dem Persischen Golf im SüdenInformationen werden entgegen genommen
durch offenherzige Wesen֎֎֎
Der Wein der Einsamkeit
(in Anlehnung an Mohammad Reza Shafi’i Kadkani; 2010)
Unter anderen Umständen
in anderen Ländern
zu anderen Zeiten
bist du ein Gotteslästerer
ein Abtrünniger, ein Ketzerhier gelten dir andere Beschimpfungen
Kommunist, unbelehrbarer Linker
Sozialist, notorischer Hetzer
Antisemit, Selbsthasser
Volksfeind, naiver Christ
Unruhestifter, böser Islamistsolltest du fragen warum
sage ich einfach summa summarum
ein Mensch seiner Zeit voraus
ist öfters ohne Heimat, ohne Haus
trink aus den Wein der Einsamkeit
tauch ein ins Meer der Redlichkeit
sei dir bewusst dem Wandel, der Endlichkeit֎֎֎
Der Leuchtkäfer
(in Anlehnung an Mohammad Reza Shafi’i Kadkani; 2010)
Wie lange willst du noch
im Schlamm dieser dunklen Nacht
thronen
bitte die Leuchtkäfer um Hilfe
beleuchte deine Umgebung
und dann
versuch den aufrechten Gang֎֎֎
Mondschein
(in Anlehnung an Mohammad Reza Shafi’i Kadkani; April 2010)
Mitten in der dunklen Nacht
singe ich das Lied der Sonne
„Schweig“, schreit schrill der Friedhofswärter
„Du bist ein verwirrter Übeltäter,
ein naiver Überläufer,
ein verdammter Verräter!“Überzeugt von Wärme und Licht
frage ich mit Gelassenheit und Zuversicht
wird der Mondschein etwa nass
wenn er durch eine Pfütze wandert
wenn es regnet, schneit oder hadert?֎֎֎
Das sonderbare Schachspiel
(in Anlehnung an Mohammad Reza Shafi‘i Kadkani; 2010)
Knie dich nieder
lautete der Befehl
knie dich nieder
vor das lederne Spielfeld
spiel das Spiel deines LebensWas für eine Ironie
ein ledernes Stück
wurde früher eingesetzt
früher
als meine Vorfahren
geköpft wurden
zur Strafe bei Auflehnung
zur Belehrung der Umgebungdie Spielfiguren
waren bereits aufgestellt
zu Ungunsten der schwarzen Partei
das Ende war abzusehen
das weiße SiegesgeschreiSpiel mit den schwarzen Figuren
du hast nur einen Zug
wende mit ihm das Blatt um
ansonsten hast du verloren
dann ist deine Zeit um
so waren die Vorgaben
so waren die Regeln
vorzüglich einschränkend
verbindlich einengendUnd ich überlegte
was für ein aussichtsloses Spiel
was für eine schiefe Lage
vergeblich war jede KlageSo stand ich auf
in einem Schritt
war das lederne Spielfeld
mit all den Schachfiguren
gründlich gewendet
und das Spiel
unwiderruflich beendet֎֎֎
Sonnenblume*
(in Anlehnung an Mohammad Reza Shafi’i Kadkani; 23.4.2010)
Deinen liebevollen Gesang
den verzaubernden Geruch deines Atems
deinen betörenden Anblick
dein dem Wunder gleichenden Aufblühen
habe ich wahrgenommen
du, die SonnenblumeVor der Morgendämmerung
die Tanne, die Sterne im Schlaf
bist du schon am Werke
fleißig, bescheiden, still
in Erwartung der aufgehenden Sonne
geduldig, treu, voller Wonne
du, die SonnenblumeDein Geheimnis
kennen sie nicht
weder das Veilchen
noch die Weide
weder der Fenchel
noch das GetreideUnbemerkt von diesen
mit unbegreiflicher Inbrunst
mit bezaubernder Ausdauer
lebst du jeden Tag
deine tiefe Überzeugung
du, die Sonnenblume:
das Leben lebt
von unseren Träumen
von unserem ewigen
Greifen nach den SternenIch, mit meiner Unrast
der Befreiung wegen
auch wenn nicht greifbar
du, mit deiner Bewegtheit
deiner Geliebten entgegen
auch wenn nicht erreichbarSchau richtig hin
die Einheit der Liebenden
mit der Geliebten
hat ihr Symbol
in dir gefunden
du, die Sonnenblume
schau richtig hin
du bist selbst
zur Sonne geworden
du, die Sonnenblume֎֎֎
*Auch in meiner zweiten Heimat, Deutschland, gibt es eine Reihe von „Ein-Mann-Betrieben“. Sie werden hier unter anderem von Ellen Rohlfs, Erhard Arendt, Michael Schmid, Thomas Immanuel Steinberg und Wolfgang Kuhlmann am Leben gehalten. Sie sind wie das Salz in unserer Suppe, sie sind die Sonnenblumen unserer Gesellschaft.
Neue Drohnen braucht das Land*
2.4.2010
*Anlässlich der Ausbildung deutscher Soldaten durch Israel im Umgang mit Drohnen.
Es trafen sich die großen Menschenfreunde
aus dem dunklen, deutschen Walde
einst in der kalten Lichtung
in der Nähe der blutroten Halde,
es ging um eine große Sichtung.Die infame Propaganda der Widersacher
bezeichnete die Versammelten als Verbrecher.
Es waren aber alle nur Lebensretter,
ihre Namen echte Zungenbrecher:
Schiebel Elektronische Geräte,
HighKopter.de, Mavionics,
AirRobot, EMT,
Rheinmetall Defence Electronic,
microdonres, EADS.
Andere blieben unbenannt,
so wollten sie es.Die Schirmherrschaft dieser Demonstration,
in der Zeit der heiligen Emanzipation,
hatte erwartungsgemäß keine Mängel
sie war eine echte Taube, ein Friedensengel.Die Dame kam aus der ehemaligen DDR.
Keine doppelte Gleichberechtigung? Aber bitte sehr!Zunächst eine chirurgisch präzise Ausschaltung
der Feinde der Menschenrechte,
dann kommt die gerechte Verwaltung,
Nation Building für die befreiten Knechte.
Zur Sicherung deutscher Interessen weltweit
Drohnen braucht das Vaterland, seid ihr bereit?
Unsere Responsibility to protect, sagte dann
der wohl ernährte, so weise Vorsitzende,
fange bei deutschen Soldaten an,
sonst drohe uns das dicke Ende:
Särge mit zugerichteten Toten
bei aller Gleichschaltung der Vision
sind weiterhin keine guten Boten
für unsere gepriesene Friedensmission.Für diese lukrative Feststellung
gab es riesigen Beifall, stehenden Applaus.
Die Lebensretter setzten fort ihre Sitzung
mit Wonne, Weißwurst und Apfelschmaus.֎֎֎
Schwelende Glut
(in Anlehnung an Parvaz Homay; Mai 2010)
Zeig Erbarmung diesen Menschen gegenüber
lindere ihr Leiden
erweis diesen Menschen Duldsamkeit
erleichtere ihre Bürden
hab Angst vor der schwelenden Glut
unter der AscheTausende kaiserliche Kronen
Hunderte majestätische Throne
sind bereits zerborsten in dieser Glut
dieser mächtige Thron
diese gewaltige Macht
dauert nicht für die Ewigkeit
hab Angst vor der schwelenden Glutdas ist der Gang der Geschichte
er macht keinen Halt
weder vor den Kaisern
noch vor den Geistlichen
hab Angst vor der schwelenden Glut֎֎֎
Was ist das für eine Welt?
(in Anlehnung an Parvaz Homay; Mai 2010)
Was ist das für eine Welt
in der der Wein verpönt ist
was ist das für ein Paradies
in dem der Apfel verboten istSag mir aufrichtig, sag
wo ist das gelobte Land
wo ist dein Paradies
sag mir aufrichtig, sag
kann dort auch jeder
schalten und walten wie er will
so wie hier auf der ErdeDu belehrst mich
mit der Hölle drohend
vor den Toren des himmlischen Gartens
bei der Auferstehung
bei dem Jüngsten Gericht
werde ich danach gefragt werden
auf dem Wege der Liebe
wem gefolgt zu sein
dem Jesus oder
dem Zarathustra
sag mir aufrichtig, sag
wird dieses traurige Spiel
sich auch in deinem Paradies fortsetzenWas habe ich nur gedacht
was habe ich nur gesagt
wegen dieser Gotteslästerung
dieser unglaublichen Blasphemie
wird man mich sicher zum Glück zwingen
die Hände gefesselt
die Beine in Ketten gelegtNein, nein, nein, ich nehme alles zurück
ihr habt wie immer Recht
nein, nein, nein, ich bereue alles
ihr habt sicher wieder Recht
nein, nein, nein֎֎֎
Begegnung mit den Insassen der Hölle
(in Anlehnung an Parvaz Homay; Mai 2010)
Wenn ihr mich beerdigt
im Weinrausch verstorben
denkt an meine letzte Predigt
unter den Leichentüchern verborgen
soll sein ein Krug voller Wein
auf meiner Reise in die Hölle
mit Gelassenheit und ohne Pein
auskosten möchte ich den Riesling
und pflanzt auf mein Grab
einen prächtigen WeinstecklingBegegne ich den Insassen der Hölles
o schenke ich ihnen klug
an Blüten der Judasbäume denkend
den mitgebrachten Krug
trinkend, lachend, Wein schenkend
wird alles nachgeholt
auf der Erde versäumt
von euch gehasst, verfolgtWein, Kelch, Schenker und Schenken
nur daran möchte ich stets denken
vor Durst nach Liebe verglühen
in vermeintlicher Hölle wieder aufblühen
das Leben bejahen, in Freude versenken
liebkosen, tanzen, Zärtlichkeit schenken֎֎֎
Fremdwörter
(25.2.2011)Für die Menschen
die in den von uns entfachten Kriegen
leiden und sterben
kommt es nicht darauf an
ob der Kriegsminister
einen akademischen Grad
oder andere Namenszusätze
mit sich schleppt oder nicht
sondern auf die einfache Frage
ob Gehirn, Rückgrat und Herz
bei uns
Fremdwörter darstellen֎֎֎
Allen Unkenrufen zum Trotz
(in Anlehnung an Abdollah Behzadi, 2011)
Was für eine Herzensfreude,
diese betörende Luft einatmen zu können,
wenn wilde Tulpen und Narzissen sprießen.
Zugvögel sind zurückgekehrt
und zwitschern das Lied der Hoffnung.
Das Lebenselixier strömt in den Pflanzenadern.
Oh ja, der Glück bringende Frühling ist angekommen.Den Freunden und Bekannten,
den zur Erneuerung Entschlossenen,
den eine bessere Welt Erbauenden,
all denjenigen, die mit dem Stift als Mittel
den Verfall und das Elend
überall auf dieser Welt aufdecken,
soll der Frühling Glück bringen.Der Frühling wird unser Vorbild sein:
den lähmenden Ketten der Kälte und Starre,
der zermürbenden Last der Dunkelheit und Unwissenheit,
der versklavenden Armut,
in welcher Form auch immer,
an welchem Ort auch immer,
werden wir allen Unkenrufen zum Trotz,
beharrlich, entschlossen und stolz
ein Ende setzen.֎֎֎
Was alles auf der Strecke bleibt
(5.3.2011)
Der adlige Kriegsherr geht augenscheinlich fort
der bürgerliche Kriegsminister setzt buchstäblich fort
Menschenleben bleibt auf der Strecke
käufliche Politiker regieren
Militär und Rüstungsindustrie delegieren
Kinderträume bleiben auf der Streckedie Bundeswehr wird zweckdienlich umgebaut
das brüchige Rechtsbewusstsein wird zunehmend abgebaut
das Völkerrecht bleibt auf der Strecke
das verführte Wahlvolk wird schlicht verschaukelt
Humanität und Demokratie werden dreist vorgegaukelt
Achtsamkeit und Gefühle bleiben auf der Streckeaufdeckende Tatsachen werden bewusst verschwiegen
Dunkelheit und Lügen sollen unumkehrbar siegen
Vernunft und Redlichkeit bleiben auf der Streckekorrumpierte Wissenschaftler verleiten und vertuschen
ehemalige Friedensfreunde rechtfertigen und kuschen
Rückgrat und Courage bleiben auf der Streckeprofessionelle Söldner und freiwillige Soldaten morden
öffentlich als Helden gepriesen werden diese Horden
Menschlichkeit bleibt auf der Strecke֎֎֎
Die Gretchenfrage* aktualisiert
(2011)
*Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.(J. W. Goethe: Faust. Eine Tragödie)
Hinter diesem oder jenem Schleier
verhüllt in unterschiedlichstem Gewande
machen Furore auch heute die Geier
unschuldiges Blut bleibt kleben im Sandewirken Vaterland, Gott und Ehre nicht
werden erfunden neue Begriffe
so wird verdunkelt am Ende die Sicht
verkauft werden Kriegsgeräte und –schiffe‘failed states’ und ‘humanitäre Intervention’
rechtfertigen den Staatsterror, vertuschen die Intention
mal nackte Gewalt, mal wirtschaftliche Sanktion
am Ende steht hier und da eine neue Bastionzur Teilnahme an dieser reichen Beute
zur Regierungsfähigkeit nur eine Gretchenfrage
stimmst für den Krieg du heute
der Staat für dich die Sorge trage֎֎֎
(31.3.2011)
In Erinnerung an die unzähligen Opfer der Kriege im Rahmen der neoliberalen Globalisierung in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und anderswo
Merke dir den Geruch der Hyazinthen
wenn die Frühlingsbrise sie streichelt
denn bald werden beladene Bombenbringer
bar jeder Barmherzigkeit
im Namen der Menschlichkeit
einen verpesteten Teppich der Verwüstung ausrollenMerke dir den Gesang der Sperlinge
unter dem meeresblauen Sternenzelt
denn bald werden schwere Panzer
prahlend, protzig
ihr Geheul der Gräueltaten gellenMerke dir die morgendlichen Tauperlen
auf der seidenen Haut der Spinnenbauten
denn bald werden Söldner und Soldaten
hochgerüstet und aufgetakelt wie Monster
alles, was nach Leben schreit, niedertrampelnMerke dir die Lichtspiele beim Sonnengang
wenn die Nacht und der Tag sich begrüßen
denn bald werden bleierne Wolken
den Horizont für eine Ewigkeit verdunkelnMerke dir den aufrechten Gang der Menschen
verzaubert durch die Sehnsucht nach Gerechtigkeit
denn bald werden zahlreiche Dichter und Denker
sich als heilige Krieger huldigend
die Vernunft, den Mut und die Liebe
verraten, verjagen, vergraben֎֎֎
Am helllichten Tage
(18.7.2011)Dieser Text wird den Opfern der humanitären Intervention der NATO in Libyen gewidmet. Er wird jedoch für die Menschen in den NATO-Staaten geschrieben. Die Barbarei des Neoliberalismus, die sich bereits 1973 im Militärputsch gegen die Regierung von Salvador Allende offen zeigte, wird auch Europa, früher oder später, in grenzenloses Elend stürzen, wenn ihr kein Widerstand geleistet wird.
Nein, es ist weder eine sternenlose Nacht,
noch handelt sich um einen Neumond.
Es bedecken weder dunkle Wolken den Himmel,
noch ist eine Sonnenfinsternis eingetreten.
Es passiert am helllichten Tage.Mehr als hundert Tage sind bereits vergangen,
ein weiteres Land liegt in Schutt und Asche.
Ein Ende dieser elenden Lügen,
ein Ende dieses offenen Mordens
ist nicht in Sicht.
Es passiert am helllichten Tage.۞۞۞
The common thread: from Hiroshima to Fallujah. // Der rote Faden. Von Hiroshima nach Fallujah.
(24.7.2011)
Der Ausgang des Krieges war längst besiegelt
die Tür zu Verhandlungen wurde jedoch verriegelt (1-5).
Da brachte der brave Flugkapitän
pflichtbewusst, sachgemäß und souverän
am sechsten August 1945
heilig gepriesen, voller Stolz und tüchtig
dem überraschten Volk in Hiroshima
ein schreckliches Gepäck aus Amerika.
Und nannte es liebevoll
„Little Boy“, wie grauenvoll.
Drei Tage später schlug „Fat Man“ ein
nun war der Tisch angeblich endlich rein.In der Folgezeit ging es makaber weiter
Militär und Rüstungsindustrie wurden erst recht heiter
mit „Agent Orange“, Phosphorgranaten und abgereichertem Uran
in Vietnam, Fallujah und auf dem Balkan (6-12).Bei uns wird jetzt wieder feige zugeschaut
und in Libyen der nächste Friedhof aufgebaut.֎֎֎
http://www.un.org/disarmament/special/poetryforpeace/poems/bahar/
How the war would end, had long been determined (1-5),
The door to negotiations was, however, shut.
Then brought the brave little captain
conscientious, objective and independent
on the sixth day of August, in the year 1945
highly praised, proud and determined,
the surprised people in Hiroshima
a horrific package from America.
And full of tenderness he named it
the „Little Boy“; how gruesome.
Three days later the „Fat Man“ hit,
and now the slate was supposedly clean.But then the horror continued;
the generals and the weapon makers felt even more revived
with „Agent Orange“, „Whisky Pete“, and Depleted Uranium
in Vietnam, Fallujah and in the Balkans (6-12).And, cowardly, once again we are watching
as the next cemetery is built in Libya.֎֎֎
(1) Hiroshima: Was it necessary? By Doug Long
Part 1: http://www.doug-long.com/hiroshim.htm
Part 2: http://www.doug-long.com/hirosh2.htm(2) Why World War II ended with Mushroom Clouds. 65 years ago, August 6 and 9, 1945: Hiroshima and Nagasaki. By Jacques R. Pauwels. August 6, 2010
http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=20478(3) The Moral Legacy of Hiroshima and Nagasaki. By Prof Rodrigue Tremblay. August 8, 2010
http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=20533(4) Hiroshima Day: America Has Been Asleep at the Wheel for 64 Years. By Daniel Ellsberg. August 6, 2009
http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=14671(5) Public Papers of the President Harry S. Truman, 1945-1953. 97. Radio Report to the American People on the Potsdam Conference, August 9, 1945, delivered from the White House at 10 p.m.
http://www.trumanlibrary.org/publicpapers/index.php?pid=104(6) A Question of Responsibility – the legacy of depleted uranium use in the Balkans. International Coalition to Ban Uranium Weapons: Resources / Publications. October 11, 2010
http://www.bandepleteduranium.org/en/a/342.html(7) USA-Vietnam: Betr. Dioxin – eine neue Rechnung. Von Karl-Rainer Fabig
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Vietnam/fabig.html(8) Agent Orange
http://en.wikipedia.org/wiki/Agent_Orange(9) War Crimes: „After Hiroshima and Nagasaki, there was Fallujah.“ The United States Takes the Matter of Three-Headed Babies Very Seriously. By William Blum. April 6, 2010
http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=18520(10) US UK War Crimes: More leukemia in Iraq than after Hiroshima as result of depleted uranium, white phosphorus bombs and nerve gas. Parliamentary Motion in Scotland. September 22, 2010
http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=21143(11) US War Crimes: Cancer Rate in Fallujah Worse than Hiroshima. By Tom Eley. July 23, 2010
http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=20241(12) Cancer, infant mortality and birth sex-ratio in Fallujah, Iraq 2005-2009.
Busby C, Hamdan M, Ariabi E. Int J Environ Res Public Health. 2010 Jul;7(7):2828-37.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2922729/pdf/ijerph-07-02828.pdfMorden
(6.11.2011)
Die Rüstungsindustrie entfachte das Morden professionell,
die Völker zahlten die Zeche.
Der UN-Sicherheitsrat begründete das Morden parteiisch,
die Völker zahlten die Zeche.
Parlamentarier rechtfertigten das Morden solidarisch,
die Völker zahlten die Zeche.
Politiker ermöglichten das Morden pragmatisch,
die Völker zahlten die Zeche.
Massenmedien machten das Morden hoffähig,
die Völker zahlten die Zeche.
Geisteswissenschaftler beflügelten das Morden analytisch,
die Völker zahlten die Zeche.
Juristen behandelten das Morden wortklauberisch,
die Völker zahlten die Zeche.
Friedensforscher erklärten das Morden auftragsmäßig,
die Völker zahlten die Zeche.
Journalisten berichteten über das Morden eingebettet,
die Völker zahlten die Zeche.
Hilfsorganisationen beschäftigten sich mit dem Morden zivil-militärisch,
die Völker zahlten die Zeche.
Soldaten vollstreckten das Morden befehlsmäßig,
die Völker zahlten die Zeche.
Uniformierte und zivile Söldner erledigten das Morden präzise,
die Völker zahlten die Zeche.
Menschen wie du und ich entledigten sich des Mordens ignorierend
und sie zahlten doch die Zeche.֎֎֎
Sonderbare Widersprüche
(29.12.2011)Wir leben wahrhaftig
in einer ungerechten Welt,
die wegen sonderbarer Widersprüche
im Bersten begriffen ist.Wenn ich aufgrund vielfältiger Tatsachen
führende Personen der „Weltgemeinschaft“
als Massenmörder bezeichne,
erheben sich aus befreundeten Reihen
warnende Stimmen,
verängstigt,
voller Skepsis.Wenn ich dabei von einem dieser Massenmörder,
der gleichzeitig ein Friedensnobelpreisträger ist,
als eine „terroristische Gefahr“ erachtet werde,
kann er
sich auf geltendes Landesgesetz berufend
mein Verschleppen, Verhören und Foltern einleiten
und letztendlich auch
mein „gezieltes Töten“ veranlassen.Wenn derselbe Massenmörder,
der besagte Friedensnobelpreisträger,
neue Angriffskriege anzettelnd
den präemptiven Einsatz von Atomwaffen androht
und dabei den Tod unzähliger Menschen
sowie die bleibende Verwüstung blühender Landschaften
billigend in Kauf nimmt,
bekommt er von der „Weltgemeinschaft“
Applaus und Lobesgeschrei.Wir leben tatsächlich
in einer durch und durch verzerrten Welt,
die nach Veränderungen schreit.֎֎֎
Drei Jahre nach der Operation Cast Lead
(30.12.2011)Die verwaschene Sprache
ist in der Medizin
ein Hinweis auf ein neurophysiologisches Problem.Die verzerrte oder verzerrende Sprache
ist in der Politik
je nach dem Stand der Beteiligten
ein Hinweis auf
bewusstes, gezieltes Irreführen der Menschen,
verängstigtes Verleugnen ungerechter Gegebenheiten,
beschämtes Verdrängen unangenehmer Tatsachen,
armseliges Verheimlichen der fatalen Unwissenheit,
schmachvolles, feiges Ducken vor den Machthabern.Der Umgang mit der Operation Cast Lead
ist ein Lackmustest für
die Glaubwürdigkeit,
die Aufrichtigkeit
und den Wissensstand
gesellschaftspolitischer Akteure.֎֎֎
(3.6.2012)
(I)
Wenn du auf der Suche nach meiner Seele bist,
Du Geliebte, Du Schöne,
komm zu mir herein, direkt und leichtfüßig.
Und reinige den Körper von all dem Schmuck,
verliere all die Rollen,
beseitige Vortäuschungen und Schönfärbungen,
damit du mir ein Spiegel bist,
der das hinter dem Gesicht Stehende zeigt;
damit ich dir ein Spiegel werde,
fähig, lauter und ungetrübt.֎֎֎
(II; ein Echo)
Wenn du meine Seele suchst,
Geliebte, Schöne,
komm herein zu mir,
leicht und ohne Umweg.
Leg ab den Schmuck,
lass fallen den schöngefärbten Schein,
vergiss, wer du sein willst.
So bist du ein Spiegel für mich
und ich für dich,
ungetrübt,
lebendig,
wahr.֎֎֎
Freundschaft
(in Anlehnung an Fereydoun Moshiri; 2012)
Seit längerem spüre ich
die die Überzeugung in mein Herz
sich tiefer und tiefer verwurzelt
die Freundschaft sei auch eine Pflanze
streichelnd wie die Lotusblume
zärtlich wie der Jasmin
prächtig wie die Magnolie
bezaubernd wie die Lilie
nur ein versteinertes Herz
kann es zulassen
diese Pflanze niederzutretenAm Anfang einer Bekanntschaft
gleicht jedes ausgesprochene Wort
jeder Gesichtsausdruck
jeder Schritt
einem Korn
das ausgesät wird
durstig nach Wasser
Licht und Wärme
durstig nach LiebePflegst du die Freundschaft richtig
so entsteht ein wunderbares Wesen
bereichert dein Leben
mit Zärtlichkeit
mit SchönheitDas Leben
ist die Wärme der verbundenen Herzen
wenn du immer noch
ohne Freunde
vor verschlossenen Türen
in der Kälte stehst
wenn der betörende Duft der Liebe
die Wüste deiner Einsamkeit
in keinen Rosengarten verwandelt hat
so streu die Körner neu ausMit einem Blick
schreiend vor Sehnsucht
mit einem Gruß
lachend vor Licht
mit einem Händedruck
warm vor Liebkosung
lass uns zusammen gehen
lass uns zusammen singen
lass uns vor Freude glühen
lass unsere Gärten aufblühen֎֎֎
Nachahmung
(in Anlehnung an Fereydoun Moshiri; 2012)
Wie atmet die Erde auf?
Denken wir darüber nach!Was für eine klirrende Kälte
schlug das Gesicht der Barmherzigkeit,
zerquetschte das Herz der Erde,
zerbrach den Mut des Gesteins.
Die Vögel starben in Scharen,
die Blumen der Wiese verschwanden auf ewig.
Im Himmel, auf der Erde
lauerte die Angst.
In dem Engpass der Zeit
hielt sich der Tod für eine Weile auf.Ist es der Weltuntergang?
Darauf hatte der Himmel keine Antwort.
Wird der Garten wieder lachen?
Keiner war davon überzeugt.
Es herrschte eine sonderbare Kälte.Wie atmet die Erde auf?
Lernen wir davon!Es ist die Zeit des glorreichen Blühens.
Beim Aufgehen der Frühlingssonne
schmolz der Schnee dahin,
Blumen erhoben den Kopf,
Farben streichelten sich zärtlich durch.Die Erde hat uns gelehrt,
nicht zu resignieren,
bevor das letzte Wort ausgesprochen ist.
Sind wir der Erde ebenbürtig?
Sie atmet wieder auf.
Ahmen wir ihr nach?!֎֎֎
Ich liebe, deshalb bin ich!
(in Anlehnung an Fereydoun Moshiri; 2012)
Von dem Wein des Sonnenkusses
ist der Meereskelch
überschwappend voll.
Der Wald hat sich die ganze Nacht
bis zur Morgendämmerung
den Körper im Regen gewaschen
und ist verzaubernd inspirierend.
Jeder von uns ist betört,
seiner Verfassung entsprechend,
von dem Zauber dieses Weinkellers.
Und in mir lebt das Gefühl:
„Ich liebe,
deshalb bin ich!“֎֎֎
Was ich möchte
(24.6.2012)
für Annice
Solltest du mich fragen,
was ich eigentlich möchte,
so werde ich dir sagen:Ich möchte
aus deinem Blickwinkel das Universum betrachten,
mit deinem Gehör die Welt belauschen,
in deiner Haut den Regen am Bergsee erleben,
die Sprache deiner Augen lernen,
die Geschichten deines Lebens aufmerksam anhören,
jegliche Schwingung deiner Stimmung wahrnehmen,
den Anlass deiner Tränen begreifen,
dich unbekümmert lachen sehen,
jede Sekunde unserer Entdeckungsreise auskosten,
und einen bunten Strauß an Erinnerungen zusammenfügen,
allerdings nur dann
wenn diese Wünsche auf Gegenseitigkeit beruhen.֎֎֎
(27.6.2012)
für Annice
Das Schicksal bot uns eine Gelegenheit,
und wir ergriffen sie.
Ein flüchtiger Blick am ersten Tag:
Neugier.
Ein kurzes Gespräch am zweiten Tag:
Sympathie.
Und Gedankenaustausch beim nächsten Treffen:
Faszination.
Bezaubernde, tanz mit mir den Tanz, der Leben ist.Mal heranziehen,
dann loslassen.
Für ein Moment stürmisch sein
wie der Regen im Frühling,
danach zögerlich und bedenklich
wie der Schneefall unterm Mondschein.
Eine Weile das Hineinsehen ermöglichen,
dann das Fenster vorübergehend schließen.
Kurz das Umschlingen auskosten,
anschließend sich abweisend zeigen.
Schritt halten,
den Rhythmus herausfinden,
bange blicken,
von Träumen leben,
einen Menschen entdecken.
Bezaubernde, tanz mit mir den Tanz, der Leben ist.֎֎֎
(1.7.2012)
Du fragst mich,
wo mein Zuhause ist?
Das ist eine einfache Frage,
und doch
wühlt sie so sehr auf,
erschüttert schmerzhaft,
ruft so viel Unruhe hervor.Mein Zuhause ist
überall und nirgendwo.
Einerseits bin ich verwurzelt
tief im Herzen der Geschichte,
in den unzähligen Lebensgeschichten,
und andererseits
nicht gebunden an einem bestimmten Ort.
Ich komme mit dem Regen
und gehe mit dem Wind.Zuhause ist dort,
wo ich meine Gedanken,
nicht ausgereift,
nicht verfeinert,
Rat und Unterstützung suchend
frei äußern kann.Zuhause ist der Ort,
wo weder ein innerer
noch ein äußerer Panzer vonnöten ist,
wo ich nackt sein kann
ohne Angst vor Verletzungen.Zuhause ist dort,
wo ich Schultern vorfinde,
um mich ausweinen zu können,
und einen Trost spendenden Schoß
zur Geborgenheit.Zuhause ist überall,
wo wahre Freunde zu finden sind.֎֎֎
*Am 30.6.2012 wurde das Theaterstück „Der Junge mit dem Koffer“ nach einem Stück von Mike Kenny in Mannheim aufgeführt. Daraufhin entstand dieser Text.
(in Anlehnung an Siavash Kasra’i; 7.7.2012)
Die Tür ist geschlossen,
ebenfalls das Fenster,
die Vorhänge sind zugezogen.
Selbst der Tür- und Fensterrahmen
scheinen dicht zu sein.
Und doch aus einer unbekannten Ecke,
dem Auge unsichtbar,
scheint die Sonne
auf mein Haupt,
mein Heft
und die Vase.Sogar aus diesem eingeengten Winkel
kann der zärtliche Gedanke
durch die unsichtbare Lücke
den Raum verlassen,
sich zu einer Sonne entwickeln,
weltweit erleuchten,
mit Leidenschaft
zart durchdringend,
Wärme spendend
zur Liebe aufrufen
und zum Leben.֎֎֎
(8.7.2012)
Vor nicht all so langer Zeit
hast du
meine Schmerzen lindernd
geschrieben
ich hätte solch einen Schatz an Poesie
um Trost daraus zu schöpfenDabei hast du bestimmt
die inzwischen vorliegende Gegebenheit
nicht voraussehen können
dass ich aus dem erwähnten Schatz
Trost schöpfe
wegen der Fülle
deiner anwesenden Abwesenheit֎֎֎
(15.7.2012)
für Lotte Hartmann-Kottek
(1)
Meinen Blick nahm ich mit
in die helle Lichtung des Waldes
und tauchte mit ihm ein
in den berauschenden Bach
überlaufend von kristallreinem Wasser.
Dann ließ ich ihn schweben im Wind,
beladen mit Düften aus nahen und fernen Feldern,
und sich vollsaugen mit dem Licht
der Sonne und der Sterne.(2)
Diesen Blick nahm ich mit.
Gereinigt-
nicht berechnend wie ein Krämer,
nicht bestimmend wie ein Tyrann,
nicht verlangend wie ein Süchtiger,
nicht bettelnd wie ein Schwacher,
nicht fordernd wie ein Gläubiger,
nicht verurteilend wie ein Richter,
nicht beurteilend wie ein Käufer-
öffnete er mir,
suchend, fragend,
fühlend, mitfühlend,
erkennend, lernend,
Fenster und Türen.(3)
Begegnungen beheimaten,
wenn die Betrachtung des anderen Wesens
auf der Suche nach Erkenntnis
sich versenkt
in die Schönheit der Unvollkommenheit,
in die Wertschätzung des Vergänglichen,
in den Herzenstakt des Mitfühlens und Mitleidens,
in Freude und Trost
Schöpfen und Schenken.֎֎֎
Von Bienen, Wellen und Flammen
(5.12.2012)
Tief in meinem verzauberten Herzen
besingen seidene Stimmen,
sich sehnsüchtig im Kreise drehend,
durstig nach Lebenswärme siedend,
das leidenschaftliche, zärtlich-liebevolle Leben
der Bienen, Wellen und Flammen:„Wir sind wie die Wellen,
die aufhören zu sein,
wenn sie Stillstand erleiden.
So reisen wir tanzend,
in uns bedächtig ruhend,
wie die fleißigen Bienen,
die Blumen beharrlich bestäuben,
wie Feuer und Flammen,
die reinigen, wärmen und beleuchten,
von Träumen und Sehnsüchten getrieben,
nach Schönheit und Zärtlichkeit suchend,
nach Wissen und Gerechtigkeit durstend.“֎֎֎
(22.12.2012)
In Erinnerung an Wolfgang Kuhlmann, der beharrlich bis Januar 2012 durch seine FriedensTreiberAgentur (FTA) die Ausfahrten beleuchtete.
Seit Jahrtausenden wurde der Weg beschritten.
Seit Jahrtausenden wurde gegen den Weg gestritten.Grob umrissen nur war das ferne Ziel:
eine Welt,
die von den Menschen
keinen Tod und keine Opfer verlangt;
eine Welt
mit tiefem Respekt vor dem Leben.Von diesem endlosen Weg,
der durch Höhen und Tiefen,
durch Flüsse und Schluchten,
durch Wälder und Wüsten sich wand,
führten unzählige Ausfahrten ab,
alle beschriftet und beschildert:
verständlich, versprechend,
verlockend, verführend – verdunkelnd.Die Inschriften mancher Wegweiser
waren einfach und trivial,
wie „Brot und Spiele“,
später tödlich zwingend,
wie „Spiele um Brot“.
Andere spreizten sich komplex
und umschmeichelten die menschliche Eitelkeit
sowie den Stolz auf eigenen Intellekt
mit blendender Klugheit und Genialität.Doch nur einem Zweck dienten alle Ausfahrten,
einem niederträchtigen:
das Erreichen des hoffnungsfernen Ziels
mit allen Mitteln zu verhindern
und die Sehnsucht nach dem Guten zu ersticken.Allen Widerständen zum Trotz:
seit Jahrtausenden wird der Weg erstritten.֎֎֎
* Die Idee mit den Ausfahrten verdanke ich dem sozial engagierten iranischen Physiker und Forscher, Fariborz Derakhshan.
von Afsane Bahar und Kassandra Pari Sideras
(25.1.2013)
Aufrichtig Fragen stellen
– kraft klaren Bewusstseins und aus tiefem Bedürfnis,vielschichtig die Antworten hinterfragen
– kraft hart erarbeiteter Fähigkeit,redlich Schlussfolgerungen ziehen
– kraft gestählter Ehrlichkeit sich selbst gegenüber,beherzt die eigene Feigheit und Trägheit überwinden
– kraft mutiger Selbstkritik und errungener Selbsterfahrung,beharrlich das als richtig Erachtete umsetzen
– kraft der Fähigkeit, Enttäuschungen zu überwinden,leidenschaftlich bewegen und sich bewegen lassen
– aus Dank an das Leben und in ehrfürchtiger Liebe zu ihm.JA !
֎֎֎
(6.4.2013)
Jeder Atemzug
ist so sehr
voll von Deiner Anwesenheit
dass es schmerztTausend Fenster öffnen sich
zum unendlichen Raum
der beflügelnden Eingebungen
der ermunternden Vorstellungen
der befreienden Erkenntnisse֎֎֎
(20.5.2013)
„Warum nun
wird diesem Betrug,
diesen Absurditäten und Entstellungen
nicht nachgegangen,
warum winken sogar Linke ab,
wenn ihnen von diesen Dingen berichtet wird?“,
fragen die Hellhörigen
mit erfrischender Verwunderung.Eine der Antworten lautet,
dass der Preis vermutlich zu hoch ist,
wenn aufgedeckt wird,
wie die Herrschenden
denken und handeln.
Ohne Aufklärung nämlich
kommen die zum Denken Befähigten
nicht in die Zwickmühle,
sich entscheiden zu müssen.
Sie katapultieren sich allerdings
stillschweigend
in eine selbstverschuldete Unmündigkeit.֎֎֎
* Die Sprache des Imperiums. Ein historisch-philospohischer Leitfaden ist der Titel eines Buches von Prof. Dr. phil. Domenico Losurdo. Die deutsche Ausgabe ist 2012 im Verlag PapyRossa erschienen.
(20.7.2013)
in Erinnerung an Wolfgang Kuhlmann (Friendestreiberagentur)
Zeichen setzen
wie die Betörung der morgendlichen Brise im Frühling,
wie der Flügelschlag der Schmetterlinge im Sommer,
wie die Liebkosung der Blätter im Herbst,
wie der Tanz der Schneeflocken im Winter,
wie das Lächeln eines Fremden.Zeichen setzen
mitten im stummen Gedränge der Verzweifelten,
mitten in der besinnungslosen Trunkenheit der Gewalttätigen,
mitten im betäubenden Siegesschrei der Todesbringer.Zeichen setzen
fürs Leben.֎֎֎
(7.8.2013)
Dank an Christa Ortmann
Vor des Spiegels reinem Blick
befreie ich mich Stück für Stück
von dem Zwang der Kleider,
geliehener Kleider,
Kleider der Gesellschaft,
Kleider der Zukunft,
Kleider vergangener Leben,
Kleider der Wünsche anderer Menschen,
Kleider aus alten blinden Zeiten,
manchmal mit Stolz, manchmal mit Gewalt getragen,
bunter, das Herz streichelnder Kleider,
Kleider von hohem Rang.Wie nackt bin ich und wie frei!
Meinen späten Freund
betrachte ich im Spiegel
liebevoll,
umgeben von abgelegten Kleidern.
Mit der Stimme des Herzens
rufe ich den Geliebten.(9.8.2013)
Wenn die Blütenblätter abgefallen sind,
Blatt für Blatt,
wenn der Wind Duft und Pollen verweht hat,
dann betrachte genau
die Schönheit der Schöpfung:
Längst schon haben die Bienen
neue Blüten entworfen.֎֎֎
(13.9.2013)
Was unternehme ich nicht alles,
damit eine einzige Lippenknospe
in meiner Nähe
sich lächelnd öffnet!Was unternehme ich
gegen die Kriege,
die mit Lügen begründet,
nah und fern,
tausende Blumen vernichten?֎֎֎
(2.11.2013)
In diesem Universum,
grenzenlos und strahlend,
baue ich Brücken,
kleine und große,
zum Begreifen des Daseins,
zur Würdigung des Lebens.֎֎֎
(28.11.2013)
Der Stift
stand auf
für Gerechtigkeit.
Er verbreitete sich
in der Welt.Das Papier
schritt zur Aufklärung.
Es bekam Flügel
und stieg empor.Meine Hände
eilten zur Liebe
und blühten.
Aus der einen
wurde
ein Ast wilder Rosen,
voller Bienen und Schmetterlinge,
aus der anderen
eine Wasserquelle
für Jungvögel.֎֎֎
(Dezember 2013)
für Sima
Wald und Stadt
lebendig und verborgen.
Meer der Wolken
ausgebreitet, still
und so nah
für zärtliche Berührung.
Firmament
im Sonnenspiel
Quelle der Farben.
Meine Augenlider
senken sich
federleicht, hoffnungsvoll.
Das Lied
der inneren Sonne
durchdringt mich
ganz.֎֎֎
(29.12.2013)
in Erinnerung an Wolfgang Kuhlmann und seine FriedensTreiberAgentur
Das Feuer in meiner Brust,
Jahrtausende alt,
schenke ich dir.In mir hat es
eine junge Welt geboren.Grünendes Leben und Dichtung
fließen ineinander
in diesem Feuer.Gib es weiter.
֎֎֎
(31.1.2014)
für Barbara F.-K.
Auf den Flügeln der Erinnerung
kehre ich zurück
zur Ankunft
in diesem
einst so fremden Land.Kostbar und unvergänglich
sind die Düfte
wunderbarer Wesen,
die selbstlos
eine Bleibe schenken,
Halt und Wärme.֎֎֎
(in Erinnerung an den Vietnamkrieg; 20.2.2014)
Ich erzähle dir meine Geschichte,
und du kannst das Zuhören
nicht ertragen.Wie soll es mir gehen,
der das alles
an Leib und Seele erfahren hat.֎֎֎
(16.5.2014)
Rückkehr
Der alte, neue Faschismus
kam nicht
auf leisen Füßen.
Er kam
mit Fackelzügen,
Aufmärschen
und bekannten Zeichen.
Er kam
mit dem Geruch
verbrannten Fleisches.֎֎֎
ReturnThe old, new fascism
did not come
on the quiet.
It came
with torchlight processions,
marches
and well-known signs.
It came
with the smell
of burning flesh.֎֎֎
(10.8.2014)
Umgeben von Verwüstung und Leid
beginne ich wieder
mit dem Lied des Wissens und der Liebe
mit der Hymne des Schöpfens und der Lebensfreude֎֎֎
(23.9.2014)
Liebste! Wenn die Welt
sich leise oder laut
vielfältig wehrt,
ist es gewiss
einer Betrachtung wert:
Wie, wann und wo
kam der Kuchen zustande?
Wer
zahlte die Zeche so lang
unter sichtbarem
oder verdecktem Zwang?֎֎֎
(6.11.2014)
Auch ein Quittenbaum
dicht hinter einem Gartenzaun
am Rande eines steilen Weges
in einem hessischen Städtchen
kann uns lehren
mit offenen Augen
und Herzlichkeit
Brücken zu bauen
mitten in einer Zeit
in der aus Unterschieden
trennende Mauern
aufgebaut werden
so dass die Menschlichkeit
auf der Strecke bleibt֎֎֎
Erde
(18.12.2014)
für Maria Mies und Saral Sarkar
In unseren Herzen
tanzt das Licht,
singt der Wind,
liebkost der Regen.In unseren Herzen
dichtet der Berg,
malt der Wald,
komponiert die Steppe.In unseren Herzen
lobt die Quelle,
lehrt der Fluss,
liebt das Meer.In unseren Herzen
lebt die Erde.֎֎֎
(8.1.2015)
Wie Kerzen lebten wir,
und die Sonne ging auf.Dem Wind schenkten wir des Lächelns Blume,
und der Regen kam.Nachts streuten wir in der Kälte unsere Herzen,
und der Frühling gedieh am nächsten Tag.֎֎֎
Bei strahlender Sonne vernebelte Sicht, düster und kalt
Marionetten sind wild in Bewegung, das Getöse hallt
Die Oberen marschieren geschlossen! Geht ihre Rechnung auf?
Sehnsucht nach Wahrheit beflügelt, ich gebe nicht auf֎֎֎
Erhabene Nacktheit
(in Anlehnung an Mohammad Reza Shafi‘i Kadkani; 15.2.2015)
Bäume habe ich betrachtet
in unterschiedlichen Trachten,
und keine war schöner
als die blattlose Nacktheit
in Erwartung des Frühlings.֎֎֎
(19.2.2015)
für Heidi
Das offene Fenster deiner Augen
gestattete mir einen Blick.
Der Einblick bekräftigte
meine Ehrfurcht vor der Kraft des Lebens.֎֎֎(8.3.2015)
Wieso weiß?
Weiß
Farbe des Friedens.
Verschleiernde Sprache
verkündet Elend und Verwüstung.֎֎֎
Bei der Gestaltung des neuen strategischen Grundsatzdokumentes „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ soll „neben Vertretern von Nicht-Regierungsorganisationen und Stiftungen auch die breite Öffentlichkeit intensiv miteingebunden werden“ [1]. Der folgende Text ist ein kleiner Beitrag gegen das Verbrechen, dem Krieg sowie dem faschistischen Gedankengut [2] 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen.
Bemerkungen:[1] Weißbuch: https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2015/03/weic39fbuch.pdf
[2] Bei der Verwendung dieses Begriffes berücksichtige ich die folgende Definition: „Der Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“
Siehe hierzu:
Kurt Pätzold: Kein Streit um des Führers Bart. Kontroversen um Deutschlands „dunkle Jahre“ 1933 bis 1945.
2013, PapyRossa Verlag, Köln; Seite 117 bis 127Siehe auch
Samir Amin: The return of fascism in contemporary capitalism.
Monthly Review; Volume 66, Issue 04, September 2014
http://monthlyreview.org/2014/09/01/the-return-of-fascism-in-contemporary-capitalism/(10.3.2015)
Leidenschaftlich die Wirklichkeit erfassen,
liebevoll das Wissen einsetzen,
bescheiden schenken und verändern.֎֎֎
(28.3.2015)
den Krähen und Krokodilen gewidmet
Wenn ich mit Liebe betrachte,
finde ich eine Welt voller Schönheiten.
Und mein Sein blüht auf.֎֎֎
(12.6.2015)
Tief in meinem Herzen
pflege ich dein Geschenk,
das Feuer der Lebensfreude.Mit gebeugtem Rücken,
mit gebrochenem Arm,
stets streckst du
die Hände zum Licht.֎֎֎
Jedes Wasserteilchen meines Körpers
ist voller Sehnsucht nach
der geduldigen Arbeit im Gestein
dem fröhlichen Tanz im Fluss
der friedvollen Vereinigung im Ozean֎֎֎
(28.7.2015)
für die aufrecht Gehenden in erdrückenden Zeiten
Die Erde wird sich drehen
gewiss auch ohne dich
und tröstend gestehen
sie brauche dichDie morgendliche Brise wird sanft dich wachküssen
Die Sonne wird betörend deinetwegen tanzen
Der Wind wird dir behutsam tausend Lieder singen
Der Regen wird zärtlich dich liebkosen
Der Regenbogen wird frohlockend dir die Wege zeigen
Der Mond wird warm deine Träume beleuchtenDie Erde wird sich drehen
gewiss auch ohne dich
und tröstend gestehen
sie brauche dich֎֎֎
(16.9.2015)
Ungerechtigkeit
gibt es seit Jahrtausenden.Den Verwüstern des Lebens
sind Gebrochene,
Gelähmte,
Verbitterte,
im Herzen VersteinerteEinen Augenblick
verweilst du auf dieser Erde.
Vom Gerechtigkeitssinn erfüllt
lebe,
lebe mitten im Leben,
lebe aufrecht und strahlend.֎֎֎
(November 2015)
Frohgemut und gelassen
mir der eigenen Vergänglichkeit bewusst
schöpfe ich mit allen Sinnen
Stück für Stück Wissen
zur Änderung und Erhaltung dieser einen Welt
getrieben von der Notwendigkeit der Gerechtigkeit
und der Empfänglichkeit für Schönheit֎֎֎
(26.12.2015)
Schreiben
nicht aus Angst, Schwäche, Eitelkeit
mit Heuchelei, Scheinheiligkeit
nicht des Geldes wegen
oder mit der Herrschenden SegenSchreiben
aus Freude an Schönheit und Schöpfung
als Bedürfnis zum Begreifen, zur Erkundung
aus tiefem Wunsch zum Brücken-Bauen
zu sich selbst und den Anderen֎֎֎
(17.1.2016)
Wenn du die Augen schließt,
fehlen hier zwei Sterne.Beleuchte und behebe
leidenschaftlich
die tieferen Gründe
dieser maßlosen Ungerechtigkeit
in unserer bewegenden Zeit.
Und pflege stets dabei
das Feuer in deiner Brust.Wenn du die Augen schließt,
fehlen mir zwei Sterne.֎֎֎
(31.1.2016)
Heidi gewidmet
Es gibt Momente im Leben,
wo ich im Meer der Glückseligkeit badend
mit tiefster Zufriedenheit denke,
das Ende kann jetzt getrost kommen.
Einen Strauß solcher Momente wünsche ich dir.֎֎֎
(19.2.2016)
Es ist eine klare Nacht
die Sterne zum Greifen nah
ich lausche der Melodie der Stille
genieße den Wein der Einsamkeit
und denke an dich
deine Kinder
und Kindes KinderEs ist eine besondere Zeit
uns Höhen und Tiefen zeigend
zum Überdenken alter Gewohnheiten einladend
zum Überprüfen bisheriger Überzeugungen
uns zu Gratwanderungen ermunternd
zum Springen über den eigenen SchattenEs ist eine klare Nacht
die Sterne zum Greifen nah
ich rieche schon die Morgendämmerung
und denke an dich
deine Kinder
und Kindes Kinder֎֎֎
(9.3.2016)
Wenn ich Gefühle und Gedanken
in meiner Muttersprache beschreibe
und diese dann dir übersetze
gehen gelegentlich
Feinheiten verlorenSo fühle mich sprechen
mit meinen Augen
mit meiner Haut
mit meines Herzens Schlägen֎֎֎
(9.3.2016)
Kraftvoll verankert in dieser Erde
sehnsüchtig den Himmel betrachtend
gelassen seelenverwandt mit dem Meer
lebe ich fröhlich mit dir
das Lied der Liebe֎֎֎
Straßenkinder
(13.4.2016)
Kennst du den Glanz der Tauperlen
an Zweigen und Grashalmen
beim Auftreten der ersten
morgendlichen SonnenstrahlenKennst du den Tanz der Spinnweben
benetzt mit Schneesternen
bei abendlicher Brise
im schimmernden MondscheinKennst du den Zauber
des Gesangs verliebter Stare
mitten in der Zärtlichkeit
des frischen Grüns im AprilSo könntest du ein Bild malen
von meiner bewegenden Freude
wenn das Wort Straßenkinder
nur in Geschichtsbüchern vorkämeFür die in mir
(April 2016)
den Hebammen gewidmet
Sei willkommen
mit all deinen Tränen
und dem belebenden LachenBin ich der Berg, so sei du der Regen
Bin ich der Regen, so sei du die Erde
Bin ich die Erde, so sei du der Frühling
Bin ich der Frühling, so sei du der Garten
Bin ich der Garten, so sei du der Fluss
Bin ich der Fluss, so sei du das Meer
Bin ich das Meer, so sei du die Wolke
Bin ich die Wolke, so sei du der BergKomm
Setz dich zu mir
mit all deinen Tränen
und dem belebenden Lachen۞۞۞
Beheimatung im Herzen
(17.4.2016)
für Heidi
Auf Lutherweg wandernd im Thüringer Walde
Eine Schnecke fiel mir auf am Weges Rande
Ihr Häuschen auf dem Rücken tragend sachte
Mir kam Heimat in Sinn und mein Herz lachte
Trage dein Zuhause in dir frei und unbeschwert
Schmücke es frohgemut mit allem was liebenswert֎֎֎
Gedichte
(22.4.2016)
Auf der Terrasse eine Vogeltränke
und am Baum ein VogelhäuschenMeine Geschwister kommen angeflogen
leichtfüßig, unbeschwert
beschenken mich unermesslich
zwitschern, plätschern
berühren mein Herz
nehmen ein paar Körnchen mitIch atme ihre Anwesenheit ein
und denke glücklich
wenn sie frei weiterziehen
werden sie vielleicht
andere auch beschenkenSolch eine Beziehung
pflege ich
auch zu meinen GedichtenAbruzzen
(Juni 2016)
Maria Mies gewidmet
Nun stehe ich hier
dieses weite Land ehrfürchtig
mit allen Sinnen aufnehmend
weiß-rot, gelb-grün, blau, rosaDen duftenden Wind tief einatmend
das Meer am Horizont sehnsüchtig ahnend
frage ich mich immer wieder
wie wir den Verwüstern des Lebens trotzend
mit Hilfe der Gelähmten, Betäubten, Verführten
und doch tief im Herzen Bewegten
die Geburt der keimenden Gesellschaftsformation
ermöglichen können֎֎֎
Welle
(17.7.2016)
für Heidi, Ilona und Sima
Wenn der Wind im Morgen-Land ankommt
wird er die Wolken liebkosend
den Duft unseres langen Atems besingen
So wird die Steppe
gerührt von Zärtlichkeit des Regens
ein buntes Meer gebären
voller Disteln, Ginster, Minzen und Mohnblumen֎֎֎
Solch eine Liebe
(7.7.2016)
Victoria und Farshin gewidmet
Fliege frei und unbeschwert
Fliege hoch
Betrachte aus anderen Blickwinkeln
das Geschehene
das Laufende
das FolgendeBegreife mit all deinen Sinnen
drei Bereiche
Wissen
Gerechtigkeitssinn
Verbundenheit mit dieser ErdeKehre zurück zu mir
erhaben
Singe mit mir
frohgemut
das Lied der Entwicklung
das Lied des Gedeihens
Fliege frei und unbeschwert֎֎֎
Die Schwalm*
(24.7.2016)
für Ulli, Wolfgang und Bella
Staunend betrachte ich dich
wie ein neugieriges Kind
und höre begeistert zu
wenn du Geschichten erzählst
Dankend nehme ich an
deine kristallklaren Geschenke
im winterlichen Sonnenschein
Ach, wenn auch andere Menschen
deine Wunder wahrnähmen
und dann voller Inbrunst
in der vermeintlichen Kälte
ihre eigenen hervorbrächten֎֎֎
* Die Schwalm ist der Hauptzufluss der Eder. Inspiriert durch Fotos, die eine Freundin an einem sonnigen Wintertag von den wunderbaren Eisgebilden an den Flussufern gemacht hatte, wurde dieser Text verfasst.
Schmetterling
(Juli 2016)
Wenn sich ein Element
in einem System ändert
dann folgen Anpassungen
im ganzen Gebilde
So sei der Schmetterling
dessen feiner Flügelschlag
den fernen Berg
zum Beben bringt֎֎֎
Von Elfen und Elben
(Juli 2016)
Wer bist du
die ich so vertrauensvoll
durch meine Landschaften führe
die in meinen Träumen
verzaubernd verweilt
und bei der ich hautnah
kraftvoll und schöpferisch
Ruhe finde֎֎֎
Liebeslied
(28.7.2016)
Aus dem Fenster blickend
die Morgenröte
viele Schwalben
mit dem Nachwuchs
Fliegen übend
Gerade in dieser Zeit
der aufkeimenden Zärtlichkeit
mitten im erlahmenden Getöse
deiner Verwüster
und dem betäubenden Schweigen
deiner Bewohner
schreibe ich für dich
die einmalige Erde
meine schönsten Liebeslieder۞۞۞
Zusammenhänge im großen Gefüge
(4.8.2016)
Habe keine Angst, Liebste
Lass dich nicht verwirrenDie Verächter des Lebens
haben ein Heer
von Wissenschaftlern, Forschern
Psychologen, Ärzten
Künstlern, Schriftstellern
und Geistlichen aller SchattierungenLass dich nicht einschüchtern
von ihrem allmächtigen Getue
von ihrem allwissenden Gehabe
Stelle einfache
und entscheidende FragenGelten die angegebenen Maßstäbe
für Freunde und Feinde
Gelten die ersehnten Vorstellungen
für alle Wesen dieser Erde
oder nur
für einen auserwählten MenschenkreisLass dich nicht in die Irre führen
mit dem törichten Geschwätz
vom bösen Kern des Menschen
Erforsche den umfassenden Rahmen
und die Zusammenhänge
im großen Gefüge
in dem der Mensch zu dem wird
was die Gegenwart zeigtHabe Zuversicht, Liebste
Betrachte das Laufende
aus einem wesentlich weiteren
zeitlichen Blickwinkel
und denke dabei auch
an das Wunder der Raupe֎֎֎
Meer der Morgenröte
(12.8.2016)
Karin Leukefeld gewidmet
Offenherzig tauche ich ein
in das Meer der Morgenröte
und nehme Stimmen wahr
die der Berge, der Wälder
der Wüsten, der Weizenfelder
der Insekten, der Fische
der Straßenkinder
der Entrechteten
der Verdammten
der Schwach-Gehaltenen
der EntwurzeltenAlle stellen dieselbe Frage
nicht belehrend
nicht vorwurfsvoll
nur klärendAngesichts deiner Möglichkeiten
wirst du unsere Stimme sein
im verschweigenden Getöse
oder wirst du uns verbannen
in das Land der Vergessenheit
aufgrund deiner Ängste
geführt von deiner Eitelkeit
fliehend in ScheinheiligkeitAufrecht tauche ich auf
aus dem Meer der Morgenröte֎֎֎
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(Nach dem Originaltext folgt die Übersetzung von Dietrich Weller)
EXPERIENCE – ERFAHRUNG
“Homo faber fortunae suae” Everyone is a blacksmith of his own making. However, destiny awards one with the hammer to forge red-hot iron, whereas others must forge the ice-cold iron with a bare fist. Nevertheless, those less privileged during their life’s journey are forced to the bitterest path to achieve knowledge. This rough path of continually learning through mistakes is known as experience.
The word “experience” originates from from the latin noun experientia which ist derived from experiens, participle of the Verb experiri = through the trying“.
Moreover, I believe that the origin of the word experience is older. Let’s propose a new hypothesis.
The Greek language uses the term “piro” πείρω) for the word experience which further develops into the expression “empirical”.
Empirical denotes information gained by means of experience.
The greek prefix pyr- ist derived from pyro = fire.
The new hypothesis is that the double meaning of the term “piro / pyro” = experience and fire, alludes to an old tale.
“This very old tale is about a monkey who persuaded a cat to pull chestnuts out of the fire, so as to avoid burning its own paws”.
Almost certainly is that the cat gained experience through fire. This tale and versions of it is present in many languages, as in English Proverbs from the 17th century: “Burn not thy fingers to snuff out another’s candle“.
Harm oneself, as in “I’ve burned my finger “could mean “I have learned from personal experience.“
Experience fills a space between capacities of perception and memory on the one side, and the dispositions of art and science on the other side. Simplified experience is generated from perception and memory.
Even Hippocrates describes the role of experience in formulating medical theories and in following medical treatments. (experienced doctors!)
More developed forms of experience come from the tendency to grow. It grows horizontally as in the knowledge of new facts at the level of generality. Moreover, experience grows vertically to a higher level.
The German word for experience is “Erfahrung”, and it expresses its meaning more precisely. Die Erfahrung describes the growth (both horizontally and vertically), and the aspect of the time,that indicates the coherency of life’s experiences.
Dr. med. André Simon ©Copyright
André Simon: Erfahrung
Übersetzung von Dietrich Weller
„Homo faber fortunae suae.“[1] Jeder ist der Schmied seines Schicksals. Das Schicksal jedoch belohnt den, der mit dem Hammer das glühend rote Eisen schmiedet, wobei andere das eiskalte Eisen mit der bloßen Faust schmieden müssen. Nichtsdestotrotz werden die weniger Privilegierten im Laufe ihres Lebens auf die bittersten Wege geschickt, um zur Erkenntnis zu kommen. Diesen groben Pfad des andauernden Lernens durch Fehler nennt man Erfahrung.
Das Wort „experience“ stammt aus dem lateinischen Hauptwort experientia = Versuch, dieses wieder von dem Verb experiri = versuchen, erproben, ausprobieren.
Ich glaube jedoch, dass der Ursprung des Wortes Erfahrung älter ist. Lassen Sie mich eine neue Hypothese aufstellen.
Die griechische Sprache benützt den Begriff piro (πείρω)für das Wort Erfahrung, das sich weiter entwickelt zu dem Ausdruck empirisch.
Empirisch bezeichnet Informationen, die durch Erfahrung gewonnen werden. Etymologisch bezeichnet die Vorsilbe pyro– Feuer[2].
Die neue Hypothese besagt, dass die Doppelbedeutung des Begriffes piro = Erfahrung und Feuer sich auf eine alte Sage bezieht.
Diese sehr alte Sage handelt von einem Affen, der eine Katze überredet hat, Kastanien aus dem Feuer zu holen, damit er sich seine eigenen Pfoten nicht verbrennt.
Beinahe sicher ist, dass die Katze die Erfahrung durch das Feuer gewonnen hat. Die Sage und Versionen davon sind in vielen Sprachen vorhanden, so auch im englischen Sprichwort: Verbrenn deine Finger nicht, wenn du die Kerze eines anderen ausdrückst.
Sich selbst schaden wie in „Ich habe meinen Finger verbrannt“ kann bedeuteten: Ich habe aus meiner persönlichen Erfahrung gelernt.
Erfahrung füllt einen Raum zwischen den Fähigkeiten der Wahrnehmung und des Gedächtnisses einerseits und den Möglichkeiten des Kunst und Wissenschaft andererseits. Vereinfacht: Erfahrung wird durch Wahrnehmung und Gedächtnis erzeugt.
Sogar Hippokrates beschreibt die Rolle der Erfahrung beim Formulieren medizinischer Theorien und der daraus folgenden Behandlungen (erfahrene Ärzte!).
Weiter entwickelte Formen der Erfahrung entstehen durch die Tendenz zu wachsen. Sie wächst horizontal wie in der Kenntnis neuer Tatsachen auf allgemeiner Ebene. Außerdem wächst Erfahrung vertikal auf ein höheres Niveau.
Das deutsche Wort für Erfahrung beschreibt die Bedeutung noch genauer. Erfahrung beschreibt das Wachstum (sowohl horizontal als auch vertikal) und den Gesichtspunkt der Zeit, die den Zusammenhang der Erfahrungen in einem Leben anzeigt.
[1] Bemerkung des Übersetzers: Wörtlich übersetzt: „Jeder ist der Handwerker seines Schicksals.“ Im Deutschen benützen wir das Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied.“
[2] Bemerkung des Übersetzers: Pyromanie ist eine psychische Störung: der zwanghafte Trieb, Brände zu legen und sich beim Anblick des Feuers sexuell zu erregen. Pyrotechnik ist die Feuerwerkerei (Herstellung und Gebrauch von Feuerwerkskörpern).
Copyright für die Übersetzung Dr. Dietrich Weller
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Gedanken im Zug nach Hause bei der Lektüre von Uhlenbruck „Gedankensplitter ohne Kopfzerbrechen“
Wer im Zug Aphorismen von Uhlenbruck in einem Zug lesen will, wird ständig von den Stoppschildern der Gedanken gebremst, damit die eigenen Gedanken zum Zug kommen.
Wenn ich schon mal eine guten Gedanken habe, schreibe ich ihn auf, damit ich besser darüber nachdenken kann.
Gute Aphorismen sind kurze Gedanken, die zum langen Nachdenken anregen.
Wer viel redet, sollte sich kurzfassen. Wer sich kurzfasst, kann sich das Vielreden sparen.
Ein kleines Aphorismenbuch von Uhlenbruck enthält mehr Drama und Lebensweisheit als viele dicke Romane zusammen.
Ein guter Aphorismus bewirkt das gleiche wie eine Krankheit: Wir werden am unbewussten Weiterlesen (Weiterleben) gehindert und zur Selbstreflektion gezwungen.
Warum lege ich das Ubhlenbruck-Buch nach vier Seiten weg? Weil es Aphorismen aus dem Versteck meines Gehirnes lockt. Das ist Aphorismen-Resonanz.
Warum lese ich dann weiter? Weil es noch viel zu lernen gibt im Lehrbuch des Lebens.
Beim Lesen eines Aphorismus geht mir das Licht auf, dass ich diese Erkenntnis noch nicht aus dem Dunkel meines Gehirns ans Licht meines Bewusstseins geholt habe. Wie hell ist es dann in den Menschen, die ein Aphorismenbuch geschrieben haben?
Die Schriftstellerärzte wollen eine Lesung über Erotik abhalten, die nicht unter die Gürtellinie gehen darf. Ist das eine Quadratur des Kreises oder eine Sublimierung des Greises?
Wie beschreibt man Dinge unterhalb der Gürtellinie, ohne diese zu unterschreiten und trotzdem treffend? Mit Geist!
Macht das dann weltliche Freude oder ist es nur sublimierte Kompensation?
Eine der wichtigsten Übungen des Säuglings für das ganze Leben: Kopf hoch und dabei lächeln!
Jeder Aphorismus ist ein Titel für eine ganze Romansammlung.
Unwissenheit und mangelnde praktische Erfahrung sind eine gute Voraussetzung um schnell radikale Urteil zu fällen. Vorurteile zu zementieren und Machtansprüche zu erheben und auszuleben. Die katholische Sexuallehre ist ein Jahrtausende altes Beispiel.
Warum stellt der Papst Regeln für ein Spiel auf, das er und seine Glaubensbrüder nicht spielen dürfen?
Angst ist eine sehr wirksame Autosuggestion, dass genau das geschieht, wovor wir uns fürchten. Auch deshalb sollten wir uns vor unseren Gedanken hüten.
Wir wollen Kinder behütet wissen. Behüten wir auch unsere Gedanken?
In der Erinnerung verblasst ein Mensch, oder er wird durch Überhöhung idealisiert. Selten entspricht die Erinnerung der Realität. So gehen wir auch mit der Erinnerung an uns selbst um.
Die Rolle des Sündenbocks ist in einer Gemeinschaft eine wichtige Funktion, auf die sich manche viel einbilden. Die Medien können ihn zum Star stilisieren. Die Medien verdienen, ohne es verdient zu haben, meist umgekehrt proportional zum Verdienst des Sündenbocks.
Ein unkundiger Kunde ist ein guter Kunde, weil er die Kunde vom Betrug mit dem Betrag noch nicht erkundet hat.
Vor mir sitzt eine Mutter, die sich rührend um ihr zerebral schwerst behindertes Kind kümmert. Diese Frau ist der Engel, den Gott dem Kind als Lebensbegleiter an die Seite geschickt hat.
Mancher Mensch wird besonders bissig, wenn er die dritten Zähne trägt.
Das Thema loslassen wird uns nicht loslassen, bis wir unser Leben loslassen.
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TURTLE’S SECRET
(Die deutsche Übersetzung von Dietrich Weller folgt nach dem englischen Text.)
A long time ago there lived in Xian the Emperor’s Supreme librarian named Li-Yuan. His every day’s work was to examine, catalogue and control manuscriptsand ancient books written on bamboo strips or rice papers as wereother written pieces in the possession of the great Imperial Library.
Coincidentally, leafing through an old book, to his great astonishment Li-Yuan came across, between the pages a faded loose leaf sheet of inscribed rice paper. Possibly it had been put there by one of his predecessors. The paper had written on the top a question – and was followed by an interesting answer.
The question asked was: “Why do turtles all bear heavy shell on their backs?”
The answer given was: “The turtle’s ancestor WUGUI got his shell after declining an invitation from the Almighty with the excuse, that “There is no place like home”. His refusal enraged the Almighty so much so that he condemned all turtles to carry on their back forever a shell as their home. However, every grief contains seeds of bliss.
To be protected against all injuries the turtle hides its head, legs and tail in the shell. It is considered that the turtles are spiritually gifted creatures.
In former times, most natural phenomena seemed inexplicable to people. Therefore, they invented an imaginary animal able to resolve all mysterious happenings. This imaginary creature was a “a dragon” that symbolized the representation of existing animals. People painted the dragon’s shape with a horse’s head, crocodile’s body and a snake’s tail. However, a dragon was only imaginary whereas turtles were real.
Everybody is able to observe, stroke and even talk to turtles. The turtle is slow, but a careful and cautious walker. Every step is preconceived and is in accordance with its prudent nature. These actions are appropriate at a given time and space.
Gentleness and politeness are the ways turtles care for all other living creatures, great and small. This implies that the body is in a state of balance and the heart beats very slowly.
The peaceful heart guarantees a very long life and the longevity gives the blessing of prudence. In comparison with a turtles life, the duration of a
human life is too short to reach the heart of prudence. Prudent beings are able to
judge between morally admirable and wicked actions. The actions are appropriate at a given time and space. Gentleness and politeness are the ways to care for all other beings “Author’s note
The biggest gift in life is a peaceful heart. A peaceful heart is a blessing for a long life. GUI (龟) is one of the oldest Chinese pictograms. Such pictograms are found already in oracle bone inscriptionswhich express the admiration towards turtles and the simplicity of the figures shows theturtle’s side and front views.
These pictograms are lifelike and children throughout the whole world can “read them and identify the turtle’s head, legs, shell and tail”. The pictogram GUI (龟) is used to depict longevity as in GUI-SHOU (a long life) as does the pictogram in GUI-LING (a turtle’s age), both metaphors for a venerable age .
Dr.med.André Simon ©Copyright
andre.simon@hin.ch
Das Geheimnis der Schildkröte
Von André Simon
Vor langer Zeit lebte in Xian des Kaisers oberster Bibliothekar Li-Yuan. Seine tägliche Arbeit bestand darin, Manuskripte und alte Bücher zu untersuchen, zu katalogisieren und zu kontrollieren, die auf Bambusstreifen oder Reispapier geschrieben waren so wie andere geschriebene Stücke im Besitz der großen kaiserlichen Bibliothek.
Zufällig stieß Li-Yuan zu seinem großen Erstaunen beim Durchblättern eines alten Buchs zwischen den Seiten auf ein verblasstes loses Blatt von beschriebenem Reispapier. Vielleicht war es von einem seiner Vorgänger dorthin gelegt worden. Oben auf dem Blatt stand eine Frage geschrieben – und sie wurde von einer interessanten Antwort gefolgt.
Die gestellte Frage lautete: „Warum tragen alle Schildkröten schwere Panzer auf ihren Rücken?“
Die gegebene Antwort lautete: „Der Vorfahr der Schildkröte, WUGUI erhielt seinen Panzer, nachdem er eine Einladung des Allmächtigen mit der Begründung abgelehnt hatte, es gebe keinen anderen Platz als das Zuhause. Seine Weigerung erzürnte den Allmächtigen so sehr, dass er alle Schildkröten dazu verdammte, für immer auf ihren Rücken einen Panzer zu tragen. Jede Trauer enthält jedoch den Samen zur Glückseligkeit.
Um gegen alle Verletzungen geschützt zu sein, versteckt die Schildkröte ihren Kopf, die Beine und den Schwanz im Panzer. Man geht davon aus, dass alle Schildkröten spirituell begabte Kreaturen sind.
In alten Zeiten waren natürliche Phänomene für die Leute unerklärlich. Deshalb erfanden sie ein symbolisches Tier, das alle mysteriösen Geschehnisse erklären konnte. Dieses symbolische Tier war ein Drache, der die Erscheinung der existierenden Tiere darstellte. Die Leute malten die Drachenform mit einem Pferdekopf, einem Krokodilkörper und einen Schlangenschwanz. Ein Drache jedoch war nur symbolisch vorhanden, während die Schildkröten Wirklichkeit waren.
Jeder kann Schildkröten beobachten, sie streicheln oder sogar mit ihnen reden. Die Schildkröte ist langsam, aber eine sorgfältige und vorsichtige Geherin. Jeder Schritt ist vorbedacht und steht im Einklang mit ihrer weisen Natur. Die Handlungen sind angepasst an die jeweilige Zeit und den Raum.
Freundlichkeit und Höflichkeit sind die Mittel, mit denen Schildkröten sich um alle anderen Kreaturen kümmern. Das setzt voraus, dass der Körper sich in einem Gleichgewichtszustand befindet und das Herz langsam schlägt.
Das friedvolle Herz garantiert ein sehr langes Leben, und die Langlebigkeit schenkt die Segen der Besonnenheit. Im Vergleich zu einem Schildkrötenleben ist das Menschenleben zu kurz, um ein Herz der Besonnenheit zu erreichen. Besonnene Lebewesen sind fähig, zwischen moralisch bewundernswerten Handlungen und verrückten Taten zu unterscheiden. Die Handlungen sind an die jeweilige Zeit und den Raum angepasst. Freundlichkeit und Höflichkeit sind die Wege, um für alle anderen Wesen zu sorgen.
Bemerkung des Autors
Das größte Geschenk im Leben ist ein friedvolles Herz. Ein friedvolles Herz ist ein Segen für ein langes Leben. GUI (龟) ist eines der ältesten chinesischen Symbolbilder. Solche Symbolbilder findet man schon in Inschriften von Orakelknochen, die die Bewunderung für Schildkröten ausdrücken, und die Einfachheit der Zeichen zeigt die Anblick der Schildkröte von der Seite und von vorn.
Diese Symbolbilder sind lebensähnlich, und Kinder in der ganzen Welt können sie lesen und Kopf, Beine, Panzer und Schwanz der Schildkröte erkennen.
Das Symbolbild GUI wird benutzt, um Langlebigkeit abzubilden wie in GUI-SHOU (ein langes Leben) oder wie im Symbolbild GUI-LING (ein Schildkröten-Alter). Beide Metaphern stehen für ein verehrenswertes Alter.
Übersetzung von Dietrich Weller