Monat: Juli 2013

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    Ab und zu musste sie mal Stadtluft schnuppern, mal viele Menschen erleben, sich ins Gedränge begeben, sich berühren lassen, vielleicht nur mit den Augen. Menschen wahrnehmen, ganz offen sein für die kleinen Alltagsepisoden einer Stadt.

    Sie konnte die Stadt gut mit der Bahn erreichen und lebte doch scheinbar weit weg von ihr in ihrer Art „Einsiedelei“. Das war der große Garten und der nahe Wald, das Zuhause ihrer Seele. Das kleine Haus nicht zu vergessen.

    Heute war wieder so ein Stadt-Tag. Sie hatte sich „stadtfein“ angezogen und begutachtete sich im Spiegel. An ihre grauen Haare hatte sie sich gewöhnt. Manchmal fand sie diese sogar schön, wenn sie – frisch gewaschen – einen silbernen Schimmer hatten.

    „Richtig wertvoll bin ich“, sagte sie dann mit einem Schmunzeln, „ich sollte mich hoch versichern lassen.“

    Als sie dann in der Stadt war, schlenderte sie durch ihre Lieblings-Einkaufsstraße. Sie mochte die vielen kleinen Geschäfte, die Möglichkeiten an der Straße sitzend einen Kaffee zu trinken und einfach Leute zu beobachten. Und diese gab es in allen Größen und Farben.

    Irgendwann stand sie an einer Fußgänger-Ampel, um nun auf der anderen Straßenseite weiter zu bummeln. Eine junge Frau ging vorbei mit ihrem schlanken, schönen Körper, langen mittelblonden Haaren und glatter Haut. Solche Haarfarbe hatte sie auch einmal. Sie dachte das ohne Wehmut und betrachtete die junge Frau mit einer Art Wohlwollen. Sie war einfach nett anzusehen.

    Die Ampel hatte die Phase längst gewechselt. Sie hatte es ja nicht eilig. Sie hatte der jungen Frau lange hinterher geschaut.

    Jetzt fuhren die Autos an. Das erste Auto, ein Kleintransporter, hielt kurz vor ihr. Der Fahrer drehte die Scheibe herunter, wandte ihr das Gesicht zu und sagte deutlich:

    „Du bist doch schön!“, lachte sie an, drehte das Fenster wieder hoch und fuhr weiter.

    Wann hatte sie zum letzten Mal solch einen roten Kopf gehabt? Sie wusste es nicht. Ein wenig benommen, doch mit einem ganz tiefen Glücksgefühl, drehte sie sich um, ging zurück zu dem kleinen Straßencafé, an dem sie grad vorbeigekommen war. Sie setzte sich an einen 2-er Tisch und bestellte einen Cappuccino. Sie wollte dieses Gefühl einfach genießen.

    Für eine Weile blieben alle Menschen und Dinge „draußen“, ausgeschlossen von ihrem Lächeln. Wenn sie den Cappuccino ausgetrunken hatte, würde sie zu der kleinen Eckboutique zurückgehen und sich dieses auffallende Oberteil mit den verschiedenen aufeinander abgestimmten Rottönen kaufen, das sie vorhin schon eine Weile angehimmelt hatte. Ihre Schwester würde zwar wieder sagen: „In deinem Alter kannst du so was nicht mehr tragen!“

    Doch sie konnte!

    Manche Worte waren einfach so kostbar, dass sie in Samt und Seide gekleidet werden mussten.

    Copyright Barbara Kromphardt

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    Es regnet leise, eine stille Pause,
    im Regen hat sich Gold gelöst,
    als er so vor sich hin gedöst,
    veredelt gehe ich nach Hause.

    Auch hier hat alles einen güldnen Hauch:
    die Blumen, Bücher, sogar heißer Tee
    und jenes Bild vom goldnen See,
    mein großer Spiegel funkelt auch.

    Eins von den Wundern meiner Welt,
    die reich von Gold umflossen ist,
    in meinen Augen wohnt ein Alchimist,
    der das erschafft, was ihm gefällt.

     

    Copyright Barbara Kromphardt

     

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    Über das Schriftbild der Ärzte – vornehmlich traditionelle Rezepte und Unterschriften betreffend – gehen die Meinungen auch wohlmeinender Betrachter nicht weit auseinander. Den Medizinern wird allgemein eine schlechte und vor allem unleserliche Handschrift attestiert. Das hat Ursachen in der Hatz des beruflichen Alltags, was das erwähnte Urteil allerdings auch nicht mildert. Doch es gibt rühmliche Ausnahmen.

    Mein verehrter klinischer Lehrer Professor August Sundermann – weit bekannter und strenger Ordinarius für Innere Medizin an Erfurts nunmehr erfolgreich beerdigter Medizinischer Akademie, Erzieher vieler Studenten und Ärzte – hatte selbst ein bemerkenswert schönes und deutliches Schriftbild. Zusätzlich fesselte er in seinem Kolleg und bei wissenschaftlichen Vorträgen mit wohlverständlicher Artikulation der Sätze. Zu Ärzten und Studenten, die handschriftliche Texte oder ihre Unterschriften nicht lesbar oder in abstrakter Form zu Papier brachten, sagte er ironisch: „Schämen Sie sich Ihres Namens, dass Sie ihn so unlesbar entstellen, oder können Sie nicht richtig schreiben?“

    Im Übrigen forderte er – wie jeder verantwortungsbewusste Lehrer – generell für alle und von allen eine lesbare Schrift und verständliche Aussprache. „Denn Sprache und Schrift sollen zur Verständigung der Menschen dienen und nicht zur Verschleierung von Identität, Gedanken und Problemen!“

    Womit er nicht nur die Mediziner in die Pflicht nahm. Und, recht überlegt, scheint das Sundermannsche Credo immer mehr an Bedeutung zu gewinnen.

     

    Aus Kardach, Medizin tropfenweise, Peter-Stein-Verlag, Weimar.

    Copyright Dr. Siegbert Kardach

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    Auch unser tägliches Befinden ist gespalten. Einmal in unser eigenes Hoch und Leiden. Zum anderen werden wir stark beeinflusst vom Befinden anderer, die uns unmittelbar begegnen. Manchmal ist dann deren Befinden schon unser eigenes. Nicht, weil wir keinen Charakter hätten, sondern weil andere ihren nicht immer ausgeglichenen Charakter wie einen schweren Schmiedehammer auf unseren sensiblen Amboss der Empfindsamkeiten schlagen.

    Umgekehrt geschehen, würden diese seelischen Schlägertypen schon nach kurzer Zeit zusammenbrechen.

    Dann sähe wohl die kleine Welt um uns herum noch zerstörter und unharmonischer aus. Und dementsprechend auch unser tägliches Befinden.

    Aus Kardach, Medizin tropfenweise

    Copyright Dr. Siegbert Kardach

     

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    Der Deutsche hat zwei sehr unterschiedliche Charakterseiten, die aber eigentümlicherweise zusammengehören. Einesteils neigt er zum unkontrollierten Herrenmenschen, der Weltkriege vom Zaun bricht und menschenmordende, perfektionierte Massenvernichtungssysteme ausklügelt und zulässt.

    Zum anderen leidet er an einem gemischten Anbiederungs-Selbstaufgabe-Selbstverleugnungssyndrom, garniert mit erstaunlicher Klagfähigkeit und Selbstbemitleidsphasen.

    Trost – wenn auch keine Absolution – können wir Deutsche bei einigen bemerkenswerten Menschen unserer Geschichte finden, die sich in bestimmten, charakterfordernden Situationen politisch und privat verweigerten und Widerstand geleistet haben. Diesen verdanken wir eine angemessene Form von Selbstachtung.

    Zum Glück vergisst die internationale Kritik nicht deutsche Dichter, Denker, Musiker, Maler, Wissenschaftler, aber auch Sportler, deren Leben und Leistungen die Welt- und Kulturgeschichte wesentlich bereichert haben.

    Ergo: wenn wir allen Völkern mit notwendigem Respekt begegnen, positive Lehren aus unserer wechselvollen Geschichte ziehen und auch normalen Umgang mit uns selbst pflegen, haben wir Deutsche keinen ersichtlichen Grund, uns nicht zu mögen.

     

    Der Text stammt aus Kardach, Tropfenweise Medizin, Peter-Stein-Verlag, Weimar.

    Copyright Dr. Siegbert Kardach

     

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    Ich habe etwas ausgepackt
    (ich bin gerade am Umziehen)
    ich nahm es in die Hand
    eine erdbraune Muschel
    eine von denen
    aus unserer Kinderzeit
    wenn du sie ans Ohr hältst
    (auch fern von jeglicher Küste)
    kannst du das Rauschen des Meeres hören …
    Später erklärten mir kluge Menschen:
    du hörst das Rauschen
    deines eigenen Blutes
    sein Echo
    noch später dachte ich
    (inzwischen selber klug geworden):
    Ist das nicht dasselbe?
    zwei Bilder
    eines einzigen Geschehens

    Ich hielt die Muschel
    wie als Kind
    an mein Ohr
    ich hörte kein Rauschen
    aber da …
    ein Tropfen
    und wieder
    und wieder
    stetig fiel er nieder

    In welchen Brunnen
    oder See
    oder …
    fiel er?

    Da begriff ich:
    ich hörte mein Herz
    das Echo des eigenen Herzschlags

    Aber ist das nicht dasselbe:
    das Tropfen des Lebenswassers
    und der Schlag deines Herzens?

    Nun sah ich
    auf der glatten braunen Steinfläche
    eine Ritzzeichnung
    Tiere der Wüste
    der Savanne
    unter einem Baum
    (an einem Wasserloch?)
    sicher kannte keines ein Meer
    eine Muschel
    doch auch ihr Herz
    schlägt wie das Tropfen
    des Lebenswassers

    Die Sehnsucht des Künstlers
    vereinte
    die Tiere
    aus der Weite der Wüste
    und die Muschel
    aus der Tiefe des Meeres

    Nun spürte ich:
    der Schmerz des Umzugs
    (körperlich)
    war vergangen
    wenigstens für kurze Zeit

    Wer hat mir
    die Erkenntnis geschenkt:
    lausch auf das Lied deiner Sehnsucht
    hörbar werdend
    im tropfenden Wasser des Lebens
    im schlagenden Herzen

    Vertrau
    dem Strom des Lebens
    er trägt dich zum Ziel

    Copyright Dr. Helga Thomas

  • Ich habe heute Morgen
    meinen Hund gestreichelt
    er schaute mich so traurig an
    denn ich wollte
    jetzt noch nicht
    raus in den nassen Sommermorgen

    Ich habe durstig
    gierig fast
    die erste Tasse Tee getrunken
    und dann
    erfreute mich
    der Apfel
    mit Farbe Form
    Geruch Geschmack

    Ich freute mich
    dass ich
    immer noch
    in den Apfel beißen kann
    Obwohl mein Körper
    mit aller Schwere
    mich niederzog
    schwer und unbeweglich
    freute ich mich dann
    als langsam
    alle Glieder wieder
    beweglich wurden

    Noch immer bin ich müde
    doch auch dankbar
    und ich frage mich
    ob meine- Freude
    nicht viel mehr bewirkt
    als das
    was ich vielleicht
    noch so zu tun gedenke
    natürlich Nützliches
    an diesem Tag

     

    Copyright Dr. Helga Thomas

     

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    Alle Welt
    berichtet schreibt
    und forscht
    übers Wasser

    Warum nicht ich?

    Alle Welt
    wirklich alles
    nicht nur Leben
    braucht das Wasser
    so wie auch ich

    Doch welches Wasser
    meinen sie
    welches Wasser
    meine ich?

    Das Wasser
    das vom Himmel fällt
    aus der tiefen Erde dringt?
    Die Welt umarmend
    sie durchfließt?

    Als Brunnen
    Mensch und Tiere tränkt
    als See
    dem Himmel
    Berg und Baum
    als Spiegel dient?

    Das in seinem
    Auf und Ab
    und Hin und Her
    der Seele gleicht?

    Das Wasser
    das in meinem Auge
    von vergangener Liebe spricht?

    Das Wasser
    das in jedem Körper
    kreist?

    Unsichtbar kurz vor Herbstbeginn
    als Nebel
    sich über alle Dinge legt?

    Genauso unsichtbar
    verlässt es als leichter Hauch
    meine Haut
    und verbindet mich
    atemgleich
    mit aller Welt

    Welches Wasser
    es auch immer ist
    es gibt sich hin
    es passt sich an
    formlos
    füllt es jede Form
    und sucht doch immer
    seine eigne Mitte
    und ist doch immer
    ganz sich selbst
     

    Copyright Dr. Helga Thomas

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    Schwäne sah ich auf dem Wasser
    sie schwammen nicht
    sie tauchten nicht
    sie waren einfach da
    wie das Wasser
    das in sich ruhend
    unbemerkt
    stetig weiter floss

    Nur das Spiegelbild
    von Baum und Haus
    vibrierte sanft
    als wollte es
    mit dem Wasser weiter fließen

    Schwäne sah ich auf dem Wasser
    Sie waren einfach da

    Ob ich es wohl von ihnen lerne
    wenn ich von nun an
    jeden Tag
    mich an sie erinnere?

     

    Copyright Dr. Helga Thomas

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    „Liebe Kinder“, sprach der Feuervogel zu seinen Enkeln. „Heute erzähle ich euch die Geschichte von der Entstehung der Diamanten.“

    Die Kinder betrachteten aufmerksam das goldene Federkleid der Großmutter, die Phönix gerufen wurde. Großmutter erzählte in jedem Jahr am Abend vor dem Aschermittwoch, dem Tag des Neubeginns des Jahres, an dem ausgelassen gefeiert wurde, eine Geschichte.

    Im letzten Jahr hatte sie von ihrem Bauch erzählt, der, so sagte sie jedenfalls, Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit widerspiegeln soll. Das konnten sich die Kinder gar nicht so richtig vorstellen. Aber es konnte schon sein, denn Großmutter ernährte sich ausschließlich von Tautropfen.

    Im Jahr davor wurde die Bedeutung der Flügel erklärt. Sie stehen in Verbindung zum Wind und vertreiben dunkle Gedanken.

    Und noch ein Jahr früher erfuhren die Kinder von den Füßen, die die Verbindung zur Erde herstellen, und sie erfuhren vom Kopf als Sitz der Tugenden.

    Die Enkel wussten inzwischen, dass ihre Oma in der ihr eigenen Sanftmut und Friedfertigkeit die Gesamtheit der Gegensätze vereinigte und für Harmonie, Frieden und Weisheit einstand, weshalb ihre Gestalt in den alten Zeiten auch das Symbol für die gütige und gerechte Herrschaft der Könige war.

    Die Kinder konnten auch die fünf verschiedenen Farben von Großmutters Federn deuten, die den Elementen zugeordnet waren: Wasser, Erde, Feuer, Luft und Äther. Letzteren, die Seele der Welt, symbolisiert durch die Mondsichel, über der sich eine Krone befindet, atmeten nur die Götter.

    Am beeindruckendsten aber war für die Kleinen, dass Omas Tränen jede Wunde in kürzester Zeit zur Heilung brachten.

    Großmutter fuhr in ihrer Rede fort: „Ihr habt euch bestimmt schon gewundert, dass ich trotzmeines Alters von Zeit zu Zeit jünger als zuvor bei euch erscheine. Das liegt daran, dass ich alle 57 Jahre einen Scheiterhaufen aus wohl riechenden Kräutern errichte, in welchem ich mich dann verbrenne. Bin ich vollständig verbrannt, also gereinigt und geläutert, steige ich aus der Asche verjüngt hervor. Als einmal in einem anderen Land viele große Feuer brannten und meterhoch Asche auftürmten, legten sich die Berge auf die Glut, um sie zu ersticken. Später, als die Natur nachgewachsen war und dort wieder Tiere und Menschen lebten, fand man statt der Asche die edelsten der Edelsteine: Diamanten. Sie sind das Licht der Sonne und der Sterne, unvergänglich, unbezwingbar, vollkommen vollkommen. Sie stehen für die seelische Ganzheit und für absolute Reinheit. Mit ihnen sind Krankheiten zu heilen und Gifte zu neutralisieren. Es gelingt sogar, mit ihrer Hilfe wilde Tiere und Hexen zu vertreiben. Gelegentlich kann ein Diamant seinen Träger unsichtbar machen, was mir allerdings noch nicht gelungen ist.

    Ihr seht also, liebe Kinder, jeder, der verbrennt, wird zu Asche. Ab nicht jeder, der verbrennt, bleibt Asche. Mancher, wie ich, kehrt verjüngt zurück. Und andere werden zu Diamanten.“

     

    Copyright Dr. Jürgen Rogge