Month: Januar 2019

  • Du kehrst zurück

    (1975)

     

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Eines Tages kehrst du zurück.
    Du kommst zurück
    mit dem morgendlichen Wind der Berge,
    mit den Wellen der Meere,
    mit dem Frühling.
    Und ich warte sehnsüchtig. 

    Du bist ein Bote aus warmen Ländern und weißt,
    wie verzweifelt und traurig der Mensch durch die Kälte wird.
    Ich rede nicht von der Kälte des Wetters,
    ich meine die Kälte der Herzen.
    Du weißt, wie sehr ich,
    selbst voller Glut,
    verabscheue
    die Kälte der Reden,
    die im Ohr rauschen,
    den Frost der Herzen,
    deren Licht der Liebe erloschen ist. 

    In meinem Herzen
    sagt ein stiller Schrei immer und immer wieder,
    dass du wie ein leuchtender Funke,
    wie ein Stern aus der Ferne,
    umarmt von mitternächtlichen Kometen
    zurückkommst.
    Ich bin voller Hoffnung,
    dein Gesicht zu erblicken.

    ֎֎֎

  • Farbenfrohe Momente

    (1971)

     

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Ich brauche die Farben des Frühlings,
    die Farbe der Blumen,
    dieser reinen Geschenke des Paradieses,
    die Farbe der blauen Hyazinthe,
    die Farbe der gelben Narzisse,
    die rote Farbe der Anemone,
    die auf dem Feld gewachsen ist.
    die goldenen Tulpen,
    die violetten Jasminpflanzen,
    die Schattierungen der Wiesen mit ihren hundert Farben,
    die Farbe jener zärtlichen,
    an den Blumenblättern einen Saum tragenden Rose,
    die glänzenden, geliebten Farben des Frühlings.
    Ich brauche sogar jene Steinblume,
    die seit Jahrhunderten im Schoß des Gebirges blüht.
    Ich brauche den Farbkasten der Natur,
    die magische Farbe der Liebe,
    die Farbe des Fleißes und der Hoffnung,
    damit ich jedem Moment eine neue Farbe verleihe,
    die Nacht und den Tag nicht der Farblosigkeit überlasse,
    denn außer Schwarz und Weiß es gibt noch viele Farben.

    ֎֎֎

  • Wolke und Sonne

    (1978)

     

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Der Gang der Zeit
    nimmt jeden Moment eine neue Farbe an …
    Gestern war der Himmel bewölkt und weinerlich.
    Ich war traurig wegen der Tränen des Regens.
    Eine Weile später als ich aus dem Flugzeug sah,
    dass unter meinen Füßen die Wolke weinte
    und über meinem Kopf die Sonne lachte,
    fragte ich mich,
    weshalb ich kurzsichtig gewesen bin?
    Ich war betrübt.

    Wo habe ich eine ewig bleibende Wolke erblickt?
    Wenn wir den Kopf hoch halten,
    wenn wir den weiter entfernten Himmel betrachten,
    sind hinter der Dunkelheit der fliehenden Wolke
    die helle Sonne und das unendliche Universum.

    ֎֎֎

  • Hätte ich tausend Stifte

     

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Hätte ich tausend Stifte,
    tausend Federn,
    jede mit tausend Wundern,
    so würde ich jeden Tag tausend Mal
    ein Epos und ein Lied für die Freiheit schreiben. 

    Wäre ich der Engel des Aufstands und des Zorns,
    so würde ich schon tausend Jahre zuvor
    die Stille und das traurige Warten der Sklaven durchbrechen;
    ich würde in das Viertel der Sklavenhändler ziehen,
    für die Versklavten Lieder singen,
    damit die schönen Sklavinnen und die mutigen Sklaven
    gegen die Sklaverei, Sklavenhalter und Sklavenhändler
    sich in tausenden Aufständen zur Freiheit erheben,
    dass niemand eines Anderen Knecht werde,
    die Knechtschaft aus der Erinnerung der Menschheit verschwinde,
    und niemand nicht einmal der Freiheit zum Knecht werde. 

    Wenn ich tausend Zungen hätte – mächtige Zungen,
    fähig eine Botschaft ins Ziel zu tragen –
    so würde ich in allen Sprachen,
    die es weltweit gibt,
    den der Unterdrückung verfallenen Völkern sagen:
    Wenn ihr die Wurzeln der Knechtschaft mit dem Beil zerhackt,
    wird eure „Vergeltung“ die errungene Freiheit sein. 

    Schreibt mit Flammen auf meinen Grabstein,
    dass diese nach Freiheit Dürstende auf der Suche starb,
    und wie verliebt sie zur Begegnung mit der Sonne eilte,
    auf dass die rötliche Morgendämmerung der Freiheit aufblühe.
    Wenn ich nach tausend Jahren auferstehe,
    werde ich meiner Epoche den Freiheitsgruß entbieten. 

    Nach tausend Jahren werden andere Menschengenerationen,
    wenn sie auf Besuch
    von einem Stern zum anderen ziehen,
    aus den verbliebenen Wellen
    die Botschaft der Freiheit
    aus unserer stürmischen Epoche
    zu Gehör bekommen.

    ֎֎֎

  • Du fragst mich, woher ich stamme?

    (1962)

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Du fragst mich,
    woher ich stamme?
    Ich bin nicht sesshaft,
    und ziehe umher.
    Ich wurde erzogen durch Trauer und Schmerz.
    Betrachte die Weltkarte,
    mit einem Blick überquer die Ländergrenzen,
    zweifelsohne wirst du kein Land finden,
    in dem kein aus meiner Heimat Vertriebener lebt. 

    Ich bin der unruhige Geist des Schlafwandlers,
    in Nächten mit Mondschein,
    im Schlaf,
    wandere ich auf den unendlichen Felsen der Sehnsüchte.
    Mit der Frage,
    woher ich stamme,
    hast du mich aus diesem goldenen Traum geweckt.
    Ich bin vom hohen Dach der Sehnsüchte heruntergefallen
    und liege der Mauer der Wirklichkeit zu Füßen. 

    Du fragst mich,
    woher ich stamme?
    Ich komme aus dem Land des Reichtums und der Armut,
    von den grünen Hängen des Elburs-Gebirges (1),
    vom Ufer des prächtigen Zayanderud (2),
    und aus den alten Palästen von Persepolis. 

    Du fragst mich,
    woher ich stamme?
    Ich komme aus dem Land der Dichtung, der Liebe und der Sonne,
    aus dem Land des Kampfes, der Hoffnung und der Qual,
    aus den Schützengräben der Opfer der Revolution. 

    In durstigem Warten brennen meine Augen.
    Weißt du jetzt,
    woher ich stamme?

  • Die Erde grünt deinetwegen

    (1974)

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Die Erde grünt deinetwegen
    und der Garten ist deinetwegen voller Farben geworden.
    Vom wirren Singen der Vögel ist die Wiese voller Aufruhr.
    Wieso sitzt du still?
    Was betrübt dich?
    Jetzt, wo ein neuer Frühling aufblüht,
    pflückt die liebkosende Brise der Morgendämmerung Blüten
    und wirft sie dem Wiedehopf zu Füßen.
    Benimm dich wie junge Wesen,
    wie die Bäume voller neuer Triebe.
    Lebe froh, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
    Und schenke auch dem Nachbarn
    einen Ast dieser Blume,
    denn Schmerz und Trauer
    begleiten uns wie der Schatten … 

    Der Frühling hat mir den Fleiß zum Erneuern beigebracht.
    Wieso soll ich diesen Moment sinnlos verlieren,
    denn das Jetzt ist ein Tropfen des Flusses meines Lebens,
    und das verflossene Wasser wird in den Fluss nicht zurückkehren. 

    Wieso soll ich mit der Klinge der Traurigkeit den heutigen Tag enthaupten?
    Wieso soll ich diese Geschichte akzeptieren,
    dass das Leben erst am kommenden Tag ist?
    Denn die Ewigkeit fängt mit jedem Moment an …

    ֎֎֎

  • Die goldene Nachtigall

    (1968)

     

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Du, goldene Nachtigall,
    dich werde ich in meiner Dichtung,
    in den warmen Händen der Freunde,
    im Gesang des Lebens,
    in den Ländern des Frühlings,
    im Fleiß, der viele neue Triebe hervorbringt,
    in der unruhigen Nacht der Wartenden,
    beim Aufgang der ewigen Sonne,
    goldene Nachtigall,
    dich werde ich im Nest der Liebe finden,
    damit du meines Herzens Garten
    durch Licht und Gesang zum Blühen bringst.

    ֎֎֎

  • Die Hand der Liebe

    (1975)

     

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Wenn der Vogel nicht singt,
    das Wasser nicht tanzt,
    das Grüne nicht wächst,
    was wird die Erde machen? 

    Wie eintönig und armselig wird das Dasein sein,
    wenn die Liebe nicht lacht,
    die Hoffnung nicht leuchtet,
    wenn die Freude fehlt
    und gelegentlich der Schmerz. 

    Ich mache demjenigen Vorwürfe,
    der Trübsal bläst
    und wie der Winterschnee
    die Umgebung in die Kälte treibt
    überall, wo er sich hinsetzt. 

    Wie glanzvoll ist es,
    die Hand der Liebe zu küssen.
    Aber wie schmachvoll ist es,
    wenn ein Mensch die Hand der Macht küsst.
    Die Sonne und die Erde sind ineinander verliebt.
    Wenn deine und meine Hände,
    die wie grüne Zweige sind,
    sich warm vereinigen,
    werden sie tausende roter Blumen hervorbringen
    und tausende gelber Früchte.

    ֎֎֎

  • Die bessere Welt

    (1973)

     

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Wenn man mich fragt,
    was das Leben ist,
    werde ich sagen,
    stets auf der Suche sein,
    eine bessere Welt ersehnen … 

    Heute bin ich aufmerksamer denn je,
    in der Wachheit bin ich voller Gedanken,
    im Schlaf bin ich wach.
    Ich würdige die Zeit,
    ich liebe die Erde.
    Im Anblick eines jeden hellen Morgens werde ich so sehnsüchtig,
    als wäre dies mein erster Tag,
    als wäre dies mein letzter Tag.
    In dieser verzaubernden Aufruhr
    bin ich unruhig wie die Frühlingsvögel.
    Mich bedrückt das Heim,
    mich bedrücken sorglose Gedanken
    und auch papageienhafte, sinnlose Gespräche.
    Mich bedrücken die Tagesnachrichten,
    wenn sie sich mit dem blühenden Markt des Einen
    und dem kalten Krieg des Anderen beschäftigen
    und nicht mit dem Geheimnis des Aufblühens menschlicher Kräfte.
    Ich möchte einen offenen Raum,
    der wie der Himmel grenzenlos ist …
    und eine Welt,
    die von dem Menschen weder Tod noch Opfer verlangt.

    ֎֎֎

  • Ich bin kein Kanarienvogel

    (1970)

     

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Ich bin kein Kanarienvogel, der auf der Wiese singt.
    Wieso verlangst du von mir ein zärtliches Liebesgedicht?
    Frühlingswasserfälle strömen aus meinen Augen,
    da ich ein Berg bin.
    Jedes Wort meines Gedichtes setzt das Papier in Flammen.
    Ich bin das wutentbrannte Lied einer Gruppe,
    einer aufständischen Gruppe, müde vom Warten,
    mit offenen Augen und verbundenen Händen.
    Ihr Schmerz hat eine andere Farbe und einen anderen Klang … 

    Nicht einen Moment vernachlässige ich das Schicksal meiner Heimat,
    obwohl ich von ihr entfernt bin.
    Ich bin der Dichter der Epoche des Übergangs,
    der Poet einer Generation,
    die gegen Ungerechtigkeit und Niederträchtigkeit kämpft.
    Erachte mich als stumm,
    wenn meine Stimme kein Herz erreichen sollte.
    Mit tausend Augen betrachte ich die Welt,
    damit du nicht glaubst, ich bin blind.
    Ich bin der Dichter der schweren Zeit des Übergangs,
    der Zeuge einer Epoche,
    in der ein neues Zeitalter entsteht.

    ֎֎֎