Autor: Amir Mortasawi Dr. med.

  • Und ich zerbrach und lief und fiel

     

    Ein Gedicht von Sohrab Sepehri (1928 – 1980) aus dem Buch „Der Osten der Schwermut“; erste Erscheinung 1961
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

    Deinen Klängen öffnete ich die Türen.
    Jeden Teil meines Blickes warf ich irgendwo hin,
    das Leben füllte ich mit dem Blick.
    Am Rande eines Sumpfes
    sah ich ein Stück deines Lächelns im Schlamm,
    ich fing an zu beten.
    Am Stiel eines Dornbusches
    war deine Erinnerung verborgen,
    ich pflückte sie
    und streute sie in die Welt.
    Auf den Saiten der Bäume
    spielte ich das Lied des Aus-sich-Hinauswachsens
    und des In-sich-Entwickelns.

    Und ich pflügte die harmonische Nacht des Betens,
    streute den Samen des Geheimnisses
    und zerbrach den Haken der Täuschung.
    Und ich lief bis zum Nichts
    und lief bis zum Antlitz des Todes,
    bis zum Kern des Bewusstseins.
    Und ich fiel auf die Felsen des Schmerzes.

    Von dem Tau deiner Begegnung wurde mein Finger feucht,
    ich zitterte.
    Eine Brise war am Überqueren eines Berghanges,
    einen Schritt ging ich mit ihr.
    Am Ende der Finsternis
    sah ich ein Stück einer Sonne,
    verzehrte es,
    und verließ mich
    und war frei.

    ۞۞۞

     

  • Und eine Botschaft unterwegs

     

    Ein Gedicht von Sohrab Sepehri (1928 – 1980) aus dem Buch „Der grüne Raum“; erste Erscheinung 1967
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

     

    ۞۞۞

    Eines Tages
    werde ich kommen und eine Botschaft mitbringen.
    Das Licht werde ich in die Adern gießen.
    Und werde ausrufen: Ihr mit Körben voller Träume!
    Ich habe Äpfel gebracht, den roten Apfel der Sonne!
    Ich werde kommen, dem Bettler werde ich einen Jasminzweig geben.
    Der schönen leprakranken Frau
    werde ich einen weiteren Ohrring schenken.
    Dem Blinden werde ich erzählen, wie sehenswürdig der Garten ist.
    Ich werde fliegender Händler,
    werde durch die Gassen gehen,
    werde ausrufen: Tau, Tau, Tau.
    Ein Passant wird sagen:
    der Aufrichtigkeit halber, es ist eine dunkle Nacht,
    ihm werde ich die Milchstraße geben.
    Auf der Brücke ist ein Mädchen ohne Bein,
    ihr werde ich den Großen Bären am Himmelzelt um den Hals hängen.
    Sämtliche Beschimpfungen werde ich auf den Lippen beseitigen.
    Sämtliche Mauern werde ich abreißen.
    Den Räubern werde ich sagen:
    Eine Karawane kam, beladen mit Lächeln!
    Die Wolke werde ich zerreißen.
    Ich werde zusammenknoten
    die Augen mit der Sonne,
    die Herzen mit der Liebe,
    die Schatten mit dem Wasser,
    die Äste mit dem Wind.
    Und ich werde miteinander verbinden
    den Traum des Kindes mit dem Summen der Grillen.
    Drachen werde ich in die Luft steigen lassen.
    Blumentöpfe werde ich gießen.
    Ich werde kommen,
    den Pferden, den Rindern
    werde ich das grüne Gras der Zärtlichkeit hinlegen.
    Einer durstigen Stute
    werde ich den Eimer mit Tauwasser hinstellen.
    Einem alten Esel unterwegs
    werde ich die Fliegen wegschlagen.
    Ich werde kommen und auf jede Mauer
    eine Nelke pflanzen.

    Unter jedem Fenster werde ich ein Gedicht singen.
    Jeder Krähe werde ich eine Tanne geben.
    Der Schlange werde ich sagen,
    welche Pracht der Frosch hat.
    Ich werde versöhnen.
    Ich werde bekannt machen.
    Ich werde schreiten.

    ۞۞۞

     

  • Hinter den Meeren

     

    Ein Gedicht von Sohrab Sepehri (1928 – 1980) aus dem Buch „Der grüne Raum“; erste Erscheinung 1967
    Auszugsweise Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

     

    ۞۞۞

    Ich werde ein Boot bauen
    und zu Wasser lassen.
    Von diesem fremden Land werde ich mich entfernen,
    in dem es keinen Menschen gibt,
    der in der Lichtung der Liebe die Helden weckt.
    Das Boot ohne Netz
    und das Herz ohne Wunsch nach Perlen
    werde ich weiterhin fahren.
    Ich werde mich weder in die blauen Farben
    noch in die Meeresfeen verlieben,
    die ihren Kopf aus dem Wasser herausstrecken….

    Hinter den Meeren ist eine Stadt,
    in der die Fenster zum Licht der Erkenntnis geöffnet sind.
    Und die Dächer sind der Aufenthaltsort von Tauben,
    die das Aufsteigen der menschlichen Intelligenz beobachten.
    In der Hand jedes zehnjährigen Kindes dieser Stadt
    ist ein Ast der Einsicht.
    Die Stadtbewohner betrachten eine Feldbegrenzung genau so
    wie eine Flamme, wie einen zarten Traum.
    Die Erde hört die Musik deines Gefühls,
    und der Klang der Flügel der mythischen Vögel kommt mit dem Wind.
    Hinter den Meeren ist eine Stadt,
    in der die Weite der Sonne
    dem Blickwinkel  der Frühaufsteher entspricht.
    Die Dichter sind dort der Erbe von Wasser, Weisheit und Licht.
    Hinter den Meeren ist eine Stadt!
    Man muss ein Boot bauen.

    ۞۞۞

     

  • Der Tod der Farbe

    Ein Gedicht von Sohrab Sepehri (1928 – 1980) aus dem gleichnamigen Buch; erste Erscheinung 1951
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

     

    ۞۞۞

    Eine Farbe ist am Rande der Nacht
    wortlos verstorben.
    Ein schwarzer Vogel ist über ferne Wege gekommen
    und besingt von Daches Höhe die Nacht der Niederlage.
    Siegesbetrunken ist gekommen
    der Vogel, der die Trauer anbetet.

    In dieser Niederlage der Farbe
    ist  jegliches Liedes auseinandergerissen.
    Einzig die Stimme des tapferen Vogels
    verziert das Ohr der einfachen Stille
    mit dem Ohrschmuck des Widerhalls.

    Der schwarze Vogel, über ferne Wege gekommen,
    hat sich auf das hohe Dach der Nacht der Niederlage gesetzt
    wie ein Stein, regungslos.
    Den Blick hat er
    über die vernebelten Gestalten in seiner Phantasie gleiten lassen.
    Ein seltsamer Traum quält ihn:
    die Blumen der Farbe sind im Boden der Nacht aufgegangen.

    Auf den Straßen des Wohlgeruchs
    ist die Brise verstummt.
    Jederzeit eine Täuschung im Sinne
    zeichnet etwas mit seinem Schnabel
    dieser Vogel, der die Trauer anbetet.
    Eine Fessel ist gerissen.
    Ein Schlaf ist zerbrochen.
    Der Traum des Landes
    hat die Legende vom Aufblühen der Blumen der Farbe
    vergessen.
    Still muss man die Windung dieses Weges passieren:
    eine Farbe ist am Rande dieser grenzenlosen Nacht verstorben.

    ۞۞۞

     

  • Der Ruf des Anfangs

     

    Ein Gedicht von Sohrab Sepehri (1928 – 1980) aus dem Buch „Der Reisende“; erste Erscheinung 1967
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

     

    ۞۞۞

    Wo sind meine Schuhe,
    wer hat gerufen: Sohrab?
    Die Stimme war bekannt,
    so wie die Luft den Körper des Blattes kennt.
    Meine Mutter schläft,
    Manouchehr und Parvaneh und vielleicht alle Menschen der Stadt schlafen (1).
    Die Nacht im Monat Khordad (2) geht seicht wie ein Klagelied
    über die Köpfe der Sekunden hinweg.
    Und eine kühle Brise fegt meinen Schlaf vom Rande der Decke weg.
    Der Duft des Verreisens ist in der Luft:
    mein Kissen ist voller Gesang der Schwalben.
    Der Morgen wird ankommen
    und in diese Wasserschüssel
    wird der Himmel verreisen.

    Heute Abend muss ich gehen.
    Ich, der durch das am weitesten geöffnete Fenster
    mit den Menschen dieser Region sprach,
    hörte kein Wort über die Eigenschaften der Zeit.
    Kein Auge betrachtete verliebt die Erde.
    Keiner wurde durch das Erblicken eines Beetes angezogen.
    Keiner nahm einen kleinen Häher auf einem Feld ernst.
    Wie eine Wolke werde ich traurig,
    wenn ich durch das Fenster sehe, dass Houri (3),
    die erwachsene Tochter des Nachbarn,
    am Fuße der seltensten Ulme der Welt
    islamisches Recht liest.

    Es gibt auch Gegebenheiten,
    Augenblicke voller Erhabenheit.
    Ich sah zum Beispiel eine Dichterin,
    die so sehr mit dem Betrachten des Universums beschäftigt war,
    dass der Himmel in ihre Augen Eier legte.
    Und einer Nacht der Nächte
    fragte mich ein Mann,
    wie viel Stunden würde es dauern
    bis zum Aufgang der Weintraube.

    Heute Abend muss ich gehen.
    Heute Abend muss ich den Koffer nehmen,
    der für das Hemd meiner Einsamkeit gerade Platz hat,
    und in die Richtung gehen,
    wo die epischen Bäume sichtbar sind,
    jenem weiten Land ohne Worte entgegen,
    das ständig nach mir ruft.
    Jemand hat wieder gerufen: Sohrab!
    Wo sind meine Schuhe? 

    ۞۞۞

    Erläuterungen:

    (1) Hier sind die Schwester des Dichters, Parvaneh, und sein Bruder, Manouchehr, gemeint.

    (2) Khordad ist der Name des dritten Monats im iranischen Sonnenjahr und dauert von 22. Mai bis 21. Juni.

    (3) Houri ist ein Mädchenname und bedeutet Huri oder Paradiesjungfrau.

     

     

  • Der Klang des Ganges des Wassers

    Ein Gedicht von Sohrab Sepehri (1928 – 1980); erschienen im Jahr 1965
    Auszugsweise Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

     

    ۞۞۞

    den stillen Nächten meiner Mutter gewidmet

     

    Ich stamme von Kashan.
    Mir geht es nicht schlecht.
    Ich habe ein Stück Brot,
    ein bisschen Intelligenz
    und eine Nadelspitze Geschmack.
    Ich habe eine Mutter,
    besser als das Blatt des Baumes.
    Freunde, besser als das fließende Wasser.

    Und ich habe einen Gott, der hier in der Nähe ist:
    zwischen den Levkojen,
    am Fuß jener hohen Tanne,
    in dem Bewusstsein des Wassers,
    in dem Gesetz der Pflanze.

    Ich bin ein Moslem.
    Beim Beten beuge ich mich in Richtung einer Rose.
    Mein Gebetstuch ist eine Wasserquelle,
    mein Gebetsstein das Licht,
    mein Gebetsteppich die Ebene.
    Mit dem Pulsschlag der Fenster
    nehme ich meine religiöse Körperwaschung vor.
    In meinem Gebet bewegt sich der Mond,
    fließt das Lichtspektrum.
    Hinter meinem Beten ist der Stein sichtbar:
    alle Teilchen meines Betens sind zu Kristallen geworden.
    Ich bete dann,
    wenn der Wind zum Gebet aufgerufen hat
    auf dem Wipfel der Zypresse.

    Ich habe Sachen auf dieser Erde gesehen:
    Ich sah ein Kind,
    das an dem Mond schnupperte.
    Ich sah einen Käfig ohne Tür,
    die Helligkeit flatterte in ihm herum.
    Ich sah eine Leiter,
    die Liebe stieg auf sie zum Dach des Himmels.
    Ich sah eine Frau,
    die das Licht in einer Reibeschale zerrieb.
    Zum Mittag war Brot auf ihrer Essensdecke
    das Grüne,
    der Teller mit Tau,
    die heiße Schüssel der Liebe.
    Ich sah einen Bettler,
    der ging von Tür zu Tür
    und verlangte nach dem Gesang der Lerche.

    Ich stamme von Kashan, aber
    Kashan ist nicht meine Stadt.
    Meine Stadt ist abhanden gekommen.
    Ich habe kraftvoll, fieberhaft
    auf der anderen Seite der Nacht ein Haus gebaut.

    In diesem Haus bin ich der feuchten Anonymität des Grases nah.
    Ich höre das Atemgeräusch des Beetes
    und die Stimme der Dunkelheit,
    wenn sie von einem Blatt herunterfällt,
    und das Geräusch des Hustens der Helligkeit hinter dem Baum,
    das Niesen des Wassers aus einer Öffnung des Steines,
    das Klopfen der Schwalbe am Dach des Frühlings.
    Und den klaren Klang des Auf- und Zugehens des Fensters der Einsamkeit.
    Und den reinen Klang der verborgenen Häutung der Liebe,
    das Sich-Zusammenballen der Neigung zum Fliegen in dem Flügel,
    und die Entstehung von Rissen in der Selbstbeherrschung des Geistes.
    Ich höre den Klang des Ganges des Verlangens .

    Ich bin dem Anfang der Erde nah.
    Ich fühle den Puls der Blumen.
    Ich bin vertraut mit dem feuchten Schicksal des Wassers,
    mit der grünen Gewohnheit des Baumes. . .

    Ich habe keine zwei Pinien gesehen, die miteinander verfeindet sind.
    Ich habe keinen Weidenbaum gesehen,
    der der Erde seinen Schatten verkauft.
    Umsonst schenkt die Ulme der Krähe seinen Ast.
    Überall wo ein Blatt ist, blüht meine Leidenschaft auf. . .

    Ich weiß es nicht, wieso sie sagen:
    das Pferd ist ein edles Tier,
    die Taube ist schön.
    Und wieso ist im Käfig von keinem ein Geier.
    Was hat die Kleeblüte weniger als die rote Tulpe.
    Die Augen muss man waschen,
    auf eine andere Weise muss betrachtet werden.
    Die Wörter muss man waschen.
    Das Wort muss in sich selbst der Wind,
    das Wort muss in sich selbst der Regen sein. . .

    Entfernen wir das Bedeckende:
    lassen wir das Gefühl in frischer Luft spazieren gehen.
    Lassen wir die Reife unter jedem Gebüsch übernachten.
    Lassen wir den Instinkt dem Spielen nachgehen,
    die Schuhe ausziehen
    und den Jahreszeiten hinterher über die Blumen springen.
    Lassen wir die Einsamkeit singen,
    Verse verfassen,
    auf die Straße gehen.

    Seien wir einfach.
    Seien wir einfach sowohl an einem Bankschalter
    als auch unter einem Baum.
    Es ist nicht unsere Aufgabe, das „Geheimnis“ der Rose zu erforschen,
    es ist vielleicht unsere Aufgabe,
    dass wir im „Zauber“ der Rose schwimmen,
    hinter dem Wissen Zelte aufschlagen,
    die Hände in der Anziehung eines Blattes waschen
    und dann zum Gedeck gehen,
    morgens, wenn die Sonne aufgeht, geboren werden
    und die Aufregungen fliegen lassen. . .

    Der Menschheit, dem Licht, der Pflanze und dem Insekt die Tür öffnen.
    Unsere Aufgabe ist es vielleicht,
    dass wir zwischen der Seerose und dem Jahrhundert
    dem Gesang der Wahrheit hinterherlaufen.

    ۞۞۞

     

  • Bodhi *

     

    Ein Gedicht von Sohrab Sepehri (1928 – 1980) aus dem Buch „Der Osten der Schwermut“; erste Erscheinung 1961
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

     

    ۞۞۞

    Es war ein Moment,
    die Türen waren aufgegangen.
    Nicht ein Blatt,
    nicht ein Ast,
    der Garten der Vernichtung war sichtbar geworden.
    Die Vögel des Raumes still,
    dieser still, jener still,
    die Stille fing an zu sprechen.
    Was war auf jenem Feld?
    Ein Wolf war zum Begleiter eines Schafes geworden.
    Das Bild des Schalles farblos,
    das Bild des Rufes blass.
    War vielleicht der Vorhang zusammengefaltet?
    ‚Ich‘ gegangen,
    ‚Sie‘ gegangen,
    ‚Wir‘ hatte uns verlassen.
    Die Schönheit war einsam geworden.
    Jeder Fluss hatte sich zu einem Meer,
    jedes Wesen hatte sich zu einem Buddha verwandelt.

    ۞۞۞

    * Mit Bodhi wird im Buddhismus ein Erkenntnisvorgang bezeichnet, der auf dem vom Buddha gelehrten Erlösungsweg von zentraler Bedeutung ist.

     

  • Ich spreche vom Licht

    Fereydoun Moshiri (1926-2000)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ***

     

    Jeden Morgen,
    sobald das Sonnenlicht über den fernen Bergen emporsteigt,
    breite ich die Flügel aus,
    flinker als die Brise;
    lasse die Botschaft der Morgendämmerung fliegen
    mit hellen, klaren Gedichten.
    Die Menge der Schlafenden
    rufe ich
    mit süßen, lieblichen Liedern.

    Ich erzähle vom Licht, vom Licht,
    von lebendigem Leben,
    von frischem Atem, von neuem Dasein,
    vom Stolz.

    Aber im Gedränge der Straße
    verlieren sich meine Stimme und meine Lieder.

    Dieser und jener sagt:
    „Befreie dich von diesem sinnlosen Bemühen!
    All dieses Schreien ist fruchtlos
    in den tauben Ohren!
    Der Verrückte spricht übers Licht
    mit den Maulwürfen!“

    Fremd mit diesem ganzen kalten Gerede
    rufe ich weiterhin geduldig
    die Menge der Schlafenden
    mit Liebe, Freude, Leidenschaft.
    Die Botschaft der Morgendämmerung
    lasse ich fliegen.
    Wohin ich auch gehe,
    spreche ich diesem und jenem ins Ohr,
    sogar im Gedränge der Straße,
    vom Licht,
    vom Licht …

    ۞۞۞

  • Eine Brise aus dem Land der Versöhnung

     

    Fereydoun Moshiri (1926-2000)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Also, sollte mir eines Tages jemand die Frage stellen:
    „Was hast du in deiner Zeit auf der Erde gemacht?“,
    schlage ich ihm meine Akte auf,
    weinend und lachend, erhebe ich mein Haupt,
    dann sage ich: „Er hat neues Samenkorn ausgesät,
    bis es erblüht, bis es Früchte trägt, wird noch viel Zeit vergehen.“

    Unter diesem unendlichen blauen Himmel,
    soweit ich die Kraft hatte, in jedem Gesang,
    wiederholte ich den erhabenen Namen der Liebe.
    Mit dieser müden Stimme habe ich, vielleicht, einen Schlafenden
    in den vier Himmelsrichtungen dieser Welt aufgeweckt.

    Ich verehrte die Liebe,
    bekämpfte die Bosheit.

    Ich litt beim „Verwelken eines Blumenzweiges“ 1,
    trauerte den „Tod des Kanarienvogels im Käfig“ 1,
    starb jede Nacht hundert Mal wegen des Leides der Menschen.

    Ich schäme mich nicht, wenn ich wie Messias,
    wenn man aus dem Herzen schreien muss,
    mit Geduld den Kummer ertrug.

    Aber im Gefecht mit den Törichten,
    wenn ich das Schwert ergreifen musste,
    – nimm es mir nicht übel –
    ging ich den Weg der Liebe.
    In meinen Augen bedeutet das Schwert in der Hand,
    dass man jemanden umbringen kann.

    Auf dem schmalen Pfad, den ich beschritt,
    wütete die Finsternis des Unwissens.
    Der Glaube an den Menschen war meine Leuchte,
    das Schwert war in Ahrimans2  Hand.
    Meine einzige Waffe auf diesem Schlachtfeld war das Wort.

    Wenn mein Gedicht bei keinem das Feuer entfachte,
    so verbrannte mein Herz von beiden Seiten, wie das nasse Holz.
    Lies eine Seite aus dieser Akte, vielleicht wirst du dann sagen:
    „Kann man noch mehr als das verglühen?“

    Endlose Nächte schlief ich nicht,
    die Botschaft des Menschen teilte ich dem Menschen mit.
    Mein Gesagtes enthielt eine Brise aus dem Land der Versöhnung,
    im Dornengestrüpp der Feindseligkeiten.
    Vielleicht müsste ein starker Taifun auftreten,
    um diese Bosheiten zu entwurzeln.

    Unsere Weisen vor unserer Zeit sagten ermahnend:
    „Es ist zu spät… es ist zu spät…,
    der Finsternis der Erdenseele gegenüber
    ist die Kraft Hunderter wie wir nur ein Schrei in der Wüste.
    Ein neuer Noah ist von Nöten und eine neue Sintflut.“ 3
    „Eine neue Welt muss erschaffen werden
    und eine neue Menschheit auf jener Welt“ 3

    Aber dieser einsame, geduldige Mann schreitet immer noch voran
    mit seinem Rucksack voller Leidenschaft den Weg.
    Um aus der Tiefe dieser Finsternis ein Licht hervorzuheben,
    setzt in jede Ecke eine Kerze seines Gedichtes,
    hofft immer noch auf das Wunder des Menschen.

    ۞۞۞

     

    Anmerkungen:

    1 Hier bezieht sich Fereydoun Moschiri auf seine Gedichte aus dem Band „Glaube dem Frühling“.

    2 „Ahura Masdah“ und „Ahriman“ sind zwei Gestalten in der alten iranischen Religion stellvertretend für das Gute und das Böse.

    3  Hier bezieht sich Fereydoun Moschiri auf Gedichte der iranischen Poeten Nimtaj Salmasi und Hafis.

  • In dieser Sackgasse

     

    Ein Gedicht von Ahmad Shamloo (1925-2000) aus dem Jahr 1979
    Freie Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Sie riechen an deinem Mund,
    nicht dass du gesagt hättest, „ich liebe dich“,
    sie riechen an deinem Herzen,
    es ist eine seltsame Zeit, Liebling.

    Und die Liebe
    peitschen sie aus
    an dem Balken der Straßensperre.
    Die Liebe sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.

    In dieser krummen Sackgasse,
    in diesen Windungen der Kälte
    entfachen sie das Feuer
    mit Gedichten und Liedern als Brennmaterial.
    Riskiere nicht das Nachdenken,
    es ist eine seltsame Zeit, Liebling.

    Derjenige, der nachts an die Tür klopft,
    ist zum Auslöschen des Lichtes gekommen.
    Das Licht sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.

    Dort sind Schlächter
    am Straßenübergang platziert
    mit Blut beschmierten Schlagstöcken und Hackmessern.
    Es ist eine seltsame Zeit, Liebling.

    Den Lippen schneiden sie das Lachen aus
    und dem Mund den Gesang.
    Die Freude sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.

    Kanarienvögel werden gebraten
    auf einem Feuer von Jasmin und Lilien.
    Es ist eine seltsame Zeit, Liebling.

    Der Satan, des Sieges betrunken,
    feiert unser Begräbnis am Festtisch.
    Der Gott sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.

    ۞۞۞