Autor: Ivo Meraskentis

  • Blicke hinüber, mein Herz
    blicke über die höchsten Wipfel frei
    zur schweigenden Rundung
    lieblichster Hügel
    Verklärt
    hattest du gerne, innigstes Leiden
    bisherige Pfade
    verwoben
    vergessen gar unlösbare Schatten
    und haltenden Missmut
    An friedvollen Flächen
    im sanftmütigen Neigen der Halme
    lass ich mein Herzblut sich finden
    nicht hasten
    dort rasten
    den späteren Frieden kennt allzu gut
    ein einsamer Weg 

  • I

    Deinen Anspruch kenne ich,
    in einmaliger Größe
    zu halten mit dem Sinn
    das altvertraute Wipfelspiel,
    den grob behauenen Stein
    und auch das Elternhaus,
    jede geliebte Sache für sich allein
    ob nah, ob fern in Einer
    und nur in dieser Einen

    dass nicht immer Punkte am Horizont
    das Lebewohl dir sagen
    wenn fernab der süßen Heimat
    dein Schritt dich trägt

    Bisher erfasstest du den weiten Raum,
    weil alles schwindet
    alles rankt
    was in ihm steht
    Wenn du jetzt gehst
    wenn du bald nahst
    kennst du die Horizonte nur
    wie ein Blick sie dir erzählt?
    Bestehen solltest du doch einst
    dem Garten fremd Gewordener
    auf Jagd und Hatz

    Ach Freund,
    um jene Tiefe zu verstehen
    muss verkümmern wohl
    des Eindrucks feste Größe
    Horizonte sind,
    die weiten Räume nur
    in vorgetäuschter Niedlichkeit?

  •                                

    Reingehen möchte ich
    tief in den summenden Wald
    und umkehren vielleicht nur
    wenn letzte Schatten
    zum Schlaf alles legen
    im satten Gras
    auf jeder innigsten Lichtung
    Den Flüsterern
    lauschen wir gern
    sie besingen die Nacht
    halten uns fest
    halten uns
    die lichtscheuen Linien,
    das säuselnde Flimmern
    der drängenden Schönheit
    Ein nacktes Menschenkind
    steh ich in ihr
    und versperrt ist der Rückweg
    unkenntlich der Pfad hin zu Mutter
    Sollte ein Teil von ihr sein
    doch nimmer kehrt heim
    der einmal Verstoßene
    Er wollte den Baum
    anders nur setzen,
    hat nur gespürt wie es sein kann
    sich zu entscheiden im Zweifel
    und im Triumph zu bezweifeln
    Das Kindchen blickt hoch
    hoch auf der Lichtung
    zum silbernen Kosmos
    im frischesten Gras
    Es wird sich nicht abwenden
    es wird weiter fragen
    und immer wieder
    immer wieder verzweifeln
    ein geometrisches Wesen
    dein Wesen, Pallas Athene
    wundert sich
    und verändert die Welt
    Singen
    immerfort singen
    werd´ ich für Mutter
    Trübsal und Schmerz
    suche ich bei ihr zu lindern
    in ihr,
    der heilenden Allmacht

  • zum vierhundertsten Todestag

    Hochgestimmt und offenherzig
    so traten wir nun an
    Empfinden und Folgern
    zu meistern
    der Altvorderen
    unsere Herkunft,
    wie es denn wurde,
    dass wir anders meinten
    dann
    erwachsen nach Hunderten von Jahren
    aus dem gewohnten Schoß
    der allerersten Märchen
    und aus Resten
    eines beschlagenen Gedenkens

    Galt es
    einsame Brüche zu erkennen
    im Lauf der gequälten Geschlechter 
    zu finden vielleicht nur
    die schleichende, kleinlaute Abkehr
    vom bisherigen Sinnen?

    Mein einstiges Stürmen
    wirkt mir
    zu mancher Stunde fremd
    so unerwartet toll
    will´s mir erscheinen
    Kaum mehr kann ich kennen
    erkennen, etwas Sicheres in mir
    nicht lässt sie sich wissen
    erwischen die großartige Welt

    Im Schleier der Zeiten
    verpuppt sich die unstete See
    zum haltlosen Strom
    meiden die längst gesättigten Blicke
    den Grund
    im trüb gewordenen Wasser,
    können nicht sagen
    warum es wurde was da ist
    und wie das wurde was es ist

    Zum ersten Aufbegehren gewandt
    vermag ich betagteres Empfinden
    nicht zu entwirren
    nicht in mir
    auch nicht im Kosmos,
    nicht die erwartete tiefe Zäsur
    in einem übermächtigen
    unwiderstehlich waltenden Gedanken,
    dass so entschieden, so vollkommen
    in der Abfolge unserer Epochen
    sein Gegenteil durchaus
    den weiteren Weg benennen konnte

    Parabelähnliches Verhalten fast,
    erst den einen
    dann den zweiten Schenkel hochziehen
    hoch hinauf, fast zu den Sternen
    und stetig, stetig muss sie                                                
    muss die Bewegung sein
    -so tippte es mir der Lehrer auf den Graphen-
    ohne ein Stocken in der Führung
    soll es geschehen

    Leichtherzig haben wir
    bescheidene Einschnitte nicht gespürt
    sie nicht gesucht
    nicht der stillen Kehrtwende
    unterschwelligen Moment
    Was unmöglich in Gänze erschien
    ist in Summe wahrhaftig geworden,
    wurden sie
    die zahllosen Grenzwerte, mein Freund
    unerklärbar überschritten

    nicht säßen wir sonst hier
    wohl gezeugt, so sagen es die Schriften
    als bittersten Todesernst
    der Zweifel besiegte,
    grausame Überzeugung
    aus der Mühle unzähliger Jahre gespeist
    unserem Denken
    nur noch als bester Unfug galt
    überwunden zwar
    doch ohne die eine Erkenntnis
    wie dies geschah
    im eigensten Innern

    endgültig gekappt
    ist sie auch hier
    die heilende Nabelschnur
    zu den Dingen
    aus Bruchstücken der Überlieferung
    fügten wir es uns zurecht
    wie wir es zu verstehen meinten
    jenes Gesamtbildnis
    Doch passt es nicht,
    immer ein Steinchen noch so klein
    passt so richtig nicht
    ins ehrgeizige Mosaik
    Trotzdem erleichtert
    und so stolz
    deuten wir immer wieder gern
    aufs geltende Zeitalter
    und die verwandelten Gesichter   

  • Eine Widmung                    

    (Ivo Meraskentis)

    Der kleine Mond
    am Gipfel ist er langgezogen
    ganz wird er sich zeigen dann
    rund und schön
    wird er sich zeigen

    mancher Vers ward ihm gewidmet
    oft besungen hat man ihn
    weitre Zeilen könnten leicht
    ein überflüssiges Lied nur sein,
    vielleicht
    vielleicht gereicht zur Ehre ihm
    dies eine,
    dass ich mich freuen werde
    wenn Herzensblicke
    wieder ruhen sollten
    auf seiner Pracht
    selbstlos und sicher auf der Bahn
    mir Gute Nacht zu sagen,
    zu gestatten
    nicht nur das Wörtchen Schade

  • I.

    Komm mir nun, Hübsche
    blau sind die Augen,
    hohe Bögen die Brauen
    an deiner Gestalt
    nüchterne Kurven,
    komm mir
    Ein Rätsel dein Blick
    des eilenden Sommers Erfüllung
    des ermatteten Sommers Balsam,
    dass nicht weiter wird stören
    dies eine Wörtchen nur
    Schade

    II.

    Einen Augenblick
    nur einen,        
    ein Schweigen 
    für so kurze Zeit
    Sieh die Straße, schau!
    Es brach sich seinen Pfad                                           
    durch allen Ast das Licht,                                           
    kein Blatt das sich grad regt                                        
    mein Blick der sich nicht regt   
    Nicht einer kam vorbei
    um etwas Unrast hier zu lassen                        
    mir ein Heim die Pflastergassen,                      
    das Häuschen ein Palast im Glanz                               
    wertvollste Blume jedes Gras                                     
    mein Ein und Alles der Moment                                  
    es blitzt wie Sonnenpracht das Glas
    und alles hält’s verborgen

  •        

    An einem Sonntag bei Chaironeia
    standen fünf Mann am Löwenhaupt
    ein kurzes Wiedersehn an trächtigem Platz
    ein Händedruck, ein knappes Wort
    bleiern die Farben unsrer Himmel heut
    in sich gekehrt das schlichte Grün
    ich glaub, sentimentaler Oktober war´s
    An einem Sonntag bei Chaironeia
    standen wir vier am Löwenhaupt
    Gefährten an geweihtem Ort
    jeder dem gleichen Einfall folgend
    aus klarstem Kehlengrund dem Lied
    den besten Ton gewissenhaft zu setzen
    fünffach auf unsrer Herzen Notenblatt
    Mehr braucht es nicht als dieses Werk
    uns winkt die Kindheit zu aus ferner Zeit
    ja, friedfertiger Oktober war´s

    Der alte Meister der Musik
    nahm mich an seines Geistes Hand
    hat mir mein Schwärmen beigebracht
    In Holstein steht sein Elternhaus
    ich hab es dort gesehen
    die Blume die ich auf seiner Schwelle ließ
    sollte nimmer vergehen
    Ein kleiner, braver Zusatz nur?
    Fürchte den Eigensinn, die Willenskraft
    die ein gut versteckter Halbton birgt
    Errichtet wurde auf altem Grund
    in heiligen Maßen des Quartetts
    das feste Heim der Harmonie
    ein Mauerwerk, daß es den Zeiten trotzt
    Im Dreiklang
    baust du Strukturen, Freund!
    Dazu den vierten von verzückender Art?
    Da blutet dir der Seelengrund!

  •  

    Finde ich meine Richtung
    auf dem alten Kompass
    so würde ich mich
    sehr gern dorthin begeben
    doch weiß ich nicht
    wie viele Tagesnächte es kosten soll
    Verkünden werden es vielleicht
    die goldenen Herden
    mit fröhlichem Gebrüll
    von Sonne umflutet
    jeden Tag
    die satten,
    auf dunklen Schiffen einst,
    da drängten wir
    von Kythira nach Rhodos

    Der Speer zuerst
    er neigt seinen Schaft,
    der Bogen
    eine Mulde weit die Arme
    Nicht Thermopylens letztes
    trauriges Kapitel
    auch nicht Bruder den Bruder, nein
    nur beieinander verweilen sie still
    So möchte die Hand
    Früchte berühren, sie pflücken
    kann ihr doch nur ein Leichtes sein
    bei solch geringer Entfernung
    Meinte man,
    unsre göttliche Insel zu erspähen,
    zu vernehmen
    das laute Geschrei unruhiger Tiere
    so wird
    mein ewig transzendierender Wille
    den noch so kleinen Abstand
    überwinden
    werde ich mir die Früchte nehmen

     

  • Der kleine Zusatz                   

     

    An vertrauten Hügeln
    hab ich die Sorgen
    mit Eindrücken besänftigt,
    dem unsteten Tanzen der Halme
    in purpurnem Licht
    dem Atmen der klumpigen Erde
    auf jedem Schritt
    Wie ein Stein
    in hungrigem Wasser
    wurde ich eins
    mit deinem wilden Treiben
    eins in deinem maßlosen Meer
    Weißt du´s?
    Weißt du es noch, Eglantine?

    Den kleinen
    vordergründig unbedeutenden Zusatz
    sollte man schätzen lernen,
    den Schlaf
    den möchte er uns so gerne nehmen
    sicherlich wird er ihn nehmen
    so wie die Nacht zum Tage wurde
    als ich dich vernahm
    stolzerfüllt die Leidenschaften schwingend
    auf festlichen Alleen

    Weit öffne ich das Fenster, weit
    ich schmecke
    ich lausche und begehre,
    der kleine Zusatz
    der lässt mir keine Ruh
    Oft waren es doch nur
    Clementinen in meiner Hand
    reich an sattem Fleisch
    und süßem Saft,
    liebevoll verklärte Zehrung
    auf später Heimkehr
    mit Vater und Mutter
    fernab der rumorenden Stadt
    … eine Weltbühne die Vaterstadt

    Bretter drei an der Zahl
    nur behelfsmäßiges Werk der Zaun
    ein Stamm am Rand
    hochgewachsenes Gras, wenige Blumen
    Gestern fiel er mir nicht auf
    heute sah ich ihn
    umrankt vom ersten Abendlicht
    dem ersten kühlen Hauch ergeben
    und da staune ich nur
    gebannt

    Ein Zwielicht ist´s,
    in ihm schmücken das Pflaster
    feine Fassaden
    dringen zu uns vielfach die Stimmen
    betörende Düfte und beste Musik
    Ein Zwielicht hat mich angelockt
    jenes Halbdunkel
    konnte mir so sehr gefallen
    Und weiß ich ja nur allzu gut,
    dass ich den Schlaf verlieren werde
    wenn du einst lächelnd runterkommst
    auf der geschmückten Straße
    und ich mich an dir erfreue

     

     

     

     

  •  

    1.

    Einem Pik gleicht dieser Baum
    einsam am dunklen Übergang,
    im Abendschimmer steht der Übergang
    Dorthin, dorthin wolltest du gehen
    zum Nachtlager verbrüdert
    mit erdiger Mutter
    verbrüdert
    mit Windspiel und Reh

    Die narbige Fläche
    hat den Frieden geteilt
    am gradlinigen Wandel
    zur tiefrauschenden Macht
    Alles lag offen
    alles lag bar
    unter den besten Sternenkindern

    Als die Schatten vergingen
    und erste Gesänge uns riefen
    betrat ich die herrliche Pracht
    Denn immerzu konnte sie trösten,
    denn keiner wurde verstoßen
    den Kummer umgab

     

    2.

    Fremd blieb mir jener
    der dies bezeugte
    doch nicht bestaunte
    wie der neue Tag trotzig hervorbrach
    wie er die Schöpfung zornig bedrängte
    immerzu um Anerkennung ringend
    der Durchtränkte,
    im einstimmigen Neigen
    der belaubten Phalanx
    im ungewohnten Grollen
    dumpf und unersättlich
    jähzorniger Elemente