Ivo Meraskentis
-
I
Deinen Anspruch kenne ich,
in einmaliger Größe
zu halten mit dem Sinn
das altvertraute Wipfelspiel,
den grob behauenen Stein
und auch das Elternhaus,
jede geliebte Sache für sich allein
ob nah, ob fern in Einer
und nur in dieser Einendass nicht immer Punkte am Horizont
das Lebewohl dir sagen
wenn fernab der süßen Heimat
dein Schritt dich trägtBisher erfasstest du den weiten Raum,
weil alles schwindet
alles rankt
was in ihm steht
Wenn du jetzt gehst
wenn du bald nahst
kennst du die Horizonte nur
wie ein Blick sie dir erzählt?
Bestehen solltest du doch einst
dem Garten fremd Gewordener
auf Jagd und HatzAch Freund,
um jene Tiefe zu verstehen
muss verkümmern wohl
des Eindrucks feste Größe
Horizonte sind,
die weiten Räume nur
in vorgetäuschter Niedlichkeit? -
Reingehen möchte ich
tief in den summenden Wald
und umkehren vielleicht nur
wenn letzte Schatten
zum Schlaf alles legen
im satten Gras
auf jeder innigsten Lichtung
Den Flüsterern
lauschen wir gern
sie besingen die Nacht
halten uns fest
halten uns
die lichtscheuen Linien,
das säuselnde Flimmern
der drängenden Schönheit
Ein nacktes Menschenkind
steh ich in ihr
und versperrt ist der Rückweg
unkenntlich der Pfad hin zu Mutter
Sollte ein Teil von ihr sein
doch nimmer kehrt heim
der einmal Verstoßene
Er wollte den Baum
anders nur setzen,
hat nur gespürt wie es sein kann
sich zu entscheiden im Zweifel
und im Triumph zu bezweifeln
Das Kindchen blickt hoch
hoch auf der Lichtung
zum silbernen Kosmos
im frischesten Gras
Es wird sich nicht abwenden
es wird weiter fragen
und immer wieder
immer wieder verzweifeln
ein geometrisches Wesen
dein Wesen, Pallas Athene
wundert sich
und verändert die Welt
Singen
immerfort singen
werd´ ich für Mutter
Trübsal und Schmerz
suche ich bei ihr zu lindern
in ihr,
der heilenden Allmacht -
zum vierhundertsten Todestag
Hochgestimmt und offenherzig
so traten wir nun an
Empfinden und Folgern
zu meistern
der Altvorderen
unsere Herkunft,
wie es denn wurde,
dass wir anders meinten
dann
erwachsen nach Hunderten von Jahren
aus dem gewohnten Schoß
der allerersten Märchen
und aus Resten
eines beschlagenen GedenkensGalt es
einsame Brüche zu erkennen
im Lauf der gequälten Geschlechter
zu finden vielleicht nur
die schleichende, kleinlaute Abkehr
vom bisherigen Sinnen?Mein einstiges Stürmen
wirkt mir
zu mancher Stunde fremd
so unerwartet toll
will´s mir erscheinen
Kaum mehr kann ich kennen
erkennen, etwas Sicheres in mir
nicht lässt sie sich wissen
erwischen die großartige WeltIm Schleier der Zeiten
verpuppt sich die unstete See
zum haltlosen Strom
meiden die längst gesättigten Blicke
den Grund
im trüb gewordenen Wasser,
können nicht sagen
warum es wurde was da ist
und wie das wurde was es ist
Zum ersten Aufbegehren gewandt
vermag ich betagteres Empfinden
nicht zu entwirren
nicht in mir
auch nicht im Kosmos,
nicht die erwartete tiefe Zäsur
in einem übermächtigen
unwiderstehlich waltenden Gedanken,
dass so entschieden, so vollkommen
in der Abfolge unserer Epochen
sein Gegenteil durchaus
den weiteren Weg benennen konnte
Parabelähnliches Verhalten fast,
erst den einen
dann den zweiten Schenkel hochziehen
hoch hinauf, fast zu den Sternen
und stetig, stetig muss sie
muss die Bewegung sein
-so tippte es mir der Lehrer auf den Graphen-
ohne ein Stocken in der Führung
soll es geschehen
Leichtherzig haben wir
bescheidene Einschnitte nicht gespürt
sie nicht gesucht
nicht der stillen Kehrtwende
unterschwelligen Moment
Was unmöglich in Gänze erschien
ist in Summe wahrhaftig geworden,
wurden sie
die zahllosen Grenzwerte, mein Freund
unerklärbar überschritten
nicht säßen wir sonst hier
wohl gezeugt, so sagen es die Schriften
als bittersten Todesernst
der Zweifel besiegte,
grausame Überzeugung
aus der Mühle unzähliger Jahre gespeist
unserem Denken
nur noch als bester Unfug galt
überwunden zwar
doch ohne die eine Erkenntnis
wie dies geschah
im eigensten Innern
endgültig gekappt
ist sie auch hier
die heilende Nabelschnur
zu den Dingen
aus Bruchstücken der Überlieferung
fügten wir es uns zurecht
wie wir es zu verstehen meinten
jenes Gesamtbildnis
Doch passt es nicht,
immer ein Steinchen noch so klein
passt so richtig nicht
ins ehrgeizige Mosaik
Trotzdem erleichtert
und so stolz
deuten wir immer wieder gern
aufs geltende Zeitalter
und die verwandelten Gesichter -
Eine Widmung
(Ivo Meraskentis)
Der kleine Mond
am Gipfel ist er langgezogen
ganz wird er sich zeigen dann
rund und schön
wird er sich zeigenmancher Vers ward ihm gewidmet
oft besungen hat man ihn
weitre Zeilen könnten leicht
ein überflüssiges Lied nur sein,
vielleicht
vielleicht gereicht zur Ehre ihm
dies eine,
dass ich mich freuen werde
wenn Herzensblicke
wieder ruhen sollten
auf seiner Pracht
selbstlos und sicher auf der Bahn
mir Gute Nacht zu sagen,
zu gestatten
nicht nur das Wörtchen Schade -
I.
Komm mir nun, Hübsche
blau sind die Augen,
hohe Bögen die Brauen
an deiner Gestalt
nüchterne Kurven,
komm mir
Ein Rätsel dein Blick
des eilenden Sommers Erfüllung
des ermatteten Sommers Balsam,
dass nicht weiter wird stören
dies eine Wörtchen nur
SchadeII.
Einen Augenblick
nur einen,
ein Schweigen
für so kurze Zeit
Sieh die Straße, schau!
Es brach sich seinen Pfad
durch allen Ast das Licht,
kein Blatt das sich grad regt
mein Blick der sich nicht regt
Nicht einer kam vorbei
um etwas Unrast hier zu lassen
mir ein Heim die Pflastergassen,
das Häuschen ein Palast im Glanz
wertvollste Blume jedes Gras
mein Ein und Alles der Moment
es blitzt wie Sonnenpracht das Glas
und alles hält’s verborgen -
An einem Sonntag bei Chaironeia
standen fünf Mann am Löwenhaupt
ein kurzes Wiedersehn an trächtigem Platz
ein Händedruck, ein knappes Wort
bleiern die Farben unsrer Himmel heut
in sich gekehrt das schlichte Grün
ich glaub, sentimentaler Oktober war´s
An einem Sonntag bei Chaironeia
standen wir vier am Löwenhaupt
Gefährten an geweihtem Ort
jeder dem gleichen Einfall folgend
aus klarstem Kehlengrund dem Lied
den besten Ton gewissenhaft zu setzen
fünffach auf unsrer Herzen Notenblatt
Mehr braucht es nicht als dieses Werk
uns winkt die Kindheit zu aus ferner Zeit
ja, friedfertiger Oktober war´sDer alte Meister der Musik
nahm mich an seines Geistes Hand
hat mir mein Schwärmen beigebracht
In Holstein steht sein Elternhaus
ich hab es dort gesehen
die Blume die ich auf seiner Schwelle ließ
sollte nimmer vergehen
Ein kleiner, braver Zusatz nur?
Fürchte den Eigensinn, die Willenskraft
die ein gut versteckter Halbton birgt
Errichtet wurde auf altem Grund
in heiligen Maßen des Quartetts
das feste Heim der Harmonie
ein Mauerwerk, daß es den Zeiten trotzt
Im Dreiklang
baust du Strukturen, Freund!
Dazu den vierten von verzückender Art?
Da blutet dir der Seelengrund! -
Finde ich meine Richtung
auf dem alten Kompass
so würde ich mich
sehr gern dorthin begeben
doch weiß ich nicht
wie viele Tagesnächte es kosten soll
Verkünden werden es vielleicht
die goldenen Herden
mit fröhlichem Gebrüll
von Sonne umflutet
jeden Tag
die satten,
auf dunklen Schiffen einst,
da drängten wir
von Kythira nach RhodosDer Speer zuerst
er neigt seinen Schaft,
der Bogen
eine Mulde weit die Arme
Nicht Thermopylens letztes
trauriges Kapitel
auch nicht Bruder den Bruder, nein
nur beieinander verweilen sie still
So möchte die Hand
Früchte berühren, sie pflücken
kann ihr doch nur ein Leichtes sein
bei solch geringer Entfernung
Meinte man,
unsre göttliche Insel zu erspähen,
zu vernehmen
das laute Geschrei unruhiger Tiere
so wird
mein ewig transzendierender Wille
den noch so kleinen Abstand
überwinden
werde ich mir die Früchte nehmen -
Der kleine Zusatz
An vertrauten Hügeln
hab ich die Sorgen
mit Eindrücken besänftigt,
dem unsteten Tanzen der Halme
in purpurnem Licht
dem Atmen der klumpigen Erde
auf jedem Schritt
Wie ein Stein
in hungrigem Wasser
wurde ich eins
mit deinem wilden Treiben
eins in deinem maßlosen Meer
Weißt du´s?
Weißt du es noch, Eglantine?Den kleinen
vordergründig unbedeutenden Zusatz
sollte man schätzen lernen,
den Schlaf
den möchte er uns so gerne nehmen
sicherlich wird er ihn nehmen
so wie die Nacht zum Tage wurde
als ich dich vernahm
stolzerfüllt die Leidenschaften schwingend
auf festlichen AlleenWeit öffne ich das Fenster, weit
ich schmecke
ich lausche und begehre,
der kleine Zusatz
der lässt mir keine Ruh
Oft waren es doch nur
Clementinen in meiner Hand
reich an sattem Fleisch
und süßem Saft,
liebevoll verklärte Zehrung
auf später Heimkehr
mit Vater und Mutter
fernab der rumorenden Stadt
… eine Weltbühne die VaterstadtBretter drei an der Zahl
nur behelfsmäßiges Werk der Zaun
ein Stamm am Rand
hochgewachsenes Gras, wenige Blumen
Gestern fiel er mir nicht auf
heute sah ich ihn
umrankt vom ersten Abendlicht
dem ersten kühlen Hauch ergeben
und da staune ich nur
gebanntEin Zwielicht ist´s,
in ihm schmücken das Pflaster
feine Fassaden
dringen zu uns vielfach die Stimmen
betörende Düfte und beste Musik
Ein Zwielicht hat mich angelockt
jenes Halbdunkel
konnte mir so sehr gefallen
Und weiß ich ja nur allzu gut,
dass ich den Schlaf verlieren werde
wenn du einst lächelnd runterkommst
auf der geschmückten Straße
und ich mich an dir erfreue -
1.
Einem Pik gleicht dieser Baum
einsam am dunklen Übergang,
im Abendschimmer steht der Übergang
Dorthin, dorthin wolltest du gehen
zum Nachtlager verbrüdert
mit erdiger Mutter
verbrüdert
mit Windspiel und RehDie narbige Fläche
hat den Frieden geteilt
am gradlinigen Wandel
zur tiefrauschenden Macht
Alles lag offen
alles lag bar
unter den besten SternenkindernAls die Schatten vergingen
und erste Gesänge uns riefen
betrat ich die herrliche Pracht
Denn immerzu konnte sie trösten,
denn keiner wurde verstoßen
den Kummer umgab2.
Fremd blieb mir jener
der dies bezeugte
doch nicht bestaunte
wie der neue Tag trotzig hervorbrach
wie er die Schöpfung zornig bedrängte
immerzu um Anerkennung ringend
der Durchtränkte,
im einstimmigen Neigen
der belaubten Phalanx
im ungewohnten Grollen
dumpf und unersättlich
jähzorniger Elemente