Autor: Paul Peter Kokott

  • Der Horizont bildet die Grenze
    der Erfahrung in ihrer Gänze,
    der Einsicht und dem Vermögen,
    dem Verlangen und dem Streben.

    Der Horizont öffnet den Blick,
    der vorausschaut, nicht zurück.
    Am Horizont endet das weite Land,
    was hinterwärts liegt, bleibt unbekannt.

    Der Horizont ist aber kein Ende,
    ein Vorlauf zeitigt klar die Wende.
    Die Sichterweiterung zeigt uns an,
    dass man die Welt erfassen kann.

  • 60 Jahre Abitur,
    die Zeit verrann, wo bleibt sie nur,
    die Lebenswege sind verschieden,
    allein die Einsicht ist geblieben,
    im Miteinander liegt die Kraft,
    die Sinn geriert und Werte schafft.

  • Nie wieder Krieg
    Es ist unfassbar zu verstehen,
    wütet erneut ein Kriegsgeschehen.
    Tote, Verletzte, unendliches Leid
    prägt nicht die Historie, sondern unsere Zeit.
    Wer Waffen liefert ist dabei
    eindeutig eine Kriegspartei.
    Nie wieder Krieg, Schwur und Versprechen,
    was sagt es aus, damit zu brechen.

  • Gefangen in Unwägbarkeit
    des eignen Tuns und Sollen,
    begrenzt durch unsre Lebenszeit,
    egal, was wir auch wollen.

    Gefangen in dem Glauben,
    die Welt sei gut und schön,
    verschließen wir die Augen,
    um nicht das Leid zu sehn.

    Gefangen in der Existenz
    Im Rahmen des Vermögens,
    erschließt ein Sinn  in Kontingenz
    vergebens sich, vergebens.

  • Covid -19 und kein Ende,
    was bringt, bewirkt zeitnah die Wende.
    Einschränkungen, Kontaktverbot,
    Das Leben zu zerreissen droht.
    Auf sich selbst gestellt, Isolation,
    lähmt und fördert Frustration.
    Das Impfen mag uns Hoffnung geben,
    Kontakte wieder zu erleben.
    Unbeschwerteit zu erlangen,
    bleibt das Ziel und Unterfangen.

  • Der Lack ist ab, die Zeit vorbei,
    in der wir unbeschwert und frei
    die Lebensfülle voll genossen,
    diese Zeit ist nun verflossen.

    Doch keinesfalls muss das verdrießen,
    den Rest, der bleibt, auch zu genießen.
    Nutze die Zeit, abseits vom Geld,
    allein Dein Wohlbefinden zählt.

    Was wird, was bleibt von Deinem Streben,
    die Welt zu bessern, zu erheben,
    die Mühe, die Du Dir gemacht,
    was Du vollzogen und vollbracht.

    Bleibe gelassen, guten Mut´s,
    das Resultat alleine tut´s.
    Im Geschehen dieser Welt
    jeder Wortgedanke zählt.

  • Fünfundsiebzig  und nicht weise,
    wohin führt die weit´re Reise.
    Vorbestimmt und schicksalshaft,
    oder doch durch eigne Kraft.

    Die Wahrheit ist wie immer schlicht,
    einfach ist das Leben nicht.
    Und Goethe hat schon festgestellt,
    verwirrtes Handeln waltet über uns´re Welt.

    Das soll uns aber nicht verdrießen,
    wir wollen leben, voll genießen.
    Nun fahren wir die Ernte in die Scheuer ein!
    Zusammen lasst uns fröhlich sein.

     

     

  • Diese Gedichte wurden vorgetragen bei der BDSÄ-Jahrestagung 2015 in Bremen in der Lesung mit dem Thema „Fehler“

     

    Hymne an den Stacheldraht 

    Stacheltier, du ausgerolltes
    Borstenvieh, du ungewolltes,
    von Tyrannen festgenagelt,
    dir sei jetzt ein Lied spektakelt!

    Von dem Volk, das du umfasst,
    von dem Volke, das dich hasst,
    von dem Land, das du umringst
    und in deinen Kerker zwingst.

    Wer kann deine Stachel zählen,
    die Millionen Menschen quälen,
    die Millionen tiefe Wunden
    in das Menschenherz geschunden?

    Magst du wie ein Tiger beißen
    und die Welt in Stücke reißen.
    Magst du deine Zähne wetzen
    und uns das Gedärm zerfetzen.

    Wie bestialisch du auch bist!
    Wie der Rost dein Eisen frisst,
    frisst der Freiheitshunger auch
    dich in seinen großen Bauch.

    Blumen um die Stirn der Braut,
    Schellen um die Hand, die klaut,
    und um den Tyrannenstaat
    Stacheldraht, Stacheldraht. –

    Copyright Prof. Dr. Paul Rother,  1970

     

    Heinrich Heine Herbst 1989 in Leipzig

    1. Der 9. Oktober

    Im traurigen Monat Oktober war’s,
    die Tage wurden trüber,
    Paris hört’ grad mit Feiern auf,
    da fuhr ich nach Leipzig hinüber.

    Was dort zweihundert Jahr’ vorbei,
    hier war es aktueller.
    Der eingelullte Weltenlauf
    ging plötzlich wieder schneller.

    Zwar Tyrannei, vergreist und stur,
    sprach noch mit schriller Stimme
    von 40 Jahren DDR
    voll Stolz, und auch im Grimme

    Über ein zweites deutsches Land,
    durch das ich grad gereiset,
    und wo ich mich sehr wohl befand
    und auch recht gut gespeiset.

    Da spielten Siebzigtausend dann
    am Abend Ringelreihn
    und schlossen, wie im Kinderspiel,
    die alte Staatsmacht ein.

    Viel schöne Sprüche hört’ ich sie
    im Chore laut zitieren.
    Auch auf Bettlaken standen sie.
    Ich werde sie notieren

    Und wenn ich wieder in Paris,
    daraus ein Epos machen,
    worüber hoffentlich sodann
    allhier die Leute lachen.

     

    1. Stasi

    Ja, sie sind unverkennbar froh,
    auch wenn sie noch im Drecke,
    doch ihre Fröhlichkeit verfliegt
    an jener „runden Ecke“,

    An Leipzigs Reichskanzlei, in der
    sich jene tief verschanzten,
    die als Staatssicherheit  frech auf
    des Volkes Nase tanzten.

    Hier, schwer bewaffnet, lagen sie
    der Freiheit auf der Lauer,
    rund vierzig Jahre war ihr Bau
    ein Monument der Trauer.

    Dann kam das Wunder: Tausendfach
    Kerzen in bloßen Händen
    räucherten  die Tschekisten aus,
    konnten den Spuk beenden.

     

    1. Die Elster

    Die Weiße Elster ist ein Fluss,
    einst Leipzigs Wasserstraße.
    Ihr Wasser ist jedoch ganz schwarz
    und fährt mir in die Nase.

    Hätte sie 1813 schon
    so mörderisch gestunken,
    Napoleons Heer wär’ schnell gefloh’n
    und nicht in ihr ertrunken.

    Aus Schaum war Venus einst gebor’n,
    die Muse meiner Lieder.
    In diesem Chemikalienflaum,
    ich glaub, da stirbt sie wieder.

    Im Munde knirscht’s, ich spucke aus,
    die Spucke schwimmt zur Elbe
    und schwimmt durch Ost- und Westdeutschland,
    als wär’ es schon dasselbe.

    Ja, sicher wird es das, sie zanken
    nicht mehr um eine Grenze
    im Elbelauf  bei Magdeburg,
    nein, sie wird deutsch zur Gänze.

     

    4. St. Nikolai

    Den Spott über den Kölner Dom,
    den muss ich schnell vergessen,
    seit ich am Montagabend in
    Sankt Nikolai gesessen.

    Was mir zu Köln noch Zwingburg schien,
    des Geists Bastille und Kerker –
    hier macht die Kirche Menschen frei,
    gewitzt, furchtlos und stärker.

    Nach dem Gebet begann sie hier,
    die große Prozession,
    und nahm von hier den Siegeslauf,
    die Revolution.

    Dank unsern Glaubensbrüdern, die
    Sowjetbürger beglückten,
    indem sie Bibeln tonnenweis’
    ins Erbreich Stalins schickten!

    Ihr ließet euern Opfermut
    im Westen nie erkalten
    und habet auch den Menschen hier
    manch Kirchenbau erhalten.

    Erschreckt nicht vor der neuen Pflicht,
    sie noch zu unterstützen.
    Die Leute hier bedanken sich
    mit Kommunistenwitzen.

     

    Copyright Prof. Dr. Paul Rother

     

     

     

  • Es bleibt der Regen,
    der spendet Segen
    für Wald und Flur.
    Zum Nutzen der Natur.

    Es bleibt die Sonne,
    die schenkt uns Wonne
    durch Wärme und Licht,
    wenn der Tag anbricht.

    Es bleibt der Himmel mit den Sternen,
    den nahen, weiten und sehr fernen,
    die funkelnd erstrahlen am Firmament.
    Gar manche man mit Namen kennt.

    Es bleibt die Welt.
    die weiter zerfällt
    in arm und reich.
    Sind alle Menschen wirklich gleich?

    Es bleibt das Werk in seiner Zeit,
    das Mühen um Verständigkeit,
    das Zeugnis gibt  von dem Bestreben,
    die Welt zu bessern, zu erheben.

    Es bleibt der Eindruck personalisiert,
    wie der Mensch war, was er bewirkt,
    sein Schaffen bestimmt, sein Dasein geprägt.
    Das Füreinander belebt und bewegt.

    Die Welt, wie wir sie einst erlebt,
    ist von der Zeit hinfort geweht.
    Im steten Wandel wirkt die Kraft,
    die auf uns aufbaut, Neues schafft.

     

    Copyright Dr. Paul Kokott

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    Die Paläographie, die Schriftgeschichte oder genauer Lehre von der alten Schrift, ist eine etablierte Wissenschaft, ebenso ein Zweig davon, die Inschriftenkunde oder Epigraphik. Dazu ein kurzer Beitrag.

    Inschriften wurden und werden mit unterschiedlichen Schreibwerkzeugen angefertigt, mit Meißel, Messer, Feder, Pinsel, Stift et cetera, und entstehen auf ganz verschiedenen Beschreibstoffen: auf Tontafeln, Steinen, Metall, Glas, Papyrus, Leder, Haut, Holz. Um das letztere Medium geht es, um Holz, aus dem die Hörsaalbänke gemacht sind.

    Er hatte, nicht zum ersten Mal, die ehrenvolle Aufgabe übernommen, den Mediziner-fasching mit einer Büttenrede zu bereichern, und suchte nach Ideen. Da las er in seiner Zeitung einen Artikel über Sprüche und Texte auf Hörsaalbänken, welcher mit einer groben Unwahrheit schloss: Nur Studenten der Geistes- und Naturwissenschaften würden Kleinkunst im Hörsaal produzieren, Medizinstudenten dagegen täten niemals ihre Hörsaalbänke beschmieren. Bloß einen einzigen Spruch habe der Autor in einem medizinischen Auditorium gefunden: „Lieber eine Vorlesung als gar keinen  Schlaf.“ –

    Es war ein schwerer Affront gegen die gesamte Medizin und ihre Studenten. Er beschloss, seine Büttenrede an dieser Infamie, an diesem Generalangriff auf die literarische Schöpferkraft des medizinisch-akademischen Nachwuchses aufzuhängen und für die Studenten eine Redeschlacht zu schlagen, sind umgekehrt doch auch schon Studenten für ihren Professor in den Krieg gezogen, zumindest in den Glaubenskrieg.

    Die Aufgabe war allemal interessant für einen, der sein halbes Leben mit Studenten zugebracht hat und der deshalb immer auf der Pirsch war nach Informationen, was diese im Innersten bewegt, wie sie ganz eigentlich ticken. Deshalb war er Gesprächen mit ihnen niemals ausgewichen, deshalb ließ er sich sogar von Vertreterinnen derselben auch schon mal verführen, nur deshalb, und nicht etwa aus niedereren Beweggründen, wie missgünstige Kollegen ihm angelastet haben. –

    Er tat das Verrückteste, was er je in seinem Berufsleben angestellt hat: Eines Mittags in den Semesterferien schlich er, mit Stift und Zettel bewaffnet, in den großen Hörsaal und schritt systematisch, eine nach der anderen, von oben nach unten die engen, in langen, durch zwei Treppen unterbrochenen Halbkreisen sich hinziehenden hölzernen Bankreihen ab. Er las, wie in einem offenen Buch, auf den schmalen Schreibpulten all das, was die Studenten in pointierter aphoristischer Kürze, in mitunter durch Piktogramme und Skizzen illustrierten Aperçus zu Holz gebracht, während seine Kollegen und er mit umgekehrt großer und ermüdender Weitschweifigkeit sich vor ihnen abgemüht hatten.

    Was er las, war eine Enzyklopädie, war der ganze Kosmos studentischer Befindlichkeiten, waren politische Losungen, Auf- und Hilfeschreie äußersten Gelangweiltseins, Liebesschwüre, Obszönitäten, tiefsinnige Weltentwürfe und philosophische Traktate, alles vereint und oft dicht nebeneinander, nicht auf Pergament geschrieben, in Gold gedruckt oder in Stein gehauen, sondern notiert zu müßigem Zeitvertreib auf Holz, mit Bleistift, Kugelschreiber, selten auch eingeschnitzt mit einem Taschenmesser.

    Nicht alle Notate eigneten sich für die Bütt, etwa das Dozentenlob: „Sehr erbaulich, das Ganze.“ Schon eher das Gegenteil davon: „Professor N… ist doof.“ Da wird Kollege N… lange zu kratzen haben, bis er das wieder wegbekommt. Überhaupt waren demotivierende Äußerungen am häufigsten vertreten: „Es irrt der Mensch, so lang er strebt.“ „Die Weisheit läuft dem Menschen nach, der Mensch jedoch ist schneller.“ Vielleicht am hinterlassungswürdigsten die unwiderlegbaren, lapidaren, gewichtigen, bedeutungsschweren Worte: „Hier saß ich.“ Punkt.

    Die abschließende Gesamteinschätzung seiner Recherchen: „Närrinnen und Narren, ich kann ihnen versichern, sie beschmieren ihre Hörsaalbänke genau so, wie die Studenten der anderen Fachrichtungen es tun“, wurde als Ehrenrettung begriffen, begrüßt und mit Beifall quittiert.

     

    Copyright Prof. Dr. Paul Rother