Monat: Juni 2020

  •     Der Anblick eines vorgewölbten Augapfels/Bulbus bei antiken Figuren (Abb. 1) lässt engagierte Mediziner*innen  an das Symptom des Exophthalmus denken. Da den vielen in gleicher Weise gestalteten Augen bei archaischen Statuen gewiss keine krankhafte Bedeutung zukommt, wollen wir in entsprechenden Fällen die pathologisch stigmatisierte Bezeichnung Exophthalmus lieber in Gänsefüßchen setzen. Unter einer Ptosis verstehen wir bekanntlich ein auffallend weit herunter gezogenes Oberlid, das als Merkmal bei antiken Statuen[1] ebenfalls keinen Krankheitswert besitzt und daher mit  Anführungszeichen versehen werden soll.   

                

     Abb. 1: Der Kuros vom Heiligen Tor, Athen, ca. 620-600 v. Chr.,      
                                          Aufnahme der Verfasserin

        Ein Glanzlicht der Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts   auf dem Athener Kerameikos war 2002 der „Kuros vom Heiligen Tor“ (Abb. 1)[2], der wegen seiner engen Vergleichbarkeit mit dem 1916 aufgefundenen Dipylon-Kopf[3] dem sog. Dipylon-Meister zugeschrieben worden ist. Beide Köpfe zeichnen sich durch eine gleichartige Haar-Teilung  über der hohen Stirn sowie durch große vorgewölbte, von schmalen scharfkantigen Lidern eingefasste Augäpfel aus. Während sich das Oberlid über eine sanfte Mulde mit der Augenbraue verbindet, setzt sich das Unterlid deutlich von der Wangenpartie ab.

        Der ‚Exophthalmus‘ ist in archaischer Zeit ein Merkmal beider Geschlechter. Fragt man sich, warum die Künstler dieser Epoche die Augenpartie ihrer Statuen derart von der Natur abweichen ließen, so denkt man an das sog. archaische Lächeln (Abb. 2), das ähnliche Fragen aufwirft. Wir sehen darin ein Mittel zur Belebung der Gesichter bei Personen, die im Begriff sind, den Dialog mit dem Betrachter aufzunehmen[4].

     Abb. 2: Attische Kore, Altes Museum Berlin, gegen 600 v. Chr.,  
                                              Aufnahme der Verfasserin

        Möglicherweise ist diese Annahme auch auf die riesigen vorgewölbten Augen zu übertragen.

        Spätestens in der Frühklassik verliert sich das Merkmal des vorgewölbten  Bulbus, der nun allmählich in die Augenhöhle zurücktritt[5].

    Am Übergang von der römischen Republik in die Kaiserzeit begegnet bei einzelnen Porträts des Octavian/Augustus[6] sowie bei denen der Livia und deren Sohn Tiberius ein mäßiger ‚Exophthalmus‘. Die Bildnisse von Mutter und Sohn sind darüber hinaus durch eine große Distanz zwischen den Augen und eine breite Stirn miteinander verbunden[7].   

        Der Blick aus den Augen antoninischer und severischer Zeit wird bald als melancholisch verschleiert, bald als besonders intensiv beschrieben[8]; eine Fundgrube für die Ikono-Diagnostik!

        Die Bildnisse der Faustina maior, Gattin des Antoninus Pius, sind meist durch große, etwas hervorquellende Augen gekennzeichnet, die von schweren Oberlidern beinahe zur Hälfte bedeckt werden [9].

                  Abb. 3: Porträt aus der Zeit der Faustina maior, 140-150 n. Chr.

                                           Nach: Fless 2006, 175 Abb. 471

        Private Porträts nähern sich den kaiserlichen Bildnissen an (Abb. 3), sowohl in der Haartracht als auch in der Physiognomie[10]. ‚Exophthalmus‘  und ‚Ptosis‘ der  älteren Faustina werden noch übertroffen von denen ihrer Tochter, Faustina minor [11].

                         Abb. 4: Faustina minor. Nach Hafner 1993, 118 Abb. b.

        Eines von den 12 Kindern der jüngeren Faustina ist der spätere Kaiser Commodus, dem sie die vorquellenden Augen vererbt habe[12]. Es wurde auch vermutet, dass Mutter und Sohn an der Basedow’schen Krankheit gelitten hätten. Wegen dessen „Halsleidens“ nämlich[13] habe Faustina den berühmten kaiserlichen Leibarzt Galen konsultiert. Dieser schreibt dazu: Von meiner Behandlung des Commodus wird erzählt, sie sei äußerst bemerkenswert, aber sie ist alles andere als das. Der Knabe hatte eine schwere Mandelentzündung und wurde nach konsequenter Applikation einer Mischung aus Honig und Rosenwasser wieder gesund[14]. Im Übrigen sollten wir uns vor einer diesbezüglichen retrospektiven Pathographie hüten, denn die Ptosis gehört nicht zu den Symptomen der Merseburger Trias[15]; vielmehr ist der Basedow-Exophthalmus mit einer weiten Lidspalte und einer Retraktion des Oberlids[16] vergesellschaftet.

        Schon die Jugendbildnisse des Commodus sind durch vorquellende Augäpfel und weit herabhängende Oberlider bestimmt (Abb. 5).                                        

                  Abb. 5: Der junge Commodus (Regierungszeit 180-191 n. Chr.) 

                          Nach: Bianchi Bandinelli 1970, 282. 293 Abb. 329

    Die ungewöhnliche Augenpartie war offenbar so charakteristisch, dass sie für die Gestaltung aller fünf  Bildnistypen einschließlich der berühmten Halbfigur des Kaisers als Hercules[17] übernommen wurde.  

       Die vier Porträts seines Vorgängers und Vaters geben den Kaiser Marc Aurel (Regierungszeit von 161-180 n. Chr.) ebenfalls mit stark hervortretenden Augen wieder; die besonders enge Lidspalte dagegen scheint auf die beiden späteren Bildnistypen beschränkt zu sein[18].

                            Abb. 6: Marc Aurel, Rom, Kapitolinische Museen

                                        Nach Bergmann 21988, 17 Abb. B.

        Damit weisen vier Mitglieder einer Familie einen vorquellenden Bulbus, ‚Exophthalmus‘ und ein mehr oder weniger hängendes Oberlid[19], ‚Ptosis‘, auf (Abb. 3-6): Faustina maior (=die Ältere, Gattin des Kaisers Antoninus Pius), Faustina minor (=die Jüngere, beider Tochter, Gattin Marc Aurels), Kaiser Marc Aurel (Adoptivsohn des Antoninus Pius), Kaiser Commodus (Sohn der Faustina minor und – wahrscheinlich – des Marc Aurel). Der Vorbehalt basiert auf Gerüchten vom ausschweifenden Lebenswandel der jüngeren Faustina[20]. Allerdings ähnelt die Augenpartie des Commodus – bei aller sonstigen physiognomischen Verschiedenheit – der Augendarstellung des jugendlichen  Marc Aurel[21].  

    Nach der Ermordung des Commodus und einem turbulenten Mehr-Kaiser-Jahr  führen die Severer formal und inhaltlich die antoninische Tradition fort[22]. Julia Domna, die Gattin des Kaisers Septimius Severus (Regierungszeit 193-211 n. Chr.) stammt aus Syrien und wurde als Tochter einer angesehenen Familie mit erblichem Priesteramt geboren. Ihre Porträts weisen einen ausgeprägten ‚Exophthalmus‘ und dickliche Lider[23] auf (Abb. 7), doch sind ihre Augen im Gegensatz zur ‚Ptosis‘ des Marc Aurel z. b. im 4. Bildnistypus (Liebieghaus – Capitol[24]) weit geöffnet.

                          Abb. 7: Julia Domna (160-217 n. Chr.) Athen, Agora

                                             Nach Harrison 1960, Abb. 23

        Ihre  Perückenfrisur ist unverkennbar, doch lässt das Nackenhaar vermuten, dass die Umarbeitung von einem Damen-Porträt antoninischer Zeit in eines der  severischen keine allzu großen Probleme aufwarf[25].

        Was nun die häufige Darstellung des ‚Exophthalmus‘ und der ‚Ptosis‘ in der antoninisch-severischen Epoche betrifft, so können wir einerseits von einem verbreiteten zeitspezifischen ‚Schönheitsideal‘ ausgehen – dafür spricht schon die Übernahme von Merkmalen kaiserlicher Bildnisse in das Privatporträt[26] – andererseits von einem „gewissen realistischen Hintergrund in der Physiognomie“[27](Faustina minor – Commodus, Marc Aurel – Commodus, Abb. 4-6 und Bergmann 21988, 23 Abb. 26. Dazu in augustäischer Zeit: Livia – Tiberius, s. o. Anm. 7)

        Exkurs zum „Annette von Droste-Hülshoff-Syndrom“:

    Diese Bezeichnung ist bei aller Plastizität wenig gebräuchlich. Der Essener  Ophthalmologe Prof. Dr. G. R. E. Meyer-Schwickerath hat sie Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts geprägt. Er erkannte bei der Dichterin ein „echtes psycho-physisches Syndrom…in dessen Mittelpunkt die Frühgeburt, der Augenschaden und die ungewöhnliche Intelligenz gehören“. Der „Augenschaden“ habe in einer hochgradigen Myopie von 10-15 Dioptrien mit dem zugehörigen myopischen Schein- Exophthalmus und einem Pseudostrabismus divergens bestanden[28].    

    Als eigentliche Bedrohung und Limitierung ihres Lebens galt die Tuberkulose[29], auch wenn diese Diagnose nicht ausdrücklich gestellt wurde. Von ihrem jüngeren Bruder Ferdinand dagegen heißt es, er sei an der Schwindsucht gestorben. Während seiner letzten Lebensmonate hatte die Droste ihn hingebungsvoll gepflegt und war nach seinem Tod selbst so schwer erkrankt, dass ihre Schwester Jenny um ihr Leben fürchtete. In Briefen erwähnt die Dichterin häufig Krankheiten und Empfindlichkeiten, sehr heftige Kopfschmerzen…dass ich meine Geisteskräfte der Zerrüttung nahe glaubte[30]Die kalte Kellerluft der Kirchen ist etwas Entsetzliches für Gesichtsschmerzenmein bekannter Äquinoktialhusten, …Fieber und Beklemmung und dabei halbtot husten…  Fieber… mutterseelen allein…fiebernd und würgend, …wenn ich gerade im Fieberschweiß lag…als ich so elend aus dem Wagen stieg und..ohnmächtig wurde…die inneren Krämpfe…ich fühlte mich sehr krank, glaubte nicht an Besserung und wollte bei den Meinigen sterben…meine Nerven in einem Zustande der Überreizung…ungeheuer schwach…meine Phantasie arbeitet nur zu sehr…Gott, dürfte ich jetzt schreiben, d. h. diktieren, wie leicht würde es mir werden[31].

    Den Ärzten bringt die Droste weniger Vertrauen entgegen als ihrem homöopathisch orientierten Therapeuten. Dieser hält Symptome penibel in einem Krankenblatt fest: Sehr bedeutende Abmagerung mit Hinschwinden der Kräfte; verdächtige Röte auf den eingefallenen Wangen; beständige Stiche in der linken Seite, fortwährende Brustbeklemmung wie von

    zusammengeschnürtem Brustkasten, dabei große Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit hinsichtlich der Genesung[32].

    All das ist wenig spezifisch, keine Rede von Blutsturz oder Bluthusten. Selbst wenn sie bisweilen davon überzeugt gewesen sein sollte, „sich bei der Pflege

    ihres Bruders an der Schwindsucht angesteckt zu haben“[33], so zögert sie nicht, sich von Geschichten zu distanzieren, deren Heldin eine solche zarte, überspannte Zehrungsperson ist… Ich wollte neulich eine Novelle schreiben und hatte den Plan schon ganz fertig. Meine Heldin trug schon zu Anfang der Geschichte den Tod und die Schwindsucht in sich und löschte so nach und nach aus. Dies ist eine gute Art, die Leute tot zu kriegen, ohne dass sie brauchen den Hals zu brechen oder an unglücklicher Liebe umzukommen.

    Sie gibt den Plan auf, nachdem sie vier gleichartig tragische Geschichten aus der Leihbibliothek hat lesen müssen[34]. Nun schließen derartige Betrachtungen der Droste eine entsprechende Krankheit nicht aus, sind aber geeignet, alle  retrospektiven Diagnostiker zu einer gewissen Vorsicht anzuhalten. Exophthalmus und Pseudo-Strabismus divergens hingegen lassen sich an wenigstens sieben Annette-Porträts erkennen[35]

                            Abb. 8: Nach einem Porträt von J. J. Sprick, 1838

                                          Gemeinfreie Datei Wikimedia

    Abgekürzt zitierte Literatur und Abbildungsnachweis:

    Andreae 1989: B. Andreae, Die Kunst des alten Rom (Freiburg – Basel – Wien 1989)

    Alexandridis 2004: A. Alexandridis, Die Frauen des römischen Kaiserhauses (Mainz 2004)   

    Bergmann 21988: M. Bergmann, Marc Aurel, Liebieghaus Monographie 2 (Frankfurt am Main 21988)     Abb. 6

    B. Beuys, Blamieren mag ich mich nicht. Das Leben der Annette von Droste-Hülshoff  (München 2002)

     Bianchi Bandinelli 1970: R. Bianchi Bandinelli, Rom. Das Zentrum der Macht (München 1970)     Abb. 5

    Fittschen – Zanker 1983: K. Fittschen – P. Zanker, Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom III  (Mainz 1983)

    Fittschen – Zanker 1985: K. Fittschen – P. Zanker, Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom I (Mainz 1985)

    Fless 2006: F. Fless – K. Moede – K. Stemmer (Hrsg), Schau mir in die Augen…Das antike Porträt. Abguss-Sammlung (Berlin 2006)     Abb. 3

    Hafner 1993: G. Hafner, Bildlexikon antiker Personen (Zürich 1993)    Abb. 4

    Harrison 1960: E. B. Harrison, Ancient Portraits from the Athenian Agora (Princeton 1960)     Abb. 7

    Johansen 1994: F. Johansen, Greece in the Archaic Period. Ny Carlsberg Glyptotek (Copenhagen 1994)

    Johansen 1995: F. Johansen, Roman Portraits II (Copenhagen 1995)

    Martini 1990: W. Martini, Die archaische Plastik der Griechen (Darmstadt 1990)

    Meyer-Schwickerath 1984: G. Meyer-Schwickerath, Das Annette von Droste-Hülshoff-Syndrom, Klin. Mbl. Augenheilk. 184, 1984, 574-577

    Niemeier 2002: W.-D. Niemeier, Der Kuros vom heiligen Tor (Mainz 2002)

    Pasinli 21992: A. Pasinli, Archäologische Museen Istanbuls (Istanbul 21992)

    Richter 1988: G. M. A. Richter, Kouroi (New York 1988 Reprint 31970)

    Wamser-Krasznai 2012/13: W. Wamser-Krasznai, „Wär ich ein Mann doch mindestens nur…“ Aus Leben und Dichtung der Annette von Droste.Hülshoff, in: Auf schmalem Pfad (Budapest 2012/13) 39- 54 

    Zschietzschmann 1968: W. Zschietzschmann (Hrsg. H. Busch – G. Edelmann), Römische Kunst (Frankfurt am Main 1968)


    [1] Männliche Exemplare: Kopf Rayet, Kopenhagen; Kuros aus Anavyssos, beide Martini 1990, 80 f. 84 Abb. 21. 24; Kuros von Volomandra, Kopf Istanbul, Richter 1988 Kouroi, 80 f. 110 Abb. 208. 369 f.; Weibliche Exemplare: Kopf Milet, Berlin, Richter 1988 Korai 59 Abb. 293-295; Kore vom Siphnier-Schatzhaus ebenda 66 f. Abb. 320; Peploskore, ebenda 72 f. Abb. 351 f. und Abb. 355-357; Nike von Delos, LIMC VI, 853 Nr. 16 Taf. 559

    [2] Niemeier 2002, 5. 40-44 Abb. 51 f.

    [3] Niemeier 2002, 46 Abb. 57-59; Richter 1988, 46 f. Abb. 50-53.

    [4] Martini 1990, 85.

    [5] z. B. Die griechische Klassik. Idee oder Wirklichkeit (Berlin – Bonn 2002) 212. 219 . 223. 235-239 jeweils mit Abb.

    [6] Fless 2006, 116 Abb. 293. 121 Abb. 310.

    [7] Livia z. B. Alexandridis 2004, 115 Nr. 1. 2 Taf. 3. 123 f. Nr. 21 Taf. 7, 1; Tiberius z. B. Fless 2006, 123 f. Abb. 316-318.  

    [8] Hafner 1993, 180 f. Bergmann 21988, 3.

    [9] Fittschen – Zanker 1983, 13-20 Taf. 17-23.

    [10] Alexandridis 2004, 113.

    [11] Vor allem beim 7. und 8. Bildnistyp, Fittschen – Zanker 1983, 21-23 Taf. 27-31; Johansen, Porträt II, 207 Abb. 84.

    [12] Fittschen – Zanker 1985, 82.

    [13] Hafner 1993, 118.

    [14] V. Nutton, Galeni De Praecognitione  (Berlin 1979) 131. Hinweise dazu verdanke ich dem Medizinhistoriker Prof. Dr. K. D. Fischer, Mainz.

    [15] Merseburger Trias: Struma, Tachykardie und Exophthalmus mit Retraktion des Oberlides. Dagegen ist die Ptosis mit einer verengten Pupille, Miosis, und einem in die Augenhöhle gesunkenen Bulbus, Enophthalmus, verbunden. Horner-Syndrom, Symptom einer Stellatum-Blockade.

    [16] Hoch gezogenes Oberlid.

    [17] Bildnis im 5. (letzten) Typus, Fittschen – Zanker 1985, 85-90 Taf. 91. 92, 78; Zschietzschmann 1968, 132 f.

    [18] Fittschen – Zanker 1985, 74; Bergmann 21988, 24-27 Abb. 26. 28. 32. 34-38; „schmale Augen“ eines   überlebensgroßen Porträtkopfes aus Kalkstein, Kaiserzeitliche Porträts in Aquincum (Budapest 1999) 16 f.   

    [19] Hängender Blick, Alexandridis 2004, 71.

    [20] Hafner 1993, 118.

    [21] Bergmann 21988, 23 f. Abb. 26. 28; A. Demandt, Marc Aurel: der Kaiser und seine Welt (München 2019) 64 Abb. 2 Typ 1. 2; Fittschen – Zanker 1985, 74 Nr. 61. 62. Taf. 72 f. Eine „deutliche Familienphysiognomie“, Alexandridis 2004, 71; ihre [der Faustina minor] „vorquellende Augen, die sie…auch dem Commodus vererbte“ Hafner 1993, 118; „Typenmerkmale…stark vorquellende Augen, die durch die weit herabhängenden Oberlider den auch für Faustina minor so charakteristischen verschleierten Blick erhalten haben“, Fittschen – Zanker 1985, 82; „das vorquellende Auge, das schwere Lid und die runde Braue identifizieren ihn [Commodus] als Sohn des Marc Aurel“, Fless 2006, 139 Abb. 362.

    [22] Alexandridis 2004, 71.

    [23] Weitere Beispiele: Alexandridis 2004, 199. 201 Nr. 217. 222 Taf. 49 f. Fless 2006, 181 Abb. 489.

    [24] Anders Bergmann 21988, 26: „die Augen groß, weit geöffnet“ Abb. 34. 37.

    [25] Alexandridis 2004, 205 f. Nr. 233 Taf. 60, 3.

    [26] Vgl. z. B. ein Jünglingsporträt nach Marc Aurel, Fless 2006, 163 Abb. 434 oder Nachahmungen der Faustina minor-Bildnisse, Fittschen – Zanker 1983, 79 Nr. 104 Taf. 131; 82 Nr. 111 Taf. 138 f.

    [27] Bergmann 21988, 22.

    [28] Im Klinischen Mitteilungsblatt für Augenheilkunde fälschlich „divergenz“ an Stelle des korrekten Adjektivs „divergens“, Meyer-Schwickerath 1984, 574-577.   

    [29] H. Eggart, Um die Krankheit der Annette von Droste-Hülshoff, Fortschr. Med. 30, 1933, 679; W. K. Fränkel, War die Krankheit der Annette von Droste-Hülshoff eine Tuberkulose? Med. Welt 25, 1933, 285-287; M. Terhechte, Das Krankheitsschicksal der Annette von Droste-Hülshoff, Droste-Jahrbuch 1959, 129-136; Wamser-Krasznai 2012/13, 44 f.

    [30] An Anna von Haxthausen, um 1820/21, in: H. Scheer (Hrsg.), Annette von Droste-Hülshoff. Spiegelbild und Doppellicht (Darmstadt 1983) 80. 

    [31] R. Schneider (Hrsg.), Annette von Droste- Hülshoff, Gesammelte Werke (Vaduz 1948) Briefe 328-333.  

    [32] Beys 2002, 232.

    [33] Beys 2002, 230.

    [34] An Anna von Haxthausen, Hülshoff, den 4ten Febr. 1819, in: H. Scheer (Hrsg.), Annette von Droste-Hülshoff. Spiegelbild und Doppellicht (Darmstadt 1983) 70.

    [35] Droste, Bilder aus ihrem Leben (Stuttgart 71974)  Bild auf dem Umschlag sowie Nr.  10. 17.24. 40. 50.

  • Perhaps, after reading the following story, some of your fears will disappear. Our story narrates of one calm, smiling teacher with unassuming behavior, in his fifties. The curious disciples asked him in what manner he had reached that level of inner peace. The teacher smiled and explained: “By my twenties I wasn’t concerned at all, and completely unaware what others think about me or the way they judge me.           

    After my twenties, I started to worry constantly about the way the people think about me.

    And then, one day, after my fiftieth birthday, I realized that the people are indifferent towards me, and almost never ever even think about me.

    Dr. med. André Simon © Copyright

    Credits: The flower of lotus was photographed by Dr. Dietrich Weller, who has agreed to illustrate this story. The author is grateful for this permission.

  • Kämpferische Weisheit!

    (14.6.2020)

    Gefügige Gestalten
    werden planvoll geformt
    sich als selbständig erachtende Marionetten
    keiner Gegenrede mächtig
    auch bei augenscheinlichen Verbrechen
    gehorsame Wesen
    ohne tiefgreifende Gedankengänge
    treue Charakter
    auch bei offensichtlichen Gräueltaten

    Gefügige Gestalten
    werden planvoll geformt
    ohne nötige Geschichtskenntnisse
    ohne vereinendes Einfühlvermögen
    ohne Sinn für Gemeinschaft
    ohne Verbundenheit mit der Erde

    Geht diese grauenvolle Rechnung
    der weltweit tätigen Machthaber
    ohne größeren Widerstand auf?
    Die Antwort steckt in dir.

    ֎֎֎

  •   Bike Ride

    Life journey is like a confident bike ride,
    with a pedaling always forward.
    It is impossible to pedal backwards,
    and review or revise the lost life chances.
    However, if you stop pedaling,
    you lose your equilibrium and fall.


    Dr.med.André Simon © Copyright

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Fahrradtour

    Das Leben ist wie eine vertraute Fahrradtour,
    bei der man die Pedale vorwärts bewegt.
    Es ist unmöglich, rückwärts zu treten
    und verpasste Gelegenheiten des  Lebens
    zu überprüfen oder rückgängig zu machen.
    Aber wenn du aufhörst, die in Pedale zu treten,
    verlierst du dein Gleichgewicht und fällst.

  • Die Fuldawiesen

    (30.5.2020)

    Parallel zum Fahrradweg
    breitet sich ein Meer aus
    am Horizont umschlungen
    von Wäldern und Hügeln
    Es spricht mit mir
    kraftvoll dunkelgrün
    ermutigend pistaziengrün
    liebevoll gelb und grün verwebt
    Ab und an grüßen Farbflecken funkelnd
    wie gelbe, weiße, tiefrote, blaue Boote
    Greifvögel hier und da auf der Jagd
    Kühe gemächlich bei ihren Kälbern
    Stuten stolz neben ihren Fohlen
    Ich lasse die Stadt hinter mir
    und mit ihr die Menschen

    In dieser bewegenden Zeit
    haben augenscheinlich zahlreiche
    bis gestern als Gelehrte geltende Größen
    das einfache Alphabet
    erbärmlich verlernt
    und basale Maßstäbe
    verräterisch vergessen
    Nun laufen sie aufgeschreckt-zerstreut
    in einem breit angelegten Irrgarten
    Eine Wüste bedrückender Befindlichkeiten
    ein Sumpf berstender Fehden
    erschlagen den weiten Blick
    ersticken die ganzheitliche Betrachtung
    Die Machenschaften der Machthaber
    zeigen ihre fatalen Früchte
    Die Jahrzehnte lang
    bedacht beschränkt gehaltene Allgemeinbildung
    die gigantische Beeinflussung der Sinne
    die breite Entwurzelung der Menschen
    gebären nicht unerwartet
    grobes Gebaren

    Auf dem Rückweg nach Hause
    genieße ich das sanfte farbenfrohe Meer
    sauge seine Weisheiten auf
    beherzige seine Botschaften
    bereinige meine Wahrnehmung
    gestalte geordnet meine Gedanken
    und betrachte den beträchtlichen Gegenwind
    mit einem Lächeln im Herzen

    ֎֎֎

  • Nach Entwürfen zur Lesung „Eigene Gedanken und Taten“, Moderation H. Ganz, beim Kongress des Bundesverbandes Deutscher Schriftsteller-Ärzte, Stralsund 2020 (wegen Corona Pandemie vertagt)

    Zur eigenen Tat gibt es keine Alternative, wenn eine Sache, die mich selbst betrifft und mir nahe geht, getan werden muss. Auch wenn die Idee zu einer Tat auf fremdem Mist gewachsen ist, so kann mir niemand sonst etwas abnehmen, was ich nun einmal auf mich nehmen muss. Ich bin einem anderen Menschenkind nahe getreten und habe mich jetzt zu entschuldigen – da  kann ich doch keinen anderen schicken, der die Sache für mich erledigt?

    Wie war das mit der „Bürgschaft“? Damon hatte sich zum Tyrannen geschlichen, den Dolch im Gewande. Das soll er nun am Kreuze bereuen. Zum Sterben ist er bereit, doch will er vorher noch seine Schwester unter die Haube bringen. Der Freund bleibt als Bürge zurück in Syrakus. Dramatische Tage voller Hindernisse vergehen, bis der Todgeweihte wieder vor dem Despoten erscheinen kann, um sein Wort einzulösen. Auch hier gilt: Wenn man zum Tode verurteilt ist, muss man den eigenen Kopf auf den Richtblock legen, nicht wahr? Wir wissen, dass die Sache gut ausgeht. 

    Ich soll auf einen Knopf drücken und einen elektrischen Impuls auslösen, der ein menschliches Wesen, das ich nicht sehen, aber hören kann, vor Schmerzen schreien lässt. Ich drücke, es schreit. Bin ich jetzt ein Täter? Natürlich. Ist derjenige, der mir das angeschafft hat, ein Täter? Selbstverständlich. Ein Schreibtischtäter. Begeht er eine weniger gravierende Tat? Das hätten wir gern. Die Milgram-Studie ist bekannt und berüchtigt, doch wir wissen alle, dass es weit schlimmere Experimente gibt.   

    Und nun gar eigene Gedanken! Wo es doch so viele kluge Aussprüche gibt, hinter denen man sich verstecken kann. Selbst denken – vielleicht ein kleines bisschen reflektieren, zum Beispiel über Corona und kein Ende? 

    Sind wir nicht eine Schafherde, die den Gehorsam auf die Spitze treibt? Die Kneipen haben unter Auflagen wieder geöffnet. Man sollte meinen, dass sich jetzt lange Schlangen bilden, um endlich ein anständiges Schnitzel zu essen, ein Osso buco beim Italiener, Rinderleber beim Kroaten, Schweinelendchen mit Metaxa-Soße beim Griechen und zwar am Ort, damit die Gastwirt*innen wenigstens an den Getränken etwas verdienen. Man sollte meinen, die Telefone der Restaurants seien ständig besetzt, weil sich die Anmeldungen nur so häufen. Weit gefehlt.

    Es ist vielmehr so: Man kann sich unter den auf Abstand reduzierten leeren Tischen einen Lieblingsplatz aussuchen, wird nach Strich und Faden verwöhnt und zahlt, von Ausnahmen abgesehen, nicht mehr als sonst.  

    Wir sind erschrockene, eingeschüchterte Lämmer und trauen uns nicht. Punkt. Dabei haben die Vorsichtsmaßnahmen ihren Sinn und werden von einsichtigen Leuten akzeptiert. Schon gibt es die ersten Rückschläge in Form erneuter Schließungen, weil sich angeblich ganze Gruppen in den Armen gelegen und abgeküsst haben. Müssen wir das eigentlich – küssen und umarmen um jeden Preis? Und auch gleich noch dieses allgemeine Corona- Geduze, wo unsere  angelsächsischen Vorbilder doch auch das „Sie“ nicht kennen!  

    Gestern bin ich eine Strecke mit der Regionalbahn gefahren. Dort ist Abstand halten sogar bei dem derzeit geringen Personenaufkommen kaum möglich. Alle hatten ihre Mund-Nasen-Klappen an. Zwei schwarze Männer brüllten sich gegenseitig in einer mir unbekannten Sprache an, ich glaube weil einer seine Nase nicht mit bedeckt hatte. Ein einziges deutsches Wort verirrte sich dazwischen, bezeichnender Weise ein hässliches, das mit Sch… beginnt und   noch immer keinen Eingang in mein Vokabular gefunden hat. Immerhin wurden die beiden Kontrahenten nicht tätlich.  

    Meine Friseurin hat wieder ganze Arbeit geleistet, die Buchläden sind geöffnet, in den Bibliotheken funktioniert die Ausleihe. Aber was, wenn bestimmte Bücher nur im Lesesaal benutzt werden dürfen? Auf diese Frage waren die freundlichen technischen Angestellten nicht gefasst, sie murmelten etwas von Ausnahmen …  Aber jetzt können wir hoffen: Vom 2. Juni an wird es wieder  Leseplätze geben! Bis dahin muss ich altes Frauenzimmer mit meinem zwiespältigen Verhältnis zur digitalen Welt frei schwebend zwischen den Regalen herumturnen, in der einen Hand den Laptop, in der anderen einen Folianten, denn noch darf man sich nirgendwo hinsetzen. Dabei bin ich  privilegierte Eigentümerin vieler Bücher und habe zu Hause einen guten Arbeitsplatz.  

    Es zu Hause gut haben – das kann eine namhafte Zahl von Kindern nicht von sich sagen. Niemand unterstützt sie in ihrem Lerneifer oder sorgt für Anregungen. Düsteren Prognosen zufolge müssen sie mit einem Rückstand von mindestens zwei Halbjahren rechnen. Derartige Probleme – häusliche Gewalt ist noch gar nicht berücksichtigt – sind nicht auf die Vor- und Grundschulstufen beschränkt. Auch von den Studierenden werden nur die besonders hellen, entschlossenen, ehrgeizigen und Internet-tauglichen ohne Zeitverlust durch die Krise kommen.

    Sind wir nicht schon genügend verdummt? Nehmt einem Volk seine Sprache, und der Effekt wird größer und dauerhafter sein als die Annexion seines Terrains  – so ähnlich äußerte sich 1943 Winston Churchill (Robert Phillipson, Linguistic Imperialism Continued, New York – London 2009, 114). Die nicht nur vom damaligen britischen Premierminister vorgeschlagenen Maßnahmen, nicht anstelle sondern neben der Eroberung der Territorien, sind längst umgesetzt und werden durch fortwährende Infiltration erfolgreich vertieft. Schlimmer, wir sind es selbst, die in vorauseilendem Gehorsam und weil wir von uns selbst nicht besonders viel halten, unsere eigene Sprache, unsere eigene Musik aufgegeben haben. ‚Musik‘ besteht jetzt aus gesundheitsschädlichem Krach, allen Arten von Körperwerbung, glitzernden Farben, gleißenden Lichteffekten und englisch-amerikanischem Gegröle. Man nehme einen albernen Text, übersetze ihn ins Englische und schon bricht frenetischer Jubel aus. Eine Melodie ist nicht erforderlich, eher störend; allenfalls darf etwas Rhythmus sein.

    Wo bleibt – so fragen Sie jetzt – das obligatorische Eingeständnis meiner eigenen Schuld an dieser Situation? Hier ist es: Mea Culpa (natürlich im Rahmen des Kollektivs).

    Noch einmal zurück zu den Privilegien. Dazu gehört auch, dass ich mir diesen infernalischen Krach, genannt Musik, nicht anhören muss. Außerdem hatte ich 13 Jahre lang einen Schulweg von fünf Minuten und einen Vater, den wir schon beim Mittagessen sprechen und fragen konnten. Eine meiner Freundinnen wohnte im hohen Vogelsberg. Das über 22 km Luftlinie entfernte Gymnasium war nur auf Landstraßen 4. Ordnung zu erreichen. Der Bus fuhr nachmittags nicht bis hinauf. Für den zweiten Teil des Heimwegs konnte sie auf eine Mitfahrgelegenheit auf einem Leiterwagen oder einem Milchfuhrwerk hoffen. Der Ort für die Hausaufgaben war die väterliche Gastwirtschaft. Kam ein Gast, so unterbrach die Tochter ihre mathematischen Studien und zapfte ein Bier. Sie war natürlich fleißig und klug, dazu eine begabte Schauspielerin, die in manchen Schüler-Aufführungen brillierte. Dann ist sie Lehrerin geworden und hat später ihren Mann, einen Pfarrer, tatkräftig in der Gemeindearbeit unterstützt. Jetzt steht sie allein einer problematischen Familie aus vier Generationen vor; alle Fäden laufen bei ihr zusammen. In ihrem Leben wie in ihrer anrührenden Autobiographie hat der christliche Glaube einen hohen Stellenwert.

    Und wir? Was wollen, können, sollten wir tun? Weiterhin ein bisschen schreiben vielleicht!