Autor: Dietrich Weller

  • Es trägt den Untertitel „Eine wechselvolle Biografie“, weil ich darin nicht wie vielleicht erwartet eine chronologische Aufzählung meines Lebens verfasst, sondern einzelne nach Themen geordnete Ereignisse und Gedanken beschrieben habe. Die Kapitel sind mit Biografisches – Medizin – Essays – Musik – Geschichte, Religion und Politik überschrieben. Das Buch ist bei Seemann Publishing erschienen. Das ist der Verlag von Rainer Andreas Seemann, der auch den Almanach deutschsprachiger Schriftsteller herausgibt. Rainer Seemann hat in seinem Blog eine ausführlichen Artikel über das neue Buch geschrieben, den Sie hier lesen können. https://rainer-seemann.de/wordpressII/dietrich-weller-schluesselerlebnisse./ Das Buch ist bei AMAZON als Hardcover, Taschenbuch und eBook erhältlich. (https://dietrich-weller.de/)

  • weller_Rezension-Wenk-Ueber-die-Bremer-Strasse
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  • Am 27. Juli 2022 bekam ich überraschend Post von Herrn Dr. Klaus Baier, dem Präsident der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg. Er gratulierte mir zum goldenen Promotionsjubiläum! Und er entschuldigte sich dafür, dass die Universität Heidelberg-Mannheim keine Urkunden mehr zu diesem Feiertag ausstellt, „auch nicht gegen Bezahlung!“
    Das hat mich verblüfft: Die Ärztekammer denkt an meine Doktorarbeit, und der Präsident schickt mir einen persönlichen Brief! Herzlichen Dank dafür! Diese Post kam auf den Tag richtig! Der 27. Juli 1972 war nämlich der genaue Tag meiner Promotionsprüfung. Da musste ich wieder einmal schmunzeln, als ich über meine Doktorarbeit nachdachte. Diese Geschichte wollte ich schon lange aufschreiben. Hier ist sie.

    Ich studierte im Wintersemester 1969 und Sommersemester 1970 im Klinikum Mannheim, das der Universität Heidelberg angeschlossen war. Nebenbei machte ich Nachtwachen in der Abteilung für Schwerverbrannte in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik Ludwigshafen. Die beeindruckenden und manchmal tragischen Erlebnisse in dieser Klinik gehören nicht hierher, aber sie haben mich nachhaltig geprägt. Das will ich wenigstens erwähnen.

    Eines Morgens im Januar 1970 sagte ein Kollege im Hörsaal der Uni zu mir: „Du suchst doch nach einem Thema für eine Doktorarbeit. Bei Prof. Stoll in der Frauenklinik steht am Schwarzen Brett, dass er eine Arbeit zu vergeben hat! Interessiert dich das?“

    Also bat ich im Sekretariat von Herrn Prof. Stoll um einen Termin zu einem Gespräch. „Gut, der Termin ist jetzt!“, sagte die Sekretärin, „Er ist da und hat jetzt gerade Zeit, ich melde Sie an!“

    Prof. Stoll erklärte mir nach einer kurzen Begrüßung sein Anliegen: „Für 1968 habe ich von einer Doktorandin überprüfen lassen, mit welchen Indikationen die Neugeborenen in die Kinderklinik verlegt werden, welche Diagnosen sie dort erhalten und in welchem Zustand sie entlassen werden. Ich möchte wissen, inwiefern sich das verändert hat. Dazu habe ich zwei besondere Fragen: Haben wir alle Kinder rechtzeitig verlegt? Und eine andere Besonderheit sollten Sie genauer anschauen. Ich habe nämlich bemerkt, dass im Sommer 1969 eine Durchfallepidemie im Neugeborenenzimmer ausgebrochen ist und wir deshalb noch viel mehr Neugeborene verlegt haben als in den Vergleichsmonaten des Vorjahres. Ich will wissen, ob das etwas mit den hygienischen Zuständen des Neugeborenenzimmers zu tun hat. Wir verlegen sehr viele Kinder nur, weil wir keinen Platz haben, sie hier zu behandeln. Sie müssen sich das Zimmer mal anschauen und mit den Schwestern dort über die Situation sprechen. Interessiert Sie das Thema?“

    „Ja, das interessiert mich! Ich möchte nach dem Examen eine Kinderfacharztweiterbildung machen. Da passt dieses perinatologische Thema sehr gut! – Mir fällt spontan ein Vorschlag ein: Mein Vater ist niedergelassener Kinderarzt, und ich werde morgen zum Wochenende zu meinen Eltern fahren. Da kann ich mit meinem Vater zusammen eine Gliederung der Arbeit und eine Liste der Dinge erstellen, die ich brauche, um die Grundlagen für die Arbeit zu sammeln.“

    „Gut, dann kommen Sie am Montag wieder zu mir, damit wir das besprechen können. Ich möchte, dass wir immer wieder kurz während Ihrer Arbeit miteinander reden, damit Sie möglichst keine Umwege machen und zielgerichtet und rasch das Ergebnis erreichen. Einverstanden?“

    Ja natürlich war ich einverstanden, was konnte mir Besseres passieren? Andere Doktoranden warten monatelang, bis ihr Doktorvater mal Zeit für sie hat.

    Als ich am Wochenende meinen Eltern den Plan vorlegte, den ich mir schon teilweise gemacht hatte, war mein Vater voll Interesse, und wir wollten gleich mit der gemeinsamen Arbeit loslegen.

    Da bremste meine Mutter: „Kennst du die Frau von Prof. Stoll?“ – „Nein, natürlich nicht, warum?“ – „Ich habe den Verdacht, dass das die Freundin ist, die ich seit vielen Jahren suche. Mit ihr habe ich viel Zeit im Reichsarbeitsdienst verbracht und seither den Kontakt verloren. Bei jedem Kongress, zu dem ich Vater begleitet habe, halte ich Ausschau nach ihr, weil ich gehört habe, dass sie einen Frauenarzt geheiratet hat. Ich hole mal mein Fotoalbum aus der RAD-Zeit!“

    Sie zeigte mir in dem Album einige leicht vergilbte Bilder und deutet immer wieder auf die Freundin, die sie suchte.
    „Ich möchte sie so gern wieder treffen!“

    „Mutter, dann mache ich dir einen Vorschlag. Ich nehme das Album am Montag mit zu Prof. Stoll und frage ihn, ob diese Frau seine Frau ist.“

    „Ja, das ist prima. Und ich schreibe jetzt einen Brief an diese Frau, den du ihm geben kannst, wenn er seine Frau auf diesen Bildern erkennt! Und jetzt könnt ihr beiden an die Arbeit gehen.“

    Vater und ich entwarfen unseren Plan, und es machte uns beiden richtig Spaß, dieses Projekt gemeinsam anzustoßen.

    Am Montag war ich bei Prof. Stoll, und er fragte sofort: „Na, was haben Sie mit Ihrem Vater erarbeitet?“ – „Das erkläre ich Ihnen gleich, aber ich möchte Ihnen vorher etwas anderes zeigen!“
    Ich zog das Album aus meiner Aktentasche. Er schaute erstaunt: „Wo haben Sie das Buch her? So eines haben wir auch zu Hause?“

    Ich legte das Album auf den Tisch und schlug es gezielt auf bei einer Seite, die meine Mutter mit einem kleinen Zettel markiert hatte. Dann deutete ich auf die Frau, die meine Mutter suchte:
    „Ist das Ihre Frau?“ –
    „Ja! Ja!“
    Er war ganz begeistert, als ich ihm berichtete, wie ich zu dem Buch gekommen war und dass ich jetzt auch noch einen Brief für seine Frau hatte:

    „Bitte nehmen Sie das Album und den Brief mit für Ihre Frau! Sie können mir das Album ja gelegentlich wieder geben.“
    Dann besprachen wir die Arbeitsliste, wegen der ich eigentlich gekommen war. Prof. Stoll war sehr angetan von dem Plan und schlug noch wenige kleine Änderungen vor, dann verabschiedete er mich: „Gehen Sie ins Archiv, lassen Sie sich alle Akten geben, die Sie brauchen, dann gehen Sie in die Kinderklinik und suchen dort alle Akten raus. Und dann gehen Sie noch in das Neugeborenenzimmer und schauen sich dort um! Meine Sekretärin meldet sie überall an. Wenn Sie die Unterlagen beieinander haben, melden Sie sich wieder. Sie bekommen dann kurzfristig wieder einen Termin!“

    Am Abend erfuhr ich telefonisch von meiner Mutter, dass Frau Stoll schon angerufen hatte! Sie hatten wohl eine lange Unterhaltung, und beide Frauen waren hoch erfreut über das späte Treffen.

    Ich erstellte in der Frauenklinik eine Liste der Kinder, die 1969 in der Frauenklinik geboren worden waren und füllte meine Fragebogen mit allen Daten aus, die ich brauchte. Dafür hatte ich mir einige Abkürzungen festgelegt, um die Liste übersichtlich zu halten. Dann ging ich mit der Liste in die Kinderklinik und ergänzte die Daten von dort.

    Der Besuch im Neugeborenzimmer war besonders interessant. Die Kinderkrankenschwester, die mir öffnete und der ich erklärte, warum ich komme, war schon informiert über meine Aufgabe. Sie war sehr bereit, mir zu helfen und kam gleich zum Punkt: „Schauen Sie, hier an dieser Wand ist der lange Wickeltisch, wo vier Kinder gleichzeitig gewickelt werden können. Und es ist sehr praktisch, dass ich mich nur umdrehen muss, um die volle Windel in diesen Papierkorb zu werfen. Aber dieser Korb hängt am ersten Bett der Reihe von Kinderbetten, die hier im Zimmer stehen! Und so haben wir vier Bettchenreihen, die alle am ersten Bett der Reihe einen Windelkorb tragen! Wir haben festgestellt, dass immer zuerst das Kind im ersten Bett den Durchfall bekam und dann das zweite, und das dritte. Kein Wunder! Merken Sie was? Das ist ein Planungsfehler! –  Und wir können keine Kinder isolieren  und wegen des geringen Platzes keine Kinder unter 2500 g Geburtsgewicht hier unterbringen, weil sonst die Station überläuft. Deshalb müssen wir so viele Kinder verlegen. Und deshalb will der Professor das unbedingt ändern, aber er sagt, er bekommt kein Geld dafür!“ –

    Jetzt war mir schlagartig klar, worum es ging. Das war eine zusätzliche Motivation, diese Arbeit zu schreiben. Keine wissenschaftlich anspruchsvolle Arbeit, aber immerhin mit der Aussicht, etwas Praktisches und Wichtiges in der Klinik verbessern zu helfen!

    Ich machte mich mit Freude und gewisser Neugier an die Auswertung meiner vielen Daten und stellte tatsächlich die vermehrte Überweisungsaktivität im Sommer fest und konnte sie genau mit der Diagnose Enteritis verbinden. Außerdem konnte ich als Begleitergebnis dokumentieren, dass kein einziges Kind zu spät verlegt worden war. Auch die schwerstkranken Neugeborenen, die später in der Kinderklinik verstarben, waren sofort nach der Geburt in die Kinderklinik verlegt worden. Aber von den 1853 Kindern, die 1969 in der Frauenklinik geboren waren, -das sind durchschnittlich fünf Kinder jeden Tag!-, mussten 472 verlegt werden. Das sind 25%! Diese sehr hohe Zahl lag ganz offensichtlich an den sehr schlechten hygienischen und beengten räumlichen Bedingungen im Kinderzimmer der Frauenklinik. So entschloss man sich zum Beispiel, alle Kinder unter 2500 g Geburtsgewicht auch gesund zu verlegen, weil eine angemessene Versorgung nicht möglich war. In einer gut ausgestatteten Frauenklinik wäre zum Beispiel ein gesundes Neugeborenes mit 2000 g nicht verlegt worden! Die Kinder mussten also von der Mutter getrennt werden, weil das Kinderzimmer zu klein war, nicht weil das Kind oder die Mutter krank waren.

    Als ich Prof. Stoll meine Ergebnisse erklärte und schriftlich zeigte, war er sehr zufrieden: „Das habe ich erwartet! Jetzt schreiben Sie das sehr genau und detailliert in einen flüssigen Text, berücksichtigen Sie die einzelnen Diagnosegruppen der Verlegungen, und bleiben Sie streng bei Ihrer Gliederung. Dann kommen Sie wieder.“

    So war ich immer, nachdem ich einen Teilschritt der Arbeit erledigt hatte, bei ihm zu einem kurzen Gespräch, das nie länger als zehn Minuten dauerte, aber mich sehr zielsicher auf meiner Arbeitsspur hielt. So machte ich nichts Überflüssiges und musste nichts Falsches korrigieren. Diese Bereitschaft von Prof. Stoll, mich so zu unterstützen, war eine echte und vorbildliche Hilfe, für die ich heute noch dankbar bin.

    Ich fand auch noch eine Sekretärin, die in enormer Fleißarbeit meine gesamte Datenliste abschrieb, die wir dann später verkleinert in die Arbeit hinten einfügten.

    Als ich sechs Wochen nach unserem ersten Gespräch Herrn Prof. Stoll an einem Freitag nach seiner Vorlesung meine fertige Arbeit abgab, die ich selbst in die Schreibmaschine getippt hatte, fragte ich ihn: „Wann darf ich wieder kommen, um das zu besprechen?“

    Er überlegte kurz: „Ich fahre morgen mit dem Zug nach Bremen, um einen Vortrag zu halten. Da lese ich die Arbeit während der Fahrt. Meine Frau hat mir verboten, mit meinem schnellen Auto selbst zu fahren. Kommen Sie am Montag nach meiner Vorlesung wieder!“

    Na, besser konnte es ja nicht laufen!

    Als ich am Montag die Arbeit abholen wollte, sagte Prof. Stoll: „Die Arbeit ist prima, ich habe nur ein einziges Adjektiv geändert, den Rest lassen Sie so. Ich habe die Arbeit heute Morgen schon unserem Perinatologen gegeben. Bis morgen hat er sie gelesen, dann gehen Sie zu ihm, holen sie ab und fragen nach seiner Meinung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er etwas auszusetzen hat.“

    Auch von diesem Kollegen bekam ich freundlich und knapp den Kommentar: „Ja. Sehr gut, nichts ändern!“

    Prof. Stoll schlug noch vor, Herrn Prof. Huth, das war der Direktor der Kinderklinik, und Herrn Prof. von Keiser, das war der Dekan der Medizinischen Fakultät und gleichzeitig Direktor der Radiologischen Klinik, als Prüfer der Arbeit zu benennen. Diesen beiden Professoren brachte ich die Arbeit auch, als ich sie in Reinschrift verfasst hatte, und sie waren ebenfalls einverstanden.

    So, könnte man denken, das war´s.

    Aber so einfach geht es natürlich nicht. Zu jeder Doktorarbeit gehört eine Prüfung! Rigorosum nennt man das oder in manchen Fakultäten sogar Verteidigung. Das hört sich sehr militärisch nach einem großen Widerstand an, dem sich der Kandidat stellen muss. In einigen Universitäten findet diese Prüfung öffentlich statt, und der Kandidat muss sich nach einem Vortrag, in dem er seine Arbeit vorstellt, nicht nur über sein Promotionsthema, sondern auch über alle anderen Themen seines Fachs prüfen lassen! Das bedeutet in meinem Fall über die gesamte Medizin! In dieser Prüfung kann man wirklich durchfallen, und ich kenne Menschen, die in dieser Prüfung regelrecht gegrillt wurde, weil auch Themen genau hinterfragt wurden, über die der Kandidat gar nicht gearbeitet hat. Solche Prüfungsmanöver sind oft nur Profilierungsversuche der Prüfer vor ihren Kollegen.

    Es ist Vorschrift, dass diese Prüfung erst nach bestandenem Staatsexamen stattfinden darf. In den meisten Fächern darf man erst nach einem sehr gut bestandenen Examen eine Doktorarbeit anfangen! Das ist dann eine zusätzliche Auszeichnung, bei der man weiß, dass dieser Mensch eine sehr gute Gesamtexamensnote geschafft hat. In der Medizin gibt es da die Ausnahme, dass man die Arbeit schon vor dem Examen schreiben darf. Aber man darf den Titel erst nach dem Rigorosum tragen.

    Das war also noch eine Weile hin. Denn ich musste noch drei Semester studieren, und ich wollte wieder zurück nach Tübingen zum Endspurt. Es gab da nämlich die drei Freunde, mit denen ich Physikum gemacht hatte. Dann hatten wir in Wien ein Semester lang offiziell Medizin studiert und inoffiziell den großen Theater – Oper – Konzert – Kino – Freizeit – Schein gemacht. Den haben wir mit Bravour bestanden, nachdem wir fast jeden Abend bei einer anderen großartigen Veranstaltung waren – oft auf den Stehplätzen, aber wir waren dabei! In diesem Sommer fiel in Wien das 100-jährige Ballettjubiläum mit den Wiener Festwochen zusammen. Das durfte ich mir als großer Klassikliebhaber nicht entgehen lassen.

    Im Klartext: Es gab Fächer, in denen man tatsächlich zwei Mal in einen Kurs kommen musste: zur Anmeldung und um den Schein abzuholen. Deshalb wollte ich ja nach Mannheim, um dort in zwei Semestern an einer kleinen Uni die neun Scheine nachzuholen und tatsächlich zu erarbeiten, die ich Wien „gewonnen“ hatte.

    Meine Freunde hatten so wie ich nach Wien auch andere Unis besucht: München und Innsbruck. Deshalb verabredeten wir uns für das Sommersemester 1970 in Tübingen, um miteinander auf das Staatsexamen zu lernen.

    Su diesem Grund fragte ich Prof. Stoll bei meinem Abschied, wie wir das mit dem Termin für das Rigorosum machen sollten.

    „Das ist einfach: Sie rufen meine Sekretärin an, und sie macht Ihnen die Termine bei mir und den Prüfern.“

    Also zog ich beruhigt wieder nach Tübingen.

    Einen Monat vor der letzten der 18 Prüfungen rief ich im Sekretariat der Frauenklinik an und bat um die Termine. „Ja klar, mache ich für Sie! Wann ist ihr letzter Prüfungstermin? 25. Juli? Gut, rufen Sie mich morgen wieder an, dann habe ich die Termine.“

    Am nächsten Tag sagte die Sekretärin: „Ich habe alle drei Termine auf den 27. Juli gelegt, dann haben Sie es an einem Tag hinter sich und müssen nur einmal hierher fahren!“

    Also fuhr ich am 27. Juli nach Mannheim.

    Erster Termin bei Prof. Stoll. Er begrüßte mich sehr freundlich, bot mir einen Platz vor seinem Schreibtisch an und setzte eine ungewöhnlich ernste Miene auf. Das kannte ich nicht von ihm.

    „Herr Weller, Sie sind zur Prüfung hier!“

    Er machte eine Pause, schaute mich mit unbeweglicher Miene an und wartete offensichtlich darauf, dass seine Worte Wirkung zeigen.
    In welchen Film bin ich denn jetzt geraten?, schoss mir durch den Kopf? So kenne ich den Professor gar nicht!

    Dann fuhr er fort: „Ich habe mir drei besondere Fragen für Sie ausgedacht, die müssen Sie alle sehr gut beantworten, sonst kann ich Sie nicht bestehen lassen! Sind Sie bereit?“

    „Ja natürlich“, sagte meine Stimme, mein Kopfkino stellte auf Alarm und begann mit Rauswurfszenen.

    „Also, erste Frage: Welche Gesamtnote haben Sie im Staatsexamen erreicht?!“

    Puh, das war leicht.

    „Eine Eins.“

    Aber wie geht es weiter?

    „Zweite Frage: Wie geht es Ihren Eltern?“

    Jetzt wurde ich viel lockerer, er spielte mit mir und machte sich einen Spaß daraus. Ich wurde lockerer.

    „Oh, denen geht es gut, ich war gestern bei ihnen und soll freundliche Grüße ausrichten, auch von meiner Mutter an Ihre Frau!“

    „Dritte Frage: Wohin fahren Sie jetzt in Urlaub?“

    Ja bitte, gern noch mehr solche Fragen! Jetzt war ich wieder ganz entspannt.

    „Ich werde am kommenden Montag mit einem Freund eine sechswöchige Rundreise durch die Balkanstaaten bis Istanbul und dann um das Marmarameer zurück über Griechenland nach Deutschland machen.“

    Jetzt lachte der Professor: „Na, sehen Sie, Sie haben doch alles sehr gut beantwortet. Ich unterschreibe das hier jetzt, und Sie grüßen Ihre Eltern sehr herzlich. Und alles Gute für Ihre nächsten Prüfungstermine!“

    „Die habe ich jetzt gleich im Anschluss. Aber ich habe noch eine Frage an Sie.“

    Er schaute verwundert, fragend.

    „Was habe Sie denn mit meiner Arbeit gemacht, hatte sie irgendwelche Konsequenzen?“

    „Das kann man wohl sagen! Ich bin damit zum Baubürgermeister gegangen und habe mir 200.000 DM geben lassen, um das Neugeborenenzimmer endlich umbauen und vergrößern zu lassen. Sie sollten sich das noch ansehen, bevor Sie das Haus verlassen. Ist richtig schön geworden!“

    Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, ging direkt dorthin, und man zeigte mir gern den schönen Umbau.

    Deshalb habe ich immer noch das gute Gefühl, eine sinnvolle Arbeit geschrieben zu haben. Nicht wissenschaftlich, aber dafür pragmatisch mit einem echten Vorteil für diese Klinik und die Neugeborenen! Keine Arbeit für die Schublade, sondern etwas Notwendiges, das die Not wendet! Dafür bekam ich die Note cum laude – mit Lob. Das ist die beste Note, die man für eine nicht experimentelle Arbeit erhalten kann. Es gibt ja noch magna cum laude und summa cum laude.

    Bei Prof. Huth in der Kinderklinik war die erste Frage: „Welche Arbeit haben Sie denn geschrieben, ich erinnere mich nicht mehr. Können Sie mir kurz das Wesentliche erklären?“

    Das war einfach, und ich konnte fließend berichten und einige beeindruckende Zahlen einstreuen, weil ich am Tag davor meine Arbeit noch einmal gelesen hatte. Außerdem hatte ich sicherheitshalber ein Exemplar der Arbeit in meiner Aktentasche dabei, aber das wollte er gar nicht sehen.

    „Das war eine gute Arbeit, jetzt erinnere ich mich wieder! Also kann ich hier unterschreiben, dass Sie die Prüfung bei mir bestanden haben! Alles Gute für Sie!“

    Bei Prof. von Keiser wurde ich freundlich und jovial begrüßt. Das war schon mal erfreulich, weil er als sehr strenger Prüfer bekannt war.

    „Herr Weller, zuerst will ich mal wissen, welche Note Sie im Staatexamen gemacht haben.“

    „Eine Eins.“

    „Also, Sie wissen ja, wenn ich Sie durchfallen lassen will, schaffe ich das!“ Das klang sehr streng.

    Ich nickte und ahnte Schlimmes. Er setzte sich bequem hin. Ich noch nicht.

    „Wenn Sie aber in 18 Einzelprüfungen bewiesen haben, dass Ihr medizinisches Wissen insgesamt eine Eins wert ist, muss ich jetzt nicht eine 19. Prüfung machen! Erzählen Sie mir einfach mal, was Sie für eine Arbeit geschrieben haben. Ich erinnere mich nicht mehr daran.“

    Nach meinem Bericht sagte er freundlich und schon im Aufstehen: „Also, mein Glückwunsch! Ich unterschreibe hier und wünsche Ihnen alles Gute!“

    Damit war ich draußen, erleichtert und mit verschwitztem Hemd, aber das kam natürlich nur von der Bullenhitze an diesem heißen Julitag und meinem dunklen Anzug und der korrekt geknoteten und hochgezogenen Krawatte!

    Anschließend ging ich –endlich ohne Sakko und Krawatte!- in einen Herrenkonfektionsladen und kaufte mir eine beige Hose. Ich hatte nämlich fast während der ganzen Prüfungsvorbereitung und der sechsmonatigen Prüfungszeit beim Lernen und Lesen am Schreibtisch immer dieselbe Hose an, weil sie so bequem war. Sie war jetzt durchgewetzt, und ich hatte mir vorgenommen, sie erst nach dem bestandenen Examen zu ersetzen. Die neue Hose behielt ich gleich an, weil sie so schön leicht war. Dazu passte ein helles Sommerhemd, das auch noch auf dem Ausstellungstisch lag. Auch das behielt ich gleich an. Die dunkle Anzughose und mein weißes Hemd ließ ich einpacken.

    Jetzt wurde mir die Symbolik richtig bewusst: Studium ade – Urlaub, ich komme!

    Die neue Hose und das Hemd bezahlte ich mit einem Scheck, und ich unterschrieb zum ersten Mal in meinem Leben und sehr aufmerksam mit Dr. Dietrich Weller. Darüber habe ich mich noch viel mehr gefreut als über die Hose und das Hemd.

    Das war mein ganz stiller Triumph in diesen Minuten des Einkaufs: In einer einzigen Woche hatte ich mein Studium nach sechs Jahren und die Promotion abgeschlossen und das mit 25 Jahren! Das fühlte sich sehr großartig an!

    Ich fuhr in bester Stimmung und gemütlich nach Leonberg zurück, wo meine Mutter schon Vorbereitungen getroffen hatte für das Fest am morgigen Samstag. Meine Eltern hatten nämlich schon vor Monaten, als die Prüfungstermine bekannt waren, die Idee gehabt, meine drei Studienfreunde mit ihren Eltern zu einem Grillfest in unserem Garten einzuladen. Ein meinen Eltern gut bekanntes Ehepaar, er war Koch, machte sich eine Freude daraus, uns am Grill leckere Speisen zuzubereiten. Es wurde ein richtig stimmungsvoller Abend an diesem wunderbaren Sommertag und ein denkwürdiger Abschluss unseres Studiums!

    Einen Nachklapp zur der Geschichte will ich der Vollständigkeit halber noch hinzufügen.

    Lange, nachdem ich schon meine eigene Praxis in Leonberg hatte, bekam ich von der Kreisärzteschaft eine Einladung zu einem Vortrag von Prof. Stoll in Leonberg.  So sah ich meinen Doktorvater wieder, und mein Vater brachte meine Mutter mit, die sich während des Vortrags im Restaurant des Hotels mit Frau Stoll zwei gute Stunden machte.

    Einige Jahre später, als ich in einem meiner Bücher eine kurze Geschichte aus einer Vorlesung bei Prof. Stoll veröffentlichte, suchte ich ihn, um ihm das Buch zu schicken. Ich erreichte telefonisch seine Frau, die mir erzählte, er sei an einer Lungenfibrose verstorben. Also schickte ich das Buch an Frau Stoll.

    Leonberg, am 08.08.2022


  • Once upon a time in the realm towards the sunrise and far away, there lived a fisherman YI-SHITOU 宝石 (free translation in English signifies: a gemstone). The town, where he lived, was small and has finally fallen asleep. The towns- people, still practised ancient customs dating back many centuries, and they still wore traditional clothing. Their way of life was simple, and it was common place to see little old women washing their vegetables in the town well.  The others were hard at work on their farms. YI-SHITOU was known for his special method of fishing, which was without a line and hook, but with a straight metal rod on which the fish would jump onto. After stroking the fish, he freed them back into the river. This remarkable way of fishing became well known, and the fame of the famous fisherman reached the ears of the Emperor of China himself.

    One day YI-SHITOU was fishing with his straight rod. The river was flowing gently, the birds were singing sweetly, and the fish jumped voluntarily onto the straight metal rod. Suddenly, a horse drawn gold gilded carriage appeared.  The coachman opened the door bowed with veneration, and the Emperor of China himself stepped down from the carriage. The Emperor of China realized that the old man possessed mystic powers and invited him to explain his astonishing method of fishing. YI-SHITOU told the Emperor that the magic rod is a piece of an old counting frame (abacus). With this rod, he was able to calculate the exact day and hour to visualize a rainbow. Thereby, the rod allowed him to follow the rainbow and to travel vast distances. However, when he returned from those travels, what he thought had been a day’s journey, had in fact taken many years. Afterwards, YI-SHITOU promised to the Emperor to visit his descendants on his return from his long journey. The Emperor thanked him and returned to his palace.

     Many thousand years have elapsed since the odd fisherman described a strange happening, the travel that seemed a single day’s journey for him, but which in fact lasted many years for the villagers. Had the odd fisherman delivered his promise and visited the Emperor’s descendants after his long travels?

                                        

    Polybahn known as Studenten-Express 1899

    The answers came at the end of 19th century. During this period in the University-town of Zurich, there lived a poor student called Albert.

    Connection between downtown Zurich and the University was a track for a wheeled vehicle. This connection formed a straight rod. The students jumped voluntarily onto this vehicle, as the fish jumped onto the fisherman’s magic rod. (As described in the legend) The time: taken up to the University was three minutes, to downtown, two minutes. This time difference, for such a same short distance, was for Albert peculiar. He postulated, that if we keep our speed accelerated while others stand still, our clock will go slower than the clock of others. He answered to the question: “What does the twin’s paradox tell us about time?” Relativity dictates that, when one of the twins comes back, he looks much younger than his identical twin brother. This so called «time dilation» is a part of his Theory of Relativity.

    Albert, today known as Professor Albert Einstein was from his birth-date on closely linked to the mathematics. Born on March 14th which written numerically as 3.14 is the number π. Number π is one of the most important mathematical constants. Nowadays, the time dilatation applies to satellites that orbit the Earth, as they move forward in time. The satellites and advanced technology are part   of the World Wide Web, we know today. Advanced technology is indistinguishable from the magic!

    Dr. med. André Simon

    Reprint Schweizerische Ärztezeitung 2011;92: 42

    Translater´s note:

    We know the effect of time-dilation also from the novel and film „Around the world in 80 days“, where Phileas Fogg bets that he will surround the world within 80 days. When arriving back in London where he had started the journey, he is depressed and disappointed, because he thinks, he is one day too late, because he had experienced 80 days. Then after looking at the date of a newspaper, he realizes that by traveling eastwards he had gained one day. So finally he won the bet.

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Zeitreise

    André Simon

    Es war einmal im Reich des Sonnenaufgangs und weit entfernt, da lebte ein Fischer namens Yi-Shitou (frei übersetzt: Edelstein). Die Stadt, in der er lebte, war klein und schließlich eingeschlafen. Die Stadtleute übten immer noch Gewohnheiten aus, die Jahrhunderte alt waren, und sie trugen traditionelle Kleidung. Ihr Lebensstil war einfach, und es war üblich, eine Frau zu sehen, die ihr Gemüse im Dorfbrunnen wusch. Die anderen arbeiteten hart auf ihren Bauernhöfen. Yi-Shitou war bekannt für seine besondere Form des Angelns – ohne Schnur und Haken, sondern mit einem geraden Metallstab, auf den die Fische sprangen. Nachdem er den Fisch liebkost hatte, ließ er ihn wieder ins Wasser frei. Diese bemerkenswerte Art des Angelns wurde sehr bekannt, und der Ruf des berühmten Fischers drang bis zu den Ohren des Kaisers von China vor.

    Eines Tages war Yi-Shitou gerade dabei, mit seinem geraden Stab zu angeln. De Fluss strömte sanft, die Vögel sangen lieblich, und der Fisch sprang freiwillig auf den Metallstab. Plötzlich erschien eine goldverzierte Pferdekutsche. Der Kutscher öffnete die Tür, verbeugte sich in Verehrung, und der Kaiser von China persönlich stieg aus der Kusche herunter. Der Kaiser von China erkannte, dass der alte Mann mystische Kräfte besaß und lud ihn ein, seine erstaunliche Methode des Angelns zu erklären.

    Yi-Shitou erklärte dem Kaiser, dass der magische Stab ein Teil eines alten Rechenrahmens (Abakus) war. Mit seinem Stab war er in der Lage, den genauen Tag und die Stunde zu berechnen, um einen Regenbogen zu sehen. Dadurch erlaubte der Stab ihm, dem Regenbogen zu folgen und weite Entfernungen zu reisen. Wenn er jedoch von diesen Reisen zurückkam, von denen er dachte, sie haben nur einen Tage gedauert, hatten sie tatsächlich viele Jahre gedauert. Anschließend versprach Yi-Shitou dem Kaiser, auf dem Rückweg von seinen langen Reisen dessen Abkömmlinge zu besuchen. Der Kaiser dankte ihm und kehrte in den Palast zurück.

    Viele tausend Jahr sind verstrichen, seit der seltsame Fischer eine befremdliche Erscheinung beschrieben hat: die Reise, die ihm wie eine Tagesreise erschienen war, aber tatsächlich für die Dorfbewohner viele Jahre gedauert hatte. Hat der seltsame Fischer sein Versprechen gehalten und die Abkömmlinge des Kaisers nach seinen langen Reisen besucht?

    Die Antwort tauchte Ende des 19. Jahrhunderts auf. Während seiner Zeit in der Universitätsstadt Zürich, lebte dort ein armer Student namens Albert.

    Eine Verbindung zwischen der Innenstadt von Zürich und der Universität war eine Schiene für ein Gefährt mit Rädern. Diese Schiene bildete einen geraden Stab. Die Studenten sprangen freiwillig auf das Gefährt wie der Fisch auf den magischen Stab des Fischers. (Wie in der Legende beschrieben.) Die Zeit bis zur Universität dauerte drei Minuten, zur Innenstadt zwei Minuten. Der Zeitunterschied für solch eine gleiche kurze Entfernung war für Albert besonders wichtig. Er behauptete, wenn wir unsere Geschwindigkeit beschleunigen, während andere still stehen, geht unsere Uhr langsamer als die Uhr der anderen. Er antwortete auf die Frage „Was sagt uns das Zwillings-Paradoxon über Zeit?“  Relativität legt fest, wenn einer der Zwillinge zurückkommt, sieht er viel jünger aus als sein identischer Bruder. – Diese sogenannte Zeitdehnung ist ein Teil seiner Relativitätstheorie.

    Albert, heute bekannt als Professor Albert Einstein, war von seinem Geburtstag an eng mit der Mathematik verbunden. Geboren am 14. März, zahlenmäßig geschrieben 3,14, ist die Zahl π. Die Zahl  π ist eine der wichtigsten mathematischen Konstanten. Heutzutage bezieht sich die Zeitdehnung auf Satelliten, die die Erde umkreisen, da sie sich in der Zeit vorwärts bewegen.  Die Satelliten und die fortgeschrittene Technologie sind Teil des World Wide Web, das wissen wir heute. Fortgeschrittene Technologie ist nicht unterscheidbar von Magie!

    Bemerkung des Übersetzers:

    Wir kennen den Effekt der Zeitdehnung auch von dem Roman und Film „In 80 Tagen um die Welt“, in dem Phileas Fogg wettet, dass er die Erde in 80 Tagen umrunden könne. Als er nach London zurückkehrt, von wo er die Reise begonnen hatte, ist er deprimiert und enttäuscht, weil er glaubt, er sei einen Tag zu spät, weil er 80 Tage erlebt hatte. Dann erkennt er nach einem Blick auf das Datum einer Zeitung, dass er während der Reise Richtung Osten einen Tag gewonnen hatte. Also gewann er die Wette am Ende doch noch.

  • Frau Dr. Gross ist seit fast zwei Jahren Mitglied im BDSÄ und hat mich jetzt gefragt, wie sie bei den Corona-Einschränkungen und mehrfach abgesagten Jahreskongressen Kontakt zu anderen Mitgliedern aufnehmen kann. Deshalb veröffentliche ich hier ihre Vita und drei Bilder, die sie mir geschickt hat. Jetzt können die Mitglieder die Homepages der Kollegin lesen und mit ihr in Kontakt treten.

    Mit freundlichem Gruß,
    Dietrich Weller

    Vita

    Dr. med. Ruth Gisela Gross, gebürtiger Steinbock, aufgewachsen seit den späten Fünfzigern in den bayerischen Bergen und an den Seen, Freundin der Bohème in der bayerischen Hauptstadt.

    Früh neugierig und in vieler Herren und Damen Länder unterwegs, stets den Menschen und dem Schreiben zugewandt. Internship in NYC. Als Internistin und als Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychoanalytikerin dem Inneren auf der Spur. In all den Jahren gab es Wendepunkte: Medizinjournalistische Tätigkeit, Reiseberichte, Dozentin für Psychosomatische Medizin, Balintgruppenleiterin, Leiterin einer psychotherapeutischen Beratungsstelle, eigene Praxis – neuerdings: Impfärztin.

    Verheiratet, drei erwachsene wunderbare Kinder.

    Die Ärztin: http://www.drgrossgisela.de

    Die Autorin: http://www.ruthggross.de. –

    2019 Debut des Familienromans „Elsas Tochter“ im Scholastika-Verlag.
    Hier gibt es einen Link zu einer Lesung von Frau Dr. Gross über diesen Roman:

    Quelle: YouTube – https://www.youtube.com/watch?v=bRrDAAl-T0w

    Diverse Beiträge zu Anthologien. Zweites Romanmanuskript „In meines Vaters Haus“ fertiggestellt, dritter Roman in Arbeit…

    Mitglied im Verein deutscher Schriftsteller:innen, im Monteségur Autorenforum, im Freien deutschen Autorenverband (FDA Bayern)


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    https://rainer-seemann.de/wordpressII/seemann-publishing-almanach-deutschsprachiger-schriftsteller-aerzte-ausgabe-2022/

  • Liebe Frau S.,

    Sie haben mir das Buch von Alberto Dines „Tod im Paradies“ ausgeliehen, seine Biografie über Stefan Zweig, die mich wie kaum ein anderes Buch in den letzten Jahren beeindruckt hat. Für dieses Geschenk des Lesen-Dürfens möchte ich mich herzlich bedanken.

    Wenn ich mit jeder brillant formulierten Zeile neu spüre, mit welch einem enormen Fleiß und perfektionistischer Hingabe der brasilianische Autor sich des wechselvollen Lebens seines Protagonisten angenommen hat, ergreift mich großer Respekt vor der schriftstellerischen und wissenschaftlichen Leistung und dem enormen Einfühlungsvermögen von Alberto Dines in die Seelenstruktur und Psychodynamik Zweigs.

    Dines ist ein empathischer Psychologe (Zweig war darin sein Vorbild!), der mit verblüffender Schärfe und umfassender Klarsicht versteht und formuliert, was Zweig zu seinem unsteten Lebensmuster getrieben hat. Ja, Zweig war ein Getriebener, gehetzt von seinem schriftstellerischen Drang, gepeinigt von den Kriegen, denen er versuchte, bis nach Brasilien auszuweichen. Er, der immer Ruhe und Abgeschiedenheit suchte, lebte überwiegend aus dem Koffer, reiste von Hotel und Hotel, von Land zu Land, von Gespräch zu Gespräch. Dazu wurde er unterstützt von einer finanziellen Basis aus dem Elternhaus und den reichen Einkünften seiner erfolgreichen Bücher. Doch alles hat seine zwei Seiten: Der Erfolg produziert immer den Neid, die Intrige, die Eifersucht, die Missgunst. Wer den Glanz des Erfolgs anstrebt und erlebt, muss lernen, mit dieser hässlichen Kehrseite umzugehen.

    Die Nationalsozialisten mussten Zweigs Werk und ihn als Menschen bekämpfen, weil er Jude war. Die intriganten politischen und literarischen Speichellecker in Brasilien schmeichelten Zweig und missbrauchten ihn teilweise als ihr Instrument: Er ließ sich mit einem brasilianischen Einreisevisum kaufen und schrieb in seiner Begeisterung ein Buch über dieses wunderbare Brasilien, das ihm in den Zeitungen übel um die Ohren geschlagen wurde. Er, dem Freiheit immer höchstes Gut war, konnte noch nicht wahrhaben, dass er ein Land der Diktatur lobte und als Brasilien. Land der Zukunft pries. Zu sehr hatten die Flucht aus dem zerstörten Europa und die Hoffnung auf einen Neuanfang seinen Blick getrübt.

    In allen Biografien, die ich bis jetzt über Zweig gelesen hatte, war mir nie klar geworden, was Zweig letztlich in den Tod getrieben hat. Seine „schwarze Leber“ hat er immer wieder erwähnt, seine Depression. Jetzt nach der detailliert recherchierten Lebensgeschichte sehe ich besser, wie sehr und wodurch sich dieser große Mann in zunehmendem Maße über Jahre hinweg eingeengt, bedroht, verzweifelt sah.

    Aber auch bei lebenslang rezidivierenden depressiven Phasen braucht es einen Funken, um die immer wieder verdrängte Aggression zur Explosion zu zünden. Es ist ein letzter Tropfen nötig, der das Fass voll Wehmut, Verzweiflung, Erniedrigung, Kränkung zum Überlaufen bringt. Welche verheerenden Konsequenzen können immer wiederkehrende Ent-Täuschungen hervorrufen, wenn die Täuschungen also weggenommen werden, denen er aufgesessen ist! Wie bitter ist es, in der Ent-Täuschung immer eine Ent-Tarnung zu sehen, die den klaren Blick auf die Wirklichkeit erzwingt – auf das, was wirklich wirkt.

    Auch bei solch einem psychologisch bestens geschulten und höchst sensiblen Menschen wie Zweig ist ein letzter Würgegriff des Schicksals not-wendig, der die lebenslange Not wendet und den Ent-Schiedenen zur letzten Tat schreiten lässt, zur Scheidung von dieser Welt. Die antrainierte Disziplin, die niederdrückende Wucht der Gefühle pressen dem Verzweifelten die letzte Kraft ab, den Be-Schluss zum Schluss des Lebens detailliert zu planen und konsequent umzusetzen.

    Mit den Fakten, die Dines in über zwanzig Jahren akribischer Forschung zusammengetragen hat, stellt sich die Frage: Wurde hier ein manisch-depressiver Patient in einer Tiefphase der Depression in die Enge getrieben, von der Aussichtslosigkeit der Flucht überwältigt und von der Macht der Krankheit gezwungen, sich umzubringen? Er hat es selbst vorausahnend geschrieben: Er würde „am Krieg sterben“, vor dem er ein Leben lang floh.

    Oder war es so, dass Zweig trotz der Depression „aus freiem Willen und mit klaren Sinnen“ einen Bilanzsuizid vornahm und die Ehefrau davon überzeugte, mit ihm zu gehen. Suizidanten wollen eigentlich leben, aber eben nicht unter den Umständen, in denen sie sich gezwungen sehen zu leben. Es ist bewundernswert, mit welchem Feingefühl Dines die vielschichtigen Konflikte und inneren Widersprüche aufzeigt, an denen Zweig litt, und mit welchem Respekt er die vielen Beweggründe gegeneinander abwägt. Auch wenn wir letztendlich keine abschließende Antwort haben, fasst das Buch eine bedrückende, bereichernde Fülle an Informationen zusammen.

    Dines lässt das Buch nicht mit Zweigs Tod enden, sondern schildert die verpatzte Aufklärung dieses Todes und die Intrigen um seinen Nachruf, seine Beerdigung und die weltweite Erschütterung, die sein Tod auslöste. Wir können verfolgen, wie es den Menschen (zum Teil bis 2002!) weiter erging, die Zweig begleitet hatten. Dines kümmert sich um alle, führt ihre Geschichten so sorgfältig zu Ende, wie er uns im ganzen Buch durch liebevolle Einzelheiten Einblick gibt in Schwächen und Stärken der Menschen. Diesen Nachspann habe ich geradezu als wohltuend empfunden.

    Zweig hat seine Beweggründe zum Suizid unmissverständlich in seiner Declaraçao beschrieben, und sie sind weit entfernt von niedrigen Motiven und krimineller Energie: „Ich halte es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen ist. Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.“

    Wenn wir den Freud´schen Begriff des Schattens ins Spiel bringen, können wir darüber nachdenken, wem die Tötung als Mord gegolten hat, also wen die zerstörerische Energie tatsächlich hätte töten sollen, nachdem Zweig ein Leben lang pazifistisch überzeugt seine Aggressionen nie „mit Biss“ nach außen leben konnte. So mussten seine angestauten Aggressionen zu Autoaggressionen werden. Weil er den Angriff nicht gegen die eigentlichen Verursacher der Aggressionen richten konnte, wendete der so lange ver-zweifelte Zweig den letzten Angriff ent-zweifelt gegen sich selbst. Er hegte keine Zweifel mehr und fühlte sich plötzlich ruhig über den Entschluss! Und er hatte dabei die Hoffnung auf die Morgenröte!

    Mit wie viel Würde, Entschlossenheit, Konsequenz und Mut hat er den Suizid geplant und vollzogen! Er hat sein Leben bis ins kleinste Detail aufgeräumt, alle wichtigen Menschen mit geradezu liebevollen Briefen bedacht, um dann, wie er schrieb, sein Leben „abzuschließen“.

    Stefan Zweig wusste: Wir ändern erst etwas, wenn der Leidensdruck größer ist als die Angst vor der Veränderung. Wie groß muss der Druck auf ihn gewesen sein und wie vergleichbar klein seine Angst vor dieser allerletzten aktiven Veränderung seines Lebens, nämlich es mit Würde und klarem Willen zu beenden!

    Uns bleibt nach der Lektüre dieses Buchs wie bei jedem Suizid die Frage: Hätte dieser Mensch seine enorme Energie und Entschlossenheit, die ihn zum Suizid fähig machte, nicht besser dazu verwenden können, weiterzuleben und eine andere Lösung aus der Krise zu finden? Ich glaube, es steht uns nicht zu, hier zu urteilen, schon gar nicht, zu verurteilen.

    Ich danke Ihnen herzlich, dass Sie mit dem Buch meinen inneren Kulturschatz bereichert haben.

    Copyright Dr. Dietrich Weller

    Diesen Brief habe ich beim BDSÄ-Kongress 2010 in Schwerin in der Lesung über „literarische Briefe“ vorgetragen und im Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte 2012 veröffentlicht.

    PS: Interessierte mögen noch den Beitrag lesen André Simon: Meaningful coincidences -Bedeutungsvolle Zufälle, der auch in dieser Homepage veröffentlicht ist und den ich auf Wunsch von André Simon übersetzt habe. Hier beschreibt André Simon seine persönliche Verbindung zu dem österreichischen Schriftsteller Robert Neumann, der ein Wegbegleiter von Stefan Zweig war.

  • Heyne-Verlag, ISBN 978-3-453-20738-7, 18€, 284 Seiten

    Ein Chirurg (altgriech. Handwerk, Handarbeit) schreibt ein sehr gutes populärwissenschaftliches Buch. – Das ist der erste Satz, der mir bei der Charakterisierung dieses Buchs wichtig erscheint. Er ist auffallend und bemerkenswert, weil es wenige Chirurgen gibt, die gut lesbare und sehr informative Bücher für Nichtwissenschaftler schreiben. Da sind Allgemeinärzte, Kinderärzte, Neurologen, Internisten und Psychiater sehr viel literaturaffiner und schreibfreudiger.

    Ein weiterer Gesichtspunkt, der dieses Buch so lesenswert macht, ist Schäffers pragmatischer und im Praxisalltag so wichtiger Ansatz, auf die psychosomatische Sprache unserer Patienten zu achten. Wenn wir Ärzte ihnen regelmäßig in der Sprechstunde aufmerksam zuhören, erhalten wir durch diese umgangssprachlichen Formulierungen wertvolle Hinweise auf die psychosozialen Hintergründe, die unsere Patienten zu ihren Beschwerden und letztlich zu uns führen. Es wird deutlich, wie sehr der Verdauungstrakt symbolisiert, was wir im übertragenen Sinn im Leben alles zu verdauen haben, was uns reizt, bläht und umtreibt, was uns schwer im Magen liegt, wenn es nicht mehr weitergeht oder wenn wir Schiss haben. Wenn uns die Galle überläuft, weil uns eine Laus über die Leber gelaufen ist, werden wir sauer, und es stößt uns sauer auf.

    Der erfahrene Chirurgie-Professor gliedert sein umfangreiches Buch deshalb logischerweise anhand typischer Alltagsfragen aus der Praxis. Ein paar Beispiele: Was treibt den Magen an? Vom Sodbrennen und verrutschten Magen. Kann der Magen ausleiern? Kann der Magen platzen? Geht Liebe durch den Magen? Wenn der Magen das Sagen hat und durch die Galle zu uns spricht. Magengeschwüre, Magenkrebs und Magentherapien. Und die Frage Wie näht man Butter? macht neugierig auf das Kapitel über die Bauchspeicheldrüse! Vom Magenknurren, Schluckauf und saurem Hering. In dem Kapitel Rettung vor Rundungen? Hilft die Magen-OP? bespricht Schäffer die neue chirurgische Disziplin der bariatrischen Chirurgie, die Übergewichtigen Hilfe zur Gewichtsreduktion verschaffen soll.

    Natürlich spielen Essen und Trinken eine große Rolle in diesem Buch. Schäffer erklärt wichtige und oft unbekannte Fakten, räumt mit typischen Irrtümern auf und gibt wertvolle praktische Tipps für genussvolle, gesunde und bewusste Ernährung. Er ist ehrlich dabei, denn er gesteht schmunzelnd seine Schwäche, in der Hektik des Klinikalltags Gummibärchen zu naschen.

    Viele dramatische Geschichten aus der Klinik, die spannend geschildert werden, zeigen den authentischen Praxisbezug des Buchs und das erzählerische Geschick des Autors.

    Schäffer gibt Antworten auf die Fragen und Konflikte in leicht verstehbarer Sprache. So stelle ich mir vor, dass er in der Sprechstunde seinen Patienten antwortet – sachlich korrekt, wissenschaftlich auf neuestem Stand, sehr informativ und abwägend. Er spricht erfahren, lebensklug und humorvoll mit den Menschen. Wir können ihm beim Lesen zuhören. Hier zeigt sich, dass er auf die zwischenmenschlichen Dinge ebenso achtet wie auf sein hoch spezialisiertes operatives Handwerk. Dieses Buch ist nicht nur für flüssig zu lesen; man kann auch als Arzt einiges daraus lernen.

    Was ist der Unterschied zwischen einem Mediziner und einem Arzt? Ein Mediziner behandelt einen Magenkrebs. Ein Arzt behandelt einen Menschen, der an Magenkrebs leidet.

    Prof. Michael Schäffer ist ein Arzt, der sein Handwerk (im wörtlichen und besten wertschätzenden Sinn gemeint) menschenwürdig ausübt – und überzeugend und unterhaltend darüber schreibt.

    Dr. med. Dietrich Weller, Präsident Bundesverband Deutscher Schriftstellerärzte

  • One ancient fantasy describes an encounter between Fire, Water and Trust.                 As they walked through the woods The Fire said:

     “If I get lost, see if there is any smoke. Because where there is smoke, there is fire. „

    The Water replied, „If I get lost, look where there’s moisture, because where there’s moisture, there’s water.“

    The saddened Trust said: “If I get lost, don’t look for me. Once lost it is impossible to find me. „

    To consider:

    How often in life do we ignore smoke or moisture? Are we deluding ourselves that something is missing, in spite of realizing the signs?

    And how often we forget how hard it is to earn someone’s trust, and how easy it is to lose it irretrievably.

    Dr. med. André Simon © Copyright

    Credits: The sword lily was photographed by Dr. Dietrich Weller, who has agreed to illustrate this story. The author is grateful for this permission.

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Fantasie

    Eine alte Fantasiegeschichte beschreibt eine Begegnung zwischen Feuer, Wasser und Vertrauen. Auf ihrem Weg durch die Wälder sagte das Feuer:

    „Wenn ich verloren gehe, schau nach,  ob es irgendwo Rauch gibt. Denn wo es Feuer gibt, weht auch Rauch.“

    Das Wasser erwiderte: „Wenn ich verloren gehe, schau nach, wo es Feuchtigkeit gibt, denn wo Feuchtigkeit ist, gibt es auch Wasser.“

    Das betrübte Vertrauen sagte: „Wenn ich verloren gehe, sucht mich nicht. Wenn ich einmal verloren bin, ist es unmöglich, mich zu finden.“

    Zu bedenken:

    Wie oft im Leben beachten wir Rauch oder Feuchtigkeit nicht? Machen  wir uns selbst vor, dass etwas fehlt, statt die Zeichen zu erkennen?

    Und wie oft vergessen wir, wie schwierig es ist, das Vertrauen einer Person zu verdienen, und wie leicht es ist, es unwiederbringlich zu verlieren?

    Dank: Die Schwertlilie wurde von Dr. Dietrich Weller fotografiert. Der Autor dankt für die Genehmigung, diesen Text damit zu bebildern.

  • Klaus Kayser, Verkauft mir den Mao nicht.
    Lehmann media ISBN 978-3-96543-139-3

    Unter Globalisierung verstehen wir im Allgemeinen eine wirtschaftliche Verbindung und Verknüpfung der Länder und Menschen über Kontinente hinweg – mit allen guten und schlechten Folgen, von der raschen Verfügbarkeit der Güter in allen Bereichen der Welt bis zur stundenschnellen Verbreitung eines gefährlichen Virus zu allen Völkern. In dem vorliegenden Buch erlebt der Leser einen anderen weltweit aktuellen Gegensatz, nämlich wie drei Religionen und deren Anschauungen drei Personen auf die Probe stellen.

    Ein wohlhabender chinesischer Autohändler bekommt die Diagnose eines fortgeschrittenen Lungenkrebses, und er bittet seinen in Heidelberg als Arzt arbeitenden Sohn, ihn „auf einer Reise zu den alten Stätten unseres Volkes“ zu begleiten – genau so, wie er einst mit Mao Zedong, dem Vorbild des Vaters, die große Reise unternommen hat. Der Vater weiß nicht, dass der Sohn eine muslimische Freundin hat, die als Wissenschaftlerin in Heidelberg arbeitet. Sie verheimlicht ihren Eltern ihre Beziehung zu dem Arzt, weil sie die Abneigung ihres Vaters den „Ungläubigen“ gegenüber kennt. So entschließt sich das Paar, die Reise durch China mit dem Kranken scheinbar zufällig gemeinsam anzutreten. Die Muslimin erhält eine von dem Arzt kunstvoll eingefädelte Einladung zu einem Vortrag in einer Universität in Shanghai und hat damit einen Grund, auch nach China zu reisen. Das Paar hofft, dass der fremdenfeindliche Kranke im Laufe der Reise die Beziehung der Liebenden erkennt und gutheißt. Sie treffen einander scheinbar zufällig immer wieder in denselben Hotels und unternehmen die geplanten Ausflüge miteinander. Dabei entwickeln sich tiefe Gespräche über alte und neue Kulturen, Bräuche und Lebensweisheiten. Die Reise von Ort zu Ort wird zu einer Reise von Thema zu Thema, von Gesundheit über Krankheit zum Tod. Und, wie könnte es anders sein, von Abneigung über Anerkennung zu Akzeptanz.

    „Mein Sohn, du und deine langnasige kostbar glückliche Lichtfrau, bald meine Tochter, bist willkommen“ ist dafür das erlösende Wort des Kranken am Ende der Reise. Als sie durch das Große Tor der Vollendung zum Aprikosenaltar und dann zur Halle des Schlafs gelangen, erreicht der kranke Vater sein Ziel. Vorher prägt er seinem Sohn und dessen Freundin noch den Satz ein: „Verkauft mir den Mao nicht!“ und meint damit das von ihm verherrlichte Bild des Mao, das er in seinem Herzen trägt und das ihn als großes Foto auf seinem Sarg an der Seite von Mao Zedong zeigt.

    Auffallend ist rein stilistisch, dass die handelnden Personen keine Namen haben. Der Vater, der Sohn und die Schöne sind die Protagonisten. Das klingt allgemeingültig, archetypisch und ist (fast) beliebig in andere Kulturen umzusetzen. Der Leser wird mit breitem kulturellem Wissen anhand von Fotografien und Zitaten, Legenden und Begegnungen durch die chinesische Geschichte und Philosophie geführt und profitiert somit von der langjährigen Reisefreude und Erfahrung des Autors. Das Buch enthält einen QR-Code, der den Leser zu einer App führt, die weiteres Wissen zu der chinesischen Kultur und Geschichte vermittelt.