Tag: Therapie

  • Die meisten Patienten sprechen nicht gerne über ihre Krankheit. Krankheit ist Verlust der körperlichen Unversehrtheit, Schwäche, Hilfsbedürftigkeit. Die Bremer Krebsgesellschaft kann hier helfen: Der Umgang mit Krankheit ist erlernbar, hinnehmbar, vielen hilft es, „Leidensgenossen“ kennenzulernen, das Wissen, mit seiner Krankheit nicht allein zu sein.

    Manche Menschen schreiben über ihre Krankheit. Die Schreibwerkstatt der Bremer Krebsgesellschaft legt Zeugnis davon ab. Oder auch ein Buchprojekt der besonderen Art, das 2019 unter dem Titel „Schau mich an“ abgeschlossen und vorgestellt wurde.

    Beeindruckend ist der Umgang von Theodor Storm mit seiner Magenkrebserkrankung. Er hat diese Erkrankung an sich selbst diagnostiziert:

    Kurz vor seinem Tod konnte Theodor Storm, der schon mit 15 zu schreiben begann, noch seinen „Schimmelreiter“ vollenden. Das war ein wichtiges Buch in der Zeit des bürgerlichen Realismus. Noch heute legt der Hauke Haien Koog zwischen Dagebüll und Reußenköge am Nordseestrand in Nordfriesland Zeugnis von den Schwierigkeiten der damaligen Zeit ab.

    Theodor Storm hatte Magenkrebs.

    Das war damals häufiger als heute.

    Wir wissen, woran das lag:  Der erste europäische Kühlschrank wurde 1929 von den durch Jørgen Skafte Rasmussen gegründeten „Zschopauer Motorenwerken“ gebaut. Bei Storms zu Hause gab es also noch keinen Kühlschrank. Lebensmittel mussten geräuchert, gepökelt oder getrocknet werden, um sie haltbar zu machen.

    Räuchern oder Pökeln führt aber dazu, dass wir mit der Nahrung krebserregende Substanzen, „Karzinogene“, aufnehmen, die beim Essen direkt im Magen landen. Aus dem Nitritpökelsalz entstehen im Magen Nitrosamine, und die sind für die Krebsentstehung sehr gefährlich.

    Erst mit der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Kühlschränken nach dem zweiten Weltkrieg, im Wirtschaftswunder, wurde dem Magenkrebs die wichtigste Entstehungsgrundlage entzogen.

    Man konnte Magenkrebs damals auch noch gar nicht operieren: Erst 1881 gelang Theodor Billroth –ebenfalls einem Norddeutschen, auf Rügen geboren- die erste Magenresektion. Bestrahlung, Chemotherapie: Das waren alles Zukunftsvisionen.

    Man konnte noch nicht mal ein Röntgenbild machen: Erst 1895 entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen die X-Strahlen, mit denen man das machen konnte, was wir heute „röntgen“ nennen. Er erhielt dafür 1901 den Nobelpreis.

    Die Magenspiegelung steckte auch noch in den Kinderschuhen: 1868 schob Kußmaul einem Schwertschlucker eine starre Röhre in den Magen und vollführte damit die erste Magenspiegelung. Bis zum flexiblen „Gastroskop“ war es noch ein sehr weiter Weg.

    Theodor Storm hat seinen Magenkrebs dennoch diagnostizieren können.

    Er konnte nicht in sich hineinsehen, da Endoskopie und Röntgen -wie gesagt- noch nicht zur Verfügung standen. Er konnte aber in sich hineinhorchen, hineinfühlen.

    Er hatte buchstäblich „Einfühlungsvermögen“.

    Und:

    Er war ein exzellenter „Beschreiber“.

    Das wünschen wir uns heute, wenn wir eine Magenspiegelung machen lassen: Daß der Untersucher den Befund auch entsprechend und verständlich beschreibt, und sich nicht auf die Verwendung von Textbausteinen beschränkt.

    Theodor Storm tat mehr als das: Er beschrieb die Symptome seiner Magenkrebserkrankung sehr treffend in einem Gedicht:

    Beginn des Endes

    Ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz,
    Nur ein Gefühl, empfunden eben;
    Und dennoch spricht es stets darein,
    Und dennoch stört es dich zu leben.

    Wenn du es andern klagen willst,
    So kannst du’s nicht in Worte fassen.
    Du sagst dir selber: »Es ist nichts!«
    Und dennoch will es dich nicht lassen.

    So seltsam fremd wird dir die Welt,
    Und leis verläßt dich alles Hoffen,
    Bist du es endlich, endlich weißt,
    Daß dich des Todes Pfeil getroffen.

    Theodor Storm hatte keine Schmerzen. Schmerz ist häufig ein entscheidendes Anzeichen einer Erkrankung, ein Warnsignal. Beim Magenkrebs versagt dieses Signalelement häufig, was das Erkennen dieser Erkrankung so erschwert.

    Für Theodor Storm war die Diagnose „Magenkrebs“ sein Todesurteil.

    Das ist heute anders: Wir haben viele verschiedene Therapiemöglichkeiten und können diesen Krebs behandeln: Operation, Chemotherapie, manchmal auch Bestrahlung, Antikörperbehandlung und zielgerichtete Therapie können helfen.

    Theodor Storm war das nicht vergönnt.

    Er nahm es gelassen, er war ein gelassener Mensch:

    „Es kommt das Leid,
    es geht die Freud,
    es kommt die Freud,
    da geht das Leid-
    die Tage sind nimmer dieselben.“

    Theodor Storm ist also einer der Schriftsteller, die mit ihrer Erkrankung umgehen konnten. Er starb 1888.

    50 Jahre später wurde der Lübecker Schriftsteller und Nobelpreisträger Thomas Mann krank und kraftlos: Er hatte viel hinter sich. Erst war er von Lübeck nach München gezogen, wegen der Repressionen im Nationalsozialismus war er von Deutschland erst in die Schweiz, dann nach Amerika emigriert. Er schrieb dort an seinem Roman „Doktor Faustus“.

    Thomas Mann beschreibt einen Kräfteverfall im Januar 1946, im Tagebuch mehrten sich die Vermerke über Kopfschmerzen, Hustennächte und eine „absurde“ Müdigkeit.

    „Röntgenaufnahmen meiner Lunge hatten einen „Schatten“ irgendwo in diesem Organ zum Vorschein gebracht.“

    Mann hat seine eigene Erkrankung sehr scharf beobachtet. Er litt unter Fieber oder auch nur unter erhöhter Temperatur und genoss teilweise den zugleich matten und gehobenen Zustand, in den ihn das mäßige Fieber versetzte. Er bekam von seinem Arzt Dr. Friedrich Rosenthal Eigenblut-Injektionen und eine Bellergal® Kur. Bellergal® erkenne ich noch aus den Erzählungen meiner heute 98-jährigen Mutter, es handelt sich chemisch um Gesamtalkaloide aus Belladonnablättern, Ergotamin und Phenobarbital.

    Das ist eine gefährliche Kombination.

    Ich bin überzeugt, dass diese Substanzmischung heute nicht mehr angewendet wird.

    Nach dem Versuch mit einer Penicillinkur wurde dann endlich der Entschluss gefasst, eine Bronchoskopie durchzuführen. Diese beschreibt Thomas Mann sehr detailliert: „Ich hatte nach dem Empfange kaum noch zwei Worte gesprochen, als mein Bewusstsein so sanft wie restlos entschwand und ich – wohl nur für kurze Frist, fünf oder sechs Minuten – tief einschlief. Was geschah, muss wachen Geistes recht peinlich hinzunehmen sein – der kalifornische Consiliarius hatte ja gesagt, dass ich mich binnen einer Woche ganz gut davon erholt haben würde. Hier war Erholung nicht Not, denn es gab keine Strapaze. Ich erwachte, schon wieder in meinem Zimmer, davon, dass der gute Dr. Adams, der mich hinaufbegleitete, mir mildtätig die Nase schnäuzte. In die Einführung des mit einem elektrischen Lämpchen versehenen Apparates durch die Luftröhre in die Lunge (wobei eine Art von periskopischer Vorrichtung erlaubt, sich genau über die Verhältnisse dort unten aufzuklären) bewirkt natürlich eine schleimige, leicht blutige Reizung des gesamten Atmungstraktes, und man braucht nach der Rückkehr in seinem Bett einige Papierservietten, was aber auch von Unannehmlichkeit alles ist. Ich war entzückt und sprach tagelang zur Erheiterung namentlich der jungen Mediziner, mit Bewunderung, Preis und Dank von der magischen Spritze.

    Nach der Bronchoskopie ist Thomas Mann tatsächlich operiert worden. Es wurde eine Unterlappenresektion auf der rechten Seite vorgenommen. Der Patient beschreibt wieder seine Narkose und vor allem auch die Phase, in der er aus der Narkose wieder erwacht ist: „noch stark benommen sprach ich gegen alle Gewohnheit Englisch zu mir, und sonderbar:

    Ich führte Klage: “It was much worse than I thought, sagte ich. I suffered too much!”

    Noch heute denke ich nach über den Sinn dieses Unsinns. Wovon redete ich? Ich hatte ja von allem nichts gespürt. Gibt es irgendwelche Tiefen des Vitalen, in denen man, bei völlig ausgeschaltetem Sensorium, dennoch leidet? Ist Leiden vom Erleiden im untersten nicht vollkommen zu trennen? Dies könnte sich sogar auf den toten Organismus beziehen, von dem niemand weiß, wie tot er vor seiner wirklichen Auflösung ist; es könnte, wen nur auch nur als misstrauische Frage, ein Argument gegen die Feuerbestattung bilden, um englisch zu sprechen: It may hurt.

    So klassisch und jedes Zwischenfalls bar die Operation verlaufen war, so ereignislos, im klinischen Sinn, hurtig und ungestört ging es mit der Wiederherstellung voran. Ein 30-Jähriger, versicherten die Ärzte, hätte sich nicht entgegenkommender verhalten können. Ich galt als eine Art „prize patient“.

    Der Schock, den jeder Eingriff dieser Art für den Gesamtorganismus, das Nervensystem bedeutet, war mir wohl fühlbar. Auch war eine Schwäche der Brust zurückgeblieben, die bei großer Neigung zu falschem Schlucken führte, das Räuspern und Husten ängstlich erschwerte.

    Obligate Verwachsungsbeschwerden im Rücken wurden mit Codein® bekämpft und die Veränderungen die in meinem Inneren, unter Entfernung der siebten Rippe, vorgenommen wurden, eine Höherlagerung des Zwerchfells und dergleichen, schufen nach vorschneller Bewegung wohl einige Atembedrängnis. Aber der Sauerstoffapparat, der eine Weile neben meinem Bett gestanden, verschwand sehr bald und der meterlange Einschnitt heilte vortrefflich, so dass der hübsche Carlson (hübsche Menschen sind eine Freude, ob männlich oder weiblich) nach ein paar Wochen die Fäden entfernen konnte. Mit einer Geschicklichkeit, die jede erwartete Unannehmlichkeit hintanhielt. Er war von der Highschool, deren Bildungsziele nichts überspanntes haben, ohne College Besuch sogleich auf die Medical School gekommen, wo er übrigens als Marine Aspirant seine Ausbildung gratis erhalten hatte, und wusste offenkundig in aller Welt von nichts etwas als von Chirurgie, für die er ebenso offenkundig geboren, und in der er glücklich war. Noch sehe ich ihn in Gummihemd und Schürze eine Schubkarre auf Gummirädern, mit einer lakenverhüllten Gestalt darauf, in jungenhaftem Trab durch die Korridore von Billings Hospital vor sich hertreiben, – ein vergnügt einseitiges, gut anzuschauendes und tüchtiges Stück Leben.“

    Thomas Mann hat über die Reaktion des rechten Unterlappens mehrfach in seinen Tagebüchern berichtet er, ausführlicher in seinen Essays über die Entstehung des „Doktor Faustus“- Roman eines Romans.

    Welche Beweggründe haben Thomas Mann zu diesem Entschluss geführt?

    Darüber sprechen, darüber schreiben, hilft, die Krankheit aufzuarbeiten.

    Es ist darüber hinaus reizvoll, einen Blick auf die Thoraxchirurgie der Mitte des letzten Jahrhunderts zu werfen, auf die Usancen in der Klinik, auf das Gehabe der ärztlichen Kollegen jener Zeit, auf die Medikation, die Operation und die perioperative Behandlung und Pflege, und das aus der Sicht eines prominenten Laien und Patienten.

    Thomas Mann hat sich nicht erst mit seiner eigenen Lungenerkrankung mit Medizin beschäftigt. 1912 hat er seine Frau im Waldsanatorium in Davos besucht und wollte seine Eindrücke und Erfahrungen und die Atmosphäre der Behandlung in einer Novelle zusammenfassen. Herausgekommen ist in den zwanziger Jahren der berühmte Roman „Der Zauberberg“. Im Juli 1913 begonnen, während des Krieges mehrfach unterbrochen, vor allem durch „Die Betrachtungen eines Unpolitischen“, gedanklich aber ständig weitergeführt, konnte Thomas Mann den Zauberberg im September 1924 abschließen. Die Geschichte, erklärte Thomas Mann in einer Einführung in den Zauberberg, arbeitet wohl mit den Mitteln des realistischen Romans, aber sie ist kein solcher, sie geht beständig über das Realistische hinaus, indem sie es symbolisch steigert und transparent macht für das Geistige und Ideelle.

    Thomas Mann wurde 1875 in Lübeck geboren.

    Ich habe ebenfalls eine Zeit meines Lebens in Lübeck verbracht, war dort an der Universitätsklinik tätig, bin dort Facharzt für Chirurgie und Gefäßchirurgie geworden, wurde als Viszeralchirurg ausgebildet, und ich durfte mich habilitieren. Als Mitglied des Lehrkörpers durfte ich das medizinische Staatsexamen abnehmen. Immer, wenn ich mit unserem Radiologen prüfte, kamen Fragen aus dem Zauberberg. Herr Professor Weiß war der Überzeugung, dass jemand, der in Lübeck Medizin studiert hatte, über den Zauberberg Bescheid wissen müsse. So fühle auch ich mich genötigt, den Zauberberg zu lesen, und ich habe das nie bereut. Insbesondere die Beschreibung der damals noch so jungen Röntgentechnik ist nach wie vor faszinierend.

    Im Juni 1955 schließlich feierte Thomas Mann, wieder in Europa, seinen 80. Geburtstag. Er beklagte eine Schwellung des rechten Beines und man vermutete eine Thrombose. Als Ursache dieser Thrombose musste ein großes Iliacalaneurysma angesehen werden, das die Beckenvene komprimierte. Thomas Mann ist an einem rupturierten Aneurysma gestorben. In der Literatur wird mal von einem rupturierten Bauchaortenaneurysma gesprochen, aber es wird wohl ein Iliakalarterienaneurysma gewesen sein.

    Auch diese Lebensphase von Thomas Mann ist literarisch dokumentiert, im Thomas Mann Jahrbuch findet sich ein Journal-Artikel mit dem Titel „Thomas Manns letzte Krankheit“.

    Mann befindet sich mit seiner Aneurysmaerkrankung nicht nur in guter Gesellschaft mit Charles de Gaulle aus dieser Zeit, sondern auch mit Albert Einstein, der in den vierziger Jahren von Rudolf Nissen in New York erfolgreich am Bauchaortenaneurysma operiert worden war (Gefäßprothesen gab es noch nicht, aber es wurde ein Aneurysmawrapping, eine Ummantelung des Gefäßes, durchgeführt), und der zehn Jahre später (1954) ebenfalls an einem rupturierten Aneurysma starb. Albert Einstein war wie Thomas Mann zur Zeit des Nationalsozialismus in die USA emigriert, beide lehrten an der University of Princeton.

    Der Bogen von Theodor Storms Magenkrebs über Thomas Manns Lungenkrebs bis hin zu seinem rupturierten Aneurysma schlägt einen literarischen Bogen von den Anfängen der modernen Medizin, der internistischen Endoskopie, den ersten Röntgenbildern und den ersten großen Operationen hin zu den Erfolgen der Thorax- und Gefäßchirurgie, die in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts einen weiteren entscheidenden Impuls mit der Einführung der minimal invasiven Techniken erfahren haben.

    Die Anästhesie darf dabei nicht zu kurz kommen: „I suffered too much“ bezog sich schließlich nur auf die Narkose, aber Thomas Mann hat das -wie er selbst schreibt- ironisch gemeint.

    Man muss ihn verstehen lernen.

    Thomas Mann ist ein Beispiel dafür, wie man mit Krankheit umgehen kann. Darüber sprechen, darüber schreiben hilft, die Krankheit aufzuarbeiten.

    Das Lesen hilft uns andererseits, die Krankheit zu verstehen, wir bekommen Einblicke in die Medizin, und wir lernen, was sie Krankheit mit dem Patienten macht.

    Eines noch: Hätte Thomas Mann nicht geraucht, wäre ihm vielleicht sowohl der Lungenkrebs, als auch die Gefäßerkrankung erspart geblieben. Er wäre diesen berühmten Satz „I suffered too much“ niemals losgeworden.

    Literatur:

    Bernhard, M.: Theodor Storm Hausbuch. Gondrom Verlag, Bayreuth (1981)

    Bremer Krebsgesellschaft (Hrsg): Schau mich an. Druckpartner Coels, Verden (2019)

    Kropp,R., Schaberg T.: Thomas Manns Bericht über seine Lungenoperation. Pneumonologie 68: 752-757 (2014)

    Mann, T.: Der Zauberberg. Fischer, Frankfurt (1924)

    Schrecher T., Wiethoff E.: Thomas Manns letzte Krankheit. Thomas Mann Jahrbuch 10: 249-276 (1997)

    Wenk H.: Theodor Storm und der Magenkrebs: Zum Weltkrebstag 2019. In: Informiert – Mitteilungen der Bremer Krebsgesellschaft (2019)

  •    From my experience as a physician, after half a century of practicing, I could confirm that the whole world is one big workplace. Everyone suffers from something, and few of them visit the doctor, and if they already do, they don’t like it.

     As a doctor, I have treated the patients not only with pills, but with beautiful words, sweet healing fairy tales, nice stories or poems. I wanted to be a doctor -poet.  I don’t have a degree in poetry, and I gathered the patients who don’t need only the pills. They need to listen interesting stories, poems or sweet blessed fairy tales. During many years of medical work, I had the opportunity to see, hear and treat many interesting cases. We doctors have a special position among the people. In my practice, the patients often opened their souls and the confessions came out from the sick body. I could see the people not only physically, but also mentally naked. In this way, I could observe their kindness, torment, helplessness, insignificance and greatness, but sadly also their malevolence and rancor. By taking off the mask in front of me (not in the pandemic time), I get special and more correct notions about life’ marvels. Many things can only be understood by us, the doctors, and therefore forgiven. Our position is similar to those of the priests, to whom people confess.

    However, the confessions are not always sincere. Patients lie a lot, someone often, someone always. However, even their lies are of interest. From those lies I could also study a patient. Every lie has its cause, conscious or subconscious. To look for these causes and connect them with the consequences is a fascinating job. There is an opportunity for that, and I can notice that some patients move “blind” through their lives. Those patients don’t hear, don’t see, don’t understand. But it’s a pity, because many miracles happen around us during our life’ journey. My goal was always to observe, be discreet and comprehend a person. However, it is better not to treat only the diseases but the patient as a whole. We need the scientific knowledge brought from the university, and our drugs are good against the disease. A real remedy for the illness, for each patient should be found carefully in the heart and the mind of the doctor.

    The doctor and writer Carl Nothnagel (1841 – 1905) wrote appropriate: “Only a good man can be a good doctor.” Being good is not possible without selflessness, sacrifice, suffering and courage.

    Dr. med. André Simon © Copyright

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Der Schriftstellerarzt

    Aus meiner Erfahrung nach einem halben Jahrhundert als praktizierender Arzt kann ich bestätigen, dass die ganze Welt ein großer Arbeitsplatz ist. Jeder leidet an irgendetwas und wenige konsultieren einen Arzt, und wenn sie es schon machen, tun sie es nicht gern.

    Als Arzt habe ich die Patienten nicht nur mit Pillen behandelt, sondern mit schönen Worten, süßen heilenden Märchen, netten Geschichten oder Gedichten. Ich wollte Dichterarzt sein. Ich habe keinen Abschluss in Dichtkunst, und ich habe Patienten gesammelt, die nicht nur Pillen brauchen. Sie brauchen es, interessanten Geschichten zuzuhören, Gedichten oder süßen gesegneten Märchen. Während vieler Jahre mit medizinischer Arbeit hatte ich die Gelegenheit, viele interessante Fälle zu sehen, zu hören und zu behandeln. Wir Ärzte haben eine besondere Stellung unter den Menschen. In meiner Praxis haben die Patienten oft ihre Seelen geöffnet, und die Bekenntnisse kamen aus dem kranken Körper heraus. Ich konnte die Menschen nicht nur körperlich, sondern auch geistig nackt sehen. Dadurch konnte ich ihre Freundlichkeit, Qualen, Hilflosigkeit, Bedeutungslosigkeit und Größe beobachten, aber trauriger Weise auch ihren Unwillen und Hass. Indem sie ihre Maske vor mir abnehmen (nicht während der Pandemie), erhalte ich besondere und genauere Merkmale über die Wunder des Lebens. Viele Dinge können von uns, den Ärzten, nur verstanden und deshalb verziehen werden. Unsere Lage ist ähnlich wie die der Priester, denen sich die Leute anvertrauen.

    Aber die Bekenntnisse sind nicht immer ernsthaft. Patienten lügen viel, manche oft, manche immer. Aber ihre Lügen sind aufschlussreich. Durch diese Lügen konnte ich die Patienten auch besser kennen lernen. Jede Lüge hat ihren Grund, bewusst oder unbewusst. Diese Gründe zu suchen und sie mit den Folgen zu verbinden, ist eine faszinierende Aufgabe. Es gibt dafür Gelegenheiten, und ich kann wahrnehmen, dass einige Patienten „blind“ durch ihre Leben laufen. Diese Patienten hören nicht, sehen nicht, verstehen nicht. Aber es ist ein Jammer, weil während unserer Lebensreise um uns herum viele Wunder passieren. Mein Ziel bestand immer darin zu beobachten, verschwiegen zu sein und eine Person zu verstehen. Aber es ist besser, nicht nur eine Krankheit zu behandeln, sondern den Patienten als Ganzes. Wir brauchen die wissenschaftliche Erkenntnis, die von der Universität stammt, und unsere Medikamente sind gut gegen die Krankheit.

    Ein wirkliches Heilmittel für die Krankheit für jeden Patienten sollte sorgfältig im Herzen und im Verstand des Arztes gefunden werden.

    Der Arzt und Schriftsteller Carl Nothnagel (1841 – 1905) schrieb treffend: „Nur ein guter Mensch kann ein guter Arzt sein. Gut zu sein, ist nicht möglich ohne Selbstlosigkeit, Opfer, Leiden und Mut.“