Monat: Juli 2013

  • Wennemann und Aberach

    Wennemann und Aberach
    wohnten schon vor allen Zeiten
    immer unterm selben Dach
    zu dem Behufe, sich zu streiten.

    Soviel der beiden auch ein jeder
    der Thesen schmiedet wohl zu Hauf –
    der andre spießt mit spitzer Feder
    sie durch die Antithese auf.

     

    Vorstellung

    Das Jahr dreizehn haben sie erkoren,
    im Jahr dreizehn wurden sie geboren,
    Zwillingsbrüder zwischen Wenn und Ach –
    es sind Wennemann und Aberach.

    Beide sind, ich will es hier erklären,
    etwa mittleren bis ungefähren
    Alters, und zwar ab principio,
    und das bleibt auch bis auf Weitres so.

    Sie durchleben alles, was banal,
    stellvertretend sowie integral,
    mal als Narr und andermal als Held
    immer im polaren Spannungsfeld.

    Widersprüche stricken sie wie Strümpfe,
    und sie waten damit durch die Sümpfe
    unserer Gefühle und Gedanken
    jenseits von Tabus und ohne Schranken.

    Sie erkunden für uns das Gelände,
    welches wir dann selber ganz behände
    sichern Schritts durchschreiten ohne Wanken –
    dafür dürfen wir den Brüdern danken.

      

    Wanderung

    Wennemann und Aberach
    wanderten von Hohenbrumm
    durchs Ödental nach Andernach.
    Dort wussten sie nicht mehr, warum.

    Das war insofern sehr fatal,
    als sie den Heimweg nicht mehr fanden,
    denn weder gibt es Ödental
    noch Hohenbrumm in diesen Landen.

     

    Neue Tüte

    Aberach ist tief betrübt
    ob der Kritik,
    die er geübt
    an Wennemannes krausen
    jüngsten Flausen.

    Jener hatte ausgeheckt,
    wie Recycling man bezweckt
    mit neuen Tütenmoden
    ohne Boden.

    An der neuen Ladenkasse
    kreuzt eine ganz spezielle Trasse
    mit einer eignen Spur
    der Müllabfuhr.

    Durch die unten offne Tüte,
    so will es die Gedankenblüte,
    fällt der ganze Tand
    auf ein Band.

    So wird, was man sowieso
    nicht brauchte, statt daheim ins Klo
    oder auch verborgt,
    gleich entsorgt.

    Der Wirtschaft wird so wohlgetan.
    Der Kunde leichten Schrittes dann
    beschwingt nach Hause kehrt,
    unbeschwert.

    Aberach fand es am besten,
    die Idee sogleich zu testen
    in der, Gott behüte,
    neuen Tüte.

    Wennemann hat abgewunken
    und ist in Trübsal tief versunken,
    die beide nun vereint,
    wie es scheint.

     

    Straßenverkehr 

    Am Lenkrad ganz perfekt
    fährt Wennemann korrekt,
    jedoch er muss sich grausen
    ob der Verkehrsbanausen,
    die sich als wahre Flegeln
    entheben aller Regeln.

    Dieselben fahren nur
    stets auf der linken Spur,
    nur immer auf der linken
    und ohne je zu blinken,
    wohl aber um zu schleichen
    und niemals auszuweichen.

    Doch die besonders Schlechten,
    die fahren auf der rechten,
    um dort auf breiten Sohlen
    ganz schnell zu überholen.
    Der Stopp beim Stoppschild gilt
    vermutlich nur dem Schild.

    Auch die beruhigte Zone,
    weil man dort selbst nicht wohne,
    durchrast man um so flotter
    wohl über Stein und Schotter,
    parkt in der dritten Spur
    mit Zettel „Bin auf Kur“.

    Herrn Wennemann verbittert,
    dass hier die Ordnung splittert.

    Der Aberach dagegen
    gibt ihm zu überlegen,
    dass zwar so manche Lenker
    chauffieren wie die Henker,
    jedoch im Fall des Falles,
    dass alle machten alles
    verkehrt, dann folgte dem:
    auch dieses hat System,
    und Wennemann sei der,
    der störe im Verkehr,
    weil einzig er allein
    hält alle Regeln ein. 

     

    Wennemanns Problem

     Wennemann als feiner Mann
    zieht nur beste Sachen an.
    Für ihn gilt der Ehren-Code:
    Kaufe nur in Brompton Road

    so wie Mutti Windsor auch
    nach dem guten alten Brauch!
    Wennemann kauft Underpants
    dort nach Seitenpräferenz.

    Für des Kunden Händigkeit
    stehen RECHTS und LINKS bereit.
    Leider hat das nicht geholfen.
    Als er Donnerstag beim Golfen

    dringend hinter Büschen stand,
    fand er nichts, wo sonst er fand.
    Die Erkenntnis kam zu spät,
    dass die Hose links verdreht.

    Aber noch zur selben Stund’
    fand Aberach den tiefer’n Grund:
    Je komplexer ein System,
    desto eher führt es zum Problem.

     

    Wennemann, der Reimer

    Wennemann kann es nicht lassen,
    die Welt und sich auch selbst
    in gereimten Text zu fassen. 

    Legt er sich des Nachts zu Bette,
    wandern in die schwarze Folie
    Wörter ein in Reih und Kette,

    die sich schieben und sich schütteln,
    purzeln, wechseln und verdrechseln,
    bis sie sich in Reime rütteln.

    Wennemann greift dann zum Block,
    der an seinem Bette liegt
    und notiert den Text ad hoc.

    Solcherweise kam auch hier
    der Bericht von Wennemann
    justament aufs Druckpapier.

     

    Schattenwurf

    Wennemann liebt es, wenn nächtens
    beim Spazierengehn vermächtens
    des Lichts der städtischen Laternen
    jeweils beim von diesen sich Entfernen
    sein Schatten sprunghaft wächst
    und ihm vorauseilt wie verhext.

    Der Gedanke schmeichelt ihm verhohlen,
    dass er selbst sich könne überholen
    nur in seines eignen Geistes Lichte,
    wenn er es denn auf sich selber richte.
    Zum Unendlichen sieht er sich wachsen –
    oder zu den näheren Galaxen.

    Herr Aberach, der runzelt seine Stirne
    und fragt: Reicht denn das Licht in deiner Birne?
    Der Wennemann hat darauf angefangen
    zu zweifeln und ist schließlich heimgegangen.
    Das Straßenlicht erschien ihm nunmehr heller –
    und wieder war der eigne Schatten schneller.

     

    Form und Inhalt

    Form und Inhalt, welches von den beiden
    wird zuletzt den wahren Wert entscheiden?
    Wennemann ruft ohne Zögern aus:
    Nur der Inhalt kriegt von mir Applaus.

    Zum Exempel nennt er guten Wein,
    der in einem goldnen Becherlein
    grad so gut schmeckt wie in einem Glas.
    Aberach jedoch bestreitet das.

    Marmor beispielsweise sei doch nur
    ein Gestein, ein Fels in der Natur.
    Erst der Künstler formt daraus die Werke –
    ergo: in der Form liegt alle Stärke.

    Freundin Alma hört von der Debatte
    und erklärt, es sei wie Caffè latte,
    beides würde sich total durchdringen
    und den Wert zu zweit zur Geltung bringen.

    Erst der eingeengte Horizont
    öffne hier die kontroverse Front,
    und der Streit der beiden um das Recht
    sei im Grunde nur ein Scheingefecht.

     

    W & A danken

    Wennemann soeben erst geboren,
    wäre spornstreichs wieder gleich verloren,
    würde er sich in des Lesers Augen
    oder Mund nicht neuen Odem saugen.

    Selbst der Aberach, sein Zwiegefährte,
    nicht allein die Garantie gewährte
    auf ein Leben nach dem Niederschreiben –
    weshalb beide dankbar hier verbleiben:
    gez. Wennemann, Aberach ppa.

     
    Falscher Hund
    Wennemann hat einen Rassehund,
    der ist hochbegabt und Klasse und
    mit dem besten Orientierungssinn
    kommt er überall zurück und hin.

    Wennemann verkauft den Hund ganz weit
    weg und gibt ihm ein paar Tage Zeit.
    Dann steht fröhlich wedelnd vor der Tür
    der Hund und spricht: Ich bin jetzt wieder hier.

    Schnell verkauft sein Herr nach kurzer Sichtung
    ihn gleich wieder in die andre Richtung.
    Fragt der erste Kunde bei ihm an,
    gibt ehrlich Fehlanzeige Wennemann.

    Und so weiter und so weiter fort
    kommt der Hund herum von Ort zu Ort,
    dass sein Herr des Zubrots sich erfreue
    ohne alle Skrupel oder Reue.

    Da entgegnet ihm nun wie so oft
    Aberach, der Freund, ganz unverhofft:
    Potz und Blitz! Du darfst des Hundes reine
    Seele doch nicht für solch hundsgemeine

    Tricks missbrauchen. Du bist nämlich hier
    der falsche Hund und nicht das brave Tier.
    Wennemann bat darauf unter Tränen,
    dieses fürder nicht mehr zu erwähnen.

     

    Doppelmord
    Wennemann ist tief zerknirscht.
    Heute früh am Morgen pirscht
    er ins Bad, wo er erkennt,
    dass ein Silberfischchen rennt
    über den gefliesten Grund
    mit ’nem zweiten Fischchen und
    Wennemann sieht sofort rot,
    Wennemann schlägt beide tot.

    Dann, bei näherem Betracht,
    sieht er, wen er umgebracht:
    Eine Mutter ist’s mit Kind,
    die zu Tod gekommen sind.

    Welche Hoffnung, welches Streben,
    welches zukunftsfrohe Leben
    hat er hier im Keim erstickt
    und schon vor der Zeit geknickt!
    All das geht ihm sehr zu Herzen,
    und er spendet siebzehn Kerzen.

     

     

    Weltreise
    Wennemann montiert auf seinen
    Rechner eines von den feinen
    Satellitenbildprogrammen,
    um mit Alma dann zusammen

    unsern Erdball zu umrunden
    und ins Letzte zu erkunden.
    Samstag Nachmittag beim Tee
    stechen sie beherzt in See,

    reisen an die fernsten Strände
    durch zerklüftete Gelände
    über Berge schroff und steil
    ohne Haken, ohne Seil.

    Sie gelangen zu den Wüsten
    und romantisch wilden Küsten,
    zu den größten Wasserfällen,
    oder auch auf die Seychellen.

    Ganz, wie sie es gerne hätten,
    schlendern sie mal durch Manhattan,
    über die Champs Élisées
    und sogar bis Ninive.

    Schließlich zoomen sie sich ran
    an den Freund von Wennemann:
    Aberach mit Kaffeetasse
    sitzt entspannt auf der Terrasse,

    und als wär’ es ihm vertraut,
    dass von oben jemand schaut,
    salutiert er mit der Linken –
    Wennemann und Alma winken.

    Allein
    Allein auf eines Waldes Wiese,
    des Glaubens, niemand sähe diese,
    steht Wennemann fast wie verloren,
    um in der Nase sich zu bohren.

    Indes, er hat die Rechnung ohne
    die Satellitenumlaufzone
    gemacht und nicht bedacht, dass droben
    viel Augen durch den Himmel toben.

    Des Abends ist er ganz verblüffelt,
    dass Aberach ihn strengstens rüffelt.
    Nur Alma tröstet ihn verhohlen
    und hat den Keller ihm empfohlen.

     

    Copyright Dr. Eberhard Grundmann

     

  • Siegmund Kraft wurde 1945 in Bremen geboren. Sein Vater fiel kurz vor Siegmunds Geburt in einem der letzten Gefechte in Russland. Die Mutter zog den Jungen liebevoll auf und verdiente als Lehrerin den Lebensunterhalt. Siegmund entdeckte früh seine Liebe zum Langlauf und lief ein Jahr vor dem Abitur den ersten Marathon. Auch dadurch lernte er, mit Disziplin schwierige Momente zu bewältigen und gegen innere Widerstände bis zum selbst gesetzten Ziel auszuhalten. Seine Mutter erzog ihn im ehrenden Gedanken an den Vater, der ihr immer wie starker Baum erschienen war, an dem sie sich anlehnen konnte. Sie wollte aus Siegmund auch einen solch kräftigen und durchsetzungsstarken Mann machen, und Siegmund nahm diese Prägung früh auf.

    Den ersten schweren Schicksalsschlag musste Siegmund verarbeiten, als seine Mutter während seines Jurastudiums verstarb. Dies brachte Siegmund dazu, noch härter zu arbeiten. Er beendete sein Studium in kürzest möglicher Zeit als Jahrgangsbester, und seine Doktorarbeit wurde summa cum laude bewertet. Eine wesentliche Hilfe für seinen Erfolg war sein fotografisches Gedächtnis, wodurch er regelmäßig Mandanten und Kollegen mit langen wortgetreuen Zitaten und Quellenangaben verblüffte.

    Nach der Gründung einer Anwaltskanzlei in Bremen heiratete er seine Jugendfreundin Helen, die mit ihm Abitur gemacht hatte, anschließend Schulmusik studierte und Lehrerin in einem bremischen Gymnasium wurde. Sie kauften eine Jugendstilvilla im besten Wohnviertel, die er mit Helens stilsicherer Hilfe renovieren ließ und innerhalb weniger Jahre vom Erlös mehrerer großer Prozesse bezahlte. Er war als Wirtschaftsanwalt bald weit über die bremischen Grenzen hinaus gefragt. Als der Sohn Felix geboren wurde, strahlten Helen und Siegmund als elegantes Paar das Bild der perfekten Familie aus.

    Siegmunds Sekretärin Frau Harmsen organisierte den Arbeitsablauf in der Kanzlei ebenso perfekt wie Helen die Familie und den Haushalt. Siegmund arbeitete nach seinem morgendlichen 10-km-Lauf in der Kanzlei oder bei Gericht. Der Nachmittag und Abend waren dem Aktenstudium und Prozessvorbereitungen gewidmet. Den Samstag nutzte Siegmund als normalen Arbeitstag. Am Sonntagvormittag absolvierte Siegmund einen längeren Lauf, der manchmal über die Marathondistanz ging. Die Nachmittage verbrachte er mit Helen und Felix.

    Felix war ein guter Schüler und sportlich wie der Vater. Als Felix zwölf Jahre alt war, wurde er an einem Spätnachmittag auf dem Gehweg von einem betrunkenen Autofahrer angefahren und so schwer verletzt, dass er noch auf dem Weg in die Klinik starb. Siegmund reagierte nach einer kurzen Schockphase äußerlich routiniert, setzte aber seine Wut, Trauer und Verbitterung ein, um den Autofahrer in dem Prozess als gewissenlosen alkoholkranken Fahrer darzustellen. Er trug mit einem juristisch brillanten und emotionalen Plädoyer als Nebenkläger dazu bei, dass der Fahrer für die fahrlässige Tötung in Tateinheit mit Trunkenheit am Steuer zur Höchststrafe von vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde, da er schon ein längeres Vorstrafenregister hatte. Damit verschaffte sich Siegmund eine gewisse Genugtuung, und die weiter schwelende Trauer betäubte er mit noch mehr Arbeit. Sein Lauftraining behielt er strikt bei und zwang sich, am Wochenende noch 28 km zu laufen und dabei die letzten drei Kilometer im Renntempo zurückzulegen. Er war erfahren genug, seine Kondition nicht mit einem Übertraining zu verderben oder gar eine Verletzung zu riskieren.

    Helen dagegen vergrub sich fast den ganzen Tag im Schlafzimmer und vernachlässigte sich und ihre häuslichen Aufgaben. Auch eine zuerst ambulante und später stationäre Psychotherapie, die Siegmund veranlasst hatte, gelang nur vorübergehend. Das beste Ergebnis der Therapie war aber nur eine funktionierende Frau, die mit ruhiggestellter Mimik und scheinbar gleichgültigem Gemüt die Hausarbeit erledigte. Ein halbes Jahr nach Felix´ Tod fand Siegmund Helen abends totenstarr im Bett. Neben ihr lagen zwei leere Röhrchen Schlaftabletten und eine leere Flasche Rotwein. Der Brief auf dem Nachttisch war kurz: „Liebster, es tut mir leid, ich kann nicht mehr! Ich muss zu Felix. Ich liebe dich. Helen.“

    Siegmund brach am Bett weinend zusammen, rief erst nach einer halben Stunde den Hausarzt und bat ihn, den Totenschein auszustellen. Frau Harmsen half Siegmund, eine würdige Trauerfeier zu organisieren. Siegmund arbeitete verbittert in seiner Kanzlei, hielt die Fassade eines in sich ruhenden Anwalts aufrecht und kam spät nachts in das kalte Haus, wo er nur kurz schlief. Morgens war er früh auf der Laufstrecke unterwegs und anschließend bei der Arbeit. Er vermied private Kontakte, und Frau Harmsen sah ihn nicht mehr lachen. Sie besorgte für ihn aus einem kleinen Restaurant nebenan Essen und machte ihm in der Kanzlei Frühstück. Die immer frischen Blumen auf seinem Schreibtisch nahm er nicht wahr. So vergingen zwei Jahre.

    Eines Tags nahm Siegmunds bester Freund und Kollege ihn zwischen zwei Gerichtsterminen auf die Seite und sagte: „Siegmund, ich sehe, wie du nach außen hin diese Schicksalsschläge wegsteckst. Du wirkst für viele Bekannte wie eine große Eiche, die bei jedem Tornado steht. Aber ich weiß, wie sehr dich der Verlust von Felix und Helen immer noch plagt. Hast du nicht Lust, am Samstagabend bei uns zu essen? Erika hat ein paar Freunde eingeladen, die du auch kennst.“ Siegmund antwortete nach kurzer Bedenkzeit: „Ja, gut, ich komme!“

    Zu diesem Abendessen kam auch Sofia, Helens beste Freundin, die vor zwei Jahren ihren Mann verloren hatte. Siegmund und Sofia hatten in den letzten Jahren kaum Kontakt gehabt, weil Sofia während Helens schwerer Depression mit dem Sterben ihres Manns belastet war und seither sehr zurückgezogen lebte.

    Sofia und Siegmund unterhielten sich angeregt, sodass der Abend für beide erholsam und entspannend war. Siegmund nahm Sofias Einladung zu einem Spaziergang am nächsten Sonntag an. In den folgenden Monaten kamen sich Sofia und Siegmund immer näher. Siegmund konnte sich aus seiner seelischen Erstarrung und verbissenen Arbeit in Sofias Gegenwart lösen und freute sich auf die Treffen. Sofia war glücklich, aus ihrer Isolation herauszukommen. Die Beziehung zwischen Siegmund und Sofia wurde innig und vertraut. Nach einem Jahr heirateten sie.

    Sofia gab der Villa mit einigen ihrer Möbelstücke und Bilder eine persönliche Note. Ihre Liebe zum Garten war für jeden Besucher an den herrlichen Blüten, Büschen, Beeten und dem prächtigen Blumenschmuck im Haus sichtbar. Sofia begleitete Siegmund bei seinem morgendlichen Lauftraining und reduzierte es langsam. Dafür machten sie am Wochenende lange Wanderungen. Siegmund genoss das Leben im Haus wieder und freute sich besonders an den gemütlichen Abenden mit Sofia. So lebten sie fünf Jahre harmonisch und dankbar miteinander.

    Da die Kanzlei sehr gut lief und Siegmund mehr Zeit für sich und Sofia haben wollte, nahm er Eric Knudsen als Juniorpartner in die Kanzlei auf, der sich rasch einarbeitete und für Siegmund eine wertvolle Hilfe darstellte.

    Die Katastrophe schlich sich unerbittlich ein. Zuerst fiel Sofia auf, dass Siegmund sich an einem Sonntagmorgen nicht erinnerte, mit ihr eine Wanderung in der Lüneburger Heide vereinbart zu haben. Auch Frau Harmsen bemerkte, dass er seinen Füllfederhalter oft verlegte, der sonst immer am gleichen Platz lag. Besonders verblüfft war sie, als Siegmund bei einer Verhandlung in seiner Kanzlei aufstand, eine Tür öffnete und mit der Bemerkung „Das war die falsche Tür!“ wieder schloss und durch die andere Tür zur Toilette ging. Die Vergesslichkeiten und alltäglichen Fehler bei banalen Handlungen häuften sich. Die Krankheit schritt mit zerstörerischer Wucht voran.

    Er blieb oft mitten im Satz stecken, verlor den Faden und verwendete Wörter, die nicht in den Zusammenhang passten. In der Gerichtsverhandlung meldete er sich mehrfach zu Wort, stand auf und – wusste nicht mehr, was er sagen wollte. Seine schriftlichen Notizen, die er Frau Harmsen nach den Verhandlungen zur Bearbeitung vorlegte, wurden fahriger und enthielten häufig Ungenauigkeiten. Er gab immer mehr Gegenständen die Bezeichnung „das Ding da“. Diese Sprachunsicherheit und die Abflachung des Wortschatzes fielen umso dramatischer auf, weil Siegmund als hervorragender Redner mit druckreifer Sprache und unfehlbarem Gedächtnis bekannt war. Anfänglich tat er diese „Kleinigkeiten“ als Folge seiner Überarbeitung ab. Die Zeichen wurden aber häufiger und schwerwiegender. Er verlor sogar einen Prozess, weil ihm im richtigen Moment sein bewusst vorbereitetes und entscheidendes Argument nicht einfiel.

    Frau Harmsen bereitete mit Eric Knudsen viele Arbeiten so vor, dass Siegmund nur noch unterschreiben musste. Sofia sorgte dafür, dass Siegmund krankgeschrieben wurde. Der Hausarzt verschrieb Medikamente zur Förderung der Hirndurchblutung und äußerte Sofia gegenüber den Verdacht auf eine rasch fortschreitende Demenz.

    Als Siegmund eine Kreuzung bei roter Ampel überfuhr und von der Polizei gestoppt wurde, stand er wie ein kleiner schuldbewusster Junge da und ließ sich von dem Polizisten zurechtweisen.

    Sofia ließ Siegmund nicht mehr Auto fahren und bat ihn mehrfach, die Kanzlei zu verkaufen. Erst als der Vorsitzende der Anwaltskammer ihm eindringlich die möglichen Folgen von Schadensersatzklagen aufgrund von falschen Beratungen schilderte, gab Siegmund nach. Eric Knudsen übernahm Siegmunds Anteil an der Kanzlei. Sofia nahm keine gesellschaftlichen Verpflichtungen mehr an.

    Bei einer neurologischen Untersuchung zeigte Siegmund eine schwere Störung beim Benennen von Gegenständen und beim Rechnen im Zehnerbereich. Als er eine Uhr mit Zeigern zeichnen oder ein Quadrat und ein Dreieck nachmalen sollte, saß er ratlos mit zitterndem Stift vor dem Blatt und krakelte nur zusammenhanglose Striche aufs Blatt. Der Arzt bat ihn, möglichst rasch viele Gegenstände aufzuzählen, was man in einem Supermarkt kaufen könne. Siegmund dachte lange nach, schließlich fielen ihm Kartoffeln ein, mehr nicht. Die Untersuchungen und die Vorgeschichte sicherten die Diagnose Rasch fortschreitende Alzheimer-Demenz. Siegmund konnte dem einfühlsamen Gespräch des Arztes nicht folgen. Als Sofia und Siegmund die Klinik verließen, fragte er: „Was hat er gesagt? Bin ich krank?“

    Zuhause füllte Siegmund das Kaffeepulver in den Wasserbehälter und stopfte den Kaffeefilter in die Kanne. Im Bad putzte er sich mit dem Kamm die Zähne und kämmte sich mit der Zahnbürste. Er verirrte sich sogar nachts in seinem eigenen Haus und rief Sofia, die ihn ins Bett zurück brachte. Beim Essen versuchte er, mit der Gabel zu schneiden. Als er mit dem Messer die Suppe löffeln wollte und nicht mehr wusste, wohin die Suppe geführt werden musste, ging Sofia dazu über, Siegmund zu füttern.

    Siegmunds geistige Fähigkeiten und das alltägliche Verhalten verschlechterten sich auch unter gesteigerter Medikamentendosis rapid. Die Tabletten wurden deshalb wieder abgesetzt. Sofia betreute Siegmund rund um die Uhr. Sie musste ihm auch auf der Toilette beim An- und Ausziehen und bei der Reinigung helfen.

    Eines Morgens wollte er sich im Schlafzimmer anziehen und wurde wütend, als sie ihm helfen wollte. „Das kann ich allein!“, brauste er auf, „geh ins Wohnzimmer!“ Also beobachtete sie ihn durch den offenen Türschlitz und kämpfte mit den Tränen, als sie sah, wie lange er brauchte, um das Hemd so hinzuhalten, dass er es anziehen konnte. Als er nach einer langen Weile erschöpft ins Wohnzimmer kam, hatte er das Unterhemd auf das Hemd angezogen, die Knopfreihe falsch geknöpft, und das Hemd hing teilweise aus der Hose. Einen Socken hatte er vergessen, und die Schuhbändel waren nicht gebunden. So kam jeden Tag ein neues Vergessen dazu, der Wortschatz wurde kleiner, die Sprache lückenhaft.

    Im Sommer stand Siegmund einmal lange im Garten vor den blühenden Rosen. Sofia fragte: „Woran denkst du?“ Nach einigem Überlegen fragte er: „Ist heute Dienstag oder Dezember?“

    In einem unbeobachteten Moment verließ Siegmund bei strömendem Regen auf Socken das Haus, nur mit Hemd und Hose bekleidet. Sofia rannte sofort los, als sie die offene Haustür sah und fand ihn durchnässt an einer Bushaltestelle. Sie gewöhnte sich deshalb an, die Haustür abzuschließen.

    Eines Nachts wachte Sofia auf, das Bett neben ihr war leer. Sie fand Siegmund innen vor der Haustür stehen. Er war nackt. Sie fragte: „Was machst du hier?“ – „Warte auf den Bus, muss zur Arbeit!“

    Am nächsten Tag sah Sofia, wie Siegmund im Arbeitszimmer mit heruntergelassener Hose auf dem Papierkorb saß. Sofia stieß einen entsetzten Schrei aus. Siegmund fragte ruhig: „Warum schreist du, Mama? Bin auf der Toilette!“ – Sofia hatte er vergessen.

    Sofia sah ein, dass sie Siegmund nicht mehr zu Hause pflegen konnte. Das überstieg ihre Kräfte. Sie brachte ihn in einem Pflegeheim in der Nähe unter und besuchte ihn täglich. Siegmund nahm die Ortsveränderung nicht wahr. Jeder Besuch Sofias war ein neues Erlebnis für ihn, aber es tat ihr weh, jeden Tag zu hören: „Schön, Mama, dass Du endlich kommst!“

    Sie blieb eines Abends wie immer an seinem Bett sitzen und wartete darauf, dass er einschlief. Da atmete er leise ein und aus und ein und aus. – –

    Die Eiche war gefällt.

     

    Diese Geschichte wurde vorgetragen beim BDSÄ-Kongress in Münster 2013

  •  

    Schon als Kind hat Peter unter den gnadenlosen Hänseleien seiner Mitschüler gelitten. Bei jeder Gelegenheit verspotteten sie ihn wegen seines Übergewichts. Er versuchte, seine Vorliebe für Marzipan zu verbergen. Aber einmal, als er kurzatmig hinter dem Fußball herlief, rief ein Klassenkamerad: „Du brauchst noch ein paar Marzipankugeln, dann wirst du schneller!“ – So hatte Peter seinen Spitznamen weg. Und als dann auch noch einer der Kameraden mit ihm in die Hotelfachschule ging und Peters empfindlichsten Punkt preisgab, wurde Peter dort oft nur Marzipankugel oder in der Hektik des täglichen Betriebs Marzipan gerufen. Peter aß Marzipan in allen Variationen, um sich nach den Kränkungen wohler zu fühlen. Dieser weich schmelzende Geschmack verschaffte ihm wenigstens vorübergehend ein wonnevolles Gefühl der Zärtlichkeit und inneren Ruhe, wenn die geifernden Kollegen und die jungen Mädchen ihn mit abschätzigen Blicken und provozierenden Bemerkungen beleidigten.

    Deshalb hatte er sich eine besonders freundliche, ja fast unterwürfige Art des Umgangs angewöhnt, nicht nur die Höflichkeit, die zum alltäglichen Geschäftsgebaren in der Gastronomie gehört. Er spürte jeden Tag, wie er sich mit der frisch gestärkten Kellnerjacke die dringend nötige Sicherheit anzog und mit der gebügelten weißen Schürze seine Beleibtheit bedeckte, um mehr Beliebtheit zu gewinnen. Er versteckte den angegessenen Schutzpanzer, der ihn vor den Schlägen der Mitmenschen bewahren sollte, so gut es ging. Mit dieser hohen Empfindsamkeit für Schwächen und Verletzlichkeit betreute er auch die Gäste in dem vorzüglichen Lokal, zu dessen Oberkellner er mittlerweile aufgestiegen war.

    Seit einem Jahr kam regelmäßig samstags ein älterer Herr mit seiner jungen Frau zum Abendessen. So attraktiv sie war mit ihren schlicht-eleganten und eng anliegenden Kleidern auf der verführerischen Figur und den weich gewellten, schulterlangen braunen Haaren, die Peters Fantasie zu kühnen Tag- und Nachtträumen verleitete, so demütigend verhielt sich der Mann ihr gegenüber. Bei jeder Gelegenheit nörgelte er an ihr herum, wies sie beim Essen zurecht, kritisierte ihre Aussprache und machte sich über das kesse Lächeln lustig, das Peter verzaubert hatte. Diese groben Unhöflichkeiten waren für Peter schwer zu ertragen. Er tarnte seine Wut über den Mann und seine heimliche Zuneigung für dessen Frau hinter einer antrainierten Fassade von Höflichkeit und Dienstbereitschaft.

    Was er aber nicht verbergen konnte, war das Leuchten in seinen Augen, wenn die Dame ihn beim Kommen und Gehen mit einem geradezu herzlichen Blick grüßte. Peter musste darauf achten, dass seine Freude darüber nicht allzu offensichtlich und verräterisch wurde.

    Und war es Zufall, dass diese sonst so achtsame und wohl erzogene Dame die Serviette vom Schoß ihres elegant geschnittenen Kleides rutschen ließ? Sie berührte Peter im flüchtigen Vorbeigleiten mit ihren schlanken Fingern an der Hand, als er mit eiliger Geste die Serviette vom Boden aufhob und ihr mit leicht errötetem Gesicht reichte. War das ein Zeichen der zarten Annäherung? Täuschte er sich auch nicht? Es konnte doch gar nicht sein, dass diese vornehme Dame – und dazu noch in Gegenwart ihres Mannes! – ihm, dieser abstoßenden Marzipankugel, Sympathie zeigte! Und doch schwankte er zwischen bangem Hoffen und tief sitzendem Selbstzweifel. Er spürte ihre Zärtlichkeit, sah ihren kurzen und doch innigen Blick, der sofort kalt wurde, wenn er in die trägen Augen des Ehemannes traf.

    Immer wenn die Sekretärin des Mannes einen Tisch für das Paar reservierte, begann Peter auf den sanften Wolken der Vorfreude zu schweben, weil er dann wieder seinen weiblichen Lieblingsgast am angestammten Platz bedienen und ihre Nähe genießen durfte. Peter hatte mehrfach gehört, wie der Mann seine Frau mit Helene ansprach. Und Peter bemerkte, dass er in Gedanken längst nur von Helene sprach und sie nicht mehr mit ihrem Familienname in Verbindung brachte. Zu der offiziellen Anrede musste er sich im Restaurant ganz bewusst überwinden, um ja keine Indiskretion oder Unhöflichkeit zu begehen.

    Eines Tages, als Peter an der Kasse etwas buchte, hörte er einen leisen, aber unüberhörbar scharfen Wortwechsel zwischen dem Paar. Er spitzte seine Ohren, um zu lauschen, aber er hörte nur, wie Helene ihren Mann anzischte: „Na, dann eben nicht!“

    Der Ehemann verlangte kurz angebunden die Rechnung, bezahlte, und das Paar verließ rasch das Lokal. Dabei eilte der Mann achtlos voraus, sodass Peter Helene den Mantel reichen, galant die Tür öffnen und sich besonders freundlich verabschieden konnte: „Es war sehr schön, Sie wieder als Gast zu haben!“, sagte er mit einer kleinen Verbeugung und war sich bewusst, dass er nur Helene und nicht ihren Mann meinte. Offensichtlich hatte sie das auch so verstanden, denn sie nickte, lächelte in ihrer unwiderstehlichen Art und flüsterte: „Ich komme auch gern zu Ihnen!“ Und ganz leise, sodass Peter es gerade noch hören konnte, fügte sie hinzu: „Tut mir leid wegen gerade!“ Dann drehte sie sich um und ging in der klirrenden Januar-Kälte zum Auto.

    Peter blieb etwas verwirrt zurück. Sie kommt gern zu mir! Sie hat meine Hand berührt! Und dieser Blick! Sogar mehrfach! Peter lag lange wach in dieser Nacht und wollte seiner Fantasie freien Lauf lassen, aber die anerzogene Disziplin hemmte ihn, sich Wunschbilder auszumalen oder hoffnungsvolle Gefühle zuzulassen.

    Dann geschah etwas Unerwartetes: Das Paar kam nicht wieder. Peter empfand Helenes Ausbleiben als schwer zu ertragende Trennung. Er schaute sogar in ruhigen Momenten das Telefon an und erwartete mit dem nächsten Anruf die Reservierung für Samstag. Peter versuchte immer, den Platz für Helene freizuhalten. So vergingen einige Monate, in denen Peter sich mit Erinnerungen an sie tröstete.

    Eines Tages, als er im warmen Frühsommer beim Einkaufen war, sah er sie auf dem Gehsteig entgegenkommen: Das lange Haar mit einem roten Stirnband gefasst, ein roter, eng anliegender Sommerpulli, ein weißer weiter Rock und die schlanken Beine in passend roten, halbhohen Schuhen, eine weiße Tasche hing locker über der Schulter. Sein Herz schlug schneller, seine Schritte beschleunigten sich. Er spürte, wie eine Welle der zärtlichen Freude seinen ganzen Körper überrollte und erwärmte. Dann ging er entschlossen auf Helene zu und sah ihren erfreuten Blick, als sie ihn wahrnahm. Sie blieben voreinander stehen. Nach einem kurzen Moment der Stille, in der nur die beiden Augenpaare ein Glückslied sangen, hörte Peter wie von fern seine eigene zärtliche Stimme: „Es ist wunderbar, dass ich Sie sehe. Ich habe Sie sehr vermisst.“ –

    Helene neigte den schlanken Kopf zur Seite und lächelte in ihrer charmanten Art, die Peter immer verzückt hatte: „Ich freue mich auch!“ Dann deutete sie auf ihren rechten Ringfinger, wo Peter keinen Ehering mehr sah und fragte: „Können Sie es so verstehen?“

    Peter holte etwas erschrocken Luft. Es klang wie ein erleichterter Seufzer: „Oh ja, das kann ich gut verstehen.“ Bevor er darüber nachdenken konnte, deutete er auf die freien kleinen Tische des Straßencafés neben sich: „Darf ich Sie zu einem Cappuccino einladen?“ – Sie strahlte ihn an: „Ja gern, warum eigentlich nicht!“

  •  

    Der Biber platscht so gerne
    beim Schwimmen mit dem Schwanz.
    Das hörte aus der Ferne
    neugierig eine Gans.

    Sie kommt herbei geflogen,
    setzt sich zu ihm hin:
    Dein Schwanz ist nicht verbogen,
    meiner ist so klein und dünn.

    Der Biber sagt verlegen:
    Er ist halt groß und breit.
    Ich kann ihn gut bewegen.
    Ich komm mit ihm sehr weit.

    Er hilft mir tauchen, schwimmen,
    klatscht Wasser in mein Haus.
    Und beim Land erklimmen,
    ruh ich mich auf ihm aus.

    Die Gans hört das mit Staunen,
    schaut sich nach hinten um.
    ein Schwanz aus Federn, Daunen
    macht sich immer krumm

    beim Fliegen und im Winde
    beim Watscheln auf dem Land.
    Deinen Schwanz ich besser finde
    Wir tauschen, hier nimm meine Hand.

    So tauschten Gans und Biber
    die Schwänze aus, nur so:
    Biberschwanz am Gansgefieder
    Federschwanz am Biber Po.

    Die Gans konnte nicht mehr fliegen.
    Der Schwanz war viel zu schwer.
    Beim Biber Platsch – Spaß kriegen,
    und tauchen ging nicht mehr.

    Leise bat die Gans den Biber,
    Dein Schwanz passt nicht zu mir.
    Mein eigner ist mir lieber,
    den Großen schenk ich Dir.

    So tauschten Gans und Biber
    die Schwänze schnell zurück.
    Der Große war ihm lieber,
    der Kleine war ihr Glück.

     

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser

  •  

    Ein Rabe, ein Hase, ein Fuchs und ein Schwein,
    die fühlten sich einsam und so allein.
    Der Fuchs lud sie alle zum Feiern ein:
    den Raben, den Hasen, sich selbst und das Schwein.

    Was wollt ihr speisen, fragt er galant
    und reicht dem Schwein seine Vorderhand.
    Was ihr auch wollt, alles kommt frisch
    aus unseren Landen gekocht auf den Tisch.

    Der Hase nähert sich froh aus dem Feld.
    Ich hätte gern Bier und Salat bestellt.
    Gern, sagt der Fuchs, das mache ich Dir.
    So kommst Du als erster zum Fest zu mir.

    Der Rabe fliegt krächzend vom Schornstein herbei.
    Ich wünsche gebratenen Hasen mit Ei.
    Gern, sagt der Fuchs, ich bin schon dabei.
    Du bist mein Gast mit der Nummer zwei.

    Das Schwein grunzt: Vogel, gebacken in Teig,
    garniert und gepfeffert mit Thymianzweig.
    Das wäre ein Riesenfestessen für mich.
    Sag aber, Fuchs, was kochst Du für Dich?

    Tja, was sag ich Dir auch?
    Ich wünsche mir Wein, fetten Schweinebauch.
    Vielleicht auch ein Schnitzel, garniert mit viel Kohl,
    dann wär’s mir beim Feste so richtig wohl!

    Der Hase flüchtet zurück in das Feld
    Und denkt sich, ich bin für den Raben bestellt.
    Der Rabe krächzt, das ist so gemein,
    ich bin nur das Futter für das dämliche Schwein.

    Das Schwein meint, ich bin doch nicht dumm,
    geh zu dem Fest und der Fuchs bringt mich um!
    Alle rannten nach Haus und blieben allein:
    Der Hase, der Rabe, der Fuchs und das Schwein.

     

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser

     

  •  

    Es war einmal ein Eimer,
    den wollte wirklich keiner. 

    Man stieß ihn hin, man stieß ihn her,
    mal war er voll, mal war er leer.

    Mal stand er in der Ecke rum,
    mal haute man ihn einfach krumm.

    Einst diente er als Torwartpfahl –
    man ließ ihn steh’n, ihm war’s egal.

    Ein Auto fuhr ihn krachend platt.
    Da hatte er das Leben satt.

    Legte sich zerdrückt  zum Sterben –
    es gab für ihn auch keinen Erben,

    der an ihm Gefallen fand.
    So hat er sich an Gott gewandt:

    Wo ist, Herrgott, des Lebens Sinn?
    Gott sagt: im Eimer da, tief in Dir drin!

     

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser

     

  •  

    Es war einmal ein Floh,
    der stach in den Popo
    einer Dame mit strohgelben Haaren,
    die, in solchen Dingen erfahren
    einen Furz bös von sich gab.

    Die scheußlich stinkenden Gase
    gerieten dem Floh in die Nase.
    Frau, das wird mein Grab
    Schrak er und sprang davon.
    So ist des Stiches Lohn:
    Sind scheußliche Düfte gegeben,
    gibt’s keinen Spaß im Leben!

     

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser

     

  •  

    Es saß eine ältliche Dame
    auf dem Töpfchen und machte pi-pi.
    Da kam ein goldenes Hähnchen
    das sah sie und rief kikerie.
    Kikerikie rief das Hähnchen und lachte
    sich über die Dame tot.
    Da briet es die ältliche Dame
    in der Pfanne zum Abendbrot.

     

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser

  •  

    Es saß eine braune Bauernhose
    um den Bauernbauch, recht lose.
    Sprach zu ihr der Haltegürtel,
    wenn der Bauch doch nur ein Viertel

    weniger an Umfang hätte,
    das wäre eine Wirkungsstätte!
    So aber muss ich mich sehr plagen
    Dich um den dicken Bauch zu tragen.

    Sprach zu ihm die Bauernhose,
    Ach, gäbe es nur eine Rose,
    Könntest du sie rot mir geben,
    Glücklich wär’ mein Hosenleben.

    So aber musst du mich fest halten
    Auch bei dicken Bauchgewalten.
    Doch wenn Gefühle drängend wallen,
    dann lass mich bitte, lass mich fallen!

     

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser

     

     

  •  

    Soll Gott Dich ziehen aus dem Dreck
    Die Hand ihm hoch entgegen streck
    Und freundlich sollst Du ihn begrüßen
    drum strampel kräftig mit den Füßen.

    Weit fliegt der Dreck
    dann von Dir weg,
    mit jedem Stück
    ein neues Glück.

    Und bleibt er trotzdem an Dir kleben,
    Versuch’s noch mal – so ist das eben.

     

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayser