Jahr: 2019

  • Selbstgespräch

     (17.8.2019)

     

    Sicher! Ich werde stets wiederkehren!
    Das versprach mir
    ein Teil meines Wesens
    mitten in alltäglichen aufrechten Anstrengungen
    für eine großherzige Lebensweise
    Immer wieder
    werde ich bei dir sein
    wie der wiederkehrende Frühling
    mit einem Korb duftender Gedankenblumen
    mit einer Glasschale glänzender Traumperlen
    Und dir werde ich schenken
    meines Herzens Augen
    zur gütigen Betrachtung der Gegebenheiten
    meines Verstandes Beine
    zum bedacht-bescheidenen Beschreiten des Lebensweges

    ֎֎֎

  • Auswahl aus den Wölländischen Sprüchen: VOLANDIANA – Aphorismen. Seemann Publishing 2018. ISBN 9781729323991

    1. Allgemein

    1.1.      Wahrheit ist der meistakzeptierte Irrtum. (1993)

    1.8.      Auch wenn du dir zwei Uhren kaufst, hast du nicht mehr Zeit.

    1.10.    Die Dummheit höret nimmer auf.

    1.12.    AUCH DER JÜNGSTE SOPRAN WIRD EINMAL ALT.

    1.15.    Der Mensch wird immer dümmer, trotz aller Symposiümmer.

    1.19.    Sigmund Freud entdeckte beim Menschen eine orale, anale und genitale Entwicklungsphase. Eine zerebrale entdeckte er nicht. (01.07.1992)

    1.125.  Manche Belletristik ist mehr trist als belle. (08.05.2013)

    1.138.  Geld ist Fiktion. Real ist nur das Geld, das man nicht hat.
    (lat. Aes ipsum fictio aes deens verum est.) (19.12.2013 0450)

    1.151.  Quidquid id est timeo Danaos maxime pecuniam petentes.
    (lat. Was es auch sei, ich fürchte die Griechen, besonders, wenn sie Geld fordern.) (23.03.2015)

    1.166.  Die beste Lösung nützt nichts, wenn das Problem unbekannt ist. (11.05.2015)

    1.175.  Nicht in jedem Dickkopf steckt ein grosses Hirn. (18.09.2015 Le Tréport F)

    1.191.  Es kommt darauf an, durch welche Brille man das Leben sieht. Es sollte nicht die Klobrille sein. (06.06.2017)

    1. Evolution

    2.6.      Das Wissen nimmt zu, nicht aber die Weisheit. (27.12.2017)

    2.7.      Nein, der Fortschritt ist keine Schnecke. Oder hast du schon einmal eine Schnecke mit Rückwärtsgang gesehen? (25.01.2018)

    1. Geschlechter

    3.67.    Jede Ehe wird geschieden: durch den Richter oder durch den Tod. (06.03.2012)

    3.88.    Aller Kriege Vater ist das Testosteron. (24.11.2016)

    3.95.    Nil vita sine voluptate. (lat. Ohne Lust kein Leben.) (20.06.2011)

    1. Paraloga und Sophismata (Παράλογα και σοφίσματα)

    4.11.    Jeder Augenblick deines Lebens ist in der Summe von den beiden Enden des Lebens zu 100 Prozent entfernt.
    (Wölländisches Aequisistenz-Axiom) (22.06.2016)

    4.13.    Die einzige richtige Ideologie ist diejenige, welche sagt: Alle Ideologien sind falsch.
    (Dez 2016)

    4.14.    Schwarzgeld besteht hauptsächlich aus Dunkelziffern. (03.04.2017)

    4.20.    Omnis aliter est – ego non. (lat. Jeder ist anders – nur ich nicht.) (08.05.2018)

    4.33.    Auch ein neues Brett macht den alten Kopf nicht besser. (26.10.2009)

    4.35.    Das Unangenehme an einem Gipfel ist, dass es nach allen Seiten bergab geht.
    (29.10.2009)

    4.36.    Fernsehen ist nicht dasselbe wie Weitblick. (24.01.2010)

    4.43.    Nemo umbra sua propria refrigeratur.
    (lat. Niemand wird durch eigenen Schatten gekühlt.) (15.09.2017 Plovdiv BG)

    1. Medizin

    5.1.      Medicamenta non prosunt nisi sumuntur tamen medicamentum non sumere interdum salubrior est.
    (lat. Medikamente helfen nicht, wenn sie nicht genommen werden, dennoch ist es manchmal heilsamer, ein Medikament nicht zu nehmen.) (20.6.2008)

    5.2.            Medicus nil promittit. (lat. Der Arzt verspricht nichts.) (20.6.2008)

    5.4.      Minum vinum nimia corporis exercitatio et nimis diu vivere insalubria reputari oportet.
    (lat. Zu wenig Alkohol, zu viel Sport und zu lange leben sind ungesund.)  (17.04.2016)

    5.9.      Der Arzt muss bei der Anamnese alles fragen – und darf nichts glauben. (05.03.2015)

    1. Volk und Staat

    6.8.      Kein Land der Welt ist so arm, dass nicht sein Präsident reich werden könnte.
    (11.02.2011)

    6.13.    Iustitia non caeca strabonem est. (lat. Iustitia ist nicht blind, sie schielt [opportunistisch].) (11/1998)

    6.15.    Gewaltenteilung: Die einen wissen, wie es geht, die anderen sagen, was gemacht wird.
    (06.03.2005)

    6.17.    Timeo praepotentes sese amantes cetera timentes.
    (lat. Ich fürchte die Machthaber. Sie lieben nur sich selbst und fürchten den Rest der Welt.) (12.08.2013)

    6.20.    Wer Terror mit Terror bekämpft, ist selbst ein Terrorist. (12.03.2017)

    6.25.    Wer mit Nonkonformisten konform geht, ist auch ein Konformist. (27.01.2018)

    6.35.    Nicht jeder missbraucht die Macht, aber jede Macht wird missbraucht.
    (12.12.2013)

    1. Volk und Staat

    7.1.      Kein Land der Welt ist so arm, dass nicht sein Präsident reich werden könnte.
    (11.02.2011)

    6.13.    Iustitia non caeca strabonem est. (lat. Iustitia ist nicht blind, sie schielt [opportunistisch].) (11/1998)

    6.15.    Gewaltenteilung: Die einen wissen, wie es geht, die anderen sagen, was gemacht wird.
    (06.03.2005)

    6.17.    Timeo praepotentes sese amantes cetera timentes.
    (lat. Ich fürchte die Machthaber. Sie lieben nur sich selbst und fürchten den Rest der Welt.) (12.08.2013)

    6.20.    Wer Terror mit Terror bekämpft, ist selbst ein Terrorist. (12.03.2017)

    6.25.    Wer mit Nonkonformisten konform geht, ist auch ein Konformist. (27.01.2018)

    6.35.    Nicht jeder missbraucht die Macht, aber jede Macht wird missbraucht.
    (12.12.2013)

    1. Rätselfragen
        • Kann man in einem menschenleeren Walde erschlagen werden?
          [1) NEIN, denn im menschenleeren Wald ist kein Mörder,
          2) NEIN, auch von einem Baum kann man nicht erschlagen werden, denn im menschenleeren Wald ist niemand, der erschlagen werden könnte, nicht einmal man selbst – der Wald wäre sonst nicht menschenleer.]
          (07.02.2005)
        • Wer lehrt andere, was er selber nicht weiss?
          [Der Tote auf dem Präpariersaal lehrt die Studenten die Anatomie.]
          (: Quis quod nescit alios docet? [Mortuus in theatro anatomico discipulos docet anatomiam.])
          (28.03.2018)
    2. Alterseinsichten

    8.3.            Besonders drückt die Last der Jahre nach einer Reihe Lasterjahre.

    8.8 Das Selbstbewusstsein durchläuft im Leben fünf Phasen:
    Zuerst weiss man nichts. Dann fragt man sich: Wer werde ich sein? Nach langer Zeit weiss man, wer man ist. Später erinnert man sich, wer man war. Zuletzt hat man es vergessen.
    (09.11.1998)

    8.11.          Fugit interea fugit irreparabile tempus et fugimus nos cum illo irreparabiliter.
    (lat. Inzwischen flieht sie, ja sie flieht, die unwiederbringliche Zeit, und wir fliehen mit ihr unwiederbringlich.) (05.02.2005)

    8.16           Iuventas nescit quod haberet. Senectus scit quod non haberet.
    (lat. Die Jugend weiss nicht, was sie hat, und das Alter weiss, was es nicht hat.) (05.10.2015)

    8.18.    Wer gesund sterben will, darf damit nicht zu lange warten.
    (12.11.2015)

    1. Küchenlatein

    9.5.      POTESTAS VOS NON IN BRACCAS.
    (Macht, euch, nicht, in, die Hosen)

    9.7.      POTESTAS VESTRUM LUTUM UNIVERSUM CLIVUS.
    (Macht, euren, Dreck, All, Lehne)

    9.11.    IS EGO LUDIFICATIO AGRI ERAT UNUS CREPITUS CUCULLUS ET NULLUS IACULUS PULVIS PRETIUM.
    (Er, ich, Hohn, Äcker, war, ein, Knall, Tüte, und, keinen, Schuss, Pulver, Wert)

    9.21.    ID IT AD NULLAM VACCAM CAEDIT.
    (das, geht, auf, keine, Kuh, haut)

  • Reigen

    Die wir einst umsorgt
    und grossgepäppelt über viele Jahre,
    die unsere Kräfte zehrten und mehrten,
    die heute noch durch unsere Träume purzeln
    herzerwärmend im Kindchenschema –
    sie sind jetzt grosse Leute in des Lebens Mitte,
    umtobt von der nächsten Generation.

    Der immer gleiche Reigen
    wird fort und fort getanzt,
    aber jeden Punkt im Ring
    erreichst du nur ein einziges Mal.

    (18.04.2017)

    Fuffsich

    Für meine Freundin Jabi, die sich schwer tut.
    (in Brannenburjisch)

    Jetz biste fuffsich,
    wat reechste uff dich?

    Vor sweehundert Jahr,
    bei den ollen Fritzen,
    – jloob mir, det is wahr –
    mussteste schon flitzen.

    Heute haste frei
    Jahre wie Prosente:
    fuffsich sin vorbei,
    fuffsich Dividende!

    Nu hab man keene Bange,
    lebst schon noch jans lange.

    Jetz biste fuffsich,
    wat reechste uff dich?

    Weeste, wie det kommt,
    dassde schon so alt bist?
    Det kommt immer promt,
    wenn det Lewen lang ist.

    Wärste früh jestorm,
    wärste ooch nich fuffsich,
    fräss dich jetz der Worm,
    man, det wäre schuftich!

    Nu hab man keene Bange,
    lebst schon noch jans lange.

    Jetz biste fuffsich,
    wat reechste uff dich?

    Willste lange leem,
    darfste nich erschlaffen.
    Da liecht det Problem:
    Willste achtsich schaffen,

    kommste nich vorbei
    anne fuffsich, weesste,
    nutzt ooch keen Jeschrei.
    Allet klar, vastehste?

    Nu hab man keene Bange,
    lebst schon noch jans lange.

    (22.10.1995)

    Physis und Metaphysis

    Es stehen auf schwankender Scholle
    all unsere Türme und Thesen,
    gewiss ist – es komme, was wolle –
    es wird anders als vorher gewesen.

    Atome zerfallen und Sterne,
    aus Staub werden neue Gestirne,
    der Kosmos, er strebt in die Ferne,
    den Gipfeln zerschmelzen die Firne.

    Ein jedes, das lebt, das muss sterben,
    vom Staube zum Staube bestimmt,
    und vorher das Leben vererben,
    das, was es benötigt, sich nimmt.

    Was Physis ist, ändert sich immer,
    Metáphysis einzig hält Stand,
    ihr ahnt es beim göttlichen Schimmer
    der Künste in jedem Gewand.

    Die Mathematik zum Exempel
    gehört zu den Künsten, den freien.
    Die Lehrsätze aus ihrem Tempel,
    sie haben die ewigen Weihen.

    Was droben ist sucht drum entschlossen,
    sofern ihr Vergänglichkeit fliehet.
    Der Segen wird dem ausgegossen,
    den füglich nach oben es ziehet.

    (11.07.2013)

    Sternenkunde

    Warum, fragt Wennemann,
    warum er sehen kann
    der Gestirne Funkeln
    einzig nur im Dunkeln.

    Aberach fragt: Hast
    du gehört, Kontrast
    erst lässt etwas erkennen
    und die Dinge trennen?

    Auf weisser Fahne kann
    man nicht sehen dann,
    nicht um keinen Preis,
    Adler, wenn sie weiss.

    Das Gute auch im Leben
    wird erst erkannt dann eben,
    wenn es uns erlösen
    will von allem Bösen.

    (21.01.2019)

    Vom Dasein zum Hiersein

    Herr Aberach besucht seit einem Jahr
    ein philosophisches Basis-Seminar.
    Er lernt dort, dass die Welt ganz allgemein
    geprägt sei durch ihr eigentliches Sein,

    ihr Sein an sich als solches, in Stringenz
    durch ihr Geworfensein zur Existenz,
    das Sosein ihr statt Nichtsein so verleiht
    und sie zum Dasein und zum Sinn befreit.

    Das Dasein sei der wesentliche Kern
    des Seienden per se, ob nah, ob fern.
    Der Aberach, der glaubt davon kein Wort.
    Ich selber würde, sagt er, auch mal dort,

    mal da sein, doch ganz wesentlich scheint mir,
    ich wäre, und zwar selber, jetzt und hier.
    Aus dem Gesagten folgert er mit List,
    dass wichtig für die Welt ihr Hiersein ist.

    Was nützt, denkt er, die Welt, die einmal da,
    dann wieder dort ist, aber mir nicht nah.
    Geworfen oder nicht geworfen, mir
    erscheint entscheidend nur, ich hab sie hier.

    (03.03.2013 0220 – 21.01.2019)

    Selbstbetrug

    Wennemann begibt sich auf die Reise
    und geniesst sie auch auf seine Weise,
    selbst wenn er manch Ärger und Verdruss
    hie und da schon mal ertragen muss.

    Im Gedächtnis dann in spätern Zeiten
    sieht er nur noch all die guten Seiten,
    und je öfter sich die Reise jährt,
    wird sie mehr und mehr und mehr verklärt.

    Ebenso verfahren bis anheute
    auf der Lebensbahn die meisten Leute:
    Um die Laune sich nicht zu verderben
    übersehen sie den Bruch und Scherben.

    Doch am Ende kranken ihre Seelen,
    weil Wahrhaftigkeit und Klarheit fehlen.
    Auf dem Teppich geht man nicht gediegen,
    wenn darunter die Probleme liegen.

    (26.09.2013)

    Wichtig

    Welcher Mensch ist wichtig,
    und welcher eher nichtig –
    das ist – wie ich sage –
    eine falsch gestellte Frage.

    Hie zum Beispiel Goethe,
    dort die kleine Kröte:
    Wichtig sind sie alle
    in dem einen oder andern Falle.

    Des Dichters grösste Knüller
    wären ohne Gretchen Müller
    längst nicht so bekannt
    und beliebt im ganzen Land.

    (15.02.1998)

    Der Kongress

    Hallo, auch schon da?
    … muss eben noch…
    Wir sehn uns später!

    In schnellem
    reigen fliegen sie
    vorbei vorträge wenige
    gute der anderen viele.

    Heute abend zeit?
    Leider nein
    ein workshop!

    Schon gepackt?
    Ja, muss weg – bis
    zum nächsten mal!

    Beinahe
    wären wir
    einander begegnet.

    (01.10.2000)

    Lupus

    Wenn doch der
    Mensch dem Menschen,
    wenn er ihm doch
    nur Wolf wäre!

    So aber
    ist er ihm Mensch.

    (10.08.2006)

    Konjunktiv

    Was da alles würde, wäre, sollte,
    wenn man endlich hätte, könnte, wollte,
    ist am Ende gar nicht auszuhalten,
    besser ist es drum, es bleib beim Alten.

    Denn es reicht auch schon von ungefähr,
    was beinahe nicht gewesen wär.
    Beinah wärest du nicht, der du bist,
    besser ist es drum, es bleibt wie’s ist.

    Beinah hätten wir den Krieg gewonnen,
    hätten wir ihn gar nicht erst begonnen.
    Wären wir nicht hier, wo wär‘n wir dann,
    oder wär‘n dann andre dran und wann?

    Tu ich, was ich keinesfalls sonst täte,
    beinah nicht, weil ich mich leicht verspäte,
    hätte ich es, wenn ich’s recht betracht‘,
    eigentlich am Ende nicht gemacht.

    Manches gibt es nicht, was möglich wäre,
    andres gibt es auf der Erdensphäre,
    was recht eigentlich unmöglich scheint,
    und sich hier im Konjunktiv vereint.

    (09.04.2010)

  • A PROMISE

     

     

    Once in the time of great drought, a peasant Xiang had no rice to nourish his family, and even no money to buy it. He went to the feud ruler of Wu ( who was also a river keeper) to borrow four sacks of rice.

    The feud ruler said: “Soon, I would collect my taxes from my subjects, and after I would loan to you 96 tóngbì (copper coins) to buy four sacks of rice.

     Would that suit to you?

    The exasperated Xiang told him the following story:

    – Yesterday, I visited, through the drought devastated, field of mine, and I heard a voice calling me. I looked around and saw the big carp lying in a dry.  “How did you get here?”, I asked.

    “The strong winds pushed me here. Do you have a barrel of water to save my life?”, muttered the carp under its breath.

    „We’ll do it“, I said. – “Soon, I will visit the ruler of Wu, and I will make sure, that he releases the water from the East River. Would that suit to you?”

    The carp was terribly bitter.

    „It’s not my environment, I am desperate and unable to breath « mumbled the carp. One barrel of water would save my life, and instead you give me only the promise. After it, you will find me at a fish market.

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Ein Versprechen

    Während der Zeit der großen Dürre hatte der Bauer Xiang keinen Reis, um seine Familie zu ernähren, er hatte nicht einmal Geld, welchen zu kaufen. Er ging zu dem Lehnsherrn von Wu, der auch Besitzer eines großen Flusses war, um vier Säcke Reis zu leihen.

    Der Lehnsherr sagte: „Bald werde ich die Steuern meiner Untertan eintreiben, und danach würde ich dir 96 Tongbi (Kupfermünzen) leihen, um vier Sack Reis zu kaufen. Wäre dir das so recht?“

    Der entnervte Xiang erzählte ihm die folgende  Geschichte.

    Gestern besuchte ich mein durch die Dürre verwüstetes Feld, und ich hörte, wie eine Stimme mich rief. Ich schaute umher und sah einen großen Karpfen auf dem Trockenen liegen.

    „Wie bist du hierher gekommen?“, fragte ich.

    „Ein starker Wind hat mich hierher geworfen. Hast du einen Eimer Wasser, um mein Leben zu retten?“, murmelte der Karpfen außer Atem.

    „Machen wir“, sagte ich. – „Bald gehe ich den Lehnsherr von Wu besuchen, und ich werde sicherstellen, dass er Wasser aus seinem East River fließen lässt. Wäre dir das recht?“

    Der Karpfen war schrecklich erbittert:

    „Ich bin nicht in meinem Element. Ich bin verzweifelt und kann nicht mehr atmen“, murmelte der Karpfen. „Ein Eimer Wasser würde mein Leben retten, und stattdessen gibst du mir nur ein Versprechen. Danach wirst du mich auf einem Fischmarkt finden.“

     

     

     

     

  • Neglect und Hemianopsie

    (25.7.2019)

     

    Bei manchen Gehirnerkrankungen
    ist die Wahrnehmung der Umgebung einseitig eingeschränkt
    oder das Gesichtsfeld ist bedeutend beeinträchtigt
    Für eine Störung der Sinne in unserer Gesellschaft
    sorgt ein Heer von Wissenschaftlern
    Psychologen, Politikern, Philosophen
    Künstlern, Journalisten
    und Geistlichen unterschiedlicher Schattierungen
    So kann der der Kapitalismus fortwähren

    ֎֎֎

  • Lehrer und Unterstützer

    (25.7.2019)

     

    Im alltäglichen Kampf gegen den Kapitalismus
    als eine Lebensweise im weitesten Sinne
    mit einer erbärmlichen Betrachtung des Daseins
    und einer verkümmerten Bedeutung der Liebe
    habe ich besondere Lehrer und Unterstützer:
    Das Storchenpaar auf der anderen Seite der Fulda
    in seinem Nest auf dem hohen Gestell
    die grauen Jungschwäne am Breitenbacher See
    die Fischreiher auf den Fuldawiesen
    die Obstbäume am Rande der Fahrradwege
    die Wiesen mit ihrer Blütenpracht
    die Kornfelder und Kleingärten
    Menschen, die ich therapeutisch begleite
    und Kinder mit ihren blühenden Phantasien

  •  

    Eine schwarz-weiße Katze Paula lebte in einer Villa am Königsforst. Meist lag sie auf einer Heizung, schnurrte vor sich hin und genoss die Wärme. Sie bewunderte die apart gekleidete Hausherrin, die sie immer mit Seidenhandschuhen streichelte. Sie empfand dies als besonderen Genuss, auch wenn es manchmal funkte. Sie beschloss, ebenso vornehm zu werden. Sie trabte zum Maulbeerbaum und sprach mit den Seidenraupen: „Könnt ihr mir ein zartes, fast durchsichtiges Seidenkleid und Seidenhandschuhe für die Vorderpfoten spinnen?“

    Die emsigen Seidenraupe unterbrachen ihre Arbeit und piepsten: „Wenn du uns vor den Vögeln bewahrst, die immer wieder einige von uns fressen, dann erfüllen wir deinen Wunsch.“

    So bewachte die Katze den Maulbeerbaum und fauchte die Vögel an, so dass sich diese sich nicht mehr in die Nähe des Baumes trauten. Innerhalb von nur 2 Tagen spannen die Seidenraupen ein der Katze passendes Cocktailkleid und so feste Handschuhe, dass die Krallen nicht durchkamen. So hatte die Katze seidenweiche Pfoten. Die Handschuhe reichten, wie bei einer Braut, weit über das Gelenk hinaus. Die Katze betrachtete sich im Spiegel und dachte: ‚jetzt benötige ich nur noch ein paar hübsche Schuhe und ein feines Hütchen.‘ Die Katze borgte sich aus der Haushaltskasse ihrer Herrin einige Münzen und stolzierte in den Puppenladen. Für kleines Geld bekam sie ein Paar weiße Schuhe und ein Hütchen mit einem bunten Kunstblumenkranz. Etwas unsicher stakste sie mit ihrem Seidenkleid und den neuen Schuhen aus dem Laden. Durch das Schwanken verschob sich das Hütchen über die Augen, so dass sie den Kopf nach hinten beugen musste, um etwas zu sehen. Da hörte sie das hässliche Lachen des Schäferhundes des Nachbarn, der sie schon mehrfach mit Gebell auf den Baum gejagt hatte.

    „Karneval ist doch erst in fünf Monaten“, gluckste er und begann zu grölen: „supergeile Zick….“

    Paula hielt den Hut mit einer Pfote fest und beschleunigte ihren Schritt, um schnell nach Hause zu kommen. Der Hund hüpfte hinter ihr her, sang weiter Karnevalslieder und schüttelte sich immer wieder vor Lachen. Paula war froh, als die Haustür hinter ihr zuschlug. Als die Hausherrin Paula sah, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und rief: „Wer hat dich denn so zugerichtet?“

    Als Paula sie mit großen Augen ansah, begann sie zu lachen und kam erst zur Ruhe, als ihr die Luft weg blieb. Sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen und fragte: „wie willst du in diesem Aufzug die Mäuse fangen, die sich wieder auf dem Dachboden eingenistet haben?“

    Stolz wie Paula war, stieg sie mit Hut, Kleid, Handschuhen und Stiefelchen auf den Dachboden und versuchte, die Mäuse zu jagen. Als dies misslang, da sie sie ohne Krallen die Mäuse nicht halten konnte, legte sie die Kleidung ab.

    Ein wenig traurig sprang sie später auf die Heizung, legte den Kopf auf die Pfoten, schnurrte und genoss die Wärme. Sie tröstete sich, es sei besser nützlich als vornehm zu sein.

  •  

    Hubert wurde in den Sessel gepresst, als sich die Landeeinheit vom interstellaren Raumschiff löste,

    in dem er die letzten sieben Monate zugebracht hatte. Es war eine Zeit mit Höhen und Tiefen. Er vermisste nun doch seine Familie, was er in der Trainingsphase nicht geglaubt hatte. Es war sein Jugendtraum, der erste Mensch auf dem Mars zu sein. Diesen hatte er sich jetzt erfüllt. indem er sich von einem internationalen Konsortium in den Raum hatte schießen lassen. Professor Unsicher, der Leiter der Mission war froh, einen Kandidaten gefunden zu haben, der das Risiko einging, alleine zum Mars zu reisen. Bei der Einführung in die Technik des Raumtransporters und des Landemoduls erklärte er stolz:

    „Ich habe für Sie den besten Computer aller Zeiten für die Reise bereitgestellt. Jouf-M wird sie begleiten und unterstützen. Mit seiner künstlichen Intelligenz und seinen redundanten Systemen, kann er sich auf alle Situationen einstellen und er ist mit allen Daten gefüttert, die für eine solche Mission erforderlich sind.“

    Dennoch konnte es sein, dass, wenn etwas schief lief, Hubert nie wieder auf die Erde zurückkehren konnte. Aber daran wollte er nicht denken. Er glaubte an die Perfektion der Organisation U-Space Experiences, die diese bei mehreren Weltraummissionen bewiesen hatte. In den Bereich der Landezone auf dem Mars, in der nach allen wissenschaftlichen Befunden gefrorenes Wasser im Untergrund zu erwarten war, hatten sie in mehreren vorausgegangenen Missionen Material deponiert, das eine vorübergehendes Überleben ermöglichen sollte, bis eine eventuell notwendige Rettungsmission möglich geworden wäre.

    „Hubert, du siehst besorgt aus,“ meldete sich Jouf-M, der Computer mit sanfter aber emotionsloser Stimme. Hubert hatte während der langen Reise Freundschaft mit dem KI-Rechner geschlossen.

    Hubert blickte durch das Fenster der Landefähre auf die karge Stein- und Sandlandschaft, die sich mit großer Geschwindigkeit näherte. „Wir bewegen uns zunehmend auf die Landezone zu, aber ich kann das Material nicht sehen. Stimmen die Koordinaten?“

    „Meine Berechnungen ergeben, dass wir uns direkt dem Zielgebiet nähern,“ antwortete Jouf-M gleichmütig.“

    Hubert schwieg die nächsten Minuten, obwohl ihn der Zweifel beunruhigte. Plötzlich gab es einen Ruck und Landefähre schien bremsen.

    „Was war das, Jouf-M?“

    „Ich habe entsprechend den Höhenmessungen die Bremsfallschirme ausgelöst!“ hauchte Jouf-M.

    Hubert blickte verwundert auf die Instrumente: „Die Bremswirkung ist wieder Erwarten groß. Ist die Dichte der Atmosphäre in dieser Region höher, in den übrigen Bereiche des Mars?“

    Nach kurzem Zögern referierte Jouf-M: „Die Messröhrchen ergeben eine Zusammensetzung CO² 0,05 %, Argon weniger als ein Prozent und O² ca. 19%.“

    Hubert riss die Augen auf und runzelte die Stirn: „Nach meiner Erinnerung müssten es mindestens 94% CO² und ca. 0,14% O² sein. Was ist da los?“

    Aus dem Lautsprecher des Computer kam ein undefinierbares Rauschen. Jouf-M sprach monoton: „ich prüfe, ob die Sicherheitslücken im Hauptprozessor gehackt wurden und zu Störungen der Berechnungen geführt haben. Ich zünde jetzt die Bremsraketen.“

    Hubert verspürte erneut einen Ruck. Dann landete die Fähre sanft auf sandigem Boden. Die Landschaft war karg mit rötlichen Felsbergen am Horizont. Die untergehende Sonne ließ die Atmosphäre rötlich aufleuchten.

    „Was ist nun Jouf-M?“ Hubert war ungeduldig, da er aussteigen und die Umgebung prüfen wollte. Er hatte den Helm des Raumanzuges in der Hand, um ihn aufsetzen zu können. Ohne Sauerstoffflasche und Schutz durch den Raumdruckanzug gegen die Staubstürme und den niedrigen Luftdruck konnte man sich auf dem unwirtlichen Mars nicht bewegen.

    Jouf-M meldete sich gleichmütig: „Die Sicherheitslücken sind in zwei von sechzehn Quadprozessoren gehackt worden und ein Fremdprogramm hat Einfluss auf die Berechnungen genommen. Die gute Nachricht ist die Atmosphärenmessungen stimmen, aber die Koordinaten nicht.“

    „Lässt sich das Problem lösen?“ Hubert fühlte sich etwas mulmig.

    „Ich zerstöre das Fremdprogramm und berechne neu,“ teilte Jouf-M gleichmütig mit.

    Da es nun völlig dunkel geworden war, beschloss Hubert bis zum Morgen im Schutz der Landefähre zu warten, zumal es nachts auf dem Mars bis zu -85° C kalt werden konnte.  Die Tages Temperaturen von bis zu 20° C waren eher auszuhalten. Beim Einschlafen träumte er, wie er aus dem zuvor abgeworfenen Material das Schutzzelt aufbauen würde. Er hatte dies im U-SE Raumzentrum auf der Erde hunderte Male geübt. Die Landefähre konnte noch maximal zweimal zum Raumfahrzeug aufsteigen. Dieses hatte noch Treibstoff für eine Rückreise über die kürzeste Entfernung zwischen Mars und Erde. Dies war frühestens in etwa eineinhalb Jahren möglich. Also es musste alles klappen.

    Er schlief unruhig und wacht auf als es dämmerte. Er wunderte sich, das er bisher von Jouf-M nichts mehr gehört hatte. War der Computer abgestürzt, gerade jetzt in dieser kritischen Phase?

    „Jouf-M gibt es etwas Neues?“ In diesem Moment bemerkte er eine Bewegung außerhalb der Landefähre. Auf dem Mars gab es doch kein Leben! Begann er zu halluzinieren?

    Tatsächlich fuhr ein Geländewagen eine Staubwand aufwirbelnd auf die Landefähre zu. – Er war auf der Erde gelandet!

  • Nachkriegszeit – Was uns geprägt hat

     

    Nachkriegshunger, Rock‘n Roll
    Kartoffelsack gefunden, toll
    fremde Panzer, Lederhose
    Selbstbewusstsein gegen Null
    Man macht, man tut, die ganze Schose
    Nazideutschland, Sündenpfuhl
    betrifft uns nicht, zusammenhalten
    Untaten wir – nie! Das war‘n die Alten
    Kohle hab ich dir geklaut, verzeih
    Angst vor Mangel, Krieg und Polizei
    Lehrer prügeln, Hosenboden
    Für die Heizung Wälder roden
    Kindergarten Ringelreihen
    Taufe feiern, Kleider leihen
    sich in Suppenschlangen reihen
    muss den Sonntagsanzug schonen
    Spiel um Pfennige mit Bohnen
    Hüpfen auf den Gehwegplatten
    werfe Steine nach den Ratten
    Massenflucht kommt aus dem Osten
    leben hier auf unsre Kosten
    Flüchtling sein, das war ein Makel
    doch der Krieg war das Debakel
    Die Gesellschaft vaterlos
    Frauenleistung, grandios
    Mauerbau und Kuba-Krise
    Kalter Krieg war die Devise
    Wirtschaftswunder ließ vergessen
    Man konnte wieder richtig essen
    Die Gesellschaft aber blieb noch starr
    mit Schichten, Naziresten, sehr bizarr
    Die Studenten mit wirren Gedanken
    Begannen über Demokratie zu zanken
    Ist Kommunismus besser mit Ho-Chi-Minh
    Kommune oder Mao alles Widersinn?
    Gegen Kapital demonstriert und für Vietnam
    Gegen Reza Palavi kam‘s zum Melodram
    Die RAF begann zu morden
    Gewissensprüfung aller Orten
    Beatles, Stones, die Popmusik
    Stehblues, Röcke kurz und dusselig
    Diskoabende laut und anschmiegsam
    Im Lärm und Alkohol jedoch einsam
    Dann war das Studium zu Ende
    Fixiert im Kopf die Meinungsbände
    All das was uns geprägt
    uns heute emotional bewegt

  •  

    Der junge Fähnrich István Krazňai dient in der Leibgarde der Kaiserin Maria Theresia in Wien und sieht während eines Kontrollgangs, wie sich ein Frauenzimmer in lebhaftem Gespräch aus dem Fenster beugt. Das runde Hinterteil wölbt sich ihm verlockend entgegen, er kann nicht widerstehen und haut kräftig drauf. Die Gestalt fährt herum und  – o Schreck! – es ist die Kaiserin. Er bricht ins Knie und stammelt: „Majestät, wenn Ihr Herz ebenso hart ist wie Ihr Hintern, dann bin ich ein verlorener Mann.“  Aber sie: „So verloren sehen Sie mir gar nicht aus…kommen Sie doch mal…“. Von Stund‘ an tritt er in „innere Dienste“…

    Einem On dit zu Folge hatte Maria Theresia 16 Kinder von 18 Männern. Sie vergaß keinen von ihnen, die Geschichte geht weiter. Im Alter von etwa 60 Jahren, was damals wirklich alt war, ruft sie alle ihre Liebhaber zusammen. Sie trägt ein kostbares Gewand, das mit 18 Knöpfen aus Brillantsplittern besetzt ist. Im Nu öffnet sie alle Knöpfe, lässt ihr Kleid fallen und jeder der anwesenden Männer erhält einen Knopf. Sie tragen ihn in einem Ring am Finger und haben damit jeder Zeit Zutritt zur Kaiserin.

    Krazňai ist bis dahin nur Vítéz, ein frei Geborener, für dessen Unterhalt und Waffen die Königin sorgt (bekanntlich ist sie ja in Ungarn nicht Kaiserin sondern Königin, K. und K.). Jetzt beschenkt sie ihn mit einem namhaften Anwesen, das ihr – mit Verlaub – gar nicht gehört, im Niemandsland, gyepű, zwischen der Österreich-Ungarischen Monarchie und dem Kiewer Großherzogtum (Russland). Dazu erhält der Vitéz noch einen endlos langen gräflichen Namen, nach der Kraszna, einem Nebenflüsschen der Theiss, und einer gleichnamigen Burg auf einer höchst unzugänglichen Bergspitze. So aber lautet der Name: „Vitéz alsó-krasznai és felső-krasznai továbbá kraszna-horkai krasznai KRASZNAY“. Davon ist nach dem Sieg des Sozialismus nur noch ein schlichtes „Krasznai“ übrig.

    Selbst wenn die Geschichte erfunden wäre, hätte sie ihren Charme.

    Aber es gibt diese Knöpfe! Der jetzige Eigentümer Petúr Krasznai hat den seinen noch einmal neu und solide fassen lassen. Eines Tages hält er sich in einem überfüllten Warschauer Bus an der oberen Haltestange fest und neben seiner Hand mit dem funkelnden Ring wird die Stange von einer weiteren männlichen Hand, die ebenfalls mit einem Maria-Theresien-Ring geschmückt ist, umklammert. „Dann sind wir wohl verschwägert???!“

    Der Ring wird gewöhnlich an den ältesten Krasznai-Sohn weitergegeben. Petúr hat für seinen Knopf eine weit bedeutsamere zukünftige Verwendung gefunden, nämlich in einer Knopfsammlung, möglicherweise in einem Knopf-Museum, einer Initiative unserer Nichte, einer promovierten Juristin.

     

    Dr.med. Dr.phil. Waltrud Wamser-Krasznai

    Vereidigte Burgschreiberin „von und zu“ Kraszna-Horka