Monat: Mai 2018

  • Der Wurm im Kopf

     

    Hugo dachte immer komplizierter. Morgens beim Zähneputzen überlegte er lange, warum er die Zahnbürste für die Zähne und die Handbürste für die Hände verwenden sollte. Beides waren Bürsten. So nahm er die Handbürste und putzte damit Zähne und mit der Zahnbürste reinigte er die Fingernägel. Beim Zähneputzen störte in, dass es auf den Lippen kratzte, auch wenn er die Lippen weit auseinander riss. Als er versuchte, die Backenzähne zu reinigen, verkrampfte sich der Kiefer, so dass er über einige Minuten den Mund nicht mehr schließen konnte. Ich habe noch nicht die richtige Technik, dachte er und setzte sich an den Schreibtisch, um auf einem Blatt Papier die richtige Bürstentechnik zu entwerfen. Nach einer Stunde angestrengtem Nachdenken kam er zu dem Schluss, dass es an seinen Rotationsbewegungen liegen müsse.

    „Hugo, musst Du heute nicht zur Arbeit?“ rief seine Frau ungeduldig.

    „Doch, doch,“ brummte Hugo und stieg die Treppe nur langsam hinunter, da er seitlich über Kreuz abwärts stieg. Er schaffte es ohne zu stürzen. Eine Tasse Kaffee wollte er noch trinken, bevor er zur Arbeit ging. Er stülpte die Tasse verkehrt auf seinen Frühstücksteller und versuchte, Kaffee aus der Kanne einzuschütten. Verwundert sah er zu, wie das braune Wasser vom Tassenboden über den Rand, die Wand der Tasse hinunter auf den Teller floss. Es erinnerte ihn an die Wand in der Toilette eines teuren Restaurants, die durch das herabfließende Wasser faszinierend in ständiger Bewegung schien.

    „Hugo! Halt!“ Seine Frau riss ihm die Kanne aus der Hand, gerade so rechtzeitig, dass der Kaffee nicht mehr über den Rand des Frühstückstellers auf das Tischtuch schwappte. Etwas verärgert darüber, dass das Schauspiel so abrupt beendet wurde, wandte sich Hugo mit einer eckigen Bewegung ab, stolperte zur Garderobe und zog den Mantel mit der Innenseite nach außen an. „Es ist so praktischer,“ dachte er, da er nun leichter seine Papiere aus der Innentasche nehmen konnte. Was er schon immer erproben wollte, realisierte er jetzt. Er setzte sich in den Fond seines Automatikwagens, um von dort aus das Fahrzeug zu steuern. Wenn er mit dem Müllgreifer um die Lehne des Vordersitzes griff, konnte er das Steuer fassen und mit dem langen Stockschirm ließen sich Gaspedal und Bremse bedienen. Den Automatikhebel auf der Mittelkonsole erreichte er ohne Probleme. So setzte er das Fahrzeug in Gang und fuhr etwas unsicher langsam los. Die überholenden Fahrer blickten sich überrascht um nach dem Auto ohne Fahrer mit dem scheinbar entspannten Gast im Font. Heute im Zeitalter der Digitalisierung war ja alles möglich. So war niemand wirklich beunruhigt. Die Verwicklungen am Arbeitsplatz übergehe ich. Es war zu absurd.

    Als Hugo nach Hause kam, teilte ihm seine Frau mit, sie habe schon für morgen früh einen Termin beim Hausarzt gemacht.

    „Warum?“, rief Hugo fröhlich, „Wir sind doch alle gesund!“

    „Vorsorge!“, antwortete seine Frau ernst, „Das ist dringend notwendig.“

    Wenn es so dringend war, konnte Hugo nichts dagegen einwenden. Dem Hausarzt berichtete die Ehefrau die Verhaltensauffälligkeiten Hugos.

    Nach einigem Nachdenken sagte Hausarzt: „Es ist ein komplizierter Fall. Als Erstes schlage ich eine Kernspintomographie des Kopfes vor.“ Nach einigem Telefonieren hatte er einen Termin schon für den nächsten Tag organisiert.

    „Warum die Hektik?,“ fragte Hugo verunsichert.

    „Es ist dringend notwendig,“ antwortete seine Frau ernst.

    Wenn es so dringend war, konnte Hugo nichts dagegen einwenden. Hugo lauschte intensiv dem Klopfen des Kernspintomographen, das ihn an den Besuch in einem Bergwerk erinnerte. Er gewann jedoch keine neuen Erkenntnisse. Der Radiologe drückte Ihnen eine CD in die Hand und einen fast unleserlich beschrifteten Zettel.

    „Gehen sie damit zu Hausarzt und besprechen sie das weitere Vorgehen.“ Er schob sie zur Tür hinaus und schloss diese rasch.

    „Hugo hat die sogenannte Politikerkrankheit, die eigentümlicherweise bevorzugt Politiker befällt,“ klärte der Hausarzt das Ehepaar auf, nachdem er sich die Bilder der CD im Computer angesehen hatte.

    „Und was bedeutet das? Hugo ist doch kein Politiker.“

    „Ein großer Wurm frisst sich durch das Gehirn.“ Er drehte den Bildschirm des Computers ein wenig, so dass sie auf den Bildern eine wurmförmige Struktur sehen konnten, die das Gehirn durchzog. „Dies erklärt das auffällige Verhalten. Ich wollte es zuerst nicht glauben, da typische Symptome, wie Lügen und intrigantes Verhalten fehlen. Die Bildgebung ist jedoch eindeutig.“

    „Kann man dagegen etwas machen?“

    „Es gibt eine medikamentöse Behandlung, die jedoch nur eine langsame Besserung ermöglicht, da der absterbende Wurm weiter Symptome machen kann. Alternativ ist eine neurochirurgische Entfernung möglich, die zwar rasch wirkt, aber dafür muss man den Kopf aufbohren.“

    „Wir überlegen uns das,“ sagte Hugo schnell, der sich nicht wirklich krank fühlte und das mit dem Wurm nicht glauben wollte. Er zog  seine Frau am Arm aus dem Arztzimmer und ließ sich schweigend von ihr nach Hause fahren.

    Dort setzte er sich in sein Arbeitszimmer und dachte intensiv nach. Später habe ich gerüchteweise gehört, das er sich weder medikamentös noch neurochirurgisch behandeln ließ. Der Hinweis des Hausarztes auf das Lügen und Intrigieren hatte ihm gefallen. Er entschloss sich, in die Politik zu gehen und soll heute Staatssekretär in dem kürzlich geschaffenen Heimatministerium sein.

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrecht

  • Mariechens Beichte

     

    Mariechen kniete an der Kirchenbank nieder. Es bereitete ihr erhebliche Beschwerden, da sie eine zarte 16 Jahre alte Pflanze von 1,65 m Größe und 90 kg Gewicht war. Ihr frecher Bruder Steffen sagte immer, sie sehe aus wie das Kugelmännchen Flitzi. Er nannte sie deshalb immer Flitzi. Ihr war das peinlich, aber was sie auch tat, sie wurde nicht so schlank wie ihre Freundin Katrin.

    Keuchend faltete sie die Hände und blickte treuherzig hoch zum Herrn am Kreuz.

    „Ich habe mich bemüht,“ brabbelte sie und wandte den Blick wieder ab, „ ich habe auf die Cola verzichtet, zwei Kilo abgenommen und mich dabei ziemlich mit dem Hunger gequält.“

    „Fett hat immer großen Hunger,“ brummelte der Herr am Kreuz und schien zu lächeln.

    Mariechen sah ihn wieder an: „was hast Du gesagt? Ich konnte nichts verstehen.“

    Der Herr am Kreuz zeigte wieder seine Leidensmiene und schien völlig unbeteiligt.

    „Ja, dann habe ich wieder gesündigt,“ fuhr Mariechen fort, „bei Katrins Geburtstag mit den tollen Kuchen. Daraufhin war wieder alles beim Alten und ich fange wieder von vorne an. Was sagst du dazu?“

    „Es ist Dein Problem aber keine Sünde,“ hörte sie jetzt deutlich die Stimme des Herrn.

    „Aber alle sagen doch, man hätte wieder gesündigt, wenn man einen Kuchen zu viel oder oder beim Grillen eine Portion mehr gegessen hat.“

    „Du hattest Dir vorgenommen, mir von deinen Sünden zu erzählen.“

    „Aber das habe ich doch,“ rief Mariechen und blickte den Herrn am Kreuz mit großen Augen an, der durch das Sonnenlicht über die bunten Fenster von der Seite beleuchtet wurde und ganz in rot-grüne Farbenspiele getaucht wurde, so dass sie seinen Gesichtsausdruck nicht mehr erkennen konnte. Sie hörte ein leises Lachen.

    „Das was du mir berichtest sind keine Sünden. Du hast das Leben, um Freude und Leiden mit anderen Menschen zu teilen. Davon sprichst du. Denk an die zehn Gebote, Mariechen, vor allem an das siebte. Gehe nach Hause und denke nach.“

    Mariechen schüttelte den Kopf und zog sich an der Banklehne wieder hoch und trottete aus der Kirche. Was der Herr nur von ihr wollte. Sie hatte nicht gegen die zehn Gebote verstoßen, da war sie sich sicher.

    Nachdem Steffen sie geärgert hatte, hatte sie vor einigen Tagen sein Handy stibitzt und versteckt. Er war richtig wütend geworden. Worauf sie ihn lachend mit heiß und kalt zum Versteck gelenkt hatte. Das konnte es nicht gewesen sein, denn er hatte das Telefon ja wieder.

    Da fiel ihr siedend heiß ein, dass sie vor zwei  Wochen mit ihrem Freund Karlchen  geknutscht hatte. Das hatte sie ganz vergessen, obwohl es aufregend gewesen war. Ob der Herr das meinte? Karlchen war übergriffig geworden und in der Hitze des Gefechts hatten sie sich die Kleider ausgezogen und waren schließlich nackt auf dem Bett gelegen. Auf ihr war der dünne Karlchen in den Wellen von Brust und Bauch verschwunden. Es hatte Spaß gemacht, aber sie hatte dennoch ein schlechtes Gewissen, weil es so unmoralisch war. Sie dachte nach. Irgendwie passte das auch nicht, da in diesem Fall ja Karlchen ihr die Unschuld gestohlen hatte und sie nicht ihm. Sie nahm sich vor, das morgen mit dem Herr am Kreuz zu besprechen. Da ihr weiter nichts einfiel, begann sie eine Melodie zu summen, ihre gehäkelte Tasche zu schwingen und wackelte nach Hause.

     

    Als sie am nächsten Tag dem Herrn die Geschichte mit Karlchen vortrug, lachte dieser.

    „Gegen die zehn Gebote habt ihr nicht verstoßen, auch wenn dies nicht den moralischen Vorstellungen deiner Eltern und der Kirchenvertreter entspricht. Wenn Du weiter nachdenken willst, so erinnere dich an deine Großmutter.“

    Mariechen grübelte. Die Großmutter war sehr vergesslich, so dass immer einer der Familie nach dem Rechten sehen musste. Sie war in den letzten Wochen fast täglich bei ihr gewesen, hatte Essen gebracht, aufgeräumt und geputzt. An manchen Tagen hatte Großmutter gedacht, sie sei eine fremde Frau. Erst nach längerem Zureden ließ sie Mariechen in der Wohnung aufräumen. Großmutter neigte dazu in der Wohnung ein Chaos zu veranstalten. Sie verräumte Zahnbürste, Seife und andere Dinge an unmögliche Orte. Gestern hatte Mariechen Unterwäsche aus der verstopften Toilette gefischt. Wenn Großmutter etwas nicht mehr benötigte, ließ sie es irgendwo auf den Boden fallen. Ihr zu helfen, war sicher ein positiver Einsatz.

    Da fiel ihr ein, dass Großmutter sie kürzlich in einem wachen Moment von oben bis unten gemustert hatte und bemerkte: „Es ist eine Sünde, wie du dich anziehst.“

    „Aber Großmutter, die kurzen Röcke sind jetzt Mode.“

    Großmutter schüttelte den Kopf: „Man sieht ja alles. Zudem steht es Dir nicht.“

    Mariechen blickte zum Kreuz und sah wie der Herr ganz leicht den Kopf schüttelte. Das war es also nicht. Plötzlich wurde Mariechen knallrot und senkte den Kopf.

    „Ich sehe, es ist dir eingefallen. Wann gibst du es ihr zurück?“ Der Herr am Kreuz nuschelte ein wenig, aber es klang gutmütig.

    Vor etwa zwei Wochen wolle sie sich ein T-Shirt kaufen, hatte aber kein Geld. Da hatte sie Großmutters Geldbörse genommen und einen 20 Euro Schein entwendet. Als Großmutter zeterte, hatte sie gesagt: „Ich leihe mir das nur und gebe es Dir wieder zurück.“

    Als sie dann wieder zu Hause war, dachte sie, dass Großmutter es vergessen werde. So bräuchte sie das Geld nicht zurückgeben. Das war es, was der Herr ihr übel nahm. Sie hatte gestohlen.

    „Gleich morgen,“ stammelte Mariechen und verließ so schnell sie konnte die Kirche.

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrecht

  • Die Insel der Ruhe

     

    Während meines Studiums in Freiburg war ich eine Zeit lang für die Bahnhofsmission tätig. Ich wohnte damals in der Kreuzstraße, so dass ich rasch zu Fuß am Bahnhof war.

    Es war ein Zufall. Ich war auf dem Weg vom Psychologischen Institut in der Innenstadt, wo ich mich für Graphologie interessierte, zur Stühlingerbrücke, die damals noch eine Gusseisenbrücke mit einer schmalen Straße war. Dort sah ich am Ende des Bahnhofsgebäudes das beleuchtete Schild „Bahnhofsmission“. Damals war die Bahnhofsmission nicht am nördlichen Ende am Gleis 1 wie heute, sondern am südlichen Ende des Gebäudes lokalisiert. Neugierig ging ich hin und warf ich einen Blick durch die Tür, da ich mich – unbedarft wie ich war – fragte, was dort missioniert wurde.

    Die zwei Frauen lachten auf meine Frage: „Wir missionieren nicht. Wir helfen Behinderten oder Gestrandeten. Manchmal bieten wir Geängstigten Schutz oder bieten Erschöpften eine Tasse Kaffee an.“

    Ich blickte mich um. Der Raum war kaum größer als meine Studentenbude, ausgestattet mit einem Tisch, Stühlen und einer kleinen Küchenecke mit Spülbecken, Kaffeemaschine und zwei Kochplatten. Mit den Spitzenvorhängen am Fenster zum Bahnsteig und Blumen sowie weißer Decke auf dem Tisch wirkte er gemütlich – eine Insel der Ruhe im lärmenden Treiben des Bahnhofs.

    „Wir suchen vor allem für die Abendstunden eine männliche Person als Hilfe. Hätten Sie nicht Lust mitzumachen? Wir können allerdings nicht viel mehr als 10 DM Taschengeld bieten,“ fragte Johanna freundlich. Der Name stand auf einem Schild auf ihrer Brust. Sie trug ein blau-weiß gestreiftes Kleid mit einer weißen Schürze und auf dem Kopf ein Häubchen mit dem Symbol der Bahnhofsmission. Die zweite hieß Erika und war in Zivil.

    „Am Abend kommen manchmal aggressive Betrunkene zu uns. Da wäre ein Mann hilfreich,“ ergänzte Erika und bot mir eine Tasse Kaffee an. Die freundliche Atmosphäre stimmte mich nachgiebig.

    „Jeden Abend ginge natürlich nicht,“ sagte ich mehr zu mir selbst. Sie fassten dies als Zustimmung auf und vereinbarten sofort einige Termine.

    Die Abende in der Bahnhofsmission waren immer spannend. Frauen suchten Schutz bis zur Abfahrt ihres Zuges. Ein Jugendlicher kam in Panik. Er hatte seine Monatskarte verloren. Wir konnten sie schon leicht abgetreten auf dem Bahnsteig wieder finden. Häufig kamen verwahrloste oder angetrunkene Kerle, die sich finanzielle Hilfe erhofften und dann mit Nachdruck wieder hinaus gebeten werden mussten. Bargeld an Personen zu geben, war ein Tabu bei der Bahnhofsmission.

    An einem Sommerabend saß ein Mann, etwa 40 Jahre alt am Tisch und trank eine Tasse Kaffee. Er wirkte erschöpft und war fast ohne Haare, trug eine graue, schlottrige Freizeithose und ein blaues T-Shirt mit dem Aufdruck „Harvard University“. Er roch, wie wenn er eine Dusche nötig hätte und blickte versonnen vor sich hin.

    „Woher kommen Sie?,“ fragte ich ihn, um ein Gespräch zu beginnen.

    „Aus Heppenheim,“ antwortete er und blickte mich mit seinen großen grauen Augen an, „ich war dort in der Psychiatrie. Sie haben mich gegen meinen Willen festgehalten, die Hunde. Mein Ziel das Kreuz des Südens zu finden habe ich aber nicht aufgegeben. Bei der ersten Gelegenheit bin ich abgehauen, denn ich muss es finden. Hinweise, dass ich bis hierher auf dem richtigen Weg war, gab es immer wieder. Sehen sie dort die Kreuze?“ Er grinste triumphierend und zeigte durch das Fenster auf die Kreuze an der Spitze der beiden Türme der Stühlinger Kirche.

    „Haben Sie Familie?“

    „Ja, eine Frau und eine Tochter, die denken ich sei verrückt. Sie haben mich in die Psychiatrie gebracht.“ Er sprang plötzlich auf und hatte ein Flackern in den Augen, das mich davon abhielt, weitere Fragen zu stellen.

    „Wohin muss ich fahren, um das Kreuz des Südens zu finden?“ fragte er mit unruhigem Blick.

    „Ich denke, Sie müssen weiter nach Basel.“

    Er verließ grußlos den Raum, ohne seinen Kaffee ausgetrunken zu haben.

    Als etwas später zwei Bahnpolizisten vorbeikamen, um sich eine Tasse Kaffee zu genehmigen, erzählten sie, dass der Mann lange unruhig im Bahnhof  auf- und abgegangen sei. Auf Ansprache habe er nicht geantwortet, sondern nur starr vor sich hingeblickt. Daraufhin hätten sie ihn in die hiesige Psychiatrie gebracht.

    Für mich der Höhepunkt meiner Zeit bei der Bahnhofsmission, war die Begleitung eines fünfjährigen Mädchens zu ihrer Tante im D-Zug nach Mönchengladbach. Ich fuhr damals gerne Eisenbahn. Es bedeutete für mich in die Ferne zu reisen, da ich in die Ferien nach England, Schweden oder auch Fischen im Allgäu immer mit der Eisenbahn gefahren war. Das klopfende Geräusch der Schwellen löste in mir eine Reiseunruhe aus. Als wir in unser Abteil kamen, waren die Fensterplätze schon besetzt. Ein graues, voluminöses Ehepaar saß sich gegenüber und blickte uns grimmig an, als wir das Abteil betraten. Dann ignorierten sie uns mit starrem Blick aus dem Fenster, so dass es kaum möglich war auf den Platzkarten zu bestehen. Das Kind war etwas traurig, dass wir an der Tür sitzen mussten. Ich tröstete: „hier können wir auch spielen oder ich lese dir eine Geschichte vor. Wenn wir aus dem Fenster sehen wollen gehen wir auf den Gang. Das ist noch viel schöner, weil man dort das Fenster aufmachen kann.“

    Kaum war der Zug angefahren, packte die graue Frau knisternd ihr Vesperbrot aus und begann zu essen. Eine Minute später folgte ihr der graue Mann. Ein durchdringender Geruch aus Leberwurst und Handkäse füllte das Abteil, so dass wir froh waren im Gang aus dem Fenster sehen zu können, wie die Mama, der Bahnsteig und dann der Bahnhof mit zunehmender Geschwindigkeit verschwanden. Die Fahrt war mit Spielen und Lesen so kurzweilig, dass die Zeit wie im Flug verging und wir das graue Ehepaar und die Halte bis Mönchengladbach kaum wahrnahmen. Dort wartete schon die Tante auf dem Bahnsteig.

    „Das nächste Mal fährst Du wieder mit mir,“ rief das Mädchen fröhlich winkend und schon waren sie in der Menge verschwunden. Ich genehmigte mir einen Blick auf den Bahnhofplatz Mönchengladbachs und entschied mit dem nächsten Zug zurück zu fahren.

    Da meine Zimmerwirtin sehr neugierig war und manchmal, wenn ich abwesend war, Gäste in meinem Zimmer schlafen ließ, wechselte ich die Bude und zog in die Wiehre. Von dort war es mir nicht mehr möglich, abends mal schnell in die Bahnhofsmission zu gehen, so dass ich dies aufgab.

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrech

     

  • Panne bei Hinnebeck

    Am 21. Mai 2017 hatte Freddy Radeke mit seiner grünen Ente, mit der er gerne an besonders schönen Orten im Bremer Umland liegenbleibt und dann in „buten un binnen“ über diese Gegenden berichtet, (s)eine Panne bei Hinnebeck. Der Bericht über die 270 Seelen Gemeinde fokussierte insbesondere auf eine Kunstausstellung der Italienern Deborah Brisotto. Mit Kükendrahtfiguren.

    Und nun, ein Jahr später, habe ich selbst eine Panne bei Hinnebeck gehabt.

    Und das kam so:

    Im Februar 2018 sind wir raus aus Bremen gezogen, an den Geestrand nach Meyenburg. Meyenburg gehört wie Hinnebeck zu Schwanewede, hat aber eine Kirche, einen Laden, ein Landhaus, eine Wassermühle mit Mühlencafé und eine alte Genossenschaft, wo man Maike’s Friesentorte bekommen kann.

    Von hier aus haben wir dann im Mai –also ein Jahr später als Freddy Radeke und bei genauso gutem Wetter- eine Fahrradtour nach Hinnebeck gemacht, weil die Sendung von buten un binnen aus dem Jahr zuvor unvergessen ist. Durch die Marsch ging es über die Gräben, bis endlich kurz vor Hinnebeck ein Graben keine Brücke mehr hatte: Der Weg war einfach zu Ende!

    Wir mußten umkehren, weil wir nicht den Mut hatten, die Fahrräder hinüberzuschmeißen und hinterherzuspringen, eine Furth gab es hier nicht.

    Also: zurückfahren. Oder auch nicht: Panne bei Hinnebeck. Hinterrad. Für mich irreparabel.

    Eine Woche später verfügt mein Fahrrad über unplattbare Reifen der Firma Schwalbe, und das Wetter ist pünktlich zum Pfingstfest herrlich. Ein neuer Versuch.

     

    Ich nähere mich Hinnebeck von Süden. Von Vorberg aus komme ich in die Hinnebecker Furth – hier gibt es also eine. Hinnebeck hat eine Furth und das rückt diesen Ort in die Nähe von Lübeck und München. Diese Städte wurde alle im 13. Jahrhundert von Heinrich dem Löwen gegründet, und als erstes erhielten sie eine Furth durch die Trave und die Isar.

    Hinter Hinnebeckerfurth  -hier gibt es eine Islandpferdezucht, die Tiere grasen auf einer Streublumenwiese- kommt dann der eigentliche Ort: „Junges Dorp unner ole Eken“ steht am Eingang. Ansonsten gibt es im Wesentlichen schöne Einfamilienhäuser und große Bauernhöfe und eine abknickende Vorfahrt: Links nach Neuenkirchen (da ist Freddy Radeke geboren), rechts nach Aschwarden, geradeaus in die Natur.

    Geradeaus geht’s dann auch schließlich nach Aschwarden, mehr gibt’s hier auch nicht. Aschwarden sieht man schon von Weitem in der platten Marschlandschft. Man erkennt die Mühle und die Kirche. Die Nikolaikirche ist wie die Keitumer Kirche in klein, man gedenkt der Soldaten, die im 2. Weltkrieg einen „guten Kampf gekämpft“  und „den Lauf vollendet“ hatten. Sicherlich steht die Stele aus Pietät noch da, denn ein guter Kampf was das ganz bestimmt nicht.

    Nun kann man entscheiden, ob man nach Harriersand oder nach Meyenburg weiterfahren möchte. Die Marsch ist riesig, am Horizont der Geestrand mit dem Düngelwald. Wie schön Meyenburg am Geestrand gelegen ist. Durch die Wiesen geht es immer geradeaus in Richtung Geest. Unterwegs ein Bienenstock vor einem Rapsfeld, dahinter ein Schöpfwerk, roter Backstein. Mein Langzeitgedächtnis arbeitet im Hintergrund vor dem Grün der Wiesen und dem hohen Himmel: Das ist genau die Gegend von Siggi Jepsen aus der Deutschstunde, es riecht hier auch genauso wie in Nordfriesland, und die Nikolaikirche von Aschwarden spricht ja auch noch die Sprache des Deutschaufsatzes von Siggi: „Die Freuden der Pflicht“.

    So ist nicht der Lauf beendet, aber die Fahrradtour nach Hinnebeck – als erstes erreicht man in Meyenburg das Herrenhaus von Wersebe, und dann sitzt man auf der Terrasse und bringt Ordnung in diese herrlichen Landschaftsbilder.

  • Prof. Dr. med. Horst Joachim Rheindorf

    Ehrenpräsident des BDSÄ
    geboren am 06. Mai 1922, verstorben am 07. Mai 2018

    Am 6. Mai 2018, seinem 96. Geburtstag, kämpft Horst Joachim Rheindorf in der Klinik um sein Leben.

    Geboren am 6. Mai 1922 in Kassel, dient Horst Joachim Rheindorf zurzeit des Krieges als Infanterist im Sanitätsdienst der Wehrmacht. Er studiert an der Medizinischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg von 1943 bis 1950. Mit der Promotion zum Dr. med. schließt er das Studium ab. Bis 1953 arbeitet er in der Frauenklinik und Medizinischen Klinik.

    Die hessische Ärztekammer, in jenen Tagen ein Verein, ab 1956 eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, wirbt ihn von der wissenschaftlichen Laufbahn ab. Der Einsatz für die Rechte jüngerer Ärzte beeindruckt die ärztlichen Standesvertreter. Erinnern wir uns: Die vergütungsfreie Mitarbeit zu Beginn der klinischen Tätigkeit ist nahezu üblich.

    Horst Joachim Rheindorf wird als Ehrenmitglied auf Landes- und Bundesebene in den Marburger Bund aufgenommen. Die Ärztekammer Hessen beruft ihn zum ärztlichen Geschäftsführer, von 1956 an zum Hauptgeschäftsführer.

    Er setzt sich auf allen Ebenen bis in den Weiterbildungsausschuss der Bundesärzte-kammer für die Weiter- und Fortbildung ein, arbeitet an der Musterberufsordnung mit: Qualifikation unter Wahrung ärztlicher Normen ist das Anliegen. Er fördert die Carl-Oelemann-Schule: Qualifizierung des Assistenzpersonals ärztlicher Praxen in überbetrieblicher Ausbildung.

    Die Akademie für Ärztliche Weiterbildung und Fortbildung, Themen wie Gesundheitserziehung bzw. Prävention fesseln Rheindorf. Von Anbeginn sitzt er der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitserziehung stellvertretend vor. Er treibt den Ausbau des berufsständischen Versorgungswerks voran, um den Alters-unterhalt der Ärzte zu schützen.

    Im Hessischen Landesgesundheitsrat leitet er den Krankenhausauschuss; er initiiert die Gründung der Hessischen Akademie für Arbeits-, Betriebs- und Sozialmedizin, an der er lehrt. Als Mitglied mehrerer Ständiger Konferenzen und Ausschüsse auf Bundesebene sowie des Großen Senats organisiert, moderiert, referiert er in nationalen und internationalen Fortbildungskongressen.

    Die Pensionierung 1987 setzt der mitreißenden Energie kein Ende. Er bleibt Vor-sitzender der Deutschen Akademie für medizinische Fortbildung und Umwelt-medizin. Das korrespondierende Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Allge-meinmedizin gilt als Pionier der hausärztlichen Qualifizierung.

    Mit Prof. Dr. Wilhelm Theopold, Mitbegründer des Marburger Bundes, ehemaliger Präsident der Hessischen Landesärztekammer und der Bundesärztekammer, bahnt sich eine Freundschaft an. Als aktueller Schriftleiter des Hessischen und des Deutschen Ärzteblatts leitet Präsident Theopold ab 1982 den BDSÄ. Er beruft 1986 in weiser Voraussicht Rheindorf zum Ehrenmitglied, das bald die Kasse führt.

    Theopold kandidiert 1992 nicht mehr; die Verbandführung mit Diskussionen um niveauorientierte Aufnahmekriterien reizt zu Widerspruch. Er überzeugt Rheindorf, der Richtige zu sein, und schlägt vor, den Freund zum Präsidenten zu wählen.

    Rheindorf lobt ihn für den hohen Stand der Mitgliederzahl. Zur Einrichtung der Bibliothek, zum regelmäßigen Rundbrief und die anhaltende Präsenz in den Medien gratuliert er. Ärztliche Körperschaften oder Mitteilungsblätter stehen dem organi-sierten Phänomen „Doktor und Poet dazu“, so der Titel des 1987 erschienenen Buchs Theopolds, aufgeschlossen gegenüber.

    Präsident Horst Joachim Rheindorf erklärt beim Amtsantritt das mit dem soziokulturellen Strukturwandel kompatible Ziel: Zusammenhalt im Verband ohne Distanzierung einzelner Gruppen. Das Stichwort „wir sind eine große Familie“ klingt in unseren Ohren.

    Sucht bisher Theopold Diskussionen mit Kritikern, Pressereferenten und Öffentlichkeit, lässt Rheindorf bei Medienauftritten Vorsicht walten. Bald überrascht es ihn, bei Mitgliedern und Standesorganisationen Anerkennung zu ernten. Sitz, Geschäftsstelle, Bibliothek des BDSÄ verlegt er in die Fortbildungsakademie der Hessischen Landesärztekammer in Bad Nauheim. Dem Rundbrief stellt er turnusmäßig den persönlichen Brief voran. Er beschäftigt stundenweise eine Bürokraft, anfangs Frau Walter, danach Frau Näther. Den Rundbrief redigiert seine Frau Gabrielle, von Beruf Journalistin, in rechtlichen Angelegenheiten des Verbands berät Sohn Axel.

    Niemand befürchtet eine oligarchische Familienherrschaft: Familie Rheindorf bewältigt in der Spätzeit klassischer Nachrichtentechnik die wachsende Summe der Verbandsnachrichten. Die Mitglieder erfahren alles aus den Lesungen der Landesverbände und des Bundesverbands, zu Publikationen, Ehrentagen, Aus-zeichnungen ebenso wie Bibliothekszugänge. Die Familie waltet mit Handarbeit, mit viel Liebe zum Verband und Mitgliedern. Bei der Drucklegung des Rundbriefs und der Pflege des Mitgliederverzeichnisses hilft unermüdlich Frau Jutta Näther, Sekretärin der Geschäftsstelle bis heute.

    1993 findet der 36. Kongress des Weltverbands der Schriftstellerärzte (UMEM) in Fulda statt, zugleich der Jahreskongress in Bad Nauheim mit Verleihung der Schauwecker-Plakette an Wilhelm Theopold. Die „Ärzte Zeitung“ berichtet darüber. Die Schauwecker-Medaille ist die höchste Auszeichnung des BDSÄ, benannt nach seinem ersten Präsidenten.

    Gleichwohl sinkt die Mitgliederzahl. Das Bayerische Ärzteblatt setzt die Doppelspalte „Äskulap und Pegasus“ ab. Der allgemeine Wandel soziostruktureller Gewohnheiten kündigt sich im Verbandsleben an. Rheindorf besucht die Lesungen der Landesgruppen möglichst oft.

    Die Bereitschaft zu Sponsoring durch Firmen, Verlage oder deutsche Ärzteblätter schwindet, obwohl die Arbeit des Verbands gemeinnützig anerkannt ist: Der BDSÄ stellt wirksame Spendenbescheinigungen aus. Das Interesse öffentlicher Medien schrumpft mit dem Wachsen der neuen Medien.

    Die Aktivitäten verlagern sich auf private Initiativen der Mitglieder. Präsident Rheindorf ruft zur Aufmerksamkeit gegenüber der ärztlichen Schriftstellerszene in den neuen Bundesländern auf. Die Integration gelingt mit der Darstellung des Verbands als eine Familie.  Mitte der Neunziger Jahre steigen die Mitgliederzahlen.

    Vorstandsmitglieder kommen, gehen oder wechseln die Ämter, Präsident Rheindorf bleibt. Vor jeder Vorstandswahl fragt er, ob jemand das Amt übernehmen mag. Die Versammlung wählt ihn stets einhellig. Vier Mal erscheint die offizielle Verbands-anthologie „Edition deutscher Schriftsteller-Ärzte“.

    Gabrielles Idee „Neues aus der Redaktionsstube“ fördert die Zusammengehörigkeit. Sie betont, neben den aktiven Mitgliedern auch von anderen Mitgliedern Beiträge anzunehmen, um das Schaffen von Erfahrenen und Anfängern gleichermaßen zu dokumentieren.

    Die Beltzmühle in Altenstadt, ländliches Anwesen der Familie Rheindorf, dient mehrmals organisierten Lesungen. Weitere Landesverbände der neuen Bundesländer treten ab 2000 dem BDSÄ bei. Die Aktivitäten regen das Verbandsleben an, Ältere und Jüngere finden zusammen.

    2002 beginnt Harald Rauchfuss den Aufbau einer Webseite. Rheindorf begrüßt es, den Verband in neuen Medien zu präsentieren, um Interesse zu wecken. Der Rundbrief schwillt zu einem vielseitigen Publikationsorgan an. Die Herstellungs-kosten wachsen zwar, aber er ist ein Ausgleich für jene, die nicht an den Treffen teilnehmen können. Darüber freut sich Präsident Rheindorf im Dezember-Rundbrief 2004. Im Sinne der klassenlosen Gemeinschaft verzichtet er seit Beginn der Amtszeit darauf, Titel und Ehrenauszeichnungen der Autoren zu wiederholen.

    2005 stiftet Rheindorf auf dem Kongress in Bad Schandau den Literaturpreis, dem die Mitgliederversammlung den Namen Horst-Joachim-Rheindorf-Literaturpreis gibt. Das Hauptmotiv der Stiftung ist, den Verband für Interessenten attraktiv zu machen, zumal nach 1998 die Bundesärztekammer keinen Literaturpreis mehr ausschreibt. Der Literaturpreis des BDSÄ wird in der Regel auf dem Jahreskongress verliehen, ein Turnus ist nicht vorgegeben. Wie der Präsident befürchtet, öffnet der Preis eine Tür für Gefühle, übergangen zu sein.

    Der Präsident bereitet 2008 Harald Rauchfuss auf die neue Amtszeit vor. Nach der Wahl muss die Mitgliederversammlung den emeritierten Präsidenten drängen, der Ernennung zum Ehrenpräsidenten zuzustimmen. Rauchfuss würdigt Rheindorf, den Verband vor jenem Zeitgeist bewahrt zu haben, der im allgemeinen Literaturbetrieb das absolut individuelle Stilmittel beanspruche. Damit sei es ihm gelungen, einen Tiefpunkt des Verbands in den Neunziger Jahren zu überwinden.

    Hojo Rheindorf führt mit der Übernahme  der Präsidentschaft einen damals neuen Stil im Verband ein. Die vorher etwas steife Atmosphäre verwandelt er durch seine väterliche Art in eine freundschaftlich-familiäre, in der sich neue Mitglieder schnell angenommen und wohl fühlten. Als fortwirkendes Vermächtnis ist das bis heute so geblieben. Gleichwohl vermeidet er die Rolle des Übervaters: er kann loben, anerkennen und andere neben sich gelten lassen.

    Eine spontane Ehrung überrascht Familie Rheindorf am Abschiedsabend auf der Havel-Insel Lindenwerder. Barbara Kromphardt und Harald Rauchfuss komponieren eine mehrstimmige vielstrophige Abschiedshymne für „Hojo“, in die alle Kongress-teilnehmer einstimmen. Sie verklingt im besonnten Abend der Berliner Luft.

    Horst Joachim Rheindorf hat eine Tradition hervorgebracht, die Stabilität garantiert. Sie hilft, die Turbulenzen eigenwilliger poetischer Ausdrucksweisen und der modernen Medien zu steuern. Es gilt für die nachfolgenden Präsidenten Harald Rauchfuss und Dietrich Weller, über den Wandel der Poesie und der ärztlichen Tätigkeit im Sinne Rheindorfs nachzudenken.

    Am 8. Mai 2018 endet ein Leben im Dienst des ärztlichen Berufsstands, der Schriftsteller-Ärzte und der eigenen Familie. Von den zahlreichen Auszeichnungen seien genannt:

    Ernst-von-Bergmann-Plakette der Bundesärztekammer 1971
    Bundverdienstkreuz Erster Klasse 1972
    Bernhard-Christoph-Faust-Medaille des Landes Hessen 1982
    Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft 1997
    Großes Verdienstkreuz mit Stern 2002.
    Schauwecker-Medaille 2009

    Es ist Rheindorfs wegweisendes Vermächtnis, unsere Satzung zu leben mit »Förderung der Volksbildung, nicht nur in Fragen der Gesundheit, mit Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur, des Völkerverständigungsgedankens und der Humanität.« Es obliegt uns »die Pflege des literarischen Schaffens und dessen Förderung sowie die Hebung des gegenseitigen Verstehens und kulturellen Zusammengehens der Nationen zusammen mit der Union Mondiale des Écrivains Médecins (UMEM).«

    Die Satzung klingt mit Horst Joachim Rheindorfs Worten verständlicher: »Wir sind eine große Familie.« Wir gedenken seiner Worte auf Dauer und danken ihm für seine treue und hingebungsvolle Arbeit.

    Harald Rauchfuß und  Dietrich Weller

  • Beitrag zum BDSÄ-Jahreskongress in Wismar 2018

     

    Männer sind das Haupt der Schöpfung

     

    Ich war gestrandet und fand mich auf einer einsamen Insel wieder. Als ich genauer hinschaute, stellte ich fest, dass sie gar nicht so einsam war. Ich befand mich unter lauter Männern. Das war sehr interessant, sie zu beobachten und ihnen zuzuhören und über sich selbst nachzudenken. Ich bekam Lust, über diese Erlebnisse Geschichten zu schreiben, aber ich fand nur ein kleines Notizheft und einen Bleistiftstummel. Da habe ich mich beschränkt und jeden Tag einen Aphorismus geschrieben.

    Hier ein paar Auszüge aus meiner Sammlung:

    Männer sind das Haupt der Schöpfung,
    Frauen die Krone.

     

    Was sagt ein Mann, wenn er bis zum Hals im Wasser steht?
    Das geht über meinen Verstand.

    Was ist der Unterschied zwischen Männern und Schweinen?
    Schweine verwandeln sich nicht in Männer, wenn sie betrunken sind.

     

    Männer denken immer nur an Sex?
    Nein. Nur wenn sie denken.

    Der Mann überlegt:
    Wenn ich sie umbringe, bin ich in 15 Jahren frei.
    Wenn nicht, habe ich lebenslänglich.

    Allein im Paradies, dachte Adam, bleibt auf die Dauer unbefriedigend.

     

    Am Abend vor der Hochzeit feiert der Mann den Folterabend, ohne es zu merken.

     

    Erst, als er zu ihr zog, fand sie die Kraft zur Trennung.

     

    Angesichts der hohen Scheidungsraten sollten wir uns an Thailand erinnern.
    Dort gelten Männer erst als heiratstauglich, wenn sie 1 1/2 Jahre als Mönch gelebt haben.

     

    Alle Männer sind gleich, zumindest unter Alkohol.

     

    Er hat schon wieder eine neue Frau.
    Kein Wunder. Das sind die Wechseljahre.

    Erst zählte er die Zähne, die ihm ausfielen,
    dann die, die er noch hatte.

     

    Er arbeitete als Vertreter und wusste:
    Staubsaugervertreter verkaufen Staubsauger.
    Versicherungsvertreter verkaufen Versicherungen.
    Es gibt auch Volksvertreter.

    Frauen können fast alles.
    Männer machen fast alles.

    Freiheit:
    Im Drang nach einem Stück persönlicher Freiheit schloss sich Herr. W., verheiratet, ab und zu in sein Badezimmer ein. Einmal brach er sogar den Schlüssel ab.

    Einmal wurde er gefragt:
    Haben Sie ein Zertifikat oder beherrschen Sie Ihr Metier?

    Er dachte, er würde auf schöne Menschen treffen.
    Aber alle sahen so aus wie er.

    Im Alter, stellte er fest, wird nicht alles langsamer.

    Man wird schneller müde, das Vergessen geht auch rascher.

    Meine erste Ehe, dachte er, dauerte vier Jahre, die zweite vierzig. Die war schlimmer.

    Manchmal streiten sich zwei Frauen um einen Mann wie zwei Löwinnen um einen Esel.

    Er trug viel mit sich herum, besonders Geheimnisse.

    Mein erster Mann war gehörlos. Mit ihm konnte ich mich besser unterhalten als mit meinem jetzigen.

    Magnetismus: Wer sich liebt, zieht sich an.
    Und ich dachte immer: aus.

    Sie sagte: Trink, damit du die Vergangenheit vergisst.
    Er antwortete: Ich trinke, um nicht an die Zukunft zu denken.

    Seine Frau lag im Sterben und gab ihm letzte Anweisungen:
    „Bleib nicht allein. In einem Jahr nimmst du Stine.“
    „Nein. Das tue ich dir nicht an. Ich habe schon mit Ida gesprochen.“

    Er aß keine Zunge, weil sie schon in einem Maul war.
    Aber warum aß er Eier?

     

    Trennkost:
    Meine Frau isst in der Küche, ich im Wohnzimmer.

    Was war der erste Mann auf dem Mond?
    Ein guter Anfang.

    Zunehmenden Egoismus erkennt man auch daran,
    dass die Menschen einander weniger häufig einen „Guten Tag“ wünschen,
    allenfalls „Hallo“ sagen oder gar nichts.

    Neulich kam ein dicker Mercedes in unser Dorf und hielt an meinem Gartentor an. Der Fahrer fragte: „Wie heißt das hier?“
    Ich sagte: „Guten Tag.“

    Ein Mann stellte fest:
    Das Leben fährt man im Zickzack.
    Doch am schönsten sind die Kurven.

    Das ist mein Ehering, sagte er. Mit Schmuck hat das nichts zu tun.

     

    Ein Mann gewöhnt sich an alles, sogar an sich selbst.

     

    Es gibt schöne Frauen und gute Weine.
    Auch umgekehrt, aber selten.

    Der Weingeist verwandelt den Mann in Tiere:
    Nach einer Flasche ist er fromm und zahm wie ein Lamm.
    Nach zwei Flaschen ist er lustig wie ein Affe.
    Nach drei Flaschen streitet und brüllt er wie ein Löwe.
    Nach vier Flaschen wälzt er sich und grunzt wie ein Schwein.

    Der Müllersbursche saugte das Blut von Mäusen auf.
    So lernte er das Mausen.

    Sie sagte zu ihm:
    Die Liebe endete, als du mir nicht mehr zuhörtest, wenn ich schwieg.

    Die Strafe für Bigamie: Drei Frauen.

    Frauen können alles ertragen, selbst Männer.

    EHE:  Errare humanum est.

    Er stellte fest, dass es verschiedene Versprechen gibt, zum Beispiel Wahlversprechen, Eheversprechen und richtige.

    Eigentlich komisch: Mir fällt nicht ein einziger Mann ein, der für die Gleichberechtigung der Frau kämpfte.

    Was geschieht, wenn ein Mann sich scheiden lässt?
    Er verliert 90 % seiner Intelligenz.

    Was soll eine Frau tun, wenn ein Mann in ihrem Garten herumhüpft?
    Weiterschießen.

     

    Es gibt zwei Situationen, in denen ein Mann seine Frau nicht versteht: Vor der Ehe und während der Ehe.

    Wir versuchen, ihn von der Küche fernzuhalten.
    Das letzte Mal hat er den Salat anbrennen lassen.

    Disziplin ist die schwierige Fähigkeit,
    dümmer zu erscheinen als der eigene Mann.

    Eine Frau heiratet mangels Erfahrung,
    lässt sich scheiden mangels Geduld,
    heiratet erneut mangels Gedächtnis.

    Für eine Frau ist Schönheit wichtiger als Intelligenz.
    Denn für Männer ist Sehen leichter als Denken.

    Der Nikolaus,
    der Osterhase,
    ein schöner, junger, intelligenter Mann
    und eine Putzfrau steigen gemeinsam in einen Aufzug.
    Wer drückt auf den Knopf?
    Die Putzfrau. Denn die anderen existieren ja gar nicht.

     

    Männer sind wie Heftpflaster.
    Es gibt zwei Sorten: Die eine Sorte hält nicht,
    die andere geht nicht ab.

    Warum haben Männer ein reines Gewissen?
    Weil sie es noch nie benutzt haben.

    Was hat ein Mann, der einen Strohballen hinter sich her zieht?
    Einen externen Speicher.

    Es würden viel mehr Männer weg ziehen,
    wenn sie wüssten, wie man Koffer packt.

    Was ist der Unterschied zwischen Männern und Batterien?
    Batterien haben auch einen positiven Pol.

    Was ist der Unterschied zwischen Männern und Käse?
    Käse reift.

    Was dauert länger, das Bauen eines Schneemannes oder einer Schneefrau?
    Das Bauen eines Schneemannes natürlich. Das Aushöhlen des Kopfes braucht einfach seine Zeit.

    Der Unterschied zwischen Männern und Kindern liegt nur im Preis für ihre Spielsachen.

    Kolumbus war das unvergessliche Beispiel für einen Mann:
    Er wusste nicht, wohin er fuhr.
    Er wusste nicht, wo er war.
    Und er tat es mit dem Geld einer Frau.

    Warum herrscht solch ein Durcheinander?
    Weil Männer die Welt beherrschen.

    Warum lassen Männer, die betrunken nach Hause kommen, ihre Sachen auf dem Boden liegen?
    Weil sie noch drin sind.

    Wie viele Männer braucht man, um ein Zimmer zu tapezieren?
    Kommt darauf an, wie dick man sie in Scheiben schneidet.

    Das Seniorenalter ist der Lebensabschnitt, in dem es einen Mann nicht mehr sonderlich interessiert, wohin seine Frau geht,
    es sei denn, sie will, dass er mitkommt.

    Was sollte man einem Mann schenken, der alles hat?
    Eine Frau, die ihm zeigt, wie es funktioniert.

     

    Das Schlimmste an den meisten Männern ist nicht ihre Unwissenheit,
    sondern dass sie so vieles wissen, was gar nicht stimmt.

    Bildung:
    Ich kann mir nie merken, wann Goethe den Faust gemalt hat.

    Das männliche Gehirn ist wie das Gefängniswesen.
    Es sind immer zu wenige Zellen da.

    Sobald sich ein Mann Ohropax in die Ohren steckt,
    ist an Hohlraumversiegelung zu denken.

    Warum freuen sich Männer, wenn sie ein Puzzle in einem halben Jahr fertig bekommen?
    Weil auf der Packung steht: Zwei bis vier Jahre.

    Sobald ein Mann verkalkt ist, hält er sich für ein Denkmal.

    Es ist bestimmt kein Zufall, dass man als Vogelscheuchen meistens Männer aufstellt.

    Es stimmt nicht, dass verheiratete Frauen länger leben als ledige. Es kommt ihnen nur länger vor.

    Die Frau ist die einzige Beute, die ihrem Jäger auflauert.

    Was haben Wolken und Männer gemeinsam? Wenn sie sich verziehen, kann es noch ein schöner Tag werden.

    Welches ist der schnellste Weg zum Herzen eines Mannes? Durch die Brust mit einem spitzen Messer.

    Was ist ein Mann zwischen zwei Frauen? Eine Bildungslücke.

    Er ruft zur Küche: Bring mal das Bier!
    Sie: Wie heißt das Wort mit den zwei „T“?
    Er: Aber flott.

    Warum kommen nur 10 % aller Männer in den Himmel?
    Wenn alle hinein kommen würden, wäre es ja die Hölle.

     

    Wie nennt man eine Frau, die weiß, wo ihr Mann jeden Abend ist? Eine Witwe.

    Bei Männern ist ein Gehirnschlag ein Schlag ins Leere.

    Der Singular von Lebensgefährte heißt Lebensgefahr.

    Der Reiche: Was denken Sie, wie viele Freunde ich habe? Bei meinem vielen Geld.

    Die Frauen, die den Besseren suchen, finden den Anderen.

    Wenn Männer nur Wasser trinken würden, müssten sie ja verrosten.

    Warum in die Ferne schweifen, sagte er sich. Sieh! Die Gute liegt so nah.

    Eines Nachts sah ich in der Ferne Lichter. Oh, dachte ich, ein Schiff, das mir vielleicht Rettung bringt. Ich ging an den Strand, wo gerade ein Bott mit mehreren Frauen an Bord einlief. Die waren bereit, mich zum Festland mitzunehmen. Nach kurzen Gedankenaustausch wurde mir klar, dass es auch bei den Frauen, genau wie bei den Männern, drei Gruppen gibt:  Die Schönen, die Intelligenten und die Mehrheit.

    Copyright Dr. Jürgen Rogge

  • Eine deutsche Entwicklung

    (19.5.2018)

     

    Als die Beamten
    sich auf Gesetze berufend
    mich ordnungsgemäß abholten
    sagten sie selbstsicher
    Unsere Erkundungen haben ergeben
    dass Sie in der nahen Zukunft
    höchstwahrscheinlich
    eine Straftat begehen werden
    Deshalb werden wir Sie vorbeugend
     in Gewahrsam nehmen
    bis Sie lückenlos
    unsere Vermutungen widerlegen

    ֎֎֎

  • Trichterwinde

    (19.5.2018)

     

    Letztes Jahr liebevoll
    deine Samen gesammelt
    schenkst du mir heute
    Freude und Flügel 

    Werde ich noch
    das Glück haben
    dich im nächsten Jahr
    wieder zu erleben

  • Ärzteschaft

    (6.5.2018)

     

    Den Ärzten in kapitalistischen Gesellschaften
    wird immer wieder vorgeworfen
    den Profit im Sinn zu haben
    Menschen und ihre Nöte
    als Waren zu betrachten
    und zu Handlangern großer Konzerne
    verkommen zu sein 

    Die Frage wird dabei selten gestellt
    wieso gerade diese Berufsgruppe
    gegen die Grundzüge des Systems
    vorgehen soll

    ֎֎֎

  • Rio Marina

    (6.5.2018)

     

    Das Wirkungsfeld der großen Lebenslügen
    und der gefräßigen Gleichgültigkeiten
    verlasse ich für eine Weile
    wandere auf dieser heilsamen Insel
    nehme die Vielfalt der Vergänglichkeit
    die Schönheit der Unvollkommenheit
    und den Reichtum der Einfachheit wahr 

    Gestärkt, gelassen
    bekämpfe ich wieder
    Lebenslügen und Gleichgültigkeiten